Die Orte waren immer schon da

Laudatio zur aktuellen Ausstellung in der Stadtgalerie

Feste feiern, wie sie fallen: Radebeuler Lebensart –

Foto: Archiv Stadtgalerie Radebeul

Diesmal stehen, wie hinreichend bekannt, drei Jahrhundertfeiern an: jeweils hundert Jahre Stadtrecht für Kötzschenbroda und Radebeul, sowie hundert Jahre Museum Hoflößnitz. Wem also, können wir mit Schiller rufen, wem der große Wurf gelungen, Bürger dieser Stadt zu sein, wer ein Gläschen Wein errungen, mische seinen Jubel ein.

Das zu tun, haben wir uns heute auf den Weg gemacht, denn Feste feiern ist Radebeuler Lebensart.

Freilich verwundert es einigermaßen, daß es ausgerechnet die Kulturleute sind, die Künstler, die scheinbar eine Spaßbremse einlegen: hundert Jahre – gut und schön, mögen sie gedacht haben, ABER die Orte waren immer schon da.

Wer nun jedoch mit wissendem Blick durch die Landschaft geht, erkennt sehr schnell: Es gibt Dinge, die noch immerer da sind – wenn es denn erlaubt ist, immer schon auf diese Weise zu steigern. Denken wir nur an die überregionalen Wegeführungen, auf denen seit Jahrtausenden schon Reisende auf der hochwasserfreien Heidesandterrasse durchs Elbtal zogen, denken wir an die seit mindestens dreitausend Jahren benutzte Elbfurt bei Serkowitz und denken wir an den Fluß selbst, der sich ja das Tal erst im Zuge der Eiszeiten selbst gegraben hat. (…) Die Elbe war es auch, die vor acht oder neun Jahrtausenden die ersten Siedler aus dem Donauraum zu uns heraufgeführt hat. Und denken wir schließlich an Petrus, den Fels, an das Grundgebirge also, auf dem alles aufbaut und das nach wie vor alles trägt – in der Ausstellung ist von 570 Millionen Jahren die Rede. Genau genommen sind das alles Orte, die aus heutiger Sicht immer schon da waren.

(…)

Was aber bedeutet nun eigentlich immer schon?

Hier lohnt es sich, doch noch einmal ganz kurz in die Geschichtsbücher zu schauen. Mit dem hehren Anspruch, als solide Wissenschaftler zu gelten, treten Historiker meist als Zahlenjongleure auf. Das macht ihren Berufsstand vielleicht ehrbar, aber nicht unbedingt sympathisch. Jedenfalls datieren sie das Werden unserer Lößnitzdörfer exakt – und darauf kommt es ihnen an – in die Anfangsjahre der Kolonisationszeit, also an den Beginn des 12. nachchristlichen Jahrhunderts. Naundorf, das neue Dorf, taucht 1144 erstmals in einer Urkunde auf. Daraus kann scharfsinnig gefolgert werden, daß die anderen Dörfer wenigstens etwas älter sein müssen – sie waren jedenfalls um 1140 nicht mehr neu. Genaueres findet sich bestenfalls noch im Reich der Spekulation. Dort fühlen wir uns im postwissenschaftlichen Zeitalter ja ohnehin am wohlsten. Alternative Tatsachen, also aus dem Netz gefischte Blüten kollektiver Dummheit, haben ja der wissenschaftlichen Erkenntnis längst den Rang abgelaufen. – Ich fürchte, wir werden da bald noch so manche Überraschung erleben…

Aber zurück zum Thema:

Letztlich ist auch der Wein immer schon da, und mit ihm die Hoflößnitz. Das kurfürstliche Berg- und Lusthaus sah sogar mal eine große Zukunft vor sich liegen, die August der Starke eigenhändig entworfen hatte. Viel ist nicht geblieben davon, mit Ausnahme vielleicht der Spitzhaustreppe, (…). Na, und ein Gläschen Wein gibt’s dort gegen ein – nun ja – geringes Entgelt immerhin auch zu gewinnen.

Gemeinhin ist ja das Wort immer aufs Engste mit ewig verbunden. Und ewig ist, wie Gerhart Hauptmann auf Hohenhaus erfuhr, ewig ist, was ein Mensch bei dem Worte empfindet. Es ist also ans eigene Erleben gekettet. Daher ist auch oft die Formulierung zu hören: soweit ich mich erinnere, gibt’s die Dörfer immer schon…

Was Kötzschenbroda anlangt, reicht meine Erinnerung bis an den Anfang der 1980er Jahre zurück. Damals war die Lehre von Marx noch unsterblich, weil sie wahr ist. Das kleine Land am Rande der Welt, das all sein Hoffen, all sein Sehnen an diesen Satz knüpfte, hatte sich zugleich in den Besitz allen Fortschritts gesetzt und war gerade dabei, alles Alte auf den Müllhaufen der Geschichte zu werfen. Dazu gehörten auch unsere Dörfer, obwohl oder weil sie immer schon da waren. Sie brauchten nun nicht mehr für die Lebensgrundlagen zu sorgen – sie waren sozusagen überflüssig. Dem sofortigen Abriß waren nur noch die dort wohnenden Menschen im Wege, die sich einfach nicht entsorgen lassen wollten. Also wurde die Umgebung zunächst gründlich verunattraktiviert: Oberschenke zu, Goldener Anker Möbellager, überall bröckelte der Putz und Dachziegel gabs auch keine. Erst jüngst haben die wunderbaren Fotos von Harald Hauswald hier in der Galerie die – durchaus nicht nur negativen – Erinnerungen aufleben lassen: ja, SOO sah es hier mal aus, und ja, genau so haben wirs erlebt.

Foto: Archiv Stadtgalerie Radebeul

Besser geht’s gar nicht.

Und obwohl – oder weil – es hier so aussah, wie es aussah, ist aus dem Abriß nichts geworden. Weil es immer schon da war, blieb das Dorf in der Stadt als Dorf erhalten, auch wenn vom eigentlich dörflichen Leben, also von Hühnern, Schweinen und Pferden und was sonst noch dazu gehört, nicht viel geblieben ist.

Ja, mehr noch, heute streiten sich die Geister, wer das goldene Ei gelegt hat, aus dem Kötzschenbroda gleich dem Phönix aus der Asche schön wie nie erwachte. Die Sehnsucht nach Dauer scheint eben doch größer zu sein, als der Wunsch nach Teilhabe am Fortschritt. Das verleiht mir nun wieder die Hoffnung, daß vielleicht eines Tages die natürliche Intelligenz erwacht, die künstliche überwindet und am Bargeld festhält – das jedenfalls, das Bargeld, ist deutlich älter, als unsere Dörfer und in diesem Sinne auch immer schon da. Wir sollten es, wie die Elbe und die Dörfer schützend bewahren.

Feste feiern ist Radebeuler Lebensart. Und dank der Orte, die immer schon da waren, und der Städte, die aus ihnen wuchsen, gibt es zum Feiern immer wieder gute Gründe. Für alles andere sorgt der Wein – Er wird uns, wenn die natürliche Intelligenz ausreicht, erhalten bleiben – von Ewigkeit zu Ewigkeit.

Thomas Gerlach

100 Jahre Museum Hoflößnitz, Teil 10

Ende 1976 wurde das Radebeuler Heimatmuseum im Lusthaus der Hoflößnitz vorläufig geschlossen, um die Elektroinstallation zu erneuern und Holzschutzmaßnahmen am Dachstuhl vorzunehmen. Die dabei zutage tretenden Befunde – die Schäden waren größer als erwartet, und im Erdgeschoss kamen Reste der Ausmalung des 17. Jahrhunderts zum Vorschein – führten dazu, dass die unter der fachlichen Aufsicht von Dr. Heinrich Magirius (1934–2021) vom Institut für Denkmalpflege durchgeführten Arbeiten einen bedeutend weiteren Umfang annahmen als geplant. Hatte man zum 30. Geburtstag der DDR fertig sein wollen, überdauerte das Projekt den Arbeiter- und Bauernstaat um Jahre. Ziel war:

Das Kleinod soll wieder strahlen

Fest zum 80. Geburtstag des Puppenspielers Carl Schröder in der Hoflößnitz, Juni 1984 Foto: Archiv Stiftung Hoflößnitz

Unter Leitung des Radebeuler Malers Gunter Herrmann (1938–2019) und des Architekten Ulrich Aust (1942–1992), welcher die bauliche Instandsetzung betreute, wurde von 1977 bis 1985 zunächst das Erdgeschoss grundlegend saniert. Nach der Sicherung wurden im »Zehrgarten« und der »Tafelstube« erhaltene Ausmalungsreste freigelegt und andere Gestaltungselemente des 17. Jahrhunderts nach Befund wiederhergestellt. Dem Vorbild der Eingangshalle entsprechend erhielten auch die Böden der übrigen Räume einen Sandsteinbelag. 1982 konnten die Arbeiten am Dach und den Fassaden beginnen, die unter den erschwerenden Bedingungen der DDR-Mangelwirtschaft bis 1990 andauerten.

Am aufwändigsten war die Restaurierung der durch vorangegangene Übermalungen und eine Übernutzung der klimatisch sensiblen Räume schwer geschädigten Wand- und Deckengemälde im Festsaal und den kurfürstlichen Gemächern. Hierfür mussten zunächst geeignete Methoden entwickelt werden, wobei sich die Zusammenarbeit mit der Hochschule für Bildende Künste Dresden und der Restaurierungswerkstatt von Schloss Moritzburg als fruchtbar erwies. Von ersten Vorstudien 1978 bis zur Fertigstellung des letzten Raumes 2001 beanspruchten diese nach höchsten Ansprüchen durchgeführten Arbeiten gut zwei Jahrzehnte. Mit der Schwellensanierung sowie Restaurierung der historischen Dielenböden und eines als einziges Originalmöbel erhaltenen Wandklapptischs in der fürstlichen Schlafkammer konnte die Restaurierung im Obergeschoss 2013/14 abgeschlossen werden.

Die friedliche Revolution von 1989 und die Veränderung der Wirtschafts- und Verwaltungsstrukturen ab 1990 eröffneten auch dem mitten in der Profilierungsphase steckenden Museum »Haus Hoflößnitz« neue Möglichkeiten. Leitgedanke einer von Museumsleiterin Ingrid Zeidler im Sommer 1991 vorgelegten Konzeption war die »Zusammenführung und umfassende Rekonstruktion der historischen Weingutsanlage […] und deren erweiternde Erschließung für die Öffentlichkeit«. Das Schlossgrundstück sollte in dem Umfang, wie es der Hoflößnitzverein 1912 erworben hatte, und in Übereinstimmung mit den Zielen des Landschafts- und Denkmalschutzes als lebendiges Museum die über Jahrhunderte entstandene Kulturlandschaft Hoflößnitz erlebbar machen, »mit einer Ausstellung zum Weinbau, einem Weinberg, einer Schoppenstube, Führungen, Weinverkostungen, Sonderausstellungen, verschiedenartigen Veranstaltungen und Festen.«

Vieles davon war im Kern bereits angelegt. Seit der Wiedereröffnung 1981 hatte das Museum während der laufenden Sanierung durchschnittlich drei Sonderausstellungen pro Jahr gezeigt, von denen einige über Radebeul hinaus große Beachtung fanden. Auch drängende Fragen des Denkmal- und des Umweltschutzes wurden schon zu DDR-Zeiten thematisiert. Unter dem Einfluss der zahlreichen an den Restaurierungsarbeiten beteiligten Künstler, die wiederholt Gelegenheit erhielten, eigene Werke zu präsentieren, hatte sich die malerische Anlage weit stärker als früher zu einem Ort des kulturellen Austauschs entwickelt. Seit 1983 fanden jährlich Kinderfeste statt, und mit der Eröffnung des ersten Teils der Dauerausstellung zum Weinbau im Raum Radebeul wurde 1987 die Tradition herbstlicher Weinfeste begründet. Nach der Erweiterung des Museumskonzepts auf die mit dem Weinbau eng verbundenen, vom Aussterben bedrohten Handwerke der Böttcherei und Korbmacherei waren auch die Sammlungen erheblich ausgebaut worden.

Neu war die an Traditionen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts anknüpfende Idee, die Gesamtanlage museal, kulturell und gastronomisch zu nutzen und den Weinbau nicht nur in seiner historischen Dimension zu präsentieren, sondern historische und moderne Anbaumethoden auf den zugehörigen Weinbergsflächen auch praktisch zu demonstrieren und in einer Museumskelterei eigene Weine herzustellen. Dabei wurde von vornherein an einen Weinbau nach ökologischen Kriterien gedacht. (Fortsetzung folgt.)

Frank Andert

Editorial

Heute Morgen, am 19. September, der Tag beginnt im herrlichsten Altweibersommerflair. Ich höre MDR Kultur. Ein Beitrag über das Landratsamt in Pirna lässt fast die Zahnbürste haken. Was ist passiert? Der Landrat hatte entschieden, eine bereits aufgebaute Wanderausstellung unter dem Titel »Es ist nicht leise in meinem Kopf« über das Schicksal von 35 geflüchteten Menschen, die heute in Schwarzenberg und Umgebung leben, wieder abbauen zu lassen. Mit der Begründung, sie »polarisiere«. Noch vor der Eröffnung, also vorrangig durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Landratsamtes, gab es »Aufruhr«, weil Aussagen der Asylsuchenden über ihre Befindlichkeit jetzt in Deutschland den Betrachtenden missfielen. Aussagen wie »Wir sind eingesperrt wie hinter einer Mauer«, »Ich habe kein Leben in Deutschland« oder »Ich weiß nicht, ob ich hier bleiben will« wurden als un- verschämt empfunden, es sollte doch eher Dankbarkeit gezeigt werden. In dieser Situation reagierte der Landrat mit der Anweisung, die Ausstellung wieder abzubauen. In einer Behörde, welche eine wichtige Stütze der Demokratie sein sollte. Das fasst man kaum! Ob man persönlich alles Gezeigte gut findet, ist doch zweitrangig. Schließlich sollte ja so eine Ausstellung zum Diskutieren anregen und nicht nur gefallen. Ich hoffe sehr, dass entsprechender Protest zur Rücknahme der Rücknahme führt. Asylrecht hat nichts mit Dankbarkeit zu tun, es ist eine Pflicht für jedes Land in unserer Staatengemeinschaft. Wie die Integration gestaltet wird, das ist allerdings die Aufgabe von Politik und Verwaltung. Und über gutes oder nicht so gutes Gelingen zu berichten, ist ein Recht der Betroffenen und könnte zu Verbesserungen führen. Ich schließe in der Hoffnung, dass der Vorfall in Pirna eine Ausnahme bleibt, denn wir als Öffentlichkeit haben es nicht verdient, dass man uns Möglichkeiten zur Information, zur Meinungsbildung und Diskussion vorenthält. Das gilt für diesen konkreten Fall in Pirna genauso wie für Sachverhalte im Verbreitungsgebiet unseres Heftes, die wir als Redaktion kritisch begleiten.

Ilona Rau

Zum Titelbild

Geduckt und scheelen Blickes drückt sich der Fuchs zur Seite weg. Er ist sauer, denn dort, wo er gern säße, sitzen schon Zwei. Und sie tun genau das, was er gern täte: Genüßlich machen sie sich über die sonnenreifen Trauben her. Wie der Fuchs haben sie lange auf diesen Tag gewartet. Unter hämischem Krächzen kreist der Rabe über ihren Köpfen, greift sich von oben eine Beere und bringt sie in Sicherheit.
„Ein fabelhafter Herbst“ kann schöner nicht beginnen: An sonnüberfluteten Hängen reift der Wein in der Stille der Tage zu letzter Vollendung, die Zeit des Genusses ist nahe herbeigekommen. Daran ist dem Künstler gerade sehr gelegen, denn dieser Tage kann er einen runden Geburtstag feiern.
Michael Hofmann ist 1944 in Chemnitz geboren. Fünfundzwanzig Jahre später kam er zum Studium nach Dresden. Seither hat ihn das Elbtal nicht wieder losgelassen. Vor inzwischen abermals fünfundzwanzig Jahren bezog er mit seiner Frau ein eigenes Haus in Radebeul. Aus einem seiner Atelierfenster hat er das Minckwitzsche Weinberghaus im Blick. So sind ihm auch der Wein und die mit ihm verbundenen Träume und Geister ständig vor Augen.
Mit der wohlausgewogenen Komposition des Flächenholzschnittes hat der Grafiker die für den besonderen Tag erhoffte Stimmung vorweggenommen. Dabei ist es ihm erneut gelungen, der Spannung zwischen der äußeren Ruhe des Herbsttags und der inneren Bewegtheit des Augenblicks Ausdruck zu verleihen. Die Öffnung der Szene zum Licht zwischen knorrigen Weinstöcken und prallen Trauben trägt auf ihre Weise zur stillen Heiterkeit eines „fabelhaften Herbstes“ bei.

Thomas Gerlach

Mit Stephan Krawczyk poetisch durch das Jahr

Radebeuler Miniaturen

N-I-hilismus

Es wird mal wieder gewahlkämpft.
Wahlkampf erkennst du daran, daß an allen wichtig empfundenen Straßen Plakate auf den Gehwegen liegen und zertrampelt werden. Merk dir das, mein Junge.
Meinst du mich? Der Gastwirt meines Vertrauens stellt mir ein Bier aufs Faß.
Ich freue mich grad an dem Neuen Schmuck auf unseren Fußwegen, sag ich, sieht doch wirklich apart aus, wenn die Kulturnation wahlkämpft.
Wo gehobelt wird, fallen Späne, sagt er, na, zum Wohl!
Was ich wirklich originell finde, sag ich als er wieder in die Nähe kommt, ist der Spaß, den sich die N-I-hilisten machen: Die drucken erst gar keine Plakate mehr, sondern sprühen ihre Botschaft gleich farbkräftig auf den Fußweg: „N-I Entwickeln!“ Das spart Ressourcen in jeder Hinsicht, braucht keine Druckfarbe, keine wasserfesten Pappen, die Kabelbinder können anderweitig zweckentfremdet werden, und keiner kann die Wahlhelfer von der Leiter schubsen. Außerdem entsteht der Eindruck, da will jemand mit gutem Beispiel vorangehen …
Ist mir auch schon aufgefallen, sagt der Wirt, „N-I Entwickeln“ – hast du ´ne Ahnung, was das heißt?
Naja, sag ich, ich stelle mir vor, das ist eine Art von Ruf „zurück zur Natur“, zur „Natürlichen Intelligenz“ in dem Falle, an der fehlts ja schmerzlich allerorten…
Aber, wendet er ein, „nihil“ heißt doch „Nichts“. Und Natur ist ja doch mehr das Gegenteil davon – oder?
Schon, schon, schulmeistere ich eifrig, die sind auf der Suche nach der „Natürlichen Intelligenz“ in ein schwarzes Loch gefallen, haben sprichwörtlich nichts gefunden. Es gibt ja auch kaum noch welche – natürliche Intelligenz, meine ich, außer vielleicht in Brauereien, denn sonst gäbs schon kein Bier mehr. Die Enttäuschung sitzt bei allen, die auf Fortschritt hoffen, tief: zwei Millionen Jahre Entwicklung für die Katz…
Ach, und da wollen nun die reingefallenen „Häschen in der Grube“ von unten her, „aus tiefer Not“ sozusagen, die „Natürliche Intelligenz“ neu erfinden?
Nicht erfinden – entwickeln! Erfinden wäre ja wieder künstlich …
Apropos „aus tiefer Not“: sieh mal mein Glas an: Nihil – Nichts –
Ich eile, ruft er, ich eile …

Thomas Gerlach

Die Glosse

Über die Glosse

Nun ist es nicht erst seit Trump zum allgemeinen Volkssport geworden, sich gegenseitig die Taschen vollzuhauen, bis die Schwarte nur so kracht. Schlankweg werden heutzutage Behauptungen aufgestellt, die jeglicher Grundlage entbehren. Da will ich jetzt nicht darauf herumreiten, dass so mancher treue Leser dieses eigentlich ansonsten ganz solide verfassten Heftes glaubt, jener unter dem Pseudonym WOZI einst schreibende Wolfgang Zimmermann verfasse immer noch die Glosse. Nun, das kann man diesem guten Manne wirklich nicht antun.
Auch wenn man die Glosse nicht für „bare Münze“ nehmen sollte, hat der Leser doch Anspruch auf weitgehende Korrektheit der dort niedergeschriebenen Sachverhalte. Andersherum aber ist es schon erstaunlich, wie die große Leserschar von Vorschau & Rückblick den hanebüchenen Unsinn aus der April-Glosse Ab geht die Post bereitwillig geschluckt hat, ohne aufzumucken. Denkbar ist es freilich, dass dem einen oder anderen diese unglaubliche Geschichte schon aufgestoßen ist, er aber gerade seinen Füllfederhalter verlegt hatte oder diesem die Tinte ausgegangen war. Man sagt und sagte unserem „starken August“ ja so manche Heldentat nach, da denk ich nur an seinen starken Daumen… Aber dass der erwähnte Beitrag nassforsch behauptet, dass August der Starke 1563 etwas erkannt haben will und somit über 180 Jahre alt geworden sei, da er ja nachweißlich 1733 verstorben ist, wird wohl selbst dem naivsten Leser unglaubwürdig erschienen sein. Gedankt sei dem einen aufmerksamen Leser, der darauf hingewiesen hatte!
Was die Einrichtung der Post in Sachsen wiederum anbelangt, gehen dann doch die Ansichten etwas auseinander. Die ersten Aktivitäten soll es schon Ende des 15. Jahrhunderts gegeben haben. Und die Hofpost von Kurfürst August (1526–1586) war vermutlich seine rein private Sache. Es ist wohl eher dem Nachfolger Augusts, dem Kurfürst Johann Georg I. (1585–1656) zu verdanken, dass um 1613 eine staatliche Post in Sachsen eingeführt wurde.
Beschwören aber kann ich, dass beim Schreiben dieses Beitrages kein Cannabis im Spiel war, auch wenn der Verdacht nicht abwegig erscheint, lag doch der Abgabetermin der Glosse lange vor der offiziellen Freigabe des inspirierenden Mittels, dem 1. April 2024. Der Schreibvorgang allein, so kann ich den Lesern versichern, hat schon etwas Narkotisierendes. Mitunter erwacht man wie aus einer Trance, aus einer anderen Welt. Da kann ich schon verstehen, wenn die Bundes-CDU die Freigabe von Cannabis bis zur letzten Minute verhindern wollte. Wer will schon eine andere Welt, als die von Merz gewünschte? Und so schnell wird es auch nicht dazu kommen, dass „Der blaue Planet“ dominiert, außerdem haben da noch die Mitglieder der Rockgruppe Karat die Finger drauf.
Freilich sollte, wer Glossen schreibt, auch rechnen können. Damit meine ich natürlich nicht, dass man damit rechnen sollte, dass nicht alle glauben, was man da zu Papier bringt. Das kann man ohnehin nicht erwarten. Insofern ist eigentlich auch egal, was man schreibt. Die Hauptsache ist doch, dass die Zeilen gefüllt werden. Und wenn dann, wie im Juli-Heft, ein Teil der Glosse die fehlenden Zeilen eines anderen Textes füllt, kann man das getrost auch als „kreatives Schreiben“ verbuchen. Aber gut wäre es schon, zu wissen, dass Eins und Eins Drei ist, man muss es allerdings glaubhaft vermitteln, wie die Parteien dies nach verlorenen Wahlen immer wieder mit fester Überzeugung verkünden. Hier, das muss ich ehrlicherweise zugeben, habe ich noch so meine Schwierigkeiten. Fakt ist aber eben auch, dass Radebeul natürlich erst 2035 100 Jahre alt wird – also das Radebeul, welches wir heute kennen, lieben und seit 1935 unsere Stadt nennen, deren 75. Geburtstag bestimmte Kreis 2010 nicht feiern wollten. Da kann man sicher gespannt sein, wie sich die Stadtoberhäupter dazu in 11 Jahren verhalten. Wenn es dann auch zu so einem voluminösen Fest kommen sollte wie 2024 – na dann, gute Nacht, meint

Euer Motzi

Ein pressewirksamer Termin am Haus Kynast

Foto: D. Lohse

Im Kynastweg 26 war ich schon oft gewesen und habe manchmal auch in unserem Heft darüber berichtet – sh. V&R 1/96, 2/16 u. 8 /22. Am 19. Juli 2024 sollte zwischen 10 u. 11 Uhr die Hebung des Turmhelms des derzeit in Umbau und Sanierung befindlichen Turmhauses stattfinden. Von der Sächsischen Zeitung waren die Herren Kuhnert und Weihs erschienen und ich wollte vielleicht in der „Vorschau“ davon berichten. Es war von vornherein klar, dass eine Tageszeitung den jeweiligen Artikel schneller bringen wird, als ein Monatsblatt.
Das Bauensemble aus fünf Häusern des ehem. Weingut Haus Kynast wurde über die Jahre seit der Rückgabe 1990 an die Familie Muth vernünftigerweise in Etappen saniert, dazwischen Zeit zum Luftholen und auch zum Geldansparen. Die um einen Hof gruppierten Häuser haben verschiedene Daten der Errichtung und waren u.a. deshalb auch unterschiedlich sanierungsbedürftig. Nun war das Turmhaus nach dem Badehaus als letztes dran. Die langjährige Mieterin im Turmhaus, Frau Lederer, konnte 2023 in eine Niederlößnitzer Wohnung umziehen – sie hatte schöne Jahre im Kynast erlebt. Durch Architekt Volker Röhricht, über die Jahre mit dem Kynast gut vertraut, waren Voruntersuchungen eingeleitet und ein Projekt für ein Zweifamilienhaus im Turmhaus erarbeitet worden. Mit dem Abbau schadhafter Teile (u.a. der Dachstuhl) war schon begonnen worden und das Gerüst des Turmes stand bereits. Nun sollte die von der Coswiger Firma Holzbau Grätz reparierte Turmhaube mit einem Autokran auf den Dachstuhl gehoben werden.

Foto: D. Lohse

Hörbare Hammerschläge verrieten den Wartenden, dass noch ein paar Vorarbeiten erfolgen mussten und die Spannung stieg. Man musste noch etwas warten und schaute derweil von der Stützmauer aus in die weite Landschaft bis zur Bosel oder lief mal zu den alten, gut im Saft stehenden Esskastanienbäumen. Dann, Viertelzwölf etwa, konzentrierten sich die angereisten Zuschauer, Margot und Hans-Peter Muth (die Eigentümer aus München), Architekt Volker Röhricht (Radebeul) und die Vertreter der großen und kleinen Presse auf den Beginn der Hebung der Turmhaube, hier war Filigranarbeit vom Kran und den Zimmerleuten auf dem Gerüst erforderlich, doch alles klappte wie geplant – ein freudiger, feierlicher Augenblick, der mit einem kleinen Schluck Sekt abgeschlossen wurde! Das Ereignis war ein Zwischenschritt der Sanierung, aber vielleicht nicht so feierlich wie ein Richtfest, das noch kommen wird.
Bereits vor ein paar Wochen fand ein Akt statt, auf den ich mich schon lange gefreut hatte – die Erforschung des Turmgeläuts. Der Turm hatte zwei schüsselförmige Glocken, jedoch nie eine Turmuhr. Die Glocken, die früher wohl von Hand bedient worden waren, funktionierten aber schon lange nicht mehr. In der Moritzburger Metallwerkstatt von Herrn Hopf konnte ich mich schließlich am 22.5.24 den Glocken nähern. Es sind fast gleich große Bronzeglocken, für den Kynast 1817 angefertigt von der Dresdner Glockengießerei Friedrich August Otto. Die Größere trägt außer der Firmenbezeichnung und der og. Jahreszahl ein biedermeierliches Schmuckband. Die kleinere dagegen ist schrift- und schmucklos. Eine Überraschung war dann die Feststellung, dass beide Bronzeglocken im oberen Teil taubeneigroße Löcher hatten. Aber niemand wusste über die Herkunft dieser Löcher bescheid.

Foto: D. Lohse

Es wird vermutet, dass die Löcher im Jahr 1945 entstanden sein könnten. Beim Einmarsch der Russen um den 8. Mai als Sieger könnten im Freudentaumel gezielte Schüsse von unten auf die Glocken abgefeuert worden sein; ähnliche Überlieferungen hörte man auch von anderen Orten schon. Erstaunlicherweise ist trotz der Löcher für den Laien der Klang nicht beeinträchtigt. Wenn die behutsame Bearbeitung durch Herrn Hopf beendet ist, sollen die beiden Glocken wieder im Turm angebracht werden und über einen mechanischen Zug wieder zu betätigen sein.
Obwohl ich nicht dabei sein konnte, wurde mir von Herrn Röhricht von der Öffnung der alten Turmkugel berichtet. Das Ergebnis war weniger sensationell, denn der Inhalt der Kugel stammte nur aus DDR-Tagen – ältere Dokumente fehlten. Nach Blitzeinschlag im August 1951 wurde ein Schriftstück der damaligen Bewohnerin im Kynast, Maria Marschall-Solbrig, zur Geschichte des Kynast in die Kugel gegeben. Ein Satz DDR-Münzen dagegen stammte von 1987 als drei Männer, darunter Herr Lederer, eine andere Reparatur am Turm ausgeführt hatten. Wenn die Turmkugel wieder aufgesetzt wird, werden durch Familie Muth ein Satz Euro-Münzen, aktuelle Zeitungen und ein neuer Schriftsatz hinzugefügt – das ist so Tradition!
Die Baugeschichte des Turmhauses, das im 18 Jh. zunächst eingeschossig war und im 19. Jh. durch den damaligen Besitzer Postmeister Blüher vergrößert und mit einem Turm versehen worden war, wird durch die Glockeninschrift mit der Jahreszahl 1817 ergänzt und bestätigt.
Wir freuen uns mit Familie Muth, wenn mit der Fertigstellung des Turmhauses das Ensemble Haus Kynast rundum in guten baulichen und denkmalpflegerischen Zustand versetzt sein wird und sich so hoffentlich eine geraume Zeit oder besser längere Zeit halten kann.

Dietrich Lohse

Weißes Roß

Geschichten aus der Kindheit – (Teil 2/12)

Der September

Wenn es das Wetter einigermaßen zuließ, spielten wir draußen. Der Hof war meist voller Kinder. Die Erwachsenen hatten damals noch bessere Nerven, denn Lärm ergab sich bei Haschen und Versteckspielen von selbst. Wenn es regnete, spielten wir bei Vater Heyl im Gewächshaus. Er gab uns ausrangierte Pflanzen, die wir eintopften und damit „Verkaufen“ spielten. Je nach Wetterlage wurde entweder bei Heyls an der Laube oder bei uns auf dem Garagenboden geschaukelt. Dabei bewiesen wir viel Ausdauer.
Als wir einmal bei uns im Gemüsegarten spielten, stützte ich mich auf eine Glasscheibe des Frühbeetes und brach mit dem rechten Arm ein, den ich mir bis zum kleinen Finger aufschlitzte. Wolfgang – er stand mir trotz gelegentlicher Keilerei getreulich zur Seite – brachte mich schreiendes Etwas schnell in die Küche zur ersten Hilfe. Wieder schnelle Fahrt mit Vaterns Opel zur Kinderärztin. Frau Dr. Hartung klammerte die Wunde und trotz Schokoladenplätzchen wurde ich noch immer schluchzend von Muttel in die Hängematte gelegt. Nur kurz danach setzte ich mich auf, ließ die Beine aus der Hängematte baumeln und versuchte, im Sitzen zu schaukeln. Natürlich flog ich mit nur einem aktiven Arm prompt aus der Hängematte. Erneutes Gebrüll, aber diesmal setzte es von der genervten Muttel eins hintendrauf.

Stellgaube des Heubodens, Foto: C.Grün

Unser „Weißes Roß“ hatte damals noch drei Böden. Der Hausboden begann von der Stirnseite des Vorderhauses und endete über dem Seitengebäude, wo er am erhöhten Saalanbau in den Heuboden überging, der seinerseits wieder über Eck an den Garagenboden grenzte. Vom Hausboden konnte man mittels einer kleinen Leiter in den Heuboden gelangen, zum Garagenboden gab es keinen Durchgang. Auf dem Hausboden wurden viele Dinge abgestellt, die nicht mehr benötigt wurden und dort stöberten wir nur zu gern herum. Der Heuboden war vom Hof aus auf einer sehr schmalen Holzstiege zu erreichen und hatte eine abgeschlagene Kammer, wo Omas Erzählungen nach in früheren Zeiten der Pferdeknecht geschlafen haben soll. Jetzt wurde das Heu vom Grasgarten drin gestapelt und wir hüpften gern darin herum. Nur Oma durfte davon nichts wissen, weil wir das lockere Heu dabei zusammendrückten.
Auf dem Garagenboden befand sich abgesondert der Taubenschlag. Seit der Marder mal sämtliche Tauben ins Jenseits beförderte, wurde die Taubenhaltung aufgegeben. Im nun leeren Taubenschlag wurde Schule gespielt. Auf Blechbüchsen aus der Gaststättenküche wurden Bretter gelegt als Schulbänke, an der Wand hing eine alte Karte des Königreiches Sachsen. Schmidts Ursel, eine Nichte von Tante Paula, war etwas älter als wir und gängelte uns immer als Lehrerin. Sie wurde später auch eine.
Wir hatten unbegrenzte Möglichkeiten zum Spielen und an Spielgefährten hat es uns nie gemangelt. Bei schönem Wetter wurde auf den Stufen zum Heuboden Schule abgehalten, die dabei unentbehrliche Landkarte wurde an die Garagentür gehangen.
Mehr fällt mir zum September nicht ein.

Veranda, um 1938, Foto: C.Grün

Christa Stenzel

Nachtrag des Herausgebers

Die Verfasserin, meine Mutter, verstarb am 3. Mai dieses Jahres. Diese Erinnerungen erscheinen demzufolge posthum und stellen dank des Kollektives der „Vorschau“ eine Reminiszenz an ein langes Radebeuler Leben dar.
Inge und Erich Heyl besaßen die kleine Gärtnerei an der Stelle neben dem „Weißen Roß“, wo heute die Firma Gommlich den großen Parkplatz hat.
Tante Paula ist Frau Paula Bischoff, die spätere Alleinbesitzerin der Firma Taxi-Bischoff, die im „Weißen Roß“ ihren Sitz hatte.
Und zum guten Schluss hat in der letzten Ausgabe der Druckfehlerteufel zugeschlagen. Unter der Bildunterschrift muss es „Botenfuhrwerk“ heißen.
Sämtlich Bilder sind meinem Archiv entnommen und dürfen durchaus weiterverwendet werden.

Christian Grün

»BÄRBEL KUNTSCHE – Malerei & Graphik« in der Hoflößnitz

Worte von Dr. Ingrid Koch zur Vernissage am 4. August 2024

Kopf aufgestützt, Offsetlithografie, 1992, Repro: F. Andert

Köpfe, die ausdrucksstarken, archetypischen Zeichen gleichkommen, stehen mir vor Augen, wenn der Name Bärbel Kuntsche fällt. Große, eindrucksvolle Augen, die das meist auf einem langen Hals sitzende Gesicht dominieren, ihm Ausdruck verleihen. Ebenso ein eindrucksvoller Mund. Gefühle, Befindlichkeiten, Affekte sind ahnbar. Groß ins Bild gebrachte Hände unterstreichen die Aussage des Gesichts, wirken teils wie ein Schutzschild oder abwehrend, unterstreichen aber auch mögliche Sanftheit. Melancholie und Besinnlichkeit scheinen die Köpfe, die manchmal auch angedeutete Porträts/Selbstporträts sind, wesentlich zu prägen.
Äußere Ähnlichkeit ist nicht vordergründig. Mögliche Erkennbarkeit resultiert vorrangig aus der mit künstlerischen Mitteln erzeugten psychischen Aura. Vor allem aber geht es um den Menschen jenseits aller Zeitläufte – dargestellt als Kopf, meist einzeln, höchstens in einer »Begegnung« zu zweit. Sie sind gemalt, in Holz geschnitten oder auch als Offsetlithographie ins Bild gebracht. Ihr Grundgestus ist expressiv, aber nicht in einem explosiven Sinn, wie man es etwa von den »Brücke«-Leuten kennt – eher vielleicht von Vertretern des »Blauen Reiter« inspiriert. Das Expressive verbindet sich mit In-sich-Gekehrtheit und Reflexivität. Sehr zutreffend scheint mir eine einst von Gert Clausnitzer getroffene Feststellung für diese Köpfe wie für das bildnerische Schaffen von Bärbel Kuntsche überhaupt, der meinte: „Gegenwärtiges scheint aufgehoben oder in eine andere Sphäre getragen.“ […]
Fragt man nach Bezügen im Schaffen der Künstlerin, kann man durchaus bis in ihre Jugend zurückgehen. Fast zehn Jahre hat sie mit einer Porzellanmalerlehre und der Tätigkeit in diesem Beruf verbracht. Da erscheinen die lyrischen »Flora«-Bilder der jüngeren Zeit gar nicht weit hergeholt. Man denke nur an die auf dem Bildgrund verstreuten Tulpenblüten. Blüten malen gehörte ganz sicher dazumal zur Ausbildung. Abgesehen davon hat vielleicht auch dieses oder jenes Bild in den Alten Meistern dazu angeregt – von Poussins »Reich der Flora« bis zu niederländischen Blumenstillleben. Auf ihre Art beschwören sie alle die Schönheit und das Leben. Auch ein Stillleben kann für Fragen nach dem Weltganzen, nach Werden und Vergehen stehen.
Bärbel Kuntsche hat von 1962 bis 1966 an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden studiert. Der Geist der »großen Alten« war da durchaus noch spürbar: seien es Dix, Lachnit, Hans-Theo Richter oder Schwimmer, wenngleich der Lehrkörper mittlerweile im Wesentlichen aus den Nachfolgern bestand. Zugleich hielt dieser Geist sich zwischen Loschwitz und Radebeul: Man denke nur an zwei Namen: Jüchser und Rosenhauer. Sie und viele mehr rangen um Farbe und Form, um das Bild als Bild, setzten sich ab von Bestrebungen, die Kunst mit außerkünstlerischen Anliegen zu überfrachten. Die offizielle Kunst- und Kulturpolitik sah dies freilich anders, was sich natürlich auch an der HfBK niederschlug. Der Kalte Krieg war dazumal heftig. Und nach dem Mauerbau war die große internationale Kunst der Klassischen Moderne, aber auch der Gegenwart, weitgehend nur über Bücher zugänglich, der Weg zu großen Ausstellungen in Westberlin und darüber hinaus lange Zeit versperrt. Die Künstler waren auf sich, was die entstehenden Freundeskreise einschließt, ihre Lehrer und Bücher zurückgeworfen.
Davon war nicht zuletzt das Ringen um die eigene Handschrift beeinflusst. Es verwundert nicht, dass junge Künstler wie Bärbel Kuntsche – gerade in Dresden – auf die „Brücke“ stießen, ihren Formenkanon, der natürlich unterschiedlich reflektiert wurde. Aber auch Künstlerinnen wie Paula Modersohn-Becker und Gabriele Münter interessieren sie, ebenso der Kurzzeit-Dresdner Oskar Kokoschka. Vieles vermittelte sich natürlich auch über die Freundeskreise unter Kollegen, zu denen im Falle Bärbel Kuntsches die Wittigs, Claus Weidensdorfer, Peter Kaiser, die Leifers und auch Max Uhlig gehörten – alle Künstler, die einen eigenen Weg gingen – jenseits einer ideologischen Überfrachtung der Kunst. Wie andere fand auch Bärbel Kuntsche ihre Themen im Menschen und der Natur respektive Landschaft – nicht um sie eins zu eins abzubilden, sondern ein Weltgefühl auszudrücken, wie es etwa in den poetischen Strandbildern zum Ausdruck kommt. […]
Bärbel Kuntsches Ausstellung in der Hoflößnitz ist sowohl der Malerei als auch der Grafik gewidmet. Erstere zeigt sich als diverse Ölmischtechniken, die durch mal stärkeren, mal eher lasierenden Farbauftrag geprägt sind. Was die Farben anbelangt, so sind sie oft eher gedämpft und fein abgestimmt. Zugleich zeigen manche Bilder, seien es Stillleben oder auch die als »Flora« dargestellten Frauen, durchaus leuchtende Partien. Zeigt sich in der Malerei ein, allerdings gedämpfter, expressiver Zug, so ist dieser in der Graphik recht kraftvoll präsent. Besonders das häufige Schwarz-Weiß der Holzschnitte, aber auch der Offsetlithos unterstreicht diesen noch. Als junge Künstlerin hat Jüchser sie darin bestärkt. Den Betrachter der hier gezeigten Blätter beeindruckt das Kraftvolle, nicht zu Kleinteilige, das die Maserung des Holzes entsprechend zur Wirkung bringt. Teils können die Schnitte regelrecht dramatische Wirkungen erzielen – sei es in Form sich zusammenballender Wolken, sei es in Form stürmischer Wellen, während ein Akt mit dem Sandstrand eins zu werden scheint.

Am Meer – Mutter und Kind, Holzschnitt, 2008, Repro: F. Andert

Meine früheste Begegnung mit Arbeiten Bärbel Kuntsches war in den 1990er Jahren im Leonhardi-Museum, vor nahezu 30 Jahren. Und etwa aus dieser Zeit stammen auch die frühesten Blätter dieser Ausstellung zum 85. Geburtstag der Künstlerin. Die meisten der rund 50 gezeigten Arbeiten entstanden nach 2000, darunter auch die Plakate für die Radebeuler Kaspariade. Dass Bärbel Kuntsche 2005 mit dem Radebeuler Kunstpreis ausgezeichnet wurde, soll abschließend nicht unerwähnt bleiben. Ich wünsche Ihnen nun viel Freude mit dieser Ausstellung, die bis zum 15. September zu sehen sein wird.

Ingrid Koch

 

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