„Wahr-Zeichen. Zeitzeugen der Geschichte“


Unter dieses Motto hat die Deutsche Stiftung Denkmalschutz den Tag des offenen Denkmals im Jahr 2024 gestellt.

Unser Verein präsentierte am 8. September sein neuestes Projekt, den Pavillon am Mohrenhaus an der Moritzburger Str. 51 in Radebeul. Bereits 2022 konnten wir eine „KulturSpur“ hierhin legen.

Nachdem am Tag zuvor zahlreiche Helferinnen und Helfer aus dem Verein den Pavillon und das Umfeld intensiv geputzt hatten, öffneten wir um 10 Uhr den Pavillon.

Kaffeehaussalonkapelle Dresden, Foto: Archiv Verein für Denkmalpflege und Neues Bauen Radebeul

Für die deutlich über 200 Besucher gab es bei Kaiserwetter neben Führungen und Informationen am Pavillon und zur künstlichen Ruine auch Musik und Wein. Den Auftakt machte das Hornquartett der Robert-Schumann-Philharmonie Chemnitz. Dann trat ein Trompeten-Duo der Musikschule Radebeul auf. Am Nachmittag sorgte die Kaffeehaussalonkapelle Dresden für heitere Stimmung bei Kaffee und Kuchen.

An dieser Stelle bedanken wir uns bei allen Beteiligten im Vorfeld und am Tag des offenen Denkmals herzlich für ihr Wirken!

Die zukünftige Nutzung des Pavillons aus dem Jahr 1876, der künstlichen Ruine und des angrenzenden Parkareals, liegt unserem Verein und der Stadt Radebeul sehr am Herzen. Warum sollten dort nicht eines Tages kleine Konzertnachmittage oder Lesungen stattfinden und ein Glas Bussard Sekt gereicht werden? Ein „Musikpavillon“ in der Tradition der „Musik-Salons“ des 19. Jahrhunderts vielleicht? Derartige Abendveranstaltungen haben wohl tatsächlich im Mohrenhaus stattgefunden.

Gefragt sind nun vor allem Ideen zur zukünftigen Nutzung. Hier sprechen wir gern auch die Leserschaft dieses Heftes an und freuen uns auf Ihre Anregungen! Oder wissen Sie vielleicht noch mehr zum Pavillon oder zum Park?

2026 feiert der Pavillon seinen 150. Geburtstag! Wir wollen ihn mit Leben erfüllen!

?Unser Hauptaugenmerk gilt jetzt natürlich der Spendenaktion zur kompletten Sanierung und Rekonstruktion des Pavillons. Unser Ziel ist es, spätestens im Frühjahr 2025 mit den ersten Arbeiten beginnen zu können. Wir setzen wieder auf die Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung und den Behörden des Denkmalschutzes!

Der Hinweis dazu befindet sich im gesonderten Flyer oder unter www.denkmalneuanradebeul.de

Jörg Müller und Robert Bialek

Die St.Lorenzkirche zu Halsbrücke

Foto: M. Donath

Unweit von Freiberg erstreckt sich am Ufer der kraftvoll der Elbe zustrebenden Freiberger Mulde, die hier eine größere Flussschleife beschreibt, die Gemeinde Halsbrücke. Hervorgegangen aus einem als „Inselgut“ im Lehnbuch von Markgraf Friedrich III. von Meißen 1349 bezeichneten Vorwerk und dem Kanzleilehngut „zcu dem Halse“ entwickelte sich der Ort am namensgebenden südlichen „halsförmigen“ Rücken der mit Brücken versehenen großen Muldenschleife. Größere Bedeutung erlangte Halsbrücke erst durch den Bergbau und vor allem die Verhüttung von Erzen. Im Jahr 1612 legten die Erzgruben „St.Lorenz“ und „Rheinischer Wein“ eine eigene gewerkschaftliche Hütte an, aus welcher 1663 die Halsbrücker Schmelzhütte hervorging. Im Jahre 1862 entstand in der Halsbrücker Hütte eine Goldscheideanstalt. Sicher hat jeder schon mal etwas von der Existenz der 140 m „Hohen Esse“ – dem dereinst höchsten gemauerten Schornstein der Welt – gehört. „Grabentour“ entlang von Mulde und Bobritzsch oder „Rothschönberger Stollen“ sind weitere Begriffe, die Halsbrücke mit dem Bergbau im Freiberger Revier eng verbinden. Kurzum: Alles in allem ein geschichtsträchtiger Ort! Aber eine eigene Kirche? Fehlanzeige!

Über Jahrhunderte hinweg gehörte Halsbrücke kirchlich zur Parochie Tuttendorf; erst viel später wurde es nach Krummenhennersdorf eingepfarrt. Nach dem Krieg konnte die kleine Gemeinde eine alte Holzbaracke für Christenlehre und Gottesdienste nutzen, die aber in den 1980er Jahren an ihre bauaufsichtlich gerade noch zulässigen Grenzen gelangt war. Deshalb fasste der Kirchenvorstand 1985 zusammen mit Pfarrer Christoph Lehmann (Krummenhennersdorf), juristisch beraten und begleitet von Steffen Heitmann vom Landeskirchenamt in Dresden (später Staatsminister in Sachsen) den Beschluss, eine eigene Kirche zu bauen. Und das unter den Bedingungen einer maroden Bauwirtschaft der ihrem Ende entgegengehenden DDR! Diesem Problem wollte die Gemeinde durch eine Baudurchführung in Eigenleistung und Feierabendarbeit begegnen. Für den zum Kreis der „Planer“ hinzugezogenen Architekten eine nicht ganz alltägliche Aufgabe! Zunächst musste geklärt werden, ob die Gemeinde „nur“ einen allgemein nutzbaren Mehrzweckbau oder einen ganz individuellen, tatsächlich identitätsstiftenden Kirchenbau errichten möchte, der deutlich signalisiert: Hier sind Christen in einem weitestgehend atheistischen Umfeld und der Kirche feindlich gesonnenem Staat präsent! Mit diesem mutigen Bekenntnis als Grundlage konnten nun weitere Überlegungen angestellt werden, die wichtig waren für die Gestaltfindung des Kirchengebäudes. Klar war, einen Bezug zu den Bauwerken des die Gegend seit dem Mittelalter prägenden Bergbaus zu finden, wie sie in deren Architektur der Schmelzhütten und Waschkauen vorkam. Nach alter Tradition musste auch über ein Patrozinium, d.i. eine Schutzherrschaft eines Heiligen, über die neue Kirche nachgedacht werden, um der Kirche einen Namen geben zu können. Alle alten Kirchen und auch die Gruben des Freiberger Reviers waren ganz selbstverständlich Heiligen gewidmet. Man einigte sich auf den hier immer verehrten und um Hilfe angerufenen Laurentius, auch Lorenz genannt. Ihm war bereits 1518 die Grube St.Lorenz geweiht worden; dazu gibt es den in alten Bergbaukarten kartierten, tief unter Halsbrücke verlaufenden Stollen „St.Lorenz Gegentrum“. Also alles ganz handfeste lokale Bezüge!

Foto: M. Donath

Zentrum des neuen, in traditioneller Ziegelbauweise errichteten Gebäudes war nun der Kirchenraum mit seinen ganz eindeutigen liturgischen Bezügen als Versammlungsort der Gemeinde zur Feier der Gottesdienste. Der bis in die Dachkonstruktion hinaufgeführte Raum kann über Faltwände im Erdgeschoss oder über eine Empore erweitert werden. „Zuschaltbare“ Nebenräume waren für Christenlehre, Chorproben, Treffen der Jungen Gemeinde oder für Gemeindefeste gedacht; hinzu kam eine Vielzahl von kleineren Funktionsräumen wie Garderoben, Heizung oder Toiletten. Krönender Abschluss ist ein kleiner Dachreiter an der talseitigen Giebelseite, in dem eine in Freiberg gegossene Glocke läutet – sie ist die „Stimme“ der Kirche, die zum Gottesdienst ruft, verstorbene Gemeindemitglieder auf ihren letzten Weg begleitet oder hell zur Taufe erklingt. Der Platz für die Kirche war ideal gewählt: sie steht weit oberhalb der Ortschaft Halsbrücke an der Kante eines Hanges, der sich bis hinunter in das Tal der Mulde erstreckt. Der Silhouette des weithin sichtbaren Baukörpers kommt damit eine Signalwirkung zu und der Glockenschall ist weit zu hören. Nach einer Zeit unklarer Finanzierung der Baustelle nach der deutschen Wiedervereinigung konnte der Kirchenbau schließlich durch den Bischof der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsen, Dr. Johannes Hempel, 1993 geweiht und von der Gemeinde in Besitz genommen werden. Feierlich trugen die Gemeindeältesten wichtige Ausstattungsgegenstände wie ein großes Kruzifix aus der alten Baracke in den neuen Kirchenraum. Ein traditionell wieder zu verwendender Altar war nicht vorhanden. Die Idee des Architekten war angesichts dieser gestalterischen Freiräume nun, das gesamte Interieur des Kirchenraumes von einem Künstler entwerfen zu lassen. Die Wahl fiel auf Michael Hofmann (jetzt Radebeul). Eines der Hauptstücke des Kirchenraumes ist der Altar, an dem die Gemeinde zusammen das Abendmahl feiert. Historisch waren Altäre so angeordnet und ausgerichtet, dass der Geistliche mit dem Rücken zur Gemeinde die Liturgie betet. Mit modernen Formen der Gottesdienstfeier ist das nur schwer zu vereinbaren. Michael Hofmann schuf deshalb einen freistehenden Altartisch, hinter dem der Geistliche mit dem Gesicht zur Gemeinde alle geistlichen Handlungen zelebrieren kann. Dahinter in der Giebelwand – gleichsam als Adaption der mittelalterlichen Retabeln bzw. Altarschauwände – dominiert ein nahezu raumhohes Fenster den Raum und legt damit den liturgisch wichtigsten Ort fest. Entworfen und selbst hergestellt hat es Michael Hofmann 1991 aus farbigen, grob zugerichteten Glasbrocken – so wie sie aus den Glasöfen kommen, und diese in Beton eingebettet. Das Licht durchstrahlt die Glasbrocken, bricht sich an deren rauen Kanten und tritt zerstreut wieder aus. Dadurch strahlt das Fenster gleichsam aus sich heraus und erzeugt selbst an trüben Tagen eine unglaublich schöne Lichtwirkung. Eingebettet in Beton ist in Halsbrücke mit diesem Material die Legende des Heiligen Lorenz (Laurentius) dargestellt: Schon in der Frühzeit des Christentums galt Laurentius als bedeutender Heiliger. Neben seinem Grab vor den Stadtmauern Roms wurde zur Zeit Konstantins des Großen eine Basilika erbaut. Der Überlieferung zufolge war er als Archidiakon von Rom für die Verwaltung des örtlichen Kirchenvermögens und seine Verwendung zu sozialen Zwecken zuständig. Nachdem der römische Kaiser Valerian den Papst Sixtus II. hatte enthaupten lassen, wurde Laurentius ausgepeitscht und aufgefordert, den Kirchenschatz innerhalb von drei Tagen herauszugeben. Daraufhin verteilte Laurentius diesen an die Mitglieder der Gemeinde, versammelte eine Schar von Armen und Kranken, Verkrüppelten, Blinden, Leprösen, Witwen und Waisen und präsentierte diese als „den wahren Schatz der Kirche“ dem Kaiser. Der Hauptmann, vor dem Laurentius erschienen war, ließ ihn deswegen mehrfach foltern und dann auf einem glühenden Eisenrost hinrichten. Aus diesem Grund wird der Märtyrer mit dem Rost als Attribut dargestellt. Laurentius ist der Schutzpatron vieler Berufsgruppen, die mit offenem Feuer zu tun haben, so auch im übertragenen Sinn der Hüttenarbeiter und Bergleute von Halsbrücke. Die soziale Komponente seines Martyriums ist auch heute wieder ganz aktuell! Sein Fest- bzw. Gedenktag in der römisch-katholischen, der orthodoxen, der anglikanischen und der evangelischen Kirche ist der 10. August.

Kirchenfenster, gestaltet von Michael Hofmann, Foto: M. Donath

Michael Hofmann hat es bei seinem Halsbrücker Fenster meisterlich verstanden, die in seinem grafischen Schaffen verwendete Technik der verlorenen Form des Holzschnittes und das Gegeneinandersetzen von Farben und Flächen auf die Gestaltung des Glasbetonfensters umzusetzen: Das Rost wird für den Gemarterten zur Himmelsleiter, während die Feuerflammen seine Gestalt umzüngeln. Daraus wachsen ihm sogar Flügel; so von Engeln geleitet strebt er zum Himmel empor, der sich ihm öffnet. Welch eine Hoffnung!

Dem Autor, mit dem er noch weitere Kirchen (-fenster) gestaltet hat, sagte Michael Hofmann kürzlich, dass er eigentlich diese ungewöhnliche Technik der Umsetzung seiner bildkünstlerischen Ideen und Gedanken am meisten liebe. Ad multos annos, Micha – und noch viele Ideen für die Menschen beglückende Kunstwerke!

Günter Donath
Architekt und Meißner Dombaumeister a.D.

Editorial

Heute Morgen, am 19. September, der Tag beginnt im herrlichsten Altweibersommerflair. Ich höre MDR Kultur. Ein Beitrag über das Landratsamt in Pirna lässt fast die Zahnbürste haken. Was ist passiert? Der Landrat hatte entschieden, eine bereits aufgebaute Wanderausstellung unter dem Titel »Es ist nicht leise in meinem Kopf« über das Schicksal von 35 geflüchteten Menschen, die heute in Schwarzenberg und Umgebung leben, wieder abbauen zu lassen. Mit der Begründung, sie »polarisiere«. Noch vor der Eröffnung, also vorrangig durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Landratsamtes, gab es »Aufruhr«, weil Aussagen der Asylsuchenden über ihre Befindlichkeit jetzt in Deutschland den Betrachtenden missfielen. Aussagen wie »Wir sind eingesperrt wie hinter einer Mauer«, »Ich habe kein Leben in Deutschland« oder »Ich weiß nicht, ob ich hier bleiben will« wurden als un- verschämt empfunden, es sollte doch eher Dankbarkeit gezeigt werden. In dieser Situation reagierte der Landrat mit der Anweisung, die Ausstellung wieder abzubauen. In einer Behörde, welche eine wichtige Stütze der Demokratie sein sollte. Das fasst man kaum! Ob man persönlich alles Gezeigte gut findet, ist doch zweitrangig. Schließlich sollte ja so eine Ausstellung zum Diskutieren anregen und nicht nur gefallen. Ich hoffe sehr, dass entsprechender Protest zur Rücknahme der Rücknahme führt. Asylrecht hat nichts mit Dankbarkeit zu tun, es ist eine Pflicht für jedes Land in unserer Staatengemeinschaft. Wie die Integration gestaltet wird, das ist allerdings die Aufgabe von Politik und Verwaltung. Und über gutes oder nicht so gutes Gelingen zu berichten, ist ein Recht der Betroffenen und könnte zu Verbesserungen führen. Ich schließe in der Hoffnung, dass der Vorfall in Pirna eine Ausnahme bleibt, denn wir als Öffentlichkeit haben es nicht verdient, dass man uns Möglichkeiten zur Information, zur Meinungsbildung und Diskussion vorenthält. Das gilt für diesen konkreten Fall in Pirna genauso wie für Sachverhalte im Verbreitungsgebiet unseres Heftes, die wir als Redaktion kritisch begleiten.

Ilona Rau

Zum Titelbild

Geduckt und scheelen Blickes drückt sich der Fuchs zur Seite weg. Er ist sauer, denn dort, wo er gern säße, sitzen schon Zwei. Und sie tun genau das, was er gern täte: Genüßlich machen sie sich über die sonnenreifen Trauben her. Wie der Fuchs haben sie lange auf diesen Tag gewartet. Unter hämischem Krächzen kreist der Rabe über ihren Köpfen, greift sich von oben eine Beere und bringt sie in Sicherheit.
„Ein fabelhafter Herbst“ kann schöner nicht beginnen: An sonnüberfluteten Hängen reift der Wein in der Stille der Tage zu letzter Vollendung, die Zeit des Genusses ist nahe herbeigekommen. Daran ist dem Künstler gerade sehr gelegen, denn dieser Tage kann er einen runden Geburtstag feiern.
Michael Hofmann ist 1944 in Chemnitz geboren. Fünfundzwanzig Jahre später kam er zum Studium nach Dresden. Seither hat ihn das Elbtal nicht wieder losgelassen. Vor inzwischen abermals fünfundzwanzig Jahren bezog er mit seiner Frau ein eigenes Haus in Radebeul. Aus einem seiner Atelierfenster hat er das Minckwitzsche Weinberghaus im Blick. So sind ihm auch der Wein und die mit ihm verbundenen Träume und Geister ständig vor Augen.
Mit der wohlausgewogenen Komposition des Flächenholzschnittes hat der Grafiker die für den besonderen Tag erhoffte Stimmung vorweggenommen. Dabei ist es ihm erneut gelungen, der Spannung zwischen der äußeren Ruhe des Herbsttags und der inneren Bewegtheit des Augenblicks Ausdruck zu verleihen. Die Öffnung der Szene zum Licht zwischen knorrigen Weinstöcken und prallen Trauben trägt auf ihre Weise zur stillen Heiterkeit eines „fabelhaften Herbstes“ bei.

Thomas Gerlach

Mit Stephan Krawczyk poetisch durch das Jahr

Radebeuler Miniaturen

N-I-hilismus

Es wird mal wieder gewahlkämpft.
Wahlkampf erkennst du daran, daß an allen wichtig empfundenen Straßen Plakate auf den Gehwegen liegen und zertrampelt werden. Merk dir das, mein Junge.
Meinst du mich? Der Gastwirt meines Vertrauens stellt mir ein Bier aufs Faß.
Ich freue mich grad an dem Neuen Schmuck auf unseren Fußwegen, sag ich, sieht doch wirklich apart aus, wenn die Kulturnation wahlkämpft.
Wo gehobelt wird, fallen Späne, sagt er, na, zum Wohl!
Was ich wirklich originell finde, sag ich als er wieder in die Nähe kommt, ist der Spaß, den sich die N-I-hilisten machen: Die drucken erst gar keine Plakate mehr, sondern sprühen ihre Botschaft gleich farbkräftig auf den Fußweg: „N-I Entwickeln!“ Das spart Ressourcen in jeder Hinsicht, braucht keine Druckfarbe, keine wasserfesten Pappen, die Kabelbinder können anderweitig zweckentfremdet werden, und keiner kann die Wahlhelfer von der Leiter schubsen. Außerdem entsteht der Eindruck, da will jemand mit gutem Beispiel vorangehen …
Ist mir auch schon aufgefallen, sagt der Wirt, „N-I Entwickeln“ – hast du ´ne Ahnung, was das heißt?
Naja, sag ich, ich stelle mir vor, das ist eine Art von Ruf „zurück zur Natur“, zur „Natürlichen Intelligenz“ in dem Falle, an der fehlts ja schmerzlich allerorten…
Aber, wendet er ein, „nihil“ heißt doch „Nichts“. Und Natur ist ja doch mehr das Gegenteil davon – oder?
Schon, schon, schulmeistere ich eifrig, die sind auf der Suche nach der „Natürlichen Intelligenz“ in ein schwarzes Loch gefallen, haben sprichwörtlich nichts gefunden. Es gibt ja auch kaum noch welche – natürliche Intelligenz, meine ich, außer vielleicht in Brauereien, denn sonst gäbs schon kein Bier mehr. Die Enttäuschung sitzt bei allen, die auf Fortschritt hoffen, tief: zwei Millionen Jahre Entwicklung für die Katz…
Ach, und da wollen nun die reingefallenen „Häschen in der Grube“ von unten her, „aus tiefer Not“ sozusagen, die „Natürliche Intelligenz“ neu erfinden?
Nicht erfinden – entwickeln! Erfinden wäre ja wieder künstlich …
Apropos „aus tiefer Not“: sieh mal mein Glas an: Nihil – Nichts –
Ich eile, ruft er, ich eile …

Thomas Gerlach

Die Glosse

Über die Glosse

Nun ist es nicht erst seit Trump zum allgemeinen Volkssport geworden, sich gegenseitig die Taschen vollzuhauen, bis die Schwarte nur so kracht. Schlankweg werden heutzutage Behauptungen aufgestellt, die jeglicher Grundlage entbehren. Da will ich jetzt nicht darauf herumreiten, dass so mancher treue Leser dieses eigentlich ansonsten ganz solide verfassten Heftes glaubt, jener unter dem Pseudonym WOZI einst schreibende Wolfgang Zimmermann verfasse immer noch die Glosse. Nun, das kann man diesem guten Manne wirklich nicht antun.
Auch wenn man die Glosse nicht für „bare Münze“ nehmen sollte, hat der Leser doch Anspruch auf weitgehende Korrektheit der dort niedergeschriebenen Sachverhalte. Andersherum aber ist es schon erstaunlich, wie die große Leserschar von Vorschau & Rückblick den hanebüchenen Unsinn aus der April-Glosse Ab geht die Post bereitwillig geschluckt hat, ohne aufzumucken. Denkbar ist es freilich, dass dem einen oder anderen diese unglaubliche Geschichte schon aufgestoßen ist, er aber gerade seinen Füllfederhalter verlegt hatte oder diesem die Tinte ausgegangen war. Man sagt und sagte unserem „starken August“ ja so manche Heldentat nach, da denk ich nur an seinen starken Daumen… Aber dass der erwähnte Beitrag nassforsch behauptet, dass August der Starke 1563 etwas erkannt haben will und somit über 180 Jahre alt geworden sei, da er ja nachweißlich 1733 verstorben ist, wird wohl selbst dem naivsten Leser unglaubwürdig erschienen sein. Gedankt sei dem einen aufmerksamen Leser, der darauf hingewiesen hatte!
Was die Einrichtung der Post in Sachsen wiederum anbelangt, gehen dann doch die Ansichten etwas auseinander. Die ersten Aktivitäten soll es schon Ende des 15. Jahrhunderts gegeben haben. Und die Hofpost von Kurfürst August (1526–1586) war vermutlich seine rein private Sache. Es ist wohl eher dem Nachfolger Augusts, dem Kurfürst Johann Georg I. (1585–1656) zu verdanken, dass um 1613 eine staatliche Post in Sachsen eingeführt wurde.
Beschwören aber kann ich, dass beim Schreiben dieses Beitrages kein Cannabis im Spiel war, auch wenn der Verdacht nicht abwegig erscheint, lag doch der Abgabetermin der Glosse lange vor der offiziellen Freigabe des inspirierenden Mittels, dem 1. April 2024. Der Schreibvorgang allein, so kann ich den Lesern versichern, hat schon etwas Narkotisierendes. Mitunter erwacht man wie aus einer Trance, aus einer anderen Welt. Da kann ich schon verstehen, wenn die Bundes-CDU die Freigabe von Cannabis bis zur letzten Minute verhindern wollte. Wer will schon eine andere Welt, als die von Merz gewünschte? Und so schnell wird es auch nicht dazu kommen, dass „Der blaue Planet“ dominiert, außerdem haben da noch die Mitglieder der Rockgruppe Karat die Finger drauf.
Freilich sollte, wer Glossen schreibt, auch rechnen können. Damit meine ich natürlich nicht, dass man damit rechnen sollte, dass nicht alle glauben, was man da zu Papier bringt. Das kann man ohnehin nicht erwarten. Insofern ist eigentlich auch egal, was man schreibt. Die Hauptsache ist doch, dass die Zeilen gefüllt werden. Und wenn dann, wie im Juli-Heft, ein Teil der Glosse die fehlenden Zeilen eines anderen Textes füllt, kann man das getrost auch als „kreatives Schreiben“ verbuchen. Aber gut wäre es schon, zu wissen, dass Eins und Eins Drei ist, man muss es allerdings glaubhaft vermitteln, wie die Parteien dies nach verlorenen Wahlen immer wieder mit fester Überzeugung verkünden. Hier, das muss ich ehrlicherweise zugeben, habe ich noch so meine Schwierigkeiten. Fakt ist aber eben auch, dass Radebeul natürlich erst 2035 100 Jahre alt wird – also das Radebeul, welches wir heute kennen, lieben und seit 1935 unsere Stadt nennen, deren 75. Geburtstag bestimmte Kreis 2010 nicht feiern wollten. Da kann man sicher gespannt sein, wie sich die Stadtoberhäupter dazu in 11 Jahren verhalten. Wenn es dann auch zu so einem voluminösen Fest kommen sollte wie 2024 – na dann, gute Nacht, meint

Euer Motzi

Ein pressewirksamer Termin am Haus Kynast

Foto: D. Lohse

Im Kynastweg 26 war ich schon oft gewesen und habe manchmal auch in unserem Heft darüber berichtet – sh. V&R 1/96, 2/16 u. 8 /22. Am 19. Juli 2024 sollte zwischen 10 u. 11 Uhr die Hebung des Turmhelms des derzeit in Umbau und Sanierung befindlichen Turmhauses stattfinden. Von der Sächsischen Zeitung waren die Herren Kuhnert und Weihs erschienen und ich wollte vielleicht in der „Vorschau“ davon berichten. Es war von vornherein klar, dass eine Tageszeitung den jeweiligen Artikel schneller bringen wird, als ein Monatsblatt.
Das Bauensemble aus fünf Häusern des ehem. Weingut Haus Kynast wurde über die Jahre seit der Rückgabe 1990 an die Familie Muth vernünftigerweise in Etappen saniert, dazwischen Zeit zum Luftholen und auch zum Geldansparen. Die um einen Hof gruppierten Häuser haben verschiedene Daten der Errichtung und waren u.a. deshalb auch unterschiedlich sanierungsbedürftig. Nun war das Turmhaus nach dem Badehaus als letztes dran. Die langjährige Mieterin im Turmhaus, Frau Lederer, konnte 2023 in eine Niederlößnitzer Wohnung umziehen – sie hatte schöne Jahre im Kynast erlebt. Durch Architekt Volker Röhricht, über die Jahre mit dem Kynast gut vertraut, waren Voruntersuchungen eingeleitet und ein Projekt für ein Zweifamilienhaus im Turmhaus erarbeitet worden. Mit dem Abbau schadhafter Teile (u.a. der Dachstuhl) war schon begonnen worden und das Gerüst des Turmes stand bereits. Nun sollte die von der Coswiger Firma Holzbau Grätz reparierte Turmhaube mit einem Autokran auf den Dachstuhl gehoben werden.

Foto: D. Lohse

Hörbare Hammerschläge verrieten den Wartenden, dass noch ein paar Vorarbeiten erfolgen mussten und die Spannung stieg. Man musste noch etwas warten und schaute derweil von der Stützmauer aus in die weite Landschaft bis zur Bosel oder lief mal zu den alten, gut im Saft stehenden Esskastanienbäumen. Dann, Viertelzwölf etwa, konzentrierten sich die angereisten Zuschauer, Margot und Hans-Peter Muth (die Eigentümer aus München), Architekt Volker Röhricht (Radebeul) und die Vertreter der großen und kleinen Presse auf den Beginn der Hebung der Turmhaube, hier war Filigranarbeit vom Kran und den Zimmerleuten auf dem Gerüst erforderlich, doch alles klappte wie geplant – ein freudiger, feierlicher Augenblick, der mit einem kleinen Schluck Sekt abgeschlossen wurde! Das Ereignis war ein Zwischenschritt der Sanierung, aber vielleicht nicht so feierlich wie ein Richtfest, das noch kommen wird.
Bereits vor ein paar Wochen fand ein Akt statt, auf den ich mich schon lange gefreut hatte – die Erforschung des Turmgeläuts. Der Turm hatte zwei schüsselförmige Glocken, jedoch nie eine Turmuhr. Die Glocken, die früher wohl von Hand bedient worden waren, funktionierten aber schon lange nicht mehr. In der Moritzburger Metallwerkstatt von Herrn Hopf konnte ich mich schließlich am 22.5.24 den Glocken nähern. Es sind fast gleich große Bronzeglocken, für den Kynast 1817 angefertigt von der Dresdner Glockengießerei Friedrich August Otto. Die Größere trägt außer der Firmenbezeichnung und der og. Jahreszahl ein biedermeierliches Schmuckband. Die kleinere dagegen ist schrift- und schmucklos. Eine Überraschung war dann die Feststellung, dass beide Bronzeglocken im oberen Teil taubeneigroße Löcher hatten. Aber niemand wusste über die Herkunft dieser Löcher bescheid.

Foto: D. Lohse

Es wird vermutet, dass die Löcher im Jahr 1945 entstanden sein könnten. Beim Einmarsch der Russen um den 8. Mai als Sieger könnten im Freudentaumel gezielte Schüsse von unten auf die Glocken abgefeuert worden sein; ähnliche Überlieferungen hörte man auch von anderen Orten schon. Erstaunlicherweise ist trotz der Löcher für den Laien der Klang nicht beeinträchtigt. Wenn die behutsame Bearbeitung durch Herrn Hopf beendet ist, sollen die beiden Glocken wieder im Turm angebracht werden und über einen mechanischen Zug wieder zu betätigen sein.
Obwohl ich nicht dabei sein konnte, wurde mir von Herrn Röhricht von der Öffnung der alten Turmkugel berichtet. Das Ergebnis war weniger sensationell, denn der Inhalt der Kugel stammte nur aus DDR-Tagen – ältere Dokumente fehlten. Nach Blitzeinschlag im August 1951 wurde ein Schriftstück der damaligen Bewohnerin im Kynast, Maria Marschall-Solbrig, zur Geschichte des Kynast in die Kugel gegeben. Ein Satz DDR-Münzen dagegen stammte von 1987 als drei Männer, darunter Herr Lederer, eine andere Reparatur am Turm ausgeführt hatten. Wenn die Turmkugel wieder aufgesetzt wird, werden durch Familie Muth ein Satz Euro-Münzen, aktuelle Zeitungen und ein neuer Schriftsatz hinzugefügt – das ist so Tradition!
Die Baugeschichte des Turmhauses, das im 18 Jh. zunächst eingeschossig war und im 19. Jh. durch den damaligen Besitzer Postmeister Blüher vergrößert und mit einem Turm versehen worden war, wird durch die Glockeninschrift mit der Jahreszahl 1817 ergänzt und bestätigt.
Wir freuen uns mit Familie Muth, wenn mit der Fertigstellung des Turmhauses das Ensemble Haus Kynast rundum in guten baulichen und denkmalpflegerischen Zustand versetzt sein wird und sich so hoffentlich eine geraume Zeit oder besser längere Zeit halten kann.

Dietrich Lohse

Weißes Roß

Geschichten aus der Kindheit – (Teil 2/12)

Der September

Wenn es das Wetter einigermaßen zuließ, spielten wir draußen. Der Hof war meist voller Kinder. Die Erwachsenen hatten damals noch bessere Nerven, denn Lärm ergab sich bei Haschen und Versteckspielen von selbst. Wenn es regnete, spielten wir bei Vater Heyl im Gewächshaus. Er gab uns ausrangierte Pflanzen, die wir eintopften und damit „Verkaufen“ spielten. Je nach Wetterlage wurde entweder bei Heyls an der Laube oder bei uns auf dem Garagenboden geschaukelt. Dabei bewiesen wir viel Ausdauer.
Als wir einmal bei uns im Gemüsegarten spielten, stützte ich mich auf eine Glasscheibe des Frühbeetes und brach mit dem rechten Arm ein, den ich mir bis zum kleinen Finger aufschlitzte. Wolfgang – er stand mir trotz gelegentlicher Keilerei getreulich zur Seite – brachte mich schreiendes Etwas schnell in die Küche zur ersten Hilfe. Wieder schnelle Fahrt mit Vaterns Opel zur Kinderärztin. Frau Dr. Hartung klammerte die Wunde und trotz Schokoladenplätzchen wurde ich noch immer schluchzend von Muttel in die Hängematte gelegt. Nur kurz danach setzte ich mich auf, ließ die Beine aus der Hängematte baumeln und versuchte, im Sitzen zu schaukeln. Natürlich flog ich mit nur einem aktiven Arm prompt aus der Hängematte. Erneutes Gebrüll, aber diesmal setzte es von der genervten Muttel eins hintendrauf.

Stellgaube des Heubodens, Foto: C.Grün

Unser „Weißes Roß“ hatte damals noch drei Böden. Der Hausboden begann von der Stirnseite des Vorderhauses und endete über dem Seitengebäude, wo er am erhöhten Saalanbau in den Heuboden überging, der seinerseits wieder über Eck an den Garagenboden grenzte. Vom Hausboden konnte man mittels einer kleinen Leiter in den Heuboden gelangen, zum Garagenboden gab es keinen Durchgang. Auf dem Hausboden wurden viele Dinge abgestellt, die nicht mehr benötigt wurden und dort stöberten wir nur zu gern herum. Der Heuboden war vom Hof aus auf einer sehr schmalen Holzstiege zu erreichen und hatte eine abgeschlagene Kammer, wo Omas Erzählungen nach in früheren Zeiten der Pferdeknecht geschlafen haben soll. Jetzt wurde das Heu vom Grasgarten drin gestapelt und wir hüpften gern darin herum. Nur Oma durfte davon nichts wissen, weil wir das lockere Heu dabei zusammendrückten.
Auf dem Garagenboden befand sich abgesondert der Taubenschlag. Seit der Marder mal sämtliche Tauben ins Jenseits beförderte, wurde die Taubenhaltung aufgegeben. Im nun leeren Taubenschlag wurde Schule gespielt. Auf Blechbüchsen aus der Gaststättenküche wurden Bretter gelegt als Schulbänke, an der Wand hing eine alte Karte des Königreiches Sachsen. Schmidts Ursel, eine Nichte von Tante Paula, war etwas älter als wir und gängelte uns immer als Lehrerin. Sie wurde später auch eine.
Wir hatten unbegrenzte Möglichkeiten zum Spielen und an Spielgefährten hat es uns nie gemangelt. Bei schönem Wetter wurde auf den Stufen zum Heuboden Schule abgehalten, die dabei unentbehrliche Landkarte wurde an die Garagentür gehangen.
Mehr fällt mir zum September nicht ein.

Veranda, um 1938, Foto: C.Grün

Christa Stenzel

Nachtrag des Herausgebers

Die Verfasserin, meine Mutter, verstarb am 3. Mai dieses Jahres. Diese Erinnerungen erscheinen demzufolge posthum und stellen dank des Kollektives der „Vorschau“ eine Reminiszenz an ein langes Radebeuler Leben dar.
Inge und Erich Heyl besaßen die kleine Gärtnerei an der Stelle neben dem „Weißen Roß“, wo heute die Firma Gommlich den großen Parkplatz hat.
Tante Paula ist Frau Paula Bischoff, die spätere Alleinbesitzerin der Firma Taxi-Bischoff, die im „Weißen Roß“ ihren Sitz hatte.
Und zum guten Schluss hat in der letzten Ausgabe der Druckfehlerteufel zugeschlagen. Unter der Bildunterschrift muss es „Botenfuhrwerk“ heißen.
Sämtlich Bilder sind meinem Archiv entnommen und dürfen durchaus weiterverwendet werden.

Christian Grün

»BÄRBEL KUNTSCHE – Malerei & Graphik« in der Hoflößnitz

Worte von Dr. Ingrid Koch zur Vernissage am 4. August 2024

Kopf aufgestützt, Offsetlithografie, 1992, Repro: F. Andert

Köpfe, die ausdrucksstarken, archetypischen Zeichen gleichkommen, stehen mir vor Augen, wenn der Name Bärbel Kuntsche fällt. Große, eindrucksvolle Augen, die das meist auf einem langen Hals sitzende Gesicht dominieren, ihm Ausdruck verleihen. Ebenso ein eindrucksvoller Mund. Gefühle, Befindlichkeiten, Affekte sind ahnbar. Groß ins Bild gebrachte Hände unterstreichen die Aussage des Gesichts, wirken teils wie ein Schutzschild oder abwehrend, unterstreichen aber auch mögliche Sanftheit. Melancholie und Besinnlichkeit scheinen die Köpfe, die manchmal auch angedeutete Porträts/Selbstporträts sind, wesentlich zu prägen.
Äußere Ähnlichkeit ist nicht vordergründig. Mögliche Erkennbarkeit resultiert vorrangig aus der mit künstlerischen Mitteln erzeugten psychischen Aura. Vor allem aber geht es um den Menschen jenseits aller Zeitläufte – dargestellt als Kopf, meist einzeln, höchstens in einer »Begegnung« zu zweit. Sie sind gemalt, in Holz geschnitten oder auch als Offsetlithographie ins Bild gebracht. Ihr Grundgestus ist expressiv, aber nicht in einem explosiven Sinn, wie man es etwa von den »Brücke«-Leuten kennt – eher vielleicht von Vertretern des »Blauen Reiter« inspiriert. Das Expressive verbindet sich mit In-sich-Gekehrtheit und Reflexivität. Sehr zutreffend scheint mir eine einst von Gert Clausnitzer getroffene Feststellung für diese Köpfe wie für das bildnerische Schaffen von Bärbel Kuntsche überhaupt, der meinte: „Gegenwärtiges scheint aufgehoben oder in eine andere Sphäre getragen.“ […]
Fragt man nach Bezügen im Schaffen der Künstlerin, kann man durchaus bis in ihre Jugend zurückgehen. Fast zehn Jahre hat sie mit einer Porzellanmalerlehre und der Tätigkeit in diesem Beruf verbracht. Da erscheinen die lyrischen »Flora«-Bilder der jüngeren Zeit gar nicht weit hergeholt. Man denke nur an die auf dem Bildgrund verstreuten Tulpenblüten. Blüten malen gehörte ganz sicher dazumal zur Ausbildung. Abgesehen davon hat vielleicht auch dieses oder jenes Bild in den Alten Meistern dazu angeregt – von Poussins »Reich der Flora« bis zu niederländischen Blumenstillleben. Auf ihre Art beschwören sie alle die Schönheit und das Leben. Auch ein Stillleben kann für Fragen nach dem Weltganzen, nach Werden und Vergehen stehen.
Bärbel Kuntsche hat von 1962 bis 1966 an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden studiert. Der Geist der »großen Alten« war da durchaus noch spürbar: seien es Dix, Lachnit, Hans-Theo Richter oder Schwimmer, wenngleich der Lehrkörper mittlerweile im Wesentlichen aus den Nachfolgern bestand. Zugleich hielt dieser Geist sich zwischen Loschwitz und Radebeul: Man denke nur an zwei Namen: Jüchser und Rosenhauer. Sie und viele mehr rangen um Farbe und Form, um das Bild als Bild, setzten sich ab von Bestrebungen, die Kunst mit außerkünstlerischen Anliegen zu überfrachten. Die offizielle Kunst- und Kulturpolitik sah dies freilich anders, was sich natürlich auch an der HfBK niederschlug. Der Kalte Krieg war dazumal heftig. Und nach dem Mauerbau war die große internationale Kunst der Klassischen Moderne, aber auch der Gegenwart, weitgehend nur über Bücher zugänglich, der Weg zu großen Ausstellungen in Westberlin und darüber hinaus lange Zeit versperrt. Die Künstler waren auf sich, was die entstehenden Freundeskreise einschließt, ihre Lehrer und Bücher zurückgeworfen.
Davon war nicht zuletzt das Ringen um die eigene Handschrift beeinflusst. Es verwundert nicht, dass junge Künstler wie Bärbel Kuntsche – gerade in Dresden – auf die „Brücke“ stießen, ihren Formenkanon, der natürlich unterschiedlich reflektiert wurde. Aber auch Künstlerinnen wie Paula Modersohn-Becker und Gabriele Münter interessieren sie, ebenso der Kurzzeit-Dresdner Oskar Kokoschka. Vieles vermittelte sich natürlich auch über die Freundeskreise unter Kollegen, zu denen im Falle Bärbel Kuntsches die Wittigs, Claus Weidensdorfer, Peter Kaiser, die Leifers und auch Max Uhlig gehörten – alle Künstler, die einen eigenen Weg gingen – jenseits einer ideologischen Überfrachtung der Kunst. Wie andere fand auch Bärbel Kuntsche ihre Themen im Menschen und der Natur respektive Landschaft – nicht um sie eins zu eins abzubilden, sondern ein Weltgefühl auszudrücken, wie es etwa in den poetischen Strandbildern zum Ausdruck kommt. […]
Bärbel Kuntsches Ausstellung in der Hoflößnitz ist sowohl der Malerei als auch der Grafik gewidmet. Erstere zeigt sich als diverse Ölmischtechniken, die durch mal stärkeren, mal eher lasierenden Farbauftrag geprägt sind. Was die Farben anbelangt, so sind sie oft eher gedämpft und fein abgestimmt. Zugleich zeigen manche Bilder, seien es Stillleben oder auch die als »Flora« dargestellten Frauen, durchaus leuchtende Partien. Zeigt sich in der Malerei ein, allerdings gedämpfter, expressiver Zug, so ist dieser in der Graphik recht kraftvoll präsent. Besonders das häufige Schwarz-Weiß der Holzschnitte, aber auch der Offsetlithos unterstreicht diesen noch. Als junge Künstlerin hat Jüchser sie darin bestärkt. Den Betrachter der hier gezeigten Blätter beeindruckt das Kraftvolle, nicht zu Kleinteilige, das die Maserung des Holzes entsprechend zur Wirkung bringt. Teils können die Schnitte regelrecht dramatische Wirkungen erzielen – sei es in Form sich zusammenballender Wolken, sei es in Form stürmischer Wellen, während ein Akt mit dem Sandstrand eins zu werden scheint.

Am Meer – Mutter und Kind, Holzschnitt, 2008, Repro: F. Andert

Meine früheste Begegnung mit Arbeiten Bärbel Kuntsches war in den 1990er Jahren im Leonhardi-Museum, vor nahezu 30 Jahren. Und etwa aus dieser Zeit stammen auch die frühesten Blätter dieser Ausstellung zum 85. Geburtstag der Künstlerin. Die meisten der rund 50 gezeigten Arbeiten entstanden nach 2000, darunter auch die Plakate für die Radebeuler Kaspariade. Dass Bärbel Kuntsche 2005 mit dem Radebeuler Kunstpreis ausgezeichnet wurde, soll abschließend nicht unerwähnt bleiben. Ich wünsche Ihnen nun viel Freude mit dieser Ausstellung, die bis zum 15. September zu sehen sein wird.

Ingrid Koch

 

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