Ein richtig klasse Klassiker!

Zur Premiere von „Maria Stuart“ an den Landesbühnen am 13. Januar

Szene mit Julia Vincze und Maximilian Bendl
Bild: R. Jungnickel


In den letzten Jahren, angesichts des Aufwinds populistischer und autokratischer Machthaber, wurde vermehrt die Frage gestellt, ob die Welt insgesamt eine bessere wäre, wenn es mehr Frauen in Regierungsverantwortung gäbe. Denn im Windschatten von Angela Merkel hatten sich seit 2017 vergleichsweise junge Frauen wie Jacinda Ardern (Neuseeland), Kaja Kallas (Estland), Mette Frederiksen (Dänemark) oder Sanna Marin (Finnland) an die Spitze ihres Landes gestellt und Politik plötzlich weiblicher als je zuvor gemacht – und jeweils auch nach außen hin sympathischer, freundlicher, kompromissbereiter. Sind Frauen per se also die besseren Machthaberinnen? Wer im Umfeld des Todes von Queen Elizabeth II. im Herbst 2022 jenseits aller Huldigungen auf die Zwischentöne gehört hatte, der wusste spätestens dann, dass die Antwort auf die Frage höchstens ein entschiedenes Jein sein kann, auch wenn die Unterschiede zwischen demokratisch gewählter Regierungschefin und Erbmonarchin natürlich gravierend sind. Aber ob nun Politikerin oder Königin, letztlich mussten und müssen alle gewählten oder gekrönten Häupter auf dem Spielbrett der Macht die Figuren zu setzen verstehen – und sich selbst zu bewegen wissen. Genau auf diesen zentralen Aspekt hebt auch Friedrich Schillers Drama „Maria Stuart“ (1800 veröffentlicht) ab und stellt uns mit Elisabeth (Julia Vincze in einer ihrer größten Rollen an den Landesbühnen) und ihrer Gegenspielerin Maria Stuart (Karoline Günst in ihrer zweiten Spielzeit am Haus in einer Paraderolle) zwei Frauen vor, deren Rang und Einfluss auf die Zeitläufte sich wechselseitig bedingen und ausschließen. Auch wenn erfreulicherweise weder die Inszenierung an sich (Manuel Schöbel) noch das Programmheft explizit einen Bezug zur Gegenwart herstellen – lassen wir ein Tablet als Kamera und digitalen Notizblock einmal beiseite –, so beantwortet der durch Regie und Bühne/Kostüm (Barbara Blaschke) brillant herausgearbeitete Konflikt zwischen Machtbesitz und persönlicher Freiheit die Frage nach dem Warum der Aufnahme des Stückes ins Repertoire. In diesem lässt sich nämlich exemplarisch beobachten und nachempfinden, mit welch unerbittlicher Schärfe das Ringen um Machtgewinn und Machterhalt einerseits und das Vorgehen gegen Machtverlust anderseits vonstattengehen kann und wie beides letztlich die zwei Seiten ein und derselben Medaille sind. Dazu bedient sich die Inszenierung bei der Gestaltung des Bühnenbildes eines genialen Tricks: Wohnt Maria als Gefangene in einem mittig platzierten, mit nach vorn aufklappbaren Seitenwänden versehenen Raum, der in seiner Ausmalung an ein mittelalterliches Gewölbe erinnert, so entsteigt im zweiten Akt Elisabeth einem ähnlich gebauten Quader, dessen Innenausstattung an einen gediegenen Saal erinnert. Diese Parallelität durchzieht das ganze Stück mit Ausnahme des 3. Aktes, der in einer Gartenlandschaft angesiedelt ist und das (historisch nicht belegte) Aufeinandertreffen beider Frauen zeigt. Mit steigender Spannung verfolgt das Publikum, wie beide Figuren Gefangene ihrer Rolle als tatsächliche (Elisabeth) und ambitionierte (Maria) Königin sind und sich den Einflüsterungen männlicher Ratgeber erwehren müssen. Elisabeth ist gezwungen, eine Entscheidung für oder gegen die Hinrichtung Marias zu treffen, weil diese, so glaubt man zu wissen, gegen Elisabeth putschen und den Thron besteigen will. Gleichzeitig ist sie Spielball der Interessen unterschiedlicher Kräfte, weshalb der Blick in die Herzkammer der Macht am englischen Königshof beklommen macht. Graf Leicester (Moritz Gabriel) ist erster Günstling der Regentin, aber heimlich auch immer noch in Maria verliebt und spinnt Intrigen, um seinen Kopf zu retten. Baron von Burleigh (Alexander Wulke) ist ein kompromissloser Machtpolitiker und fordert von Elisabeth eine ebenso kompromisslose Härte gegenüber Maria. Graf Shrewsbury (Boris Schwiebert) wiederum ist eher Taube als Falke und auf Ausgleich bedacht. Der Graf von Kent (Tom Hantschel) schließlich ist ein entscheidungsschwacher Ja-Sager. Zu allem Überfluss will der französische König sich mit Elisabeth vermählen, wie ihr durch den Gesandten Graf Aubespine (Grian Duesberg) überbracht wird. Maria geht es nicht viel besser: Zwar hat sie in Paulet (Matthias Avemarg) einen milden Aufpasser ihrer Gefangenschaft auf Schloss Fotheringhay, aber dessen Neffe Mortimer (Maximilian Bendl) will sie zur Flucht überreden und sie nach einem Mordanschlag auf Elisabeth mit Leicesters Hilfe auf den Thron hieven – um schließlich selbst als ihr Liebhaber davon zu profitieren. Der im Ganzen dreistündige Abend setzt nach der Pause zwei Höhepunkte in den beiden Szenen, in denen Elisabeth und Maria ganz bei sich sind und Freiheit und Macht jeweils ganz anders ausbuchstabieren. Was Julia Vincze und Karoline Günst in diesen Szenen abliefern ist großartig! Elisabeth, die als Königin die Freiheit haben müsste, souverän in allen Entscheidungen zu sein, will sich lieber die Freiheit nehmen, die Verantwortung am Tod Marias abzugeben. Maria dagegen, die Eingesperrte, schafft sich durch Gottesfürchtigkeit in Beichte und Eucharistie einen Raum absoluter Freiheit und geht selbstermächtigt und gesühnt dem Tod entgegen. Hier kehren sich in einem raffinierten dramatischen Kniff Macht und Ohnmacht in ihr jeweiliges Gegenteil um, weshalb ganz zum Schluss die mächtig-ohnmächtige Elisabeth ganz allein dasteht: Ihre Rivalin ist zwar tot, wird aber zur Märtyrerin, nachdem Falschaussagen wider sie entlarvt werden. An Elisabeth klebt das Blut ihrer Schwester. Auch wenn die beiden Hauptdarstellerinnen durch ihre schiere zeitliche Präsenz auf der Bühne das Stück maßgeblich prägen, so beruht die hohe Qualität der Inszenierung auf allen Akteuren, eingeschlossen auch Anke Teickner als Marias Amme und natürlich die Musiker (Berthold Brauer, Kevin Knödler, Simeon Hudlet), die viele Szenen und Umbauphasen behutsam instrumentieren und von Anfang bis Ende einen Klangfaden in Moll weben, zu dem am Anfang und Ende auch Maria beiträgt. Hervorzuheben sind auch die vielfältigen Ideen im Umfeld der Inszenierung, die das Publikum mit England und der Monarchie in Berührung bringen möchten. So konnte man sich im Glashaus des Foyers nicht nur an Tee und Gebäck bedienen und an einem Fotowettbewerb teilnehmen, sondern sich auch an einem Quiz zu den Soundtracks berühmter britischer Filme versuchen oder digital vermittelt Tom Hantschel lauschen, der aus erst kürzlich aufgetauchten Briefen der Maria Stuart liest. Leider wurden diese Angebote nur zurückhaltend wahrgenommen.

Vor fast 25 Jahren, im November 1998, hatte „Maria Stuart“ ihre letzte Premiere in Radebeul. Damals spielte eine Angela Merkel noch keine große Rolle in der Politik, die anderen zu Beginn gennannten Persönlichkeiten waren Jugendliche oder junge Erwachsene und wussten um die Fallstricke der Macht sicherlich wenig. Inzwischen dürfte sich das geändert haben. Schillers Text ermöglicht mit seiner „Maria Stuart“ jeder Generation eine Auseinandersetzung mit der Frage, welchen Preis man für Macht zahlen muss. Ob die Menschen in politischer Verantwortung daraus ihre Rückschlüsse ziehen, kann bezweifelt werden. Dieses Stück von Schiller zu lesen und frei von Selbstverwirklichungsallüren zu spielen lohnt aber immer wieder. Langer Applaus und mehrere Vorhänge rundeten einen beeindruckenden Theaterabend ab. 

Bertram Kazmirowski

Nächste Vorstellungen: 2.2. 18 Uhr Radebeul; 3.2. 19.30 Uhr Meißen; 9.2. 20 Uhr Radebeul; 2.3. 19.30 Uhr Radebeul

Wegweisende Publikationen über die Hoflößnitz

In der ersten Folge unserer Serie zum 100. Eröffnungsjubiläum des Weinbaumuseums Hoflößnitz hatten wir im vorigen Heft an einen denkwürdigen Vortrag von Dr. Hans Beschorner im Jahr 1903 erinnert, der die Aufmerksamkeit der Dresdner Fachöffentlichkeit auf das im Dornröschenschlaf liegende Weinbergschlösschen im Herzen der Lößnitz lenkte. Diesem Vortrag folgten schon ein Jahr später zwei

Hauptsaal der Hoflößnitz, Tafel aus Gurlitt (1904), Vorlage Stiftung Hoflößnitz
Bild: Gurlitt, Kunstdenkmäler Dresden-Neustadt 1904


Im 26. Heft der »Beschreibenden Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler des Königreichs Sachsen« (Dresden 1904, S. 136-149), das die Baudenkmale im Gebiet der Amtshauptmannschaft Dresden-Neustadt und damit auch der Lößnitz behandelte, lieferte Dr. Cornelius Gurlitt, Professor für Baukunst an der Technischen Hochschule in Dresden, eine ausführliche und sorgfältig bebilderte Beschreibung des von ihm als »das Wohnhaus« bezeichneten kurfürstlichen Lusthauses der Hoflößnitz und der gesamten Anlage. Auch wenn Gurlitt dabei einige – für einen solchen Experten erstaunliche – Ungenauigkeiten unterliefen, die Zweifel daran nähren, dass er das Schlösschen höchstpersönlich näher in Augenschein genommen hatte, ist seine Einschätzung, »das ganze Obergeschoss« sei »eines der bemerkenswerthesten Beispiele der Dekorationsweise des 17. Jahrhunderts« durch die beigegebenen qualitätvollen Lichtbilder und die eingehende Beschreibung der künstlerischen Ausstattung der fünf Räume hinlänglich untermauert. War die Hoflößnitz schon durch die Aufnahme in dieses Denkmalinventar als Baudenkmal klassifiziert, rangierte sie durch diese Einschätzung nun auch gleich in der ersten Kategorie.

Noch umfangreicher war der ebenfalls hervorragend illustrierte Aufsatz »Die Hoflößnitz bei Dresden« von Hans Beschorner in den »Dresdner Geschichtsblättern« (13. Jg., 1904, H. 1, S. 209-226 und H. 2, S. 239-247), die inhaltlich vertiefte und um nach wie vor wertvolle Quellenbelege ergänzte Fassung seines Vortragsmanuskripts aus dem Vorjahr. Dass Gurlitt und Beschorner aus je eigener Fachperspektive parallel am gleichen Thema saßen und sich austauschten, zeigen die Querverweise beider aufeinander. Beschorners Verdienst besteht darin, dass er die ihm dienstlich gut zugänglichen Akten des Hauptstaatsarchivs für seinen Gegenstand erstmals akribisch auswertete. Ergebnis war eine quellensatte und bis heute in Teilen unübertroffene Geschichte der alten Hoflößnitz bis zum reblausbedingten Ende des Staatsweingutes im späten 19. Jahrhundert.

Die Essenz dieses Aufsatzes, um einige neue Informationen bereichert, verwertete der Autor für den – wie alle seine Texte brillant formulierten – Artikel »Das Lust- und Berghaus in der Hoflößnitz einst und jetzt« in der Wissenschaftliche Beilage der Leipziger Zeitung (Jg. 1905, Nr. 142 vom 2.12.1905, S. 565-567 und Nr. 143 vom 5.12.1905, S. 569f.), der u. a. die bauliche Fertigstellung des Schlösschens erstmals richtig auf das Jahr 1650 datiert. Damit wurde die Hoflößnitz nun in breiten Kreisen der kulturell und historisch interessierten Sachsen ein Begriff. Beschorners fragendes Fazit zur Zukunft dieses Kleinods – »Wird es vom Erdboden verschwinden? Oder wird es einen kunstsinnigen Eigentümer […] finden, der liebevoll seine Hand über all die Herrlichkeiten aus längst vergangenen Tagen breitet?« – gipfelte in dem Wunsch: »Hoffen mir das letztere!«

Noch verschiedentlich und auch, als Letzteres Jahre später längst eingetroffen war, kam Hans Beschorner, seit 1928 Direktor des Staatsarchivs, publizistisch auf die Hoflößnitz zurück, zuletzt in der 1931 als Nummer 10 der Reihe »Geschichtliche Wanderfahrten« erschienenen Broschüre »Die Hoflößnitz bei Dresden«, die mittlerweile als Reprint und – dank doppelter Digitalisierung – auch online leicht verfügbar ist. Wie vor 12 Jahren, als ich dieses Thema schon einmal aus etwas anderer Perspektive behandelt habe (vgl. V&R, Heft 7/2012), sei abschließend ein Zitat aus der Einleitung dieses Heftchens angeführt, dass heute noch fast so aktuell klingt wie 1931. Es sei sonderbar, schreibt Beschorner nämlich, »wie unbekannt den Dresdnern, ja selbst den Lößnitzern diese Sehenswürdigkeit ist. Die Sektkellerei kennt jeder, die Hoflößnitz so gut wie niemand.« Das Jubiläumsjahr 2024 bietet nun vielleicht Anlass und sicher reichlich Gelegenheit, dies zu ändern. (Fortsetzung folgt.)

Frank Andert

Mit Stephan Krawczyk poetisch durch das Jahr



Zur Titelbildserie

Holzschnitte von Michael Hofmann

Für 2024 hat der Radebeuler Maler und Grafiker Michael Hofmann die Gestaltung des Titelbildes übernommen. Mit einer Serie meist eigens dafür geschaffener Holzschnitte führt er durch das Jahr.
Das Blatt „Begegnung“ eröffnet den Reigen.
In den scherenschnittartig ausgestellten Formen lassen sich zunächst fünf Elemente unterscheiden: Hand, Kopf und Vogel, Haus und Mond. Bei genauerem Hinschauen erkennen wir zwischen Hand, Hut und Frisur zwei Gesichter wie in einem. Werden wir hier Zeugen einer besonders innigen Begrüßung, eines berührenden Abschieds oder gar einer plötzlich aufwallenden Gemütsbewegung? Was erzählt uns die erhobene Hand? Zeigt sie Ablehnung? Unterstreicht sie Zuneigung?
Das Blatt steht nicht zufällig am Beginn des Jahres und der Reihe. Janus, der altrömische Gott mit den zwei Gesichtern, gilt in der Überlieferung als Behüter der Tür und allen Anfangs. Der erste Monat des Jahres ist nach ihm benannt. Mit seiner Fähigkeit, zugleich nach vorn und zurück zu blicken, wäre er auch der beste Hüter von „Vorschau & Rückblick“.
Der Holzschnitt ist als Vervielfältigungsdruck die älteste Drucktechnik überhaupt. Das British Museum in London bewahrt mit der „Diamant-sutra“ den ältesten sicher datierten Bildholzschnitt aus dem Jahr 868. In Mitteleuropa kommt diese Technik seit dem 15. Jh. in Gebrauch.
Der in Chemnitz geborene Künstler hat im grafischen Betrieb seines Vaters den Beruf des Reprofotografen erlernt, bevor er in Dresden Malerei und Grafik studierte. Schon in seinen frühesten Arbeiten hat er sich ernsthaft mit dem Holzschnitt auseinandergesetzt. Davon aber später mehr.
Thomas Gerlach

Stephan Krawczyk zu Gast bei uns

2024 setzen wir unsere Reihe mit Liedermachern fort, die bereits zu DDR-Zeiten die Musikszene auf ihre ganz besondere Weise prägten.
Im Frühjahr letzten Jahres las ich beiläufig, dass Stephan Krawczyk in der Kirche Riesa-Gröba ein Konzert gibt. Da er meines Wissens in den letzten Jahren im Dresdner Kulturkalender nicht vertreten war, ergriff ich die Gelegenheit dem Konzert dort beizuwohnen.
Vor dem Konzert war der Künstler im ungewohnt vertrauten Austausch mit zumeist älteren Gästen. Aus gutem Grund, wie ich erfahren durfte. So fand sage und schreibe vor über 35 Jahren, also ein Stück weit vor dem Mauerfall, hier sein letztes Konzert statt, wo er unter Berufsverbot und im Schutze der Kirche auftrat. Viele der Anwesenden waren schon damals dabei und es hatte mit dieser Vorgeschichte selbst heute noch irgendwie den Nimbus des Konspirativen. Es schien, als schlösse sich nun endlich ein bisher unvollendeter Kreis.
Ermutigt durch die offene Atmosphäre habe ich ihn angesprochen und erzählte von der „Vorschau“ und unserer Lyrikseite. Ich rannte offene Türen ein, denn schon wenige Tage später fand ich 12 Texte für das komplette Jahr in meinem Postfach. Ebenso begrüßte er meinen Vorschlag, im kommenden Jahr ein Konzert in Radebeul geben zu wollen. (Die Planungen hierfür laufen bereits.)
Stephan Krawczyk ist insbesondere im Zusammenhang mit seinem unverdrossenen Engagement in der DDR-Bürgerbewegung bekannt geworden.
1981 gewann er den Nationalen Chansonwettbewerb der DDR, die Begegnung mit der Regisseurin und späteren Frau Freya Klier im Jahr 1984 gab seinem künstlerischen Weg ganz neue, kritische Impulse. Seine Lieder wurden schnell zu Hymnen der Protestbewegung. Es folgten Berufsverbot und Haft, bis er schließlich 1988 in den Westen abgeschoben wurde.
Nach der Wende 1989 setzte Krawczyk seine künstlerische Karriere fort. Er veröffentlichte zahlreiche Alben und Bücher, in denen er seine Erfahrungen in der DDR reflektierte. Politisch blieb er stets wachsam und entwickelte ein feines Gespür für die Erfahrungen in den Zeiten des Wandels.
Freuen Sie sich mit uns auf ein lyrisches Jahr mit Texten von Stephan Krawczyk!

Sascha Graedtke

Biographische Notizen

• Silvester 1955 in Weida/ Thüringen geboren.
• Nach Abitur und Studium der Konzertgitarre an der Franz-Liszt-Hochschule in Weimar seit 1980 freiberuflicher Sänger.
• 1981 Gewinner des Nationalen Chansonwettbewerb der DDR.
• 1984 Umzug nach Berlin, Hauptstadt. Im selben Jahr beginnt er zu schreiben, im Jahr darauf wird ein Berufsverbot über ihn verhängt.
• Tritt gemeinsam mit Freya Klier in Kirchen auf, wird zur Symbolfigur der DDR-Bürgerbewegung. 1988 verhaftet die Stasi den oppositionellen Künstler und schiebt ihn 16 Tage später in den Westen ab.
• Im selben Jahr, in Westberlin, gründet Krawczyk die Bürgerinitiative „FCKW Stop! Jeder Tag zählt“.
• Konzerttourneen führen ihn durch den deutschsprachigen westeuropäischen Raum, nach Nordamerika, Frankreich, Spanien, Italien. Er schreibt das Buch „SCHÖNE WUNDE WELT“, das im Jahr der Wiedervereinigung veröffentlicht wird.
• Es erschienen bisher 15 LPs und CDs als Solokünstler und neben einem Opernlibretto und einem Schauspiel ebensoviele Veröffentlichungen in Lyrik und Prosa.
• Krawczyk lebt in Berlin und auf Mallorca.

Auszeichnungen

– 1981: Hauptpreis beim DDR-Chansonwettbewerb
– 1992: Bettina-von-Arnim-Preis
– 2001: Verdienstorden des Landes Berlin
– 2005: „Das unerschrockene Wort“, Auszeichnung des Bundes der Lutherstädte
– 2009: Bundesverdienstkreuz am Bande
– 2023: Mehrfache Auszeichnung beim Deutsch-französischen Chanson- und Liedermacherpreis 2023

Radebeuler Miniaturen

Rechenbeispiel
(für die eine, die gelacht hat)

Das ist das Schöne am Stammplatz, daß du da einfach sein kannst. Je nach Wetter drinnen am Tresen oder draußen am Faß, kannst du reden oder schweigen, ganz, wie dir zu Mute ist – eben: einfach sein. Alle, die darum wissen, denken, ach, da ist er wieder. Und wenn du länger nicht gesehen wurdest, wirst du vermißt. Selbst in der mäßig interessiert klingenden Frage, wo warst du denn so lange, liegt mehr Liebe, als du verdienst zu haben glaubst. Auch das tut gut, zu wissen.
Deine Gänge „ins Dorf“, die mal einfach der Bewegung dienen, aber auch einem höheren Zweck folgen können (heute zum Beispiel warst du im Rechenzentrum zwecks gemeinschaftsfördernden Erwerbs eines neuen Laubbesens), diese Gänge also, die folgerichtig am Stammplatz enden, sind für dich zum Inbegriff von Lebensqualität, Zufriedenheit und Dankbarkeit geworden. Vor allem aber sind sie Quelle der Inspiration:
Plötzlich hörst du da nämlich eine Stimme:
Sag mal, kennst du Al Gore?
Sofort erwacht deine Aufmerksamkeit, die Ohren richten sich nach hinten.
Naja kennen, antwortet eine zweite Stimme, den Namen hab ich schon gehört. War Senator in Tennessee, und zweimal Vize, bei Obama, glaub ich, oder wars Clinton? Warum fragst du?
Ich hab gehört, das wieder die Stimme des ersten, der hat den Rhythmus des Lebens gefunden.
Al Gore?! Quatsch! Präsident wollte er werden, war den meisten seiner Landsleute aber zu grün und also versifft oder umgekehrt.
Doch, doch, das erneut und voller Ernst der erste, ich weiß das genau, der kann dir alles ausrechnen, was du willst.
Freilich, denkst du selbst, die Amerikaner sind berechnend und unberechenbar zugleich – der andere scheint Ähnliches geäußert zu haben:
So meine ich das aber nicht, braust da nämlich der erste auf, der rechnet dir sogar aus, welcher Partner zu dir paßt.
Der Vize?
Genau, Al Gore! Wenn der erst den Rhythmus gefunden hat, weiß er genau, wen du an deiner Seite verträgst. Das spart Umwege.
Ach, sagt der Zweite, ich wäre da vorsichtig, hat der erst dein Geld kassiert, war alles nur wieder eine alternative Wahrheit. Ich kenn doch die Brüder…
Hat der Brüder?
Wer?
Al Gore!
Woher soll ich das wissen?!!
Na, wenn du sie kennst, wie du sagst, – warst du mal drüben?
Nee, nie, hab auch nicht das Bedürfnis dazu. Obwohl – New York könnten wir uns schon noch mal angucken, bevors absäuft … aber sag mal, kannst du dir deine Partnerin nicht selber ausrechnen?
Eben nicht! Dazu fehlt mir der Al-Gore-Rhythmus …

Neugierig geworden verläßt du deinen Hocker in Richtung Toilette, nur um nachher einen unauffälligen Blick auf die Redner werfen zu können. Aber wie du zurückkommst, sind sie verschwunden. Dankbar nimmst du dein zweites Bier in Empfang und überlegst, wieviele und welche Schritte der Algorithmus vorschreiben müßte, um das Gefühl der Dankbarkeit zu errechnen: 101001100011100001121100001110001100101 … in Ewigkeit Amen…

Thomas Gerlach

Glosse

Doppelt hält besser

Gerade ist es vorbei, das Fest der Heimlichkeiten. Es verursacht in mir auch immer so ein gewisses Gruseln, weiß man doch nie, womit man wieder so beschenkt wird. Von der vorletzten Festivität habe ich noch einige verpackte Geschenke herumliegen. Denn nicht immer ist die Freude beidseitig. Und nicht immer will man alles wissen. Dummstellen und abwarten kann allerdings in der Politik gefährlich, ja tödlich, sein.
Wen man auch in Radebeul trifft, die meisten haben keine Ahnung, dass wir 2024 in ein glorreiches Jahr gehen. Was schon soll an diesem Jahr glorreich sein, werden sie fragen: Dass die Wasserpreise gestiegen sind, die Mieten weiter klettern und die Inflationsrate aktuell mit 3,8 Prozent auf einem hohen Niveau liegt? Zumindest für dieses Jahr versprechen die „Wettbuden“ hier einen Rückgang. Da lässt sich dann doch etwas erleichterter auf die Pauke hauen, wenn die Radebeuler im neuen Jahr ihr großes Doppeljubiläum begehen.
Auch Sie wissen nicht wovon ich schreibe? Hat es sich denn wirklich noch nicht herumgesprochen? Dieses Jahr ist das ganze Jahr ein Festjahr: 100 Jahre Stadt Kötzschenbroda – 100 Jahre Stadt Radebeul! Alles klar?!
Und wenn ich „das ganze Jahr“ schreibe, meine ich auch das ganze Jahr. Am 1. Januar 2024 um 00:01 Uhr wird die Fete eingeläutet! Ja, sie lesen richtig! Eine Reihe von Radebeuler Bürgern werden dann die ersten Sätze in ihr Alltagsbuch gekritzelt haben. Wann allerdings der dicke Veranstaltungskalender erscheint, kann ich im Augenblick noch nicht verkünden, aber vermutlich vor dem 31. Dezember. Natürlich sind die Radebeuler aufgefordert, kräftig mitzuwirken. Im Klartext: Wer feiern will, sollte auch etwas dazu beitragen! Und mit ein wenig Glück kommt man dann auch in den dicken Veranstaltungskalender. Beeilen aber muss man sich schon. Die anderen schlafen auch nicht.
Ja, wer feiert nicht gerne? Aber wie? Ehrlich gesagt, so richtig habe ich mir darüber auch noch keine „Platte“ gemacht. Was für so einen Anlass alles für Wörter kursieren, du glaubst es nicht: Party, Gesellschaft, Fete, Sause, Event, Vergnügen, Budenzauber, Festtage, Lustbarkeit, Cercle, Mulatschag… So manchen Begriff führen wir heutzutage überhaupt nicht mehr im Munde!
Was zum Beispiel ist ein „Cercle“? Zugegeben, die Bezeichnung ist etwas aus der Mode gekommen und steht für Vieles. In unserem Fall für „Empfang bei Hofe“, was ja auch recht gut passen würde. Oder nehmen wir „Mulatschag“, was so viel bedeutet, wie „ausgelassenes Fest“ und seinen Ursprung in Ungarn/Österreich haben soll. So richtig empfiehlt es sich aber dann wiederum auch nicht, enden doch derartige Unternehmen, in dem alles Geschirr zerschlagen wird. Das Festjahr soll ja nicht noch in einem Scherbengericht münden.
Der abgelatschte Begriff „Party“ wäre grundsätzlich abzulehnen, auch wenn uns angelsächsische Verwandtschaft nachgesagt wird. Aber wie wäre es beispielsweise mit „Sause“? Würde doch ganz gut zu Radebeul und den Sachsen passen, schließlich nennen wir uns ja auch „Weinstadt“. Es muss ja nicht gleich so ausarten wie zur Erlanger Kärwa. Das liegt dort sicher an den vielen guten fränkischen Brauereinen. Da sehe ich für Radebeul überhaupt keine Gefahr. Und in „Saus und Braus“, da bin ich mir absolut sicher, wird die Radebeuler „Sause“ ohnehin nicht ausarten, wo uns doch seit neulich das Geld nicht mehr so locker sitzt.
Aber, dass die „Sause“ irgendwie mit der Zieselmaus zusammenhängen soll, war mir bisher völlig unbekannt. Vermutlich wegen der zischenden, pfeifenden Geräusche, die beide verursachen. Aber vielleicht könnte dieser Verwandte der Hörnchen demnächst zum Radebeuler Maskottchen aufsteigen? Wie dem auch sei, das Fest aber sollten wir denn auf keinem Fall sausenlassen.
Na dann, auf ein lustiges Festjahr! Feste sollen ja fröhliche, ausgelassene Zusammenkünfte sein. Da hoffen wir mal, meint
Euer Motzi

Buchvorstellung

„In Übigau 1870 / 71 interniert – in Kaditz bestattet“

Foto: D. Lohse

Das vor mir liegende Büchlein (Format A5, 76 Seiten) ist ein Sachbuch zu Ereignissen am Rande des deutsch-französischen Krieges von 1870 / 71, ein Krieg, den Deutschland nicht verloren hatte. Herausgegeben hat dieses Buch 2022 der Verein „Neue Nachbarschaft Kaditz e.V.“ in Eigenregie, d.h. ohne einen Verlag. Wäre das Buch über einen Verlag noch teurer geworden? Verfasser ist der Kaditzer Siegfried Reinhardt, von dem u.a. schon Bücher über die Gohliser Windmühle sowie Dorf und Stadtteil Kaditz erschienen sind. Wenn ich jetzt über das neue Buch berichte, so tue ich das gern, weil die „Nachbarschaft“ und die „Vorschau“ zwei benachbarte und miteinander bekannte Vereine sind, die über die Stadtgrenze Dresden / Radebeul eine gelegentliche Zusammenarbeit pflegen.
Aber ist das jetzt der richtige Zeitpunkt, um über ein älteres Kriegsereignis zu schreiben, jetzt, wo in östlicher und südöstlicher Richtung von uns Kriege toben? Es müsste möglich sein, weil zwischen der Gefangenschaft der Franzosen an der Elbe und den aktuellen Kriegen 150 Jahre liegen und weil das Herangehen an das Thema im Buch nicht kriegsverherrlichend ist.
Das Buch, siehe oben, ist schon durch sein Cover in den Farben der Trikolore (Blau, Weiß, Rot), den Gemeindesiegeln von Übigau und Kaditz sowie dem Titel interessant gestaltet und dadurch eine Aufforderung zuzugreifen! Dem Buch liegt eine umfassende Recherche zugrunde, die Fakten sind in drei Abschnitte gegliedert: das Internierungslager für etwa 7000 gefangene französische Offiziere und Soldaten in Übigau, die Begräbnis-stätte für 117 gestorbene Franzosen in Kaditz und die namentliche Auflistung der Toten. Als Radebeuler hatte man schon mal vom Kaditzer Franzosenfriedhof gehört oder ihn vom Elbradweg aus besucht, aber die größeren Zusammenhänge erfährt man erst aus dem verdienstvollen Büchlein. Von einem geschichtlichen Sachbuch darf man keine lockere, leicht zu lesende Lektüre erwarten, es sind sachliche, gelegentlich etwas trockene Schilderungen der Faktenlage. Aus dem Text erfährt man, dass am 26. August 1870 die ersten Franzosen in Übigau, das damals noch nicht zu Dresden gehörte, eintrafen. Sie waren geschwächt vom Kampf und der langen Zugfahrt (ca. eine Woche) und zum Teil verletzt. Sie wurden ärztlich versorgt und mussten ihr Barackenlager am Elbufer in Übigau selbst aufbauen. Das Kriegsgefangenenlager war primitiv mit Strohlagern statt Betten, es folgte ein kalter Winter und schließlich eine Überschwemmung der Elbe. Die Zahl der 117 toten Gefangenen entstand durch Krankheiten und Entbehrungen, häufig durch Blattern und Lungenkrankheiten. Da damals Übigau nach Kaditz eingepfarrt war und keinen eigenen Friedhof besaß, mussten die verstorbenen Gefangenen auf einem Kaditzer Friedhof begraben werden. Man erfährt aber auch, daß die Franzosen zu bestimmten Zeiten das Lager verlassen durften und so auch Kontakte zu Bauern und Kindern zustande kamen. Das Lager wurde nach Abreise der letzten Franzosen in die Heimat am 25. Juni 1871 geschlossen und im Juli abgebaut. Mit 11 Monaten hatte das Internierungslager Übigau eigentlich nur eine kurze Zeit existiert. An der Stelle befindet sich heute die rechtselbische Rampe der Flügelwegbrücke (erbaut 1929 / 30).

Foto: D. Lohse

Zur Gestaltung der französischen Abteilung im zweiten Kaditzer Friedhof (Serkowitzer Straße) und der Unterhaltung desselben wurde viele Gesuche und Briefe geschrieben worden, die Anlage schien auch zeitweilig in Vergessenheit zu geraten, aber zum 150. Bestehen der Franzosengräber zeigten sie wieder ein würdiges Aussehen. Zu diesem Jubiläum und anderen Terminen treffen sich Franzosen und Deutsche in Kaditz, man kann darin ein völkerverbindendes Zeichen sehen.
Das empfehlenswerte Sachbuch, das für 10,- € angeboten wird, hat nur einen Haken, es ist leider nicht im Buchhandel zu finden, sondern nur in folgenden Einrichtungen und Läden erhältlich:

Friedhofsverwaltung Kaditz, Serkowitzer Str. 39, 01139 Dresden
Mo, Do 10-12, Di 10-12, 15-17
Verkaufsstelle Frühgemüsezentrum Kaditz, Grimmstraße 52, 01139 Dresden
Mo-Fr 9-17, Sa 9-12
Hermes Paketshop motto Agentur, Kaditzer Str. 28, 01139 Dresden
Mo-Do 14-18, Fr 9-15
und ab Jan. 2024:
Autohaus Gommlich, Verkauf, Meißner Str. 140, 01445 Radebeul
Mo-Fr 9-18

Als Geschenktipp für Weihnachten kommt die Buchvorstellung leider zu spät, aber Ostern steht ja bald vor der Tür!
Da fällt mir noch eine Verbindung zum deutsch-französischen Krieg sowie Kaditz und Radebeul ein. Der Heimkehrergedenkstein an der Kaditzer Straße in Radebeul erinnert auf andere Weise an den Krieg von 1870 / 71.
Diesen Stein sollen drei sächsische Kameraden aus Freude über ihre gesunde Heimkehr aus Frankreich aufgestellt haben – wir erkennen zwei Seiten „ein und derselben Medaille

Dietrich Lohse

 

9. Thematischer Filmclubabend

Zum Auftakt unserer Veranstaltungsreihe Film Club Mobil 2024 sind wir am 18. Januar um 19 Uhr in der Heimatstube Naundorf zu Gast. Die liebevoll ausgestalteten Museumsräume bieten den stimmungsvollen Rahmen für den Märchenklassiker „Väterchen Frost“ aus dem Jahr 1964. Darüber hinaus erfahren wir das Neueste aus der Radebeuler Ursprungsgemeinde Naundorf, die vor 880 Jahren ihre erste urkundliche Erwähnung fand. Ein loderndes Kaminfeuer mit Bratäpfeln und würzigen Heißgetränken stimmen auf den winterlichen Filmclubabend ein. 

Tschechische und russische Märchenfilme prägten die Kinderzeit von DDR-Nachkriegsgenerationen. Das diese Filme nicht nur nostalgische Gefühle aufkommen lassen, sondern heute noch so sehenswert sind, resultiert nicht zuletzt aus ihrer künstlerischen Qualität. Auf zahlreichen Festivals wurde „Väterchen Frost“ sowohl für das Drehbuch als auch die Filmmusik ausgezeichnet. Die Drehbuchautoren Nikolai Erdmann (1900 – 1988) und Michail Wolpin (1902 – 1988) hatten Elemente aus der slawischen Mythologie mit Motiven aus russischen und deutschen Märchen zu einer Handlung verwoben. Den Regisseur Alexander Rou (1906 – 1973) verband wiederum eine langjährige produktive Zusammenarbeit mit dem Schauspieler Georgi Milljar (1903 – 1993), welcher in zahlreichen seiner Filme mitwirkte. Milljar hatte sich auf groteske Charaktere spezialisiert. Vor allem die Rolle als Hexe Baba Jaga, die er in mehreren Filmen verkörperte, machte ihn auch international bekannt. Zu dem hochkarätigen Darstellerensemble gehörte die sechzehnjährige Natalja Sedych. Obwohl diese als Schauspielerin bereits in früher Jugend sehr erfolgreich war, absolvierte sie ein Studium an der Ballettschule des Bolschoi-Theaters und stand danach als Tänzerin auf der Bühne. Einen Großteil der mitwirkenden Schauspieler kann man auch in dem Film „Feuer, Wasser und Posaunen“ von 1968 erleben.

Väterchen Frost – Abenteuer im Zauberwald
1964, Sowjetunion, Gorki-Filmstudio, 82 Minuten, FSK 6, DEFA-Synchronisation 1965

Regie: Alexander Rou; Drehbuch: Nikolai Erdmann, Michail Wolpin;
Musik: Nikolai Budaschkin; Kamera: Dimitri Surenski; Besetzung: Alexander Chwylja (Väterchen Frost), Natalja Sedych (Nastjenka), Inna Tschurikowa (Marfuschka), Eduard Isotow (Iwan), Georgi Milljar (Baba Jaga)

Die Erzählerin beginnt mit den Worten: „Es war einmal vor langer, langer Zeit, ein alter Mann und eine alte böse Frau ……“ Beide hatten jeweils eine leibliche Tochter. Die der Frau, Marfuschka, war faul und hässlich, die des Mannes, Nastjenka, war fleißig und schön. Die eine wurde verwöhnt, die andere schikaniert. Eines Tages begegnet Nastjenka im Wald dem jungen eitlen Prahlhans Iwan, der sich sofort in sie verliebte. Doch weil er das Waldmännchen beleidigt hatte und ohne Skrupel eine Bärenmutter töten wollte, nahm das Unglück seinen Lauf und Iwan trug zur Strafe fortan einen Bärenkopf. Schließlich wurde es Winter. Die Hässliche zu verheiraten, wollte und wollte nicht gelingen. Der Stiefmutter war es leid, dass die Freier nur ein Auge für Nastja hatten, und jagte sie in den Wald. Aber Väterchen Frost rettete sie vorm Erfrieren. Allerdings sprach er eine Warnung aus: Wer seinen Zauberstab berührt, wird zu Eis und alles Leben erstirbt… Iwan, der inzwischen seine menschliche Gestalt zurückerhielt, suchte Nastja. Doch im Zauberwald lauerten rauflustige Räuber, im Holzhäuschen mit den Hühnerbeinen wohnte die hinterlistige Hexe Baba Jaga und Nastja lag wie tot im Haus von Väterchen Frost…

Karin Baum und Michael Heuser
Sprecher der Cineastengruppe „Film Club Mobil“ im Radebeuler Kultur e.V.


Anmerkung: unter Verwendung von verschiedenen Filmbegleitmaterialien und Wikipedia-Eintragungen

Reservierungen erbeten unter 0160-1038663

Als die Läden noch den Namen von Leuten trugen

(und die Anekdoten von heute geboren wurden)

In seinem Editorial im Oktoberheft erwähnte Sascha Graedtke die Schließung des Geschäftes von Lars Bellmann auf der Meißner Straße 88, in dem der Inhaber seit Ende der 1990er Jahre überwiegend Tabakwaren, Zeitschriften und Schreibwaren verkauft hatte. Auf dem Schild über dem Laden, das inzwischen entfernt ist, war allerdings auch zu lesen, dass man als Sammler von Münzen und Briefmarken dort auch fündig werden konnte, was in den letzten Jahren allerdings nur noch ein ganz kleines Segment des Umsatzes ausgemacht haben dürfte. Ganz anders war die Situation vor 40 Jahren, als das Ehepaar Eiffler den Laden führte. Daran wurde ich erinnert, als ich von der Schließung des Ladens von Herrn Bellmann las. Und einmal angefangen ließen auch mich die Erinnerungen nicht mehr los… Ich nehme Sie, liebe Leserinnen und Leser, deshalb mit auf einen kleinen Spaziergang entlang meines magischen Kindheitsdreiecks, dessen Ecken vom Briefmarkenladen Eiffler, den Geschäften an den Linden und den Geschäften bzw. Läden an der Ecke Maxim-Gorki-Straße-/Reichsstraße in der Oberlößnitz begrenzt wurde.

 

Meißner Straße 88 Foto: B. Kazmirowski

Mein täglicher Schulweg führte mich frühmorgens an der Bäckerei Werner vorbei, die im Erdgeschoss des Eckhauses Reichsstraße/Maxim-Gorki-Straße ihre Backwaren anbot. Der Verkaufsraum war sehr klein und schon gar nicht barrierefrei, denn eine Treppe führte von zwei Seiten zur Eingangstür. Dumm nur, dass der Laden früh gegen 7 Uhr, als schon der Duft frischer Brötchen aus der Backstube im Keller bei geöffnetem Fenster nach draußen strömte, noch nicht offiziell geöffnet hatte. Wir Schulkinder hatten natürlich alle unsere, nun ja, blechernen Brotdosen (meine war wenigstens zweifarbig, die meisten Mitschüler hatten welche in Silber) im Ranzen, aber was waren die von fürsorglich besorgten Müttern mitgegebenen Pausenbrote gegen frische, warme, duftende Semmeln für 5 „Pfenge“ das Stück oder für einen Groschen, wenn es gleich ein großes, ein „doppeltes“ Brötchen sein sollte? Also schnell hingekniet auf das Gitter, an die Fensterscheibe geklopft und ein erwartungsfrohes „Hallo?“ in den Duft hineingerufen. Alsbald erschien eine freundliche Bäckersfrau und fragte, was es denn sein dürfe. Das bissel Geld, was man so als Zweit- oder Drittklässler bei sich hatte reichte allemal ab und zu für ein oder zwei Semmeln. Hatte man gerade Taschengeld bekommen oder sonst irgendwie etwas mehr bei sich, durfte es auch ein lecker Pfannkuchen für 20 Pfennige sein, der dann durch

Lichtschachtgitter zum Backraum Foto: B. Kazmirowski

die Gitterstäbe nach draußen gereicht wurde. (Erinnern

Eckhaus Maxim-Gorki-Straße-Reichsstraße, ehemals Bäckerei Werner Foto: B. Kazmirowski

Sie sich noch an die mattgoldkupfern glänzenden Zwanzigpfennig-Stücke? Ein solches Exemplar vertelefonierte ich gelegentlich mit Freunden auf dem Rückweg von der Schule in der Telefonzelle, die direkt vor der Bäckerei stand, gleich neben der Litfaßsäule. Irgendwen konnte man immer anrufen, ein zerfleddertes Telefonbuch hing ja mit drin. Beides gibt es längst nicht mehr.) Zurück zum Bäcker: Blöd nur, wenn auch andere Kinder auf die gleiche Idee wie ich kamen und sich so eine hockend-kniende Warteschlange vor dem Kellerfenster bildete. Brav weiterlaufen und pünktlich an der „Kleinen Schule“ auf der Bennostraße ankommen (der Weg war weit!) oder stehen bleiben, warten und dann rennen – das war die Frage, denn die Brötchen musste man ja erst noch langsam und genussvoll verspeisen! Die Bäckerei Werner schloss relativ unvermittelt, wenn ich das richtig nachvollziehe im Frühling 1981 oder 1982 – ein herber Einschnitt im Leben für uns Schulkinder! Nachmittags, auf dem Nachhauseweg, hörte ich vor allem im Sommerhalbjahr manchmal ein vernehmliches Klopfen, Pochen und Hämmern aus einem Flachbau direkt hinter der Bäckerei parallel zur Reichsstraße (1986 wurde sie in Jean-Bertrand-Straße umbenannt, was keiner von uns Kindern kapierte, 1991 erfolgte dann schon die Rückbenennung). Was da pochte, hämmerte und klopfte war der alte Schuhmacher Ahnert, ein kleingewachsener Mann mit grauem Haarkranz, einen runden Kopf mit wachen Augen auf dem zumeist nach vorn gebeugten Nacken tragend. Meister Ahnert betrieb dort seine Werkstatt, er trug immer einen graublauen Kittel. Ich kann mich nicht erinnern, je draußen auf der Maxim-Gorki-Straße (von dort erfolgte der Zugang zum Grundstück) ein Schild gesehen zu haben, das auf diesen Handwerksbetrieb hinwies. Man wusste einfach, dass dort Meister Ahnert nähte, klebte, flickte und eben auch mit dem Hammer kräftig auf die Sohlen pochte. Manches Mal sind ein Freund und ich einfach in die Werkstatt rein und haben ihm zugeschaut, wie er auf seinem Schemel saß und sich an Schäften, Sohlen und Absätzen zu schaffen machte. Einfach gucken und schauen, wie Handwerk geht. Den Klebstoff habe ich heute noch in der Nase. Meine Bekanntschaft mit Herrn Ahnert war einmal von großem Nutzen für mich. Am Vortag einer langen Sommerurlaubsreise sollte ich meine Sachen packen und stellte fest, dass meine Sandalen hinüber waren. Das hatte ich natürlich vorher nicht bemerkt. Meine Mutter schlug die Hände über den Kopf zusammen. „Junge, das bekommen wir in der PGH (= Produktionsgenossenschaft des Handwerks) bis morgen nicht repariert!“. Ich: „Mal sehen.“ Und ab zu Ahnert, rein in die Werkstatt, Problem geschildert, Sandalen noch am gleichen Abend repariert wieder abgeholt. Preis: Vielleicht zwei Mark? Oder vier? Ganz sicher habe ich mich artig bedankt, darauf legten meine Eltern wert. Auf der anderen Seite der Hofeinfahrt schloss sich das Haus an, in dem im Erdgeschoss die Fleischerei Hartmann bis in die 90er residierte. Fleischerei Hartmann war eine Institution im Wohnviertel. Donnerstags ab spätestens 14 Uhr bildete sich eine lange Schlange, denn an diesem Tag nach der Mittagspause gab es immer die besten Sachen, die eine gute kochende Hausfrau (damals gab es tatsächlich sehr wenige kochende Hausmänner) für den Sonntagsbraten brauchte. Allerdings konnten sich donnerstags 14 Uhr nicht viele gut kochende Hausfrauen in die Schlange einreihen, denn manche von ihnen mussten arbeiten, wie meine Mutter etwa. Also hatte ich den wichtigen Auftrag, den Platzhalter bis 15 Uhr zu spielen, wenn der Laden wieder öffnete, immer in der Hoffnung, dass meine Mutter auch rechtzeitig käme. Meistens kam sie pünktlich, und ich bekam drinnen eine Scheibe Wurst oder eine Wiener auf die Hand. Auf die Hand bekamen wir Kinder und Jugendlichen auch fast immer etwas bei der Bäckerei Bär an den Linden. Glücklich waren wir, wenn auf die Frage „Haben Sie Kuchenränder?“ Frau Bär oder einer ihrer Mitarbeiterinnen in dem Raum hinter der Ladentheke verschwand und mit einer Tüte Kuchenränder wieder auftauchte. Als wir zu Hause waren, war die Tüte leer. Besonders Obstkuchen war der Renner, weil am Teigrand auch immer noch Obst hing. Fast genau auf der Linie zwischen dem kulinarischen Zentrum Maxim-Gorki-Straße/Reichsstraße (außer Bäckerei Werner und Fleischerei Hartmann gab es auch damals schon die Gaststätte „Zum Römer“) und den Linden gab es spätestens seit den 1970ern auf der Karl-Marx-Straße eine weitere kleine, versteckt liegende Werkstatt, und zwar die des Sattlermeisters Werner Gallitschke. Auch so eine Legende wie Schuhmachermeister Ahnert! Zu Herrn Gallitschke konnte man alles aus Leder bringen, also vor allem Gürtel, Jacken und Taschen. Schulranzen, Arbeitstaschen und Umhängetaschen gingen halt kaputt bei täglichem Gebrauch, und wer wusste schon, ob es im Taschenladen auf der Wilhelm-Pieck-Straße, direkt neben Eifflers Briefmarkenladen, Ersatz geben würde? Ich weiß nicht, wie oft ich bei Herrn Gallitschke vorstellig wurde, um meinen Schulranzen, später auch meine Arbeitstaschen ausbessern zu lassen. Irgendwann in den 1980ern oder 1990ern zog er in eine Kellerwerkstatt auf die Goethestraße um, wo er bis vor einigen Jahren auch noch ab und an aus alter Verbundenheit etwas reparierte. Und nun schließe ich den Bogen und komme endlich zum Briefmarkenladen H.C. Eiffler. Eifflers führten schon in den 1960ern und 1970ern in Radebeul-West ein Geschäft im Eckhaus Borstraße/Wilhelmstraße. Mein Vater erzählte mir, dass wiederum sein Vater in jener Zeit aus der Brandenburger Provinz angereist gekommen war, um bei Eifflers Briefmarken zu verkaufen und selbst zu kaufen und sich sogenannte „Nachträge“ für seine Klebealben zu besorgen. Zwischenzeitlich wurde das Geschäft nach Radebeul-Ost verlegt. Ich war als Kind in den 1980er Jahren selbst ein leidenschaftlicher Sammler gewesen und drückte mir also bei Eifflers Auslagen von besonderen – heute würde man sagen: „coolen“ oder „krassen“ – Motiven die Nase an der Scheibe platt. Ich erwarb mir dort über mehrere Jahre nach und nach diverse Sätze von Briefmarken aus so exotischen Ländern wie Antigua (sehr schöne Walt Disney-Motive), Laos (Sonderausgabe zu den Olympischen Winterspielen in Sarajevo 1984) und Paraguay (Motive mit Rennautos). Ein Satz, bestehend aus meistens fünf bis sieben Marken, kostete so zwischen 5 und 8 Mark. Auf diese Weise kam die große weite Welt in mein kleines enges Kinderzimmer in Radebeul und bereicherte meine tatsächlich gesammelten Bestände aus überwiegend europäischen Ländern. Jetzt könnte ich meinen Spaziergang beenden, aber ich möchte noch eine Erinnerung anfügen, die sich mit einem Zeitungskiosk auf der anderen Straßenseite der Wilhelm-Pieck-Straße (wie die Meißner Straße bis 1991 hieß), direkt vor der Straßenbahnhaltestelle und neben dem Eingang zur Gaststätte „Vier Jahreszeiten“ verbindet. In diesem Kiosk saß, wann immer ich vorbeikam, hinter der kleinen Scheibe ein bärbeißiger, kräftiger Mann mit dunkler Brille. Wenn ich dort in den späten 80ern auftauchte, dann nur, um eine Ausgabe der einzig begehrenswerten Zeitschrift für Jugendliche in der DDR zu erstehen, „Neues Leben“, kurz „NL“. Fast nie gelang es mir, denn die Hefte waren offenbar regional limitiert, in Berlin nämlich gab es sie allerorten ohne Probleme, wie ich von meinen Cousin wusste. Und also entspann sich allmonatlich zu Monatsbeginn folgender Dialog. Ich: „Ham’se das neue NL?“ Er: „Noch nicht.“ Einen Tag später. Ich: „Ham’se das neue NL?“ Er: „Nicht mehr.“ Irgendwie kam ich dann doch immer mal an ein Exemplar und durfte es mitlesen oder mir ausborgen.
Und damit ist mein Spaziergang beendet. Teilen Sie die eine oder andere Erinnerung? Wie wäre es, wenn Sie mich und andere Leser auf einem Gang durch Ihr Kindheits-Radebeul mitnehmen? Ich würde mich freuen!
Bertram Kazmirowski

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