Mit Wolf Biermann poetisch und politisch durch das Jahr

Zur Titelbildserie

Seit elf Monaten illustrieren Bärbel Kuntsches Grafiken die Titelseiten von „Vorschau und Rückblick“. Allerdings wird damit nur ein kleiner Ausschnitt ihres vielgestaltigen Schaffens sichtbar. Wer auf das Werk und Wirken der Künstlerin neugierig geworden ist, der kann sich ab November einige Arbeiten von ihr auf der Homepage des Dresdner Grafikmarktes anschauen, verbunden mit der Möglichkeit diese käuflich zu erwerben. Außerdem ist für das kommende Jahr eine Personalausstellung im Coswiger Stadtmuseum geplant, die durch „Vorschau und Rückblick“ redaktionell begleitet wird.
Das Titelbild der Novemberausgabe zeigt eine Harfenspielerin. Die Zeichnung gehört zu einer Serie von Gelegenheitsgrafiken im Postkartenformat, welche 1990 zum Thema Musik entstanden sind. Dabei war für die Künstlerin die Beziehung der Musizierenden zu ihren Instrumenten von besonderem Interesse.
Die Harfe, welche mit zu den ältesten Musikinstrumenten gehört, wurde in der Bildenden Kunst immer wieder dargestellt. Neben allegorischen Deutungsmöglichkeiten bieten ihre weiblich ausladenden Formen ästhetischen Genuss und viel Spielraum für die Fantasie. Selbst kleinformatige Arbeiten von Bärbel Kuntsche sind kraftvoll. Wesentliches wird hervorgehoben. Kopf, Hände und Füße der Harfenistin, wirken im Verhältnis zum Körper überproportioniert. Während sich der Kopf der Musizierenden zur Harfe neigt, berühren ihre Finger zart deren Saiten. Die nackten Füße scheinen die Resonanz der erzeugten Klänge vom Boden aufzunehmen, um sie dann wieder in den rhythmisch pulsierenden Strom der Musik einfließen zu lassen.
Karin (Gerhardt) Baum

Landschaftsmalerei von Klaus Henker

Eine neue Ausstellung im Rathaus Coswig

Foto: privat

Die Stadtverwaltung Coswig nimmt den in diesem Jahr noch zu begehenden 85. Geburtstag des Malers Klaus Henker zum Anlass, die coronabedingte Kulturpause zu beenden und im Rathaus eine neue Ausstellung zu präsentieren. Dazu sei beiden, der Stadt und dem Maler, herzlich gratuliert.
Mit seinen neuen Bildern verfolgt Klaus Henker erklärtermaßen die Absicht, seine Stadt Coswig als das darzustellen, was sie für ihn ist: lebendig, voller Optimismus und positiver Energie. So jedenfalls sieht er sie, wenn er sich mit dem Skizzenblock in der Hand hineinbegibt, wenn er auf Spurensuche geht, sich nach Motiven umschaut. Da sehen wir den Maler sich drehen zwischen Rathaus und Karrasburg, die beiden für die Stadt tragenden Gebäude in eine beziehungsreiche Spannung zu setzen. Da sehen wir ihn den solitären Baum betrachten, der dann in zwei Variationen fast gläsern in Erscheinung tritt. Schließlich sehen wir ihn zum Wochenmarkt schlendern, nicht um Einkäufe zu machen, sondern um Menschen zu sehen. „Menschen gehören nun mal in eine lebendige, fröhliche Stadt“, sagt er.
Klaus Henker ist nämlich keiner, der mit dem Zufall spielt. Mit der ihm eigenen Zähigkeit, die ihn das Leben bis auf den heutigen Tag bestehen ließ, verfolgt er jeden Gedanken bis in tiefste Tiefen. Der tiefste Gedanke, dem er auf der Suche nach seinen Bildern folgt, heißt „Freude“ – was ihn bis heute als den Träumer erweist, der er seit Kindertagen ist.
Schon dann, wenn er vor Ort mit schnellem Stift seine Motive notiert, beginnt die gedankliche Auseinandersetzung. Getreu dem Merksatz Goethes „Das Was bedenke, mehr bedenke das Wie“, entsteht das Bild zunächst im Kopf. Die eigentliche Arbeit erfolgt dann zu Haus in seinem kleinen Atelier. In erinnerndem Betrachten rückt er da Linien und Flächen zu- und gegeneinander, testet Formen, experimentiert mit Farben, um die dem Motiv innewohnende Kraft lebensvoll in Szene setzen zu können. Klaus Henker baut seine Bilder als Kompositionen, als Sinfonien aus Farben, Linien und Flächen, woran sich Gedanken und Empfindungen entzünden. Das Motiv wird, wie er sagt, „zum Medium“, es bleibt aber bei allem, auch das ist dem Maler wichtig, im Untergrund erkennbar.
Noch immer ist der Traum in ihm wach, nach dem er als junger Mensch gerne Musik studiert hätte. Als Erzgebirger – Klaus ist in Freiberg zur Welt gekommen und aufgewachsen – stand ihm allerdings ein Brotberuf zu Gebote. Sein früh erkanntes Zeichentalent wurde durch den Freiberger Porzellanmaler Odrich geformt. Insgesamt 35 Jahre hat er dann der Meißner Porzellanmanufaktur gedient, als Indischmaler, als Zeichenlehrer, als Dekorentwickler, bevor er schließlich 1996 in den Vorruhestand verabschiedet wurde. An der Begeisterung für die Musik hat er festgehalten. Auch seine Kunst ist musikalisch dominiert: Wenn ihn ein bestimmtes Motiv besonders tief bewegt, probiert er unterschiedliche Abstraktionsgrade, wechselt er von runden zu mehr geraden von linearen zu mehr flächigen Formen. Variationsreich spielt er so mit Farben und Formen, wie Beethoven vor zweihundert Jahren mit Tönen und Klängen spielte.

Coswig, »Wochenmarkt auf dem Wettiner Platz«, Acryl, 2019 Foto: K. Henker

Die Art des Umgangs mit dem Motiv ist neu für den Maler. Vielleicht wird eines Tages von einem Spätwerk gesprochen. Wer das Wirken des Malers verfolgt hat, wird sich an die Experimente mit der Heidelbeere erinnern, an die Kompositionen mit den Flaschenmenschen. Auch wird in Erinnerung sein, dass wir schon mehrfach Gelegenheit hatten, jede einzelne seiner Arbeiten als philosophische Dissertation zu betrachten. Die Bilder atmen bei aller Tiefe eine Fröhlichkeit, der nicht anzumerken ist, wie schwer sie errungen wurde. Als ein Mensch, der die größere Hälfte seines Lebens nun wahrlich hinter sich hat, weiß Klaus Henker zu gut, dass das Leben nicht nur, wie Goethe meinte, „zu kurz ist, schlechten Wein zu trinken“. Es ist auch zu schade, in all den täglichen Misshelligkeiten zu versinken und, wie es heute leider üblich ist, vor lauter Zank und Wutbürgertum die Sonne nicht mehr zu sehen. Dieser Tendenz entgegen malt der Künstler seine Bilder. Und es gelingt ihm auf bemerkenswerte Weise, die positive Energie des Motivs voll augenzwinkernder Heiterkeit in der Balance von Abstraktion und Realität in voller Farbigkeit an die Betrachter heranzutragen.
Denn immer geht es um das Leben, das aus den Bildern atmen soll, ein Leben, das den Namen wert ist und nicht nur aus Coswig einen Ort voller Optimismus und positiver Energie machen kann.
Thomas Gerlach

____________
Die Ausstellung ist noch bis 30.12.2020 zu sehen.

Radebeuler Miniaturen

Ferien vom Jetzt
(Für I.)

Oktobersonne: Susanna liebt das späte Licht.
Aufrecht stolz und schön und ohne sich weiter um die Blicke der Neugierigen zu kümmern ist sie aus dem Bade gestiegen. Nun sitzt sie da, von luftigem Gewand umgeben und all der Sonne, die der Tag nur für sie noch einmal bereitet hat und träumt von ihrer großen Reise: Eine Welt hat sie gesehen.
Sie ist erst nach Süden gereist, hat sich dann gen Westen gewendet, bald drauf ist sie nach Norden umgebogen, um schließlich in östlicher Richtung nach Hause zurückzukehren. Der zauberhafte Gesang ferner Welten drang in ihr Ohr, die alles beherrschende Hoffnung der Kunst und der Künstler. Die elastischen Bewegungen des Gondoliere konnte sie bewundern, die so voller Kraft waren und Eleganz. Der Mut der Jugend ist ihr aufgegangen, die gespielte Abgeklärtheit des Alters. Dann stieg ihr das vielversprechende Aroma blühenden Weines in die Nase.
Es hätte sich ewig so weiterdrehen können!
Sie lacht laut auf: Fast hat die Geschwindigkeit ihr den Atem genommen, wenn in rasantem Vorwärtsdrehen das Leben auf sie zukam. Im Rückwärtsgang aber hieß es sich gut festzuhalten, um nicht aus der Bahn geworfen zu werden, wenn alles Leben flieht.
Noch lange sitzt sie so und folgt den Bildern die vor ihr auftauchen: lachende Mütter, staunende Kinder, trinkende Väter, als sei das Leben ein Jahrmarkt; sitzt und lächelt in sich hinein: Um solcher Tage wegen ist das Leben gemacht.
Schon blinzelt grüßend der Vollmond, der erste von zweien in diesem Oktober, durchs Geäst des schirmenden Nußbaums. Und während unter der Rose das Einhorn zufrieden wiederkäut (es weiß längst, daß das Theaterkarussell im nächsten Jahr wiederkommen wird), steigt Susanna, aufrecht, stolz und schön – aber das wissen wir ja schon …
Thomas Gerlach

Traum…

Tobias Märksch

Traum…

Räumst meine Seele auf beizeiten,
ganz wehrlos überkommst du mich.
Kann nicht am Biertisch mit dir streiten,
nimmst mich im Schlafe in die Pflicht:

Hab‘ musiziert am gläs‘ nern Flügel,
mit Udo, dort, im Kärntner Schloss.
Saß auf dem Panzer mit dem Ölzweig –
in allen Sprachen klang der Tross.

Die mittelalterliche Stadt, sie lebte
und ich stand plötzlich mittendrin.
Im Sternenschiff weit fort ich schwebte.
Traf des Kupferberges Königin.

Ein Albdruck ließ mich mal erwachen,
vertrieben erst vom Nachttischlicht.
Doch gäb‘ s da Sachen noch zu machen…
Denk dir‘ s! Davon erzähl‘ ich nicht.

Warst viel zu früh zu oft zu Ende,
draußen war‘ s kalt, ein Wecker schrie…
Doch gab ich dir gern meine Hände,
du bist doch stets ein Teil

…von mir

Leserzuschrift

zum Beitrag „Zum 55. Todestag des Malers Paul Wilhelm“ (V&R, Oktober 2020)

Liebes Redaktionskollegium,

euer Heft war mir Anlass, den 3. Oktober mal ganz anders zu würdigen. Ich packte unsere Friedhofsutensilien (großer Eimer, Unkrautstecher, Häckel, Schere, kleinen Fächerbesen etc.) ein und besuchte den Johannes-Friedhof. Gut, dass ich dank des Fotos im Heft recht schnell die Ruhestätte des Ehepaars Wilhelm an der südlichen Friedhofsmauer entdeckte. Es war eine dankbare Aufgabe.
Dass hier ein Ehrenbürger Radebeuls ruht, war wirklich nicht zu erkennen, weder an einer Inschrift auf dem Stein, noch am Pflegezustand der Grabstätte. Mir gingen beim gärtnerischen Werkeln viele Gedanken durch den Kopf, z.B. kann das Wort Ehrenbürger ja durchaus bedeuten, dass die Bürger der Stadt diesen Menschen ehren, indem sie die Ruhestätte besuchen und auch mal pflegen.
Im Übrigen zeigte sich im Laufe der Tätigkeit, dass z.B. kleine Röschen, Lavendel und Kleines Immergrün vor nicht allzu langer Zeit in guter Erde gesetzt worden waren. So könnte also – auch ohne Spaten – der eine oder andere Kunstfreund mit kleinerem Gerät seiner Verehrung des Künstlers praktischen Ausdruck verleihen.
Danke, Frau Baum, für die Anregung!

-ila-, eine kunstbeflissene Leserin

Anti-Glosse

Außer Spesen, nix gewesen?

Das hätten wir uns zu Beginn des Jahres nicht träumen lassen, was sich so alles ereignen oder eben auch nicht ereignen würde. Eine Aufzählung von all dem Nichtstattgefundenen würde diesen Beitrag sprengen, deshalb fange ich gar nicht erst damit an. Teilweise war es so ruhig in Radebeul, dass man glauben konnte, die Einwohner sind alle ausgewandert. Ist natürlich Quatsch. Wohin auch? Amerika wie vor 150 Jahren kam ja wegen der aktuellen Lage dort nicht mehr in Frage. Da scheint nun auch der Lack vom „gelobten Land“ etwas abgeblättert zu sein.

Nun ja, Radebeul hat dieses Jahr auch keine all zu gute Figur abgegeben. Immer dieses „raus aus den Kartoffeln“ und wieder rein. Machen wir nun das Weinfest oder nicht…? Auf die Sache mit dem Kulturamtsleiterposten will ich nicht erst zu sprechen kommen. Darüber hatte sich die ganze Bundesrepublik gewundert. Mittlerweile ist da Ruhe eingezogen. Seit dem 1. September hat dieses Amt wieder eine stabile Führung erhalten. Lange genug hat es ja gedauert. Man kann sich aber gut vorstellen, dass der obersten Kulturfrau unserer Stadt ob der vielen Probleme nun der Kopf schwirrt.

Die Umfrage zum Verkehrskonzept in Radebeul-West um die Bahnhofstraße herum, ist ja auch nicht besonders gelungen. Von den drei zur Auswahl vorgelegten Varianten wollte keine so richtig passen. Am Ende blieb nur eine NULL übrig – ? Die Variante NULL! So zumindest soll sich die Mehrzahl der abgegebenen Stimmen bei der Umfrage entschieden haben. Also: nix ändern, alles so lassen wie es ist! Da mag man sich gar nicht ausmalen wie es ausgegangen wäre, wenn die Umfrage nicht in den Sommermonaten stattgefunden hätte. Man könnte also das Ergebnis mit dem Satz „Außer Spesen, nix gewesen“ zusammenfassen.

Dieses Jahr scheint überhaupt eine Zeit der Schlagwörter zu werden: Lockdown, Hotspot, Lebensart, Dritter Ort… Wie soll sich hier der Radebeuler noch zurechtfinden? Ein Glück, dass wir unsere Mauern haben… Mittlerweile sind ja die Infektionszahlen im Landkreis wieder angestiegen. Da ist die Landeshauptstadt noch besser dran. Haben wir etwa vor 25 Jahren da einen Fehler gemacht?

Apropos Lebensart… Warum dieses Jahr das Herbst- und Weinfest nicht Herbst- und Weinfest heißen durfte, hab ich auch nicht verstanden. Sie etwa…? Wein gab es doch genügend. Freilich strömten schon wegen der misslichen Wetterlage die Besucher nicht so wie gewohnt, und mit dem Theater wollte es aus bekannten Gründen auch nicht recht klappen. Die geliebte französische Gruppe vom letzten Jahr hat man erst gar nicht außer Landes gelassen. Dafür gab es diesmal viele Veranstaltungsinseln. Es sollen 19 an der Zahl gewesen sein. Die entferntesten lagen ca. sieben Kilometer voneinander entfernt. Da nahm der WEINHERBST, wie das diesjährige Fest genannt wurde, regelrecht sportliche Züge an. Aber die Besucher sahen es locker. Das fehlende Gedränge auf dem Anger vermisste kaum einer.
Auch wenn das Fest diesmal gewissermaßen außerhalb der offiziellen Wertung lief, so war ich schon etwas verwundert, dass zur 30. Veranstaltung der Auftakt von 1991 vom Kulturamt mit keiner Silbe erwähnt wurde. Es ist doch das Verdienst eben dieses Kulturamtes der Stadt, dass wir das Fest seither Jahr für Jahr feiern können. Ehre, wem Ehre gebührt! Für das in allerletzter Minute zusammengezimmerte Programm muss man allen Beteiligten Hochachtung zollen. In deren Haut hätte ich in diesen Tagen nicht steckt wollen. Allein schon die vielen zu erstellenden Hygienekonzepte würden mir die Haare zu Berge stehen lassen.
Eine Frage aber beschäftigt mich nun beständig: Was nun ist „Radebeuler Lebensart“? Ich bin noch nicht dahinter gekommen.

Vielleicht gehört Schloss Wackerbarth zur „Radebeuler Lebensart“. Neulich habe ich doch seit Jahren mal wieder die einstige kurfürstliche Anlage aufgesucht. Da war ein Gedränge! Alle Tische und Stühle besetzt! Dass daraus kein Schloss-Hotspot geworden ist, kann eigentlich nur am Wein gelegen haben. Der soll ja schon im Mittelalter gegen die Pest geholfen haben… Radebeuler habe ich aber dort verhältnismäßig wenige ausmachen können.

Wenn wir schon nicht nach Amerika können, holen wir ein Stück Amerika halt nach Radebeul, haben sich vermutlich die Stadtmütter und -väter gedacht. Also einen Teil, den „Dritten Ort“. Das muss ich erklären: In Radebeul-Ost wurde ein neuer Anlaufpunkt eingerichtet. Die Idee stammt aus den sozialen Bewegungen der USA in den1980er Jahren, als die Lage der Bevölkerung besonders in den größeren Städten schwierig war. Ob das Modell aber so einfach auf eine sächsische Kleinstadt übertragbar ist, noch dazu auf eine Gartenstadt wie Radebeul, bleibt abzuwarten. Sicher kann man einwenden, dass wir eigentlich auch kaum öffentliche Räume haben, die unentgeltlich genutzt werden können. Bedenken sollte man aber, dass dieser Radebeuler „Dritte Ort“ eher ein Ort für junge Menschen geworden ist, auch wenn er ein „Herrenzimmer“ besitzt. Wo…? Entschuldigung! Die Stadtbibliothek-Ost und die ehemalige Schalterhalle des Bahnhofs wurden mit neuen Möbeln versorgt. Nun kann man an Tischen sitzen, auf Sofas lümmeln, Kuchen essen, Filme sehen, Leute treffen und Kicker spielen – und alles auf Rädern. Lesen und Bücher ausleihen kann man auch, und nach der Webseite der Stadt zu urteilen, sollte man dort ebenfalls die künftigen Angebote zur Demenz- und Familienberatung wahrnehmen. Der „Dritte Ort“ möchte so zu einer besseren, offeneren, kommunikativeren und sozialeren Stadtgesellschaft beitragen.

Radebeul hat nun einen „Dritten Ort“. Wie es aber mit Kulturbahnhof weitergehen soll, ist mir dabei nicht so richtig klar geworden.

Euer Motzi

„Zwischen Pitti und Stern Meissen“

Kindheit in Sachsen als szenische Collage von Esther Undisz im Rahmen von 30 Jahre Mauerfall

Szene mit Theresa Winkler, Matthias Avemarg, Felix Lydike, Julia Vincze (v.l.) Foto: R. Jungnickel

Neben mir sitzt eine junge Frau vom Lessing-Gymnasium in Hoyerswerda. Ihre Eltern sagt sie, finden ihre Interviews mit Zeitzeugen aus der ehemaligen DDR gut und wichtig: „Auch, wenn ihre Biografie eine andere ist.“ Beteiligt waren außerdem an den 50 Zeitzeugenberichten, die als Grundlage für die Collage dienten, Schüler aus der Oberschule Schmiedeberg und dem Lößnitzgymnasium in Radebeul.
Die persönlichen Erfahrungen und Erinnerungen in einem „untergegangenen Land“ sind Ausgangspunkt für die Inszenierung von Esther Undisz. Dargeboten von vier Schauspielern der Landesbühnen. Sie reichen von der jungen Frau vom Lande (Julia Vincze), die, wegen zu schwerer Arbeit und weil sie nicht lernen durfte von zu Hause weglief, wiedergebracht wurde und ihre Kindheit im Rückblick bis auf Ausnahmesituationen als belastend empfunden hat.
Erinnert wurde, beinahe malerisch, an die soziale Situation im Neubau der Vorzeigestadt Hoyerswerda. Kindergarten, Schule, Betreuung und viele Spielplätze mit glücklichen Kindern und ausreichend Wohnraum standen nach Zeitzeugenberichten zur Verfügung und Arbeitslosigkeit gehörte zu den Fremdwörtern dieser Generation. (Theresa Winkler)
Kritikpunkt war ebenfalls die Wehrerziehung in den Schulen, die Mitte der 80er Jahre eingeführt wurde. Besonders die Kirchen in der DDR liefen dagegen Sturm. Es vertrug sich in keinem Falle mit dem christlichen Motto: „Schwerter zu Pflugscharen.“ Manch ein Jugendlicher, der das Abzeichen sichtbar trug, wurde von der Stasi (Staatssicherheit) vorgeladen, gespielt von Felix Lydike. Von seinen Eltern, die einen Friseurladen hatten, berichtete Matthias Avemag. Er hatte als Kind und Jugendlicher alles was man zum Leben braucht. Allerdings gab es keine Luxusartikel. Im Lebensmittel-Exquisit gab es Ananas nur an Feiertagen. Die Kehrseite der Medaille: Er bekam jahrelang von seinem Vater Prügel, die er bis heute nicht vergisst. So wollte er seine eigenen Kinder nicht erziehen. Was ist eine „Natoplane“? Ein Traummantel aus Nylon der 70er Jahre, den mancher Mitschüler mit den heiß begehrten Westpaketen bekam. Bei anderen Jugendlichen mussten die Eltern für das gleiche Produkt tief in die Tasche greifen.
Berichtet wurde auch, dass man in der ehemaligen DDR gelernt hat, aus „Stroh Gold zu spinnen.“ Theresa Winkler stellte Erfindungen wie z.B. Ketten aus Tütensuppen und Hagebutten vor, die sie mit ihren Freundinnen bastelte.
Die einzelnen Beiträge sind mit Motiven aus dem Abendgruß getrennt und mit dem damaligen Kultsong von Nina Hagen „Du hast den Farbfilm vergessen“ unterlegt. Ein Stück Kulturgeschichte spiegeln die „Pioniere“ und die Jugend bei der FDJ (Freie Deutsche Jugend) wieder. Die christlichen Kirchen bildeten mit Junger Gemeinde und Konfirmation den oftmals substanzielleren Gegenpol. Schüler, so wurde berichtet, die aus christlichen Elternhäusern kamen, hatten es allerdings nicht immer einfach, die Balance zwischen Kür und Pflicht in der Schule zu finden.
Die Ausstattung zur Produktion „Zwischen Pitti und Stern Meißen“ stammt von Tilo Staudte und als Mitarbeiterin für Textfassung zeichnet Odette Bereska.
Eine gelungene Uraufführung, die vom Publikum mit anhaltendem Beifall bedacht wurde.

Ein Gespräch, zu dem das Regieteam um Ester Undisz im Anschluss der Inszenierung einlud, ermöglichte den Zuschauern ihre eigene Eindrücke zu schildern.

Angelika Guetter

Vor 470 Jahren: Gründung des Amtes Moritzburg

Nähert man sich auf der Allee unserem Moritzburger Schloss, so fällt rechter Hand nach der historischen Anlage des Landgestüts ein langgestrecktes, grau verputztes dreistöckiges Gebäude auf, das zuletzt lange Zeit den Namen „Landhof Moritzburg“ trug. Gegenwärtig trägt es die Bezeichnung „Genusshaus Prinz von Sachsen“ mit der Brennerei „Augustus Rex“ und dem Moritzburger Hofladen. Dieser ursprünglich ein Stockwerk niedrigerer Bau ist eng mit der Moritzburger Verwaltungsgeschichte verbunden. Er war einst der Sitz des Amtes Moritzburg, das ursprünglich um das Jahr 1550 auf Geheiß von Kurfürst Moritz geschaffen worden ist. Worin bestand der Anlass dafür?
Als sich der Sachsenherzog Moritz mit dem Friedewald als einem von ihm bevorzugtes Jagdgebiet entschieden hatte, ließ er auf einer flachen Felskuppe am damaligen Mosebruchteich seit dem Jahre 1542 ein festes Jagdhaus errichten. Dieser Bau wurde vorläufig im Jahre 1546 abgeschlossen und nachweisbar seit 1549 „Moritzburch“ genannt. Ein solcher Jagdsitz mit Bediensteten, Stallungen und anderem mehr bedarf zur Bewirtschaftung und Unterhaltung einer ökonomischen Grundlage. Im seinerzeitigen Feudalstaat waren dazu Natural-, Dienst- sowie zunehmend auch Geldleistungen an den Landesherrn aus dem Umfeld des neu errichteten Jagdhauses erforderlich.
Als Kurfürst griff Moritz deshalb kurzerhand in die bis dahin bestehende Ämterstruktur ein und löste aus dem Bestand des Amtes Großenhain die Dörfer Bärnsdorf, Bärwalde, Geißlitz, Mittel- und Oberebersbach, Naundorf, Steinbach und Volkersdorf sowie aus dem Amt Dresden die Dörfer Coswig, Cunnertswalde, Eisenberg, Kötitz, Kreiern und einen Teil von Rähnitz heraus. Er unterstellte sie – wie auf der dargestellten Kartenskizze ersichtlich ist (1) – dem neu geschaffenen Amt Moritzburg. Unser Nestor der Landes- und Regionalgeschichte, Professor Karlheinz Blaschke, bemerkte hierzu: „Es dürfte kaum an einer anderen Stelle in Sachsen zu Beginn der Neuzeit einen so starken Eingriff in die gewachsene Gliederung der inneren Verwaltung gegeben haben wie an dieser Stelle“(2). Es war also eine „Verwaltungsreform von oben“.
Das Amt Moritzburg war ein verhältnismäßig kleines Amt. Es wurde deshalb aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung in der Regierungszeit von Kurfürst Friedrich August III. (dem „Gerechten“) im Jahre 1770 mit dem Amt Großenhain kombiniert, bestand aber als Amtsbezirk weiter fort.
Diesen Ämtern oblagen außer der Eintreibung der erforderlichen Einnahmen noch die gerichtliche Verhandlung mittelschwerer Straftaten, notarielle Beglaubigungen und die Regelung von Grundstücksangelegenheiten. Geringfügige Vergehen wurden auf dörflicher Ebene geahndet.
Ursprünglich war das Amt Moritzburg im südöstlichen Turm des Schlosses untergebracht. Daher trägt dieser bis heute den Namen „Amtsturm“. Im Jahre 1730 wurde schließlich wegen größeren Raumbedarfs und der Vermeidung von Publikumsverkehr in dem unter August dem Starken umgestalteten Schlossareal das schon erwähnte stattliche Gebäude mit zunächst zwei Geschossen an der heutigen Schlossallee errichtet. Im 19. Jahrhundert (1886) wurde das Amtsgebäude noch um eine Etage aufgestockt. In diesem Gebäude befanden sich auch Räumlichkeiten zur Unterbringung von Untersuchungsgefangenen. Ihre Lage war noch bis in die jüngste Vergangenheit an der Nordseite des Gebäudes durch die vergitterten kleinen Fenster erkennbar.
Nach der Gründung des einheitlichen Deutschen Reiches wurde das Amt Moritzburg im Zuge der Justizreform im Jahre 1873 aufgelöst. Zunächst wurde dieses Gebäude von der Dresdner Blindenanstalt genutzt. Als diese Einrichtung nach Chemnitz verlegt wurde, brachte man darin ein Kranken- und Pflegeheim unter. Später etablierte sich hier die Brüderanstalt unter dem Namen „Friedensort“. Im Rahmen von eigentumsrechtlichen Auseinandersetzungen konnte die Dresdner Blindenanstalt schließlich wieder von diesem Gebäude Besitz ergreifen. Über eine weitere Nutzung als Alters- und Pflegeheim wurde es in Kriegszeiten ein Lazarett für verwundete Soldaten. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges diente es schließlich als „Dr.-Margarethe-Blank-Heim“ bis 1998 wieder der Altenpflege und -betreuung. Namensgeberin war eine verdienstvolle Ärztin. Dr. Margarete Blank wurde am 21. 02. 1901 in Kiew geboren und entstammte aus einer deutsch-baltischen Familie. Nach dem Tod ihrer Mutter während der russischen Februarrevolution 1905 siedelte sie mit ihrer Familie nach Deutschland um. Hier studierte sie in Leipzig Medizin. Nach Abschluss ihres Studiums gründete sie eine eigene Landarztpraxis in Panitzsch bei Leipzig. Während des Zweiten Weltkrieges half sie als Ärztin unter heute nicht mehr vorstellbarer persönlicher Gefährdung Kriegsgefangenen sowie in der Rüstungsindustrie beschäftigten ausländischen Zwangsarbeitern. Im Jahre 1944 wurde sie wegen ihres geäußerten Zweifels am deutschen „Endsieg“ denunziert und daraufhin verhaftet. Der „Volksgerichtshof“ verurteilte sie zum Tode. Am 8. Februar 1945 wurde Dr. Margarete Blank im Dresdner Gefängnis am Münchner Platz hingerichtet.
Nach dem sich ab 1998 anschließenden längeren Leerstand wird das ehemalige Amtsgebäude nun seit einigen Jahren durch gastronomische Einrichtungen genutzt. In ihm finden auch die jährlichen vorweihnachtlichen Dankeschön-Veranstaltungen der Gemeinde für die fleißigen ehrenamtlichen Austräger unseres Moritzburger Gemeindeblattes statt.

Die Gruppe Ortschronik Moritzburg

(1) Blaschke, K.: Die Gründung des Amtes Moritzburg. In: Schriften des Vereins für sächsische Landesgeschichte, Band 8, Beucha 2004, Seite 61
(2) Ebenda, Seite 62

Labylysium

Serkowitzer Gastspiel auf dem Leipziger Burgplatz

Wenn sich Bierschinken und Blutwurst vereinigen, entsteht ein völlig neues Bild der Erde. Niemand hat die Absicht, das zu bezweifeln.

Foto: R. Zabka

Ein „niederschwelliges partizipatives Kunst- und Kommunikationsangebot als alternatives Einheitsdenkmal“ – mit diesem Anspruch bespielte Reinhard Zabka mit seinem Künstlerteam zwischen dem 1. und 11. Oktober den Burgplatz in Leipzig mit einem begehbaren Skulpturengarten. So wie im Herbst `89 die Politik auf der Straße stattfand, sollte der öffentliche Raum geöffnet werden für aktives Erinnern unter Bürgerbeteiligung. Die damals geträumten hoffnungsvollen Träume vom Elysium (spätestens seit Schiller als Mutter der Freude bekannt) am Ende der Diktatur führten zu einem Erwachen im Labyrinth verfehlter Wünsche und enttäuschter Hoffnungen am Rande von Utopia. Labylysium suchte beides zu verbinden. Es erzählte von den Visionen und Hoffnungen der Akteure von `89, von den labyrinthischen Erlebnissen der Vereinigung, ohne bei den Verlusterfahrungen hängen zu bleiben.
Geschult an fünfundzwanzigjähriger Aufbauarbeit immer neuer Labyrinthe zum Radebeuler Herbst- und Weinfest auf den Elbwiesen, gestählt durch die Erlebnisse der WuKaMenta in Dresden wirkten die Künstler in den öffentlichen Raum hinein, zum Mittun und Mitlachen zu ermuntern. So traf zeithistorische Ausstellung auf zeitgenössische Kunst, deren Internationalität auf diese Weise unkonventionell vermittelt wurde. Leider gelang es nur bedingt, die Scheu der Neugierigen zu überwinden, auch der Aufruf, ein eigenes Einheitsdenkmal mitzubringen, fand (noch) keinen Widerhall – die höhere Freiheit der Kunst wird offenbar immer noch zu wenig geübt. Auch fehlt es wohl am Bewusstsein für Systemrelevanz …
Reinhard Zabkas Gastspiel in Leipzig kann nur ein Anfang gewesen sein.
Thomas Gerlach

Copyright © 2007-2025 Vorschau und Rückblick. Alle Rechte vorbehalten.