Glossiert: Radebeul greift nach den Stern(ch)en

»Was lange währt, wird endlich gut«, sagt ein altes Sprichwort, und endlich ist es nun soweit: Endlich bekommt auch die Radebeuler Hoflößnitz ihr olympisches Highlight und kann mitspielen in der Liga von »Musikantenstadel« & Co.

Richtig so, liebe Verantwortliche: Da ist doch nun wirklich mal ein tragfähiges Konzept geboren worden. Ewig nur Karl May und Herbst und Wein muss ja auf die Dauer langweilig werden. Weg mit den alten Zöpfen und den kleinen Brötchen und her mit neuen, großen, zündenden Ideen, wie sie kürzlich in der Werbezeitung »Hoflößnitzer Sommerspiele 2010« präsentiert wurden. Dort kann man detailliert nachlesen, welch großartige Schmankerln die Tage vom 12. bis 16. August für die Besucher der Lößnitzstadt und vor allem für die Radebeuler selbst bereithalten. Unerhörtes und noch nie Gesehenes wird zu bestaunen sein: Klassik, Kabarett, Open-Air-Kino und Musical! Wann durften die Radebeuler schon mal große Kleinkunst erleben? Wann hatten sie die Möglichkeit, ein Musical zu genießen oder ein Programm mit Johann-Strauß-Melodien, von DEFA-Filmen ganz zu schweigen? Wie ein warmer Sommerregen werden diese köstlichen Gaben unsere kulturelle Wüste befruchten. Bravo!

Man legt sich ins Zeug. Ensembles von südwestsächsischem Ruf konnten gewonnen werden, zum Beispiel die Vogtlandphilharmonie mit ihrer Strauß-Gala. »Der Aufwand dies zu verwirklichen wird ein großer Kraftakt«, informiert die Zeitung. Ein paar Kommas mehr oder weniger sind egal, wenn man das »Erfolgsrezept für gute Stimmung und ein besonderes Erlebnis« gefunden hat: »Vor allem die Location mitten in den Radebeuler Weinbergen macht den Reiz dieser Veranstaltung aus.« Da capo!

Für die kulturelle Allgemeinbildung wird schon im Vorfeld einiges geleistet. So kann man aus der tief schürfenden Abhandlung »Vom Ursprung des Musicals zur größten Gala-Show auf Hoflößnitz« sogar fast halb soviel über die Entwicklung des Genres erfahren wie aus den einbändigen Taschenausgaben gängiger Universallexika. Im August ist dann auf offener Bühne mit einer regelrechten Aufklärungsoffensive zu rechnen: Das Kabarett-Solo »War das schon Sex?« mit Peter Kube »klärt endlich die wichtigste Frage von Männlein und Weiblein auf«. Endlich!

Ganz umsonst ist dieses hochkulturelle Sommergewitter natürlich nicht zu haben. Aber wer »die besten Stücke aus den schönsten Musicals in einer gigantischen Show erleben« möchte, wird gern bereit sein, dafür schlappe 45 Euro hinzublättern. »Die Vogtlandphilharmonie mit ihrem Können, mit kraftvoller Anmut und romantischer Gefühlsseligkeit« gibt’s auf den billigen Plätzen schon für die Hälfte und die »Kultfilm-Premiere« von »Paul und Paula« – Kultfilm ja, Premiere Fragezeichen – vielleicht sogar noch günstiger, also fast geschenkt.

Wer beschert uns so großzügig, wer füllt diesen »einmaligen Rahmen von Besinnlichkeit«, wie der Stiftungsvorstandsvorsitzende in seinem Vorwort »den sommerlichen Charme unserer Hoflößnitz« preist, endlich mit den passenden Inhalten? Präsentiert werden die (fast) olympischen »Sommerspiele« vom »Elbland Tourismus- und Kulturverein e. V.«. Auf dessen Internetseite erfährt man über den Verein mit dem honorigen Namen im Moment leider nicht viel mehr als: »Diese Seite ist momentan noch in Bearbeitung«. Also doch noch schnell ein Blick ins Impressum des bunten »Hoflößnitzer Musikantenstadels 2010«. Und – siehe da! – auf einmal wird klar, warum uns das Blättchen gleich von Anfang an wie eine nachträgliche Extra-Ausgabe des guten alten Radebeuler »StadtSpiegel« vorgekommen war. Dahinter steckt der gleiche echte Tausendsassa! Wer es geschafft hat, »Howie« Carpendale für ein Konzert »auf Wackerbarth« wiederzubeleben, ist auch der richtige Mann für einen Neubeginn in der, pardon: »auf Hoflößnitz«. Nur eins haben wir auf dem Werbeblättchen schmerzlich vermisst: die »Nagg’sche« auf Seite eins. Die wollen wir im nächsten Jahr wiederhaben. Wenn es »auf Hoflößnitz« wirklich soweit kommen muss…

FAZIT

[V&R 6/2010, S. 22f.]

Boden-Schutz in Sachsen – ein Nachgeschmack zum Vortrag im Haus Lotter

»Wir haben die Erde von unseren Eltern nicht geerbt, sondern wir haben sie von unseren Kindern nur geliehen.« – Ein indianisches Sprichwort, das nicht besser zum Thema passen könnte.

Was bleibt, sind Fakten, Daten – nicht viele aus der Fülle des Genannten, diese aber lassen frösteln. Zum Beispiel: Sachsens Bevölkerung ist seit 1992 um 10 % geschrumpft, benötigt jedoch 20 % mehr Siedlungs- und Verkehrsfläche. Oder: Pro Tag wird in Sachsen die Fläche von durchschnittlich acht Fußballfeldern siedlungswirtschaftlichen Zwecken unterworfen, mit einem Versieglungsgrad von 40 bis 60 %, bundesweit sind es täglich etwa 140 Spielfelder.

Dadurch geht vor allem unseren Kindern, Enkeln und Urenkeln ein Stück der nicht nachwachsenden Ressource Boden unwiederbringlich verloren! Boden, der Regenwasser zurückhält, Grundwasser neu bildet und vor Hochwasser schützt. Boden, der Schadstoffe abbaut und speichert, der für angenehmes Klima sorgt und nicht zuletzt Lebensraum für unzählige Lebewesen ist. Und Boden als Nahrungsgrundlage, nicht nur für uns Menschen, die auf globale Märkte ausweichen können.

Wir beschränken die Entwicklungsmöglichkeiten künftiger Generationen nicht nur ökologisch, räumlich und ökonomisch. Eine tendenziell ältere und abnehmende Bevölkerung wird die steigenden Kosten für den Unterhalt der geringer ausgelasteten Infrastruktur und den zunehmenden Leerstand aufbringen müssen. Sondern wir prägen deren »Umgangsformen«,  auch mit dem Boden.

Laut Beschluss der Umweltministerkonferenz von 2007 sollen 2020 in Sachsen nur noch zwei Fußballfelder Boden pro Tag verbraucht werden – wohlgemerkt bei weiter schrumpfender Bevölkerung! Gelingen wird dies allerdings nur durch einen wirklich restriktiven Umgang mit Neuausweisung von Bauflächen, denn viele rechtskräftige Bebauungsgebiete sind noch gar nicht »besiedelt«. Höchster Wert ist auf flächensparende und versiegelungsarme Erschließungs- und Siedlungsformen zu legen sowie auf verstärkte Innenentwicklung, also: Bauen im Bestand, Baulücken nutzen, Brachflächen revitalisieren. Dies ermöglicht es auch prosperierenden Regionen wie unserem Elbtal, ihren Beitrag zum Flächesparen zu leisten. Zumal man beim Flächenrecycling zwei Fliegen mit einer Klappe schlägt – man gewinnt Bauland ohne neuen Flächenverbrauch und man beseitigt Schandflecke.

Bereits vor über 30 Jahren beschrieb Christopher Alexander genau dieses Entwurfs-Muster in »A Pattern Language«, einer Art Bibel der Entwurfslehre unter Architekten, Stadtplanern und Informatikern. Unter Muster 104 »Verbesserung des Bauplatzes« können wir lesen:

»Gebaut werden muss immer auf den schlechtesten Teilen des Grundstückes, nicht auf den besten.

Dieser Gedanke ist wirklich sehr einfach. Aber er ist das genaue Gegenteil von dem, was gewöhnlich geschieht; und es erfordert beträchtliche Willenskraft, ihn durchzuführen. […]

Wir müssen jeden neuen Bauvorgang als eine Gelegenheit betrachten, ein Loch im Kleid zu flicken; jeder Bauvorgang gibt uns die Chance, einen der hässlichsten und am wenigsten gesunden Teile der Umwelt gesünder zu machen – für die ohnedies gesunden und schönen Teile sind keine Maßnahmen nötig. In Wirklichkeit müssen wir uns zwingen, sie in Ruhe zu lassen, so dass unsere Energie wirklich den Stellen zugute kommt, die es brauchen.«

Auch Radebeul ist solch ein Bauplatz. Zwischen 1996 und 2008 wurde hier ein Areal von etwa 175 Fußballfeldern in Verkehrs- und Siedlungsfläche umgewandelt.1 Warum aber befinden sich neue Baugebiete gehäuft an den Ortsrändern – Paulsberg, Weidenweg, Waldstrasse? Warum liegt nach 20 Jahren das NÄHMATAG-Gelände immer noch brach und mindert die Wohnqualität der Umgebung? Hier wäre doch der ideale Standort für Town-Häuser, nicht am Ortsrand! Wo bleiben die »kostengünstigen, flächensparenden und ökologischen Bebauungen« in Nähe der Garten- bzw. Weststrasse, wie sie im Stadtleitbild seit 2002 beschlossen sind? Warum eine Abrundungssatzung für Wahnsdorf, wenn doch drei vorausgegangene Planungen eine Bebauungsgrenze um die historische Ortslage eindeutig ausweisen?

Allerdings hat Radebeul beim Bau der neuen Feuerwache aufs Schönste gezeigt, was in Brachen steckt. Aus diesem Beispiel können wir Kraft und Mut schöpfen.

Nicht zuletzt wird aber jeder Einzelne seinen Beitrag leisten müssen. Wie groß sind Hof und Zufahrt und wie viel muss davon befestigt sein? Welchen Bau von öffentlichen Parkplätzen und Straßen provoziere ich durch mein Fahrverhalten? Mache ich Entscheidungsträgern Mut, unpopulär »Nein« zu sagen bzw. sich an längst gefasste Beschlüsse zu halten?

Es wird dauern, bis der Bodenschutz in den Köpfen der Menschen angekommen ist, so Herr Siemer vom Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie; man muss immer und immer wieder darauf hinweisen.

Katja Leiteritz

[V&R 5/2010, S. 7-9]

  1. Quelle: Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen; Daten vor 1996 liegen nicht, nach 2008 noch nicht vor.

Radebeuler Ehrenbürger (Teil 2): Robert Werner

Beim Votum über die Ehrenbürgerwürde für Curt Schnabel 1926 (V&R 4/2010) hatte es im 23-köpfigen Stadtverordnetenkollegium von Kötzschenbroda immerhin acht Gegenstimmen gegeben. Verdienste hin und her – der besonderen Auszeichnung für einen derart eingefleischt Konservativen wie den Medizinalrat wollten die Vertreter der Linksparteien nicht zustimmen. Als die Stadtverordneten des benachbarten Radebeul am 30. September 1927 erstmals über einen Vorschlag zur Verleihung der Ehrenbürgerwürde zu befinden hatten, waren sich dagegen über die Parteigrenzen hinweg alle einig: Wenn jemand diese Ehrung verdient, dann zuallererst der scheidende  Bürgermeister Robert Werner.

Bürgermeister Werner am Schreibtisch (Foto Stadtarchiv Radebeul)

Partei- oder kleinliche Kirchturmsinteressen hatten für den drahtigen Mann mit dem inzwischen ergrauten Vollbart nie eine Rolle gespielt. Ihm war es stets um gewissenhafte Pflichterfüllung im Dienste der Allgemeinheit gegangen, und die Ergebnisse seiner gut 34-jährigen Arbeit an der Spitze der Radebeuler Gemeindeverwaltung konnten sich sehen lassen.

Am 31. Juli 1862 in Kleinthiemig bei Großenhain geboren, hatte sich Ernst Robert Werner früh für die Verwaltungslaufbahn entschieden und sein Metier auf subalternen Positionen in verschiedenen sächsischen Gemeinden von der Pike auf gelernt. Als die Radebeuler Gemeindeverordneten seiner Bewerbung um die erstmals durch einen Berufsbeamten zu besetzende Stelle des Gemeindevorstands den Vorzug gaben, arbeitete Werner als Ratsregistrator in Pirna. Als er sein neues Amt am 1. Februar 1893 antrat, brachte er von dort das Bewusstsein für die Bedeutung eines geordneten Aktenwesens für die Verwaltung mit. Radebeul war damals eine aufstrebende Gemeinde mit rund 3.000 Einwohnern. Das mit der fortschreitenden Industrialisierung verbundene immense Bevölkerungswachstum – allein in Werners sechsjähriger erster Amtszeit sollte sich die Einwohnerzahl mehr als verdoppeln – stellte die Gemeindeverwaltung vor eine Reihe schwieriger Herausforderungen. Und die Kasse war leer, das gesamte Gemeindevermögen bestand bei Werners Amtsübernahme in einem abbruchreifen kleinen Armenhaus, darüber hinaus standen 3000 Mark Schulden zu Buche.

Der als »schneidig« beschriebene neue Vorstand machte sich beherzt an die Arbeit und brachte die Verwaltung in Schuss. Schon nach wenigen Monaten lag ein ordentlicher Bebauungsplan auf dem Tisch. Zielbewusst organisierte Werner den Ausbau der öffentlichen Daseinsvorsorge: 1895 war das neue Wasserwerk fertig, 1897 das zweite Schulhaus, 1899 die Straßenbahnanbindung nach Dresden, die er maßgeblich mit in die Wege geleitet hatte, 1900 stand das neue Rathaus, dessen Bau nicht unumstritten gewesen war, und so ging es weiter.

Was Werner nach reiflicher Überlegung für richtig hielt, versuchte er mit Beharrlichkeit umzusetzen, doch nicht alle seine Verschläge stießen auf Gegenliebe. Als von außen kommendem Fachmann mit einem sicheren Blick für Notwendigkeiten war ihm z. B. schnell klar geworden, dass die zunehmende bauliche Verdichtung der Lößnitz die Bildung eines größeren und leistungsfähigeren Gemeinwesens unausweichlich machte. Ab 1895 arbeitete er auf diese Vereinigung – zunächst die von Radebeul, Oberlößnitz und Serkowitz – hin und sah sich deswegen immer wieder, zum Teil böswilligen Angriffen ausgesetzt. Der einzige Erfolg in dieser Richtung, den er erleben durfte, war die Eingemeindung von Serkowitz nach Radebeul 1905. Als er wegen der beträchtlichen Mehrarbeit in diesem Zusammenhang um eine kleine zusätzliche Aufwandsentschädigung bat, stieß er bei der Gemeinde ebenso auf taube Ohren wie mit seinem Vorschlag, das von der Größe her nun eigentlich fällige Stadtrecht zu beantragen. Letzteres wurde erst 1924 nachgeholt, fortan trug Werner den Titel Bürgermeister.

Als der frisch gebackene erste Radebeuler Ehrenbürger am 1. Oktober 1927 in den wohl verdienten Ruhestand trat, hinterließ er eine trotz schwieriger Zeitumstände blühende Stadt mit fast 13.000 Einwohnern, geordneter Verwaltung und einem Gemeindevermögen von an die vier Millionen Reichsmark. Ihre Geschicke und die der Lößnitz lagen ihm auch danach weiter am Herzen. Er übernahm den Vorsitz des Verschönerungs- und Verkehrsvereins und wandte sich noch verschiedentlich mit bis heute lesenswerten Denkschriften an die Radebeuler Gemeindevertretung. Insbesondere machte er sich weiter für einen Zusammenschluss der Lößnitzgemeinden stark, um der drohenden Eingemeindung nach Dresden zu entgehen. Dass er die Kurzfassung einer entsprechenden Denkschrift 1929 in den »Dresdner Nachrichten« veröffentlichte, trug dem Ehrenbürger übrigens eine ausdrückliche Missfallensbekundung seitens der Radebeuler Stadtverordneten ein.

Während eines Besuchs in der Sächsischen Schweiz erlitt Robert Werner einen Schlaganfall, an dessen Folgen er am 26. Januar 1932 in Dresden verstarb. Einen Tag später hieß es im Radebeuler Tageblatt: »Mit dem Heimgang Robert Werners beklagt die Stadtgemeinde Radebeul und ihre Bürgerschaft den Verlust eines Mannes, der ein ganzes Menschenalter hindurch […] kein anderes Ziel kannte als das eine: Das Wohl Radebeuls. Und so verkörpert sich in der Persönlichkeit ihres ersten Bürgermeisters Robert Werner die Geschichte der Gemeinde Radebeul in ihrem bedeutsamsten Abschnitt der letztverflossenen 40 Jahre.« Der Nachruf endet mit dem Satz: »Wenn wir heute zurückblicken auf das Lebenswerk dieses Mannes, so ist uns seine Bedeutung in voller Stärke gegenwärtig und wir wissen, dass wir, die Gemeinde und alle ihre Bürger, dem Verewigten immerdar in steter Dankbarkeit verbunden sind.« Als Zeichen dieser Dankbarkeit wurde am 17. Februar 1932 ein bis dahin namenloser Platz, an dem das alte und das neue Radebeul zusammentreffen, nach Robert Werner benannt.

Annette Karnatz und Frank Andert

[V&R 5/2010, S. 4-6]

Was uns Häusernamen sagen können (Teil 2)

Nach den allgemeinen Betrachtungen zum Thema Villennamen in Radebeul im Märzheft von Vorschau und Rückblick sollen diesmal einige der Aufschriften in Bild und Text vorgestellt werden. Aus Platzgründen war eine Auswahl nötig. Die Reihenfolge ergab sich eher zufällig, auch wenn ein mit »A« beginnendes Beispiel am Anfang steht.


»Amicitiae.« (Moritzburger Str. 50): Der Bauherr der kleinen, 1899 erbauten Villa wollte offenbar über die lateinische Sprache seine Gefühle mitteilen – Amicitiae wäre mit »der Freundschaft« zu übersetzen. Auch hier finden wir die Mode mit dem Punkt am Schluss. Wie sich der Inhalt der Schrift mit dem darüber befindlichen Geweih und dem Hubertussymbol vereinbart, bleibt das Geheimnis des Bauherrn Karl Heinrich Claus.

»Villa Carola.« (C.-Zetkin-Str. 20): An der 1902 von Architekt Carl Käfer entworfenen Mietvilla aus Klinkern und Sandsteindetails prangt der Name »Villa Carola« mit Punkt. Die Schrift auf Sandstein könnte früher, wie beim Nachbarhaus »Villa Martha« noch zu erkennen, vergoldet gewesen sein. Die durch Jugendstileinfluss gespreizt wirkenden Buchstaben entfernen sich etwas von der Klarheit der Antiqua. Auf wen sich der Name Carola bezieht, blieb bisher offen.

»Saxonia« (Meißner Str. 241): Seit 1875 zeigt die spätklassizistische Mietvilla stolz den Namen Saxonia über dem 1. OG. Das Bekenntnis zu Sachsen gehört somit zur Gruppe der geografischen Namen. Hier wurden große und kleine Metallbuchstaben auf Putz oder Sandstein montiert.

»Villa Sancerre« (Rennerbergstr. 11): Diese Schrift gehört auch zur Gruppe mit geografischer Aussage. Vor der Sanierung war die um 1900 erbaute Villa namenlos. Der zugereiste Bauherr wünschte 1994 im Rahmen der Sanierung den o. g. Namen, der sich auf die französische Stadt an der Loire bezieht, wo wie in Radebeul auch Wein angebaut wird. Die gebrochene Schrift ist etwas schwer lesbar. Auch die Bearbeiter der Radebeuler Denkmaltopographie hatten da ihre Probleme, der Name wird dort zu »Villa Saurerre« verballhornt.

»Villa Lindeberg« (K.-May-Str. 1): Die neuere, ca. 2003 aufgemalte Schrift am Eckbalkon der Mietvilla erinnert an den schwedischen Maler und Grafiker Carl Lindeberg (1876-1961), der von 1907 bis 1945 hier wohnte. Er hat u. a. die Titelbilder von Karl-May-Büchern gestaltet. Die Schrift wirkt hier in den Straßenraum der Kreuzung Schildenstraße/ Karl-May-Straße.

»Deutsches Haus« (Lößnitzstr. 4): Der Name des 1875 errichteten Hauses stand für ein Lokal, das ab 1910 zugleich Sitz der Turngemeinde Kötzschenbroda-Niederlößnitz war. 1921 wurde die Gaststätte geschlossen und in ein Wohnhaus umgewandelt. Der in den Putz eingelassene Name in typischer Jugendstilschrift hat sich aber über mehrere Sanierungen hinweg an der Fassade erhalten.

»Villa Elisa« (Borstr. 19): Die Gebr. Ziller errichteten 1878 diese Villa mit portalartiger Pforte in der Einfriedungsmauer. Welche Gründe es gab, den Namen in den Sandstein der Pforte zu meißeln und nicht am Haus selbst darzustellen, bleibt unklar. Die Pforte wurde 2002 teilerneuert, der Name wurde beibehalten.

»Landhaus Käthe.« (Zillerstr. 10): Das seit 1874 bestehende Gebäude (Gebr. Ziller) trägt erst seit 1913 den o. g. Namen, der sich auf die Ehefrau des zweiten Hauseigentümers bezieht. Die jetzigen Eigentümer ließ 1992 den Hausnamen durch den Radebeuler Maler Pit Müller restaurieren. Die auf Putz gemalte zweifarbige Schrift zeigt noch Nachklänge des Jugendstils. Das Zierelement darüber gehört nicht zum Hausnamen, es ist Teil einer schmiedeeisernen Fahnenstangenhalterung.

»Villa Franziska« (Hoflößnitzstr. 58): 1905 gab der Bauherr Heinrich Schürer dem Architekten Paul Ziller den Auftrag, eine Villa zu errichten. Das Interessante bei dem hier am Giebel angebrachten Hausnamen ist, dass er zweigeteilt wurde, wobei zwei junge, in der damaligen Mode gekleidete Damen die Spruchbänder halten – eine schöne Arbeit des Jugendstils. Nach der kürzlich erfolgten Sanierung der Villa kommt auch der Name besser zur Geltung.

»Berghäus’l« (Am Goldenen Wagen 16): Der in der Giebelspitze befindliche Name passt zu dem kleinen, holzverkleideten Landhaus (1912) am Hang. Hier wird durch eine auf ein rustikales Brett gemalte Schrift ein etwas sentimentales Gefühl zum Ausdruck gebracht.

»Villa ›Shatterhand.‹« (K.-May-Str. 5): Wie in vielen anderen Fällen bauten die Gebr. Ziller 1894 eine Mietvilla ohne Bauherrn, also auf eigene Kosten. Erst als der Schriftsteller Karl May diese 1896 kaufte, wurden auf seinen Wunsch hin die goldenen Lettern samt Punkt unter dem Traufgesims angebracht.

»Villa Friedensreich« (Winzerstr. 73): Die Idee für den Namen, eine Reverenz an Friedensreich Hundertwasser, hatte die kunstinteressierte heutige Eigentümerin der im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts entstandenen und 2007 aufwändig sanierten Mietvilla.

»Villa Bohemia« (Dr.-R.-Friedrichs-Str. 13): Ursprünglich trug die 1893 erbaute Mietvilla den Namen »Villa Augusta«. Wie er angebracht war und bis wann, ist nicht bekannt. Das Haus wurde 1994 umgebaut und saniert. Bei der Gelegenheit erhielt es seinen heutigen Namen, ein Bezug der aktuellen Eigentümerin zu ihrer tschechischen Heimat.

(Schluss folgt.)

Dietrich Lohse

[V&R 4/2010, S. 2-5]

»Ist das nicht wieder ein schöner Tag?«

Die Radebeuler Schriftstellerin Tine (»unsere Tine«) Schulze-Gerlach wird neunzig

Zum neunzigsten Male sieht sie den Frühling mit Riesenschritten herankommen, erlebt, wie die Sonne von Tag zu Tag an Kraft gewinnt, beobachtet, wie die warmen Strahlen die grünen Grasspitzen und die ersten Frühlingsblumen hervorlocken. Zum neunzigsten Male auch versammelt sich die stetig anwachsende Familie um sie, mit ihr gemeinsam das Osterfest und dann – was noch weit wichtiger ist – ihren Geburtstag zu feiern. Vier Kindern schenkte Tine Schulze-Gerlach das Leben. Da ging sie noch einer anderen Profession nach und die Schriftstellerei war noch Zukunftsmusik, obwohl ihr das Talent dazu in die Wiege gelegt war. Später dann wurde sie eine »Schreibende« und erschrieb sich mit einer Anzahl großartiger Bücher einen bedeutenden Namen, den man heute im Lande mit Hochachtung ausspricht.

Tine Schulze-Gerlach 2010

»Gaukler wollt ich sein, fahrender Spielmann, nach Usedom wollt ich…!« erinnerte sich Tine Schulze-Gerlach noch vor wenigen Jahren in einem Gedicht an ihre Kindheitsträume. Sie hat sie später alle wahr gemacht und schipperte dann gar – die Zeitenwende 1990 machte es möglich – hinüber nach Helgoland.

»Abschiedskrümel II« hatte sie ultimativ über ihr letztes Buch geschrieben; es erschien im Mai 2004, kurz nach ihrem 84. Geburtstag und trug den Titel »Deine Horizonte«. Im Titelgedicht stellt sie sachlich fest »Deine Horizonte suchtest Du aus, als Du jung warst, ›unbereubar‹.« Einen Rückblick ohne Wehmut leistet sie sich mit ihrer Lyrik und das will schon was heißen. Doch so war sie wohl schon immer, ehrlich und direkt.

Tine Schulze Gerlach saß mit am Tisch, als wir in Radebeul Anfang 1990 die neue »Vorschau« aus der Taufe hoben. Da war sie immerhin schon siebzig und längst eine Berühmtheit. Immer wieder steuerte sie zu unserem Monatsheftchen erfrischende Erzählungen und Gedichte bei. Als wir bei ihr anfragten, ob sie Ehrenmitglied unseres Vereins werden wollte, sagte sie gerne ja und hat uns damit eine große Ehre erwiesen.

Sie war bei unseren Jahresabschlussfeiern dabei, bis sie sich dann in bestimmten Jahreszeiten und bei ungewissem Wetter nicht mehr aus dem Haus traute. Seither besuche ich sie einmal im Monat in ihrer kleinen Wohnung im Haus ihres ältesten Sohnes auf der Karl-Liebknecht-Straße. Dann bringe ich ihr jedes Mal die neueste Ausgabe von »Vorschau & Rückblick« vorbei, auf die sie bereits sehnlich wartet. Regelmäßig empfängt sie mich mit der Frage »Ist das nicht wieder ein schöner Tag?«, um gleich darauf in ihre Küche zu wuseln. Dort kramt sie einen Moment herum und kommt dann mit einer Flasche Whisky – Glennfiddich oder Ballantine’s (»der ist aber nicht ganz so gut«, kommentiert sie mit Kennermiene) – zurück. »Du trinkst doch einen mit, oder?« Natürlich stoße ich mit ihr an, der rauchige Geschmack des Whiskys löst die Zunge, und wir verlieren uns im Gespräch. Die Themen gehen uns nicht aus – Familie, Garten, Urlaub, unsere Stadt, Erinnerungen –, und kein Gespräch geht zu Ende, ohne dass wir nicht wenigstens einmal auch die Literatur berührt hätten.

Ein Stündchen mit Tine und die Sorgen sind verflogen. Sie ist das, was man als einen durchweg positiven Menschen bezeichnen könnte. Bis oben hin voll Optimismus, »auch wenn der alte Body nicht mehr so richtig will«, wie sie sagt. Dabei lächelt sie verschmitzt, von Larmoyanz keine Spur.

Am 21. April wird Tine Schulze-Gerlach neunzig – was für ein Reichtum an gelebten Jahren. Wir gratulieren von Herzen und voller Bewunderung!

W. Zimmermann

[V&R 4/2010, S. 6f.]

Werke von Gussy Hippold-Ahnert wieder in Radebeul

Eine Retrospektive zum 100. Geburtstag

Am 12. März wurde in der Stadtgalerie Radebeul unter dem Titel »Im Schatten der Zeiten gewachsen« eine Gedenkausstellung mit Werken von Gussy Hippold-Ahnert (1910-2003) eröffnet. Seitdem herrscht reger Andrang in der kleinen Galerie. Viele Besucher haben die Künstlerin selbst noch in lebendiger Erinnerung und erfreuen sich an dieser erlesenen Präsentation.

Fast fünf Jahrzehnte verbrachte Gussy Hippold-Ahnert im Haus »Sorgenfrei«, einem der schönsten Anwesen inmitten der Oberlößnitz, bis sie fortschreitend sehbehindert zu Beginn der 90er Jahre in die Nähe der Tochter nach Dresden-Gorbitz in eine Neubauwohnung zog. Haus »Sorgenfrei« erwarb schon bald darauf ein tatkräftiges Architektenehepaar aus dem westlichen Teil Deutschlands und begann Gebäude und Parkanlage anhand alter Pläne wieder herzurichten. Das Haus nannten sie nun Villa. Doch die Villa »Sorgenfrei« blieb nicht frei von Sorgen und brachte den neuen Bewohnern kein Glück. Andere Besitzer folgten nach und bewirtschaften das Areal als Hotel mit Restaurant der Luxusklasse. Ein Schmuckstück auf Hochglanz poliert.

Getilgt sind die Spuren zweier Malerleben. Was bleibt, ist die Kunst, welche an diesem einst so inspirierenden Ort entstand. Auch der Lyriker Wulf Kirsten bewahrte in einem Gedicht aus dem Jahr 1974 das Vergängliche vor dem Vergessen. Worte wie »im verblichenen herrensitz Haus Sorgenfrei, empirestil, wohnt die malerin Gussy Hippold. … aufgeblättert berge lauterer kunst, im schatten der zeiten gewachsen…« stimmen die Ausstellungsbesucher im Foyer der Stadtgalerie auf Leben und Werk der Künstlerin ein.

Die Ausstellung zeigt vorwiegend Menschen- und Landschaftsbilder aus sieben Schaffensjahrzehnten. Das älteste Blatt ist eine kleine Buntstiftzeichnung aus Kindertagen. Erhalten blieb auch das erste Skizzenbuch der 13-Jährigen, in dem sie Menschen und Dinge ihrer unmittelbaren Umgebung naturgetreu festzuhalten versucht, den Blick bereits auf Wesentliches konzentriert.

Die Talente der in Berlin geborenen und in Dresden-Wachwitz aufgewachsenen Gussy Ahnert zeigten sich schon früh. Ihre musische Entwicklung wurde im Elternhaus gefördert. Sie nahm Klavier- und Zeichenunterricht. Auch dem späteren Besuch einer Kunstakademie stand nichts im Wege. Dix erkannte die außergewöhnliche Begabung der jungen Frau sofort und nahm sie auf in seinen Schülerkreis.

Das Jahr 1933 bildet für die noch am Anfang ihres Entwicklungsweges stehende junge Künstlerin sowohl in persönlicher als auch künstlerischer Hinsicht eine Zäsur. Ebenso wie ihr Lehrer Otto Dix verlässt sie die Akademie. Noch im gleichen Jahr zieht sie von Dresden nach Radebeul. Zunächst auf die Rennerbergstraße 11, später auf den Augustusweg 48. In der Lößnitz findet sie gemeinsam mit Erhard Hippold, ihrem späteren Mann, einen neuen Wirkungskreis. Die Arbeit in der väterlichen Miederwarenwerkstatt, notwendig zur Sicherung des Lebensunterhalts, und die Geburt der Tochter lassen für die aufwändige Technik des Lasierens keine Zeit. Es werden andere Techniken eingesetzt, die zu einem schnelleren Ergebnis führen. Die heitere Lößnitz mit ihrer üppigen Vegetation bietet eine Fülle darstellenswerter Motive. Es entstehen leuchtende Pastelle und duftige Aquarelle. Beziehungen werden gepflegt zu den Malern Karl Kröner und vor allem Paul Wilhelm, der seine gärtnerischen Ambitionen mit Erhard Hippold teilt. Während Dresden in Schutt und Asche versinkt, bleibt die liebliche Idylle der Lößnitz nahezu unversehrt. Für Künstler Glück und Fluch zugleich.

Das Frühwerk gerät zunehmend in Vergessenheit. Erst mit dessen Wiederentdeckung durch den Dresdner Kunsthistoriker Dr. Fritz Löffler zu Beginn der 70er Jahre und einer sich unmittelbar anschließenden Ausstellung in der Galerie Kühl werden Fach- und Sammlerkreise aufmerksam. Ein Großteil der frühen Werke befindet sich heute in Museen, öffentlichen und privaten Sammlungen. Ein Umstand, der zunächst die Befürchtung weckte, dass für die geplante Retrospektive zum 100. Geburtstag von Gussy Hippold-Ahnert kaum noch bedeutende Arbeiten aufzutreiben wären. Der Berliner Kunstwissenschaftlerin Frizzi Krella, die als profunde Kennerin ihres Werkes gilt, ist es zu verdanken, dass sich zahlreiche private Sammler freudig bereit erklärten, Leihgaben aus ihrem Besitz für die Radebeuler Gedenkausstellung zur Verfügung zu stellen.

Der Erdgeschossraum der Galerie wird dominiert von elf ausdrucksstarken Porträts aus den frühen 30er Jahren, darunter die Bildnisse »Trude« , »Rothaarige«, »Jüdisches Mädchen«, »Erhard Hippold«, »Frau Möckel« und »Fischermädchen« sowie ein Rückenakt und der Halbakt »selbst«. Wenngleich der Einfluss des Lehrers Dix zu spüren ist, durchdringt die Künstlerin das Wesen ihrer Modelle mit der ihr eigenen weiblichen Sensibilität. Gezeigt wird auch eine Stadtlandschaft, bei der es sich um den Blick aus dem Dresdner Atelier auf der Zirkusstraße handelt. Daneben hängt, quasi als Gegenstück, ein Winterbild von Erhard Hippold. Es zeigt den Blick aus dem Haus »Sorgenfrei«, der späteren Wirkungsstätte beider Künstler. Ebenfalls von Erhard Hippold wurde in Ergänzung das Porträt der jungen »Gussy« aus dem Jahr 1931, dem Jahr des Kennenlernens, in die Serie der Porträtdarstellungen eingefügt. Beide letztgenannten Werke stammen aus der Städtischen Kunstsammlung Radebeul.

Ein kurzer Film von Dr. Hans Cürlis aus dem Jahr 1926, der während der Ausstellung im Obergeschoss zu sehen ist, zeigt den Maler Otto Dix, wie er zeichnet, aquarelliert und lasiert. Techniken also, die auch Gussy Ahnert zu Beginn der 30er Jahre von ihm erlernen sollte.

Erstmals in einer Ausstellung präsentiert werden einige der Pariser Skizzenblätter aus dem Jahr 1933. Zu sehen sind auch Radierungen, die im Schaffen der Künstlerin jedoch eine Ausnahme bilden. Der Anstoß hierzu dürfte wohl von Erhard Hippold ausgegangen sein.

Gemalt und gezeichnet wurde, sobald sich die Möglichkeit bot. Anregungen, die Gussy Hippold-Ahnert während ihrer Reisen – anfangs in der Schweiz, in Lettland, Litauen und Frankreich, später dann in Bulgarien, Ungarn und Polen sowie an der Ost- und Nordsee – empfing, flossen in ihr Schaffen ein. Auch nach dem Tod ihres Mannes im Jahr 1972 war Gussy Hippold-Ahnert, so lange es ihre Sehkraft erlaubte, künstlerisch aktiv. Mit einem Skizzenbuch, das bis ins Jahr 1986 hinein datiert ist, schließt sich der zeitliche Bogen dieser Gedenkausstellung.

Für deren Besuch bietet sich Gelegenheit bis zum 25. April. Ebenfalls zu empfehlen ist eine Ausstellung in der Städtischen Galerie Dresden mit frühen Arbeiten der letzten lebenden Dix-Schülerin Erika Streit, welche in freundschaftlicher Beziehung zu Gussy Hippold-Ahnert stand.

Karin Gerhardt

[V&R 4/2010, S. 11-14]

Radebeuler Ehrenbürger (Teil 1): Curt Schnabel

Als Beitrag zum aktuellen Stadtjubiläum hat die Radebeuler Interessengemeinschaft Heimatgeschichte eine kleine »Vorschau«-Serie initiiert, in der alle Ehrenbürger der Städte Kötzschenbroda und Radebeul seit 1924 vorgestellt werden sollen. Der erste Kötzschenbrodaer Bürger, dem diese Ehre per Stadtverordneten-Beschluss vom 15. April 1926, ziemlich genau zwei Jahre nach Erteilung des Stadtrechts, verliehen wurde, war der örtliche Apotheker Medizinalrat Curt Schnabel.

Curt Schnabel

Curt Adolf Schnabel wurde am 21. August 1863 in Dresden geboren. Nach dem Besuch des Realgymnasiums begann er 1878 als Lehrling in der Dresdner Albert-Apotheke. Nach sehr gutem Abschluss und 3-jähriger praktischer Tätigkeit ging er nach Leipzig zum Studium und schloss sich dort auch der Sängerschaft »Arion« an. Die Freundschaft zu den Alt-Arionern hielt er sein Leben lang in Ehren. Nach Ablegung der Staatsprüfung 1886 erhielt er die Approbation als Apotheker. Ab 1892 leitete er die »Alte Apotheke« in Reichenbach i.V. und lernte dort auch Käte Lisowsky kennen, die er 1894 heiratete. Wegen seiner offenen deutsch-nationalen Gesinnung kam er jedoch in Konflikte mit den sozialdemokratisch geführten Krankenkassen. Er verkaufte seine Apotheke und erwarb 1903 die »Löwen-Apotheke« (heute Stadt-Apotheke) in Kötzschenbroda, Bahnhofstraße 19. Gleich in den ersten Jahren ließ Schnabel die Apotheke, deren Besitzer er bis an sein Lebensende blieb, erweitern und umbauen, wodurch sie bis 1907 ihr heutiges Aussehen erhielt. 1925 verpachtete er die Offizin an seinen Schwiegersohn, Apotheker Hermann Behme, da er selbst zum Leiter der III. Abt. des Sächsischen Landesgesundheitsamtes berufen wurde und gleichzeitig das Amt als Apothekenprüfer für Ostsachsen übernahm. Schon 1923 war Schnabel in den Reichsgesundheitsrat berufen worden. 1924 traf ihn ein schwerer Schicksalsschlag, denn nach 30-jähriger Ehe starb seine treue Lebensgefährtin.

Aber nicht wegen seiner erfolgreichen Tätigkeit im Gesundheitswesen wurde Schnabel zum Ehrenbürger ernannt, sondern wegen seiner Verdienste um die Gemeinde Kötzschenbroda. Schon 1905, zwei Jahre nach seinem Wohnsitzwechsel hierher, wurde er zum Gemeindeverordneten und 1916 zum Gemeindeältesten gewählt, u.a. leitete er jahrelang den örtlichen Bauausschuss. Als Gemeindevorstand Emil Schüller am 2. April 1923 nach kurzer Krankheit starb, übernahm sein Stellvertreter Curt Schnabel in der wirtschaftlich schweren Zeit der heraufziehenden Hyperinflation neben seinen vielfältigen beruflichen Verpflichtungen zeitweise auch die Leitung der Gemeindegeschäfte. Hatte er 1921 noch zu den Gegnern eines Zusammenschlusses aller Lößnitzgemeinden zur Stadt ›Elblößnitz‹ gehört, setzte er sich nun sofort energisch und mit ausgeprägtem Verhandlungsgeschick für die Vereinigung der westlichen Lößnitzgemeinden Kötzschenbroda, Naundorf, Zitzschewig und Niederlößnitz ein. Dass die vom Vereinigungsausschuss unter Schnabels Leitung ausgehandelte Fusion bereits zum 1. Oktober 1923 erfolgen konnte, war eindeutig ihm zu verdanken und die Ehrenbürgerwürde der neuen Stadt Kötzschenbroda dann die verdiente Anerkennung.

Vereinigungsvertrag der westlichen Lößnitzgemeinden von 1923 (Ausschnitt)

Curt Schnabel war auch Ehrenmitglied des Deutschen Apotheker-Vereins, dessen Vorstand er seit 1911 angehört hatte und in dem er von 1920 bis 1924 das Amt des stellvertretenden Vorsitzenden bekleidete, sowie der fünf sächsischen pharmazeutischen Kreisvereine. Besonders hervorzuheben sind seine Verdienste um das Taxwesen in den Apotheken. Sächsische Arzneitaxen, Kassen-Handverkaufstaxen und Reichsarzneitaxen der Zeit tragen seine Handschrift. Für ihre Ausarbeitung wird er manche Nachtstunde geopfert haben.

1933 trat Curt Schnabel von seinen Ämtern zurück. Er starb am 4. März 1938 im 75. Lebensjahr und wurde auf dem Kötzschenbrodaer Friedhof in Radebeul-West bestattet. Sein Grab existiert noch, und es stünde der Stadt Radebeul gut zu Gesicht, wenn sie den Grabstein ihres verdienten ersten Ehrenbürgers für die Nachwelt erhalten würde.

Klaus Hübner und Manfred Richter, IG Heimatgeschichte

Quellen: Apoth.-Zeitung Nr.26, 1928; Dtsch. Apoth.-Ztg. Nr. 21, 1938; A. Schruth, Chronik Kötzschenbroda; Stadtlexikon Radebeul.

[V&R 4/2010, S. 15f.]

Was uns Häusernamen sagen können (Teil 1)

Auf ausgedehnten Spaziergängen habe ich mich im Januar gezielt auf die Suche nach Namensauf- und -inschriften an Radebeuler Häusern gemacht. Diese sicher nicht vollständige Sammlung hat über 60 solcher auf Fassaden von Villen und anderen Häusern befindlichen Namen ergeben. Im Folgenden will ich versuchen, sie in Gruppen einzuteilen und einige Hintergründe zu beleuchten, um anschließend eine Auswahl in Wort und Bild vorzustellen.

Doch grenzen wir zunächst einmal das Thema ein. Es geht hier nicht um im Volksmund verwurzelte Namen (z. B. Haus Breitig), sondern um solche, die sozusagen »schwarz auf weiß« an den Fassaden zu sehen sind bzw. waren. Ausgeklammert bleiben sollen hier Schriften und Werbung mit kommerziellem Hintergrund wie Gaststättennamen etc. Auch reine Schmuckformen, Wappen, Sonnenuhren, Monogramme oder Jahreszahlen und Grüße über Hauseingängen (»Salve«) lassen wir heute außen vor und wenden uns nun »Villa Marie und Co.« zu.

Villa Marie (Foto D. Lohse)

So ein Villenname war und ist kein Muss, das Haus funktioniert auch ohne Namen. Bei Kulturdenkmalen kann der Erhalt einer Fassadeninschrift dann ein Thema sein, wenn der alte Name den heutigen Eigentümern zufällig nicht gefällt. Etwa die Hälfte der betrachteten Häuser sind Denkmale. In Radebeul finden wir solche Namen schwerpunktmäßig an Villen und Wohnhäusern zwischen 1870 und 1915, dann kommt eine längere Zeitspanne fast ohne Namen. Erst nach 1990 scheint wieder ein Gefühl dafür aufgekommen zu sein – man pflegt vorhandene Villennamen und man findet auch hin und wieder neue.

Wo »Villa Soundso« draufsteht, haben wir es streng genommen nicht immer mit einer echten Villa (aufwändiges Einfamilienhaus, meist mit offenem Treppenhaus) zu tun. Die Bezeichnung Villa in Häusernamen begegnet uns oft auch bei Mietvillen (diese haben zwei oder mehr Wohnungen und ein geschlossenes Treppenhaus) und anderen Wohnhäusern.

Villennamen gibt es quer durch das Alphabet von Amely (Paradiesstr. 9a) bis Zucca (Obere Bergstr. 11), wobei natürlich Vornamen und da weibliche (über 90 %) dominieren. Mancher seinerzeit weit verbreitete Vorname (z. B. Marie, Elisabeth, Martha, Clara) fand bzw. findet sich gleich an mehreren Radebeuler Villen, andere wirken heute geradezu exotisch (z. B. Villa Sarolta, Schildenstr. 2). Männliche Vornamen (z. B. Villa Elias, L.-Richter-Allee 15) sind in Radebeul und wohl auch andernorts sehr selten. Meist wollten die Bauherren mit dem Villennamen ihre Ehefrau und manchmal auch die Tochter ehren.

Bei Häusernamen erkennen wir aber auch noch eine andere, Wünsche, Sehnsüchte und Erinnerungen zum Ausdruck bringende Gruppe, hier seien stellvertretend »Heimattreue« (Lößnitzgrundstr. 16) oder »Sorgenfrei« (Augustusweg 48) genannt. Die dritte Gruppe bilden Häusernamen mit geografischen Bezügen, also Länder-, Völker- oder Städtenamen – Villa Sancerre (Rennerbergstr. 11), Villa Bohemia (Dr.-Rud.-Friedrichs-Str. 13) –, die eventuell Rückschlüsse auf die Herkunft des Bauherrn zulassen. Mitunter fließen auch religiöse Inhalte in diese Namen ein wie bei »SOLI DEO GLORIA« (Hauptstr. 41). Gelegentlich lassen uns Bauherren mit der Verwendung von lateinischen Texten wissen, dass sie zum Bildungsbürgertum gehören wollen. Manchmal war der Häusername für mich mit längerem Rätselraten verbunden, aber jetzt weiß ich, was uns der italienische Name »Villa Fenice« (H.-Zille-Str. 57) sagen will, nämlich nichts anderes als Phönix!

Villa Falkenstein (Foto D. Lohse)

Natürlich sind die hier betrachteten Namen fast immer auf der Schauseite der Häuser, also der Straßenseite, angebracht. Ein geeigneter Platz findet sich meist in der Höhe zwischen Erd- und Obergeschoss, oft mittig zur Fassade oder auch an Giebeln oder Türmen, dann auch höher platziert. Der richtige Platz, eine gut proportionierte Schriftgröße und die passende Schrifttype sind insgesamt wichtig für eine gute Gestaltung und Erkennbarkeit.

Bei den Fassadenschriften kamen verschiedene Materialien, Farben und Techniken zum Einsatz – aufgesetzte Metallbuchstaben, auf Putz gemalte Schriften, erhabene Stucktexte, im Putz vertiefte Schriften (Sgraffito) oder auch montierte Schrifttafeln. Unter den verschiedenen Schrifttypen kann die Antiqua mit ihren Spielarten als der Klassiker bezeichnet werden. Daneben finden wir auch gotisierende, groteske und gefällige Jugendstilschriften in unserer Stadt. Leider treffen wir vereinzelt auch auf verkomplizierte Schriften oder solche mit zu geringem farblichem Kontrast, die dann kaum lesbar sind. Bei schlecht platzierten oder handwerklich verstümperten Häusernamen (Hauptstr. 41) wünschte man sich, sie wären nicht angebracht worden oder es gäbe eine Chance, sie noch zu verbessern.

Auf eine kleine Besonderheit sei noch hingewiesen, nämlich den eigentlich überflüssigen Punkt hinter einigen der gesammelten Namen, wie bei »Villa Marie.« Möglicherweise wollte man dadurch der Schriftzeile zusätzlich Gewicht verleihen. Da der Name an der Fassade meist der letzte Akt des Baugeschehens war, kann es aber auch sein, dass man nach den entbehrungsreichen Monaten sprichwörtlich jetzt erst »mal einen Punkt machen« wollte.

Verglichen mit anderen Villengebieten in Dresden wie z. B. Wilder Mann, Klotzsche oder Blasewitz haben Ober- und Niederlößnitz einen beachtlichen Bestand solcher Schriften, im Einzelfalle durchaus auch von vergleichbarer Qualität. Für Spaziergänge lohnen sich etwa die Ludwig-Richter-Allee, die Obere Berg- und die Clara-Zetkin-Straße mit je vier sowie die Moritzburger und die Paradiesstraße mit je drei derartigen Namensschriften.

Bei meinen Recherchen konnte ich stellvertretend für eine sicher viel größere Zahl in Radebeul ehemals vorhanden gewesener Häusernamen auch folgende heute fehlende Namen feststellen: »Villa Agnes« (Lößnitzgrundstr. 2), »Villa Augusta« (Bodelschwinghstr. 2) und »Villa Columbia« (Mohrenstr. 14). Ob diese Namen eine Auferstehung haben, wäre nicht auszuschließen, ist aber z. Z. nicht abzusehen. (Fortsetzung folgt.)

Dietrich Lohse

[V&R 3/2010, S. 2-4]

Auf der Erfolgswelle!?

Franz Wittenbrinks »Sekretärinnen« an den Landesbühnen

Zwischen das ambitionierte und von der Kritik mit einhelligem Beifall aufgenommene »Umbrüche«-Projekt und die im Frühling folgenden dramatischen Schwergewichte Shakespeare und Brecht platzierten die Landesbühnen mit »Sekretärinnen« einen jener szenischen Liederabende, mit denen das musikalische Multitalent Franz Wittenbrink seit nunmehr 15 Jahren landauf, landab die (Samstag­)Abendunterhaltung deutschsprachiger Bühnen bestimmt. Mittlerweile gibt es wohl allein mehr als ein halbes Hundert »Sekretärinnen«-Inszenierungen, wovon die Mehrzahl zur Freude der Intendanten an der Kasse sehr erfolgreich ist (135 ausverkaufte Vorstellungen am Hamburger Schauspielhaus sprechen für sich). Wahrscheinlich ist es auch genau dieser Aspekt, der diesem Wittenbrinkschen »Musical« (der Deutsche Bühnenverein verweigert diesen Produktionen nicht grundlos die Bezeichnung »Stück«) den Weg auf den Spielplan der Landesbühnen ebnete. Denn die auf 75 Minuten beschränkte, intellektuell gleichermaßen unbelastete und unbelastende, vor allem auch pausen-lose Unterhaltung ermöglicht es dem Theaterfreund, nach Heimkehr noch in Ruhe das Programmheft zu studieren und danach seine Gedanken vom Kunsterlebnis weg und bei einem Glas Wein auf etwas anderes zu lenken. Wittenbrink äußerte einmal mit leicht selbstkritischem Unterton, dass sein Tippsenabend »ja eher einfach – mit klaren Frauentypen – und vielleicht deshalb so erfolgreich« sei. Mit fröhlicher Unkompliziertheit lässt sich sicherlich mancher Zeitgenosse, der sonst lieber den Fernseher einschaltet, in den Theatersaal locken. Für den Moment muss man aber noch abwarten, wie der Zuspruch in Radebeul ausfallen wird, denn von einem großen Erfolg beim Premierenpublikum kann keine Rede sein. Nicht nur, dass – ungewöhnlich genug – eine ganze Anzahl von Sitzen von vornherein leer blieb, auch der Beifall am Ende war freundlich, aber nicht begeistert, und schon gar nicht euphorisch.

v.l.n.r.: Wiebke Adam-Schwarz, Julia Vincze, Anke Teickner, Holger Uwe Thews, Ursula Schucht, Sandra Maria Huimann, Franziska Hoffmann (Szenenfoto LBS)

Unter der Regie von Stephan Thiel entfaltet sich auf der als Großraumbüro gestalten Bühne (Ausstattung: Halina Kratochvil) der Arbeitsalltag von sechs Sekretärinnen (Ursula Schucht, Sandra Maria Huimann, Franziska Hoffmann, Wiebke Adam-Schwarz, Anke Teickner, Julia Vincze), deren verschiedene Charaktere erst nach und nach sichtbar werden, was die nüchterne Konformität der Büroarbeit mehr und mehr aufbricht und dieser ein menschliches Antlitz verleiht. Da wird getippt und geflüstert, Kaffee gekocht und genascht, Papier geknüllt und gekeift, gelacht und geraucht. Völlig normal also und eigentlich keiner näheren Betrachtung wert. Eine nacherzählbare Handlung gibt es nicht, stattdessen besteht das Stück in weiten Teilen aus einer Abfolge von 33 mal mehr (z.B. Für mich soll’s rote Rosen regnen, This is a man’s world), mal weniger (z.B. Bei mir bist du scheen, Das Glück ist a Vogerl) bekannter Gassenhauer, die in unterschiedlicher Besetzung (solo, Duett, alle) und souverän von Amadeus Boyde am Klavier begleitet vorgetragen werden. Diese Lieder und Gedichte aber werfen Schlaglichter auf die Eigenarten und Schicksale der Figuren, denen die Ensemblemitglieder ihre Darstellungskunst leihen. Da beweist die eine oder andere Aktrice durchaus bemerkenswerte Stimmqualitäten (Julia Vincze), kann der Regie eine gute Portion inszenatorischer Witz (etwa wenn alle Darstellerinnen zum Shanty »Ein Schiff wird kommen« in einer Art Standbild ein Schiff imitieren, inklusive Möwengeschrei und Wellengeschaukel) bescheinigt werden, vermag auch manches Mal die akustische Choreographie von Büroraumszenen attraktive Akzente zu setzen (so bei der Schreibmaschinensinfonie). Zusammengehalten wird der Büroalltag – und damit gleichermaßen auch der szenische Liederabend – durch die universale Sehnsucht der Frauen nach dem männlichen Prinzip in ihrem Leben, so unterschiedlich dieses für jede einzelne auch ist. Träumt die eine von einem Seemann, legt sich die andere mit Gedanken an Genies von Mozart bis Tolstoi zu Bett. Verzehrt sich die eine nach der großen Liebe, geht die andere mit der ihrigen schon recht routiniert um. Vermag die eine mit glitzerndem Tand die Trennung vom Vater ihres noch ungeborenen Kindes zu kompensieren, scheint die andere viel zu cool, um sich je mit solchen Emotionen überhaupt zu belasten. Herein in den tristen Vollzug der Schreibarbeiten tritt das Maskuline in Gestalt des Büroboten (Holger Uwe Thews mit zwei starken Gesangsnummern), der unter seiner Rolle als Sehnsuchtsobjekt mehr leidet, als dass er sie genießt. Offen bleibt, ob das für die Aussageabsicht des Liederabends eine Rolle spielt oder nicht. Zwar werden einzelne Sekretärinnen durch ein Licht-Ton-Signal für kurze Zeit vom Arbeitsplatz abberufen, aber wer sie ruft und weshalb ist unklar. Diese Leerstelle stört aber nicht sehr, denn der Zuschauer ist sowieso gefragt, sich selbst einen Reim auf die nur angerissenen Biographien der Protagonistinnen zu machen. Und da mag es durchaus ganz unterschiedliche Lesarten geben.

Rein statistisch gesehen hat mehr als jeder Hunderste Deutsche in den letzten 15 Jahren einen Wittenbrink-Abend erlebt, die Gesamtbesucherzahl aller Inszenierungen hat mittlerweile die Millionengrenze überschritten. Den Landesbühnen ist zu wünschen, dass sie an dieser Erfolgsstory teilhaben mögen, wenngleich der Rezensent nicht seine Vorfreude auf die nächsten »richtigen« Theaterpremieren der Spielzeit verhehlen möchte.

Bertram Kazmirowski

[V&R 3/2010, S. 9-11]

Rauchschwalben in Radebeul

Nicht allen wird es bekannt sein: Seit fast sechzig Jahren gibt es in Radebeul eine Gruppe, die sich besonders dem Vogel- und Naturschutz verschrieben hat. In DDR-Zeiten im Kulturbund organisiert, fand sie nach der Wende ihren Platz unter dem Dach des NABU.

Neben manchen anderen Aktivitäten der Gruppe wurde in diesem Jahr erneut ein Projekt aufgelegt, das sich der »Erfassung und Förderung der Rauchschwalben in Radebeul« widmet.

Ein Sprichwort sagt: Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Neben seiner kaum zu bestreitenden Aussage drückt es nebenbei aus, dass diese Vögel fest im Bewusstsein vergangener Generationen verankert waren. Heute gehören sie leider nicht mehr zu den selbstverständlichen Mitbewohnern menschlicher Siedlungen.

Manche werden wissen, dass in unseren Breiten mehrere Arten von Schwalben beheimatet sind. Vielleicht haben Sie schon die vielen Schwalben wahrgenommen, die seit einigen Jahren ihre Nester an das Gebäude vom »Kaufland« auf der Kötzschenbrodaer Straße angeklebt haben. Es sind dies Mehlschwalben, leicht erkennbar an ihrer auffälligen rein-weißen Unterseite und dem relativ kurz gegabelten Schwanz. Viele ordnen auch die pfeilschnellen schwarzen Flieger mit den sichelförmigen Flügeln und den schrillen sriiieh-Rufen den Schwalben zu, was aber falsch ist, denn da handelt es sich um Mauersegler, die mit den Schwalben in keinem Verwandtschaftsverhältnis stehen.

Und dann eben die Rauchschwalben. Sie sind im Ganzen auch dunkel gefärbt, die Unterseite ist weißlich, sie haben aber, im Gegensatz zur Mehlschwalbe, eine rostrote Kehle, und – daran sind sie zu erkennen – extrem lange Schwanzfedern, die wie Spieße weit nach hinten abstehen.

Unterscheiden kann man sie auch leicht nach ihren bevorzugten Brutplätzen. Mehlschwalben heften ihr napfförmiges Nest aus Lehm und Grashalmen außerhalb von Gebäuden und senkrechten Flächen an, Rauchschwalben suchen das Innere auf, nisten in Ställen und Scheunen, knapp unter der Decke. Früher war das für sie kein Problem. Kuh-, Pferde- und Schweineställe gab es im ländlichen Raum in großer Zahl und die damit angelockten Fliegen waren eine schier unerschöpfliche Nahrungsquelle. Auch wenn durch ihren Appetit die Fliegenplage kaum gemindert wurde, sah der Bauer die Schwalben doch gern in seinem Stall. Und dass Fenster und Luken für sie offen standen, war ein gern gewährtes, selbstverständliches Gastrecht.

Dass Rauchschwalben ausgerechnet diese Lebensweise angenommen haben, ist ihnen in unserer Zeit zu einem existenzgefährdenden Problem geworden. Ställe sind rar geworden in unseren Siedlungsgebieten und Dörfern. Und damit hat auch ihr früher unbegrenztes Nahrungsreservoir spürbar abgenommen. Das alles hat dazu geführt, dass die Rauchschwalbe, eben anders als ihre Schwester, die Mehlschwalbe, einen besonders starken Bestandsrückgang zu verzeichnen hat, der alarmierend zu nennen ist. Aus diesem Grund sollen wieder einmal die Radebeuler Rauchschwalben in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt, ihre Zahl erfasst und, so gut es geht, ihre Lebensbedingungen verbessert werden.

Einige Mitarbeiter der NABU-Gruppe werden ab April an die Plätze gehen, wo in den vergangenen Jahren Rauchschwalben beobachtet wurden, werden sehen, wie sich die Lebensbedingungen für diese Vögel vielleicht verändert, verbessert oder verschlechtert haben, werden Altvögel zu zählen versuchen, Nester und darin befindliche Junge, die Ergebnisse auf Karten eintragen und in Tabellen zusammenstellen. So wurden in den Jahren 2005/06 einige Brutpaare in Serkowitz, Zitzschewig, Lindenau, Wahnsdorf, Kötzschenbroda und Naundorf erfasst. Einige wenige Einzelvorkommen wurden sogar in Wohngebieten der Ober- und Niederlößnitz und in abgelegenen Gehöften festgestellt.

Und deswegen nun auch unsere Bitte an Sie: Wenn Sie Rauchschwalben sehen, wie sie immer wieder einen Stall, einen Schuppen oder sonst ein Gebäude anfliegen und nach einem Einflugloch suchen, öffnen Sie ihnen, wenn es nur irgend geht, eine Luke oder ein Fenster zu einem Raum, der für einen Nistplatz in Frage kommen könnte. Ein kleines Brett, etwa 20 cm unterhalb der Decke angebracht, könnte ihnen eine dankbar angenommene Hilfe für den Nestbau bedeuten. Freilich müsste gewährleistet sein, dass diese Ein- und Ausflugöffnung bis etwa September frei zugänglich bliebe.

Und die andere Bitte: Wenn Sie ein- oder ausfliegende Rauchschwalben beobachten, alte oder neue Nester entdecken und Rauchschwalben an Lehmpfützen feststellen, wo sie ihr Nistmaterial holen, teilen Sie es uns bitte mit (Tel. 0351-8486925). Wir würden uns dann gern mit Ihnen in Verbindung setzen, austauschen und beraten, wie die Lebensbedingungen für diese liebenswerten Sommergäste eventuell noch verbessert werden können.

Johannes Woldt

[V&R 3/2010, S. 5f.]

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