Zum Titelbild Januar 2020

Titelbildserie 2020

Auch in diesem Jahr wollen wir die Leserschaft mit neuen Titelbildern erfreuen. Unsere Wahl fiel auf die Radebeuler Malerin und Grafikerin Bärbel Kuntsche, die im vergangenen Jahr ihren 80. Geburtstag beging, was man allerdings kaum glauben kann, ist sie doch wie eh und je künstlerisch aktiv.
Bärbel Kuntsche wurde 1939 in Weißenborn bei Freiberg geboren. Der Ausbildung als Porzellanmalerin in Meißen folgte von 1962 bis 1966 das Studium an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden. Seit 1976 lebt sie mit ihrem Mann, dem Bildhauer Wolf-Eike Kuntsche, in Radebeul. Bärbel Kuntsche gehört zu jenen Künstlerinnen, welche die „Dresdner Sezession 89“ gründeten. Speziell für die hiesige Kasperiade, den Grafikmarkt und die Radebeuler Begegnungen schuf sie zahlreiche Illustrationen und Vignetten. Vor allem die von ihr gestalteten Kasperiade-Plakate sind begehrte Sammelobjekte. Im Jahr 2005 wurde Bärbel Kuntsche für ihr künstlerisches Gesamtwerk mit dem Radebeuler Kunstpreis ausgezeichnet.
Das Motiv des Januar-Heftes trägt den Titel „Maria und Elisabeth“. Es zeigt zwei Frauen, die einander begegnen. Beide sind schwanger, gehen mit offenem Blick und ausgestreckten Armen aufeinander zu. Die schwungvolle Tuschezeichnung entstand 1989, was kein Zufall gewesen sein kann. Denn es war jenes WENDE-Jahr, in dem Gravierendes geschah und das uns mit vielen Fragen aber voller Hoffnung entließ.
Karin (Gerhardt) Baum

Zum Titelbild Februar 2020

Zur Titelbildserie

Das neue Reisegesetz der DDR vom Januar 1990 ermöglichte allen Bürgern endlich zu reisen, wohin sie wollten. Was heute als eine Selbstverständlichkeit empfunden wird, löste damals bei vielen Menschen unbeschreibliche Glücksgefühle aus. Freiheit wurde vor allem auch als Reisefreiheit begriffen.

Das Reisen bildet, wussten schon Generationen vor uns. Italien galt seit Jahrhunderten als Sehnsuchtsland. Allein in Rom sollen zu Beginn des 19. Jahrhunderts über 500 deutsche Maler, Bildhauer und Architekten gelebt haben. Goethes Italien-Reise-Tagebuch stößt noch heute auf großes Interesse.

Auch das Radebeuler Künstlerpaar Bärbel und Wolf-Eike Kuntsche begab sich mit den befreundeten Künstlern Claus Weidensdorfer, Ute und Werner Wittig auf Goethes Spuren. Bärbel Kuntsche erinnert sich, dass sie überwältigt waren von der Kultur, Natur und Architektur, vom Duft der Orangenblüten, der seidigen Luft und dem besonderen Licht. Endlich war es möglich, bedeutende Kunstwerke im Original anzuschauen. Unentwegt wurde gezeichnet und die Skizzenbücher füllten sich. Eindrücke der Italienreisen spiegelten sich auch in ihrem späteren Schaffen.

Die Tuschezeichnung „Römische Landschaft“ entstand im Jahr 2001. Sie ist sparsam angelegt. Zu sehen sind Pinien, Zypressen und ein Gehöft. Der Blick schweift vom Palatin, einem der sieben Hügel Roms, über eine weite Landschaft. Das Forum Romanum ist allerdings nur für des Ortes Kundige als solches zu erahnen.

Karin (Gerhardt) Baum

Mit Wolf Biermann poetisch und politisch durch das Jahr

Nachgereicht: Weltweit erste öffentliche Aufführung verschollen geglaubter Werke der Komponistin Prinzessin Amalie von Sachsen

Im wunderbaren Ambiente am Fuße der gründenden Weinberge und wohl eingestimmt mit einem Tropfen erstklassigen frischen Weines begrüßte der Hausherr Prof. Dr. Rainer Beck am Abend des 17. August 2019 seine Gäste mit einer Einladung in die musikalische Welt der Amalie und den längst verflogener Klänge der spätromantischen Musik.

Prinzessin Amalie von Sachsen (1794-1870)


In einem Preview zum 150. Todestag der Prinzessin Amalie von Sachsen am 18. September 2020 präsentierten die vier hochkarätigen Musikerinnen des Dresdner Streichquartetts „Baroccoli“ verschollen geglaubte und nun wiederentdeckte Werke.

Mit einer Fülle an Wissen über die Komponistin, deren Werk mit ihrem Leben verklungen und nicht wieder zu Ruhm gelangt war, führte uns eine Expertin, Frau Petra Andrejewski, behutsam in die Welt der Amalia ein, die nichts mit Anna Amalia in Weimar verwechselt werden darf. Amalie von Sachsen lebte vom 10. August 1794 bis zum 18. September 1870, sie war eine Prinzessin von Sachsen, aber sie arbeitete unter dem Pseudonym A. Serena als Komponistin von Opern und Kantaten und war eine Schülerin Carl Maria von Webers. Unter dem Pseudonym Amalie Heiter verfasste sie zudem zahlreiche Theaterstücke. (Wikipedia)

Die Musikerinnen glänzten durch ein hervorragendes Zusammenspiel und jede auf ihre Weise als virtuose Meisterinnen ihres Fachs. Sie begeisterte das Publikum auf einzigartige Weise mit Werken der Komponistin Amalie die aufhorchen ließen.

In ständigem Wechsel von schnellen und langsamen Tönen, piano, pianissimo oder forte gespielte Partituren konnte der aufmerksame Zuhörer einem Reigen italienisch gleichender Opernklänge folgen, was wundervoll zu den sanften sommerlichen Weinterrassen der Lößnitz entsprach.

Man sollte sich mehrere Namen merken: Das Streichquartett „Baroccolo“, die Autorin und Bewahrerin der Werke Amaliens Frau Petra Andrejewski und nicht zuletzt dem Veranstalter, dem Weingut der „Drei Herren“ und dessen wunderbaren Weinen.

Noch ein Geheimtipp: Wir dürfen gespannt sein, was in der kommenden Zeit an Musik der Amalie von Sachsen zur Aufführung gelangen wird. Unter Vorbehalt angekündigt wurde die Aufführung der Oper „Elvira“ für die Musikfestspiele im nächsten Jahr (2020) im Palais des Großen Gartens in Dresden.

Mit einem große Dankeschön an alle fleißigen Mitgestalter/-innen dieses unvergesslichen Abends hoffe ich, dass es nicht allein bei dieser gelungenen Veranstaltung bleiben wird.

Ina Vogt

„Tapetenwechsel“ mit neuen Wegen und Ideen

Ein gemeinsames Projekt zwischen den Landesbühnen Sachsen und dem Masterstudiengang „Bühnenbild Szenischer Raum“, der TU Berlin

Ein aufgeregtes hin- und her hinter den Kulissen. Erstmalig sind neun Tänzer zwischen Berlin und Radebeul in einem gemeinsamen Projekt (Tapetenwechsel) zu erleben, betreut von den gestandenen Tänzerinnen und Tanzpädagoginnen Wencke Kriemer de Matos und Kerstin Laube. Als bildnerischer Berater steht dem Team Stefan Wiel von den Landesbühnen Sachsen zur Seite. Das Besondere an dem zum ersten Male durchgeführten Projekt ist, dass die Absolventen sämtliche Möglichkeiten, die ein professionelles Theater zu bieten hat, nutzen können und dass es in den Landesbühnen Sachsen statt findet.

Szene mit Aurora Fradella und Camilla Bizzi (v.l.)


Die erste Szene, von Christian Senatore choreografiert, stellt sich in spielerischer Form die Frage: „Was geschieht, wenn sich von einer Persönlichkeit andere Seiten zeigen?“ Oft gehen gut oder böse ineinander über, was allerdings in dieser Choreografie durch die drei jungen Tänzer/innen Alena Krileva, Aurora Fradella und Gianmarco Martini Zani in bildhaft-sichtbarer Form geleistet wird. Die Folie für diese Choreografie bieten musikalisch Spaniens Elektroniker (elektronische Musik).

Als zweite Choreografie von Brian Scalini, die eine Mann-Frau-Beziehung thematisierte, gefiel der Rezensentin die Bildsprache der beiden Tänzer Carnilla Bizzi und Alfonso Pereira in ihrer dichten Folge gut.

Als dritte Arbeit in Folge choreografierte Ema Jankovic „eine Frau auf der Suche nach ihrer Identität.“ Sie setzte ihre Choreografie in der Rolle als Tänzerin um.

In der vierten Szenenfolge kommt die Sorge um unsere Umwelt, in der Choreografie von Camilla Bizzi und Aurora Friedella, zum Tragen. „Wir sind immer in Bewegung und das Leben ist philosophisch als Fluss zu verstehen.“ Verraten die vier Tänzer: Oleksandr Khudimov, Alfonso Pereira, Brian Scalini, Gianmarco Martini Zani unter der Choreografie von Alena Krivileva. Die eine ansprechende, kraftvolle Choreografie boten.

Interessant ist an dieser Uraufführung von der Sparte Tanz, dass „Tapetenwechsel“ alle Altersstufen anspricht. Im Programm oder im Gespräch mit den Protagonisten ist zu erfahren: Die jungen Tänzer und Tänzerinnen, die aus allen Teilen Europas kommen, haben mehr oder weniger freudvolle Tapetenwechsel erlebt. Insofern ist der choreografierte Abend als Identitätssuche zwischen Gewinn und Verlust erlebbar. Die einzelnen Aufführungen wurden vom Publikum ausgesprochen gut und interessiert aufgenommen.

Angelika Guetter

Die (jung gebliebene) Mutter aller deutschsprachigen Lustspiele

Lessings „Minna von Barnhelm“ hatte am 18./19.1. Premiere an den Landesbühnen Sachsen

Obgleich Lessing insgesamt ein Dutzend Stücke für die Bühne schrieb, werden doch seit langem nur noch einige wenige davon regelmäßig gespielt. „Nathan der Weise“ (1783) natürlich, auch „Emilia Galotti“ (1772), gelegentlich noch „Miß Sara Sampson“ (1755) und „Minna von Barnhelm“ 1767). Was daran auffällt, sind die Titel: jeweils der Name der Hauptfigur wird direkt benannt. Was daran noch mehr auffallen sollte: In drei der vier Stücke stellte Lessing eine weibliche Figur in den Mittelpunkt, was in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ein unerhörter Bruch mit den Traditionen war. Man gehe beispielsweise die Reihe der Shakespearschen Stücke durch: wo Namen im Titel auftauchen, geht es um Männer, allesamt Prinzen oder Könige. Dagegen Lessing, der Modernisierer, Vordenker und Aufklärer: Er wendete sich den Bürgern und dem niederen Adel zu, darunter besonders den Frauen. Minna von Barnhelm, sächsisches Edelfräulein, steht beispielsweise für eine selbstbewusste Frau, die sich nicht damit abfinden will, dass ihr Traum von einem Leben an der Seite eines verdienten preußischen Offiziers, Tellheim, an dessen Stolz und Ehrgefühl scheitern soll. Das ist die Grundkonstellation für das als Lustspiel deklarierte Stück, dessen vollständiger Titel bereits einen Fingerzeig auf den heiteren Charakter gibt: „Minna von Barnhelm oder Das Soldatenglück“.

Szene mit Grian Duesberg und Sandra Maria Huimann
Foto: Norbert Millauer


Unter der Regie von Steffen Pietsch entwickelt sich auf der von Katharina Lorenz geschickt und Ressourcen schonend eingerichteten Bühne (über die gesamte Spieldauer genügt eine als Wirtshauszimmer angedeutete Spielfläche mit Sofa, Koffer sowie Wand mit Tür) ein insbesondere im ersten Teil flottes und amüsantes Schauspiel, in dem das Regieteam den Akteuren viele Freiheiten lässt ihr komödiantisches Vermögen auszuleben. Dazu knallen Türen und purzeln Körper, wird auf Knien gerutscht und gerannt und werden Gegenstände hin- und hergeschleppt. Und zwar meist so, dass das Publikum ahnt oder gar vorab erkennt, welcher Trick aus der Kiste hervorzaubert wird. Hervorzuheben ist dabei in erster Linie Michael Berndt-Cananá, der einerseits als hinterlistiger, auf den eigenen Vorteil bedachter und liebedienerischer Gastwirt etliche Kabinettstückchen aus dem (körper-)sprachlichen Repertoire zaubert. Andererseits sorgt Cananás Auftritt im zweiten Teil als Riccaut de la Marlinière, einem französischen Militär, für den humoristischen Höhepunkt des ganzen Abends, wozu auch die famose Kostümierung (durch Katharina Lorenz besorgt) und seine Frisur beitragen. Aber auch andere Figuren wissen von Beginn an mit spritzigem Witz und einnehmender Agilität zu gefallen. Zu nennen ist da die in ihrer ersten Spielzeit im Ensemble eingesetzte Tammy Girke als Franziska, dem Kammermädchen der Barnhelm (Sandra Maria Huimann), die eine betörende Aura von Leichtigkeit und weiblicher Raffinesse umgibt. Oder auch Johannes Krobbach als Paul Werner, einem ehemaligen Wachtmeister im Regiment Tellheims, der es kaum erwarten kann, wieder in den Krieg (nach Persien) zu ziehen und der als liebevoll-ironisch gezeichnete Karikatur des soldatischen Gehabes daherkommt. Oder auch Moritz Gabriel als Tellheims Diener Just, der das Quartett der wichtigen Nebenfiguren komplettiert. Außerdem hat Anke Teickner noch einen kurzen Auftritt als Witwe eines ehemaligen Offiziers, der mit Tellheim im Felde gestanden war. Ob Zufall oder nicht, aber vor allem das genannte Quartett vermag es, die Sympathien des Publikums auf sich zu ziehen. Möglicherweise ist dieser Effekt aber auch der bewussten Entscheidung der Regie geschuldet, die Rolle der Nebenfiguren als „Spin Doctors“ zu betonen, die das Schicksal der Dame bzw. des Herrn beeinflussen. Die beiden Hauptfiguren, Minna und vor allem der Major Tellheim (Grian Duisberg) scheinen bisweilen mit angezogener Handbremse zu agieren. Das verwundert, denn eigentlich ist die Handlung vor allem um deren Beziehung gewebt, die zuerst durch Tellheims starren Trotz und danach durch Minnas ins Übermütige abkippender Lust an weiblicher List auf die Probe gestellt wird. Vor allem dadurch, dass der Teil nach der Pause weitgehend Minna und Tellheim gehört, schleichen sich einige Längen ein, lässt der Schwung des ersten Teils spürbar nach. Aber wenn ganz am Ende ein geseufztes „It’s a man’s world“ aus dem Off das Stück abrundet, wird doch noch einmal die Akzentuierung dieser Inszenierung deutlich: Eine verliebte Frau kann schon manches Mal über einen Mann den Kopf schütteln, aber viel lieber möchte sie ihm doch um den Hals fallen.

Alles in allem vermochte die Aufführung am Premierenabend dem Publikum, darunter erfreulich viele Schüler, im nahezu ausverkauften Saal etwas mehr als zwei vergnügliche Stunden zu bereiten und es davon zu überzeugen, dass auch ein Text aus dem 18. Jahrhundert frisch und kraftvoll daherkommen kann, ohne dass er sich an das Gegenwartsdeutsch anbiedern müsste.

Bertram Kazmirowski
Weitere Aufführungen in Radebeul: 7.3., 19.30 Uhr, 15.3., 19 Uhr.

Editorial 2-20

Unser Februarheft rückt das Käthe-Kollwitz-Haus in Moritzburg mit der neuen Ausstellung „Wiedererscheinung – Hommage an Käthe Kollwitz“ – Holzschnitte dreier chinesischer Künstler in den Fokus.

Die Besucher waren zur Eröffnung sehr gespannt: auf die ausgestellten Arbeiten, auf die Laudatio von Irene Wieland. Sie spielte auch noch im Querflötenquintett „Quintravers“ gemeinsam mit Katharina Sommer und drei weiteren Künstlerinnen, das mit Improvisationen eindrucksvolle Bögen zu den gezeigten Holzschnitten schlug und ebenso ein von der Kuratorin Yini Tao vorgetragenes chinesisches Gedicht untermalte.

Der Einsatz einer Kürbisflöte erzeugte fernöstliche Stimmung. Ein das Publikum besonders ansprechender Vortrag der Kunstkritikerin Fang Han, der besonders den Zusammenhang zwischen Käthe Kollwitz und chinesischer Künstler näher erläuterte, rundete die Eröffnung ab.

Beide Beiträge, sowohl die Laudatio als auch den Kurzvortrag finden Sie, liebe Leserinnen und Leser, in diesem Heft. Sicherlich sind Sie nach der Lektüre dann sehr gespannt auf die Ausstellung im Käthe-Kollwitz-Haus in Moritzburg, die bis Anfang März zu sehen ist.

Staunen Sie, ich wünsche Ihnen viel Vergnügen!

Ilona Rau

Editorial 2020-01

Liebe Leserinnen und Leser,

“Ich glaube, hilf meinem Unglauben” – dieses biblische Leitwort aus dem Markusevangelium (9,24) begleitet in den christlichen Kirchen das vor uns liegende Jahr 2020.
Eigentlich ein Stoßgebet, auch in der Erzählung, der es entnommen ist. Für sich genommen klingt es paradox und beschreibt doch eine Lage, die jeder kennt und jede. Das griechische Wort “pisteuein”, von Luther hier mit “glauben” übersetzt, bedeutet zunächst einmal “vertrauen”. Vertrauen kann man anderen Menschen, sich selbst oder überhaupt dem Leben entgegenbringen – oder auch nicht. Oder der Zukunft, obwohl kein Mensch wissen kann, was sie bringt – ihm persönlich oder uns allen miteinander. Nun liegt ein neues Jahr vor uns wie ein noch unbeschriebenes Blatt. Manche werden mit Vorfreude darauf schauen, andere eher sorgenvoll. Zumeist aber wird jeder Mensch in sich selbst von beiden Empfindungen etwas finden. Für den oft schmerzlich vermissten Zusammenhalt in unserer Gesellschaft scheint mir die “Zweistimmigkeit” hilfreich zu sein, die im Bibelwort für das neue Jahr zu hören ist – in ein und demselben Menschen. Es gibt eben nicht hier die Glaubenden und da die Ungläubigen. Hier die immer nur Starken und da die immer nur Schwachen. Hier die Zuversichtlichen und da die von ihrer Angst Gesteuerten. Jeder trägt in sich selbst auch etwas vom anderen. Ich halte das für eine hilfreiche Perspektive, um sich und andere besser zu verstehen. Das werden wir nicht erleben können, wenn wir vor unseren Endgeräten vereinsamen und über den verlorenen Zusammenhalt klagen.
Vielleicht kann es ein guter Vorsatz für das neue Jahr sein, die vielen Möglichkeiten zur persönlichen Begegnung besser zu nutzen.

Christof Heinze
Pfarrer der LutherkircheRadebeul

Wolf Biermann zu Gast bei uns

Insbesondere im 30. Jahr der Deutschen Einheit wollen wir unsere zwölfteilige Lyrik-Seite programmatisch fortführen.
Mit Wolf Biermann konnten wir nun sicher den Künstler gewinnen, der wohl wie kaum ein zweiter stellvertretend für die Zerrissenheit der deutschen Teilung steht. 1936 in Hamburg geboren ist er mit nunmehr 83 Jahren auch heute noch im Rahmen von Lesungen und Konzerten mit seiner Frau Pamela unermüdlich unterwegs. Eine Konzertreise führte sie im Herbst 2019 gar bis Taipei (Taiwan), wo seine Texte simultan ins Chinesische übersetzt wurden.
Von früher Jugend an war Biermann von einem überaus starken politischen Sendungsbewusstsein geprägt, was sich durch sein ganzes Leben ziehen sollte. So liest sich seine Biographie geradezu wie ein gut gebauter Politthriller, für dessen Plott es große Phantasie gebraucht hätte.
Es ist in diesem Rahmen kaum möglich all die nennenswerten Facetten im Leben und Schaffen Biermanns hier auszuloten. Sein jüdischer und zugleich kommunistischer Vater, der Widerstand gegen die Nazis leistete, wurde 1943 im KZ-Auschwitz ermordet. Die Mutter entkam im gleichen Jahr mit ihrem Sohn durch einen Sprung in den Nordkanal dem Feuersturm auf Hamburg nur knapp dem Tod.
Bereits als Siebzehnjähriger suchte er den Weg in den Osten, wo er von der Stasi vergeblich als »Geheimer Informator« gewonnen werden sollte. Nach Abbruch seines Studiums der Politischen Ökonomie an der Humboldt-Universität in Berlin arbeitete er zwischenzeitlich als Regieassistent am Berliner Ensemble und studierte anschließend Philosophie und Mathematik.
Für seine weitere Entwicklung war 1960 die Begegnung mit Hanns Eisler von größter Bedeutung, der ihn ermutigte, Gedichte und Lieder zu schreiben. 1961 gründete er in Ost-Berlin das Berliner Arbeiter Theater (b.a.t.), wenig später wurden Inszenierungen verboten und schon 1963 musste das Theater geschlossen werden. Es folgten Auftrittsverbote, sein Wunsch in die
SED einzutreten wurde verwehrt und erste Auftritte 1964 in Westdeutschland verhärteten zunehmend die schwierigen Beziehungen zur Parteiführung. Das 11. Plenum des ZK der SED 1965 verhängte schließlich ein vollständiges Auftritts- und Berufsverbot gegen ihn.
In diese Zeit (1968) fällt die legendäre Einspielung seiner ersten Langspielplatte »Chausseestraße 131« die konspirativ in eben dieser Wohnung mit improvisierter Tontechnik erfolgte.
Der große Wendepunkt in Biermanns Leben kam schließlich 1976 mit seiner Ausbürgerung, während einer Konzertreise in Westdeutschland. Der Aufschrei breiter Kreise von Künstlern und Intellektuellen war immens und führte zur wachsenden Bedeutung der Dissidenten-Szene in der DDR.
Die Jahre in der anderen deutschen Hälfte waren von großer Schaffenskraft geprägt. Biermann nahm aus der neuen Perspektive nun mehr und mehr Abstand von seinen kommunistischen Idealen, was ihm in der Rezeption Betitelungen wie »Wendehals« einbrachten. Mit dem Mauerfall von 1989 erfüllte sich auch für ihn das bis dahin Undenkbare und neue künstlerische Impulse folgten.
Biermann kann heute auf ein reiches Œuvre zurückblicken. Seine Gedichtbände zählen zu den meistverkauften der deutschen Nachkriegsliteratur. Für sein Lebenswerk kamen ihm in West- und Gesamtdeutschland zahlreiche Preise und Ehrungen zuteil.

Liebe Leserinnen und Leser,
eine Auswahl seiner Lyrik wird uns dieses Jahr an dieser Stelle begleiten. Eingefleischte Biermann-Kenner werden bei einigen Gedichten womöglich die Melodien seiner Vertonungen hören.
Seine Texte sind, wie Biermann eben, überaus politisch, widerborstig und münden unausweichlich in quälenden Reflexionen über das ach so zerrissene deutsche Vaterland.
Oder wie formulierte es einst Marcel Reich-Ranicki mit Wertschätzung so schön: »Eintracht zu stiften ist seine Sache nicht.«

Sascha Graedtke

Mit Wolf Biermann poetisch und politisch durch das Jahr

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