Vier vor zwölf

oder Bürgertreff in Radebeul-West eröffnet

Mit einem kleinen Festakt wurde am 11. Januar durch den Radebeuler Oberbürgermeister Bert Wendsche der Bürgertreff in Radebeul-West auf der Bahnhofstraße 8 eröffnet. Mit diesem ungewöhnlichen Experiment soll von Anfang an die Sanierungsmaßnahme in Radebeul-West in enger Zusammenarbeit zwischen Bürgern, Gewerbetreibenden und Verwaltung transparent begleitet werden. Der freie Blick durch die großen Schaufenster von Außen nach Innen und umgekehrt war von den Initiatoren so gewollt. Nicht zu übersehen ist im Bürgertreff die symbolische Uhr, auf welcher die Zeiger vier Minuten vor zwölf Uhr stehen. Was wohl heißen soll, es könnte bald zu spät sein, wenn wir nicht sofort aktiv werden, um dem Geschäftssterben, der Umnutzung von öffentlichen Räumen und schließlich der Verödung unserer Innenstädte etwas entgegen zu setzen. Lösungen lassen sich hierfür nur gemeinsam finden, nicht zuletzt im Austausch mit anderen Städten, die vor ähnlichen Problemen stehen.

Radebeuls Oberbürgermeister Bert Wendsche eröffnet den Bürgertreff vier vor zwölf
Foto: K. U. Baum


Zur Eröffnung des Bürgertreffs jedenfalls herrschte reges Begängnis. Der Start war gelungen. Die ersten Seiten des Gästebuches begannen sich schnell zu füllen mit Eintragungen von „Super, dass es eine Initiative für Radebeul-Wests Lebensraum gibt, die viel Potenzial der Mitgestaltung bietet“ über „der Evangelische Schulverein mit seiner Grundschule »um die Ecke« wünscht gutes Gelingen und eine gute Zusammenarbeit“ bis zu einem Gruß von den Naundorfern, verbunden mit dem Hinweis, dass für sie Radebeul-West ein wichtiger Ort zum Einkaufen und Kommunizieren ist, da in der ältesten Radebeuler Ursprungsgemeinde bereits alle Läden geschlossen sind. Für reichlich Diskussionsstoff sorgte auch die Fotodokumentation, welche die Stadtgalerie Radebeul gestaltet hatte. Alte und neueste Aufnahmen veranschaulichen den beständigen Wandel dieses innerstädtischen Zentrumsbereiches. Die Ausstellung gliedert sich in drei Abschnitte. Neben historischen Ansichten, die hauptsächlich vom Radebeuler Stadtarchiv zur Verfügung gestellt wurden, sind Aufnahmen zu sehen, welche im Zeitraum der letzten 10 Jahre entstanden sind. Aufschlussreich ist die Dokumentation der Abriss- und Umbaumaßnahmen aber auch des Verfalls vom einstmals repräsentativen Bahnhofs-Ensemble. Es drängt sich die Frage auf: Wer schützt eigentlich die unter Denkmalschutz stehenden Gebäude vor der Aufhebung des Denkmalschutzes? In diesem Falle heißt es leider: Zu spät! Zuversicht hingegen vermitteln die Fotografien von den jüngsten Händlerinitiativen zur Belebung des innerstädtischen Zentrumsbereichs. Selbst wenn es sich dabei nur um kleine Schritte handelt, die das Gemeinschaftsgefühl der ortsansässigen Händler nicht unwesentlich gestärkt haben, freuen sich die Akteure über das bereits Erreichte. So wurden Frühlings- und Weihnachtsspektakel veranstaltet, gemütliche Sitzbänke mit Lehne aufgestellt und seit zwei Jahren gibt es wieder einen geschmückten Weihnachtsbaum auf dem Bahnhofsvorplatz.

Inmitten der interessierten Eröffnungsbesucher, Dr. Jörg Müller, 1. Bürgermeister
Foto: K. U. Baum


Natürlich war auch Radebeuls 1. Bürgermeister Dr. Jörg Müller zur Eröffnung des Bürgertreffs präsent, denn bei ihm laufen alle organisatorischen Fäden für die Maßnahmen im Sanierungsgebiet von Radebeul-West zusammen. Neben den zahlreich erschienenen Bürgern und ortsansässigen Händlern befanden sich unter den Eröffnungsbesuchern ebenfalls Stadträte, Vertreter von Vereinen sowie Mitarbeiter aus verschiedenen Fachabteilungen der Stadtverwaltung.

Ein stimmungsvoller Auftakt mit Akkordeon und Kontrabass
Foto: N. Millauer


Abschließend so viel zum Konzept: Der Radebeuler Bürgertreff ist jeden Mittwoch von 15 bis 18 Uhr geöffnet. Die Betreuung vor Ort erfolgt durch ein fünfköpfiges Kommunikationsteam, welches alle Anregungen und Hinweise entgegennimmt und weiterleitet. Fachlich flankiert wird der Bürgertreff durch die Radebeuler Stadtverwaltung, speziell im Tandem mit den Bereichen Stadtplanung sowie Kunst- und Kulturförderung. Spätestens ab dem III. Quartal nimmt im Bürgertreff das Sanierungsbüro mit eigenen Sprechzeiten seine Tätigkeit auf. Außerdem wird ein Stadtteilmanager den im Sanierungsgebiet ansässigen Gewebetreibenden als Ansprechpartner beratend zur Seite stehen. Mit vielen zusätzlichen Aktivitäten will man zur Belebung des Stadtteiles beitragen. Einige Veranstaltungstermine stehen für das Jahr 2017 bereits fest. Das Frühlingsspektakel wird am 1. April und das Weihnachtsspektakel am 2. Dezember stattfinden. Neu ist das Sommerfest im Apothekerpark zum Kindertag am 1. Juni. Darüber hinaus finden in loser Folge Ausstellungen, Vorträge, Diskussionsabende, Konzerte und Theateraufführungen statt. Für Radebeuls Ursprungsgemeinden, Vereine oder Initiativen bietet sich die Möglichkeit zur Vorstellung und Präsentation. Erhältlich sind im Bürgertreff auch der städtische Veranstaltungskalender, das Radebeuler Amtsblatt, das kulturelle Monatsheft „Vorschau & Rückblick“ sowie die Programme verschiedener Kultur- und Bildungseinrichtungen aus Radebeul und der näheren Umgebung.

Das fünfköpfige Kommunikationsteam gemeinsam mit den Mitarbeitern der Stadtverwaltung: Björn Reinemer, Ilona Rau, Margitta Czura, Nadine Wollrad, Dajana König, Anja Schöniger, Karin Baum, Andrea Löwlein (v.l.n.r.)
Foto: N. Millauer


Noch im Aufbau befindet sich das Bürgeraktiv Radebeul-West. Wer mitarbeiten möchte ist herzlich willkommen. Das nächste Treffen im Bürgertreff findet am Montag, den 27. Februar um 18 Uhr statt. KONTAKT unter galerie@radebeul.de, 0160-2357039.

Karin (Gerhardt) Baum

Editorial 2-17

Seit einigen Wochen bietet die Blickachse von der Ecke Freiligrath- und Meißnerstraße in Richtung Lößnitz derzeit ganz unverstellte Perspektiven.

Das über ein Jahrzehnt verlassene und trostlos anzuschauende Areal mit verfallenden Baracken und ruinösem Glasinvest-Gebäude wird seit Herbst vergangenen Jahres sukzessive beräumt. Letzte Betonstützen inmitten eines Trümmerberges zeugen vom Baufortschritt, oder besser derzeitigem Baurückschritt.

Das verglaste Hochhaus passte sicher nie an diesen städtebaulich sensiblen Platz. Dennoch gehörte es nach all den Jahren, gewohnheitsmäßig, so selbstverständlich zu Radebeul wie die noch wuchtigeren Blöcke an der Wasastraße.

Nun darf man gespannt sein, wie sich das ehrgeizige Vorhaben auf der Großbaustelle mit 12.000m² in einigen Jahren im Stadtbild präsentieren wird. Dem urbanen Standort entsprechend ist sinnvollerweise eine Mischbebauung mit Wohn- und Geschäftshäusern vorgesehen.

Zu wünschen bleibt jedoch, dass man mit der geplanten Gesamtkonzeption architektonisch nicht wieder vom „Regen in die Traufe“ fällt und sich gar am gegenüberliegenden „Vodafon“- Komplex orientiert, welches dem Terrain in der Nachwendezeit viel städtebaulichen Charme entrissen hat und jeder Heiterkeit entbehrt.

Bis dahin bleibt eine Hoffnung mit zwischenzeitlich weitem Blick auf die Weinhänge von Radebeul verbunden.

Sascha Graedtke

Die andere Seite

16 Künstler zeigen Malerei, Grafik und Plastiken in der Stadtgalerie

Olaf Amberg, Carsten Bürger, Michele Cyranka, Sylvia Fenk, Robert Finke, Rita Geißler, Philipp Gloger, Anna Gorsleben, Gerrit Höfer, Franziska Kunath, Stephanie Laeger, Anita Rempe, Elisabeth Richter, Barbara Wiesner, Susan Wittwer, Bettina Zimmermann

Die Künstler zeigen sich den Besuchern zur Ausstellungseröffnung am 18. November 2016 Foto: S. Preißler

Die Künstler zeigen sich den Besuchern zur Ausstellungseröffnung am 18. November 2016 Foto: S. Preißler

Es riecht nach frischer Farbe in der Stadtgalerie und man spürt sofort, dass einige der ausgestellten Arbeiten erst kurz vor der Eröffnung fertiggestellt wurden. Wie es zu dieser Gemeinschaftsausstellung kam, ist vielen Zufällen zu verdanken.

Foto: S. Preißler

Foto: S. Preißler

Den Kontakt regte die Künstlerin Anita Rempe an, der wir uns durch den Radebeuler Grafikmarkt und die »Ateliergemeinschaft Oberlicht« seit vielen Jahren verbunden fühlen.
Schließlich wurde die Idee geboren, Kunstwerke, die auf der anderen Elbseite bei einem Pleinair in Röhrsdorf entstanden sind, in der Radebeuler Stadtgaleriezu präsentieren. Nicht schlecht haben wir dann gestaunt, als es plötzlich hieß, dass sich 16 Pleinairteilnehmer an dieser Gemeinschaftsausstellung beteiligen wollen. Die Koordination, welche die Malerin Franziska Kunath mehr oder weniger freiwillig übernommen hatte, war keine leichte Aufgabe. Das betraf organisatorische Absprachen, die Vorauswahl der Exponate, die Gestaltung der Druckerzeugnisse, schließlich die Anlieferung der Exponate und den Ausstellungsaufbau.
Die Zeitspanne der Vorbereitung war relativ kurz. Und wer schon einmal ein solches Gemeinschaftsprojekt organisiert hat, weiß wovon ich schreibe.
Zwei Generationen im Alter von Mitte 30 bis Ende 50 hatten sich im Künstlerhof Röhrsdorf bei Franziska Kunath zusammengefunden. Geprägt wurde ein Großteil der Gruppe durch die Ausbildung an der Dresdner Kunsthochschule, durch Lehrer wie Gerhard Kettner, Elke Hopfe, Max Uhlig, Claus Weidensdorfer, Siegfrid Klotz, Wolfram Hänsch, Lutz Dammbeck, Ralf Kehrbach und Helmuth Heinze, dieJüngsten unter ihnen bereits durch Christian Sery und Hans Peter Adamski.
Die Ausstellung hinterlässt einen kraftvollen Eindruck, bietet Abwechslung, hat Spannung und Rhythmus. Nein, da wurde nicht »gepingelt«! Selbst die kleinformatigen Zeichnungen haben Größe und halten den wuchtig groben Bildhauerarbeiten, welche ebenfalls in der Ausstellung zu sehen sind, stand. Die Exponate reiben sich aneinander, steigern sich gegenseitig und lassen sich trotzdem die Luft zur Entfaltung. Eine humorvolle Abwechslung wird durch recht skurrile Objekte wie die türkisfarbenen »Rehkeule« oder den Vogelfänger in Katzengestalt geboten. Kurzum das Konzept und die künstlerische Qualität der Ausstellung sprechen die Besucher sehr an. Die andere Seite, welche auch als linkselbige Seite, überelbsche, wildromantische Seite oder gar Schattenseite bezeichnet wird, ist für uns Radebeuler auch heute noch ein relativ unbekanntes Terrain. Mit dem Ausbau der Niederwarthaer Brücke für den PKW Verkehr wurde im mehrfachen Sinne eine praktikable Verbindung geschaffen, die geradezu animiert, das jeweilige Vis à Vis zu erkunden.
Der Appenhof oder Schloß Batzdorf sind für Kunst- und Kulturinteressierte seit langem ein Begriff. Vom Künstlerhof in Röhrsdorf und dem Pleinair habe ich (und so wird es wohl auch den meisten Radebeulern gehen) erstmals im Zusammenhang mit den Vorbereitungen zu dieser Ausstellung etwas gehört. Das alte Gehöft inmitten der relativ unverbauten Landschaft mit seinen großartigen Möglichkeiten für künstlerische Betätigung und Präsentation war eine schöne Überraschung.

Anna Gorsleben "Schafe", 2015, Tusche/Acryl

Anna Gorsleben „Schafe“, 2015, Tusche/Acryl Foto: K. (Gerhardt) Baum

Der offene Austausch in der Gemeinschaft jenseits von Konkurrenzgedanken scheint wohl noch immer oder vielleicht schon wieder eine große Anziehungskraft auszuüben. Dass sich so viele Künstler der jüngeren Generation auf die Freilichtmalerei rückbesonnen haben, stimmt hoffnungsfroh. Wer denkt da nicht an Künstler, die einstmals nach Worpswede, Moritzburg oder Goppeln ausgeschwärmt sind? Denn das unmittelbare Arbeiten inmitten der Natur mit den sich beständig verändernden Lichtverhältnissen, den von Tageszeit und Wetter abhängigen unterschiedlichen Stimmungen ist einerseits sehr reizvoll, erfordert andererseits jedoch ein hohes Maß an Konzentration auf Wesentliches, was auch in den sparsamen Bildtiteln wie Weg, Wald, Teich, Schaf, Garten, Teich, Feld, Blumenstrauß, Gewitterregen oder »Der schöne Tag« zum Ausdruck kommt.
Sebastian Hennig beschrieb in einem Beitrag die Atmosphäre eines solchen Pleinairs: »Jeder ist für sich tätig und man findet sich doch zu Mahlzeiten und in den Arbeitspausen in einem geselligen Kreis zusammen.« Allerdings fügt er auch ein wenig lakonisch hinzu, dass es sich bei dem Pleinair in Röhrsdorf um eine reine Privatinitiative handelt, ohne jede Förderung und »dass die Künstler wie so oft ihre eigenen Sponsoren sind.«
In Ermangelung staatlicher Strukturen entstehen jenseits des kommerziellen Kunstbetriebes in der Fläche immer mehr Insellösungen. Die Kunstszene von der anderen Seite wäre für uns Radebeuler sicher eine großartige Bereicherung und es wäre wohl beidseitig wünschens wert, dass die frisch geknüpften zarten Bande nicht so schnell wieder abreißen mögen.

Karin (Gerhardt) Baum

Wenn der Wind weht

Kunstspuren in der Galerie mit Weitblick

Wenn der Wind weht, kommt Bewegung ins Leben.
Jede und jeder von uns hätte dafür Beispiele parat, richtige Geschichten sogar manchmal. Die Geschichte von dem Hut vielleicht, den der Wind vom Kopf der Dame auf der Brücke direkt in die Elbe wehte oder unter eine Dampfwalze, was heute nicht mehr vorkommen kann, weil es keine Dampfwalzen mehr gibt. Oder die von dem General, der immer den Kopf so komisch schief halten musste auf seinem dürren oder auch fettfaltigen Hals, auf dass ihm der Wind die alberne Mütze nicht vom Kopfe schlug. Generäle gibt es ja noch, leider.
In der Galerie mit Weitblick ist gegenwärtig zu erleben, was passiert, wenn sich dreizehn Künstlerinnen und Künstler Gedanken um diese Wettererscheinung machen: Wenn der Wind weht, gibt’s Kunstspuren.

„Kunstspuren“ ist der Name einer Gruppe von gegenwärtig dreizehn Künstlerinnen und Künstlern, die sich zusammenfinden um gemeinsam der Kunst mehr Raum zu schaffen. Im Alltag sind Künstler unsichtbar – im Miteinander suchen sie Wege, sich öfter mal zu zeigen.
Nun ist es durchaus auch schon eine Kunst, dreizehn Künstler in den kleinen Räumen dieser mutigen kleinen Galerie unterzubringen.
Galeristin Doro Kuhbandner hat das nicht nur mit Weitblick, sondern auch politisch korrekt mit einer Obergrenze geregelt bekommen. Wenn also wiedermal irgendwo nach Obergrenzen gerufen wird: hier finden wir sie lautlos und harmonisch verwirklicht: Zwei Bilder oder Objekte pro Teilnehmer oder Teilnehmerin, das gibt sechsundzwanzig Antworten auf die Frage was passiert, wenn der Wind weht.
Die eine oder der andere von ihnen wird sich hinaus begeben haben in die sturmumbrauste Natur, um den Pinsel erleben zu lassen, wie es ist, wenn der Wind weht. Andere werden ihren Fundus konsultiert haben und Erinnerungen aufgefrischt, sie sind ja alle nicht mehr ganz neu im Metier. Und natürlich haben sie alle eine Vorstellung von dem Vorgang, haben sie es alle schon mal die Nase draußen gehabt, wenn der Wind weht: Es lichtet sich der Nebel, und es weitet sich der Blick.
Die Galerie mit Weitblick hat ihren Namen ja nicht von Ungefähr. Doro vollendet in diesen Tagen ihr viertes Jahr in diesen Räumen. Das ist durchaus ein Grund für sie, stolz zu sein, wie es für uns ein Grund zur Dankbarkeit ist, und natürlich einer – zu gratulieren.
An gut zweihundert Wochenenden konnte sie in diesen vier Jahren von ihrem bunten Stübchen aus den Weitblick genießen und die Kunst.

„Kunst“ kommt nicht vordergründig von „Können“, sondern von „Künden“. Künstler haben eine Botschaft, und Botschaften brauchen Adressaten. Dass die Botschaften individuell geboren und gestaltet werden, ist und bleibt dabei unbestrittene Voraussetzung. An der Bewegung aber, die unterschiedlichen Botschaften vernehmbar zu machen, arbeiten hier alle gemeinsam: Wenn der Wind weht, entsteht Aufmerksamkeit: Aufmerksamkeit für die Kunst, die als Nahrung der Seele mehr ist, als ein schmückender Rahmen.
Den nämlich, den Rahmen, bietet in unserem Falle die Galerie mit Weitblick. Bis weit ins Neue Jahr hinein gibt es hier die Kunstspuren zu erleben und manches Kleinod zu entdecken, ob nun der Wind weht, oder nicht.

Thomas Gerlach

Buchpremiere „Von eytel Raub und Strauchdieberey“ am 20. Januar 2016 in der Stadtgalerie

Nach Dresden und Leipzig werden nun Chemnitz´ wilde Neunziger durch einen Roman beleuchtet

TitelChemnitz in den Neunzigern. Bittere Not für die einen, Goldgräberstimmung für die anderen. Das Werk von Generationen wird verzockt, und zum Zug scheint zu kommen, wer dreist genug ist. Für Heranwachsende ist die Autorität zerbrochen und keine neue in Sicht. Wer mit besserer Ortskenntnis verfolgende Polizeiautos erfolgreich abhängt, verliert den letzten Respekt vor der Ordnung. Den Triumph auf der Straße verlacht aber die magere Barschaft, und Leergutklau ist auf Dauer unergiebig. Da hilft nur noch ein Banküberfall! Spätestens hier erweist sich, dass wir es nicht mit abgebrühten Ganoven, sondern mit Kindsköpfen zu tun haben. Die Härte der Buße wird nicht verschwiegen. Überhaupt zeigt die charmante Räuberpistole Glanz und Dürftigkeit der Jugend auf unsentimentale Weise und setzt dem »Wilden Osten« ein ganz eigenes Denkmal. (aus der Verlagswerbung)

Dieses Buch ist es nun durch Zufall bei mir hängengeblieben und ich musste danach trachten, mich davon zu entlasten, indem ich das mir Übergebene auf dem Wege der Veröffentlichung wieder abgebe. Es stammt von einem, der sehr niedrig zielte aber hoch hinauswollte, der tief niedergedrückt wurde und doch wieder an die Oberfläche gelangte. An der frischen Luft hat er nach einiger Zeit sogar die Sprache wieder gefunden. Im Buch steht nun sein originaler Text im Wortlaut, wie er dem Herausgeber zugespielt wurde. Außer einer behutsamen Rechtschreibkorrektur habe ich daran nichts verändert. Die kunstlose Sprache ist erstaunlich dicht gewebt. Das Geplauder des Unbekannten steht einer mit allen Wassern der Schreibkunst gewaschenen professionellen Erzählweise beinahe in nichts nach. Die besten Romane schreibt immer noch das Leben.
Clemens Meyer schilderte in „Als wir träumten“ (2006) die turbulenten Nachwendejahre in Leipzig. Für Dresden folgt ihm darin zehn Jahre später Peter Richter mit „89/90“. Mit „Von eytel Raub und Strauchdieberey. Ein Schelmengeständnis.“ folgt nun der authentische Bericht aus Chemnitz. Früher hieß es von den drei sächsischen Metropolen: In Chemnitz würde das Geld erwirtschaftet, in Leipzig erhandelt und in Dresden ausgegeben. Nachdem der künstlerisch-publizistische Komplex weitgehend unwidersprochen hat ausreden dürfen haben wir hier also die austehende Schilderung jener Jahre aus Sicht der Arbeiterklasse. Nach Merkur und Jupiter, hämmert nun Vulkan mit glühendem Griffel seine Fassung des Geschehens auf den Schild.
Vom Autor des Erlebnisberichts kennen wir nur seinen Vornamen. Vermutlich hat er keinen Ehrgeiz als Schriftsteller wahrgenommen zu werden. Vielleicht möchte er sich nicht brüsten mit begangenen Untaten. Andererseits dünkt ihm das Niedergeschriebene wieder zu kostbar, um es nur Verwandten und Freunden mitzuteilen.
Sieben Jahre lag das Heft bei mir herum. Wenn die Mappe mir unvermutet in die Finger kam, traf es mich jedesmal wie der Vorwurf eines uneingelösten Versprechens. Freilich hatte ich ein solches nie gegeben. Aber während des Lesens wuchs eine innere Verantwortung für den Text in mir heran, für einen Text, der nicht mir gehörte und doch bislang allein mir bekannt war. Probeweise gab ich ihn dann diesem und jenem zu Gehör. Er fesselte jeden Zuhörer. Schließlich wurde mein geschätzter Dichter-Verleger Uwe Lammla in seinen Bann gezogen und der Entschluß war gefaßt, die Aufzeichnungen als Buch zu veröffentlichen.
Dem Leser empfehlen wir, sich einfach vom Reiz der Geschichte gefangen nehmen, in der Handlung treiben zu lassen. Denn was den vorliegenden Bericht wertvoll und lesenswert macht, ist die Perspektive seines Erzählers. Dem Autor dieser Erinnerungen ist mehrfach der Boden unter den Füßen weggezogen worden. Daran hat er freilich selber Seinen anteil genommen. Seine Aufzeichnungen sind ein rarer Fund, ein Kassiber aus der Zitadelle des Schicksals. Hier wird nicht nur berichtet, hier spricht sich der Täter in seinen Taten selbst aus und er lässt uns rückblickend an seinen Überlegungen und Plänen teilhaben, als stünden wir gerade neben ihm. Manches klägliche Geschehen in diesem Buch wird vor allem von der Ehrlichkeit seiner Vortragsweise veredelt. Wir müssen die Taten des Autors weder billigen noch verteidigen. Es reizt das Flair eines Grenzbezirks, den wir hier betreten. Es ist immer nur ein kleiner Schritt von der Devianz zur Delinquenz, von wirtschaftlicher Kreativität zu krimineller Energie. Bertolt Brecht läßt den Macheath als Advocatus diaboli in seiner „Dreigroschenoper“ rhetorisch fragen: „Was ist ein Dietrich gegen eine Aktie? Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank? Was ist die Ermordung eines Mannes gegen die Anstellung eines Mannes?“ Denn sehr fließend verlaufen die habituellen Übergänge zwischen Wirtschaft und Raub, zwischen Handel und Prostitution. Der Wille, etwas um beinahe jeden Preis verkaufen zu wollen, kann unversehens dazu führen, dass man sich letztlich selbst verkauft. Der Instinkt für diesen Übergang geht zunehmend verloren. Dann lesen sich Insolvenzerklärungen zuweilen wie Gerichtsurteile und Kriminalprozessakten, aber auch Ehescheidungen, klingen wie Berichte gescheiterter Unternehmensgründungen. Die legale Vorteilnahme an anderer Geld und Gut kann so übergriffig und sittenwidrig verlaufen, dass sie an den Bereich des Kriminellen zumindest anstößt, oft genug aber auch weit in ihn übergreift, ihn zuletzt sogar verzweigter ausfüllt als es der eindeutige Gelegenheitsraub tut. Der Erfolg rechtfertigt Vieles, allzu oft viel zu Vieles. Dieses Buch rückt uns die Verhältnisse wieder gerade, indem es eine eindeutige Kontur des Verbrechens nachzeichnet. Dadurch kommt ihm zuletzt sogar noch eine sittliche Dimension zu. Der Räuber ist eine Erscheinungsform des menschlichen Dasein, wie der Bettler, die Hure, der Wucherer oder der Krieger. Sein Handeln hat seinen Preis und damit ist es genug. Der Autor ist sich wohl immer bewußt gewesen, was er tat. Man könnte bei ihm beinahe von einem spezifischen Handwerksstolz des reinen Kriminellen reden.
In seinem ahnungslosen Draufgängertum wird uns der Autor dieser Jugenderinnerungen nahezu sympathisch. Denn nach Abzug der Schuld bleibt zuletzt von der kriminelle Energie immer noch die Energie übrig. Die Freiheit, die jener Thomas und seine Kumpels sich übers Maß genommen hatten, die wurde ihnen damit wieder entzogen. Nach der bezahlten Zeche ist ihm eine einzigartige Erfahrung geblieben. Er verwirft keinen Teil seines Lebens. Wir Leser können uns erfreuen an der tröstlichen Schönheit der unverwüstlichen menschlichen Natur.

Sebastian Hennig

Hennig, Sebastian (Hg.): Von eytel Raub und Strauchdieberey. Ein Schelmengeständnis. 2017. 158 S. 250 gr. ISBN 3-944064-74-7. Gb. 18,– €, Buchpremiere zur Finissage der Ausstellung „Die andere Seite“ am 20. Januar 2017 um 20 Uhr in der Stadtgalerie Radebeul, Altkötzschenbroda

Zeichen und Gestalt

Ausstellung Dresdner Kunst zum Zweiten

Die „Ausstellung Dresdner Kunst“ auf der Hohen Straße 35 in Radebeul hatte im vergangenen Winter mit eindrucksvollen Aquarellen Paul Wilhelms große Aufmerksamkeit erregt und sich, wenn wir so wollen, auf Anhieb als Marke etabliert. Die damals geweckten „Hoffnungen auf mehr“ sind nun ein erstes Mal erfüllt worden: Seit 19. November lädt Herr Gottfried Klitzsch wieder ins Obergeschoss seiner Villa ein, diesmal mit Arbeiten von Hermann Glöckner und Helmut Schmidt-Kirstein.
„Zeichen und Gestalt“ hat er die Ausstellung genannt, die laut Ankündigung wieder ab 7. Januar und bis zum 26. Februar an den Wochenenden jeweils von 11 bis 18 Uhr zu erleben ist.
Gottfried Klitzsch schwärmt von der „Kraft der Linie“. Er sieht „die Zeichnung als klassische Grundlage aller Darstellung“ und zugleich als „Ausdruck und Ausweis künstlerischer Meisterschaft“.
Der gebürtige Radebeuler war glücklich genug, frühzeitig in München nicht nur eine Heimat zu finden, sondern auch einen Beruf, dessen Ertrag ihm nun hilft, eine späte Liebe zum Erblühen zu bringen: die Liebe zur Dresdner Kunst des 20. Jahrhunderts, deren von der Elblandschaft geprägten besonderen Realitätsbezug er auch in Abstraktion und Informell aufleuchten sieht. Indem er nun seine noch junge Sammlung dem heimischen Publikum frei zugänglich macht, erweist er seine Liebe und seine Dankbarkeit.

Abseits der „offiziellen“ Kunst sind sich Hermann Glöckner und Helmut Schmidt-Kirstein seit der Mitte der 1950er Jahre nicht nur räumlich (beide wohnten zuletzt im Künstlerhaus in Dresden-Loschwitz) sondern auch in ihren freien Arbeiten nahe gekommen.
Der jüngere Schmidt-Kirstein (1909 – 1985) hatte schon als Gymnasiast erste Ausstellungen, es aber lange Zeit nicht auf einen künstlerischen Beruf abgesehen. Nach Studien in Dresden und Wien arbeitete er als Fachlehrer für dekorative Berufe. Erst nach der Heimkehr aus dem Krieg ließ er sich in Dresden als freier Künstler nieder. Zuvor hatte eine Begegnung mit der Kunst Picassos dazu geführt, dass er nahezu sein gesamtes Frühwerk vernichtete. Nach der Verarbeitung der Kriegserlebnisse wandte er sich mehr und mehr der Abstraktion zu, wobei die Linie als bestimmendes Element erhalten blieb. Nach 1970 kehrte er zu realistischer Darstellungsweise zurück.
Hermann Glöckner (1889 – 1987) war zwanzig Jahre älter als Schmidt-Kirstein. Geboren in Dresden Cotta, begann er einen langen Weg des Suchens und Lernens in Leipzig, der ihn schließlich auch an die Dresdner Kunstakademie führte.
Wie Schmidt-Kirstein war Glöckner 1945 Mitglied der Künstlergruppe „Der Ruf“, die sich der „befreiten Kunst“ zu widmen begann, jedoch schon 1948 ihre letzte Ausstellung hatte.
Wie auch vor 1945 geriet Hermann Glöckner mit seiner freien Weltsicht und seiner unabhängigen Kunstauffassung bereits in der ersten Hälfte der 1950er Jahre im Zuge der Formalismusdebatte zunehmend in Isolation.
Zahlreiche Sgrafitto-Putzschnitte zeugen auch in Radebeul von Glöckners Brotarbeit – leider werden es ihrer immer weniger.
„Beide Künstler“, schreibt Gottfried Klitzsch im Begleittext zur Ausstellung, „bewegen sich im Spannungsfeld zwischen ‚Zeichen und Gestalt‘ und vermögen unserer Wirklichkeitserfahrung andere Weltsichten hinzuzufügen. Sie sind herausragende Beispiele einer Lebenskunst, die nicht den Vorgaben einer normierenden Gesellschaft, sondern den inneren Sternen ihrer eigenen Existenz mit all ihren Zufälligkeiten und Unvorhersehbarkeiten gefolgt sind“.

Auch diese „Ausstellung Dresdner Kunst“ ist mehrfachen Besuch wert und erneut Anlass, Dank zu sagen.
Thomas Gerlach

„Grusel wohnt an keinem Ort…!“

Szene mit Felix Lydike und Ensemble Foto: Hagen König

Szene mit Felix Lydike und Ensemble Foto: Hagen König

Premiere an den Landesbühnen Sachsen für ein wahrhaftiges Gruselmärchen

Sich vor etwas zu fürchten ist – wie wir wissen – eigentlich eine ganz alltägliche Geschichte. Der eine fürchtet sich vor Spinnen, ein anderer vor Ratten und ein dritter vor dem ums Haus tobenden Sturmwind. Doch es soll auch jene geben, die sich vor gar nichts fürchten. Zu ihnen zählt der Korbmachersohn Karl, ein Junge, der sich nichts sehnlicher wünscht als sich einmal „…so richtig zu gruseln!“ Was hat er diesbezüglich nicht alles schon ausprobiert? Doch es gruselte ihn einfach nicht. Kein noch so scheußliches Gespenst, keine Hexe, kein Riese und kein Ungeheuer schafften es, das ihm sprichwörtlich die Haare zu Berge stehen. Doch Karl gibt nicht auf, er setzt alles daran, das Gruseln zu erlernen. Und eines Tages bietet sich ihm tatsächlich die Chance dazu. An dieser Stelle nun beginnt dieses Grimmsche Märchen real zu werden. Jedenfalls so real, wie es Schauspieler auf der Radebeuler Theaterbühne aufzuzeigen vermögen. Und auch so wunderbar gespenstisch, wie dieses Märchen nun mal erzählt werden will. Landesbühnen-Intendant Manuel Schöbel hat dabei selbst ganz intensiv Hand angelegt, indem er mit seiner Version das „gruselige“ Grimmsche Märchen neu erzählte und es so auch den Verhältnissen der Radebeuler Bühne anpasste. So lässt Regisseur Steffen Pietsch den Haupthelden Karl (Felix Lydike) an vielen Orten nach dem wahren Gruseln suchen. Dabei bietet auch das Bühnenbild (Tilo Staudte) eine wahrhaft gruselige Szenerie. Eben nur nicht für den mutigen Hans, den überhaupt nichts aus der Ruhe zu bringen scheint. Keine düstere Burg, keine tanzenden Knochengerippe und auch keine Gehenkten (Kostüme: Katharina Lorenz). Dafür aber entwickelt Hans Sinn für das Zwischenmenschliche, indem er sich in die äußerst praktisch denkende und handelnde Gänsemagd Suse (Cordula Hanns) verliebt. Was wiederum dem König (Olaf Hörbe) ganz und gar nicht passt. Denn der möchte auch gar zu gern seine eigene Tochter unter die Haube bringen. Am Ende kommt es auch dazu, nur eben ohne sein direktes Zutun.
Für die Kinder im Publikum – die eigentliche Zielgruppe der Inszenierung – sind die eineinhalb Stunden Gruselunterricht ein wahres Highlight. Von Furcht und Gruseln allerdings kann keine Rede sein. Dafür aber von einem wahren Gaudi, das Groß und Klein gleichermaßen ergreift.
„Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen“ dürfte über die Wintermonate hinweg mit ziemlicher Sicherheit als echter Dauerbrenner für allerhand Publikum im Radebeuler Theater sorgen.

Wolfgang Zimmermann

Mit Hans-Eckardt Wenzel poetisch durch das Jahr 2017

 

Liebe Leserinnen und Leser,

Hans-Eckardt Wenzel

Foto: S. Graedtke

im Oktoberheft des letzten Jahres erschien mit „Feinslieb, du lachst dazu“ passend zur Jahreszeit bereits ein erstes Gedicht von Wenzel. Ab Januar werden uns nun zwölf ausgewählte Gedichte und Lieder durch das neue Jahr begleiten. Viele werden sich fragen, wer ist denn dieser Wenzel? Wer nicht gerade ein Liedermacher-Freund der alten Schule ist oder nicht in den letzten Jahren gelegentlich MDR-Figaro, wie es so schön hieß, hört, dem könnte der Poet nach wie vor ein Unbekannter sein.
Hans-Eckardt Wenzel wurde am 31. Juli 1955 in Kropstädt bei Wittenberg geboren. Er studierte von 1976 bis 1981 an der Humboldt-Universität in Berlin Kulturwissenschaften und Ästhetik, fand aber schon während seiner Studienzeit seine Berufung als Autor, Sänger, Schauspieler, Regisseur und Komponist. Zwei Jahrzehnte waren neben seinem musikalischen Schaffen von philosophisch-clownesken Bühnenprogrammen mit Steffen Mensching geprägt. Ein Großteil seiner Texte offenbaren die Sehnsucht nach dem Meer und die verkannte Poetik des Alltags.
Wenzel ist seit weit über dreißig Jahren unterwegs, mit Band oder Solo. Seither sind über 40 CDs,   einige Erzählungen und Gedichtbände erschienen. Musikalische Exkurse haben den ostdeutschen „Provinzhasen“ 2003 gar nach New York geführt, wo er Texte von Woody Guthrie übersetzte und vertonte. 2014 folgten Kuba und Nicaragua mit Klängen und Eindrücken von dieser Reise.
Ein Höhepunkt für Wenzelfans bildet seit vielen Jahren um die Mittsommernacht ein Freiluftkonzert im Fischerdorf Kamp südlich von Usedom mit hundert Liedern und tausend Gästen.
Traditionell ist er einmal im Jahr in Dresden im Club Passage in Gorbitz zu Gast und war nun auch schon dreimal in Radebeul zu erleben.
Geneigte Leserschaft, lassen Sie sich nun einspinnen in Wenzels Gedankenwelt, wenn an dieser Stelle leider ohne Vertonung.

Sascha Graedtke

Lebenslied

Ich plane die Schmerzen mit ein,
Ich atme den Rauch, der mich aufkratzt und nährt,
Ich schwärze die Lungen mir ein.
Weiß: Leben ist nicht Artigsein.
Ich höre die Warnungen, die man spricht,
ABER VERZICHTEN WILL ICH DRAUF NICHT.

Ich plane das Herzweh mit ein,
Ich schmiege mich, Liebste, fest an deinen Leib.
Weiß, das wird nicht für ewig sein.
Ich höre die Zeit ticken in uns zwein.
Die Schwüre auf Treue, die glaub ich nicht,
ABER VERZICHTEN WILL ICH DRAUF NICHT.

Ich plane den Ärger mit ein.
Ich melde mich unaufgefordert zu Wort.
Mein Herz ist nicht rein, bin nicht klein.
Ich will einfach dagewesen sein!
Wird heiser die Stimm mir auch, bis sie bricht,
ABER VERZICHTEN WILL ICH DRAUF NICHT.

Ich plane den Kummer mit ein.
Ich liebe mir Kinder her auf diese Welt.
Verlieb mich in ihr Lachen und Schrein.
Ich will einfach nochmal Lebendigsein.
Und nehmen sie Platz und Zeit mir, so ists.
ABER VERZICHTEN WILL ICH DRAUF NICHT.

Ich plane den Kater mit ein,
Ich trinke den Boden der Gläser ans Licht.
Weiß: Früh werd ich zerschlagen sein.
Ich tanze, ich singe, ich schenk mir ein,
Und rechne nicht aus, was mich würgt, was mich bricht.
ABER VERZICHTEN WILL ICH DRAUF NICHT.

Ich plane die Sorge mit ein.
Ich greife verlockend weit aus meiner Zeit.
Ich träume mir das Anderssein.
Will leben, eh mich Gewöhnung zuschneit.
Mag sein, dass man später ganz anders anders ist,
ABER VERZICHTEN WILL ICH DRAUF NICHT.

Hans- Eckardt Wenzel

Editorialn 01-17

Wiener Walzer
Zum 1. Januar gehört für viele Leute das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker. 50 Millionen Fernsehzuschauer. Sehr feierlich das Ganze, die Lackschuhe blitzen um die Wette. Gegeben wird: Walzer. Einer nach dem anderen. Man lauscht ergriffen.
Warum das? Warum an der Schwelle zum Neuen zwei Stunden volkstümliche Klänge aus den Tagen von Kaiser Franz Joseph?
Vielleicht, weil rückwärts schauen sicherer ist als voraus. Weil die Schwelle zum Neuen nicht allen barrierefrei erscheint. Eher wie ein Startblock, von dem man springen soll, kein Ziel in Sicht. Neues Jahr: Wir wissen nicht, wie es wird. Wer hätte im Januar 2015 an eine Flüchtlingskrise gedacht, im Januar 2007 an eine Finanzkrise, in früheren Januaren an Arbeitslosen-, Atom- oder Ölkrisen. Die Krisen kommen unsortiert. Also erst einmal: Wiener Walzer. Der beruhigt die Nerven, denn offenbar hat die Welt ihre gute Ordnung noch.
Warmer Applaus, Händeschütteln, Zugaben, die Übertragung endet. Und wir müssen springen. Klatsch, 2017. Das Neujahrskonzert ist verklungen. Jetzt müssen wir wieder selber Ziele und Ordnungen suchen.
Haben Sie schon mal bei der Kirche etwas gesucht?
Beistand in Not, Verschwiegenheit für etwas, dass ich loswerden will, oder dass die Pfarrerin für mich betet; wohltuende, hilfreiche oder tröstliche Gedanken am Sonntag in der Predigt?
Sollten Sie es einmal probieren, werden Sie merken: da kann ich etwas finden. Sinn und Orientierung. Ein tröstendes Wort. Das göttliche „Trotz allem“, das den Sprung vom Startblock beflügelt, weil mir mein Ziel klarer wird.
Also, liebe Leserinnen und Leser: Die Welt hat tatsächlich ihre gute Ordnung noch, trotz allem. Da könnte man direkt einen Walzer tanzen.

Pf. Björn Fischer

Relevant oder alles erledigt?

verein für denkmalpflege und neues bauen

Denkmalschutz und Neues Bauen 2017

Der Verein wird 24 Jahre alt, Anfang 2018 werden wir unser 25jähriges Jubiläum feiern. Damit rückt auch langsam der Zeitpunkt heran, wo man sich nicht nur selbst fragt sondern auch gefragt wird: Alles richtig? Noch wichtig? Ehrenvoll aufhören? Mal was Neues oder wenigstens vieles anders machen?

Unser Ziel war und ist es „Die Erhaltung des besonderen Charakters der Stadt Radebeul zu fördern“. Eine Definition des „besonderen Charakters“ haben wir auch nach 24 Jahren nicht, aber auch nicht ernsthaft versucht. Eine Stadt, oder Kommune allgemein, ist ein lebendiger Organismus, der von seinen Einwohnern getragen und gestaltet wird. Somit verändert sich natürlich auch der Charakter der Stadt, ihr Erscheinungsbild, ihre Funktionen und ihr Image, was wiederum sich auf Zuzug oder Wegzug auswirkt. Starres Festhalten an einem imaginären historischen Erscheinungsbild darf nicht der Anspruch sein, wohl aber das beständige Ausloten, was baulich der Stadt entspricht (dazu gehören auch Neubauten, die sich in die Umgebung einfügen ohne sie dominieren zu wollen) und was ihr dauerhaft zuwiderläuft (wie die Anfangsplanungen zum Glasinvestgelände). Wir werfen diese Frage, was tut gut und was stört erheblich, regelmäßig auf wenn sie andere vergessen und wir bringen Bürger der Stadt dazu, über dies Frage, gewollt oder ungewollt, nachzudenken. Beispiele sind die Einreichungen zum Bauherrenpreis wie auch die Platzgestaltungen, wo wir den Willen der dortigen Anlieger bündeln, gegenüber der Verwaltung einbringen und gestaltend mitwirken.

Dank unserer relativ unveränderten Mitgliederzahl von über 100 und ihrem Engagement sind wir auch regelmäßig aufgefordert, im Rahmen von größeren Bauvorhaben auf dem Gebiet unserer Stadt als Träger öffentlicher Belange mitzuwirken. Da doch einige Stadträte auch Mitglied des Vereins sind, gelingt es so oftmals, unsere fachlichen Überlegungen zur Diskussion zu stellen und für wichtige Punkte auch Mehrheiten zu finden – so als es um die Bebauungen auf der Dr. Rudolf-Friedrichs-Straße, der Maxim-Gorki-Straße oder um die Erreichung einer Gestaltungssatzung für Altkötzschenbroda (wenn nicht dort wo dann) ging. Dies ist gerade in einer Zeit wichtig, wo sich die Vorstellung von „Stadtentwicklung“ zu verändern beginnt. Stadtentwicklung kann heute nicht mehr ein Wachsen in den Rändern sein, Stadtentwicklung stößt vielmehr immer öfter auf eine „fertige“ Stadt, die kaum Lücken bietet (und wenn, wo sich alle fragen sollten: sind Lücken, kleine Freiräume nicht auch schön und eine Errungenschaft an sich?), deren Straßen sich nicht verbreitern lassen, und wo jeder Neubau, jede neue infrastrukturelle Planung sofort Nutzungskonflikte auf den Plan ruft, die eben immer weniger in einer Gleichverteilung lösbar sind für Sport, Kultur, ÖPNV, LKW, Autofahrer, Radfahrer, Fußgänger allgemein und unter Beachtung, dass wir immer älter und damit auch langsamer werden, auf Hilfen zur Fortbewegung angewiesen sind, Behinderte usw. usf. Das Moment Rücksicht dürfte immer wichtiger werden … jeder der eine Forderung aufstellt, muss sich zuallererst fragen, ob er bereit ist, diese woanders ebenso zu erfüllen: Fordere ich Tempo 30 bei mir, fahre ich es dann auch in den anderen Zonen? Will ich den Durchgangsverkehr wegbekommen, bin ich dann ebenso bereit, keine Schleichwege durch Wohngebiete woanders zu fahren? Will ich sichere Schulwege, darf ich dann doch im Halteverbot auf der Pestalozzistraße am Rathaus halten (anstelle die eine Minute auf den Parkplatz nebenan zu fahren; gleiches gilt für den Augustusweg, wo auch nur das Ankommen des eigenen Kindes und eben nicht das aller Kinder zählt) um mein Kind sicher in die Schule zu bekommen aber xandere radfahrende Kinder zugleich zu behindern? Lösungen müssen wir zunehmend nicht im Neubau und technischen Normen, die nur scheinbar von persönlicher Verantwortung entlasten, suchen, sondern sie bestehen viel eher im mehrseitigen Verzicht.

In diesem Sinne wird der Verein auch 2017 wirken, und dies wird auch das Thema des dritten Forums Was macht Radebeul aus im September/Oktober sein. Fertige Lösungen und einseitige Forderungen haben wir nicht. Unsere Stärke ist das Zusammenführen und das Angebot einer Plattform. Sie sind gern gebeten, bereits vorab uns ihre Überlegungen zuzusenden (vv@denkmalneuanradebeul.de), weil wir dann gezielt die Veranstaltung mit Themengruppen vorbereiten können, es soll ja nicht nur dabei bleiben, dass sich jeder seines Unmutes über die Zustände entledigen kann.

Ein weiteres zentrales Vereinsthema ist natürlich der Bismarckturm, für den über 1000 Menschen gespendet haben und wo nun der Treppeneinbau, beginnend ab dem 1. April (Geburtstag von Bismarck) und möglichst beendet am 2. September (110 Jahre Bismarckturm in Radebeul), erfolgen wird. Gleichfalls werden wir im Juni, am 16. oder 23., des 175 . Geburtstages von Eduard Bilz gedenken und den Bilzplatz mit der schon angelieferten Statue (finanziert durch die Anwohner; ein vergleichbares Projekt wie der Brunnen auf der Schmincke-Allee) und dem Brunnen einweihen.

Weitere Themen, mit denen sich der Verein in 2017 befassen möchte, sind am 24. Februar „40 Jahre Restaurierungen der Hoflößnitz und Zwingerbaumeister Ulrich Aust“ sowie am 7. März anläßlich des 100. Todestages von Julius Gräbner der Abend „Zwischen Villenkolonie Altfriedstein und Lutherkirche“, während wir uns dann am 20. Oktober der „Lutherkirche und Neues Gemeindehaus“ widmen.

Gegebenenfalls wird es auch möglich sein, die literarischen Führungen durch den Hohenhauspark wieder auf zu nehmen. Die Besitzer, Familie Schmidt, haben mit der Dachsanierung dem Hohenhaus nunmehr einen langen Bestand gewährt und sich leise, aber großartig um ein zentrales Kulturdenkmal der Stadt, welches bis nach Schlesien hin ausstrahlt, verdient gemacht.

Wie der geneigte Leser sieht, bleibt genug zu tun, auch wenn schon viel erreicht wurde. Die Stimme bei der Stadtentwicklung wird von zunehmender Bedeutung sein. Deshalb: Bleiben Sie uns treu oder ziehen Sie doch mit. Und nicht vergessen: Am 20. Januar 2017, 19.30 Uhr, laden wir wieder herzlich zu unserem mittlerweile traditionellen Neujahrsempfang alle Freunde des Vereins in den Kulturbahnhof Radebeul Ost ein.

Dr. Jens Baumann

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