Thema: Als die Läden noch den Namen von Leuten trugen…

Erinnerungen an Radebeul

Gleich schräg hinter dem Straßenbahnhof Mickten aufgewachsen (Jg. 1955), war Radebeul für unsere Familie nur einen Katzensprung entfernt und bevorzugtes Ziel von Sonntag-Nachmittag-Spaziergängen. Die Linie 13 endete in Radebeul-Ost, Schillerstraße, die Gleisschleife wurde damals noch in entgegengesetzter Richtung befahren. Da ging es durch die – wir nannten Junge Heide so – „Dürre Heide“ und den Fiedlergrund nach Wahnsdorf, weiter zum Spitzhaus, die Treppe herab zum „Weißen Roß“ und mit der „14“ oder „15“ (ab 1969 „4“ oder „5“) nach Mickten zurück. Natürlich gern auch einmal anders herum, oder nur zum Spitzhaus und durch die Weinberge – vieles war möglich.

Gaststätte »Carola-Schlösschen«, Ecke Maxim-Gorki-/ Gutenbergstraße


Mein Vater war ein begeisterter Laubsäge-Bastler, und Sperrholz fiel, wie so manches, in der DDR unter die raren Artikel. Da war der Tipp, „VEB Kaffee und Tee“ (heute „Teehaus“) gebe sperrhölzerne Teekisten ab, eine spannende Sache. Ich erinnere mich, wie ich mit meinem Vater in den 1960ern vielleicht zweimal mit dem „Rollfix“ `ne Teekiste abholen gegangen bin. Die Kisten waren außen mit exotischen Herkunftsbezeichnungen bedruckt und innen mit Alufolie ausgekleidet. Diese Folie hatte man zwar großflächig entfernt, aber an Kanten und in Ecken waren noch Reste davon, und – Reste herrlich duftenden Schwarzen Tees.

Hauptstraße 3, an der Bahnüberführung


Als Schüler begann ich mit dem Sammeln von Mineralien. Irgend jemand erzählte mir, auf der Ernst-Thälmann-Straße 3 (heute Hauptstr.3) in Radebeul gäbe es einen Laden für Mineralien! Zwischen 1970 und 1972 war ich wohl drei mal dort. Das Geschäft, gleich hinter der Eisenbahnüberführung musste man eine Treppe hinab gehen, wurde von einem älteren Mann, ich glaube, Herrn Gebauer, geführt. Schöne Sachen gab es da! Aber mein Taschengeld war schmal bemessen. So fanden etwa ein Bergkristall aus Brasilien, ein Rauchquarz, ein Realgar und, besonders schön, ein Malachit den Weg in meine Sammlung.

Im Herbst 1972 begann ich eine Lehre in der Außenstelle des „VEB Transformatoren- und Röntgenwerk Dresden“ auf der Meißner Str. 15; im Anschluss daran bis 1978 meine Arbeitsstelle. Die Gebäude existieren nicht mehr, sind Autobahnausbau und einem Autohaus gewichen. Nicht selten ging ich von Mickten zu Fuß zur Arbeit. Besonders beeindruckte uns ein Kollege, der öfter von Weinböhla aus zur Arbeitsstelle gejoggt kam!

Auch an Radebeuler Gaststätten erinnere ich mich.1977 feierten meine Eltern ihre Silberhochzeit im „Carolaschlösschen“ Maxim Gorki- Ecke Gutenberg- und Meißner Straße; das Haus ist durch einen Neubau ersetzt, aber eine Gaststätte ist dort immer noch: „Atlantis“, ein griechisches Restaurant. 1989 feierten wir meines Vaters 60. Geburtstag in einem „Konsum – Cafe“, es muss auch irgendwo auf der M.-Gorki-Str. oder in deren Nähe gewesen sein. Mein Bruder hatte 1987 „nach Radebeul“ geheiratet; die Feier war in den „Vier Jahreszeiten“.

Heute wohnen meine Frau und ich auf der Sidonienstraße.

Mein Vater lebt, hochbetagt, in einem Radebeuler Pflegeheim, und meine Mutter haben wir im Februar 2021 unweit des Karl-May-Grabes beigesetzt…

Christfried Weirauch

HAUS BREITIG – Maxim-Gorki-Straße 22 (Teil 2)

Nutzungen des Anwesens Haus Breitig

Der Zweck zur Errichtung 1650 war natürlich der Weinbau, um den sich alles drehte – die Weinkeller, die Wohnung eines Winzers war zunächst im EG, nach 1735 dann im östlichen Seitengebäude. Ein Pressraum kann im EG vermutet, aber bisher nicht nachgewiesen werden. Räume im OG waren für die adlige oder wohlhabende Besitzerfamilie (sie hatte in der Regel einen Hauptwohnsitz in Dresden) vorbehalten. Sie kamen zu gelegentlichen Aufenthalten, wie zur Weinlese. Nebenbei fanden auch ein paar landwirtschaftliche Arbeiten zur Selbstversorgung der Winzerfamilie statt, so sollen zeitweilig zwei Kühe zum Hof gehört haben.

Ansicht Haus Breitig von S-W, 2024

Nach dem Niedergang des Weinbaus im ganzen Elbtal durch die Reblaus – nach 1885 – lagen die Weinberge lange Zeit brach, bzw. dienten ersatzweise dem Obstanbau. Es gab keine Weinlese und demzufolge auch keine Kelterei. So wurden viele brachliegende Weinberge in den flacheren Bereichen von 1885 bis etwa 1912 parzelliert und nach und nach mit Wohnhäusern bebaut. Die bekannte Serkowitzer Fa. Gebr. Ziller bebaute damals die mittlere Eduard-Bilz-Straße mit Villen und Landhäusern. Die Flächen vom Haus Breitig wurden bis in die 1960er Jahre dagegen langsamer bebaut, sodass Familie Breitig bis zum Verkauf 1952 noch als Gartenbaubetrieb wirken konnte. Dann betrieb Frau Rödenbeck hier noch einen Reitstall mit bis zu sechs Pferden, wo auch einige Radebeuler Kinder das Reiten gelernt haben dürften. Diese Nutzung erwies sich aber für Haus und Grundstück als eher nachteilig, der Verfall schritt fort. 1972 übernahm die Stadt Radebeul / Gebäudewirtschaft das Grundstück ohne dass saniert worden wäre. Schließlich konnte die Familie Jäger das Grundstück kaufen und begann ab 1984 mit der Rekonstruktion mit dem Ziel einer eigenen Wohnnutzung. Bald schon wurden im südlichen Vorland wieder Weinstöcke gesetzt, sodass man beim Einzug schon mit eigenem Wein anstieß!

Andere Ansätze das Haus zu erhalten

Nachrichten über historische Erhaltungsmaßnahmen sind leider nicht dokumentiert. Von 1953 gibt es Teile einer studentischen Bauaufnahme durch den Studenten Herrmann Kraft an der TH Dresden, Fachrichtung Architektur, darunter sehr gute Fensteraufmaße. Es war aber nur eine Übung ohne praktische Bedeutung. In der Denkmaltopografie der Stadt Radebeul wird für Haus Breitig eine unbekannte Sanierung von 1964 erwähnt – nach Auskunft des LAfD war da eine Dachreparatur geplant aber nicht zustande gekommen.


Aber ich erinnere mich an noch einen Ansatz um 1975, das fast zur Ruine gewordene Haus zu retten: die jungen Radebeuler Familien von Dietmar Kunze, Peter Richter und Dietrich Lohse wollten das Haus erwerben und Dr. Dietmar Kunze hatte eine Studie mit zwei Nutzungsvarianten zu Papier gebracht. Die eine Variante sah einen Dreispänner (wie ein Reihenhaus) mit drei Treppen vor, die realistischere Variante ging von drei übereinander liegenden Wohnungen mit nur einem Treppenhaus aus. Der Plan scheiterte nicht am Kaufpreis, wohl aber, man ahnt es, an den Kosten von Sanierung und Umbau. Die Skizzen von damals existieren heute leider nur noch in Resten.

Dr. Wolfram Jäger, inzwischen zum Professor ernannt, hatte mit dem Erwerb 1983 und dem Baubeginn 1984 mehr Glück und vor allem den eisernen Willen, die Rettung von Haus Breitig zu stemmen. Hinzu kam, dass seine berufliche Laufbahn – Lehre als Zimmermann, Bauingenieurstudium an der TU Dresden, Anstellung bei der Bauaufsicht und danach im Bauamt der Stadt Radebeul – auf diese Bauaufgabe geradezu zugeschnitten schien. Dass sich die Realisierung schließlich bis 1990 hinzog, lag an der Größe der Aufgabe und an der schwierigen Materialsituation in der damaligen DDR. Allein die Holzbeschaffung in der Größenordnung stieß immer wieder auf Probleme – zugewiesen bekam man nur den Teil, der für einen Neubau Typ EW 65 nötig gewesen wäre. Es blieb nicht aus, nach anderen Quellen zu suchen, so ein kirchlich verwaltetes Waldstück in der Lausitz.

Stabiles Fachwerk über zwei Geschosse (S-O-Ecke), 2024

An dieser Stelle will ich an zwei nicht mehr lebende, einander bekannte Persönlichkeiten – den Radebeuler Baumeister Franz Jörissen und Prof. Hans Nadler vom Landesamt für Denkmalpflege Dresden – erinnern, die so oder so immer ein Auge für diese Baustelle hatten und gute Ratschläge und anerkennende Worte fanden.

Wenn ich mich heute an die Situation von Haus Breitig vor 1983 und an den drohenden Verlust denke, muss ich sagen, daß der Kauf durch Familie Jäger ein wahrer Glücksfall für das Kulturdenkmal war. Die Arbeit ging nicht nur ins Geld, sondern auch in die Knochen!

Teil des Wohnraumes im 1. OG, 2024

Ob Wolfram Familie Jäger, inzwischen Professor geworden, und seine Familie den 400. Geburtstag des Hauses im Jahr 2050 feierlich begehen kann, weiß heute noch niemand, schön wäre es ja.

Dietrich Lohse

Anhang Besitzerfolge (soweit nachweisbar)

1627 Besitz des Flurst. / Weinberg: kurfürstl. Schösser Johann Täucher
1650 Errichtung des Winzer- u. Herrenhauses
1714 Besitz der Witwe von Hofrat Schramm
um 1730 Besitz von Weinbg. u. Haus Frau Sekretär Wernerin
1735 Stallanbau u. zT. neue Gaupen wohl unter Hoftäschner Girkhoff
1786 Besitz der Erben von Johann Gottfried Allich
1791 Verkauf an Johann Gottlieb Findeisen, Kaditz
1897 Erwerb durch Familie Breitig, zuletzt bis 1952 Hermann Breitig, Gärtner
1952 Besitz von Frau Rödenbeck, Reitstall
1972 Erwerb durch die Stadt Radebeul / Gebäudewirtschaft
1983 Erwerb durch Familie Jäger, bis jetzt

Literaturhinweise:
Landesverein Sächs. Heimatschutz, Band XIII, Heft 5/6, 1924 (Grüne Hefte)
Vorschau 03/58, „Eckenbreitig u. Russenbreitig“, Curt Reuter
„Radebeul – Stadtführer durch Vergangenheit u. Gegenwart“, Liselotte Schließer,
Verl. Edition Reintzsch, 1996
„Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland – Stadt Radebeul“, Volker Helas
u. Mitwirkende, Sax Verlag, 2007
* „Sächs. Weinland – historische Weingüter und Winzerhäuser im Elbtal“, Matthias Donath,
Redaktions- u. Verlagsgesellschaft Elbland mbH, 2010
* „Stadtlexikon Radebeul“, Große Kreisstadt Radebeul, 2021

Der Kneipp-Verein Radebeul stellt sich vor

Seit 1990 besteht in Radebeul ein Kneipp-Verein, der das ganzheitliche Gesundheitskonzept von Sebastian Kneipp allen gesundheitsbewussten Menschen und allen Interessierten in der Umgebung nahebringt. Unser Verein ist der älteste Kneipp-Verein in Sachsen und zählt zurzeit 71 Mitglieder. Wir sind in enger Freundschaft mit dem Kneipp-Verein Donauwörth e.V., Bayern, verbunden. Neue Mitglieder und engagierte Ehrenamtler*innen sind jederzeit herzlich willkommen.

Der Kneipp-Verein beim Vereinstag in Radebeul


Sebastian Kneipp – unser Namensgeber

Sebastian Kneipp (1821-1897) war ein katholischer Pfarrer aus Bayrisch-Schwaben, der durch die Kaltwassertherapie und Naturheilkunde berühmt geworden ist – nicht nur in Deutschland. Er hat sogar den Papst behandelt und war zu Lebzeiten auch in den USA eine bekannte Persönlichkeit. Seine Wasserkur wurde zwar schon früher angewandt, aber durch ihn erst populär. Die Kraft des Wassers entdeckte er durch seine eigene Tuberkulose-Erkrankung, die zur damaligen Zeit als unheilbar galt.

Die fünf Elemente unserer Vereinsarbeit

Kneipp wusste schon früh um den ganzheitlichen Ansatz, wenn es um Gesundheit und Wohlbefinden geht. Darum ergänzte er sein Heilwissen um weitere Elemente, die auch Inhalt unserer Vereinsarbeit sind: Wasser als Vermittler von Temperaturreizen (z.B. Winterschwimmen, Wassertreten, Kneipp´sche Güsse, Wickel), Bewegung als Wechselspiel von Belastung und Entspannung, Heilkräuter mit ihrer großen therapeutischen Vielfalt, Ernährung als Aufnahme gesunder Nährstoffe in ausreichender Menge und im richtigen Verhältnis, Lebensordnung als Kernstück für den Einklang von Körper, Geist und Seele – heute sprechen wir auch von einem gesunden „Lifestyle“ oder „Mind-Body-Medizin“.

Wanderung des Kneipp-Verein Radebeul


Das Anliegen der Kneipp´schen Lehre hat die Zeit überdauert und wurde stetig auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse weiterentwickelt. So hat es auch heute noch große Bedeutung: nämlich die Menschen nicht erst krank werden zu lassen, sondern – im Sinne der Salutogenese – vorbeugend gesund zu erhalten.

Gerne bieten wir Ihnen einen Einblick in unser vielfältiges Vereinsprogramm, wobei Gäste (außer bei vereinsinternen Weihnachtsfeier und Mitgliederversammlungen) immer willkommen sind. Die Veranstaltungen sind in unserem Halbjahresprogramm zusammengefasst, das in der Tourist-Information auf der Hauptstraße in Radebeul kostenfrei für Sie ausliegt. Es lohnt sich!

Wir bieten an

Vorträge zu medizinischen und naturheilkundlichen Themen sowie zu gesunder Ernährung und Kräuterheilkunde, kulturelle Veranstaltungen, Fahrradtouren, mehrere Wanderungen, wöchentliche Rückengymnastik und Seniorengymnastik oder Tanzkurs.

Unser besonderes Angebot ist das Winterschwimmen

Dieses Highlight wird von Oktober bis Mai Sonnabend, Sonntag und an Feiertagen von 10 Uhr bis 11 Uhr im Lößnitzbad Radebeul West von unserem Verein angeboten. Es ist ein herrliches Vergnügen, das die Lehre nach Kneipp über die Kraft des Wassers zur Immunstärkung unterstützt.

Exklusiv für Mitglieder

Im Rahmen ihrer Mitgliedschaft erhalten unsere Mitglieder alle zwei Monate gratis das umfassende Kneipp Journal „aktiv & gesund“, das vom Verlag des Kneipp-Bundes herausgegeben wird. Es enthält viele Fachartikel rund um die Themen Kneipp-Medizin, Naturheilkunde und Prävention hat ist zu einem wertvollen Ratgeber geworden. Darüber hinaus erhalten Sie Vergünstigungen beim Einkauf von Gesundheitsprodukten im online-Shop des Kneipp-Verlags und bei unserem Kursprogramm.

Kommen Sie vorbei und überzeugen Sie sich selbst. Neue Mitglieder und engagierte Ehrenamtler sind jederzeit herzlich willkommen.

Manuela Hamann & Jana Hentzschel

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Kneipp-Verein Radebeul e.V.
Vereinshaus Dr.-Külz-Str. 4
01445 Radebeul
Telefon: 0351 41890799, nur Die 17-19 Uhr und Do 9-11 Uhr
E-Mail: radebeul@kneipp-sachsen.de
Internet: www.Kneippverein-Radebeul.de
Beiträge: Einzelperson/Familie 5/8,50 Euro pro Monat

Der Kneipp-Verein beim Vereinstag in Radebeul

Wanderung des Kneipp Verein Radebeul

7. Bauherrenpreiswanderung

In und um die Villenkolonie Altfriedstein

Bild: M. Mitzschke

Wie lange reicht der Vorrat an Bauherrenpreisträgern noch, um neue Wanderungen zusammenstellen? Es stellte sich die Frage, ob sich nach den vergangenen 6 Wanderungen noch genügend nicht besuchte Objekte, die untereinander in angenehmer Entfernung liegen, für eine 7. Auflage der Bauherrenpreiswanderung finden lassen. Wo waren wir schon alles;

2 x Niederlößnitz, 2 x Oberlößnitz, Zitzschewig mit Naundorf, Radebeul-Ost südlich der Meißner Straße.

Aber das Nachdenken hat sich gelohnt, das Gebiet zwischen Moritzburger Straße und Wackerbarth war noch nicht unser Ziel und auch dort gibt es eine Reihe Bauherrenpreisträger.

Als Startpunkt haben wir Münch´s Backstube auf der Moritzburger Straße 34, oder für versierte Altradebeuler, den ehemaligen Heiteren Blick gewählt. Der Verein für Denkmalpflege und neues Bauen Radebeul e.V. lädt alle Interessierten zur diesjährigen öffentlichen, nun 7. Bauherrenpreiswanderung

für Freitag den 28. Juni, 18 Uhr dorthin ein.

Wie gewohnt wird bei der Einladung zur Wanderung noch nicht so viel über das Programm verraten. Die Wegstrecke wird wieder nicht besonders weit sein und eine etwas anspruchsvollere Treppe brauchen nur die begehen, die sich das zutrauen. Anfangs- und Endpunkt liegen wieder weniger als einen Kilometer auseinander. Am Ende können die, die es möchten, danach in gemütlicher Runde bei Wein noch etwas zum Gedankenaustausch zusammenzusitzen bleiben. Letztes Jahr konnte der Verein bei dieser Gelegenheit sogar ein neues Mitglied gewinnen, mal sehen, was dieses Jahr bringt.

Auch diesmal möchte ich hier die Gelegenheit nutzen, einen kleinen Rückblick auf unsere letzte Bauherrenpreiswanderung am 30.06.2023 zu halten – zur Erinnerung und vielleicht möchten Nichtdabeigewesene diese einmal nachwandern. Es trafen sich ca. vierzig Interessierte am ehemaligen Armenhaus von Ober- und Niederlößnitz mit der Adresse An der Jägermühle 12.

Der Mut zu kommen wurde belohnt, denn der Wettergott räumte uns eine Regenpause ein, so dass die mitgebrachten Regenschirme nur bei einem kräftigen Schauer am Ende zum Einsatz kamen.

»Armenhaus«, An der Jägermühle
Bild: M. Mitzschke

Zur Geschichte des Armenhauses sei auf einen Artikel mit dem Titel “Der Oberlößnitzer Weinbergsverein” im Dezemberheft 2011 von V&R verwiesen. Der Bauherr der Sanierung des Hauses Renno Dudek erhielt 1998 den Sonderpreis “kreativer Umgang mit alter Bausubstanz”. Es lohnte sich in Ruhe mal die Details zu betrachten. In hervorragender Art wurde das schlichte Wohngebäude unter Verwendung traditioneller Materialien wiederhergestellt. Gleichzeitig wurden Ergänzungen in betont zeitgemäßem Design (Stahl und Glas) vorgenommen, die aber das Gebäude als stimmiges Ganzes erscheinen lassen. Geplant wurde der Umbau von Code Unique Architekten Dresden.

Das nächste Ziel lag gleich um die Ecke, der damalige Neubau Weinbergstraße 1a/1b. Dieser erhielt den Bauherrenpreis 2002 in der Kategorie Neubau. Architektin und gleichzeitig mit der Familie ihres Bruders Bauherrin ist Gabriele Schirmer.

Zwei modere Einfamilienhäuser stehen in sich zur Kreuzung hin öffnenden rechten Winkel zueinander und bilden ein Ensemble. Syenitmauer und Kirschbaum sollen das Bindeglied zur Vorbebauung darstellen. Die Architektur ist konsequente Formensprache der 90er Jahre des 20.Jhds, sachlich, sparsam. Die Materialien sind zeitgemäß, die Solartechnik zeigt das ökologische Denken der Bauherren.

Hierzu gab es schon stärker voneinander abweichende Meinungen der Teilnehmer, ob so ein Bauwerk an diese Stelle in Radebeul passt. Und gerade das soll auch ein Sinn dieser Wanderung sein, die aktive Diskussion zur Baukultur in Radebeul. Im Idealfall hat diese dann auch einmal Auswirkung auf das, was in Radebeul gebaut wird. Die eigene Meinung baut sinnvoller Weise auf Kenntnis und Respekt vor Anderem auf. Auch hier soll die Wanderung ein kleiner Beitrag sein, der verfallenden Diskussionskultur entgegenzuwirken.

Nächster Bauherrenpreisträger am Wege war die Familie Aust mit ihrem Meinholdschen Turmhaus. Hier wurde 2007 der Bauherrenpreis für die von unserem leider sehr früh verstorbenen Vereinsmitglied Tilo Kempe geplante Sanierung vergeben.

Wir erhielten die Gelegenheit das Ensemble vom Hof aus zu erleben und einen Blick in den Gartensaal zu werfen. Frau Elisabeth Aust konnte dazu ganz authentisch zur Geschichte, den Überraschungen und dem Ergebnis der Sanierung dieses Raumes berichten. Schön, dass dies alles für die Öffentlichkeit erlebbar ist. Zwischenzeitlich ist das Weingut um ein neues Kellergebäude ergänzt worden. Interessant waren die Gespräche, ob dies an diese Stelle passt oder nicht. Und in den Gesprächen bekommt man eine Ahnung, wie viele Komponenten in die Entscheidung hineinspielen, ob und wie an welcher Stelle gebaut werden kann.

»Retzschgut«, Weinbergstraße
Bild: M. Mitzschke

Weiter ging es zum Retzschgut. Die Familien Seifert und Tichatschke erhielten 2009 den Publikumspreis zum Bauherrenpreis. Die architektonische Beratung erfolgte durch das Büro Baarß und Löschner Radebeul.

Mit seinem hohen Walmdach und dem turmartigen Vorbau beherrscht das im Kern ins 17. Jhd. reichende zweistöckige Gebäude den Straßenraum an diesem Teil der Weinbergstraße. Die Bauherren standen vor der Aufgabe, die stark angegriffene Bausubstanz durch Schaffung von Wohnraum zu erhalten. Dazu wurde der Vorbau erhöht und mit einem durchgehenden Fensterband versehen. Viele historische Details wurden erhalten, als sympathisches neues Detail zeigt sich an der Südwestecke des Turmes ein sandsteinerner Wasserspeier. Das Gebäude ist eng mit dem Maler Moritz August Retzsch (1779-1857) verbunden. Sein Zeichnungen aus der Oberlößnitzer Zeit geben gutes Zeitzeugnis für das Erscheinungsbild dieser Gegend in dieser Zeit. Das ist aber wieder eine andere Geschichte, der es lohnt mal nachzugehen.

Kritisch schauten wir auf den östlich des Gutes entstehenden Neubau und das halb abgerissene Preßhaus. Hier stellen sich die am Aust´schen Keller gestellten Fragen ebenso.

Aber war der Wille ein Wohngebäude in hochwertiger Lage zu errichten Begründung genug, dort bauen zu müssen. Gleichzeitig wird an diesem Beispiel klar, dass der Verwaltung, der so oft ein Vorwurf bei Genehmigung problematischen Objekten gemacht wird, rechtliche Grenzen gesetzt sind, Bauanträge abzulehnen. Das ist es halt mit der Demokratie, dass der freie Bürger auch viel eigene Verantwortung für sein Tun in der Gemeinschaft hat. Nicht alles, was rechtlich geht, ist damit kompatibel.

Wir liefen die Retzschgasse zur Bennostraße hinunter und besichtigten bei der Hausnummer 11 Haus Friedland als nächsten Bauherrenpreisträger. Dieses Objekt erhielt 2005 auch den Publikumspreis. Da eine Bewohnerin des Hauses die Wanderung begleitete, konnten wir auch in den Hof. Immer wieder wurde dieses Haus im Laufe seiner Geschichte verändert. Es war sogar einmal ein von Carlowitzsches Weingut mit einem Grundstück von 4,5 Hektar. Von hier wurde einstmals Schloß Kuckuckstein mit Wein versorgt. Viele interessante historische Details, die man z.T. auch auf Wikipedia findet, ranken sich um dieses Anwesen. Eine entscheidende Veränderung des Anwesens trat ein, als der südliche Grundstücksteil 1876 an die Baufirma Ziller verkauft wurde. Diese legte die Friedlandstraße an und bebaute die an dieser gelegenen Grundstücksparzellen.

Am anderen Ende der Friedlandstraße warfen wir einen Blick auf den vom Verein in Zusammenarbeit mit der Stadt 2010 aufgewerteten Platanenplatz mit seinem von Langner geschnitzten Winzer und Gärtnerin. Wer aufmerksam geschaut hat, konnte bemerken, dass dieser im Frühjahr durch die neu gesteckten Krokusse, ein farblicher Höhepunkt war. Schade ist nur, dass das historische Trafohaus der Gröba-Werke immer wieder von Sprayern verunziert wird. 2023 dauerte es nach dem Neuanstrich nur 2 Wochen bis wieder die ersten Schmierereien entstanden. Nichts gegen Grafittis, die das Stadtbild aufwerten, dazu gibt es in Radebeul gute Beispiele. Aber aus welchem Grund werden Grafittis mit zerstörerischer Wirkung angebracht? Wie könnte man an deren Verursacher den Gedanken herantragen, den besonderen Charakter unserer Stadt zu bewahren, im Gemeinsinn weiterzuentwickeln und Achtung vor dem Wirken anderer zu haben?

Eine schöne Außenanlage besichtigten wir im Wohnpark Augustusweg 25, 25a, 25b. Diese erhielt 2008 den Publikumspreis und wurde von unserem Vereinsmitglied Kerstin Dietze geplant. Hier versuchten wir zu ergründen, warum wir diese Anlage auf engem Raum “schön” finden, passende Proportionen, Materialien, Aufenthaltsqualität, stimmige Bepflanzung, stets etwas Blühendes…

»Villa Walter«, Bennostraße
Bild: M. Mitzschke

Ein starker Regenschauer schickte uns auf den Weg zur letzten Station Villa Walter Bennostraße 23, deren Bauherren 2007 eine Anerkennung erhielten. Dieser Ziller-Bau mit typischen Gestaltungselementen der Mitte der zweiten Hälfte des 19. Jhd. empfing uns gastlich. Vom Grundstück aus konnte das Haus in Begleitung des Eigentümers umrundet und dazu der schön angelegte Garten bewundert werden. Unter dem Carport standen dann Bänke, Wein und Häppchen bereit, der Regen hatte sich verzogen und der Abend klang bei angenehmen Gesprächen aus.

Michael Mitzschke

Braucht Radebeul eine Kulturentwicklungskonzeption?

Oder: Lebhafte Leserdiskussion erwünscht!

Bei der Frage, ob Radebeul eine Kulturentwicklungskonzeption braucht, scheiden sich die Geister. Die einen winken gleich ab und meinen: Die wandert doch sowieso in die Schublade. Schließlich hatte kaum einer mitbekommen, dass ein Integriertes Stadtentwicklungskonzept (2014: INSEK 2) existiert. Doch da sind auch noch die anderen, die Interessierten, die meinen, dass so Manches nicht in die Hose gegangen wäre, wenn es eine langfristige, im öffentlichen Bewusstsein verankerte Planung gegeben hätte. Nun sollen nicht gleich am Anfang dieses Beitrages die Radebeuler Stimmungskiller Erwähnung finden, wie der bedenkliche Zustand des Bahnhofs in Radebeul-West oder die lange Liste von opulenten Gebäuden, die nach 1990 dem Abriss zum Opfer fielen. Also: Schnitt! Was weg ist, ist weg, da hilft auch kein Gejammer mehr!

Soziokulturelles Zentrum »Weißes Haus« mit Graffitifassade (Detail), 2024


Viel sinnvoller ist es doch, man geht die ganze Sache von der positiven Seite an. „Radebeul bekennt sich zur Erhaltung seiner kulturellen Vielfalt“ – zumindest wurde das bereits mehrfach und mit Nachdruck postuliert. Na, wer sagts denn, das ist doch schon ein guter Anfang!

Die Leser seien in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass das INSEK 2 in verknappter Form wichtige Aussagen, Ziele und Handlungshinweise zur Kulturentwicklung von Radebeul enthält. Das umfangreiche Kompendium mal wieder in die Hand zu nehmen, lohnt sich durchaus. Spannend ist: Was wurde im Verlaufe von zehn Jahren umgesetzt? Was wartet noch heute auf seine Realisierung? Was wurde wieder verworfen? Was kam zwischendurch an Neuem hinzu?

Straßentheater zum Internationalen Wandertheaterfestival auf dem Dorfanger Altkötzschenbroda, 2013


Einige Gedanken zur Kultur in Radebeul wurden bereits vom scheidenden Bildungs- und Kulturamtsleiter Dr. Dieter Schubert (1940–2012) im Jahr 2005 fixiert und war mit der Empfehlung verbunden, dass eine Konzeption erforderlich sei. Danach trat eine längere Pause ein. Schließlich stellte die Fraktion der Freien Wähler im März 2017 den Antrag, die Stadtverwaltung damit zu beauftragen, eine Kulturentwicklungskonzeption für die Große Kreisstadt Radebeul zu erarbeiten. Im Juni 2018 einigte man sich im BKSA (Bildungs-, Kultur- und Sozialausschuss) auf die Bildung von Facharbeitsgruppen mit konkreten namentlichen Vorschlägen. Doch nun ging es Schlag auf Schlag – aber in die falsche Richtung. Was folgte waren ein rasanter Generationswechsel, strukturelle Veränderungen, personelle Umbesetzungen sowie die alles in Frage stellende Corona-Pandemie.

Jan Dietl und Uwe Wittig vom Theater Heiterer Blick in »Nosferatu«, Aufführung in der unsanierten Mittelhalle des Bahnhofs Radebeul-Ost, 2010


Im April 2023 wurde erneut Anlauf genommen und die Fraktion der Freien Wähler erinnerte an die ausstehende Kulturkonzeption. Endlich begann man in rasantem Tempo Nägel mit Köpfen zu machen. Unter Federführung der Kulturamtsleiterin Dr. Gabriele Lorenz fanden von Oktober 2023 bis Januar 2024 im Kulturbahnhof fünf themenorientierte Kulturforen statt. Parallel wurden zu unterschiedlichen inhaltlichen Schwerpunktsetzungen Arbeitsgruppen in neuer Personenkonstellation gebildet. Der erste Entwurf stand alsbald im BKSA zu Diskussion und wurde danach mit einigen Ergänzungen zur Beschlussfassung an den Stadtrat weitergeleitet. Das Ganze erfolgte „kurz vor knapp“, denn schon wieder geht eine Legislaturperiode zu Ende. Sollte die Kulturkonzeption also zur letzten Sitzung des alten Stadtrates im Juni 2024 beschlossen werden, wäre eine wichtige Hürde genommen. Nichts ist in Stein gemeiselt und alles kann immer wieder den aktuellen Bedingungen angepasst werden.

Sich als Radebeuler Bürger mit dieser Konzeption auseinanderzusetzen, lohnt sich schon deshalb, weil sie mehr oder weniger die Lebensqualität aller betrifft und weil sie für einen langen Zeitraum, genauer gesagt bis 2030, ausgelegt ist. Der Inhalt einer solchen Konzeption ist sehr komplex. Bereits im Integrierten Stadtentwicklungskonzept wurden Themen wie Bildende, Darstellende und Angewandte Kunst, Heimat- und Traditionspflege, Erinnerungs-, Medien-, Sozio-, Jugend-, Fest- und Weinkultur berührt. Beigefügt war eine Auflistung aller kulturellen Einrichtungen wie Museen, Galerien, Theater, Bibliotheken, Ateliers, Werkstätten, temporär offene Häuser, Spezialschulen, soziokulturelle Zentren, Archive und Sammlungen sowie aller kulturorientierten Vereine, Gruppen und Initiativen. Doch seitdem hat sich vieles verändert, denn die Kulturszene ist in ständiger Bewegung.

Auftritt des Lößnitzchores vor dem Kulturbahnhof zum Vereinstag, 2023


Einen roten Faden zu finden, ist für Zugezogene sicher nicht leicht. Da sind die Neubürgerempfänge im Stammhaus der Landesbühnen doch eine sehr gute Idee. Selbst alteingesessenen Radebeulern fällt es mitunter recht schwer, das aktuelle Kulturgeschehen in der Lößnitzstadt zu überschauen. Wenn boshafte Menschen behaupten, dass Radebeul eine Schlafstadt sei, entspricht das nicht der Realität. Die Fülle der Kultur- und Freizeitangebote ist erstaunlich. Doch das alles wäre nicht möglich ohne jene engagierten Vereine und Bürger, die Radebeul das ganze Jahr über als Stadt voller kreativer Energie und Lebensfreude zeigen.

„Kultur muss man sich leisten können“, ist wohl einer der blödesten Sprüche, der einem immer wieder zu Ohren kommt. Dabei ist das Bedürfnis nach Geselligkeit, kultureller Selbstbetätigung und Bildung im weitesten Sinne doch keine anmaßende Erfindung der Gegenwart. Bereits 1842 wurde in der Niederlößnitzer Schule die erste Jugend- und Gemeindebibliothek eingerichtet. Im Jahr 1844 gründeten in Kötzschenbroda 21 sangesfreudige Gewerbetreibende den Männergesangverein „Liederkranz“. Über das Auf und Ab des stark ausgeprägten Vereinslebens in den Lößnitzortschaften zu schreiben, wäre ein spannendes Kapitel für sich.

Radebeuler Grafikmarkt in der Elbsporthalle, im Vordergrund Universalkünstler Frank-Ole Haake, 2016


Das Bekenntnis von Politik und Verwaltung zum Erhalt der kulturellen Vielfalt ist nicht nur ein Bekenntnis zu den städtischen, sondern vor allem auch zu den nichtstädtischen Kultureinrichtungen wie den Landesbühnen Sachsen, dem Karl-May-Museum, dem Sächsischen Weinbaumuseum Hoflößnitz, der Musikschule und der Traditionsbahn, welchen durch die Dynamisierung der jährlichen Zuschüsse eine sichere Basis geboten wird. Sowohl für die großen Einrichtungen als auch die vielen kleinen Initiativen gilt es, belastbarer Rahmenbedingungen zu schaffen, damit Kultur stattfinden kann und die Akteure eine sinnvolle Unterstützung erfahren. Eine Sonderstellung nimmt Radebeul mit seinen über 60 ortsansässigen Bildenden Künstlern ein. Hinzu kommen zahlreiche freischaffende Einzelkünstler und Künstlergruppen verschiedenster Sparten. Dieser Tatsache sollte auch die Kulturentwicklungskonzeption Rechnung tragen. Mit Unterstützung ist nicht nur die Ausreichung von Fördermitteln gemeint, sondern auch eine zielgerichtete Koordination, Vernetzung und Terminabstimmung. Ebenso wäre eine zentrale Plattform zur Vermittlung von Wohn-, Arbeits-, Ausstellungs- und Veranstaltungsräumen sehr hilfreich.

Allerdings findet Kultur nicht im luftleeren Raum statt. Die Bevölkerungsentwicklung, das Freizeitverhalten und das Fortschreiten der Digitalisierung spielen keine unwesentliche Rolle. Auch die stimulierende Wirkung einer sozial, kulturell und politisch offenen Atmosphäre ist nicht zu unterschätzen. Vieles war nach 1989 möglich. Neue Veranstaltungsreihen wurden in städtischer Regie etabliert wie das Herbst- und Weinfest (1991), die Karl-May-Festtage (1992) und das Wandertheaterfestival (1996). Bereits vor 1990 eingeführte Veranstaltungsreihen wie der Grafikmarkt (1979) und die Kasperiade (1987) wurden ab 1990 bzw. ab 2004 in städtische Regie übernommen. Allerdings war das u. a. auch der Fantasie, Weitsicht und Überzeugungskraft einzelner leidenschaftlicher Kulturakteure zu verdanken. Überlegungen diese kulturellen Großveranstaltungen zu privatisieren oder an Vereine zu übertragen, wurden verworfen. Das Bekenntnis zum Erhalt der kulturellen Vielfalt war über all die Jahre nicht nur ein Lippenbekenntnis. Die Frage, weshalb sich Radebeul ein Kulturamt „leistet“, beantwortet sich eigentlich von selbst.

In der gegenwärtigen kulturellen Praxis wird der öffentliche Stadtraum viel stärker in die Veranstaltungsplanung einbezogen. Neben der traditionellen Festwiese in Radebeul-West sind nun die Kultur-Terrassen in Radebeul-Ost ein häufig genutzter Veranstaltungsort, so wie auch die innerstädtischen Zentrumsbereiche und die Dorfkerne der Ursprungsgemeinden. Neue Open-Air-Veranstaltungsreihen wie „WeinbergKulTour“, „Fête de la Musique“ und „Kunst geht in Gärten“ konnten sich erfolgreich behaupten.

Radebeul schillert viel zu lebendig, als dass es sich in ein Schema pressen ließe. Bezeichnungen wie „Karl-May-Stadt“ oder „Wein- und Gartenstadt“ greifen hier zu kurz. Überregional bekannte Persönlichkeiten wurden nach 1990 wiederentdeckt. Das Wirken des Generalmusikdirektors Ernst Edler von Schuch, des Naturheilkundlers Friedrich Eduard Bilz, der Zirkusfamilie Sarrasani und der Baumeisterfamilie Ziller wird nach und nach aufgearbeitet und öffentlichkeitswirksam herausgestellt. Auch reift die Erkenntnis, das Radebeul nicht nur zu den nördlichsten Weinanbaugebieten gehört, sondern auch ein bedeutender Industriestandort war und ist.

Während die kulturelle Szene in Radebeul erfreulich pulsiert, schreitet der Verfall des historischen Bahnhofsgebäudes in Radebeul-West unerbittlich voran. Und schon bald werden mehr oder weniger melodische Klänge aus der gegenüberliegenden Musikschule den Prozess des Vergehens begleiten. Die Natur holt sich beharrlich den einstigen Bürgerstolz zurück. Dass für die Große Kreisstadt Radebeul nun endlich eine Kulturentwicklungskonzeption auf den Weg gebracht wurde, kommt für den Bahnhof vermutlich zu spät. Ob die Konzeption in einer Schublade verstaubt, liegt auch an jedem von uns selbst. Die stattgefundenen Kulturforen jedenfalls sollten auf mehrfach geäußertem Wunsch unbedingt eine Fortsetzung erfahren.

Karin (Gerhardt) Baum

100 Jahre Museum Hoflößnitz, Teil 6

»Auf, in’s Paradies, nach Oberlößnitz!« Mit dieser Aufforderung schließt der Text eines im Juli 1924 von der örtlichen Kurverwaltung herausgegebenen Faltblattes, das die Attraktionen und Annehmlichkeiten der damals rund 2100 Einwohner zählenden Gemeinde Oberlößnitz und ihrer Umgebung preist. Jüngste Errungenschaft des »sächsischen Nizza« war das wenige Wochen vorher, am Pfingstsonntag, den 8. Juni 1924 eröffnete »Heimathaus Hoflößnitz«, dessen bildliche Darstellung auch die Titelseite des Blättchens zierte. Erstmals hatte die Öffentlichkeit nun die Möglichkeit, die Schätze, die das Lust- und Berghaus in seinem Inneren barg, zu großzügig bemessenen Öffnungszeiten gegen ein kleines Eintrittsgeld in Augenschein zu nehmen. Und so ist es, abgesehen von einigen kriegs- und restaurierungsbedingten Schließzeiten, bis heute geblieben. Die ›Dresdner Nachrichten‹ brachten am 10.06.1924 folgendes über

Die Einweihungsfeier des Heimathauses Hoflößnitz

»Die alte historische ›Hoflößnitz‹, das durch die Weinlesefeste Augusts des Starken bekannt gewordene, zwischen freundliche Rebenhügel unterhalb des ›Spitzhauses‹ idyllisch eingebettete Winzerhaus der Oberlößnitz, hat zu Pfingsten, nachdem es sich jahrelang in Privatbesitz befunden hatte und als heimatliches Kleinod immer mehr vergessen wurde, endlich eine der heutigen Zeit entsprechendere, gemeinnützige Verwendung gefunden. Die Räume des Dachgeschosses dienen jetzt der wanderlustigen Jugend als willkommene Herberge, während die wundervollen, intimen Zimmer des ersten Stockwerkes und des Erdgeschosses, die einst zur Zeit der königlichen Winzerfeste großartige Feierlichkeiten sahen und, wenn sie reden könnten, gar vieles erzählen möchten von gepuderten Perücken und Reifröcken, von Grazie, Galanterie und diskretem Liebesgeflüster — ein durchaus sehenswertes Heimatmuseum geworden sind.

Museumsvorstand Dr. Alfred Tischer spricht zur Eröffnung des »Heimathauses Hoflößnitz« am 8. Juni 1924, Verlag Adam


Um 8 Uhr früh am ersten Pfingstfeiertag versammelten sich die Freunde und Gönner des Unternehmens, um in schlichter Eröffnungsfeier die ›Bleibe‹ des Heimathauses festlich zu weihen. Bürgermeister [Bruno] Hörning übergab die Herberge dem Ortsausschuß für Jugendpflege, Oberlehrer [Paul] Hösel, der seinerseits mit dem Ausdrucke des Dankes eine kurze Skizzierung der Geschichte der Herberge verband und letztere der Jugend zu fleißiger Benützung zur Verfügung stellte. Im Namen des Zweigausschusses Sachsen der Deutschen Jugendherbergen sprach Oberlehrer Richter (Dresden). Er ermahnte die Jugend besonders, das Schatzkästchen dieser einzigartigen Herberge pfleglich zu wahren und immer mit Ehrfurcht der großen Zeiten zu gedenken, die dieses Haus gesehen habe. […]

Um halb 10 Uhr hatten sich dann zu den bereits anwesenden Vertretern der Behörden noch zahlreiche Ehrengäste und ein großes, festlich gekleidetes Pfingstpublikum gesellt, so daß die nun folgende Einweihung des Heimatmuseums einen überaus würdigen, hochfeierlichen Verlauf nahm. Bei köstlichem Pfingstwetter und strahlendem, tiefblauen Himmel umstand die Versammlung, nachdem die Kurkapelle unter Musikdirektor Wagner mehrere klassische Konzertstücke meisterhaft zu Gehör gebracht hatte, die alte, historisch wertvolle Weinpresse, auf deren verwitterten Umfassungsbalken der Festredner des Tages, Dr. [Alfred] Tischer, der unermüdliche Leiter und Förderer des Heimatmuseums, Platz genommen hatte, um in zündender Ansprache einen historischen Rückblick über die ›Hoflößnitz‹ zu geben, Zweck und Ziel des Museums darzulegen und die nicht eben zahlreichen, darum aber kunsthistorisch und heimatkundlich um so wertvolleren Schätze der Sammlung ins gebührende Licht zu stellen. Nach ihm sprach Bürgermeister Hörning, dem es in zäher, jahrzehntelanger Ausdauer endlich gelungen war, das Heimathaus für die Gemeinde zu erwerben. Die Grüße der Behörde überbrachte Amtshauptmann [von Dresden-Neustadt, Dr. Rudolf] de Guehery, im Namen der Brudergemeinde Radebeul sprach Bürgermeister [Robert] Werner. Anschließend erfolgte unter Führung von Dr. Tischer ein Rundgang durch die interessanten Räume mit ihren köstlichen Holzmalereien an den Wänden und Decken, mit den sehr wertvollen Öfen aus Meißner Porzellan [beim Material irrte der Berichterstatter gewaltig, F. A.], der geologischen Sammlung, dem ›Guckkasten‹, und vielen anderen historischen Gegenständen. Es würde hier zu weit führen, auf die vielen Anregungen, die dieses altersgraue Haus dem Sachsen bietet, näher einzugehen — darum, o Wanderer, alt und jung, geh’ hin und sieh’ und lerne alldort glühende Heimatliebe!«

Dem ist kaum etwas hinzuzufügen, außer vielleicht, dass die zu Pfingsten 2024 eröffnete große Jubiläumsausstellung »Paradies« mit Arbeiten der Radebeuler Künstlerin Irene Wieland und Leihgaben aus den Senckenberg Naturhistorischen Sammlungen Dresden auch für intime Kenner der Hoflößnitz spannende neue Eindrücke bereithält. Also: Auf ins Paradies! (Fortsetzung folgt.)

Frank Andert

Editorial 6-24

Liebe Leserinnen und Leser,

in den reichen Radebeuler Festtagsreigen von 2024 reiht sich mit vorliegender Ausgabe – nicht ohne Stolz – unsere „Vorschau“ ein.

Nein, nicht 100 Jahre haben wir zu bieten, aber exakt vor 70 Jahren, im Juni 1954, erschien mitten im Jahr das erste Heft! Trotz ihres großen Erfolges und mehrfachen Auszeichnungen (1960-62 bester Kulturspiegel des Bezirks Dresden), wurde das Blatt wegen wiederholt kritischer Beiträge Ende 1963 eingestellt.

In den Umbruchszeiten von 1989 machte sich insbesondere der einst junge Redakteur Dieter Malschewski um die Neubelebung des traditionsreichen Heftes maßgeblich verdient.

Bereits im Mai 1990 erschien dann die erste Ausgabe von „Vorschau & Rückblick“ und erfreut sich mit unablässiger Kontinuität bis Heute von größter Beliebtheit.

Die Bedeutsamkeit in der Radebeuler und umliegenden Medien- und Kulturlandschaft wurde und wird uns in Wort und Schrift zahlreich bezeugt.

Bleiben Sie uns gewogen!

Sascha Graedtke

Mit Stephan Krawczyk poetisch durch das Jahr

Zum Titelbild Mai

Das Wunderbare am Wunder ist, daß es geschieht, selbstverständlich, wie nebenher und fast unbemerkt. In schöner Ruhe fließt wie eh und je die Elbe im Tal, der jenseitige Hang liegt im Schatten einer langsam untergehenden Sonne. Im Vordergrund aber geschieht es, alles an Größe überragend, das alljährlich wiederkehrende Wunder: Frisches Grün im Arm und „des Frühlings blaues Band“ ausgelassen schwenkend, tanzen Silen und Nymphe den Tanz des Aufbruchs. So feiern sie den „Wonnemond“.
Michael Hofmanns Holzschnitt „Mai“ ist getragen von der Erleichterung darüber, daß es gegen alles Erwarten doch immer wieder grün wird im Lande. Die Erleichterung wird erhöht durch die Hoffnung: Als das Messer ins Holz griff, hatte eine Schneeschicht noch die froststarre Elbaue überzuckert. Seiner optimistischen Grundhaltung gemäß hat es der Künstler dennoch verstanden, aus Hoffnung und Erleichterung Zuversicht und Jubel werden zu lassen. Die einfachen Formen des Holzschnitts kommen ihm da ein weiteres Mal entgegen.
Im asiatischen, speziell japanischen Raum, hatte der Holzschnitt von Anfang an eine ganz eigene Entwicklung genommen. Bei den Weltausstellungen in Paris und London in der zweiten Hälfte des 19. Jhs. kam die europäische Kunstszene damit gelegentlich in Berührung. Begeistert haben Paul Gauguin und nach ihm vor allem die Maler des Expressionismus die für sie neuen Anregungen – hier vor allem den Umgang mit Konturen, Flächen und Farben – aufgenommen und verarbeitet. Es ist die besondere Kunst des Holzschneiders, auch im Schwarz-Weiß-Druck die Illusion von Farbe entstehen lassen zu können.
Thomas Gerlach

Radebeuler Miniaturen

Phoinix
Ein Märchen aus der Zeit, als Wünschen noch half

In leuchtendem Purpur verabschiedet sich die Sonne am Horizont. Mit ihr geht der April.
In der Feuerschale züngeln Flammen auf. Sorgsam und gezielt legt er kleine Ästchen nach bis ein Glutbett entsteht. Dann wird er mutiger, wirft mehr Nahrung ins Feuer, bläst auch mal hinein und wie es richtig prasselt, lächelt er zufrieden: Sieh her, sagt er, es raucht fast gar nicht.
Naja, fast, lacht sie zurück. Dann greift sie Teig aus der großen Schüssel, formt Würste draus und wickelt sie um bereitstehende Haselgerten: Knüppelkuchen gefällig? ruft sie in die Runde. Schon recken sich Hände in die Höhe: ich … ich … Er aber sagt, laß mal, ich hab noch meine Hühnerbeine.
Auch du, gibt sie weiterlachend zurück, immer noch fleischeslustig, was?! Na, mal sehn …
Wie alle gesättigt sind, nur er nagt noch an seinen Knochen, die er einen nach dem anderen ins Feuer wirft, beginnt das Erzählen.
Das Sonnenuntergangsleuchten, sagt sie, erinnerte mich an die uralte Geschichte vom Phoinix aus der Asche:
Irgendwo fern im Osten geboren, weit hinter Indien, wenn da noch „Osten“ ist, hatte der Vogel nach langem Flug in Ägypten eine Heimat gefunden. Heliopolis, Wohnstatt des Sonnengottes, wurde seine Stadt. Hier baute er aus Myrtenzweigen sein Nest. Er hatte sie von Syriens Küste mitgebracht. Eine Zeit lang gab er sogar dem Küstenstreifen seinen Namen: Phönikien, Land des Purpur.
Starke Bilder weiß sie zu malen mit ihren Worten. Vom Flug übers Meer berichtet sie, vom Nestbau auf den Zinnen des Palastes, vom Feuer der untergehenden Sonne, das ihn ergreift und verzehrt mit der Glut seines Herzens. Und von dem goldenen Ei spricht sie, aus dem er selbst wiederersteht. Zu neuem Leben geboren erhebt er sich zum Flug der aufgehenden Sonne entgegen. Nach einem halben Jahrtausend erst kehr er zurück …
Überm Erzählen, überm Lauschen ist Nacht geworden.
Wie ein großes rotes Ei liegt noch ein Glutnest in der Schale.
Geht mal schon, sagt sie, ich hüte noch den Funkenflug. Die Gesellschaft zerstreut sich. Nur einer bleibt zurück.
Ich leiste dir noch etwas Gesellschaft – darf ich?
Miteinander schweigend sehen sie die Glut verlöschen.
Nach kurzer Nacht, noch ist Stille, tritt er auf den Balkon.
Von Osten her naht der neue Tag. Über der Terrasse steigt ein schwarzer Schatten auf. Asche wirbelt auf. Lautlos fliegt ein großer Vogel ins Morgenrot hinein.
Unbemerkt ist sie neben ihn getreten. Sie greift seinen Arm, lehnt die Stirn an seine Schulter: Hast du gesehen?!
Phoinix aus der Asche …
Ganz so schnell wird’s bei uns nicht gehen …
Später wird er verstohlen und unter dem Vorwand, aufräumen zu wollen, die Asche in der Feuerschale nach Knochen durchsuchen – er wird keine finden …
Thomas Gerlach

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