Lügenmuseum

Um die Zukunft des Lügenmuseums in Radebeul ging es bei der Feier zum Jubiläum der Kunsthalle am 12. September 2022. Denn das Lügenmuseum wird aktuell bedroht vom kulturellen Desinteresse einer Stadtverwaltung. Diese will ein Besucher aus aller Welt magnetisch anziehendes künstlerisches Gesamtkunstwerk auf dem Altar des schnöden Profits opfern. Doch am Horizont keimt Hoffnung für den Fortbestand des Museums.

Das 1990 vom Künstler Richard von Gigantikow begründete Sammlermuseum zog 2012 in den der Stadt Radebeul gehörenden ehemaligen Gasthof Serkowitz ein. Es ist seitdem Impulsgeber für die gesamte Region mit seinen ungewöhnlichen Exponaten sowie Träger künstlerisch gestalteter Stadtteilfeste und farbenprächtiger Beiträge zum traditionellen Radebeuler Herbst- und Weinfest.

Mit seinem eigenen maroden Charme bildet der Radebeuler Gasthof Serkowitz die ideale Bühne für den kunterbunten Kosmos fantasievoller Objekte, vieldeutige Licht und Klanginstallationen und eigenwillige Konstruktionen. Im Dienst der Wahrheit waschen Sir Richard von Gigantikow aka Reinhard Zabka und sein Team hier mit tausendundeiner Lüge den Staub des Alltags von den Sternen. Der schimmernde Spiegel, den sie der zwischen Unwahrheit und Wahrheit schlingernden Welt vorhalten, ist das erste und einzige Lügenmuseum der Welt.

Richard von Gigantikow aka Reinhard Zabka hat wieder Hoffnung, sein Lügenmuseum weiter im Radebeuler Gasthof Serkowitz führen zu können


Die Stadt Radebeul bietet kulturhistorisch einen ausgezeichneten Nährboden für Lügen. Hier lebte der Erzähler und Schriftsteller Karl May, einer der begabtesten und erfolgreichsten Aufschneider der deutschen Literaturgeschichte. Es spannt sich damit ein Lichtbogen der Lüge um den im Windschatten von Dresden liegenden Ort an der Elbe, den es auszunutzen gilt.

Von lokalen Politikern als störendes Sammelsurium von Sperrmüll und Trödelmarkt betrachtet, genießt das Lügenmuseum international höchste Anerkennung. Als Geheimtipp entwickelte sich das Haus der Heiterkeit zu einem Stern am Himmel der Kunstwelt.

Initiator Richard von Gigantikow wurde mit Kunstpreisen behangen. Er wurde zur Biennale nach Venedig eingeladen und stellte in Indonesien, Thailand, Burma, Italien, Frankreich, Polen, England und auf den Philippinen aus.

Augenzwinkernd beweist das Lügenmuseum, dass Humor, Ironie, Satire und Groteske hohe Akzeptanz beim Publikum finden. Das Paradoxon zwischen den oft schwerwiegenden gesellschaftspolitischen Ereignissen und deren künstlerischer Verarbeitung wird dabei sichtbar gemacht und auch aufgelöst. Schon aus diesem Grund ist es die Existenz des einzigartigen Museums wert, sich für seine Erhaltung als lebendiger Ort der schöpferischen Auseinandersetzung einzusetzen.

Dies wurde dann auch auf einem Podiumsgespräch deutlich, das anlässlich des Geburtstages geführt wurde. Kirstin Zinke, Geschäftsführerin Landesverband Soziokultur, Claudia Muntschick, Kreatives Sachsen, Juliane Vowinckel, Kulturgeografin, Stefan Wolle, Historiker vom DDR-Museum Berlin und Prinz Rupi aus Berlin sprachen über Wert und Bedeutung freier Kulturarbeit in einer polarisierenden Gesellschaft.

Dabei zeichnete sich als mögliche Lösung für den Fortbestand des Lügenmuseums ab, das Grundstück zum von der Stadt verlangten Preis von € 310.000,- zu erwerben und dem Museum damit langfristig eine Existenz zu sichern. Der Charme des Gebäudes in all seiner Morbidität würde auf diese Weise gewahrt bleiben, und die Künstler um Richard von Gigantikow könnten weiter an ihren anarchischen Projekten arbeiten.

Ein entsprechendes Angebot liegt der Stadt Radebeul vor. Es liegt nun an der Radebeuler Stadtregierung, eine zukunftsweisende Entscheidung zu treffen.

Neue Karikaturenausstellung im Heimatmuseum Radeburg

Sieger des Heinrich-Zille-Karikaturenpreises 2022 zeigt seine besten Arbeiten

Markus Grolik hat viele Talente. Er schreibt Bücher, erfindet Figuren, fährt einen alten Dacia, ein noch älteres Fahrrad – und verliert dabei niemals den Humor. Das macht ihn obendrein zu einem gewitzten Cartoonisten, zu einem der besten Karikaturisten in Deutschland. Soeben hat er mit seinem Werk „Aufladen“ den renommierten Heinrich-Zille-Karikaturenpreis der Stadt Radeburg gewonnen, dotiert mit 1.000 Euro, ausgelobt von dem Ort, in dem der große Maler und Zeichner Zille zur Welt kam. Das Preisgeld stiftet in diesem Jahr das Ingenieurbüro für Verkehrsanlagen und -systeme IVAS. Kuratiert wird der Preis seit Anfang an von der Galerie Komische Meister Dresden.

Cartoon von Markus Grolik


In der exklusiven, am 17. September öffnenden Personalausstellung darf Markus Grolik sich von allen Seiten seines zeichnerischen Könnens zeigen. Vor allen Dingen mit seinen zeitlosen Karikaturen zu allen Lebenslagen, ob es nun um Liebe, Verkehr, Geld oder den ganzen Rest geht. Alles Menschliche und Alltägliche dient als Vorlage für den sympathischen Verdreher der Wirklichkeit – was in diesem Falle heißt: Markus Grolik stellt die Welt vom Kopf auf die Füße. Allein das reicht heute schon, um als gerissener Witzbold zu gelten. Seine Cartoons liefern den Beweis dafür.

Cartoon von Markus Grolik


Auch Illustrationen zu Groliks Kinderbüchern und seine Comiczeichnungen sind Teil der neuen Ausstellung im Heimatmuseum Radeburg. Beim Verlag Rowohlt heißt es über den 1965 in München geborenen Künstler, der nach einem Kunststudium seit 1995 freiberuflich arbeitet: „Neben dem Illustrieren und Schreiben von Kinderbüchern sind Comics seine große Leidenschaft. So erhielt er 2004 auf dem Comicsalon Erlangen bereits zum zweiten Mal nach 1995 den ICOM Independent Comic Preis und 2003 das Atelierstipendium des Bayerischen Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kultur. Für seine Serie um den sympathischen Privatdetektiv Perry Panther wurde er 2003 für den Deutschen Kinderkrimipreis nominiert.“

Erwachsene und Kinder sollten diesmal unbedingt gemeinsam in die Ausstellung mit Werken von Markus Grolik gehen. Denn seine Ideen verbinden Alt und Jung. Ganz im Sinne des großen Zille, dessen Gesellschaftskritik immer mit einem Augenzwinkern einherging, so schwierig die Verhältnisse auch waren, die er mit dem Stift launig und wissend dokumentierte.

Mario Süßenguth
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Heinrich-Zille-Str. 9
01471 Radeburg
Tel.: 035208/96175 oder 035208/96170
Mail: museum@radeburg.de
Web: www.museum.radeburg.de
www.radeburg.de /www.komischemeister.de

Vereint und miteinander

Zum ersten Radebeuler Vereinstag hatte das TEAM RADEBEUL am 3.9. vor den Radebeuler Kultur-Bahnhof eingeladen. Von 10 bis 14 Uhr konnte man hier über den Platz schlendern, sich über die Angebote von 24 Vereinen informieren, dem Chorgesang lauschen, den Vorführungen von Sportvereinen zusehen, vieles ausprobieren und sich mit Kaffee, Kuchen, Getränken und einem Imbiss stärken.

Vereinstag vor dem Kultur-Bahnhof


Das Deutsche Rote Kreuz hatte beispielsweise einen Krankenwagen mitgebracht, den man von innen besichtigen konnte. Beim Astroclub konnte man durch ein Fernrohr die Sonne beobachten, beim Radebeuler Handballverein war man eingeladen zum Büchsenwerfen, beim Yorokobi e.V. zum Schminken. Der Deutsche Kinderschutzbund OV Radebeul füllte Helium in Luftballons, der RBC hatte einen Tischkicker dabei und der Förderverein vom Karl-May-Museum lud zum Lassowerfen ein.

Der Männerchor „Liederkranz 1844“ eröffnete den Tag und auch der Lößnitzchor gab einige musikalische Kostproben seines Repertoires zum Besten. Zum krönenden Abschluss wurde die Darbietung der Nablus Circus School, die vom Kinder- und Jugendzirkus Sanro im Rahmen der KinderKulturKarawane nach Radebeul eingeladen worden war. „Being Seen“ ist eine beeindruckende Vorstellung der Zirkusartistinnen und -artisten über ihren Alltag in Palästina.

Viele Familien mit Kindern nutzten die Gelegenheit und verbrachten einen kurzweiligen Vormittag vor dem Kultur-Bahnhof. Auch Senioren kamen, um sich über Möglichkeiten des ehrenamtlichen Engagements zu erkundigen.

Der Vereinstag soll auch im kommenden Jahr wieder stattfinden und ein fester Punkt im jährlichen Veranstaltungskalender der Stadt Radebeul werden.

Anja von Bahder

Augusts Afrika – Zu zwei Ausstellungen in Moritzburg

Abbildung: August der Starke als »Chef der Afrikaner«, 1709, Kostümskizze


Noch bis zum 31.10.2022, oder über das kommende Sommerhalbjahr 2023 kann man im Schloss Moritzburg und im Käthe Kollwitz Haus in Moritzburg zwei Sonderausstellungen sehen, die sich mit der Faszination Augusts des Starken für Afrika beschäftigen. Seine Liebe für alles Fremdländische, wie das chinesische Porzellan ist hinreichend bekannt. Weniger bekannt ist, dass er sich selbst in höfischen Maskeraden und Festlichkeiten mehrfach in die Rolle eines „Chefs der Afrikaner“ begab um seine Gäste zu empfangen. Erstmals wird vorgestellt, was man bisher über das Leben der sogenannten „Hof-und Kammermohren“ in Dresden weiß, deren beachtliche Zahl von 80 Menschen dunkler Hautfarbe im Zeitraum von 1650 bis 1750 erstaunen lässt. Ein weiteres Kapitel berichtet über die Herrnhuter Missionare in Afrika im 18. Jahrhundert. Und es geht um die erste wissenschaftliche Expedition, die August der Starke nach Nordafrika entsandte um Tiere, Pflanzen, Mineralien und ethnografische Gegenstände zurück nach Dresden zu bringen. Einige wenige wilde Tiere, wie Löwen und Leoparden, aber auch Strauße kamen 1733 lebendig in Dresden an. Die Strauße fanden ihr Domizil im „Indianischen Vogelhaus und Straußenzwinger“ in Moritzburg, dem heutigen Käthe Kollwitz Haus auf der Meißner Str. 7. Dort lenkt uns die zweite Ausstellung mit Fotografien der bekannten Leipziger Fotografin Karin Wieckhorst auf das heutige Nordafrika. 1997 reiste eine Gruppe von Leipziger Wissenschaftlern und Künstlern auf den Spuren von Augusts Expedition durch Tunesien. Karin Wieckhorst war dabei und hielt interessante Aufnahmen mit ihrer Kamera fest.

Margitta Hensel

Informationen zu den Öffnungszeiten unter www.schloss-moritzburg.de und www.kollwitz-moritzburg.de
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Literaturhinweis: Eberhard Görner beschreibt in seinem Buch „Abenteuer Afrika“ anhand umfangreicher Recherchen die abenteuertliche Reise der sieben Männer, an der Spitze der Leipziger Mediziner Johann Ernst Hebenstreit. Allen, die das Wissen um diese Expedition noch vertiefen wollen, sei dieses Buch empfohlen. Erschienen ist es im Chemnitzerverlag, ISBN 978-3-944509-13-6.

Editorial

Wenn unsere geschätzte Leserschaft diese Zeilen liest, wird das 30. Herbst- und Weinfest und XXV. Internationale Wandertheaterfestival in Radebeul leider schon wieder Geschichte sein.

Während diese Zeilen jedoch noch am Vorabend des Festes verfasst wurden, fiebern noch zahllose Menschen in freudiger Erwartung auf ein fulminantes Wochenende mit Kunst, Theater und natürlich Wein hin.

Nach den weitreichenden Entbehrungen der letzten beiden Jahre ist das zu feiernde Doppeljubiläum tatsächlich ein beachtenswerter Meilenstein in der Radebeuler Festkultur. Ein ausdrücklicher Dank sei an dieser Stelle nochmals an alle Verantwortlichen gerichtet, die einst und heute zum Wachsen und Gedeihen dieses nunmehr unverzichtbaren Kulturschatzes beigetragen haben.

Nun endlich werden auch wieder zahlreiche Künstler aus aller Welt den Weg nach Radebeul gefunden haben, um ihre Künste und Attraktionen dem staunenden Publikum zu präsentieren.

Und was wäre schließlich das Fest ohne das unvergleichliche „Finale Grande“ mit seinem magischen Feuerrausch auf den Elbwiesen? Immer wieder werden hier tausende Wünsche auf kleinen Zetteln mit dem Feuer hoch in den Nachthimmel getragen, die vielleicht hier unten ein kleines Stück für eine bessere und friedlichere Welt beitragen können.

Und so soll das Fest seinem diesjährigen Motto folgen: »VIVAT!«

Sascha Graedtke

Serkowitz.Neubau


Filmclub mobil präsentiert

3. Thematischer Filmclubabend
Donnerstag, 15.9.2022, Einlass 19.00 Uhr
Beginn 19.30 Uhr
in der Kunstscheune Altnaundorf 6
01445 Radebeul

Gezeigt wird
„Karbid und Sauerampfer“
1963, DDR, DEFA-Lustspielklassiker, P 16

Zum Inhalt: Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges liegt Dresden in Schutt und Asche, darunter auch die Zigarettenfabrik. Die soll wieder aufgebaut werden. Doch beim Wiederaufbau muss man schweißen und zum Schweißen benötigt man Karbid. Also wird der Arbeiter Kalle, von seinen Kollegen nach Wittenberg geschickt, wo er sieben Fässer Karbid erhält. Allerdings gestaltet sich der Rückweg ohne eigenes Fahrzeug und nur mit Zigaretten als einzigem Zahlungsmittel ausgestattet, schwieriger als gedacht. Unterwegs lernt Kalle die junge Bäuerin Karla kennen. Gern wäre er bei ihr geblieben, doch in Dresden wartet man auf die Fässer mit dem Karbid. Mehrfach zwischen sowjetischen und amerikanischen Sektoren wechselnd, heißt es für Kalle sehr trickreich zu agieren. Hinzu kommt, dass er sich einer lüsternen Witwe erwehren muss und es zwei Diebe auf seine Fässer abgesehen haben. Trotz aller Turbulenzen bringt Kalle schließlich zwei Fässer Karbid ans Ziel und auch mit seiner Karla gibt es ein Happy End. Unter welchen Umständen die restlichen fünf Fässer abhandengekommen sind, das alles zeigt auf vergnügliche Weise der Film.

Erwin Geschoneck, der die Rolle des Kalle spielt, wirkt als Arbeiter sehr authentisch und beweist sein großartiges komödiantisches Talent. Als Karla ist die junge Dresdner Schauspielerin Marita Böhme zu erleben und in der Rolle eines schlitzohrigen Sängers der bekannte Sänger Rudolf Asmus. Sehr erfrischend werden die Lebensumstände und Alltagsschwierigkeiten unmittelbar nach Kriegsende aus einer heiteren Perspektive dargestellt. Das mit vielen Pointen gespickte Drehbuch von Hans Oliva-Hagen und Frank Beyer überzeugt durch soziale Genauigkeit und ironisch politische Untertöne.

Karin Baum und Michael Heuser, Sprecher der Cineastengruppe „Film Club Mobil“ im Radebeuler Kultur e.V.

Reservierungen erbeten!
Kontakt: 0160-1038663
info@radebeuler-kultur.de

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… von flüchtigen Momenten …

tabula rasa | in wandlungsfreiheit
begehbare Installation
Hofgeismar in Nordhessen | 2021

April 2020. Damals, als das C sich wie eine große Ungewisse über uns legte, empfand ich jene Frühlingstage als unheimlich kraftvoll und energiegeladen. Nie zuvor erlebte ich solch einen Moment des Stillstandes so flächendeckend, weltweit, zugleich. Und genau in diesem Zur-Ruhe-Kommen loderte so viel Energie für Veränderung, die Chance für einen Neuanfang. Es entstand der Entwurf zur tabula rasa – ein frei wandelbarer, begehbarer Raum:

Alles ist ungeahnt, anders, neu. Das Blatt wieder weiß und unbeschrieben – ursprünglich und leer, frei aller Erfahrungen und Erwartungen. Es ist an uns, es neu zu beschreiben. Wir haben die Chance, die Wandlungsfreiheit, die Streifen des Blattes neu zu ordnen, den Raum neu zu formen, einen neuen Weg zu eröffnen … und ihn zu gehen.

Eineinhalb Jahre später fand es dann schließlich statt, das Windkunstfestival, und ich ließ die Arbeit in einem lichten Kiefernwald entstehen. Die Menschen bahnten sich ihre eigenen Wege durch die Papiere und konnten dabei erspüren, wie ihre Entscheidungen den weiteren Bewegungsraum beeinflussen. Eines Septembermorgens erwachte ich inmitten jener mystischen Stimmung, während die tabula rasa ganz licht aus dem Nebel hervortrat. Keine Ablenkung. Keine Orientierung. Alles ist möglich … in diesem flüchtigen Moment.

Constanze Schüttoff

Eine Gruppe von Radebeuler Häusern im Doppelpack – Winzerhaus und Villa

Foto: D. Lohse

Wenn man die beiden Baugruppen von typisch Radebeuler Häusern einzeln betrachtet, glaubt man nicht, daß sie als Zusammenbau, quasi „Zwitterhäuser“, eine Daseinsberechtigung haben könnten, also „ein Bild“ ergeben könnten. Es ist ein Kontrastprogramm. Ich dachte, wo heute alle Welt „gendert“ und über mehr als zwei Geschlechter nachdenkt, passen „Zwitterhäuser“ ganz gut dazu. Die nähere Betrachtung soll zeigen, daß aber so unterschiedliche Formen zusammengefügt eine interessante Wirkung erreichen können. Die drei von mir gefundenen und im Folgenden beschriebenen Beispiele lassen bald erkennen, daß es sich um eine spezielle Radebeuler Bauform handelt, die bisher von keinem hiesigen Bauforscher bearbeitet worden sein dürfte. Zunächst möchte ich ein paar Merkmale für jede der beiden Bautypen herausarbeiten und gegenüberstellen, um die Unterschiede zu zeigen.
Winzerhäuser wurden in einer größeren Zeitspanne etwa vom16. bis 19. Jh., im Kern im 17. u. 18. Jh., errichtet. Sie sind an den Weinbau gebundene Zweckbauten von meist einfacher Bauart, klarer Geometrie und unter Verwendung örtlicher Baumaterialien. Städtebaulich sind sie „Einzelgänger“, jeweils bezogen auf einen Weinberg. In den seltensten Fällen wird man einen Baumeister oder Architekten für ein Winzerhaus ermitteln können.

Villen dagegen sind bürgerliche, bzw. auch großbürgerliche Einfamilienhäuser, zT. mit aufwändigen Fassaden und luxuriöser Ausstattung. Sie treten in Radebeul in einer überschaubaren Zeitspanne etwa von der Mitte des 19. Jh. bis 1920 auf. Villen bilden oft einen städtebaulichen Zusammenhang, straßenbegleitend oder um einen Platz gruppiert. Hier gibt es aufwändige Gestaltungen in Grund- und Aufriß mit Türmen, Veranden und Balkonen. Villen haben immer Einfriedungen und Gärten als Umfeld, manchmal auch Parkanlagen. Die Planer von Villen lassen sich in den meisten Fällen über die Bauakten ermitteln, weil es in der Bauzeit bereits üblich geworden war, Planunterlagen einzureichen und diese zu archivieren.
Welche Gründe könnte es aber für eine eher seltene, baulich enge Kombination dieser beiden so verschiedenen Bautypen gegeben haben? Diese Kombination setzt erst einmal das Vorhandensein von Winzerhäusern voraus, wo dann nach Niedergang des Weinbaus (u.a. wegen der Reblaus) eine Verdichtung mit Villen stattfinden konnte – also in den Ortsteilen Ober- und Niederlößnitz. Der Normalfall beim Hausbau, so auch bei einer Villa, ist der Erwerb eines freien, bebaubaren Grundstücks. Dann gäbe es noch die Situation, daß auf dem Grundstück schon ein älteres, vielleicht baufälliges Haus steht – hier wäre ein Abbruch nötig, ehe mit dem Bau der Villa begonnen werden könnte. Ein Sonderfall ist dann der Erwerb eines mit einem zu erhaltenden Winzerhaus bebauten Grundstücks, wo noch eine Villa Platz finden mußte, der Grundstückszuschnitt aber zum Zusammenbau nötigte, oder, wenn eine Großfamilie unterzubringen war, das Winzerhaus als Altenteil, die Villa für die Jüngeren – so oder ähnlich sind die baulichen „Zwitter“ in Radebeul entstanden. Für eine solche Bauaufgabe, eine spezielle Form der Raumerweiterung, braucht der Architekt schon ein gewisses Gespür! Nun will ich in knappen Zeilen die Baugeschichte der drei Standorte, alle drei Häuser sind Kulturdenkmale, chronologisch vorstellen:

Foto: D. Lohse

Foto: D. Lohse

1. Dr.-Rudolf-Friedrichs-Straße 27 (Jägerhof)
Die Errichtung des zweigeschossigen, massiven Winzerhauses schätze ich um 1680, etwas älter als in der Denkmaltopografie genannt, ein. Das hohe Walmdach würde m.E. in diese Zeit passen. Karl Gottlieb Münch beantragte für sein Winzerhaus 1851 die Konzession zum Weinausschank, ab 1864 durfte er die Bezeichnung „Münchs Restaurant“ führen. Unter dem Eigentümer Adolf Louis Eberhardt wird dann 1892 der Bau einer Villa mit Turm als Erweiterung neben dem Winzerhaus beantragt und genehmigt. Den Entwurf und auch die Ausführung dieses großen Schweizerhauses besorgte Baumeister Adolf Neumann (u.a. bekannt durch das Rathaus für Niederlößnitz). Eberhardt eröffnet in dem Neubau seine Gaststätte „Jägerhof“. Geweihe an den Fassaden erinnern noch heute an den Namen der Gaststätte, obwohl sie schon lange geschlossen ist. Von 1907 bis 1931 erfolgten unter verschiedenen Eigentümern bzw. Betreibern bei schlecht laufendem Betrieb vier Zwangsversteigerungen – es war die Zeit des 1. Weltkrieges, der Inflation und der Weltwirtschaftskrise! Ab 1933 beginnt dann die reine Wohnnutzung an Stelle der Gastwirtschaft. Als prominente Mieter sind die Professoren Walter Howard (Bildhauer u. Hochschullehrer) und Fritz Jürgen Obst (Naturkundemuseum DD) zu nennen. Die Nebengebäude im Hof wurden auch gewerblich genutzt, haben aber zu dem Thema meiner Betrachtung keinen Bezug. Hier war es schwer, ein besseres Foto der Gebäudegruppe zu erhalten, weil der Garten inzwischen zugewachsen ist. Deshalb mußte ich auf eine Postkarte von um 1900 zurückgreifen. Hier erscheint das Winzerhaus fast eingeschossig, was aber an einer perspektivischen Täuschung liegt. Zuletzt hatte es wohl einer Familie Häse gehört. 2021 wird u.a. in V&R ein erneuter Verkauf angezeigt, der noch nicht abgeschlossen ist.

Foto: Radebeuler Stadtarchiv

2. Paradiesstraße 48

Das schlichte Winzerhaus aus der 2. Hälfte des 18. Jh. konnte auch keinem Baumeister zugeordnet werden. Durch die Fa. Gebr. Ziller wurde 1875 östlich des Winzerhauses ein flacher Bau mit Verbinder hinzugefügt, der 1908 teilweise in der Villa aufging.

Foto: D. Lohse

Foto: D. Lohse

Der Generalmajor A. Mehlhorn beauftragte den namhaften Dresdner Architekten Georg von Mayenburg (er hat später den Rückumbau von Schloß Wackerbarths Ruhe in der heutigen Form als Entwurf betreut) seinen Altersruhesitz zu planen. Der Bau wurde durch die Firma von Paul Ziller errichtet. Die Nahtstelle zwischen Winzerhaus und Villa ist hier die Längsseite des Winzerhauses. Stilistisch wäre diese, wie auch die unter 3. vorgestellte Villa, der Reformbaukunst, bzw. dem Heimatstil zuzurechnen. Die Frau des Offiziers lebte hier noch bis nach 1945, später verwaltete die Gebäudewirtschaft das Grundstück. Familie Dr. Tobias Plessing erwarb das Anwesen 2006 von Herrn Armin Hoch, der das Haus unsaniert genutzt hatte. Jetzt konnte das Grundstück neu geordnet und Villa und Winzerhaus mit eigenen Wünschen und denkmalpflegerischen Auflagen in Stand gesetzt werden. Freilich ist die Kombination zweier Häuser in dieser Weise städtebaulich nicht optimal, man sieht hier die Villa von der Straße aus nicht, sondern nur das Winzerhaus. Daß sich die Villa ganz dem Garten zuwendet, ist zum Wohnen allerdings ideal.

3. Weinbergstraße 32 / 32a
Auch hier stand das weit vor 1800 errichtete Winzerhaus mit einer Weinbergslage am Berg zuerst da. Anfang des 20. Jh. war es baufällig geworden und sollte eigentlich durch Sanierung erhalten werden. Als dann 1908 der damalige Firmeninhaber, Richard Adolf Lange, der Glashütter Uhrenfabrik Lange & Söhne auf dem westlichen Teil des Grundstücks eine Villa für einen Teil seiner Kinder bauen wollte, fand man bei einer Untersuchung der Bausubstanz des Winzerhauses, das in Kubatur und Gestaltung dem benachbarten Haus Lorenz ähnlich gewesen sein muß, daß es nicht mehr zu erhalten sei. Arch. Paul Ziller (eigene Firma, – nicht Gebr. Ziller) wollte es nach dem Abriß wieder in gleicher Größe und mit gleichen Ansichten neu aufbauen. Dem stimmte die Baubehörde aber nicht zu. Es gibt auch eine künstlerische Ansicht mit freistehender Villa und Winzerhaus vor den Lößnitzbergen, doch diese Idee mußte dann nicht weiterverfolgt worden sein. Nach Hinweisen des Sächsischen Heimatschutzes erarbeitete daraufhin Architekt Steinmetz (angestellt bei der Fa. Gebr. Ziller) das Projekt für die Villa mit Turm, so wie wir sie heute als eine der „Perlen“ der Weinbergstraße sehen können. Das alte Winzerhaus existiert seit 1908 nicht mehr, der Neubau ist einem Winzerhaus ähnlich, jedoch etwas kleiner und in den Zeichnungen gelegentlich auch als „Pförtnerhaus“ der Villa bezeichnet.

Foto: D. Lohse

Die Bauausführung lag in den Händen der Fa. Gebr. Ziller, 1910 war das Haus endlich bezugsfertig. Im Laufe der Geschichte wurde das Grundstück mehrmals geteilt, so daß das einem Winzerhaus ähnliche Gebäude die Weinbergstraße 32a wurde und auch der Weinbergpavillon in halber Hanghöhe, einst wohl Zubehör zur Villa, in andere Hände kam. Ein gehörloses Mitglied der Familie Lange und Sohn des o.g. Lange, Paul Alfred Lange (von Beruf Gärtner) wohnte, wie mir ein ehemaliger Bewohner vom OG des Winzerhauses aus den 50er Jahren sagte, hier noch nach 1945. Die Villa wurde durch Familie Schubert mit wenigen Veränderungen als Kulturdenkmal saniert. Der heutige Eigentümer, der Arzt Dr. Felix Schubert, wohnt seit längerem hier und übernahm den Besitz 1999 von seinem Vater. Der Zusammenbau von Winzerhaus und Villa ist an diesem Standort am besten erlebbar. Einen guten, höher gelegenen Fotostandort fand ich durch freundliche Bereitschaft im gegenüberliegenden Haus.
Ich bedanke mich bei allen Personen sehr herzlich, die mich bei meinen aufwändigen Recherche- und Fotoarbeiten unterstützt haben.

Dietrich Lohse

 

 

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