Editorial

Editorial

Es ist Ende der 1960er Jahre gewesen, als ich im Zeitkino am Dresdner Hauptbahnhof einen Dokumentarfilm über Bauen in Finnland gesehen habe. Architekten überlegten genau, wie bereits existierende Bäume, Sträucher und weiteres wertvolles Grün als zwingend zu erhaltende Elemente in Planungen zu berücksichtigen sind. Und das in einem Land, in dem wahrlich reichlich Bäume wachsen. In der Vorbereitung der Baumaßnahmen wurden die zu schützenden Bäume sorgfältig „eingepackt“, um sie vor Schäden durch Baufahrzeuge zu schützen. Das hat mich damals sehr beeindruckt, und ich habe nicht vergessen, mit wieviel Sorgfalt da vorgegangen wurde.
Wenn ich heute Bauvorbereitungen betrachte, muss ich oftmals feststellen, dass, manchmal sogar ohne Vorliegen vollständiger Bauunterlagen, schon mal Tatsachen, sprich Baufreiheit dahingehend geschaffen wird, und alles was Grün ist, beseitigt wird. Da nützt es auch nicht immer, sogenannte Ausgleichs- und Ersatzflächen auszuweisen. Neue Anpflanzungen sind schön und gut, aber wie lange dauert es, bis ein Baum wieder Schatten spendet und hilft, die Luft zu reinigen und das Klima zu verbessern? Oft überstehen Neuanpflanzungen nicht einmal das erste Jahr, mangels Wasser oder wegen anderer Standortgunst. Ganz abgesehen davon, dass „Ausgleichsflächen“ in ihrem alten Zustand häufig bereits ökologische Bedeutung haben, letztlich also die „grüne Bilanz“ negativ ist. Schnell, viel zu schnell, geben Bauplaner und verantwortliche Verwaltungen grünes Licht für Kahlschlag. Und das in einer Zeit, in der kein Tag vergeht, an dem nicht die Worte Biodiversität und Klimaschutz benutzt werden. Dabei sollten doch alle Verantwortung für das genannte Anliegen übernehmen: Planerinnen und Planer, Verwaltungsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter, Ratsmitglieder und andere Beteiligte.
Dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen im umfassenden Sinne muss auch im Kleinen Vorrang eingeräumt werden!

Ilona Rau

Zum Titelbild V&R Okt. 2023

An den Brunnen 34

Foto: D. Lohse

Um 1900 hatten Studenten der Königlichen Baugewerkeschule Dresden das Winzerhaus aufgemessen und skizziert. Überrascht war ich, dass sie es altes Wohnhaus in Naundorf bei Kötzschenbroda nannten. Aber die Adresse befindet sich auf der nördlichsten Ecke von der Flur Naundorf, fast in Lindenau. Ich halte es vom Typ her für ein um 1700 erbautes Winzerhaus (ein Brunnenteil zeigt die Jahreszahl 1699) – früher war es das Wohnhaus eines Winzers, dann, nach der Reblaus, nur noch ein Wohnhaus, heute für Herrn und Frau Maune. Bauliche Veränderungen blieben nicht aus und verwischten den Charakter eines Winzerhauses immer mehr, so wurde der Stallanbau nach 1900 aufgestockt und das Fachwerk des OG ist nicht mehr zu erkennen. Es wurde verbrettert, bzw. überputzt. Hinzu kommen z.T. veränderte Türen und Fenster für eine neue Wohnfunktion. Auf dem westlichen Land wurde hier nach der Reblauskatastrophe kein Wein wieder angebaut.

Dietrich Lohse

Mit den Texten der brachialromantischen Hausapotheker Dieter Beckert und Jürgen B. Wolff durchs Jahr

8. Thematischer Filmclubabend

Das Wanderkino Film Club Mobil ist am 5. Oktober 2023 um 19.30 Uhr in der Stadtgalerie Radebeul zu Gast. Gezeigt wird der DEFA-Klassiker „Der nackte Mann auf dem Sportplatz“, welcher 1974 Premiere hatte. Bis zur kleinsten Nebenrolle ist dieser leise Episodenfilm über einen freischaffenden Bildenden Künstler hochkarätig besetzt. Der Regisseur Konrad Wolf (1925–1982) hatte dabei den Bildhauer Werner Stötzer (1931–2010) vor Augen, der im Film selbst eine kleine Rolle spielt. Aber auch durch die wechselvolle Biografie von Konrad Wolf wurde dieser Film geprägt.

In der Hauptrolle brilliert der Schauspieler Kurt Böwe (1929–2000). Dieser beschreibt Stötzer als eigenartigen, humorigen und hintergründigen Typ. In Vorbereitung auf seine Rolle wohnte er eine Woche bei Stötzer. Sowohl der Schauspieler als auch der Bildhauer sind gewissenhafte Beobachtungsmenschen. Der Film wirkt sehr authentisch und lässt viel Raum für das Unausgesprochene. Der nahezu dokumentarische Realismus spiegelt sehr feinfühlig den Alltag jener Zeit. Der Film entstand 1973, in der hoffnungsvollen Übergangszeit von der Ulbricht-Ära zur Honecker-Ära, welcher schon bald eine neue Phase der Agonie folgen sollte. Vor allem in Konrad Wolfs späten Werken klingen immer wieder kritische Töne gegen die Beeinflussung der Kunst durch die Politik an. Gedreht wurde u. a. in Stötzers Geburtsstadt Steinach, wo tatsächlich auch „Der nackte Mann auf dem Sportplatz“ zu sehen ist

Der nackte Mann auf dem Sportplatz

1973/74, DDR, DEFA, Künstlerische Arbeitsgruppe „Babelsberg“
101 Minuten, FSK 6

Regie: Konrad Wolf; Drehbuch: Wolfgang Kohlhaase, Gerhard Wolf;

Musik: Karl-Ernst Sasse; Kamera: Werner Bergmann; Schnitt: Evelyn Carow;

Besetzung (Auswahl): Kurt Böwe als Kemmel, Ursula Karusseit als Gisa Kemmel, Martin Trettau als Hannes und in weiteren Rollen: Elsa Grube-Deister, Marga Legal, Ute Lubosch, Vera Oelschlegel, Erika Pelikowsky, Katharina Thalbach, Ursula Werner, Reimar Johannes Baur, Gerhard Bienert, Dieter Franke, Matti Geschonneck, Wolfgang Heinz, Rolf Hoppe, Thomas Langhoff, Walter Lendrich, Dieter Mann, Günter Schubert, Jaecki Schwarz, Werner Stötzer, Hans-Joachim Wolle…

Zur Handlung: Der eigensinnige und wortkarge Bildhauer Kemmel befindet sich in einer Schaffenskrise. Ein von ihm gestaltetes Relief hatte man nicht aufgestellt, sondern abgestellt – im Feuerwehrturm. Es würde zu wenig Schwung und Optimismus ausstrahlen, erklärte ihm die LPG-Vorsitzende.

Für die Arbeit an einer Büste sollte der ehemalige Wismut-Arbeiter Hannes Modell sitzen, der aber zunächst ablehnte. So nach und nach entwickelt sich zwischen beiden eine spröde, immer besser werdende, Beziehung. Trotzdem misslingt auch dieses Werk.

Unerwartet kommt eine Delegation vom Sportclub aus dem Heimatort in Kemmels Atelier. Gewünscht wird ein Ehrenmal, möglichst mit der realistischen figürlichen Darstellung ihres „Idols“, dem jüngst verstorbenen ehemaligen Torwart. Kemmel nimmt den Auftrag an. Doch zur Enthüllung gibt es einen Eklat, denn der dargestellte Sportler ist kein Fußballer und noch schlimmer – er ist nackt. Es dauert einige Zeit, bis das Kunstwerk akzeptiert wird. Schließlich erhält Kemmel einige Fotos, auf denen zwei lachende Mädchen neben dem „nackten Mann“ zu sehen sind. Kunst braucht eben Verständnis und kein Feigenblatt!

Reservierungen unter 0351-8311626, 0160-1038663

Karin Baum und Michael Heuser
Sprecher der Cineastengruppe „Film Club Mobil“ im Radebeuler Kultur e.V.

Anmerkung: unter Verwendung von verschiedenen Filmbegleitmaterialien und Wikipedia-Eintragungen

Das Geschenk der Stille

Der heutige Zustand der Welt, das ganze Leben ist krank.

Wenn ich ein Arzt wäre und man mich fragte, was rätst Du?

Ich würde antworten, schaffet Schweigen.

Bringt die Menschen zum Schweigen.

Wer auf seinem Lebenskurs bleiben will, der braucht Stunden, Tage der Besinnung.

Je lärmender die Welt, je verworrener, desto dringender brauchen wir Stille.

Wir kommen in der Stille zum Nachdenken und das ist nötig.

Die Hektik des Tages vereinnahmt uns, wir müssen so vieles verarbeiten, dass wir kaum zum Nachdenken kommen.

Vor mir liegt eine lange Wegstrecke und ich möchte sie bezwingen, aber weiß ich, was mich am Ende erwartet?

Die Stille des Waldes begleitet mich rechts und links.

Plötzlich springt aus der Stille des Waldes ein Eichhörnchen auf den Weg, es bleibt sitzen und schaut mich mit großen Augen an, dann verschwindet es wieder in der Stille des Waldes.

Meine Gedanken wurden unterbrochen, nun denke ich über das kleine Eichhörnchen nach, „War doch süß“.

Am liebsten wäre ich ihm nachgelaufen, doch nun kann ich dort weiterdenken, wo mich das kleine Eichhörnchen unterbrochen hat.

Die Stille tut gut, sie hilft, um ruhig zu werden und über unser Dasein nachzudenken.

Einsamkeit ist etwas Anderes wie Stille.

Einsamkeit macht traurig und ängstlich, doch Stille gesund und frei.

Sie begleitet uns, wenn wir sie suchen.

In der Stille kann ich auch die Zeit empfinden.

Wir leben nicht in der Vergangenheit, auch nicht in der Zukunft, wir leben jetzt in diesem Raum und der Augenblick ist unsere Zeit.

Nutze sie, denn jeder Atemzug verweht, so wie der Wind vorüber weht.

Die Erinnerungen tragen wir in uns wie eine stille Freude und das vergangene Schöne wie ein kostbares Geschenk und das sollte man sich erhalten.

Radebeuler Miniaturen

1623 – 2023: 400 Jahre Haus Möbius

X
Haus und Giebel
Die Sachlage zur Dachfrage

Die Langeweile unserer modernen Städte …

nein, ruft Ulrike entsetzt dazwischen, nicht, hör auf!

… kommt nicht zuletzt daher, dass es keinerlei Überraschungen mehr gibt. Alles sieht gleich aus, die Landschaft wird der Bauweise angepasst und nicht umgedreht. Die künstliche Intelligenz der Stadtplaner und Architekten kennt weder menschliche Maßstäbe noch Abwechslungen oder gar Besonderheiten. Wo es nur rechte Winkel gibt, kann nichts Rechtes rauskommen.

Aber, wendet Ulrike berechtigt ein, rechte Winkel sind doch wichtig für die Stabilität.

Schon, schon, ereifere ich mich, aber ein Haus braucht mehr als rechte Winkel – wenn das Grundgerüst stabil ist, brauchts Raum für Besonderheiten; und anders als die Schönheit, liegen die nicht im Auge des Betrachters. Sie sind vielmehr ohne Sehhilfe wahrnehm- und manchmal sogar meßbar. Die Empfindungen, die sie hervorrufen, sind dann freilich wieder mit den schönen Augen der Betrachterin verbunden… Auf die Stabilität jedenfalls, sage ich nach einem kräftigen Schluck aus dem Glase, wirken sie sich nicht aus, wenigstens nicht negativ. Du siehst ja, unser Haus mit all seinem rechten und unrechten Gewinkel steht seit 400 Jahren, und das ist jedenfalls kein Zufall. Das müssen uns die anderen erst mal nachmachen…

Aber sag mal, kürzt Ulrike die Diskussion glücklich ab, wie kommst du denn jetzt darauf?

Na ja, ich werd halt immer wieder mal nach unsrem „schiefen“ Giebel gefragt, vor allem, seit ich im letzten Heft den Anblick von Osten her so hervorgehoben habe.

Dabei muß ich feststellen, daß der gar nicht so einfach zu erklären ist.

Klar ist, das Haus wurde erweitert.

Aber wann und wie?

Es deutet alles darauf hin, daß die massiven Umfassungsmauern für das Untergeschoß gleich beim ersten Anbau, also um 1715, in heutigen Maßen errichtet wurden und wohl das einstige Pressenhaus mit einbezogen. Jedenfalls sind die Deckenbalken bis heute durchgehend erhalten.

Das Obergeschoß wurde in den Ausmaßen allerdings an das alte Haus angepaßt, so daß an der Nordseite ein Laubengang entstand, wie es ihn in vergleichbaren Häusern öfter gab.

Ach, entfährt es Ulrike, das war ja romantisch!

Wenn du so willst, ja, bestätige ich. Von Westen her führte eine überdachte Treppe auf den Gang und die neuen Räume waren von außen her begehbar.

Vielleicht wohnte nun der Winzer im alten Haus und die Herrschaft dann und wann im Neuen, wer weiß …

Vielleich war der Laubengang von Anfang an unterm Schleppdach geborgen, vielleicht wurde das auch später angefügt, als die Laube geschlossen und ins Haus einbezogen wurde, wer weiß …

Spätestens 1784 ist dann die farbliche Gestaltung des Fachwerkes anzusetzen, dieses schöne Ziegelrot, unter dem noch Spuren einer älteren, dunklen Balkenfassung beobachtet wurden. Es müssen fröhliche Jahre gewesen sein, damals…

Das ist ja das Schöne an den alten Häusern, daß sie nicht nur schöne Augen noch schöner machen, sondern Raum geben zum Träumen. Stell dir vor, wir säßen jetzt in der Laube, über uns hingen Lavendelbündel zum Trocknen und verströmten ihren Duft, vielleicht kämen noch Sonnenblumenköpfe dazu, die für die Vögel im Winter bereitgehalten werden. Und wenn jemand die Treppe hochgepoltert käme, wäre ein Glas da und ein Stuhl…

Aber so ist es nicht mehr. Vielleicht sieht es auf dem Bild von Michael Hofmann deshalb so aus, als stünde der Tisch mit dem Wein auf der Straße …

Thomas Gerlach

(Für die Reproduktion und die Druckerlaubnis danke ich Familie Kronbach sehr herzlich.)

Glosse

Patriachat für alle oder Der kleine Friede

Zugegeben, ich war ein verdammt elender Macho, und wenn es nicht nach meinem Willen ging, rastete ich sowas von aus, da will man gar nicht hindenken. Lange ging es ja auch mit meiner kleinen Familie – Pluto, mein Zwergschnauzer, Kuschelmäuschen, meine Frau, und mir – ganz gut. Wenn ich pfiff, waren sie gleich zur Stelle und meine Wünsche wurden auch prompt erfüllt: Pluto verschwand unterm Sofa, Kuschelmäuschen holte das Bier aus dem Kühlschrank und der „kleine Friede“ war wieder hergestellt. Das mit dem großen Frieden wollte aber bisher nicht so recht klappen. Da werde ich wohl noch selber das Flüsschen Bug überschreiten müssen…!

Aber irgendwann wollte das in meinem kleinen bis dahin trauten Heim nicht mehr so richtig harmonieren. Zwar lief scheinbar alles wie gewohnt ab: Pluto holte die Zeitung und das Essen stand immer noch pünktlich bereit. Aber der Zwergschnauzer wedelt nicht mehr so freudig erregt mit seinem Schwanz und Kuschelmäuschen stellte den sächsischen Sauerbraten stumm auf den Tisch!

Zunächst dachte ich an eine Laune, wie sie halt Frauen immer mal wieder haben, wenn sie unpässlich sind. Aber als der Zustand nach drei Monaten immer noch derselbe war, bin ich ins Grübeln gekommen. Irgendetwas schien in der Luft zu liegen. Wie ich mir aber auch den Kopf zermarterte, ich fand es nicht heraus. Schließlich habe ich es nicht mehr ertragen, meinen Pluto und mein Kuschelmäuschen so leiden zu sehen.

Was macht man in so einem Fall? Man erinnert sich an seine alten Kumpels und geht in die Kneipe. Warum ich darauf nicht schon eher gekommen bin, kann ich heute nicht mehr verstehen. Früher traf ich mich mit den Kumpels mindestens dreimal in der Woche. Meine Güte, haben wir da einen gucken lassen…! So schnell hat sich mit uns keiner angelegt. Nun ja, seit ich Pluto und Kuschelmäuschen habe, bin ich halt etwas ruhiger geworden…

Die Kumpels jedenfalls haben mir dann tatsächlich aus der Patsche geholfen. Bei zehn Glas Bier hat man sich ja viel zu erzählen. Schließlich kam das Gespräch auf die Weiber, die auch nicht mehr wie früher seien und die Geleichberechtigung. Da schoss es mir wie ein Blitz durchs Gehirn. Ich hoch vom Barhocker und ab nach Haus, unterwegs noch schnell an einem Zigarrengeschäft gehalten.

Und so habe ich mich vor einem halben Jahr zu einem radikalen Schnitt entschlossen, der meine, Plutos und Kuschelmäuschens Welt total auf den Kopf gestellt hat. Ich habe die Insignien meiner Macht – Auto, Bierkasten, Zigarre und Bild – feierlich an Pluto und Kuschelmäuschen übergeben! Die nahmen sie freudig im Empfang. Nur an die Zigarren wollte meine Frau zunächst nicht so richtig ran. Aber mit der Zeit gewöhnt man sich an alles.

Ja, liebe Leser, man muss auch bereit sein, mit alten Gewohnheiten zu brechen, wenn man in der neuen Zeit bestehen will. Bei uns jedenfalls haben jetzt alle Familienmitglieder ein Recht auf das Patriarchat. Wir wechseln alle halben Jahre! So sichern wir den „kleinen Frieden“ und die Harmonie in der Familie, meint

Euer Motzi

Ergänzung zum Artikel „Beetziegel“ in V&R 08/23, S. 12-14

Nach Erscheinen des Artikels über ein Detail einer gartengestalterischen Modeerscheinung des 19. Jh. kamen zwei unabhängige Meldungen von ähnlichen Funden von Beetziegeln in Niederlößnitz herein. Über dieses Echo freut sich der Verfasser des Artikels natürlich – das Thema hat also die Leser interessiert. Weil sich durch diese Informationen (die erste erhielt ich als Anruf, die zweite in knapper Briefform) die gestalterische Vielfalt der Beetziegel dokumentieren lässt und weil sich dadurch auch neue Erkenntnisse ergeben, habe ich mich zu der Ergänzung entschlossen.

Foto: D. Lohse

Die erste Info zu einem weiteren Beetziegel erhielt ich von Herrn Karlfried Müller zur Borstraße 7, der da einen Teil des Gartens bewirtschaftet. Der hier schon vor Jahren gefundene Beetziegel mit verschlungenem Astwerk ist leicht beschädigt und wird an der Wand eines Nebengebäudes präsentiert. Das Vorhandensein eines früheren Rundbeetes mit Beetziegeln im großen Grundstück der Villa aus dem 19. Jh. kann angenommen werden, ist aber z.Z. nicht nachweisbar.

Foto: D. Lohse

Die zweite Meldung von Funden mehrerer, leicht beschädigter Beetziegel im Grundstück Käthe-Kollwitz-Str. 26 stammt von Familie Richter. Hier können wir zwei verschiedene Gestaltungen von Beetziegeln, solche mit hellgrauem Ton und durchbrochenem Kopfteil (Schlingenornament) und solche aus rötlichem Ton mit an Jugendstil erinnerndem Kopfteil erkennen. Interessant ist, dass einer der zuletzt genannten eine Prägemarke hat, die mit Eduard Lehmann eine Kötzschenbrodaer Herstellerfirma ausweist. Die Beetziegel dürften hier aber nur ein Nebensegment der Produktion gewesen sein. Die baulichen Reste des Betriebes in der Neuen Straße wurden nach der Wende entfernt. Heute stehen neue Wohnhäuser auf dem Gelände. Dass in der Käthe-Kollwitz-Str. 26 im Grundstück des von August Große um 1880 errichteten Landhauses ein mit Beetziegeln gestaltetes Prachtbeet vorhanden war, bezeugen kleinere Bruchstücke (Schlingenornament) im Erdreich des Vorgartens.

Foto: D. Lohse

Foto: D. Lohse

Durch die ergänzenden Funde von Beetziegeln können wir ein paar Schlussfolgerungen herausarbeiten:

  • 1.      Nachweise an drei Standorten in Niederlößnitz sagen uns, dass es solche Prachtbeete im 19. Jh. doch öfter gab, als beim Erstfund (palmettenartiges Kopfteil) zu vermuten war.
  • 2.      Es fällt auf, dass für den ähnlich strukturierten und etwa zur gleichen Zeit wie Niederlößnitz entstandenen Ortsteil Oberlößnitz z.Z. keine Nachweise vorliegen. Mit dem Nachweis von Beetziegeln in Oberlößnitz kann aber noch gerechnet werden.
  • 3.      Durch die Tatsache, dass Eduard Lehmann, Neue Straße 17, Kötzschenbroda, neben Blumentöpfen und Ofenkacheln auch Beetziegel hergestellt hatte, ist anzunehmen, dass diese auf kurzem Weg in Kötzschenbroda und Niederlößnitz verbreitet wurden – der Weg nach Oberlößnitz war da schon weiter.
  • 4.      Schäden an fast allen Fundstücken legen die Annahme nahe, dass sich die Mode Beete mit Beetziegeln anzulegen nicht lange gehalten hat – zerbrechliches Material und filigrane Formen aus gebranntem Ton sowie Frostschäden, wenn die Beetziegel vorm Winter nicht ausgegraben wurden, wie einzelne Hersteller angaben, unterstreichen die Annahme einer kurzen Modeerscheinung.

Ich danke allen Personen, die durch ihre Hinweise zum Zustandekommen dieser Ergänzung zum Thema Beetziegel beigetragen haben und hoffe, dass die jeweiligen Fundstücke weiterhin aufbewahrt werden können.

Dietrich Lohse

Hymnische

Einigkeit

Am anderen Morgen schoß niemand.

Stille griff um sich. Auf dem weiten Rund des nun doch etwas verbeulten Erdballs schwiegen die Waffen. Die Soldaten kehrten zu ihren Familien zurück. Polizei und Kriminalität entsorgten ihre Bewaffnung. Es war Friede auf Erden, was bei vielen Menschen durchaus ein Wohlgefallen auslöste.

Mißtrauisch geworden richtete Friedebold Schreiber, Korrespondent einer unerhörten Nachrichtenagentur, folgende Frage an die Generalitäten sich mächtig fühlender Staaten:

Was nun, Herr General?

Die eingehenden Antworten aus (um nur einige zu nennen) Australien, Kanada, Indien, Frankreich, Spanien, Italien, Polen, Israel und – mit einiger Verzögerung – aus Rußland, China und den USA, lasen sich etwa gleichlautend so:

Wir haben die Lage im Griff. Nach einer Atempause wird wieder Normalität eintreten. Es gibt keinen Grund zur Beunruhigung.

Die Welt atmete auf.

Recht

Ein Kriegsdienstverweigerer, schlimmer: ein Deserteur, ein Fahnenflüchtiger, also ein Krimineller, schwimmt in internationalem Gewässer. Er schwimmt allein, schon das gilt als bezeichnend. Er schwimmt schon lange. Die Arme schmerzen, immer wieder muß er Krämpfe aus den Waden drücken. Auch das Atmen fällt langsam schwer. So oft er auch in der Ferne hoffnungsvolle Berge glühen sieht, weiß er doch, daß kein zivilisiertes Land ihn aufnehmen, kein rechtschaffener Mensch ihm auch nur eine Atempause gönnen wird: Fahnenflucht, Kriegsdienstverweigerung wird nirgendwo als Asylgrund anerkannt. Selten sind sich kriegführende Staaten so einig in der Auslegung internationalen Rechts.

Freiheit

Nach dem neuerlichen Amoklauf mit was weiß ich wieviel Toten brandete die Diskussion über eine Verschärfung des Waffenrechts erneut auf. Eine von der Regierung eingesetzte unabhängige Jury stellte dazu abschließend fest, daß es keinen Zusammenhang zwischen individuellen Taten und dem generellen Recht auf Waffenbesitz gibt. Ein Eingriff in persönliche Freiheitrechte ist damit in keiner Weise gerechtfertigt. Der Schiedsspruch ist endgültig, Widerspruch wird nicht zugelassen.
Die (Männer-)Welt atmete auf.

Thomas Gerlach

War Friedrich Eduard Bilz in Chile?

Es gibt zumindest keine Quelle, die das bestätigt hätte. Ich glaube auch nicht, dass er jemals in seinem Leben eine so weite Reise unternommen hat. Und doch ist im heutigen Chile immer wieder von Bilz die Rede, wie passt das zusammen? Die weltweite Verbreitung von Ideen und Produkten des Radebeuler Naturheilkundlers Friedrich Eduard Bilz (1842-1922) erfolgte zumindest auf zwei Wegen: zuerst natürlich durch sein mehrfach verbessertes und in 14 Sprachen übersetztes „Bilzbuch“, in spanischer Sprache erreichte es um 1900 auch Chile. Und dann noch durch das Produkt „Bilzbrause“, später in Deutschland in Sinalco-Cola aufgegangen. Das „Bilzsalz“, ein weiteres Bilzprodukt (sh. auch V&R 09/21), dürfte dagegen nur lokale Bedeutung erreicht haben. Über die verschlungenen Wege auf denen das Radebeuler Getränk nach dem weit entfernten Chile gekommen und bis heute präsent ist, möchte ich heute nachdenken.

Repro: D. Lohse

Mein achtundzwanzig jähriger Enkelsohn Franz, der Anfang 2023 mehrere Länder Südamerikas, darunter auch Chile, bereiste, gab mir dazu eine Steilvorlage. Als er uns seine elektronischen Bilder von der abenteuerlichen Reise zeigte, fiel mir zwischen schneebedeckten Bergen, Salzwüste, Pazifikküste und Urwald ein Bild auf, wo er ein Erfrischungsgetränk mit der Aufschrift BILZ zu sich nimmt. Später schickte mir Franz dann ein anderes Foto von einem geöffneten Kühlschrank, gefüllt mit roten Bilzgetränken, einer angeblich nach Erdbeere schmeckenden Brause. Dazu bekam ich einen Wikipedia-Ausdruck, der den Zusammenhang von Bilz und Pap, einem roten und gelben Erfrischungsgetränk in Chile zu erklären versucht.

Repro: D. Lohse

F. E. Bilz war ja sozusagen als Naturheilkundler und Weltverbesserer angetreten. So wollte er, dass die Menschen gesünder leben und weniger Alkohol trinken sollten. Er entwickelte eine wohlschmeckende Limonade, um sie seinen Gästen im Bilzsanatorium anzubieten, alkoholische Getränke gab es da nicht. Seine Limonade kam aber über den Testlauf nicht hinaus, ihm fehlte in Radebeul eine Firma, die davon größere Mengen produzieren konnte und so musste er deutschlandweit eine Firma mit entsprechender Produktionskapazität für seine Bilzbrause suchen. 1902 schien er in Franz Hartmann im Lippeschen (heute NRW) einen entsprechenden Partner gefunden zu haben. Von da ab wurde in Detmold Bilzbrause in großen Stückzahlen hergestellt. Hartmann firmierte seit 1906 als Sinalco AG und lieferte die Bilzbrause außer an Bilz selbst in die Länder Europas und weltweit eben auch bis nach Chile. Aber dann stritten sich die Geschäftspartner Bilz und Hartmann über die Geschäftsanteile, weil Bilz als Erfinder der Brause offensichtlich damit weniger verdiente als Hartmann. Das Zerwürfnis erstreckte sich über ein paar Jahre bis Hartmann das Produkt schließlich nur noch unter dem Namen Sinalco-Brause vertrieb.

Foto: D. Lohse

Ähnlich wie die Vereinigten Staaten, war im 19. Jh. auch Chile ein Einwanderungsland für Europäer. Denkbar wäre z.B., dass Chile für Europäer aus klimatischen Gründen interessant war, weil durch den speziellen geografischen Zuschnitt Chile (Länge ca. 4100 km, Breite im Schnitt 200 km) Anteil an mehreren Klimazonen, darunter auch gemäßigtes Klima wie in Mitteleuropa, hat. Unter vielen Einwanderern war 1870 auch der Deutsche Andreas Ebner Anzenhofer mit seiner Frau. Später erfuhr er von dem erfolgreichen Naturheilkundler Bilz in Radebeul und auch von dessen roter Brause und er versuchte in Chile mit Erfolg solche Limonade mit geringen Abweichungen vom Originalrezept (Lizenzumgehung!) herzustellen. Das Geschäft brummte und nach dem Tod Ebners führte ab 1905 der Sohn die Bilz‘sche Limonadenproduktion in Chile weiter. Dabei verwendeten sie auch ein dem deutschen Bilz-Brause-Etikett sehr ähnliches Flaschenetikett, u.a. mit dem Kopf von Bilz!

1916 ging die Firma Ebner in dem staatlichen Getränkekonzern CCU auf. Er produziert bis heute die beliebten Erfrischungsgetränke „Billy Bilz“ und „Billy Bilz leicht“. Und mit genau solcher eingebürgerten Bilzbrause löschte Franz Anfang dieses Jahres seinen Durst am Rande der Atacama-Wüste und musste unwillkürlich an Radebeul und den alten Bilz denken, von dem ihm sein Großvater erzählt hatte.

Gerne hätte ich meine Recherche mit einer Reise ins ferne Chile verbunden, da wären sicher noch weitere Fakten zur Bilzbrause zu finden gewesen. Leider hätte das weder mein, noch das Budget von Vorschau & Rückblick hergegeben, auch nicht, wenn wir beide Budgets zusammengelegt hätten, schade eigentlich!

Dietrich Lohse

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