Ein Traum vom Künstlerhaus auf dem Land

Historische Postkarte, Gasthof Serkowitz 1901 Foto: Archiv Lügenmuseum

Als ich aus meinem kleinen Dörfchen Görzig bei Großenhain in die Stadt gezogen bin, war ich sehr gespannt auf neue Eindrücke und Erfahrungen, denn als junger Mensch hat man das Dorf dann erstmal satt. Gleichzeitig ist die Infrastruktur in vielen sehr ländlichen Regionen in Ostdeutschland nach wie vor geprägt von Leerstand, Abwanderung und fehlenden Ärzten.
Zu meinem 18. Geburtstag zog ich gespannt nach Dresden. Heute lebe ich in der Neustadt.
Alles ist bunt, es gibt kulinarische Köstlichkeiten an jeder Ecke und man fühlt sich wohl in der Anonymität des Viertels. Hier gibt es Ateliers, Ausstellungen, moderne Kunst und viele Partys. Die verschiedensten Menschen treffen sich und kommen zusammen. Nur die Natur und die Ruhe kommen zu kurz. Warum kann man sowas eigentlich nicht auf dem Land etablieren? Eine kulturelle Begegnungsstätte für Freigeistern, ein Ort der Künstler Möglichkeiten gibt sich auszuprobieren und sie dabei unterstützt.
Seit November 2020 arbeite ich im Lügenmuseum, welches sich im alten Ortsteil Serkowitz in Radebeul befindet. Da gibt es nämlich einen alten Gasthof, welcher mich an unser altes Haus erinnert. Es ist ein altes denkmalgeschütztes Gebäude mit einem großen historischen Tanzsaal.
Er ist einer der ältesten Gasthöfe in Sachsen und befindet sich direkt am Elberadweg. Ein guter angebundener Ort für eine Kulturstätte.
2010 stand der alte Gasthof Serkowitz leer. Noch ein weiterer Leerstand im Osten? Nein! Denn hier wurde das alte Gemäuer von Künstlern belebt. Es zog ein Museum ein, ein Treffpunkt, ein Ort mit farbigem Charme. Es zog lokale, überregionale und internationale Besucherinnen an . Hinsichtlich der Alters-, Sozial- und Bildungskomponenten ist das Publikum sehr heterogen. Es lockt unter anderem Großeltern mit ihren Enkeln, Tagestouristen aus dem Erzgebirge und aus Brandenburg sowie Schulklassen und Studenten an.
Dahinter steht ein gemeinnütziger Verein der Kunst der Lüge e.V. dessen Ziel es ist eine kulturelle Begegnungsstätte zu entwickeln. Das Lügenmuseum funktioniert, die Projekte im öffentlichen Raum auch. Da kann man nur an das Labyrinth zum Weinfest erinnern. Darüber könnte ein Künstlerhaus existieren, so wie es in großen Städten zu finden ist. Doch wie kann das gehen, wie soll das realisiert werden?
Eine Möglichkeit wäre eine Bürgerstiftung von Radebeulern um die Immobile für die Kultur zu erhalten. Ideal wäre ein Mäzen, der die Zukunft des Kulturzentrums sichert. Es gibt das Nürnberger Mietshaussyndikat aber, die sind eher für Gemeinschaften, es gibt die Bodenstiftung, die Grundstücke im Stadtraum vor der Spekulation bewahren möchte. Die Stadträte sollten mal das Museum in Basel am Rhein ansehen, welches die Stadt dem Künstler Jean Tinguely gebaut hat. Der war ein Bürgerschreck und Provokant, der die Besucher in den Museen erschreckt hat. Heute ist dieses Museum ein Besuchermagnet. Auch das Museum von Salvador Dali in Figueras, welches der Bürgermeister mit dem Künstler aus dem Theater umfunktioniert hat wäre ein gutes Beispiel. Es liegt in der spanischen Provinz, und ist doch das Museum mit den meisten Besuchern im Land. Aus meiner Perspektive hat das Lügenmuseum auch solch ein Potential. Claudia Muntschik von „Kreatives Sachsen“ berät den Verein und hat vorgeschlagen ein Betreibermodell zu entwickeln. Es gäbe auch die Möglichkeit mit einem geeigneten Architekten nur das notwendigste zu reparieren. Fördermöglichkeiten gibt es, wenn die Perspektive geklärt wäre. Die Meißner Jugendbauhütte könnte die Sanierung des Gebäudes als Modellprojekt begleiten.

Lügenmuseum Serkowitz, Projektion: Claudia Reh Foto: Archiv Lügenmuseum

Die Künstler haben hier jedenfalls aus einer toten Ruine einen lebendigen Kulturtempel geschaffen und darüber würde ich mich gern mal mit den Stadträten unterhalten. Ein magischer Treffpunkt mitten im Dorf, in der Kulturstadt Radebeul im Elbtal mit zeitgenössischer Kunst und neuen Ideen. Radebeul aus Kulturstadt würde ein Künstlerhaus gut zu Gesicht stehen.
Die Skepsis ist bei vielen Menschen anfangs groß. Auch meine Eltern konnten sich nichts unter dem Lügenmuseum vorstellen und reagierten erst einmal ablehnend. Doch, nachdem sie bemerkten, wie viel Arbeit in dem Museum steckt wurden meine Eltern zu Fans und Unterstützern. Es sind die Gespräche und die Auseinandersetzungen, die eine wichtige Rolle spielen, um Vorurteile abzubauen.
Der Gasthof funktioniert als kulturelles Zentrum, als Museum. Das Künstlerhaus könnte ein weiterer Baustein sein, um eine Perspektive für den Gasthof zu entwickeln. Künstlerförderung und ein Atelier würden das Angebot abrunden: ein Stipendium für einen speziellen Künstler, so etwas wie der Stadtschreiber für Dresden, Werk- und Arbeitsstätten, eine Form der Künstlerförderung wäre gut für Radebeul.
Das Künstlerhaus würde ein neues Highlight für ein freies künstlerisches Schaffen in einem verantwortungsvollen, gemeinschaftlichen und solidarischen Umfeld sein. Diversität, Toleranz und Gleichberechtigung prägen unser Verständnis von freier Kunst und Gesellschaft. Hiermit schlage ich vor, den Stadtrat und Interessenten durch das Haus zu führen und das Potential und die Zukunftstauglichkeit auszuloten.

-Theresa Dietrich (Bundefreiwillige)
Bild 1: Historisches Postkarte, Gasthof Serkowitz 1901, Archiv Lügenmuseum
Bild 2: Lügenmuseum Serkowitz, Projektion: Claudia Reh, Foto: André Wirsig

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