Eine Glosse?

Die schwäbische Hausfrau

Ob nun der 2021 ins Häusliche zurückgetretenen Angela die alleinige Schuld an der Reanimierung der „Schwäbischen Hausfrau“ seit 2023 in die Schuhe geschoben werden kann, soll hier nicht diskutiert werden. Offensichtlich aber wollte sie die Dame nicht mit nach Hause nehmen. Sie ist vermutlich in der Besenkammer des Kanzleramtes steckengeblieben und einer hat sie da unlängst wieder rausgelassen. Ob versehentlich oder absichtsvoll wird gegenwärtig noch geprüft. Fakt aber ist, dass nun schon wieder alle vom Sparen schwadronieren, auch weil Staat, Europäische Union und damit letztlich die Wirtschaft vor zehn, fünfzehn Jahren die Kurve nicht bekommen haben und auch nichts dazulernen wollten. Wer über seine Verhältnisse lebt, so der Slogan, der muss halt sparen. Und seit der Eurokrise wurde besonders an den Löhnen und den Investitionen gespart.

Nicht genug, dass die Europäische Union 2013 den Europäischen Fiskalpakt eingeführt hat, setzte das Kabinett-Merkel III mit Sparfuchs Schäuble als Finanzminister noch eins obendrauf, in dem die Schuldenbremse 2016 ins Grundgesetz geschrieben wurde. Nun klemmt die Säge vollends und es geht nichts mehr vor und zurück. Selbst der CDU dämmert es langsam, dass hier irgendetwas nicht stimmen kann.

Will aber jetzt keinen Vortrag über verfehlte Bundesfinanzpolitik halten. Die Spatzen pfeifen es eh schon längst von den Dächern. Zur Ehrenrettung der schwäbischen Hausfrauen sei aber angemerkt, dass diese sehr wohl den Unterschied zwischen mikro- und makroökonomischem Denken begriffen haben. Für die Instandhaltung des eigenen Hauses wurde da schon mal ein Kredit aufgenommen.

Selbst Mitarbeiter des Bundesministeriums für Wissenschaft und Klimaschutz haben bereits 2016 festgestellt, das „Investitionen und stabile Staatsfinanzen“ kein Widerspruch sein müssen und beispielsweise Investitionen in die Bildung Rendite abwerfen.

Dass aber der neue Schulcampus in Kötzschenbroda nur entstehen kann, wenn andere intakte Gebäude abgerissen werden, will mir einfach nicht in den Kopf. Muss man jetzt bauen, weil vorher auch zwei Schulgebäude plattgemacht wurden? Interessieren würde mich auch, woher dann eigentlich die Schüler kommen sollen, da die Geburtendelle in absehbarer Zeit wohl nicht überwunden wird und die Erwerbsbevölkerung in Sachsen bis 2040 um 36,5 Prozent schrumpfen soll? An der „Schwäbische Hausfrau“ kann es nicht liegen.

Die Investitionen der Stadt Radebeul für 2024 beliefen sich laut Plan immerhin auf über 19 Millionen Euro, die höchste Summe seit 2013. Dennoch dirigiert auch in Radebeul die „Schwäbische Hausfrau“, wenn sich CDU-Fraktion in der Haushaltsdebatte im April 2024 gegen jedwede Kreditaufnahme wandte. Realisiert wird also nur, wofür es Fördermittel gibt und da wird es wohl in den nächsten Jahren schlecht aussehen. Bereits Anfang 2024 ahnte der Oberbürgermeister, dass es künftig weniger geben wird. Dennoch wurde die Kolbe-Villa erworben, als ob die Stadt nicht schon genug Vorhaben an der Backe hätte. Gegenwärtig laufen dort die ersten Sicherungsmaßnahmen. Bei allen zweifelsfreien Erfolgen vermisst der Bürger eine Strategie, eine Prioritätenliste. Was man im April 2024 auf der Haushaltsberatung im Stadtrat noch als Standort für das neue Stadtarchiv „feierte“, verkaufte man sieben Monate später in einer Bürgerversammlung Anfang Dezember – welch wundersame Wandlung – als „Haus der Kultur und Geschichte“ in einem neuen städtischen Zentrumsbereich in Radebeul-Mitte. Die Jugendherberge soll da auch gleich einen Neubau erhalten. Baubeginn, so war nun in der Zeitung an 6. Januar zu lesen, frühestens 2031! Alles natürlich fördermittelabhängig. Ohne Fördermittel scheint in Radebeul nichts mehr zu gehen. Seltsamerweise war von diesem bedeutenden Projekt im Interview des Oberbürgermeistes Bert Wendsche in der Sächsischen Zeitung vom 27. Dezember über die Frage „Was kann sich Radebeul nächstes Jahr leisten?“ noch keine Rede. Die Bürger, die bei der Vorstellung des Vorhabens durch die Stadtverwaltung dabei waren, werden sich wohl verdutzt die Augen gerieben oder vermutlich beim Ohrendoktor angemeldet haben.

Aber was soll’s, auch vieles Andere kam in dem Interview nicht zur Sprache, etwa der soziale Wohnungsbau, wie die Klimabilanz der Stadt, die perspektivische Stadtentwicklung, von der Kultur ganz zu schweigen. Da wird wohl wieder die „Schwäbische Hausfrau“ zugeschlagen haben.

Euer Motzi

Radebeuler Miniaturen

Balance-Akt
Ein Geduldsspiel

Auf dem Weg zur Lesung schnell noch etwas trinken…

Während ich auf meinem Hocker vor dem ersten Schluck gebührend die Schaumkrone feiere, sagt Ulrike neben mir, sie habe die Kälte unterschätzt. Ich habe aber alles mit, sagt sie, nimmt ihren Rucksack und verschwindet mit den Worten, bin gleich zurück.

Na, was Frauen so unter „gleich“ verstehen…

Jedenfalls hab ich jetzt Zeit, in Ruhe noch einmal den Leseplan zu überdenken, an zwei Stellen die Reihenfolge zu ändern, ein paar neue Zeilen einfließen zu lassen, alles gründlich in Frage zu stellen und dann doch zu beschließen, daß es gut ist, – in kleiner werdenden Schlucken das Bier auszutrinken, noch ein „kleines“ zu bestellen, ihm freudig entgegen zu sehen, und unendlich viel Geduld aufzubringen.

Aber da kommt sie auch SCHON mit einem strahlenden Lachen im Gesicht.

War gar nicht so einfach, sagt sie in mein mißbilligendes Lächeln hinein, du mußt dir das bildlich vorstellen: Auf einem Bein stehend, den anderen Schuh ausziehen dann das Hosenbein abstreifen, ohne es auf den Fußboden fallen zu lassen, dann mit der dritten Hand die Strumpfhose übern Fuß ziehen, dabei den richtigen Fuß erwischen, die Hose wieder drüberziehen und in den Schuh steigen. So – und dann das Ganze mit dem anderen Bein noch einmal. Ich hätte mich ja nicht sehen wollen.

Viel konnte nicht passieren, sag ich, noch immer etwas gequält lachend, die Boxen sind so eng, daß du nicht weit hättest fallen können.

Ach du, sagt sie enttäuscht, wenn du schon nicht lachen kannst, könntest du wenigstens meine Balance -Akte bewundern …

Ich bewundere dich zutiefst, sag ich. Vor allem aber bedaure ich – und zwar zum ersten Mal – daß versteckte Kameras auf Damentoiletten verboten sind – wenns auch nicht viel Akt war, mit der Balance-Nummer hätte es endlich wirklich mal was zum Lachen gegeben in den so-schalen Medschen …

Thomas Gerlach

Denkmalpflegerische Einschätzung des ehemaligen Gasthof Serkowitz

Werte Leserinnen und Leser,

die Problemfälle „Gasthof Serkowitz“ und „Lügenmuseum“ bewegen schon lange nicht nur die Gemüter der Leser unseres Monatsheftes. Immer wieder haben wir Beiträge veröffentlicht, in denen die Autoren das Problem von unterschiedlichen Seiten betrachteten. Dem letzten Artikel von unserem Redaktionsmitglied Dietrich Lohse konnten wir auf unserer Webseite eine „Denkmalpflegerische Einschätzung zum Nutzungskonzept für den ehemaligen Gasthof Serkowitz Grundstück: Radebeul, Kötzschenbrodaer Straße 39, Gemarkung Serkowitz, Flurstück 32“ beifügen. Da nicht alle unsere Leser über einen Zugang zum Internet verfügen, drucken wir hiermit den Brief des Sachgebietsleiters Denkmalschutz im Kreisbauamt des Landratsamtes Meißen, Herr Helbig, vom 14. November 2024 an Reinhard Zabka auch in unserem aktuellen Heft ab.

Die Redaktion

Sehr geehrter Herr Zabka,

mit bedauern haben wir in den letzten Monaten verfolgt, dass Sie mit Ihrem Museumsprojekt den Gasthof Serkowitz verlassen sollen. Nicht genug, dass es für Sie schwer ist, ein anderes geeignetes Domizil für das Lügenmuseum zu finden, ist auch kaum anzunehmen, dass für den ehemaligen Gasthof eine vergleichbare, den Erhalt der historischen Substanz fördernde Nutzung gefunden werden kann. Durch regelmäßige Reparatur und Pflege kann der Status quo gehalten werden, grundlegende Erneuerungen können im Umfang begrenzt werden.

An der Einschätzung Ihres Projekts, zu dem wir bei einem Besuch in Ihrem Museum gemeinsam mit der Vertreterin des Landesamtes für Denkmalpflege vor nunmehr 10 Jahren gelangt sind, hat sich nichts geändert: die von Ihnen angestrebte und realisierte Nutzung des ehemaligen Gasthofs ist mit denkmalpflegerischen Anforderungen gut in Übereinstimmung zu bringen.

Der Gasthof ist bekanntermaßen Kulturdenkmal gemäß §2 Sächsisches Denkmalschutzgesetz (SächDSchG) und mit folgendem Wortlaut in die Liste der Kulturdenkmale des Freistaates Sachsen eingetragen:
Gasthof Serkowitz: Gasthof (mit Ausstattung, u. a. Sgraffitos), sowie Ballsaal; traditionelles Gasthaus von Serkowitz und später Radebeul, im Kern wohl barock, Eingangsbereich und Gastraum mit Sgraffitos von Hermann Glöckner (1889-1987), einer Brotarbeit des Künstlers; Putzbau mit ausgebautem Mansarddach, repräsentativer, großer Saalanbau mit reichem Dekor, bauhistorisch, ortsgeschichtlich und künstlerisch bedeutend, Datierung: um 1800 (Gasthof), 1877 (Ballsaal), um 1938 (Sgraffito), (Radebeul, Kötzschenbrodaer Straße 39, Gemarkung Serkowitz, Flurstück 32).

Der Gasthof in Serkowitz ist ein besonders reich gestaltetes Beispiel der Baugattung. Er diente zunächst als wichtiger Haltepunkt entlang der Poststraße Dresden-Meißen, Teile des Kellers gehen vermutlich bis ins 14. Jahrhundert zurück. Während um 1900 nahezu jedes größere Dorf über einen gut besuchten Gasthof mit Ballsaal verfügte, die sich als Mittelpunkte des gesellschaftlichen Lebens neben der Kirche etabliert hatten, verloren diese mit dem geänderten Freizeitverhalten seit der Mitte des 20. Jahrhunderts zunehmend an Bedeutung. Heute haben besonders im ländlichen Bereich viele der Ballsäle und Gasträume ihre frühere Nutzung eingebüßt. Leerstand führt zum Verfall der nicht selten prächtig gestalteten Säle. (Auch daran hat sich leider in den letzten 10 Jahren nichts geändert.) Verschiedene Umnutzungen haben die bauliche Aufteilung der Säle zur Folge, die dann nicht mehr in ihrer Einheit und in ihrem Schmuck erlebbar sind und dadurch der ständigen Gefahr der Vernichtung aus Unkenntnis unterliegen. Die Hoffnung, dass solche Säle wieder in der ursprünglichen Größe mit Leben erfüllt werden, ist gering.

Aus denkmalpflegerischer Sicht ist daher zu begrüßen, wie sich ihr Projekt in die Gegebenheiten des Kulturdenkmals einfügt und sich mit dessen Historie auseinandersetzt. So kann etwa der Saal mit seiner Geschichte, die am Leuchter deutlich erkennbar bis weit in die DDR-Zeit hineinreicht, erhalten und für die Besucher des Museums erlebbar bleiben. Dadurch ist es möglich, die historische Raumstruktur und Einbauten im Wesentlichen zu erhalten. Die im Erdgeschoss vorhandenen Sgraffitos des bedeutenden deutschen konstruktivistischen Malers und Bildhauers Hermann Glöckner stellen als baugebundene Ausstattung einen über die regionale Bedeutung hinausreichenden Wert dar und können beschädigungsfrei in das Nutzungskonzept eingebunden werden. Darüber hinaus wurde durch das Lügenmuseum das Kulturdenkmal für eine breite Öffentlichkeit zugänglich und erlebbar und konnte so als kulturelles Zentrum an seine frühere Bedeutung im gesellschaftlichen Leben anknüpfen.
?
Wir würden uns freuen, wenn sich noch einmal eine Möglichkeit eröffnen würde, Ihr Engagement im ehemaligen Serkowitzer Gasthof fortzusetzen.

Mit freundlichen Grüßen
Helbig
Sachgebietsleiter
14. November 2024, Meißen

Keine Leistung?

Kulturgut Lügenmuseum

HundertzweiundfünfzigTage ist das Lügenmuseum nun offiziell geschlossen! Anfang Dezember, so der Betreiber, kam dort angeblich der Nikolaus vorbei und hat für kurze Zeit ein Weihnachtsmuseum und gar am 27. Dezember die Ausstellung „Zack-Zack“ eröffnet.

Auf oder zu? – Das ist hier die Frage!


Wer Eins und Eins zusammenzählen kann und im Sinne des Besitzers des Gebäudes denkt und fühlt, wird diese Aktion als eine reine Provokation interpretieren. Juristisch gesehen ist das so. Aber handelt es sich hier eigentlich nur um einen Streitfall zwischen dem Vermieter, der Stadtverwaltung in Gestalt des Oberbürgermeisters Bert Wendsche und dem Mieter der Familie Zabka als Betreiber des Museums? Gab es denn eigentlich eine Alternative für die Betreiber des Museums?

Bekannt ist, dass die Stadtverwaltung den ehemaligen Serkowitzer Gasthof bereits kurz nach dessen Erwerb 2007 wieder verkaufen wollte und bis heute an diesem Beschluss festhält. Die Nutzung durch die Betreiber des Lügenmuseums war also von vornherein nur als eine Interimslösung gedacht. Die bisherigen diesbezüglichen Versuche, das Objekt zu verkaufen, sind allesamt gescheitert, zumeist wegen zweifelhafter Wirtschaftlichkeit. Auch die Vermittlung an einen nichtwirtschaftlich interessierten Käufer schlug fehl. Mittlerweile ist das Verhältnis zwischen Vermieter und Mieter derart zerrüttet, dass an eine einvernehmliche Lösung des Problems nicht zu denken ist. Der Mietvertrag wurde gekündigt, dennoch „sitzt“ der Mieter noch im ehemaligen Gasthof. Aber seit geraumer Zeit hat sich die gesamte Lage um den Casus „Lügenmuseum“ gravierend geändert, so dass es höchste Zeit ist, die Diskussion vom Kopf auf die Füße zu stellen.

Seit Einzug des Lügenmuseums in das Gebäude des Serkowitzer Gasthofes hat sich dieser zu einem wahren „Pilgerort“ für Radebeul-Besucher entwickelt und die Stadt über die Grenzen der Bundesrepublik hinaus zu mehr Ansehen und Anerkennung verholfen. Wer so eine Einrichtung in seinen Mauern hat, der, so die weit verbreitete Annahme von Besuchern, muss etwas für Kultur übrig haben. Den starken Besucherstrom bekommen auch die Beherbergungs- und Gaststättenbetreiber zu spüren, was wiederrum hilft, das Steuersäckel der Stadt zu füllen. Und so hat auch dieses Gewerbe seinen Anteil am 2022 erwirtschafteten Überschuss von 9,5 Millionen geleistet. Die Kultur- und Kreativitätswirtschaft steht in der Bruttowertschöpfung der Bundesrepublik nach dem Fahrzeugbau an zweiter Stelle.

Warum also ist es so, dass Stadtrat und Verwaltung von Radebeul diese Binsenweisheit nicht zur Kenntnis nehmen wollen? Liegt es an dem vermeintlichen ungebührlichen Verhalten der Familie Zabka oder passt hier die ganze Einrichtung nicht ins Konzept? Rührt eventuell die Haltung beider Gremien von der bestellten negativen Einschätzung des einstigen Stiftungsdirektors der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen her, der am liebsten alle Museumsstücke auf einen Abfallcontainer gesehen hätte? Warum haben die 93 Briefe (s. Homepage Lügenmuseum), die seit Juni 2024 für den Erhalt des Museums sprechen und an den Oberbürgermeister Bert Wendsche und das Museum gegangen sind, nicht zu einem Umdenken oder doch wenigstens zu einem Innehalten und Überdenken des eignen Standpunktes geführt? Warum wurden all die Fragen, Probleme und Schwierigkeiten hinter verschlossenen Türen besprochen, verhandelt und kein öffentlicher Diskurs geführt? Spüren die Mandatsträger der Stadt keine Verantwortung gegenüber den Bürgern Europas, wenn sie dieser einmaligen Einrichtung in der Bundesrepublik den Stuhl vor die Tür setzen? Ein Museum oder eben eine Einrichtung dieser Art klemmt man nicht einfach unter den Arm und zieht weiter wie die bettelnden Gaukler vergangener Jahrhunderte. Dabei sei hier noch nicht auf die Leistungen verwiesen, die das Museum seit 12 Jahren bis zur seiner unfreiwilligen Schließung erbracht hat: Geöffnet an Feiertagen und Wochenenden, Betreuungen in den Schulferien, Kurse und Werkstätten, Sonderausstellungen, Konferenzen sowie Projekte im In- und Ausland. All diese Angebote haben die Stadt so gut wie nichts gekostet.

Natürlich hat die Stadt Mittel aufgewendet, um den ehemaligen Gasthof in einen Zustand zu versetzen, der eine Nutzung überhaupt erst ermöglicht. Diese Instandsetzungsarbeiten haben aber primär nichts mit dem Lügenmuseum zu tun. Sie wären auch so angefallen. Wie aber die Denkmalpflege in einer Stellungnahme bescheinigt, haben die Betreiber des Museums wesentlich zum Erhalt des Gebäudes beigetragen. Keine Leistung? Oder wird hier einfach fallengelassen, was nicht in den Kram passt? Es wäre höchste Zeit nochmals darüber nachzudenken, um eine sinnvolle Lösung anzustreben, ehe man als Kulturverhinderer am Pranger steht. Denn Kunst ist es zweifelsfrei, aber vermutlich nicht für alle, muss es aber auch nicht sein.

Karl Uwe Baum

Der Februar – Kinderfaschingsallotria

Soweit es das Winterwetter zuließ, waren wir bis zum Anbruch der Dunkelheit mit Schiern und Schlitten draußen. Mit tut heute noch unsere gute Martha, Haus- und Küchengehilfin im „Weißen Roß“ leid, die irgendwie unsere klatschnassen Sachen wieder trocken kriegen musste.

Bis zum Abendbrot saßen wir Kinder oft in der Kinderstube um Tante Emma herum, die unermüdlich vorlesen musste. Unsere Tante Emma war die jüngere Schwester von Oma Anna. Früh verwitwet – Onkel Hanns Rößler verstarb an den Folgen des ersten Weltkrieges (nasse Schützengräben). Sie lebte im „Weißen Roß“ und war der gute Geist des Hauses. Sie machte Buffetdienst, schälte unheimlich schnell Kartoffeln in großen Ringeln (täglich fielen zwei große Wassereimer voll an) und beschäftigte uns Kinder. Zunächst las sie Märchen der Gebrüder Grimm und aus dem goldenen Märchenbuch von Andersen vor. Von manchen Märchen kriegten wir einfach nicht genug. Als wir älter wurden, ging sie zu Robinson Crusoe und dem schwarzen Bento über. Ich bewundere noch heute ihre Geduld und Ausdauer beim Vorlesen, wenn sie auch manchmal sagte, ihr fehle die Spucke.

Älteste bildliche Darstellung vom »Weißen Roß«, um 1800


Wir spielten natürlich alles Gehörte mit unseren Holzbaukästen und den Holztieren nach. Im Sommer wurde die Siegfriedsage im Garten gespielt, wobei der Fliederwald als Odenwald fungierte. Eine in die Erde eingegrabene ausrangierte Bratpfanne voller Regenwasser war der Quell, an dem Siegfried sterben musste.

Es war auch Tante Emma, die uns das Vaterunser lehrte, als sie fand, dass wir für unsere Kindergebetchen allmählich zu groß geworden waren.

Der Höhepunkt für uns Kinder im Februar war natürlich der Faschingsdienstag. Mit den Kostümchen wurde nicht soviel Ruß gemacht. An den ersten Faschingsdienstag, an den ich mich erinnern kann, ging ich als Eierfrau in einem großen Umschlagtuch und den Korb mit den Toneiern an den Arm gehängt. Dann ging ich als Seppl mit Trachtenhut und Wolfgangs Sepplhose, die mir in den Kniekehlen hing. Später nähte mir unsere gute Wo, eine Freundin von Muttel, die ihr in der Arbeitslosenzeit beistand, ein wunderschönes Rotkäppchenkostüm, das ich zweimal anhatte, dann war es leider ausgewachsen. Wolfgang und die anderen Jungs gingen als Indianer. Heyls Inge habe ich als Spanierin in Erinnerung und Heyls Erika als Holländerin. Am Fastnachtsdienstag zogen alle Kinder der Umgebung erstmal auf der Straße herum. Wir beguckten uns gegenseitig unsere Kostüme und die Jungens knallten wie verrückt mit ihren Zündblättelpistolen, sodass wir Mädchen uns dauernd die Ohren zuhielten. Einmal hatte Vielhauer Siggis Mutter sein Gesicht mit Kakao eingerieben, da sah er echt wie eine Rothaut aus. Das Entfernen aber machte große Mühe, trotz Seife und Creme, und noch tagelang schimmerte sein Gesicht in zartem Rotton. Herr Vielhauer war Hausmeister in der Gewerbeschule Criegernstraße, auf ihn komme ich noch zurück. Es war eine kinderfreundliche Zeit, drei bis vier Geschwister konnte ein Elternpaar ohne weiters aufziehen. Einzelkinder gab es wenig und galten für uns als supervornehm.

Kinderfasching im Innenhof


Nachmittags ging es dann zum Kinderfasching zu Heyls hinüber. Heyls hatten eine Gärtnerei auf dem heutigen Gelände von Auto-Gommlich. Frau Heyl hatte unheimlich viel los mit der Ausgestaltung derartiger Feiern. Die ganze Wohnstube war kreuz und quer mit Girlanden bespannt und in der Ecke hing ein riesiger gelber Mond. Der Wellensittichkäfig, der sonst auf dem Vertiko stand, war bereits in Sicherheit gebracht worden, denn leider hatte einmal der grüne Sittich samt seinem Käfig durch uns Dösen (Toben) einen unfreiwilligen Abgang nach unten machen müssen. Es war ihm aber nichts geschehen. Und hier muss ich auch gleich mal die gute Oma Günther erwähnen. Sie war immer liebevoll zu uns Kindern und schimpfte auch nicht, wenn wir hin und wieder mal gar zu verrückt spielten. Da die Küche nebenan war, steckte sie nur den Kopf durch die Tür und – ich habe den Klang ihrer Stimme noch heute im Ohr – sagte lediglich: „Nu, deest nur ni so…“

Durch unser draußen Herumziehen hatten wir natürlich ganz schön Hunger bekommen und stürzten uns wie wild auf die traditionellen Pfannkuchen. Ein mit Senf gefüllter Pfannkuchen wurde von Frau Heyl geschickt auf Wolfgangs Teller lanciert. Der biß herzhaft hinein und spuckte alles auf die schöne Luftschlangengarnierung wieder hinaus. Nach Kakao und Pfannkuchen wurden sämtliche Pfänderspiele und anderes durchgespielt, wobei es auch kleine Preise zu gewinnen gab. Beim Topfschlagen lag für jeden etwas unter dem mißhandelten Topf. „Ringlein, Ringlein, du musst wandern“, „Blinde Kuh“, „Hänschen piep einmal“ und „Schnelle Post“ waren einige unserer Kinderspiele. Zum Abendbrot war Fleischsalat-Wettessen angesagt. Da war Wolfgang unschlagbar. Nie wieder hat mir italienischer Salat, so wurde der Fleischsalat genannt, so gut geschmeckt wie damals. Da war Mayonnaise noch nicht der Hauptanteil. Für den Obstsaft hatte jedes Kind immer sein Glas in einer bestimmten Farbe. Meins war grün, Wolfgang seins rubinrot. Beim Austrinken rutschte ihn einmal eine schwarze gläserne Spinne entgegen, wieder ein kleiner Spaß von Frau Heyl. Wolfgang beherrschte sich aber und sein Glas blieb ganz. Bei uns Mädchen hätte es sicher Scherben gegeben.

Todmüde verschwanden wir dann ohne „Tritt Marsch“ (Vaterns Worte) in unsere Betten, murmelten mit Muttel noch unser Abendgebet und schliefen sofort fest ein.

Das war der Februar in meiner Kinderzeit.

Christa Stenze/ Christian Grün

15. Thematischer Filmclubabend


Es ist nun schon eine schöne Tradition, dass wir unsere Veranstaltungsreihe Film Club Mobil zum Jahresauftakt in der Heimatstube Naundorf eröffnen. Das lodernde Kaminfeuer, Harmoniumklänge, Gänsefettschnittchen und ein sich immer wieder aufs Neue, mit köstlichem Wein füllender Zauberbecher in urgemütlichem Ambiente nostalgisch anmutender Ausstellungsstücke stimmen auf den Filmclubabend ein. Gezeigt wird der Märchenfilm „Die Geschichte von der Gänseprinzessin und ihrem treuen Pferd Falada“. Die Vorlage für den Film bildete das Märchen „Die Gänsemagd“ der Gebrüder Grimm, welches recht grausame Passagen enthält. Der Film hingegen bietet eine menschenfreundlichere Interpretation. Themen wie Krieg und Frieden, Recht und Unrecht, Vertrauen und Missgunst werden nicht ausgespart und erfahren eine feine Nuancierung.

Bei unseren Recherchen stießen wir auch wieder auf einige überraschende Zusammenhänge. So ist der Regisseur Konrad Petzold (1930–1999) ein gebürtiger Radebeuler. Im Radebeuler Stadtlexikon steht, dass er (um 1948) Organisator der Jugendbühne Radebeul gewesen ist. 1952 wurde er zum Regiestudium an die Filmhochschule Prag delegiert. Regie führte er u.a. in Filmen wie „Das Kleid“ (1961) und „Alfons Zitterbacke“ (1965). Auch war er als Drehbuchautor und Schauspieler tätig. Nach dem gesellschaftlichen Umbruch kam seine Regiearbeit gänzlich zum Erliegen. In diesem Jahr würde Konrad Petzold seinen 95. Geburtstag begehen.

Die Geschichte von der Gänseprinzessin…“ hatte am 29. Januar 1989 im Berliner Colosseum Premiere. Es war der letzte Spielfilm des Regisseurs Konrad Petzold. Für den Schauspieler Alexander Höchst, in der Rolle des Prinzen, war es das Filmdebüt.

Während die zwei tschechischen Hauptdarstellerinnen Dana Moravková (Aurinia) und Michaela Kuklová (Liesa) sowie Alexander Höchst (Ivo) noch am Anfang ihrer filmischen Karriere standen, gehörten Gerry Wolff (1920 –2005) und Eberhard Mellis (1929–2019) in der DDR zu den bekannten künstlerischen Schwergewichten. Beide waren sehr vielseitig und mit ihren markanten Stimmen als Synchronsprecher gefragt.

Die Geschichte von der Gänseprinzessin
und ihrem treuen Pferd Falada

1988, DDR, DEFA-Studio für Spielfilme, 80 Minuten, FSK 6

Regie: Konrad Petzold; Drehbuch: Angelika Mihan; Kamera: Hans Heinrich
Musik: Zdének John; Besetzung: Dana Moravková (Aurinia), Michaela Kuklová (Liesa), Eberhard Mellis (König), Regina Beyer (Königin), Gerry Wolff (Soldat), Alexander Höchst (Ivo)

Auf dem Berg überm Tal lebte ein junges Königspaar mit seinem neugeborenen Töchterlein Aurinia. „… Frieden war und Sommerzeit. Das Korn auf den Feldern stand in goldener Reife und versprach eine reiche Ernte…“ Bis ein wildes Reitervolk das Land überfiel. Die Menschen folgten dem Ruf des Königs und verteidigten ihr Land. Auch König Ewald aus dem Nachbarreich eilte zur Hilfe. Gemeinsam besiegten sie das Reitervolk. Der Reiterkönig aber erschlug in blinder Wut seine Frau. Auch seine neugeborene Tochter Liesa wollte er töten, doch Aurinias Vater rettet den Säugling und wird dabei von einem Pfeil getroffen. Im Sterben verspricht er seine Tochter König Ewalds Sohn Ivo. Liesa wiederum, die zusammen mit Aurinia aufwächst ist von Missgunst geplagt.

Als Aurinia im heiratsfähigen Alter ist, schickt sie die Mutter auf die Reise zu Prinz Ivo, um das Versprechen des Vaters einzulösen. Begleitet wird sie von ihrer Ziehschwester Liesa, die sich als Magd angeboten hat, einem alten Soldaten und dem treuen Pferd Falada. Mit auf den Weg gibt ihr die Mutter ein Tuch mit 3 Tropfen Mutter-Blut und einen Zauberpokal, der sich von selbst mit Wein füllt.
Doch Liesa ist hinterlistig und es gelingt ihr, das Tuch, den Kelch und das Pferd an sich zu bringen. Dem Kleidertausch folgt der Rollentausch. Fortan gibt sich Liesa als Prinzessin aus. Die gutgläubige Aurelia wiederum wird gezwungen, sich als Magd auszugeben und hütet fortan mit dem Hütejungen Kurdchen die Gänse. Dem treuen Pferd Fallada wird der Kopf abgeschlagen und über ein Tor genagelt. Immer wenn Aurelia hindurchgeht, vertraut sie dem sprechenden Pferdekopf ihren Kummer an. König Ewald und Prinz Iwo werden allmählig misstrauisch, denn Liesa ist kalt und hartherzig. Zu Aurelia hingegen fühlt sich der junge Prinz seit der ersten Begegnung hingezogen.

Vorm Happy End gilt es jedoch noch einige Proben zu bestehen. Durch die Kraft des Zaubertuches, welches König Ewald der falschen Prinzessin entrissen hat, erscheint Aurinias Mutter und überführt Liesa der Lüge. Schließlich wird auch das Pferd Falada wieder lebendig. Liesa lässt man großmütig vom Hofe reiten und der König meint dazu, “Lasst sie, sie straft sich selbst mit Einsamkeit“

Karin Baum und Michael Heuser
Sprecher der Cineastengruppe „Film Club Mobil“ im Radebeuler Kultur e.V.
Anmerkung: unter Verwendung von verschiedenen Filmbegleitmaterialien und Wikipedia-Eintragungen
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Termin: 6.2.2025, Einlass: 19 Uhr, Reservierungen unter: 0160-1038663, Veranstaltungsort: Heimatstube Naundorf, Fabrikstraße 60, 01445 Radebeul

Als die Geschäfte noch den Namen von Leuten trugen

In diesen Reigen der Radebeuler Geschäfte gehört auch das Reformhaus Backhaus.

Erste »Milch-Diät-Bar«

Es war ein kleines Geschäft neben dem Bettenhaus Hennl auf der Meissner Strasse in Radebeul-West. Manche Erwachsenen, die damals noch Kinder waren, erinnern sich bestimmt noch an die erste Milch-Diät- Bar im hinteren Teil des Geschäftes oder an heißen Tagen im Lößnitzbad. Eine weitere Besonderheit aus dieser Zeit war der frisch gepresste Möhrensaft, den sich auch junge Mütter für ihre Säuglinge täglich im Laden kauften. Da aber aller guten Dinge drei sind, kam das kaltgepresste Leinöl noch dazu. Dieses kam im Kanister wöchentlich aus Thüringen und wurde mit dem Leiterwagen vom Güterboden der Eisenbahn ins Geschäft geholt. Die Kunden kauften es mit mitgebrachten Behältnissen im Geschäft. (Auch damals gab es also schon ,,Unverpackt-Läden“) Diese besonderen Aktivitäten zum Wohl der Gesundheit der Kunden ging auf den Einfallsreichtum der Familie Backhaus zurück. Im üblichen Sortiment des Reformladens gab es in dieser Zeit unter anderem auch Sojamehl, Leinsaat, Mineralwasser, Thüringer Pflanzensäfte, Tees, Bombastus- Produkte, Heilerde, Weizenschrotbrot aus der Bäckerei Jakob (Wahnsdorf), Früchtebrot, Schrotbrot und Filinchen zu kaufen.

Es war eine Zeit des Warenmangels und besonders der Waren zur gesunden Ernährung. Junge Leute können sich das bei dem heutigen Überangebot nicht mehr vorstellen. Das Reformhaus Backhaus wurde im Jahr 1939 in Weinböhla gegründet. Ernst und Herta Backhaus waren angetan von den Reformgedanken der Zeit und schlossen sich der Neuform-Gesellschaft an. Sie bezogen ihre Waren von Bauern und Erzeugern, die auf biologischer Grundlage produzierten. Heute würden wir sie Bio- Produkte nennen.

Das Jahr 1939 war kein Gutes. Der 2. Weltkrieg begann, und die edle Idee musste teilweise der Notwendigkeit der magenfüllenden Waren weichen. 1951 zog Familie Backhaus mit ihrem Geschäft nach Radebeul. Sie übemahm das Reformhaus der Frau Weißenbom, die hier 1933 das erste Reformhaus gegründet hatte. Familie Backhaus betrieb das Reforrnhaus bis 1972 und übergab es der HO.

Regine Staudte (geb. Backhaus)

Zum Thema: Als die Läden noch die Namen von Leuten trugen ….

Die Folgen zu den Läden interessieren mich sehr!

Deshalb möchte ich mich dem Beitrag von Frau Strangfeld aus Heft Mai 2024 anschließen und meine Erinnerungen hier mit einbringen.

Ich heiße Torsten Nenke, wurde 1952 in Radebeul geboren und bin „Auf den Ebenbergen“ aufgewachsen. Als diese Siedlung in den 1920er Jahren erbaut wurde, war auch im Haus Nr. 26 ein Laden vorhanden. Das Haus hatte einen Erweiterungsanbau für Laden und Lager. Das Geschäft kenne ich nur aus Erzählungen, aber die Ebenberge hatten eine zeitlang ein besonderes fahrendes Geschäft, nämlich das Milchauto. Das war ein Framo 901/2 mit Kastenaufbau aus Aluminium. Fahrer und Verkäufer war Herr Günther und das Fahrzeug wurde von der ehemaligen Molkerei auf der Fabrikstraße bestückt (ehemals eine Außenstelle von Pfund‘s Molkerei). Die Milch befand sich in einem Edelstahlbehälter und wurde per Abfülleinrichtung mit Handschwengel und Messbehälter, ähnlich wie sie an alten Tankstellen verwendet wurden, in die mitgebrachten Milchkannen abgefüllt. Außerdem gab es allerlei Molkereiprodukte, Eier, und wenn ich mich recht erinnere, hatte er auch Brot und Brötchen an Bord. Herr Günther wurde schon immer sehnlichst erwartet und man stand beim Schwatz an.

Andere Lebensmittel wurden weiter unten eingekauft, wie bei Gerstens am „Heiteren Blick“. Oder weiter unten bei Aurich, etwa gegenüber vom Fleischer Leschke. Hier stand dominant die nicht sehr große Frau Aurich hinter dem Ladentisch, assistiert von der Hausgehilfin Fräulein Nähter. Fasziniert war ich immer von der mechanischen Registrierkasse mit ihren großen Tasten und dem Gerassel, das Geräusch habe ich noch heute in den Ohren. Weitere Geschäfte wurden schon erwähnt. Neben der Fleischerei Leschke befand sich die Bäckerei Hein an der Ecke Am Bornberg. Hier im Hinterhof wirkte der Schuhmacher Fritsche. Weiter unten in der Nr.13 kam der Friseur Strattmann?, gefolgt von einem Bildergeschäft. Später befand sich das Reisebüro Gunkel in den Räumen, sowie ein Blumengeschäft. Im selben Haus befand/ befindet sich auch die Adlerapotheke. Im Haus Nr, 11 war die HO Molkerei „Loreley“. In der Nr. 9 War ein Backwarengeschäft der HO, das von der Fa. BAKO beliefert wurde, die sich im Keller des Gebäudes Winzerstraße/Ecke Thomas Mann Straße befand. Direkt daneben war das HO Geschäft: Obst, Gemüse, Speisekartoffeln. Hier konnten die Kleinerzeuger ihr Obst und Gemüse hinten im Hof günstig verkaufen, und dieselben Waren im Laden unter dem Verkaufswert wieder selbst wieder kaufen. Die Geldscheine wuchsen quasi an den Bäumen und Sträuchern.

In der Nr. 11 befand sich Elekrtro- Böhme mit Laden und Werkstatt. In der Nr. 5 kam die Schneiderei Siede (vorher Färberei Märksch), Daneben das Uhren und Schmuckgeschäft Töpper. Hier im Geschäft hingen an der linken Wand mehrere Kuckucksuhren, die für Kinder durch Töpper’s Hilde zum Rufen gebracht wurden. Daneben war ein HO Kunstgewerbegeschäft. (vorher Gerling und Rockstroh Schokoladenwaren). Und natürlich die „Stern“-Drogerie Rau. Im Hinterhof der Nr. 5 gab es einst die Polsterei Reimann, später die Glaserei Böhme. In der Nummer 3 kam der Optiker Forkert (vorher ein Lebensmittelgeschäft), daneben ein HO Schokoladengeschäft (vormals Elektro Martienßen), gefolgt vom Friseur Kruse. In der Nr. 1 befand sich der Bäcker Drechsler und die Deutsche Notenbank. Ich erinnere mich an den Fischladen auf der Meißner Straße neben der Post. Hier ging man zur Fischjule- Frau Ryssel. Ich entsinne mich, dass ich hier das Kilo tiefgefrorenes Fischfilet für zwei Mark gekauft habe. Im Hinterhof reparierte Herr Eulitz „Jawa“ Motorräder. Gegenüber an der Ecke Meißner Straße / Käthe- Kollwitz- Straße befand sich der Gemischtwarenladen (Kolonialwaren) Isaak, dort wohnten meine Großeltern vor dem Krieg über dem Laden. Als Kind war ich dort manchmal noch einkaufen und war dort gut bekannt.

Erwähnen möchte ich noch, dass sich zwischen dem Faberhaus und dem Tempo auf der Meißner Straße ein überdachter, offener Durchgang befunden hat, an dessen Ende der Schumacher Fraß sein Geschäft hatte und wir, als kinderreiche Familie, manchmal Großaufträge an Schuhreparaturen dort hatten.

Aber auch auf der Winzerstraße gab es einige Geschäfte, Milch- Schlegel und Gemischtwarenladen- Landschulz wurden schon erwähnt. Vorbei an der Niederlößnitzer Schule kam das Café Haupt, hier hockten wir Kinder oft vor den Kellerfenstern und erbaten uns Kuchenränder, was auch oft gut klappte. Gebacken wurde hier von der BAKO, ein HO Betrieb, der oben schon erwähnt wurde. An der Ecke Johannisstraße war das Lebensmittelgeschäft Funke. Zwischen der Scheringer Straße (jetzt Hohe Straße) und Johannisstraße befand sich auf der linken Seite das Radio- und Fernsehreparaturgeschäft Pappermann. Dieser transportierte die Geräte mit einer Seitenwagenmaschine.

An der Kreuzung Winzer-/ Humboldt-/ Dr. Rudolf- Friedrichsstraße gab es die Fleischerei Nötzold und es gab/ gibt noch einen Bäcker, früher Beck. Ein Stück vorher auf der Winzerstraße 40 war ein Verleih von Handwagen und im Schaukasten auf der Winzerstraße wurden Vorhängeschlösser angepriessen.

An der Kreuzung Winzerstraße/ Dr. Külz Straße gab es wieder ein Geschäft, an dessen Namen erinnere ich mich nicht. In der Hausnummer Winzerstraße 26 war der Laden von Pippig, dort gab es Lebensmittel und ich glaube auch Fisch. Meine Oma ging da nicht gern hin, die waren ihr zu vornehm.

An der Ecke Zillerstraße war lange Zeit noch der Laden von Schulz, der gern von den Schülern der EOS und später vom Luisengymnasium genutzt wurde. An der Ecke Borstraße/ Winzerstraße/ Rennerbergstraße gab es die Obsthalle Hertschuch.

Abschließen möchte ich meine Erinnerungen mit der Wäscherei Hofmann auf der Karl-Liebknecht-Straße 10?. Hierhin brachten wir mitunter unsere Wäsche und das Hofmannsche Dienstfahrzeug war ein Dreirad Marke Tempo, für uns Kinder äußerst interessant.

Torsten Nenke

Alter Knochen?

Interview mit einem Achtzigjährigen

Am 30. Dezember 2024 wurde der Wahlradebeuler Karl Uwe Baum in trauter Runde achtzig Jahre alt. In den letzen 30 Jahren zog er zwar seine Kreise in der Lößnitzstadt, aber den größten Teil seines Lebens hat er woanders verbracht. Einige Bewohner durfte er kennenlernen. Den Meisten aber ist er bisher nicht begegnet. Und weil er nun zu den 2,9 Prozent der Einwohner der Bundesrepublik gehört, die diese Altersgrenze übersprungen haben, will die Redaktion von Vorschau & Rückblick ihm heute etwas mehr auf den Zahn fühlen als sonst.

Apropos, wie fühlt man sich mit Achtzig?
Mit Achtzig soll man ja zum „alten Eisen“ gehören, oder doch zumindest zu dieser „seltenen Rasse“ in der Bundesrepublik, wie gerade erwähnt. Diese abstrakte Zahl aber fühlt sich überhaupt nicht an.

Aber Du bist doch zweifelsfrei kein „Spring-ins-Feld“ mehr, wie mit 18 Jahren?
Natürlich nicht! Es zwickt und zwackt hinten und vorn. Aber das hatte es auch schon früher. Es ist nicht gelogen, wenn ich sage, dass ich bisher sieben Mal von der berühmten „Schippe“ gesprungen bin. Das fing gleich am Ende des ersten Jahres nach meiner Geburt an und das vorläufig letzte Mal glückte mir die Nummer 2008. Seitdem warte ich auf den Abruf. Man lässt sich Zeit. Ich habe nichts dagegen.

Karl Uwe Baum noch unbeleckt vom wirklichen Leben

Das Auffälligste an Dir ist deine schwarze Kleidung. Hat das was zu bedeuten?
Danke! Ich hoffe, dass ich noch mehr zu bieten habe. Aber das muss mein Gegenüber schon selbst herausfinden. Stimmt schon, in dieser Sache werde ich immer mal schief angeschaut. Die einfache Erklärung ist: alle Teile passen wunderbar zusammen. Die „bunte Knete“ wird im Hirnkasten versteckt und nur gelegentlich herausgelassen, beispielsweise, wenn ich mal wieder einen Betrag für Vorschau & Rückblick schreiben darf.

Und nun kommt die philosophische Erklärung: angeregt dazu hat mich 1995 Heiner Müller. Da habe ich erstmals über das Wesentliche im Leben nachgedacht. Was man braucht, um zum Grund der Dinge vorzustoßen. Seit dem versuche ich mich vom Ballast der Industrie- und Konsumgesellschaft zu befreien. Es gelingt mir leider nur ungenügend.

Du lebst also spartanisch?
Was ist denn das?! Müller hat für sein Dasein immer eine Flasche Whisky gebraucht. Insofern lebe ich spartanisch. Ich besitze aber zum Beispiel ein Auto und auf dem Boden stapeln sich Kisten aus meinem vorherigen Leben. Das mag auch mit dem Geburtsjahr zusammenhängen. Die Älteren werden es kennen. Diese Jahrgänge haben eine Ehrfurcht vor den Dingen. Sie werfen nicht gern etwas weg, was man noch gebrauchen könnte. Zum Beispiel Holz. Da habe ich noch Material aus den 1970er, 1980er Jahren. Sicher, so eine Haltung passt nicht in die heutige Zeit. Das aber ist mir reichlich schnuppe.

Du hast angedeutet, dass du nicht schon immer in Radebeul lebst?
Ja ich weiß schon, um Radebeuler zu sein, muss man hier geschlüpft sein. Damit ist in Bälde sowieso Schluss. Die wenigen Hausgeburten retten die Stadt auch nicht mehr. In einigen Jahren kann der Ort getrost in die Landeshauptstadt eingemeindet werden, denn dann wohnen hier mehr in Dresden Geborene als echte Radebeuler.

Bisher war ich in ganz unterschiedlichen Milieus zu Hause. Im Wald hatten wir einen Kramerladen, wo die Butter neben den Kohlenanzünder lag. Sonst, außer frische Lust, nichts. Der Umzug in die Wallstraße in Dresden, nahe dem Postplatz, war für mich natürlich ein gewaltiger Zivilisationsschock. Mit der Beschaulichkeit war es da erst mal vorbei. Als ich schließlich 1998 nach Radebeul wechselte, ahnte ich nicht, dass ich wieder in der Provinz landen würde. Die Stadt wirkte damals auf mich wie eine Auster. Wenn ich da nicht schon meine Partnerin gehabt hätte, wäre ich vielleicht noch heute ein Außenstehender. Karin war für mich wie ein Türöffner.

Der Jubilar im gereiften Alter

Eigentlich kennen wir Dich nur als Rentner. Hast du auch mal was anders gemacht?
Doch, ich war mal Säugling und Schüler von der 1. bis zur 8. Klasse! Dann wurde mir das zu dumm – oder anders herum? – und ich bin zum Bau gegangen. Habs da aber nicht lange ausgehalten. Immerhin hatte dann die Kanonierslaufbahn, die sich daran anschloss, mir mein bisher höchstes Körpergewicht beschert. Leider beendete später ein Krankenhausdirektor meine so hoffnungsvoll begonnene Kraftfahrerkariere 1967 schon nach wenigen Monaten. Aber trotzdem bin ich in der Branche hängen geblieben. Zu Direktoren habe ich allerdings von da an ein gestörtes Verhältnis. Aber Rentner war bisher der beste Job, den ich je angenommen habe.

Gescheiterte Existenz oder kommt da noch mal was?
Eigentlich nicht. Als Mauerer, Krankenpfleger und Stationsleiter habe ich staatliche Abschlüsse und mit dem Ökulei (Ökonomisch-kultureller Leistungsvergleich) Ende der 1960er Jahre bin ich auch in die kulturelle Freizeitbeschäftigung eingeschwenkt und habe mich ab 1976 in verschiedenen Theatergruppen ausprobiert. In Leipzig an der Spezialschule für Leiter des künstlerischen Volkskunstschaffens, qualifizierte ich mich dann 1988 in einem zweijährigen Studium im Fach „Amateurtheater“ zum Leiter von Theatergruppen. Als schließlich alles ganz anders wurde und ein Landesverband gebraucht wurde, habe ich mit anderen Enthusiasten die Organisation aufgebaut und geleitet.

Wie war das mit der Vermehrung?
Du willst doch jetzt nicht etwa Details wissen? Auch braucht sich keiner einbilden, dass ich mein Bankgeheimnis in Vorschau & Rückblick abdrucken lasse. Nachwuchs, ja den gibt es, aber nicht in Radebeul. Alles muss nicht in die Welt posaunt werden.

Man sieht dich immer mit einer schwarz gekleideten Frau…
Das habe ich gewusst! Da hat mich schon einmal ein hiesiger Direktor (!) angemacht, als ob ich nicht frei laufen könnte. Ich darf ganz alleine bis nach Berlin fahren – manchmal.

In Altkö-Kreisen hat man uns gar einen Spitznamen verpasst. Den lasse ich aber jetzt nicht gucken.

Stimmt, über Beziehungen haben wir ja noch gar nicht gesprochen. Es sind nun schon fasst 30 Jahre her, als eine mitleidige Person aus Radebeul mich und den Inhalt eines Möbelwagens aufnahm. Die Müllerschen Erkenntnisse waren damals bei mir noch nicht zur vollen Reife gelangt. Auch so ein Zufall, der meinem Leben eine jähe Wende gab. Ich finde es als sehr angenehm, wenn sich die Interessen der Partner auf vielen Gebieten decken. Man entwickelt so ein größeres Verständnis füreinander.

Aber vorher, da muss doch auch etwas gewesen sein.
Muss es?! – Ja sicher, da gab es große und kleine Geschichten. Man hat Fehler gemacht und manchmal auch keine. Da wechselten die Orte und Personen. Einmal verlief das Leben wie in einer Einsiedelei, und ein andermal quietschte die Straßenbahn noch nachts um Halbzwei vor der Haustür. All das liegt 40 Jahre zurück. Es muss nicht mehr hervorgeholt werden. Ich bin kein Freudianer. Sicher muss man auch einmal zurückschauen. Aber morgen, morgen ist auch noch ein Tag…

Das greife ich doch gern am Schluss noch auf. Was willst du morgen anstellen?
Das weiß ich doch heute noch nicht. Eventuell mal das machen, was meine Frau sagt. Aber sonst besitze ich schon noch die Hoheit über mich selbst. Aber vielleicht sollte ich mal was für die Meinen tun: Lebensgeschichte aufschreiben für Tochter und Gattin. Die kennen mich ja nur zur Hälfte.

Nun, da hast du sicher viel zu tun. Da will ich dich nicht davon abhalten. Vielen Dank.

Das Gespräch für die Vorschau & Rückblick führte Sascha Graedtke.

Eine Zeitzeugin erinnert sich – 13. Februar 1945

Warum blitzt es am Himmel?

Gespenstig fand ich jene Nacht, als unsere Mutter mich im Februar 1945 auf ihr Fahrrad setzte und uns Kindern hastig mitteilte, wir müssen schnell zu den Großeltern, fragt nicht so viel. Ich hielt mich krampfhaft am eiskalten Fahrradsattel fest, derweil Mutter mit verrutschten Kopftuch und meine Schwester Traudl schnell auf dem Bischofsweg nebenher liefen.

Mit knapp fünf Jahren war ich erstaunt über die Feuerblitze, die wie Christbäume aussahen. Es waren die unzähligen Bomben, die Dresden, die Kunststadt Europas in Schutt und Asche legten.

Die Autorin 1945

In der Nacht vom 13. auf den 14. Februar erfolgte auf das rund 630 000 Einwohner zählende Dresden einer der verheerenden Luftangriffe auf Dresden.

Wir strebten zügig dem Haus in Zitzschewig unterhalb der Weinberge zu. Meine ältere Schwester Traudl schluchzte und fragte immer wieder nach unserem Vater, aber der war, wie eben alle Männer im Krieg, weit weg. Wiedergesehen habe wir ihn nicht mehr. Er wurde am 3. März 1945 beim Rückzug unweit des Westwalles von einem amerikanischen Tiefflieger getroffen und verblutete in einer kleinen Eifler Dorfschule. Die Sanitäter waren einen Tag vor her abgezogen wurden.

Die Großeltern beherbergten an diesem Abend mehrere Töchter mit ihren Kindern. Großvater hatte auf einem Leiterwagen Decken und Proviant gepackt. Die kleinsten Enkelkinder, so auch ich, wurden obenauf gesetzt.

Schweigend verließen wir das Grundstück. Unsere Großmutter ließ keine Sentimentalitäten aufkommen und mahnte uns still zu sein. Eilig ging es in die nahe gelegene Johanneskapelle, wo unser Großvater, Oswald Keller, über Jahre hinweg in kirchlichen Diensten stand. Stille umgab uns, doch warteten schon andere, ebenso ängstlich gestimmte Menschen auf uns. Darunter Frauen, Kinder und ältere Männer. Unser Großvater teilte alle in die Bänke ein und fing mehrmals an zu beten und viele schlossen sich dem an. Er versuchte besonders die Kinder mit exakt formulierten Anweisungen in der Dunkelheit ruhig zu halten.

Bei Besuchen in meiner alten Heimat erinnerte ich mich mehrmals daran beim Anblick der großen Kirchenfenster, die in der Schicksalsnacht innen mit Holzplatten verdunkelt waren. Unsere liebe Mutter nahm uns etwas von der Angst, wenn das Grollen und Zischen zu stark wurde und uns Schwestern, neun und nahezu fünf Jahre alt, fest an sich drückte. Irgendwann muss ich in dieser langen Nacht eingeschlafen sein. Der Proviant, wie Mutter Jahre später erzählte, wurde nicht angerührt.

Im Sommer desselben Jahres lud ein Tante in Blasewitz ihre Schwester und uns zur Hühnersuppe ein. Wir kamen nach mehrmaligen Umsteigen und zeitweiligen Laufen, verspätet an. Tante Marie musste uns allen erstmal Kräutertee kochen. Uns war es übel, wovon wussten wir Kinder nicht, wohl die Erwachsenen und die schwiegen auf unsere Fragen nach dem süßlichen, unbekannten Geruch. Noch heute, nach 80 Jahren sind diese Kindheitserlebnisse in den bewussten Februartagen des Jahres 1945 besonders lebendig.

Felicitas Schulz

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