Zum Titelbild

Und dann steht alles plötzlich auf Abschied: Die farblich so schön gefaßten Wälder werden nach und nach kahl und über die trostlos stoppelig grauen Felder bläst ein steter rauer Wind und läßt erkennen, daß er bald auch anders kann. Wer jung ist, oder jung geblieben, hat sich in aller Heimlichkeit jedoch schon genau darauf gefreut: endlich wieder Drachen steigen lassen und so ein paar „Himmlische Augenblicke“ ganz eigener Prägung schaffen zu können.

Das Blatt für den Oktobermond stammt – anders als die bisherigen Titelgrafiken – aus dem Jahr 1998. Da war der Künstler selbst noch ein gutes Vierteljahrhundert vom eigenen Herbst entfernt und vielleicht sogar noch nah genug an eigenen „Drachenerlebnissen“.

In der für seine Flächenholzschnitte typischen knappen Zeichnung wird wieder eine ganze Welt lebendig: karge graue Stoppelfelder, eine mit Haus und Turm an den Hang geschmiegte Stadt, ein weiter, von einzelnen Wolkenspielen bevölkerte Himmel und schließlich die beiden Menschenkinder mit ihrem Drachen sind wirkungsvoll in Szene gesetzt.

Noch als Betrachter spüre ich den frischen Wind, und gleich fühle ich mich zurückgesetzt in die Freude an der „Drachenpost“, die wir nicht müde wurden, dem frohen Flieger an der langen Leine zuzusenden.

Lebhaft erinnere ich mich, wie immer einer von uns zum Markt fahren mußte, neue Drachenschnur zu kaufen, denn „Unserer“ wollte, wie wir selber späterauch, immer weiter und weiter weg.

Nun holt Michael Hofmann mit einem Holzschnitt „himmlische Augenblicke“ einer vergessen geglaubten Welt in den Herbst des eigenen Lebens zurück.

Thomas Gerlach

Radebeuler Miniaturen

Nur-Kurz

Noch wird gelacht am runden Tisch, aber dem Lachen fehlt die Freiheit: Die Heiterkeit ist brüchig.

Die allgemeine Rede dreht sich um allfällige Wahlen, die damit verbundenen Namen und die daraus und aus den zugehörigen Gesichtern zu ziehenden Schlüsse – hochexplosiv das Gemisch.

Noch gelingt es dem Wirt, durch gelegentliches Verteilen von Biergläsern, die Stimmung etwas zu entkrampfen.

Gänzlich entspannt wird’s mit dem Auftauchen eines echten Adligen am Stammtisch: Ernst-Heinrich von Tiefenbach-Höhenzug. Schon sein erster Satz endet in homerischem Gelächter: Namen – was soll ich dazu sagen … er lacht so dröhnend, als sollten alle Höhenzüge dieser Erde bersten.

Lacht ihr nur, fängt sich Heino Himmel-Reich als erster, du mußt dich zu deinem Namen bekennen, dann bist du schon so gut wie im Paradies. Da lacht Ernst-Heinrich gleich noch viel mehr. Du hast gut Reden …

Wollte ich auch grad sagen, fällt Claire Grube-Fischer ein. Ein solches Bekenntnis ist mir schon immer schwergefallen.

Sag ich doch, ruft Sara-Alice Voller-Ernst dazwischen, Name ist Schicksal und Schicksal will bestanden sein. Es hat keinen Zweck, sich dagegen aufzulehnen. Selbst wenn uns heute alle Möglichkeiten offen stehen, Namen zu ändern, den Stallgeruch wirst du nicht los.

Vielen Dank für den Geruch, flötet Claire dazwischen, doch Ernst-Heinrich meldet sich wortstark und laut zurück: Ein Freund von mir, Wilhelm-August von Kaiser-Friedrich, meint, er habe den Namen verliehen bekommen. Er würde ihn gern zurückgeben, wisse aber nicht, wo. Aber das ist doch jetzt ganz einfach, ruft Cindy-Laureen Hufe-Schmied erregt, gehst aufs Amt, sagst Bescheid, und die Sache ist geritzt.

Geritzt ha, ha, ha, Ernst-Heinrich wischt sich die Tränen aus den Augenwinkeln, geritzt …

Wenn das so einfach ist, lacht Berno Ober-Vogelsang, wird der Name endgültig zum Seelenspiegel – es sei denn, fällt ihm einer ins Wort, der bisher geschwiegen hat, es gelingt dir, dich hinter dem Namen zu verbergen. Seht mich an, sagt er und erhebt sich in ungeahnte Höhen, so groß ich bin, ist doch mein Name nur kurz.

Und wie heißt du?!

Sagte ich das nicht? Nur-Kurz, mit Bindestrich …

Thomas Gerlach

Eine Glosse

Es war einmal…

…ein König in deutschen Landen. Sein Reich war nicht sonderlich bedeutend. Es lag zwischen einem Fluss und einer Bergkette und war nicht viel größer als 125 sächsische Hufe. Auch die Anzahl der Untertanen fiel mit etwa 32.986 so klein aus, dass sich der König kein eigenes stehendes Heer leisten konnte, gab es doch im Reich nach der königlichen Statistik nur annähernd neuntausend wehrfähige Männer, die ja auch noch seinen Reichtum mehren sollten. Und weil der König in allerlei Wissenschaften gebildet war, ließ er Straßen bauen. Nicht etwa in Richtung Osten wie so manch anderer Despot, nein, vielmehr Fluss aufwärts zu dem benachbarten mächtigen Königsreich am Strom, das zwölfmal so groß war als sein Land. Überhaupt war dort alles viel größer und schöner als in seinem Reich. Und weil der kleine König ein weiser Herrscher war, lässt er die Post- und Verbindungswege instandhalten, damit seine Untertanen Geschäfte mit den Nachbarn abschließen können und die dabei gewonnenen Dukaten heim ins Reich tragen. Das erspart dem kleinen Königreich viele Aufwendungen und Anschaffungen. So verzichtete der König gar auf einen modernen Bahnhof für den „Schnellen Pfeil“, wie sich die Weiterentwicklung des Saxonia-Express nannte, die den Untertanen eine unkomplizierte Verbindung in die Welt ermöglicht hätte. Solange die Grenzen der Nachbarreiche noch geöffnet waren, funktioniert die Reisetätigkeit ja auch so.

Der König machte also sich und der königlichen Verwaltung in vielen Dingen nicht nur einen schlanken Fuß, sondern halt auch einen schlanken Haushalt. Hier handelte das Oberhaupt getreu dem Kanzler des Reiches, der für viele Ausgabenposten einen rigiden Sparkurs verordnet hatte, um an anderen Stellen die Dukaten im wahrsten Sinne des Wortes wieder zum Fenster hinauszuwerfen. Damit sei hier nicht auf den schweren Fall vom Kanonenfutter oder auf das tragische Schicksal des Kanzlers Krell verwiesen. Die Zeiten aber ändern sich halt gelegentlich, was eigentlich ja nicht schlecht ist und andererseits aber nicht automatisch bedeutet, dass man sie verstanden hätte – die Zeiten.

Nun kann man diesem kleinen König wahrlich keine Vetternwirtschaft nachsagen – zumindest ist in dieser Hinsicht nichts bekannt geworden. Aber er war eben auch ein richtiger König, und so manche seiner Bocksprünge konnten die Untertanen nicht nachvollziehen. Zwar mühte er sich redlich, doch ob die damals geplanten und ausgegebenen Gelder für eine riesige Kasper-Arena wirklich sinnvoll angelegt waren, wenn die Zahl der nachkommenden Kinder von Jahr zu Jahr sanken und in fünf Jahren um rund elf Prozent abgenommen hatte, muss bezweifelt werden.

Nun mag es freilich für einen König keine leichte Aufgabe gewesen sein, ein Königreich in die richtige Bahn zu lenken. Aber wozu hatte er seine Untertanen? Damit waren freilich nicht die 32.636 Einwohner gemeint. Die sind allemal wichtig – zum arbeiten und zum Fähnchen schwenken bei festlichen Anlässen. Aber was ist mit den 350 Bediensteten, die für die Kernaufgaben seines Reiches zuständig waren? Bei so viel Wissen und Erfahrung hätte doch das kleine Königreich goldenen Zeiten entgegengehen und nicht mit 13 Millionen Dukaten bei den Geldverleihern, Wucherern und Halsabschneidern in der Kreide stehen müssen? Aber die Bediensteten waren eben nur Befehlsempfänger und ihre guten Ideen haben sie lieber für sich behalten, denn Widerspruch duldete der kleine König nicht.

In dieser Situation hätte sich das Königreich eigentlich keine weiteren Extrawürste leisten können, denkt der normal veranlagte Bewohner eines jedweden Landes. Aber weit gefehlt! Da sollte in den nächsten Jahren ein Palast für 9 Millionen Dukaten entstehen und ein Gebäude für die Preziosen-Sammlung des Königs. Das war zu viel für das kleine Königreich. Auch eine Erhöhung der Pfannenkuchensteuer konnte die königliche Schatulle nicht mehr füllen. Der König musste den reichen und mächtigen Nachbarn um Hilfe bitten. Der zahlte die Schulden und schluckte das kleine Königreich, dessen Bewohner nun für den mächtigen König arbeiten mussten. Dabei waren sie doch einstmals so stolz auf ihr kleines Land.

Diese Geschichte erzählt, nicht nur für die Leser von Vorschau & Rückblick,

Euer Motzi

13. Thematischer Filmclubabend

Das Radebeuler Wanderkino „Film Club Mobil“ zeigt am 17. Oktober 2024 um 19 Uhr im Alchemistenkeller der Alten Apotheke (Altkötzschenbroda 48) den DEFA-Film „Sonnensucher“. Der Film zählt zu den sogenannten Verbotsfilmen der DDR, was aus heutiger Sicht kaum nachvollziehbar ist.

Der Regisseur Konrad Wolf (1925–1982) wurde mit Filmen wie „Der geteilte Himmel“ (1964), „Ich war neunzehn“ (1968) und Solo Sunny (1980) international bekannt und gilt als einer der wichtigsten Regisseure in der DDR. Dass er sich dem komplexen und konfliktreichen Thema des Uranbergbaus der sowjetisch-deutschen Wismut AG auf dem Gebiet der DDR zugewendet hat, mag nicht zuletzt in seiner ungewöhnlichen Biografie begründet liegen. Die Jugend verbrachte er mit der Familie im Moskauer Exil. Sein Vater war der Arzt und Schriftsteller Friedrich Wolf (1988–1953). Als Siebzehnjähriger trat er in die Rote Armee ein und gehörte als Neunzehnjähriger zu den Truppen, die 1945 Berlin eingenommen haben. Bis 1954 studierte Konrad Wolf an der Moskauer Filmhochschule und arbeitete danach bei der DEFA. Eine produktive Zusammenarbeit verband ihn über viele Jahre mit dem Kameramann Werner Bergmann (1921–1990), der über reiche Erfahrungen als Fotograf und Dokumentarfilmer verfügte.

Das Filmdrama „Sonnensucher“ ist als eine Art Appell für das Menschliche im Menschen zu verstehen. Wolf wollte zeigen, dass durch die gemeinsame Arbeit aus Hass und Misstrauen Freundschaft werden kann. Doch Wolf geriet zwischen das politische Tauwetter und die starre Borniertheit ängstlicher Funktionäre. Schon während des Entstehens lastete auf dem sehr realistischen Film der Vorwurf des Antisowjetismus. Es wurden Szenen gekürzt, gestrichen und nachgedreht. Als der Film 1958 endlich fertiggestellt war, wurde er schließlich verboten. Erst ab 1972 kam es zu öffentlichen Aufführungen und im Jahr 1975 wurde der Film mit den „Kunstpreis der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft“ ausgezeichnet.

Unabhängig von der schwierigen Entstehungsgeschichte des Films „Sonnensucher“, handelt es sich um ein interessantes Zeitdokument des Wismut-Alltages im Erzgebirge aus den frühen Jahren der DDR. Konrad Wolf war es gelungen, ein außerordentliches Ensemble zusammenzustellen mit hervorragenden Schauspielern, welche die widersprüchlichen Charaktere der Akteure überzeugend verkörpert haben. Vor allem Manja Behrens (Emmi) und Erwin Geschonneck (Jupp) beweisen ihr komödiantisches Talent. Die spritzigen Szenen voller (über)lebenskluger Gewitzheit nehmen dem Film seine mitunter ideologisch überfrachtete Schwere. Spannend ist auch, dass Lotte, dargestellt von der bei Drehbeginn 16jährigen Ulrike Germer, durch ihre Beziehungen zu sehr unterschiedlichen Männern nicht zerbricht, sondern reift und an innerer Stärke gewinnt. Der hohe künstlerische und menschliche Anspruch macht diesen frühen DEFA-Film auch heute noch sehenswert.

Sonnensucher

Fertigstellung 1958, im Kino ab 1972, Spielfilm, DDR, DEFA, 111 Min., s/w, FSK 12

Regie: Konrad Wolf; Drehbuch: Paul Wiens, Karl Georg Egel; Musik: Joachim Werzlau; Kamera Werner Bergmann; Schnitt: Christa Wernicke; Besetzung (Auswahl): Ulrike Germer, Günther Simon, Erwin Geschonneck, Manja Behrens, Wiktor Awdjuschko, Willi Schrade

Kurzinhalt: Der Film spielt im Jahr 1950 – ein Jahr nach Gründung der DDR, fünf Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und fünf Jahre nach den US-amerikanischen Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki. Das atomare Wettrüsten hat begonnen und Uran wird als Rohstoff dringend gebraucht.

Die komplexe Gemengelage der großen Weltpolitik hinterlässt Spuren auch im Alltag jedes einzelnen Menschen. Zwei Frauen unterschiedlichen Alters, deren Wege sich mehrfach kreuzen, versuchen sich in der Nachkriegszeit durchs Leben zu schlagen. Die etwas schüchtern wirkende Lotte ist eine Waise und fast noch ein Mädchen. Emmi hingegen, welche früher in einem Zirkus aufgetreten ist, wirkt selbstbewusst und couragiert. Mit Prostitution verdienen sich beide ihr Geld. Bei einer Razzia werden sie aufgegriffen und zur Arbeit im Uranbergbau verpflichtet. Dort treffen die verschiedensten Menschen aufeinander, darunter Idealisten, Abenteurer und Karrieristen, aber auch Huren, Gestrandete und ehemalige NSDAP-Mitglieder. Konflikte zwischen der sowjetischen Betriebsleitung und den deutschen Arbeitern sind an der Tagesordnung. Fachleute sind rar und die Arbeitsunfälle häufen sich. Während Emmi ihrem einstigen Zirkuspartner, dem Kommunisten Jupp wiederbegegnet und die alte Liebe neu entflammt, hat sich Lotte in den ungestümen Bergmann Günter verliebt. Weil der sich jedoch als wenig sensibel erweist, verlässt sie ihn schließlich. Als nun der Obersteiger Franz Beier ernsthaft und ausdauernd um sie wirbt, gibt sie dessen Werben nach und wird seine Frau. Als ihm Lotte gesteht, dass sie ein Kind von einem anderen Mann erwartet, schickt Franz sie nicht weg. Er hat Lotte gern und will dem Kind ein guter Vater sein. Doch kurz darauf stirbt er bei einem Grubenunglück. Lotte lebt nun allein mit ihrem Kind. Ihre große, aber unerfüllte Liebe gilt noch immer dem Ingenieur Sergej, dessen Frau im Krieg von Deutschen ermordet wurde. Erst am Tag seiner endgültigen Rückkehr in die Sowjetunion bekennen sich beide zaghaft zu ihren Gefühlen, wohlwissend, dass ein Zusammenleben niemals eine Chance haben würde. Doch beide sind noch jung. Sie stehen am Anfang ihres Weges. Und so verabschiedet sich Sergej mit den zuversichtlichen Worten: Du wirst glücklich sein und nicht allein… du und dein Kind, lass es lächeln wie du… Das Schlussbild zeigt Lotte mit ihrem zweijährigen Kind an der Hand. Der Weg ist gesäumt von neugebauten Wohnhäusern und am Horizont türmen sich die Abraumkegel des Uranbergbaus…

Karin Baum und Michael Heuser
Sprecher der Cineastengruppe „Film Club Mobil“ im Radebeuler Kultur e. V.
Anmerkung: unter Verwendung von verschiedenen Filmbegleitmaterialien und Wikipedia-Eintragungen.
Information und Reservierung unter: 0160-1038663.

Ein schwarzer Tag!

Lügenmuseum geschlossen

Alle, die noch halbwegs bei Troste waren, haben dem 12. August entgegengefiebert, dem Tag, der über das künftige Wohl und Wehe des Lügenmuseums in Radebeul entscheiden sollte. Man wollte, man konnte sich nicht vorstellen, dass die Verantwortungsträger der Stadt, alle die vielen Bekundungen, die fachlich potenten Einschätzungen und Urteile von anerkannten Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens über die außergewöhnliche kulturelle und künstlerische Einrichtung einfach vom Tisch fegen. Dürfen die vielen Bekundungen nur deshalb nicht recht haben, weil sie nicht ins Kalkül passen und ein Stück Vertragspapier mehr Kraft entfaltet als die gelebte Kultur?

Nach dem Gespräch war dennoch Entspannung angesagt. Man hatte einen Kompromiss gefunden, der zwar nicht zu einem besseren Vertrag führte und damit nicht zur Sicherung des Museums für Radebeul, aber Zeit gewann: Schließung des Museums per 1. September 2024, aber Asyl bis 31. März 2025!

Jetzt war die Möglichkeit gegeben, in Ruhe über eine Lösung im Interesse der Bürger, der Touristen der Pensions- und Hotelbesitzer, der Stadtverwaltung und des Künstlerehepaares Zabka nachzudenken. Ein Verlust des ältesten Gasthofes der Stadt oder gar des Museum selbst, welches der bekannte Schauspieler Martin Brambach als „weltweit einzigartig“ bezeichnet – so denkt man –, kann doch auch der Oberbürgermeister Bert Wendsche nicht wollen.

Das Lügenmuseum – letzte Aufnahme?, Foto: K. (Gerhardt) Baum

Am 16. August wusste die Sächsische Zeitung Online von dieser Übereinkunft zu berichten und von einer nochmaligen Ausschreibung des Objektes in diesem Jahr. Auch ein Interessent sei vorhanden. Bereits für die Septemberausgabe hatte ich deshalb einen hoffnungsfrohen Beitrag zum Lügenmuseum verfasst, den ich aber kurzfristig zurückziehen musste, weil sich erneut die Situation zugespitzt hatte, aber der Redaktionsschluss bereits überschritten war. Nach einigem weiteren Mailverkehr zwischen Stadt und Lügenmuseum war dann offensichtlich die Geduld bei der Stadtverwaltung aufgebraucht. Sie bestand nun auf ein schriftliches Übereinkommen für ein Übergangsmietvertrag und die unbedingte Einhaltung der darin aufgeführten Punkte. Eine geplante Schlüsselübergabe kam nicht zustande.

Die Stadt sieht sich rein formal auf einer rechtlich, juristisch sicheren Position. Selbstverständlich ist es ihre freie Entscheidung, mit ihrem Eigentum nach eigenem Gutdünken umzugehen. Ob sie sich dabei aber auch auf sicheren moralischen Grund bewegt, muss angezweifelt werden. Sie kann natürlich ihre Vorstellungen von der Vertragsgestaltung durchsetzen. Aber handelt sie dann noch im Interesse aller ihrer Bürger und ihrer Aufgabe, alles für eine allseits entwickelte Kultur in ihrer Stadt zu tun, wenn auch dieses Museum den Ort verlassen muss?

Kommt es soweit – und die gegenwärtige Entwicklung lässt dies befürchten – wird Radebeul mit Gewissheit in die Geschichte eingehen, aber als eine Stadt, die sich in kurzer Zeit von einer Stätte der Künste zu einem Ort des Verlustes von Kulturgut entwickelt hat. Diese Einschätzung braucht man nicht ausschließlich am Umgang mit dem Lügenmuseum festzumachen. Die kulturelle Talfahrt ist seit langem sichtbar und hat nicht erst mit der Schließung des Zeitreisemuseums begonnen. Jeder kulturinteressierte Bürger aus Radebeul und Umgebung kann die Verluste selbst an den Fingern abzählen. Zwei Hände reichen nicht! Die Stadt hat alle Chancen in die Negativliste des „Deutschen Zentrums [für] Kulturgutverluste“ aufgenommen zu werden. Von überalterter Künstlerschaft, fehlenden preisgünstigen Atelierräumen, von den verkauften, verpachteten, vermieteten oder abgerissenen Gebäuden, die einer anderweitigen Nutzung hätten zugeführt werden können oder von den Ungereimtheiten der bisherigen kulturellen Entwicklung ganz zu schweigen.

Das Kulturentwicklungskonzept der Stadt Radebeul – kaum beschlossen – hat bereits einige „blinde Flecke“. Mag das Verhalten von Herrn Zabka kritikwürdig sein. Seine künstlerischen, bildenden und kulturpolitischen Leistungen sind unumstritten.

Das Signal, welches die Stadt aussendet, ist jedoch verheerend: Engagement wird scheinbar nicht gebraucht! Denn wir wissen allein, was richtig und wichtig ist. Alternativen wurden nicht diskutiert, die Stadtgesellschaft nicht mit einbezogen. Eine städtische Kultur sollte sich durch Vielseitigkeit auszeichnen und nicht allein durch Tradiertes. Aber dieser 1. September 2024 wird als ein „schwarzer Tag“ für die Bürger eingehen. Stadtverwaltung und Stadtrat bestimmten, was für eine Kultur, für eine Kunst, der Bevölkerung zugemutet werden kann! Wenn das die große Freiheit ist, dann will ich gern verzichten.

Am Anfang jeder Barbarei steht immer auch der Angriff auf die Kultur. Oder mit Peter Hacks gesprochen: „Erst vergammeln die Zwecke, dann die Mittel.“

Karl Uwe Baum

Weißes Roß

Geschichten aus der Kindheit – (Teil 3/12)

»Weißes Roß«, um 1937 mit den Wagen von Taxi-Bischoff, Foto: Archiv C. Grün

Jetzt möchte ich etwas von meinen Kinderferienreisen erzählen, so weit ich mich noch erinnern kann, zumeist mit Tante Emma. Von Oberbärenburg habe ich ja schon berichtet. Im ersten Kriegsjahr wechselte Tante Emma einmal von Oberbärenburg nach Bärenfels hinüber und nahm mich mit. In der Villa Marie gefiel es mir auch sehr gut, besonders der Pavillon im Garten, in dem nachmittags Kaffee getrunken wurde. Ich bekam meine obligatorische Milch mit Zwieback, was ich aber sehr gern aß. Im Pavillon lagen auch alte Ausgaben der „Fliegenden Blätter“. Ich konnte schon lesen. Besonders beeindruckt hat mich die Zeichnung einer alten Lokomotive mit den folgenden Versen, die ich hiermit der Nachwelt erhalten möchte. Eigenartig, dass ich mir diese über den langen Zeitraum so behalten habe. Also es geht so:

Was kreucht da an dürrer Heide entlang
auf rosterfressenem Schienenstrang?
Eine alte Lokomotive!
Hohläugig beschauet der Führer den Pfad,
nur langsam drehen sich Kurbel und Rad,
es ist, als ob alles entschliefe.

Es ist die Sekundärbahn, die weil sie verkracht,
zur Strafe muß fahren in finstrer Mitternacht.
Und ist es schon morgens zwischen zwei und drei,
schwerfällig ächzt der Gespensterzug vorbei.
Er hat sich wie immer verspätet…

Einmal fanden wir bei unserem Spaziergang eine Brieftasche mit einer Lebensmittelkarte und 100,- RM. Da auf der Karte die Adresse stand, konnten wir unseren Fund der dankbaren Köchin eines großen Ferienheimes zustellen. Sie gab uns derart viele leckere Eßwaren mit, daß wir den großen Beutel kaum tragen konnten. Geld hatte Tante Emma abgelehnt.

Frau Emma Rößler, die »Tante Emma«,Foto: Archiv C. Grün

Es muß 1941 gewesen sein, als Tante Emma mit Wolfgang und mir nach Tetschen-Bodenbach fuhr, in den damaligen Sudetengau. Eine Stunde D-Zug – unter dem machte es Tante Emma nicht – war für uns eine große Sache. Besonders imponierte uns der Tunnel kurz vor Bodenbach. Wir wohnten am Markt im Hotel „Zur Post“. Tante Emma zeigte uns Birkigt, ein kleiner Ort in der Nähe Tetschens, wo sie mit Onkel Hans gelebt hat und viel uns aus dieser Zeit erzählt hat. Erst wohnten sie in der Papierfabrik von Jordan&Söhne unte an der Polzen. Onkel Hans war bei dieser Firma Prokurist und Tante Emma zeigte uns die Fenster ihrer ehemaligen Wohnung. Später übernahm sie in Pacht die Zigeunermühle an der Doberanke, die in die Polzen mündet. Als Frau eines Prokuristen war es ihr nicht möglich, einer Arbeit nachzugehen und das untätige Leben war sie nicht gewöhnt. In der Mühle fand sie ein reichliches Betätigungsfeld. Nebenan wohnten Riedels, mit denen sie gute Nachbarschaft hielt.

Als wir an einem Sonntagmorgen im Hotel zum Frühstück herunterkamen, saß zu unserer großen Überraschung und Freude Muttel am Frühstückstisch. Sie mußte mit dem nächsten Zug wieder nach Hause fahren und noch heute ehe ich sie in der Sonne am Fenster sitzen. Ich denke, sie wird gar nicht ins Bett gekommen sein. Ihren Kindern eine Freude zu machen, da war unserer Mutter nichts zu viel. Tetschen, das ich erst nach vielen Jahren einmal wieder sah, war mir sofort wieder vertraut mit dem großen Brunnen auf dem Marktplatz.

Kurz bevor es wieder heimging, liefen wir von Tetschen aus nach Birkigt. Es war ein sehr warmer Oktobertag. Tante Emma bewahrte immer vom letzten Weihnachten Lebkuchen auf und nahm sie auf Reisen mit. Ich wusste, dass sie diesmal Oblatenpfefferkuchen in der Tasche hatte und plagte sie so lange, bis mir die genervte Tante das Päcken gab mit den Worten: „Na, dann friss rein…“ Das ließ ich mir nicht zweimal sagen und begann zu futtern. Wir kamen bei Knies vorüber, die noch immer seit Tante Emmas Zeiten ihren Kolonialwarenladen hatten. Auf den vielen Pfefferkuchen bei der Wärme hatte ich natürlich Durst und stürzte das kellerfrische Malzbier in mich hinein. Die Folgen waren verheerend, wie man sich denken kann. Tante Emma war gezwungen, mich bei Riedels in Pflege zu lassen und holte mich nach drei Tagen wieder ab. Dass Muttel zu Hause wenig begeistert war, kann man sich vorstellen.

Dies sollte der Oktober gewesen sein.

Christian Grün

„Wahr-Zeichen. Zeitzeugen der Geschichte“


Unter dieses Motto hat die Deutsche Stiftung Denkmalschutz den Tag des offenen Denkmals im Jahr 2024 gestellt.

Unser Verein präsentierte am 8. September sein neuestes Projekt, den Pavillon am Mohrenhaus an der Moritzburger Str. 51 in Radebeul. Bereits 2022 konnten wir eine „KulturSpur“ hierhin legen.

Nachdem am Tag zuvor zahlreiche Helferinnen und Helfer aus dem Verein den Pavillon und das Umfeld intensiv geputzt hatten, öffneten wir um 10 Uhr den Pavillon.

Kaffeehaussalonkapelle Dresden, Foto: Archiv Verein für Denkmalpflege und Neues Bauen Radebeul

Für die deutlich über 200 Besucher gab es bei Kaiserwetter neben Führungen und Informationen am Pavillon und zur künstlichen Ruine auch Musik und Wein. Den Auftakt machte das Hornquartett der Robert-Schumann-Philharmonie Chemnitz. Dann trat ein Trompeten-Duo der Musikschule Radebeul auf. Am Nachmittag sorgte die Kaffeehaussalonkapelle Dresden für heitere Stimmung bei Kaffee und Kuchen.

An dieser Stelle bedanken wir uns bei allen Beteiligten im Vorfeld und am Tag des offenen Denkmals herzlich für ihr Wirken!

Die zukünftige Nutzung des Pavillons aus dem Jahr 1876, der künstlichen Ruine und des angrenzenden Parkareals, liegt unserem Verein und der Stadt Radebeul sehr am Herzen. Warum sollten dort nicht eines Tages kleine Konzertnachmittage oder Lesungen stattfinden und ein Glas Bussard Sekt gereicht werden? Ein „Musikpavillon“ in der Tradition der „Musik-Salons“ des 19. Jahrhunderts vielleicht? Derartige Abendveranstaltungen haben wohl tatsächlich im Mohrenhaus stattgefunden.

Gefragt sind nun vor allem Ideen zur zukünftigen Nutzung. Hier sprechen wir gern auch die Leserschaft dieses Heftes an und freuen uns auf Ihre Anregungen! Oder wissen Sie vielleicht noch mehr zum Pavillon oder zum Park?

2026 feiert der Pavillon seinen 150. Geburtstag! Wir wollen ihn mit Leben erfüllen!

?Unser Hauptaugenmerk gilt jetzt natürlich der Spendenaktion zur kompletten Sanierung und Rekonstruktion des Pavillons. Unser Ziel ist es, spätestens im Frühjahr 2025 mit den ersten Arbeiten beginnen zu können. Wir setzen wieder auf die Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung und den Behörden des Denkmalschutzes!

Der Hinweis dazu befindet sich im gesonderten Flyer oder unter www.denkmalneuanradebeul.de

Jörg Müller und Robert Bialek

„Jäger der Nacht“

Das Karrasburg Museum Coswig präsentiert in einer Sonderausstellung das Leben der Fledermäuse

Foto: Archiv Karrasburg Museum Coswig

Fledermäuse faszinieren die Menschen seit jeher. Sie sehen mit den Ohren, fliegen mit den Händen, schlafen mit dem Kopf nach unten und sind fast ausschließlich nachts unterwegs. Fledermäuse sind die einzigen Säugetiere, die aktiv fliegen können. Diese Eigenschaften führten dazu, dass sich viele Mythen um die Jäger der Nacht ranken.

25 Fledermausarten gibt es in Deutschland. Keine davon ernährt sich von Blut. Einige dieser Arten sind vom Aussterben bedroht, andere gelten als gefährdet. Umso wichtiger ist es, über die Tiere aufzuklären.

Genau das macht diese Wanderausstellung, welche von der Sächsischen Landesstiftung für Natur und Umwelt (LaNU) gemeinsam mit dem Naturschutzbund Sachsen (NABU) entstand. Dabei werden in Text und Bild die unterschiedlichen Fledermausarten vorgestellt. Die kleinsten einheimischen Arten, die Zwerg- und die Mückenfledermäuse, passen in eine Streichholzschachtel. Das Große Mausohr hingegen erreicht eine Flügelspannweite zwischen 35 bis 43 cm.

Aber auch Fragen wie: Was fressen Fledermäuse? Wie gestaltet sich die Fledermaus-Jagd? Wo finden Fledermäuse einen Unterschlupf? Und was machen Fledermäuse eigentlich im Winter? werden geklärt.
Ergänzt wird die Ausstellung durch Fledermaus-Präparate wie dem Braunen Langohr und dem Großen Abendsegler von der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung.

Das Museumsmaskottchen Cosimir begleitet vor allem wieder die jungen Gäste auf ihrer Entdeckertour. Es lädt zu Mitmachaktionen, bei denen gerätselt und gespielt werden kann. So erfährt man im Bionik-Memory-Spiel beispielsweise für welche technischen Erfindungen die Fledermaus Vorbild war. In der gemütlichen Fledermaushöhle kann man zum Lesen und Bücher anschauen Platz nehmen.

Im Zeitraum der Ausstellung lockt eine Reihe von zusätzlichen Veranstaltungen die Besucherinnen und Besucher ins Museum.

Zum Bücher-Spiele-Herbst gemeinsam mit der Stadtbibliothek Coswig kann man am 20. Oktober die Ausstellung kostenfrei besuchen und sich eine eigene kleine Fledermaus zum Mitnehmen gestalten. Am 31. Oktober steigt im Museum ab 14 Uhr eine Halloween-Fledermausparty, bei welcher Fledermausmasken und Laternen gebaut werden können. Ab 16 Uhr geht es dann auf Laternen-Führung durch das Museum und den Bürgerpark.

Am 6. November findet für alle, die noch mehr über die Fledermäuse in unserer Region erfahren wollen, ein Vortrag mit Bianka Porschien vom NABU Sachsen e.V. statt.

Katrin Kynast (Museumspädagogin)
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Alle weiteren Informationen erhalten Sie unter www.karrasburg.de oder telefonisch unter: 03523 66450.

Die St.Lorenzkirche zu Halsbrücke

Foto: M. Donath

Unweit von Freiberg erstreckt sich am Ufer der kraftvoll der Elbe zustrebenden Freiberger Mulde, die hier eine größere Flussschleife beschreibt, die Gemeinde Halsbrücke. Hervorgegangen aus einem als „Inselgut“ im Lehnbuch von Markgraf Friedrich III. von Meißen 1349 bezeichneten Vorwerk und dem Kanzleilehngut „zcu dem Halse“ entwickelte sich der Ort am namensgebenden südlichen „halsförmigen“ Rücken der mit Brücken versehenen großen Muldenschleife. Größere Bedeutung erlangte Halsbrücke erst durch den Bergbau und vor allem die Verhüttung von Erzen. Im Jahr 1612 legten die Erzgruben „St.Lorenz“ und „Rheinischer Wein“ eine eigene gewerkschaftliche Hütte an, aus welcher 1663 die Halsbrücker Schmelzhütte hervorging. Im Jahre 1862 entstand in der Halsbrücker Hütte eine Goldscheideanstalt. Sicher hat jeder schon mal etwas von der Existenz der 140 m „Hohen Esse“ – dem dereinst höchsten gemauerten Schornstein der Welt – gehört. „Grabentour“ entlang von Mulde und Bobritzsch oder „Rothschönberger Stollen“ sind weitere Begriffe, die Halsbrücke mit dem Bergbau im Freiberger Revier eng verbinden. Kurzum: Alles in allem ein geschichtsträchtiger Ort! Aber eine eigene Kirche? Fehlanzeige!

Über Jahrhunderte hinweg gehörte Halsbrücke kirchlich zur Parochie Tuttendorf; erst viel später wurde es nach Krummenhennersdorf eingepfarrt. Nach dem Krieg konnte die kleine Gemeinde eine alte Holzbaracke für Christenlehre und Gottesdienste nutzen, die aber in den 1980er Jahren an ihre bauaufsichtlich gerade noch zulässigen Grenzen gelangt war. Deshalb fasste der Kirchenvorstand 1985 zusammen mit Pfarrer Christoph Lehmann (Krummenhennersdorf), juristisch beraten und begleitet von Steffen Heitmann vom Landeskirchenamt in Dresden (später Staatsminister in Sachsen) den Beschluss, eine eigene Kirche zu bauen. Und das unter den Bedingungen einer maroden Bauwirtschaft der ihrem Ende entgegengehenden DDR! Diesem Problem wollte die Gemeinde durch eine Baudurchführung in Eigenleistung und Feierabendarbeit begegnen. Für den zum Kreis der „Planer“ hinzugezogenen Architekten eine nicht ganz alltägliche Aufgabe! Zunächst musste geklärt werden, ob die Gemeinde „nur“ einen allgemein nutzbaren Mehrzweckbau oder einen ganz individuellen, tatsächlich identitätsstiftenden Kirchenbau errichten möchte, der deutlich signalisiert: Hier sind Christen in einem weitestgehend atheistischen Umfeld und der Kirche feindlich gesonnenem Staat präsent! Mit diesem mutigen Bekenntnis als Grundlage konnten nun weitere Überlegungen angestellt werden, die wichtig waren für die Gestaltfindung des Kirchengebäudes. Klar war, einen Bezug zu den Bauwerken des die Gegend seit dem Mittelalter prägenden Bergbaus zu finden, wie sie in deren Architektur der Schmelzhütten und Waschkauen vorkam. Nach alter Tradition musste auch über ein Patrozinium, d.i. eine Schutzherrschaft eines Heiligen, über die neue Kirche nachgedacht werden, um der Kirche einen Namen geben zu können. Alle alten Kirchen und auch die Gruben des Freiberger Reviers waren ganz selbstverständlich Heiligen gewidmet. Man einigte sich auf den hier immer verehrten und um Hilfe angerufenen Laurentius, auch Lorenz genannt. Ihm war bereits 1518 die Grube St.Lorenz geweiht worden; dazu gibt es den in alten Bergbaukarten kartierten, tief unter Halsbrücke verlaufenden Stollen „St.Lorenz Gegentrum“. Also alles ganz handfeste lokale Bezüge!

Foto: M. Donath

Zentrum des neuen, in traditioneller Ziegelbauweise errichteten Gebäudes war nun der Kirchenraum mit seinen ganz eindeutigen liturgischen Bezügen als Versammlungsort der Gemeinde zur Feier der Gottesdienste. Der bis in die Dachkonstruktion hinaufgeführte Raum kann über Faltwände im Erdgeschoss oder über eine Empore erweitert werden. „Zuschaltbare“ Nebenräume waren für Christenlehre, Chorproben, Treffen der Jungen Gemeinde oder für Gemeindefeste gedacht; hinzu kam eine Vielzahl von kleineren Funktionsräumen wie Garderoben, Heizung oder Toiletten. Krönender Abschluss ist ein kleiner Dachreiter an der talseitigen Giebelseite, in dem eine in Freiberg gegossene Glocke läutet – sie ist die „Stimme“ der Kirche, die zum Gottesdienst ruft, verstorbene Gemeindemitglieder auf ihren letzten Weg begleitet oder hell zur Taufe erklingt. Der Platz für die Kirche war ideal gewählt: sie steht weit oberhalb der Ortschaft Halsbrücke an der Kante eines Hanges, der sich bis hinunter in das Tal der Mulde erstreckt. Der Silhouette des weithin sichtbaren Baukörpers kommt damit eine Signalwirkung zu und der Glockenschall ist weit zu hören. Nach einer Zeit unklarer Finanzierung der Baustelle nach der deutschen Wiedervereinigung konnte der Kirchenbau schließlich durch den Bischof der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsen, Dr. Johannes Hempel, 1993 geweiht und von der Gemeinde in Besitz genommen werden. Feierlich trugen die Gemeindeältesten wichtige Ausstattungsgegenstände wie ein großes Kruzifix aus der alten Baracke in den neuen Kirchenraum. Ein traditionell wieder zu verwendender Altar war nicht vorhanden. Die Idee des Architekten war angesichts dieser gestalterischen Freiräume nun, das gesamte Interieur des Kirchenraumes von einem Künstler entwerfen zu lassen. Die Wahl fiel auf Michael Hofmann (jetzt Radebeul). Eines der Hauptstücke des Kirchenraumes ist der Altar, an dem die Gemeinde zusammen das Abendmahl feiert. Historisch waren Altäre so angeordnet und ausgerichtet, dass der Geistliche mit dem Rücken zur Gemeinde die Liturgie betet. Mit modernen Formen der Gottesdienstfeier ist das nur schwer zu vereinbaren. Michael Hofmann schuf deshalb einen freistehenden Altartisch, hinter dem der Geistliche mit dem Gesicht zur Gemeinde alle geistlichen Handlungen zelebrieren kann. Dahinter in der Giebelwand – gleichsam als Adaption der mittelalterlichen Retabeln bzw. Altarschauwände – dominiert ein nahezu raumhohes Fenster den Raum und legt damit den liturgisch wichtigsten Ort fest. Entworfen und selbst hergestellt hat es Michael Hofmann 1991 aus farbigen, grob zugerichteten Glasbrocken – so wie sie aus den Glasöfen kommen, und diese in Beton eingebettet. Das Licht durchstrahlt die Glasbrocken, bricht sich an deren rauen Kanten und tritt zerstreut wieder aus. Dadurch strahlt das Fenster gleichsam aus sich heraus und erzeugt selbst an trüben Tagen eine unglaublich schöne Lichtwirkung. Eingebettet in Beton ist in Halsbrücke mit diesem Material die Legende des Heiligen Lorenz (Laurentius) dargestellt: Schon in der Frühzeit des Christentums galt Laurentius als bedeutender Heiliger. Neben seinem Grab vor den Stadtmauern Roms wurde zur Zeit Konstantins des Großen eine Basilika erbaut. Der Überlieferung zufolge war er als Archidiakon von Rom für die Verwaltung des örtlichen Kirchenvermögens und seine Verwendung zu sozialen Zwecken zuständig. Nachdem der römische Kaiser Valerian den Papst Sixtus II. hatte enthaupten lassen, wurde Laurentius ausgepeitscht und aufgefordert, den Kirchenschatz innerhalb von drei Tagen herauszugeben. Daraufhin verteilte Laurentius diesen an die Mitglieder der Gemeinde, versammelte eine Schar von Armen und Kranken, Verkrüppelten, Blinden, Leprösen, Witwen und Waisen und präsentierte diese als „den wahren Schatz der Kirche“ dem Kaiser. Der Hauptmann, vor dem Laurentius erschienen war, ließ ihn deswegen mehrfach foltern und dann auf einem glühenden Eisenrost hinrichten. Aus diesem Grund wird der Märtyrer mit dem Rost als Attribut dargestellt. Laurentius ist der Schutzpatron vieler Berufsgruppen, die mit offenem Feuer zu tun haben, so auch im übertragenen Sinn der Hüttenarbeiter und Bergleute von Halsbrücke. Die soziale Komponente seines Martyriums ist auch heute wieder ganz aktuell! Sein Fest- bzw. Gedenktag in der römisch-katholischen, der orthodoxen, der anglikanischen und der evangelischen Kirche ist der 10. August.

Kirchenfenster, gestaltet von Michael Hofmann, Foto: M. Donath

Michael Hofmann hat es bei seinem Halsbrücker Fenster meisterlich verstanden, die in seinem grafischen Schaffen verwendete Technik der verlorenen Form des Holzschnittes und das Gegeneinandersetzen von Farben und Flächen auf die Gestaltung des Glasbetonfensters umzusetzen: Das Rost wird für den Gemarterten zur Himmelsleiter, während die Feuerflammen seine Gestalt umzüngeln. Daraus wachsen ihm sogar Flügel; so von Engeln geleitet strebt er zum Himmel empor, der sich ihm öffnet. Welch eine Hoffnung!

Dem Autor, mit dem er noch weitere Kirchen (-fenster) gestaltet hat, sagte Michael Hofmann kürzlich, dass er eigentlich diese ungewöhnliche Technik der Umsetzung seiner bildkünstlerischen Ideen und Gedanken am meisten liebe. Ad multos annos, Micha – und noch viele Ideen für die Menschen beglückende Kunstwerke!

Günter Donath
Architekt und Meißner Dombaumeister a.D.

„Es gibt keinen Weg zum Frieden, denn Frieden ist der Weg“

Radebeul – Wie muss das gewesen sein, als im August 1645 – nach 27 Jahren Krieg – im Pfarrhaus zu Kötzschenbroda die schwedischen und sächsischen Verhandlungsführer zusammenkamen, um einen Waffenstillstandsvertrag zu unterzeichnen? Ein Aufatmen muss durch den Ort gegangen sein, nach Jahren des Brandschatzens und Plünderns endlich Frieden!

Der Tisch, auf dem der Waffenstillstandsvertrag wohl unterzeichnet wurde, steht seit vielen Jahren im Turmzimmer der Friedenskirche – nun soll das Thema Frieden auch im Umfeld der Friedenskirche sichtbar und präsent sein: es entsteht der Friedensweg Kötzschenbroda, der vom Elberadweg über verschiedene Stationen bis zum historischen Tisch im Turmzimmer führen soll. „Wir wollen Menschen besonders für den Frieden einnehmen, Passanten, Touristen und Besucher mit Gedanken zum Frieden inspirieren und für den Frieden gewinnen“, sagt Pfarrerin Annegret Fischer. „Denn mehr als alles braucht unsere Welt Friedensstifterinnen und Friedensstifter.“

Die Stationen des Friedensweges spiegeln Gedanken berühmter Friedensstifter wie Mahatma Gandhi, Karl May, Nelson Mandela oder Martin Luther King wider und beleuchten historische Ereignisse wie die Gründung des Völkerbundes, den Kniefall von Willy Brandt in Warschau und natürlich den Friedensschluss von Kötzschenbroda aus dem Jahr 1645. Nach vier Jahren Vorplanungen geht es jetzt an die Umsetzung dieses Friedensweges.

Christina Nehrkorn-Stege, Carola Schul und Pfarrerin Annegret Fischer


In einem Jahr, zum 380-jährigen Gedenken des Waffenstillstandsvertrages soll der Weg eingeweiht werden.

Tafeln aus Emaille verschiedener Größe und Form werden am Weg des Elberadweges zur Kirche, im Pfarrhof und am Kirchplatz installiert und in der Kirche wird es auf dem Weg zum Friedenstisch geistliche Friedensimpulse geben.

„Es gibt keinen Weg zum Frieden, denn Frieden ist der Weg“ hat Mahatma Gandhi gesagt. Mit ihrem Friedensweg will die Friedenskirchgemeinde in Gedenken an den historischen Friedensschluss, aber auch ganz konkret und gegenwärtig an diesen Gedanken anknüpfen.

Wenn Sie sich an diesem Friedensweg beteiligen möchten, freuen wir uns über eine Spende auf das Konto der Friedenskirchgemeinde mit der IBAN DE06 3506 0190 1667 2090 27 mit dem Verwendungszweck „FRIEDEN – 1082 – Friedensweg“. Eine Spendenbestätigung erhalten Sie unaufgefordert.

Carola Schul

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