Schüler entdecken Zukunft und Vergangenheit II

Mit großer Freude kann ich hier berichten, dass es auch in diesem Jahr eine Fortsetzung der Zusammenarbeit des Vereins für Denkmalpflege und neues Bauen Radebeul e.V. und des Luisenstifts gibt.

Die Motivation des Vereins, das bewusste Erleben und das Begleiten von Baukultur in Radebeul an junge Leute weiterzugeben, habe ich in V&R Heft 10/18 beschrieben.

Die Veranstaltung im Oktober 2018 im Weinberghaus des Luisenstifts, zu der wir damals einluden, wurde für alle Beteiligten ein informativer und inspirierender Abend. Der Einladung zur öffentlichen Veranstaltung waren neben Vereinsmitgliedern auch andere interessierte Radebeuler und zu unserer Freude auch Schülereltern (auch wenn es hätten mehr sein können) gefolgt.

In einem großzügigen hellen Raum der Schule stellten verschiedene Schülergruppen ihre Arbeiten mit einer Präsentation vor. Besonders Themen, bei denen es etwas zu erforschen galt, wo scheinbar ein kleines Geheimnis gelüftet werden konnte, schienen besonders Freude gemacht zu haben. Es wurde Literatur, Bilder und Zeitzeugen gesucht und gefunden. Teilaufgaben wurden an verschiedene Mitglieder der Arbeitsgruppen verteilt, Exkursionen unternommen und die Ergebnisse dann in der Gruppe zusammengetragen und diskutiert. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir das Thema einer ehemaligen Laube im Gelände des Luisenstifts, wo sogar an die Wiedererrichtung gedacht wurde oder die Beschäftigung mit der Villa Annabella, die sich so den Blicken entzog.

»Villa Annabella«
Bild: Quelle Wikipedia


Gleichzeitig gab die Veranstaltung auch dem Verein die Gelegenheit, den Schülern seine Anliegen und Aktivitäten aus erster Hand zu erläutern. Dabei zog sich das Zitat „Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen“ als roter Faden durch die Gedanken.

Im Zuge der von den Schülern geleisteten Materialsammlungen waren diese nun schon auf das Wirken des Vereins gestoßen und einige Publikationen oder der Radebeuler Bauherrenpreis waren Ihnen keine Unbekannten mehr.

In der sich nach der Präsentation sehr offen und angenehm entwickelnden Gesprächsrunde konnten wir hinterfragen, wie man den Schüler auch über den Kurs hinaus das Anliegen „Denkmalpflege und neues Bauen“ näher bringen könne. Im Ergebnis gehen jetzt das Jahresprogramm des Vereins oder Einladungen z.B. für die Bauherrenpreiswanderungen oder zur Verleihung des Bauherrenpreises als Information an die Schule, wobei wir uns auch über die Annahme dieser Einladungen freuen würden.
Ganz spontan bot die Familie von Minckwitz an diesem Abend an, dass doch die Schülergruppe sich mal ihr Baudenkmal inklusive Lusthaus auf der Bergkante in der nächsten Zeit ansehen könne. Diese Einladung wurde freudig angenommen und wurde zu einem schönen Erlebnis.

»Minckwitzsches Gut«
Bild: Quelle Wikipedia


In diesem Schuljahr wurde zusammen mit dem Kunstunterricht das Thema „Radebeuler Villen“ aufgelegt. Im Ergebnis soll dazu ein Kalender entstehen. Wir sind schon gespannt, welche Objekte und welche Mittel die diesjährigen Schülergruppen dazu ausgewählt hat.

Um diesen Blick auf die schönen Radebeuler Villen durch Schüleraugen, vielleicht sogar mit künstlerischer Umsetzung, mitzuerleben, laden wir alle Interessierten herzlich zu unserer öffentlichen Veranstaltung am Freitag, 01. November 2019, 19.30 Uhr ins Weinberghaus des Luisenstifts ein.

Wir hoffen, dass auch noch mehr Eltern und Klassenkameraden den Mut haben, die Arbeitsergebnisse ihrer Kinder und Freunde mitzuerleben und sich für die Baukultur Radebeuls begeistern zu lassen.

Katrin Wysujak
Michael Mitzschke

Radebeul geWENDEt

Das Motto, oder, wie wir damals gesagt hätten, die Losung für den heutigen Abend spielt auf Ereignisse an, die vor dreißig Jahren geschahen. Im Herbst des Jahres 1989 stand die, wie sie sich gern selbstkritisch nannte, Partei- und Staatsführung eines eingemauerten zornigen kleinen Landes im Schatten des Großen Bären, einmal mehr vor der Wahl, sich ganz im Sinne Brechts ein neues Volk wählen oder dem aktuellen Volk, das gerade dabei war, sich glücklich aber bestimmt als solches zu fühlen, ein paar Angebote machen zu müssen. Scheinbar etwas klarer sehend, als die greise Führungsetage, verkündete Kronprinz Egon Krenz daraufhin vollmundig: Wir haben die Wende eingeleitet. (DER also war das. Das zu wissen, gehört zur Erinnerungskultur. Und wer heute meint, etwas davon sei unvollendet geblieben, wende sich bitte vertrauensvoll an ihn). Krenz hatte damit jedenfalls gehofft, das Ruder noch einmal rumreißen und retten zu können, was nicht mehr zu retten war.

Das schlechte Beispiel hat, wie so oft, Schule gemacht. Seither verkünden nach jeder Wahl Politiker fast aller Farben, die Botschaft verstanden und die Wende eingeleitet zu haben. Dem Mainstream gehorsam und den bunten Blättern mit den großen Buchstaben, folgen sie willig jeder möglichen oder unmöglichen Auffassung, biegen sich wie ein Rohr im Wind in immer wieder neue Richtungen und wundern sich, nicht als Persönlichkeiten wahrgenommen zu werden.

Zurück zum Thema: Mir ist beim ersten Hören dieser beiden Worte ganz spontan der alte Mantel meines Großvaters eingefallen. Sein ehemals guter – nein, teurer, also sehr guter – Stoff war inzwischen vom vielen Tragen ziemlich abgeschabt und an manchen Stellen schon etwas speckglänzig. In der schweren Zeit nach dem Krieg – mal Hand hoch, wer sich daran noch erinnert – wurde der Mantel gewendet, er wurde auseinandergetrennt und mit der bisherigen Innenseite nach außen wieder zusammengenäht. Da war er wieder wie neu.

Ich halte es für ein großes Glück, daß nur die Generation 70+ diese Jahre noch aus eigenem Erleben kennt. Freilich darf das Wenden eines Mantels noch zu den sinnvollen Erscheinungen jener Jahre gerechnet werden, das sich im Sinne der Ressourcenschonung auch heute noch lohnen könnte. Hier dürfen wir also mal zu Recht stolz sein auf unsere Großväter und vor allem natürlich auf unsere Großmütter, denn die haben genäht, während die Männer bloß im Kriege waren.

Doch wie die Wahlergebnisse zeigen, ist das Glück brüchig. Und wenn die Borisse und Donalds dieser Welt ihre paranoiden Egoismen weiterhin so ungehemmt ausleben wie bisher, werden wir hier im Gauland eine neue schwere Zeit kaum vermeiden können.

Inzwischen hat ja das Klima von sich aus die Wende eingeleitet. Es hat dabei weder auf Wahlvölker noch auf Mehrheitsverhältnisse, geschweigen denn auf Chinesen Rücksicht genommen.

Aber unser Thema heißt ja Radebeul.

Die heißen Sommer nützen dem Wein und helfen Heizkosten sparen – also was solls, haltet den alten Mantel, gewendet oder nicht, in den Ostwind und freut euch des Sommers.

Was aber bedeutete es vor dreißig Jahren wirklich, einen Mantel zu wenden, der Radebeul hieß?

Von Kötzschenbroda etwa wurde nichts weniger als das komplette Schicksal gewendet. So ist es zwar heute auch kein Dorf mehr, aber es gibt auch keine WBS 70 Wohnblocks. Es läßt sich hier leben und es gibt mehr besuchenswerte Gastwirtschaften, als in einer Woche zu bewältigen sind – aus meiner Sicht eher ein Grund zu Dankbarkeit als zum Protest.

Wo früher Gärtnereien waren, gibt’s es jetzt Wohnparks. Dafür kommt das Gemüse aus Holland. Das schafft neben wichtigen Arbeitsplätzen im Transportwesen und in der Automobilindustrie vor allem Treibhausgase.

Wo früher Kulturhäuser waren, gibt es jetzt Eigenheime. Dafür entstand im Osten der Stadt ein Kulturbahnhof, der seinen Namen zurecht trägt und ebenfalls alle Anerkennung verdient.

Der Bahnhof in Radebeul West ist zwar auch kein Bahnhof mehr, dafür heißt er wieder Kötzschenbroda. Offenbar versteht es die Bahn, auch ohne Höfe Akzente zu setzen. Die Vorstände in Saarbrücken und Berlin wissen einfach, was außer Fernzügen in Radebeul ankommt.

Solange es noch steht, steht das schöne alte Empfangsgebäude unter Denkmalschutz. Gäbe es in Radebeul ein Wettbüro, könnten Wetten abgeschlossen werden, wie lange es noch steht. Der sogenannte freie Markt bewirkt da gar nichts, jedenfalls nichts Sinnvolles.

Als das Postamt in West noch kein Papierladen war, gingen zwar die Türen schwerer auf, aber es konnten mehr Leute in der Schlange stehen, ohne naß zu werden.

Erstaunlicherweise stehen vor Feiertagen heute noch fast so viel Leute vor der Post in der Schlange, wie sonntags beim Bäcker. Das hätte es früher nicht gegeben: sonntags beim Bäcker Schlange stehen.

Die 4 – also die Straßenbahn gleichen Namens – kommt immer noch aus Weinböhla, fährt aber nicht mehr nach Pillnitz. Das ist insofern schade, als das Dampfschiff von hier aus auch nicht mehr nach Pillnitz fährt. Aber das hängt nun wieder mit dem Wasserstand und der hängt damit zusammen, daß das Klima, wie angedeutet, die Wende eingeleitet hat.

Die Klimawende – offiziell wird immer noch sanft von Klimawandel gesprochen, vielleicht, weil dabei keine Treuhand gebraucht wird – die Klimawende also ist ja nach fundamentaler Erkenntnis des ultimativen Oberamerikaners eine Erfindung der Chinesen. Dem folgend ist es an der Zeit, die Grenzen dicht zu machen, auf daß die Chinesen ihre Erfindung für sich behalten. Sollen sie das Klima doch alleine wendeln – wir machen da einfach nicht mit.

Da können wir uns nun endlich einbringen: 40 Jahre lang hatten wir uns im Nichtmitmachen geübt, bis wir dann im Herbst 89 gar nicht mehr mitgemacht haben, und der Krenz die Wende – aber das sagte ich ja schon.

Bis dahin war das ein Tanz auf dem Vulkan, der nicht wenige das Leben und viele die Freiheit gekostet hatte. Dann haben die Chinesen – schon wieder die – ein Beispiel gegeben, wie himmlischer Frieden auch aussehen kann. Da war es wirklich gefährlich, die Meinung zu sagen, oder gar die Wahrheit, was ja nicht unbedingt dasselbe sein muß.

Entsprechend hoch war die Angst.

Auf einem Bild, das Dieter Beirich im November unter dem unmittelbaren Eindruck der Montagsdemonstrationen malte, wird sie in ihrer ganzen Vielschichtigkeit greifbar. Er hat es mir später geschenkt, weil ich keinen Grund sah, mit ihm anders zu reden als mit jedem anderen Menschen.

Der Tanz auf dem Vulkan wurde mit dem Tanz auf der Mauer belohnt. Die stand zwar nicht in Radebeul, aber viele haben mitgefeiert. Und plötzlich war die Welt ganz klein geworden. Rom, Paris, New York – über Nacht erreichbar – es war getan, fast eh gedacht. Enttäuscht waren zuerst nur die, die nach 12 oder fünfzehn Wartejahren endlich ihren Trabi abholen durften: Zwölf, fünfzehn Jahre Hoffnung, und im Moment der Erfüllung gibt’s plötzlich richtige Autos und richtige Bücher und richtige Marmelade … Über nachfolgende richtige Enttäuschungen wird zu reden sein – zum Teil rühren die sicher daher, daß wir vor lauter Freude vergessen hatten, was uns Goethe – der jüngst seinen 270. Geburtstag hätte feiern können, wenn das menschenmöglich wäre – mit auf den Weg gegeben hatte. Jetzt nicht gleich einschlafen, ich weiß,
die Schulen aller Zeiten ham uns den vermiest,
so daß den Goethe heute eben
keiner kennt und keiner liest
Und keiner mehr glaubt den weisen Schluß:
Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben,
Der täglich sie erobern muß –

Täglich: und nicht nur in einer glücklichen Nacht im November, bei der auch noch der Zufall seine Hände im Spiele hatte. So richtig paßt mir das, ehrlich gesagt, auch nicht, aber der Mann hatte einfach Recht. Ich bin übrigens inzwischen lange genug aus der Schule raus, um wieder sagen zu können, von Zeit zu Zeit les ich den Alten gern …

In diesem Sinne stimmt nun tatsächlich, was auf einigen dieser Plakate zu lesen war, die wochenlang den Anger verunzierten: Der Egon hat die Wende tatsächlich nicht vollendet – wie denn auch?!

Wir haben ihm das abgenommen, jeder für sich und alle miteinander und wir werden bis an unser mehr oder weniger seliges Ende damit beschäftigt sein:

Immer tapfer, immer heiter, wenden wir uns täglich weiter.
Und wenn das hier nicht klappt, wende ich mich weiter!

Thomas Gerlach, Sept. 2019

Editorial 10-19

Wie bereits vor längerer Zeit angekündigt, wurde nun von uns das Radebeuler Stadtarchiv von „überzähligen“ Vorschau-Heften befreit. Was sich da an Kisten, insbesondere aus den 1990er Jahren angesammelt hat, ist erstaunlich. Warum die Kisten damals keine Verteilung fanden, muss dann auch ein Rätsel bleiben. Tatsache ist aber, dass das aufgefundene Konvolut, verstreut über Monate und Jahre mehrere tausend Hefte bildete, was immerhin einige komplette Monatslieferungen bedeutet. Schade drum!

Die Redaktion verfügt nach mühseliger Sortiererei nun über ein eigenes und wohlgeordnetes Archiv, welches aus all den Jahren und von jedem Monat bestenfalls sieben Hefte verwahrt. Dies ergibt mit einer Kiste pro Jahr nun immerhin 30 Kisten die ihren Raum einfordern.

So ist für Interessierte und Suchende über einen langen Zeitraum ein Fundus gesichert, auch mit der Möglichkeit, seine eigene Sammlung zu vervollständigen.

Kapazitätsbedingt konnten wir leider nicht den gesamten Bestand dislozieren. Einiger „bunter Kisten“ haben wir uns dennoch angenommen, die, solange der Vorrat reicht, bspw. bei Thalia in Radebeul-Ost am gewohnten Platz zu finden sind.

An dieser Stelle möchten wir Sie schon jetzt an unseren Stand beim diesjährigen Grafikmarkt am 3. November einladen, wo Sie ebenfalls ein breites Angebot unserer Ausgaben vorfinden werden.

Sascha Graedtke

Mit Thomas Rosenlöcher poetisch durch das Jahr

Von der Glashütte in den Reichstag

Georg Horn Reichstagsabgeordneter

Zum Gedenken an den 100. Todestag von Georg Horn

Wer von der Kottenleite in Lindenau die Ringstraße aufwärts geht, findet am Fuße der verfallenden Lößnitzburg zwei Häuser aus der Zeit um 1900 einträchtig beieinander stehen, die Villen „ Mathilde“ (Namensschild leider nicht mehr vorhanden) und „Margarethe“. Hier starb vor 100 Jahren ein streitbarer Kämpfer gegen menschenverachtende Arbeits- und Lebensbedingungen in der deutschen Glasindustrie. Aufgewachsen im fränkischen Steigerwald musste er frühzeitig in einer Glashütte für seinen Lebensunterhalt sorgen. Später engagierte er sich im Dresdner Raum als Gewerkschafter für die Interessen der Glasarbeiter und wurde Kommunal- und Landespolitiker. Krönung seines Wirkens war eine über zwei Jahrzehnte währende Mitgliedschaft im Deutschen Reichstag als Abgeordneter der sozialdemokratischen Fraktion. Mit der folgenden Würdigung möchten wir sein Andenken wieder wachrufen; vielleicht findet die Stadt Radebeul auch eine Möglichkeit, ihm so wie bereits seinem Freund August Kaden eine Straße zu widmen.

Margarethe und Georg Horn 1892

Geboren wird Georg Horn am 30. August 1841 in Fabrikschleichach als unehelicher Sohn der Barbara Horn. Bereits Großvater und Urgroßvater arbeiteten als Glasmacher im Steigerwald. Von 1847 – 1854 besucht er die nur recht mangelhafte örtliche Volksschule. Trotzdem beschreibt Georg Horn seinen Schulbesuch als Vergnügen. Sein Empfinden für Gerechtigkeit ist schon frühzeitig ausgebildet. Er vermerkt in seinen Lebenserinnerungen: „Ein in meinem Innern schlummernder Gerechtigkeitssinn erstarkte immer mehr und kam manchmal recht impulsiv zum Ausdruck.“ Georg Horn ist kaum 13 Jahre alt, da muss er als Schürer in der Glashütte arbeiten („…ebenso schwere wie ungesunde Arbeit“). Eine Lehrzeit als Glasmacher schließt sich an. Seine große Liebe Margaretha Bickel kennt Georg Horn schon aus der Volksschule. Bereits vor ihrer Eheschließung 1867 stellt sich Nachwuchs ein. Dem jungen Paar fehlt in Fabrikschleichach jedoch die Existenzgrundlage. So begibt sich der Familienvater auf Arbeitssuche in die Schweiz und arbeitet später u.a. in Biebrich am Rhein und in der Glashütte Korbetha, wo er sich zum Meister qualifiziert.
1869 zieht Georg Horn mit seiner Frau und nunmehr zwei Kindern nach Dresden. Die Familie wohnt bis etwa 1889/90 in der damaligen Dresdner Vorstadt Löbtau in der Wilsdruffer Straße (heute Kesselsdorfer Straße), wo sich noch weitere Kinder einstellen. In Löbtau findet Georg Horn eine Anstellung in der nahegelegenen Dresdner Glasfabrik Friedr. Siemens. Die Glasfabrik wird als Zentrum organisierter Arbeiterbewegung beschrieben, woran Georg Horn, der auch hier verbesserte Arbeitsbedingungen der Glasarbeiter einfordert, maßgeblichen Anteil hat. Von ihm wird 1873 der erste Streik der Glasarbeiter in Löbtau organisiert. Auf Betreiben von Georg Horn wird im September 1875 der Erste Kongress der Glasarbeiter Deutschlands im Dresdner „Waldschlößchen“ einberufen, auf dem die Gründung einer Glasarbeiter-Gewerkschaft mit dem Namen „Allgemeiner Glaskünstler-Bund Deutschland“ (später „Bund der Glasarbeiter Deutschlands“) beschlossen und Horn als Vorsitzender gewählt wird. Gleichzeitig ist er jetzt auch Vorstand einer neu gegründeten Glasarbeiterkranken- und Sterbekasse, eine Funktion, die er viele Jahre ausübt. Sein gewerkschaftliches Engagement führt ihn als deutschen Vertreter auf die internationalen Glasarbeiterkongresse in Paris 1889 und London 1892.
In der Flaschenfabrik Kreuznacher Glashütte (Rheinland-Pfalz) war Georg Horn bereits 1867 mit 27 Jahren in den „Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein“ (ADAV) eingetreten. Dieser und die 1869 gegründete Sozialdemokratische Arbei terpartei(SDAP) schließen sich im Mai 1875 in Gotha zur Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands zusammen (SAP). So kommt Georg Horn im Herbst 1890 zur Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD). Dort ist er Mitglied bis zum März 1916.

Glashütte Fabrikschleichach, Rekonstruktion

Das Jahr 1878 wird für die Sozialdemokratie zum Schicksalsjahr. Unter den neuen Bedingungen des „Sozialistengesetzes“ 1878-1890 fühlen sich nun auch die Glashüttenbesitzer darin bestärkt, konsequent gegen „sozialdemokratische Umtriebe“ in ihren Unternehmen vorzugehen. So kündigt die Firma Siemens das Arbeitsverhältnis mit Georg Horn zum Jahresende. Der Familienvater verliert nach etwa zehnjähriger Tätigkeit seinen Arbeitsplatz. Für ihn gibt es keine Chance, in einer anderen Glasfabrik eine neue Anstellung zu finden. Längst ist er als unliebsamer Agitator und „Hetzer“ bei den Hüttenbesitzern bekannt und gefürchtet. Nun gilt es den Lebensunterhalt für die Familie anderweitig zu sichern. Georg Horn wird 1879 Inhaber eines Lebensmittelgeschäftes. Später wird er im Reichstagshandbuch und in Adressbüchern als Redakteur und Schriftsteller geführt.
Am 30.Juni 1877 erscheint die erste Nummer der „Neuen Glashütte“, ein von Georg Horn herausgegebenes Fachorgan der deutschen Glasarbeiter, dessen Herausgabe schon bald durch das Sozialistengesetz abgebrochen wird und das 1885 als „Der Fachgenosse“ neu ersteht. Im gleichen Verlag erscheint 1897 eine 91seitige Broschüre zu den Rechten und Pflichten der Glasarbeiter, verfasst von Georg Horn. „Die Geschichte der Glasindustrie und ihrer Arbeiter“ (1903) von Georg Horn wird in aktuellen Publikationen zur Geschichte der Glasindustrie auch gegenwärtig noch erwähnt. Seine als Manuskript erhaltenen „Lebenserinnerungen“ beginnt er vor seinem 75. Lebensjahr, sie bleiben aber leider unvollendet.
Von 1885 bis 1896 vertritt er seine Partei im Gemeinderat Löbtau und ficht schwere Kämpfe mit dem Vorstand und den konservativen Mitgliedern aus. Im November 1891 wird Georg Horn als Vertreter des 16. Wahlkreises Tharandt in den sächsischen Landtag (II. Kammer) gewählt. Von seinen Parteigenossen gehören die „Urgesteine der Sozialdemokratie“ August Bebel (1881-1890) und Wilhelm Liebknecht (1879 bis 1892) dazu. Auch seine Freunde Friedrich Geyer (1885-1896) und August Wilhelm Kaden (1885 bis 1896) gehören zeitgleich mit ihm zur II. Kammer. Bürgerliche Parteien setzen 1896 eine Wahlrechtsänderung vom Zensus- zum Dreiklassenwahlrecht durch. Das führt dazu, dass die Sozialdemokraten aus der II. Kammer verdrängt werden. Georg Horn und weitere Genossen sind nach 1896 nicht mehr vertreten..
„Das größte Vertrauen überbrachten mir aber die Genossen des 6. sächsischen Reichstagswahlkreises, indem sie mich im Jahre 1895 bei einer Ersatzwahl in den Reichstag wählten, dem ich bis zu seiner Auflösung während der wahnsinnigen Kriegsperiode angehörte“.
In vielen seiner Reden im Reichstag geht es ihm während seiner gesamten Zeit als Abgeordneter um eine Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen ausgewählter Berufsklassen und um das Problem der gewissenlosen Ausbeutung von Kindern in der deutschen Glasindustrie. Schon im frühen Verlauf des Ersten Weltkrieges spricht sich ein immer größerer Teil der SPD-Abgeordneten im Reichstag gegen die Unterstützung des Krieges aus. Im Dezember 1915 votieren 19 Abgeordnete, unter ihnen Georg Horn, zusammen mit Karl Liebknecht gegen die Bewilligung weiterer Kriegskredite. Der Streit über die Haltung zum Ersten Weltkrieg führt zur Spaltung der deutschen Arbeiterbewegung. Die Abweichler bilden zunächst die Fraktionsgemeinschaft Sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft (SAG) innerhalb des Reichstages. Die SAG beschließt im April 1917 in Gotha die Gründung der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD). Dieser Partei gehört Georg Horn bis zu seinem Tod an.

Villa Margarethe, Haus von Georg Horn

Als Herausgeber und Redakteur einer gesellschaftskritischen Zeitschrift („Der Fachgenosse“) und als Agitator sieht sich Georg Horn zunehmenden Strafverfolgungen ausgesetzt. Zwar genießen die Reichstagsabgeordneten Immunität, allerdings nur während der Sitzungsperiode. „Mein rücksichtsloses Eintreten für die Kollegenschaft in Wort und Schrift hatte natürlich zur Folge, dass sich der ganze Hass und Zorn der Unternehmer über mich ergoss und ich wegen fortgesetzter Kritik der Unterdrückung und Ausbeutung 25 Monate ins Gefängnis wandern musste; auch Geldstrafen blieben mir nicht erspart“. Im Landesgefängnis Zwickau arbeitet er am Konzept zu einer Geschichte der Glasindustrie und verfasst Gedichte, in denen sich seine Trauer über die verlorene Freiheit widerspiegelt. Beispielhaft ist hier der erste Teil von „Des alten Jahres Abschied 1896“

„Das Jahr ist um, ein Jahr fängt an!“
So ruft herab von Turmes Höh‘n
der Glocken reiner eherner Mund,
den Scheidegruß zur zwölften Stund‘
dem alten Jahr „kein Aufersteh‘n!“
„Kein Wiederseh‘n!“ Ruf ich ihm zu,
„Du hast geraubt mir Glück und Ruh‘.“
Und mit den Glocken stimm‘ ich an:
„Das Jahr ist um! Ein Jahr fängt an.“

Auch die Sehnsucht nach seiner Familie bringt er darin zum Ausdruck. 1897 bezieht die Familie Horn eine Villa in Kötzschenbroda/Oberort (Ringstr. 36d, jetzt Nr. 12). Etwa ab 1900 bewohnen auch Tochter und Schwiegersohn Mathilde und Hermann Schneider die benachbarte Villa Mathilde.
Das Jahr 1919 beginnt mit inneren Unruhen – Spartakusaufstand, Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. Die innenpolitischen Verwerfungen im Deutschen Reich, die Ungewissheit über künftige Machtverhältnisse und der Tod seiner Frau im Jahr zuvor haben bei Georg Horn gesundheitliche Spuren hinterlassen. Doch kann er noch feststellen, dass sich sein unermüdlicher Kampf zur Durchsetzung von Arbeiterrechten letztendlich gelohnt hat. Wohl in diesem Bewusstsein verstirbt er am 18. August 1919 in Lindenau. Angehörige und ehemalige Parteifreunde sorgen für eine angemessene Bestattung auf dem Friedhof in Kötzschenbroda.

Rainer Horn, Rolf Haußig

Offene Ateliers in Radebeul und Umgebung

Fast auf den Tag genau nach der Premiere vor zwei Jahren veranstalten die KunstSpuren am 15. September 2019 die Offenen Ateliers 2019 in Radebeul und Umgebung.
14 Mitglieder der KunstSpuren laden alle Interessierten an den Ort ein, an dem normalerweise im Verborgenen gearbeitet wird. Von 10 bis 18 Uhr erwarten die Besucher ganz persönliche Einblicke in die Welt der Farben, Formen und unterschiedlichsten Techniken: von Druckgrafik über Malerei und Zeichnung bis zur Fotokunst sind vielfältige Genres vertreten.
Den Besuchern bietet sich somit die seltene Gelegenheit, „hinter die Kulisse“ zu schauen, den Kunstschaffenden ganz privat zu begegnen, ins Gespräch zu kommen – und sein Lieblingsbild zubentdecken und zu erwerben.
Weitere Informationen über die teilnehmenden Künstlerinnen und Künstler und einen Lageplan der geöffneten Ateliers sind zu finden unter www.kunstspuren-radebeul.de sowie in den in vielen Geschäften und Institutionen der Region ausliegenden Broschüren. Es öffnen sich die Ateliers von Uwe Beyer, Sophie Cau, Christa Günther, Silvia Ibach, Cornelia Konheiser, Gabriele Kreibich, Klaus Liebscher, Peter PIT Müller, Anita Rempe, Gabriele Seitz, André Uhlig, Ralf Uhlig, Irene Wieland, Bettina Zimmermann.
Die KunstSpuren Radebeul ist eine Gemeinschaft bestehend aus 15 Kunstschaffenden, die seit 2015 gemeinsam agieren. Ziel ist es, einen Ausschnitt zu zeigen aus der Vielfalt der künstlerischen Positionen, die hier im Elbland entstehen.
Genauso wichtig ist der Gedanke, dass es gemeinsam besser geht!

Silvia Ibach

Kasperklatsche wechselte

Auszug vom Titelblatt des Programmheftes, Gestaltung Stefan Voigt

Nachbetrachtung zur 32. Radebeuler Kasperiade
Seit der Kasper im hohen Bogen aus dem Hohenhaus rausgeworfen wurde – man erinnere sich: Land und Stadt wollten das traditions- und kulturträchtige Anwesen in der Radebeuler Barkengasse nicht erwerben – wechselte die Kasperklatsche bereits zum dritten Mal in andere Hände. Nun muss das ja nichts Schlechtes bedeuten, und mit 32 Jahren auf dem Kasperbuckel kann ja ein personeller Wechsel der Macher geradezu wie ein Jungbrunnen wirken, wenngleich der Kasper auf den neuen Werbeträgern etwas erschreckt ins „Nirgendwo“ starrt, als wolle er fragen: „Eh, was macht ihr denn da mit mir?!“
Aus dem beschaulichen Altkötzschenbroda auf oberste Anweisung hin 2013 in den Osten (Radebeuls) zur „Aufbauhilfe“ geschickt, versucht der Kasper seither dort das städtische Flair und den Handel zu beleben – so zumindest lautete damals der höhere Auftrag. Dabei ist es für den kleinen Kasper schon eine echte Herausforderung, sich auf dem riesigen Bahnhofsvorplatz überhaupt bemerkbar zu machen. Kaum aber war er dort angekommen, hat die Händlerschaft von ihm keine Notiz mehr genommen.
Mit dem Standort wechselte auch ein Großteil des Personals und die Kasperklatsche wanderte 2013 in die Hände des damaligen Kulturamtsleiters Alexander Lange (Gesamtleitung) und des Puppenspielers Detlef-A. Heinichen (Künstlerische Leitung). Alleiniger Ausrichter war nun das Amt für Kultur und Tourismus der Großen Kreisstadt Radebeul. Man startete groß durch, und dank eines höheren Budgets führte man auch die eine und andere Neuerung ein. So gab es zum Beispiel ein/zwei Abendvorstellungen für Erwachsene und ein neues Erscheinungsbild.
Durch eine Umstrukturierung innerhalb des Amtes wanderte schließlich 2019 die Kasperklatsche in die Hände der Sachgebietsleiterin für Feste und Märkte Cornelia Bielig und damit in die des künstlerischen Leiters aller Großfeste der Großen Kreisstadt Radebeul Helmut Raeder (2019 unter Mitwirkung von Detlef-A. Heinichen). Jetzt war das Fest endlich dort angekommen, wo es seit 2004 hätte hingehört.
Ganz langsam änderte sich natürlich dabei auch der Charakter dieses Festes für Figurenspielfreunde und Familien. Aus einem Unternehmen von vier gemeinschaftlich agierenden Veranstaltern wurde die Kasperiade zu einem ausschließlichen Vorhaben der Stadtverwaltung Radebeul. Von einer anerkannten Veranstaltung innerhalb der Figurentheater-Szene mit Reflexion in der entsprechenden Fachzeitschrift mutierte die Kasperiade zu einem qualifizierten Stadtteilfest mit Ausstrahlung ins Umland. Das Anliegen der Retter dieses Festes von 2004, die Vielfalt und Breite dieser Kunstgattung sichtbar werden zu lassen, scheint vorerst vorbei. Diesen Eindruck verstärkte auch jener Eingangstext im Programmheft. Statt eines einführenden Textes zum Anliegen der 32. Radebeuler Kasperiade und dem Inhalt des Programms druckte der Veranstalter ein Gedicht von Joachim Ringelnatz ab, welches mit den Worten schließt:

„Wer hier stört und wer nicht gut

Aufpasst, kriegt eins auf den Hut.“

In diesem „pädagogisch wertvolle[n] Angebot“ (SZ, 24.6.2019) scheint sich auch das Fest zu erschöpfen.
Zugegeben, die Örtlichkeiten haben ihre Tücken, dies musste selbst der vormalige künstlerische Leiter Heinichen eingestehen. Und so versuchte der Veranstalter, das Festgelände mit allerlei Angeboten und ungewöhnlichen Gestaltungselementen zu füllen. Wirken die von Muriel Cornejo und César Olhagaray installierten großen transparenten, über den ganzen Platz gespannten, phantastischen Figuren anlassbezogen und verzückend, empfindet man hingegen den Kinderflohmarkt als inhaltlich deplatziert. Nicht immer passt es so vorzüglich, dass man mit dem gerade erworbenen gebrauchten Tretroller zur nächsten Vorstellung fahren kann. Ein Figurentheaterfest mit themenfremden Angeboten aufzufüllen scheint zumindest ein fragwürdiges Konzept.
Freilich hatte der Ausrichter kaum Zeit dieses Fest vorzubereiten. Im vergangenen Jahr wusste er noch nichts von seinem Glück. Dafür wartete das Programm durchaus mit der einen oder anderen anspruchsvollen Inszenierung auf, wenngleich der Spielplan mit „sommerheiß & erdbeereis“ auch eine Wiederholung bereithielt (zu Vorstellungen siehe zweiter Beitrag zur Kasperiade in diesem Heft).

Der Kulturbahnhof, Veranstaltungszentrum der 32. Radebeuler Kasperiade mit vier Spielstätten Fotos: Karin (Gerhardt) Baum

Die Medien scheinen in der Kasperiade immer noch eine Art Kinderbelustigung zu sehen. Geändert hat sich da in der Berichterstattung kaum etwas. Schon 2013 tanzten die Puppen in Radebeul-Ost und am 18. Juni 2019 betitelte die Sächsische Zeitung ihren Beitrag über die Kasperiade mit „Die Puppen tanzen wieder“. Gleichwohl schob das Blatt sechs Tage später eine mehrspaltige Nachbetrachtung hinterher, welche allerdings eher ein Stimmungsbild vermittelte, als dass der Leser etwas über die zehn gezeigten Inszenierungen erfahren hätte.
Liest man auf der Rückseite des Programmheftes die vielen Namen aller an der Organisation beteiligten Mitarbeiter der Stadtverwaltung und der Honorarkräfte, ist man schon etwas verblüfft ob der unterschiedlichen Kasper-Ellen, mit der die bisherigen Veranstaltungen gemessen wurden. Andererseits kann man daran aber auch erkennen, welch hohen Stellenwert die Stadtverwaltung diesem Fest zumisst.
Anstehen mussten offensichtlich die Zuschauer diesmal nicht. Wenn es stimmt, was in der Zeitung stand, dann dürften dieses Jahr etwa 1.000 Besucher zur Kasperiade gekommen sein. Dies mag die Schwierigkeiten aufzeigen, die sich mit einem Neustart selbst von gestandenen Kulturprojekten verbinden können. Die über 1.800 zahlenden Gäste von 2008 mögen für den Veranstalter ein erstrebenswertes Ziel sein. Für die 33. Kasperiade 2020 sollte man jedenfalls schon mal alle Kasperdaumen drücken, damit der Kasper allen kleinen und großen Besuchern wieder ein Lächeln schenken kann.

Karl Uwe Baum

 

Doppelt begabt ist einfach interessant

Ein Besuch beim Schriftsteller und Maler Christian URI Weber

Ich kenne Christian Weber – URI – schon seit etwa 25 Jahren, aber erst eine zufällige (Wieder-)Begegnung im Juni führte uns in einem längeren Gespräch näher zusammen und mündete schließlich sogar in einer Einladung zu ihm nach Hause. Interessanterweise lassen sich die drei Radebeuler Häuser, in denen Weber seit 1984 gewohnt hat bzw. bis heute wohnt, auf einer Gerade anordnen, die den östlichen Rand der Oberlößnitz in Nord-Süd-Richtung schneidet und die sich, weil über die Meißner Straße reichend, bis ins „alte“ Radebeul Richtung Bahnhof Ost erstreckt. Womöglich ist diese beharrliche Verankerung im Osten unserer Stadt auch insgeheim ein Grund dafür, dass Weber seine jüngste und bis in den späten Oktober reichende Ausstellung in der Stadtbibliothek sinnreich mit „Im Osten was Neues“ betitelt hat. Als bildender Künstler ist URI den Radebeulern seit etwa 20 Jahren bekannt, und nicht zuletzt hat auch „Vorschau & Rückblick“ den unterdessen 76 Jahre alt gewordenen studierten Theologen und Psychologen sowie langjährigen Leiter einer kirchlichen Einrichtung in der Oberlausitz vor allem als Maler gewürdigt (vgl. Hefte 8/2008, 12/2008 und 7/2009). Weniger bekannt allerdings sind Webers aktuelle und vor allem auch frühere literarische Ambitionen, die ihn als geistreichen Zeitgenossen und Chronisten der Wendezeit vor 30 Jahren ausweisen. Die Erinnerung an die friedliche Revolution 1989/1990 war für mich auch der eigentliche Anlass gewesen, mich mit dem Künstler zu treffen, aber nicht überraschend streifte unser Gespräch dann doch alle Lebensphasen des einfallsreichen Denkers, der – und das werden wohl die wenigsten vermuten – nach dem Abitur 1962 in Dresden erst einmal eine Lehre als Facharbeiter für Kühlanlagen absolvierte.
Umgeben von eigenen Farbcollagen empfängt mich Christian Weber in seiner Wohnung und heißt mich mit Kaffee und Gebäck im Wohnzimmer willkommen. Ein großes, bodentiefes Fenster gibt den Blick auf den Garten frei und lässt viel Licht herein. „Erleuchtung“ wäre sicherlich ein treffender Begriff, der Webers Motivation für das Schreiben einfängt. Seit seiner Jugendzeit nämlich haben es ihm Aphorismen angetan, also jene pointiert formulierten Gedanken, als deren Vater der Aufklärer Georg Christoph Lichtenberg (1742-1799) gilt. Aphorismen stehen für sich, bedürfen keines Kontextes und sind im besten Falle in einem Satz gebannte Erkenntnisse, verschaffen dem Leser somit ein Aha-Erlebnis. Griffbereit liegt neben dem Lehnstuhl im Wohnzimmer ein Zettelblock, auf dem Weber spontane Einfälle notiert, die er nicht selten in den frühen Stunden des Tages hat. Denn zumeist steht er gegen 4 Uhr auf, genießt die ablenkungsfreie Ruhe im Haus, setzt sich hin und schreibt. „Wann die Muse einen küsst, ist nicht absehbar, man braucht Geduld. Deshalb ist es auch ungünstig, wenn mir während des Autofahrens eine Idee für einen Aphorismus kommt. Denn man muss diese eigentlich sofort notieren, sonst ist sie oftmals gleich wieder weg.“ Seit 1999 hat URI insgesamt zehn von ihm selbst illustrierte Bände mit Aphorismen veröffentlicht, davon die Hälfte im eigenen Galerie-Verlag (bis 2007). Wie kam es eigentlich dazu, frage ich, dass er einen Verlag gründete? Weber lacht verschmitzt und holt zur Erklärung zwei Taschenbücher aus den Jahren 1989 und 1990 hervor. „Ich bleibe! Alltag in der DDR“ heißt das erste, in Stuttgart im Frühling 1989 erschienene Werk. Dieses enthält – so merkwürdig es sich auch für die westdeutschen Leser damals anlassen musste – eine sehr persönliche Begründung dafür, eben nicht, wie so viele andere DDR-Intellektuelle, in jener Zeit einen Ausreiseantrag zu stellen. Mit dem Abstand von 30 Jahren lesen sich die mit nüchternem Blick auf die Wirklichkeit im real existierenden Sozialismus verfassten Notizen noch immer gut, vor allem, wenn man, wie ich, seine eigene Biografie darin teilweise gespiegelt findet. Dieses Buch war erfolgreich, erschien in mehreren Auflagen und wurde sogar ins Französische übersetzt. Ganz so einfach war es im Sommer 1989 allerdings nicht für französische Journalisten, an den in Radebeul lebenden Autor heranzukommen, denn die Stasi saß Weber da längst schon im Nacken. „Wir mussten uns in Ostberlin treffen, hier wäre das nicht gegangen“, erinnert sich Weber. Im zweiten Buch, „Alltag einer friedlichen Revolution. Notizen aus der DDR“, liest man unter dem Datum 18. Dezember folgende Vermerke: „Von Ende September bis Mitte November erreichte mich keine Post mehr aus der BRD und dem Ausland. Offenbar war das Erscheinen meines Buches […] der Grund dafür. […] Die Postsperre von fast sechs Wochen stellte offensichtlich eine Strafe dar.“ Weber kommentiert diese Passage 30 Jahre später ganz nüchtern: „Wenn die Wende nicht gekommen wäre, dann hätte man mich wohl nach Bautzen ins Gefängnis gesteckt.“ Als dann im Jahr 1990 das Presse- und Verlagswesen die neu gewonnene Freiheit in der DDR für sich zu nutzten begann, war Weber einer der Ersten, der Nägel mit Köpfen machte. „Ich wollte einen Verlag für meine eigenen Bücher gründen und damit unabhängig von anderen sein. Die Behörden in Dresden waren übrigens ziemlich überfordert mit meinem Ansinnen. Aber ich ließ mich nicht beirren und gründete den Galerie-Verlag auf der August-Bebel-Straße.“ In den 1990er Jahren hatte Weber ein gutes Gespür für den steigenden Bedarf an touristischer Literatur für Dresden und das Elbland. Angesichts der heutigen Fülle an Stadtführern und thematischen Publikationen kann man sich kaum vorstellen, dass es Weber damals gelang, diese Nische fast exklusiv zu besetzen und zum Marktführer zu werden. 1994 erweiterte er seine Aktivitäten und gründete eine Ladengalerie am Meißner Dom, in dem er neben touristischen Artikeln auch Bilder befreundeter Maler wie Horst Hille oder Gunter Herrmann verkaufte. Zwischenzeitlich hatte er in seinem Verlag mehr als zehn Mitarbeiter, die sich in Radebeul, Dresden und Meißen um Produktion und Vertrieb kümmerten. Auf jene Jahre datiert Christian Weber auch die Entstehung des Künstlernamens URI, der sich vom Adjektiv „urig“ ableitet, wie er erklärt. Über Jahrzehnte war seine in der Jugendzeit schon einmal sichtbar gewordene Neigung zum Malen (sein Vater war Dresdner Architekt und Maler) unter familiären und beruflichen Pflichten verdeckt geblieben, bis sie sich schließlich wieder zeigte und Christian Weber als Erwachsener zum Malen zurückkehrte. Von seinen Malerfreunden, besonders der unlängst verstorbenen Gunter Herrmann ist da zu nennen, wurde er nachhaltig in seinen Absichten bestärkt. Inzwischen sind in den zurückliegenden gut zweieinhalb Jahrzehnten mehr als 200 Werke entstanden, von denen die meisten mit Alkydharzlack bemalte Sperrholzplatten sind. Einige davon haben den Weg in Privatsammlungen im In- und Ausland und in Galerien gefunden, vieles liegt aber auch noch wohlverwahrt zu Hause und kann von Interessenten z. B. anlässlich des Radebeuler Grafikmarktes und der Kunstmesse „Neue Art“ in Dresden erworben werden, an denen Weber seit Jahren mitwirkt. Das Malen nimmt den überwiegenden Teil seines Tages ein, erwähnt URI. Andere Senioren mögen gärtnern oder wandern, musizieren oder kochen – er malt eben tagsüber. Seine Werkstatt im Dachboden bekomme ich leider nicht zu sehen, wohl aber einen Aphorismus zu lesen, der diese Verweigerung auf hintersinnige Weise erklärt: „Nimmst du ihm sein Chaos, zerstörst du ihm seine Ordnung.“ Nicht ohne Stolz verweist Weber darauf, dass seine Aphorismen inzwischen auch im deutschsprachigen Ausland Anerkennung finden und einige seiner Geistesblitze etwa auf großformatigen Wandkalendern abgedruckt sind und dabei in ehrenvoller Nachbarschaft zu beispielsweise Oscar Wilde und Karl Kraus stehen. Tatsächlich engagiert sich Weber für die Pflege des Aphorismus und ist in dieser Rolle auch als Gründungsmitglied des Deutschen Aphorismus-Archivs in Hattingen/Ruhr bekannt – als einziger Vertreter aus Ostdeutschland übrigens.
Der Kaffee in meiner weißen Porzellantasse ist kalt geworden, so sehr haben mich Christian Webers Einlassungen zu seinem schriftstellerischen und malerischen Schaffen gefesselt. Eine letzte Frage liegt mir nach all dem Gehörten noch auf dem Herzen. Wenn er sich nun aufgrund altersbedingter Umstände einmal entscheiden müsste – Schreiben oder Malen, wofür würde sein Herz mehr schlagen? URI zögert keine Sekunde: „Für das Schreiben“. Auf dem Nachhauseweg fällt mir dazu ein Gedanke ein, vielleicht ist es ja sogar ein Aphorismus? „Doppelbegabung: auf das eine um des anderen Willen verzichten zu können.“
Bertram Kazmirowski

Tipp: “Im Osten was Neues“. Bilder von Christian Uri Weber. Stadtbibliothek Radebeul. Galeriegespräch und Lesung am 17. September, 19 Uhr, Ausstellung bis 24. Oktober.

„Tag des Offenen Denkmals 2019“ am 8. September

„Tag des Offenen Denkmals 2019“

am 8. September

Aktuelle Ansicht der Produktionshalle ZERMA

In diesem Jahr steht der Tag unter dem Motto „Modern(e): Umbrüche in Kunst und Architektur“. Auch der „Tag des Offenen Denkmals“ konnte sich mit der Wahl des Mottos nicht dem 100-jährigen Jubiläum der Gründung der Hochschule „Staatliches Bauhaus in Weimar“ 1919 entziehen. Verständlich, denn längst sind unter den Denkmälern zahlreiche Gebäude der „Moderne“ zu finden – zum Unverständnis oder Leid des einen oder anderen Freundes des „Tages des Offenen Denkmals“.
Dabei wünschte man sich heute eine Ausbildung von Architekten, die bildende, darstellende und angewandte Kunst zeitgemäß miteinander verbindet wie es im Bauhaus gelehrt wurde. Eine Ausbildung für Visionen und nicht für die rasche Abarbeitung von Bauherrenwünschen – gerne auch eine Schule „der Gesellschaft“ für Angemessenheit, Maßstäblichkeit, Farbe und Material.
Die Stiftung Deutsche Denkmalpflege zielt mit Ihrem Motto nicht unmittelbar auf Denkmäler der „Moderne“ – vielmehr lässt sie sich vom Begriff inspirieren. Sie möchte anregen am 8. September, bei jeglichem Denkmal nach Elementen zu suchen, die zur Zeit ihrer Errichtung oder bei späteren Umbauten „modern“ waren – also nicht den Traditionen entsprachen.
Dies können neue Stilelemente und Schmuckformen sein wie wir sie an Jugendstil- oder Werkbundhäusern heute bewundern und lieben. Es sind aber auch technische Neuerungen, die wir heute nicht mehr missen möchten – sei es eine Heizungsanlage, das „WC“ oder die heute altmodischen Kastenfenster. Nicht zuletzt sollte die Suche neuen Materialien und Konstruktionen gelten. Hier muss ich unwillkürlich an die Lamellendachkonstruktion des Luthersaales in im Pfarrhaus Altkötzschenbroda denken – ein wahrhaftig konstruktiv-ästhetisches Kleinod!
Wir möchten Sie am 8. September einladen, in der Produktionshalle der ehemaligen Radebeuler Maschinen­fabrik August Koebig & Co sowohl moderne bauliche Konstruktionen und Arbeitsstätten der Jahr­hundertwende zu entdecken, als auch am anstehenden „Umbruch“ für zukünftige Nutzungen teilzuhaben.

Bauernhaus, Radebeul-Naundorf

Im kleinen Bauernhaus in Radebeul-Naundorf ist der „Umbruch“ weitestgehend abgeschlossen. Sehr liebevoll wurde hier mit traditionellem „Lehm“ ökologisch und in individueller „moderner“ Formensprache der Innenausbau gestaltet. Da das Objekt nur eine sehr begrenzte Besucherzahl aufnehmen kann, ist eine vorherige Anmeldung leider zwingend notwendig.
Ebenfalls abgeschlossen ist der „Umbruch“ im Bismarckturm, was unserem Verein besonderen Stolz und Erleichterung verschafft. Der eine oder andere mag bedauern, dass nicht der selbstbewusst moderne Entwurf mit der „Krone“ umgesetzt wurde. Dennoch sind wir auf die neue Treppe und den herrlichen Ausblick gespannt.
Ganz traditionell öffnet das Museum der Hoflößnitz am „Tag des Offenen Denkmals“ kostenfrei seine Türen und lädt zu Kuratoren-Führungen ein.
Ein recht herzlicher Dank gilt an dieser Stelle schon allen Mitstreitern des Tages!

Katja Leiteritz

 

Alles, was möglich war, hat er geschafft

Erinnerungen an den Radebeuler Maler und Grafiker Gunter Herrmann

Gunter Herrmann vor 1990, Nachlass G. Herrmann

Die Stühle in der kleinen Kapelle haben nicht gereicht für alle, die gekommen waren, um am 26. Juli auf dem Friedhof in Radebeul-West von Gunter Herrmann Abschied zu nehmen. Und es schien, als würde die Trauergemeinschaft auch ein wenig Abschied von einem Lebensgefühl nehmen, welches die kulturelle Atmosphäre in der Lößnitz seit Generationen nicht unwesentlich mitgeprägt hat.

Gunter Herrmann wurde am 7. August 1938 in Bitterfeld geboren. Bitterfeld klingt nach „Bitterfelder Weg“. Doch seinen Weg zur Kunst fand der begabte junge Mann über andere Wege. Aufgewachsen in Jessnitz, zog es ihn unmittelbar nach dem Abitur in die Stadt Radebeul. Dort arbeitete er von 1956 bis 1958 als Praktikant im Malsaal der Landesbühnen Sachsen. Das Theater hatte für seine Mitarbeiter in Zitzschewig auf dem Knollenweg 8 im Haus des verstorbenen Landwirtschaftrates Carl Pfeiffer (1872 – 1946) einige Zimmer angemietet. Als die Kostümbildnerin Erika Simmank – Gunter Herrmanns älteste Künstlerfreundschaft – 1957 den angehenden Bildhauer Hellmut Heinze heiratete, durfte er deren frei gewordenes Zimmer beziehen.

Gunter Herrmann »Raucher«
(Wolfgang Opitz),
1984, Sandreservage Repro: K. (Gerhardt) Baum

Das Schicksal nahm seinen glücklichen Lauf. Pfeiffer hatte neben dem Haus auch einen Weinberg angelegt, der nach seinem Ableben von der ehemaligen Wirtschafterin Magdalena Schlegel (1889–1962) betreut wurde. Vor allem Künstler unterstützten sie dabei. Während sich die älteren eher zur Weinlese eingefunden hatten, halfen die jüngeren bei den schwereren Arbeiten. Der „Pfeiffersche Weinberg“ war also ein Ort, wo sich alte und junge Künstler begegneten und so manche „Weiche“ gestellt worden ist. Gunter Herrmann lernte hier u.a. die drei bedeutenden Vertreter der „Dresdner Malkultur“ kennen: Paul Wilhelm (1886–1965), Karl Kröner (1887–1972) und Theodor Rosenhauer (1901–1996).

Wie für so viele „Nicht-Arbeiter- und Bauernkinder“ gestaltete sich auch für Gunter Herrmann die Aufnahme an der Kunsthochschule schwierig. Von Leipzig erhielt er eine Ablehnung, in Dresden hat vermutlich Rosenhauer etwas nachgeholfen. Die Immatrikulation erfolgte 1958. Doch aus politischen Gründen brach er das Studium 1961 vorzeitig ab. Statt den Sozialismus zu illustrieren, schlug er sich lieber als Hilfsarbeiter durch. Aus jener Zeit ist folgende Anekdote überliefert: Nach dem Studienabbruch arbeitete Gunter Herrmann in einer Gärtnerei. Deren Besitzer beauftragte den ehemaligen Kunststudenten damit, von seiner Frau ein Porträt zu malen. Stunde um Stunde saß die alte Gärtnersfrau Modell. Schließlich war das Werk fertig. Doch der Auftraggeber meinte: „Ich hätte ihnen 1.000 Mark gegeben aber Sie haben weder die Güte, noch die Schönheit, noch die Vortrefflichkeit meiner Frau erfasst…“
Angemerkt sei hier, dass Gunter Herrmann später viele wunderbare Porträts geschaffen hat wie zum Beispiel von der Tochter Clara oder den Künstlerfreunden Wolfgang Opitz und Klaus Liebscher. Das Entscheidende war wohl für ihn, dass zu den Porträtierten eine innere Beziehung bestand.

Plakat von Gunter Herrmann mit dem Motiv »Weinberg und Steinbruch«, 1981, Materialreservage Repro: K. (Gerhardt) Baum

Auf Anraten seines ehemaligen Dozenten Rudolf Bergander (1909–1970) bewarb sich Gunter Herrmann beim Verband Bildender Künstler. Bürge war kein geringerer als Paul Wilhelm. Die Aufnahme 1962 bedeutete für ihn ein gewisses Maß an sozialer Sicherheit, konnte er doch Aufträge annehmen und sich an Ausstellungen beteiligen.

Über Vermittlung von Heinrich Magirius, der im Institut für Denkmalpflege arbeitete, eröffnete sich für Gunter Herrmann die Möglichkeit zum Restaurieren. Von 1964 bis 2000 war er vor allem auf dem Gebiet der Wandmalerei tätig und als Fachmann sehr geschätzt. Maßgeblich wirkte er u. a. an Baudenkmälern wie der Schlosskirche Moritzburg, dem Schloss Pillnitz, dem Stallhof des Dresdner Residenzschlosses sowie dem Berg- und Lusthaus Hoflößnitz mit. Durch die Aufträge in der Denkmalpflege war er als Künstler finanziell unabhängig. Die eigenen Arbeiten entstanden fortan parallel. Im Winter im Atelier und im Sommer zumeist vor Ort.

Der Kontakt zu Kröner, Wilhelm und Rosenhauer ist über all die Jahre nie abgerissen. Herrmann schätzte das Geradlinige der älteren Malergeneration, auch kamen ihm deren künstlerische Auffassungen sehr entgegen. In der propagandistisch aufgeladenen Lautheit der damaligen Zeit wirkten sie wie stille Inseln. Vor allem Karl Kröner nahm besonderen Anteil an der Entwicklung des jungen Kollegen. 1972 stellten sie gemeinsam im Köpenicker Pädagogenclub aus. Für Kröner sollte es die letzte Ausstellung sein.

Gunter Herrmann »Abend«, 2003, Sandreservage, limitierte Sonderedition zum 25. Radebeuler Grafikmarkt Repro: K. (Gerhardt) Baum

Seine spätere Frau Christiane lernte Gunter Herrmann im Palastkino von Radebeul-West kennen. Beide waren Mitglieder des dortigen Filmclubs. Sie heirateten 1967. Die Tochter Clara wurde 1968 geboren.
Unmittelbar nach Kröners Ableben bezog die junge Familie das so genannte Turmhaus im Grundhof auf der Paradiesstraße 68. Vor Karl Kröner hatten hier bereits Wilhelm Claus (1882–1914) und Paul Wilhelm gewirkt. Das neue Domizil bot ausreichend Platz zum Wohnen und Arbeiten. Schon bald herrschte wieder ein reges Kommen und Gehen. So blieb der Grundhof ein wichtiger Anlaufpunkt für die unterschiedlichsten Künstler.

Gunter Herrmann lies sich weder politisch vereinnahmen, noch künstlerisch bevormunden. So stellte
er in den 1960er und 1970er Jahren in Dresden auch im Hinterhofatelier von Wolfgang Opitz auf der Hechtstraße 25, dem Leonhardi Museum und der Galerie Nord aus, wohl wissend, dass die dortigen Aktivitäten sehr misstrauisch beargwöhnt wurden.

Die Namen aller befreundeten Künstler aufzuzählen ist kaum möglich. Dass einer aus diesem Kreis der damaligen Freunde – Ralf Winkler – unter dem Künstlernamen A.R. Penck (1939–2017) einmal internationale Bedeutung erlangen würde, hätte sich damals keiner vorstellen können.

Gunter Herrmann »Atelierhaus« (Turmhaus), 2008, Sandreservage-Umdruck Repro: K. (Gerhardt) Baum

Gunter Herrmann nahm sich selbst nicht so wichtig. Er hatte einen feinen Humor. Der Umgang mit ihm war angenehm, weil es ihm immer um die Sache ging. Er war ein aufmerksamer Zuhörer, ließ anderen Menschen Raum und gab sein Fachwissen als Maler, Grafiker und Restaurator ohne Eigennutz großzügig weiter. Er bürgte für den Maurer Horst Hille (1941–2015), so dass dieser eine Chance bekam als Autodidakt, in den Verband Bildender Künstler aufgenommen zu werden. Er war der Mentor von Ralf Kehrbach und Peter PIT Müller. Auch setzte er sich gemeinsam mit anderen Künstlern dafür ein, dass in Radebeul eine städtische Galerie entstehen konnte und arbeitete von 1982–1990 in deren Beirat mit. Nach 1990 engagierte er sich im Vorstand des Sächsischen Künstlerbundes.

Das Besondere an Gunter Herrmanns Kunst wurde bereits in zahlreichen Publikationen treffend beschrieben. So bemerkte der Dresdner Galerist und Kunstkritiker Gunter Ziller 1988 in einem Katalog, dass „Gunter Herrmann durch die Bekanntschaft mit vielen Künstlerfreunden in ständigem Kontakt mit der Avantgarde der Gegenwart gestanden habe, doch folgte sein Werk anderen Gesetzen“ und weiter heißt es dort, dass in Herrmanns Arbeiten noch „die Mystik des Materials und der Natur wohnt aus der wir kommen und in die wir gehen“.

Gunter Herrmanns Experimentierfreudigkeit führte sowohl auf malerischem als auch grafischem Gebiet zur Entwicklung neuer, für sein Schaffen charakteristischer Techniken, die ihm nicht als Selbstzweck sondern zur Steigerung der Ausdruckskraft dienten. So verarbeitete er in seinen Bildern u. a. farbige Sande, die er in den verschiedensten Landschaften vorgefunden hat. Mittels Materialreservage, einer Art Aquatinta-Technik, erzielte er malerische Tonabstufungen bis hin zur Auflösung der Fläche. In der Malerei wiederum setzte er auch zeichnerische Elemente ein.

Die geschundenen Tagebaulandschaften aus Gunter Herrmanns Kinder- und Jugendzeit stehen im starken Kontrast zur lieblichen Kulturlandschaft der Lößnitz. Allerdings gehen seine Landschaftsbilder über das bloße Abbild hinaus. Es sind Metaphern, die sich demjenigen erschließen, der bereit ist, sich darauf einzulassen. Auf das Wesentliche verknappt, kommt die Ambivalenz des Zerstörens und Gestaltens bereits in der Grafik „Weinberg und Steinbruch“ von 1981 sehr deutlich zum Ausdruck. Dass das Bild „Mahnmal einer Landschaft“ aus dem Jahr 1984 für einen umweltpolitischen Eklat gesorgt hat, ist aus heutiger Sicht wohl kaum zu verstehen. Auch die gesellschaftliche Umbruchsituation lässt Gunter Herrmann nicht unkommentiert. Mit der Grafik „Vorwärts – und vergessen“, die im Jahr 1990 entstanden ist, spielt er ironisch darauf an, dass sich alles wiederholt. Es gibt kein Entrinnen.

Die Besuche im Grundhof wurden von vielen Menschen als anregend und beglückend empfunden. Sobald man die unscheinbare hölzerne Pforte auf der Paradiesstraße durchschritten hatte, eröffnete sich eine andere Welt, der die Zeit fast nichts anhaben konnte. Architektur, Natur und Kunst waren hier aufs Harmonischste vereint.
Der Radebeuler Künstler Peter PIT Müller sagte einmal sehr schön: „Ich war nie nur bei Gunter, sondern immer auch bei Christiane“. Für Gäste standen die äußeren Türflügel des Turmhauses wie Arme zu einer besonders herzlichen Begrüßung weit offen und beim Betreten der Räume fühlte man sich von einer wunderbaren Atmosphäre umfangen, gespeist aus Tradition und Inspiration.

Damit, dass Gunter Herrmann sein Leben in diesem Refugium beenden konnte, hatte sich für ihn ein oft geäußerter Wunsch erfüllt. Er starb am 26. Juni, wenige Wochen vor seinem 81. Geburtstag. Bleiben wird sein Werk und für alle, die ihn kannten, die Erinnerung an einen außergewöhnlichen Menschen.

Wie sehr die Stadt Radebeul den Maler, Grafiker und Restaurator Gunter Herrmann schätzt, lässt sich daran ermessen, dass er 1998 gemeinsam mit dem Maler und Grafiker Günter Schmitz (1909–2002) mit dem ersten Radebeuler Kunstpreis, welchen die Lößnitzstadt nach dem gesellschaftlichen Umbruch verliehen hat, ausgezeichnet wurde. Wichtig ist nun, dass Werke von Gunter Herrmann auch weiterhin öffentlich zugängig sind, damit sich möglichst viele Menschen an seiner Kunst erfreuen und diese immer wieder neu entdecken können. Die Radebeuler Stadtgalerie wird ihren Beitrag dazu leisten und 2020 eine umfassende Retrospektive zum Schaffen von Gunter Herrmann zeigen.

Karin (Gerhardt) Baum

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