Der einstige Stadtomnibusbetrieb in Radebeul

Wer kennt sie noch, die blauen Fahrzeuge des privaten Unternehmens von Rudolf und Herbert Krause?

Neben dem Grundstück Horkenweg 1 in Naundorf, wohl um 1934/35 Foto: Sammlung Klemm

Dieses Kapitel der Heimatgeschichte mit seinen Anfängen in den 1930er Jahren war Lebensader für die etwas abgelegenen Ortsteile wie Lindenau und Naundorf.
Betriebssitz und Werkstatt mit Garage war an der Meißner Straße in Radebeul West auf der Hainstraße. Die bedeutendste zentrale Haltestelle war auf der Bahnhofstraße auf dem Teilstück zwischen zwischen Meißner Straße und und Eisenbahnbahnbrücke gegenüber des ehemaligen Palast-Kinos.
Nach Unterbrechungen während des 2. Weltkrieges erfolgte recht bald der Neubeginn mit mehreren älteren Omnibussen der Fabrikate Opel-Blitz u.a. auf verschiedenen Linien, vornehmlich in Kötzschenbroda und Niederlößnitz in Richtung Lindenau, teilweise auch weiter über Friedewald, Dippelsdorf, Reichenberg, Boxdorf, Baumwiese zum Bahnhof Radebeul Ost.
In entgegengesetzter Fahrtrichtung gab es auch planmäßige Fahrten über Naundorf und Kötitz nach Coswig.
Es war sicherlich nicht einfach unter den damaligen schwierigen Verhältnissen einen privaten öffentlichen Liniendienst zu betreiben.
Die Fahrpreise waren gering, Gewinn war kaum zu erwirtschaften und Ausfälle aus technischen Gründen oft nicht zu vermeiden.

Postkarte »Gasthof zu Lindenau«, 1930er Jahre Foto: Sammlung Manfred Richter, Coswig

Postkarte »Gasthof zu Lindenau«, um 1940, Foto: Sammlung Manfred Richter, Coswig

Als Kind und Schüler habe ich selbst einige Erlebnisse und Beobachtungen bei Mitfahrten mit meinem Großvater und meinen Eltern machen können. Auf dem Schulweg entlang dem Gradsteg, konnte ich das Ergebnis einer missglückten Unterquerung der dortigen Eisenbahnbrücke betrachten. Dem Fahrer war offenbar die niedrige Lichte Höhe nicht bewusst, sodass es das Busdach unter die Unterführung schob.
Kurios war manchmal auch anzusehen, wenn unterwegs stehengebliebene Omnibusse mit einem größeren PKW in die Werkstatt abgeschleppt worden.

Bus, um 1950, Foto: Sammlung Mario Schatz, Langebrück

Die wirtschaftliche, aber auch die politische Situation des Privatunternehmens verschlechterte sich bereits gegen 1960 derart, dass die Betreiber den Linienbetrieb aufgaben und der damalige VEB Kraftverkehr Meißen den Betrieb mit eigenen Fahrzeugen des Fabrikates „Ikarus“ größtenteils übernahm und sein Nachfolgeunternehmen dies bis in die heutige Zeit betreibt.
Übriggeblieben war ein relativ modern anmutender alter Sattelschlepper-Omnibus ungeklärter Herkunft, der noch einige Jahre für Sonderfahrten und im Schienenersatzverkehr für die Deutsche Reichsbahn im Einsatz war.
In Erinnerung geblieben sind so manche Episoden und die leuchtend blaue Außenlackierung mit dem schönen bunten Radebeuler Stadtwappen an der Seite.

Wer als Leser dieser „Vorschau & Rückblick“ ebensolche Erinnerungen, Fotos oder andere Dinge wie Fahrscheine und Fahrpläne im Besitz hat, wird freundlichst gebeten, dies der Redaktion oder dem Verfasser kundzutun.

Sattelschlepper, um 1960, Foto: Peter Dönges, Bildverlag Böttger GbRG_420

Wilfried Heinrich, seit 1966 in Dresden

Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan …

Erinnerungskultur ist gefragt.
Die von wohlmeinender Jugend entfachte Diskussion über die Namen „Mohrenhaus“ und „Mohrenstraße“ erinnert mich an ein Gedicht aus dem „Struwwelpeter“, das auch heute noch geläufig sein dürfte:

„Es ging spazieren vor dem Tor
Ein kohlpechrabenschwarzer Mohr …“

Ihm folgte, wie es auch heute noch immer wieder vorkommt, eine Rotte johlender und pöbelnder Rotzjungen, die der „große Nikolas“, nachdem er sie erfolglos zu mäßigen versucht hatte, kurzerhand in sein Tintenfass tauchte:

„…hätten sie nicht so gelacht,
hätt Niklas sie nicht schwarzgemacht.“

Die Botschaft bedarf keiner Erläuterungen.

Die Bezeichnung „Mohr“ ist jedenfalls vom Autor des Gedichtes nicht diskriminierend gebraucht worden. Sie ist auch historisch nicht ausschließlich abwertend gemeint. So drücken die „Mohrenapotheken“ in diesem Namen ihre Hochachtung vor orientalischer Weisheit aus und ihren Anspruch an der Teilhabe am Weltwissen – und damit „Globalisierung“ im besten Sinne des Wortes.
Dennoch ist das Wort wie viele andere auch Ausdruck großdeutschen Überheblichkeitswahns mit allen seinen unschönen Auswüchsen.
Aber: Ändert sich das, wenn wir das Wort schamhaft wegschweigen? Verschwindet damit der Geist, der es zum Schimpfwort macht? Führt diese Art von Vergangenheitsbewältigung nicht vielmehr zu Vergangenheitsverdrängung und – schlimmer noch – zur Verdrängung tagesaktueller Schuld?

Wie ändert sich die Geschichte, wie sieht unser Gedicht aus, wenn wir den „Mohren“ einfach rausstreichen?

„Sieh, da spaziert vor unsrer Tür
Jemand der anders ist, als wir …“
Bleibt deswegen der Mob zu Hause?

Wir können unsere Vergangenheit nicht einfach wegschweigen und können auch Kunst und Literatur nicht rückwirkend ändern.

Zur Erinnerungskultur gehört, Verfehlungen zur Kenntnis zu nehmen und alte Schuld anzunehmen.
In seiner Dankesrede bei der Entgegennahme des Friedensnobelpreises sagte Dr. Martin Luther King 1964:
„…Wir haben gelernt, die Luft zu durchfliegen wie die Vögel und das Meer zu durchschwimmen wie die Fische, aber nicht die einfache Kunst, als Brüder zusammenzuleben.“

Daran hat sich bis heute nichts geändert. Und es wird sich auch künftig nichts ändern, wenn wir nicht aufhören, unseren Müll von afrikanischen Kindern sortieren zu lassen – Missachtung drückt sich nicht nur in Worten aus.

Es nützt der Zukunft mehr, wenn wir in der Bezeichnung „Mohrenhaus“ alte Schuld und neue Verantwortung anerkennen und uns öffnen, mit dem „Mohren“ brüderlich zusammenzuleben. Und wenn er „seine Arbeit getan“ hat, bekommt der Mohr, wie jeder andere auch, eine anständige Rente.
Thomas Gerlach

Zur derzeitigen Debatte „Mohrenhaus“ / Mohrenstraße in Radebeul

Mohrenhaus, Foto: S. Graedtke

Es liegt wohl in der Natur der Sache, dass die Jugend den Drang hat, alles zu hinterfragen und manches zu verändern – die Alten sind „das Alte“ so gewohnt und wünschen, dass sich nichts oder nur wenig ändern möge. Erst mal ist es nahe liegend, dass ich als alter Radebeuler, inzwischen Rentner und dazu noch Denkmalschützer mich eher der zweiten Gruppe zugehörig fühle. Deshalb sage ich, die alten Namen haben Geschichte und mögen so bleiben! Ich würde mich freuen, wenn die Anfrage von Bürgerforum / Grüne / SPD, die durch eine Schülergruppe angeregt wurde, im Radebeuler Stadtrat nicht zwangsläufig zur Veränderung von altbekannten Radebeuler Haus- und Straßennamen führen müsste.
Hier nun meine Gründe zur Beibehaltung der Namen „Mohrenhaus“ und Mohrenstraße:

* Der Begriff „Mohr“ für einen dunkelhäutigen, hier lebenden Menschen ist seit Ausgang des Mittelalters üblich und nicht erniedrigend oder gar rassistisch gemeint, also ganz anders als z.B. „Nigger“. In der Barockzeit waren Mohren Dienstleistende, manchmal auch Spaßmacher an Herrscherhöfen. Sie waren anerkannte Personen und erhielten sicherlich einen Lohn.
* Der seit dem Zeitalter der Empfindsamkeit (1. Hälfte des 19. Jh.) gebräuchliche Name „Mohrenhaus“ (verschiedene Umbauten, zunächst Winzerhaus dann schlossartige Villa) bezog sich auf zwei Felskuppen, die im damals unbewaldeten Grundstück von Weitem wie zwei Mohrenköpfe (Begriff aus der Konditorware) aussahen. In der Zeit entstanden an verschiedenen Stellen in der Lößnitz ähnlich klangvoll-blumige Häusernamen, man denke nur an Haus Fliegenwedel, Haus Sorgenfrei oder Haus in der Sonne.
* Die Mohrenstraße heißt seit 1915 so, der Name bezieht sich auf das bereits existierende „Mohrenhaus“, obwohl dieses Haus nach der Moritzburger Straße (51) postalisch orientiert wurde.
* Der bekannte, dunkelhäutige Koch Andrew Onuegbu aus Kiel hätte sein Speiselokal „Zum Mohrenkopf“ sicherlich nicht so genannt, wenn er das als herabsetzend oder gar rassistisch empfinden würde.
* Überhaupt sollte man in Radebeul nach der begründeten Rück- und Umbenennungswelle von Straßen gleich nach der Wende nun mal zur Ruhe kommen, anstatt bei jeder neuen Idee, wie eine Straße noch besser heißen könnte, gleich die Straßenschilder zu ändern. Man denke nur an den „Rattenschwanz“ von anderen Änderungen bei einer Straßennamensänderung: neue Straßenschilder, neue Privat- und Betriebsadressen, Änderungen in Stadtplänen, Adress- und Telefonbüchern, neue Stempel und auch Änderungen der Denkmallisten – das „Mohrenhaus“ selbst ist ein Kulturdenkmal und in der Mohrenstraße fallen mir mindestens vier andere Kulturdenkmale ein.

Ich denke, die Argumente für die Beibehaltung des „Mohrenhauses“ und der Mohrenstraße sollten genügen, um den og. Änderungswillen zu stoppen. Vielleicht werde ich dem OB mal eine Vorschau in den Briefkasten stecken? Da wir derzeit in der „Vorschaurunde“ wegen Corona keinetatsächlichen Redaktionssitzungen durchführen können, betone ich, dass mein Artikel allein meine und nicht die Redaktionsmeinung wieder gibt.

Straßenschild, Foto: S. Graedtke

Dietrich Lohse

 

Endlich ist ein großer baulicher Schritt am Moritzburger Hellhaus getan!

Das Hellhaus, Januar 2021, Foto: D. Lohse;

Über viele Jahre, genau genommen seit 1945, schien gar nichts zu gehen am mitten im Wald hinter dem Schloss gelegenen Hellhaus – keine Nutzung, z.T. unklare Zugehörigkeit, dafür fortschreitender Verfall und schließlich 1989 Brandstiftung. Das Hellhaus liegt auf einem Hügel etwa 800m nordöstlich vom Barockschloss und diente im 18. Jh. der Jagd. Es besteht aus zwei massiven, achteckigen Etagen und zwei Dachgeschossen mit einer Plattform auf dem Dach. Im Erdgeschoss gab es verschiedene Abstell- und Funktionsräume, im hohen OG war ein kleiner Saal mit Austritten und Geländern (hier konnten früher, wenn die Jagd erfolgreich war, intime Feste gefeiert werden) und im ersten DG waren kleinere Wohnräume. Im 20. Jh. wurde es von den Wettinern wohl nur noch selten genutzt.
Von der Plattform aus konnte ein Akteur durch Flaggenzeichen den Jägern anzeigen, in welcher der acht Schneisen das Wild gesichtet wurde und in welcher Richtung es sich weiter bewegte. Auch als Ruine war es auch stets ein Kulturdenkmal.
Uns muss klar sein, dass in Moritzburg das Barockschloss nach 1945 immer an erster Stelle beim Publikumsinteresse, bei der Mittelbewilligung und der Werterhaltung (wenn das Gerüst einmal ums Schloss gewandert war, fing es wieder von vorne an) lag. Dann folgte mit Abstand an zweiter Stelle das Fasanenschlößchen und sein Umfeld. Und erst an dritter Stelle der Wettiner Hinterlassenschaften wäre das 1776 erbaute Hellhaus, ein Denkmal der Jagdausübung dran gewesen, wozu es aber offiziell bis 1989 nie kam und auch nach 1990 noch lange nicht dran war. Inzwischen ist der staatliche Forstwirtschaftsbetrieb Eigentümer dieser Immobilie geworden und seit 2020 tut sich nun wirklich etwas am Hellhaus. Was täglich von vielen Spaziergängern beobachtet wird, ist keine Notsicherung, sondern die 1. Baustufe, also die äußere bauliche Fertigstellung. Welche Nutzung das vollständig sanierte Hellhaus einmal haben wird, ist noch nicht beschlossen, zeichnet sich aber in groben Umrissen ab: Museum zur höfischen Jagd in verschiedenen Jahrhunderten, Forstwirtschaft in Sachsen heute und Schule des Waldes, also eventuell entsprechende Lehrveranstaltungen für Schulklassen. Eine Jahreszahl, wann das so weit sein wird, kann heute noch nicht genannt werden. Die 1. Baustufe muss die Gewähr sein für weitere Baustufen und wird damit schließlich auch die endgültige Fertigstellung des Hellhauses bewirken. Was ich bisher auf der Baustelle im Moritzburger Wald gesehen habe, stimmt mich froh und optimistisch, endlich tut sich hier was!

Aufmaßzeichnung von Studenten, 1949, „Kulturlandschaft Moritzburg von 1945 – 1990“, Gerhard Glaser, Sandsteinverlag Dresden, 2010

Bei meiner Recherche zu dem Artikel bin ich, was die jüngere Geschichte des Hellhauses betrifft, auf interessante Verbindungen zwischen den Nachbarkommunen Moritzburg und Radebeul gestoßen, die ich hier einmal zusammenfassen möchte. Den Wenigsten dürfte bekannt sein, dass es zwischen 1945 und 1989, also in der Zeit als sich von offizieller Seite scheinbar niemand um das Hellhaus kümmerte, sich ein paar Radebeuler Bürger in bescheidener Weise um den Erhalt dieses Bauwerks gekümmert haben – ich kann also nur die Radebeuler Linie beschreiben. Das soll nicht ausschließen, dass sich in der Zeit auch Moritzburger oder andere Bürger, die mir nicht bekannt sind, um das Hellhaus in irgend einer Weise bemüht haben – die müssten sich aber bitte selbst zu Wort melden. Da wäre zunächst der alte Radebeuler Baumeister Franz Jörissen (1895-1996) zu nennen, der schon früher mit Prinz Heinrich aus dem Hause Wettin bekannt war und in den 50er und 60er Jahren den damaligen Direktor Herrn Frenzel gut kannte und an die Erhaltung des Hellhauses als einen Bestandteil des Schlosses Moritzburg erinnert hatte. Seine Tochter Elisabeth Jörissen (verheiratet Kaufmann) hatte als studentische Übung Detailzeichnungen für neue Hellhausfenster angefertigt – zur Ausführung sind sie m.E. nicht gekommen. 1964 bot sich der Baumeister an, für eine kleinere Instandsetzung Holz, Zement und Kalk beschaffen zu können, wohl für die Zumauerung der EG-Fenster – man erinnere sich, wie schwierig das zu der Zeit war! Anfang der 60er Jahre erhielt der Radebeuler Stud. Arch. Ulrich Aust, der spätere Zwingerbaumeister, durch Vereinbarung zwischen dem Institut für Denkmalpflege und dem Schlossdirektor einen befristeten Pachtvertrag für das Hellhaus, um mit kleineren Werterhaltungsmaßnahmen den weiteren Verfall zu bremsen und Vandalismus durch Fremde mit zeitweiser Anwesenheit im Hellhaus zu begegnen. Als Aust als fertiger Architekt dann mit anderen Aufgaben beschäftigt war, setzten Anfang der 70er Jahre Freunde und Kollegen von Aust – u.a. die Radebeuler Volker Röhricht, Dietrich Lohse und Dietmar Kunze – diese Tätigkeit am und im Hellhaus fort. Aber zu gelegentlichen Einbrüchen ins Hellhaus kam es weiterhin, obwohl es da eigentlich nichts zu klauen gab. An ausgewählten Wochenenden wurde tags gearbeitet und abends manchmal auch mit Freundinnen, bzw. Ehefrauen gefeiert, wir erinnern uns gern an diese Zeit. Ein neuer Direktor des Schlosses Moritzburg, Herr Jehmlich, war aber nicht bereit, o.g. Vertrag zu verlängern, tat aber auch seinerseits nichts Wesentliches für das Hellhaus, so dass unsere Hilfsaktion 1975 endete.
In den späten 80er Jahren gab es von Seiten der Schlossverwaltung einen angedachten Rettungsversuch für das Hellhaus, wofür Architekt Feigenspan, Boxdorf, ein Projekt ausarbeitete, der aber schon daran scheiterte, dass eine Bereitstellung der dazu benötigten Medien – Wasser, Strom, Telefon – mitten im Wald damals nicht zu realisieren war. Dann brannte 1989 der Dachstuhl durch Brandstiftung ab und gleich nach der Wende gab es viele andere wichtige Aufgaben in Moritzburg. Später trennte sich die Schlossverwaltung von der schwierigen Immobilie, für mich schwer nachzuvollziehen – von nun ab gehörte das Hellhaus zum Staatlichen Forstwirtschaftsbetrieb.
Nachdem Architekt Dr. Dietmar Kunze mit seinem Dresdner Büro Kunze und Zerjatke ein paar Planungsaufträge für das Barockschloss und das Fasanenschlößchen realisiert hatte, ging er an die Vorbereitung für das Hellhaus, das er also nie aus dem Auge verloren hatte, und holte kurz vor seinem Tod noch die denkmalschutzrechtliche Genehmigung für die Rekonstruktion des Hellhauses ein.

Rohbaufertige Gaupe in der Werkstatt Grätz, Januar 2021, Foto: D. Lohse

Auftraggeber für die 1. Baustufe (äußere Instandsetzung des Hellhauses) ist der Staatliche Forstwirtschaftsbetrieb. Die Bauplanung und Bauausführung geschieht unter Leitung des Staatsbetriebes Sächsisches Immobilien- und Baumanagment (SIB). Die Verantwortung für das Bauprojekt liegt in den Händen von Maximillian Kunze, Architekten Kunze Reisnecker, Dresden. Ich betrachte es als einen sehr glücklichen Zufall, dass der Sohn von Dietmar Kunze da weiter arbeiten kann, wo Dietmar plötzlich und unerwartet aufhören musste. Ein Projekt zur Landschaftsplanung, hierzu zählt u.a. der Ausbau der Schlossschneise als Baustraße, wurde vom Büro Michael Simonsen ausgearbeitet.
Als die wichtigsten bauausführenden Betriebe sind die Coswiger Firma Holzbau Grätz und die Dachdecker Täuber – Kühnel, Altenberg, zu nennen. Der zweigeschossige Dachstuhl über achteckigem Grundriss und mit vielen Gaupen ist fast abgeschlossen und sicherlich keine alltägliche Bauaufgabe. Dem historischen Bild entsprechend, kommen bald wieder Biberschwanzziegel auf das Dach und als oberer Abschluss wird das eiserne Geländer wieder aufgebaut. Beide Betriebe haben bereits auf anderen Baustellen, die Fa. Grätz z.B. den neuen Glockenstuhl der Friedenskirche in Radebeul, bewiesen, dass sie denkmalpflegerische Aufgaben gut bewältigen können.
Ein bisschen gewundert habe ich mich (ich war längere Zeit nicht da gewesen), dass das Gebäude auf dem Hügel nun „so im Freien“ steht, war da ein Sturmschaden gewesen oder haben die Bauleute diese Baufreiheit gefordert? Ich hatte doch noch die Erinnerung an einen dichteren und älteren Bestand von Bäumen rund ums Hellhaus im Kopf, darunter auch Weymouthskiefern und Lärchen, ein romantischeres Bild eben. Aber früher, also im 18.Jh., dürften die Bäume auch nicht dicht am Gebäude gestanden haben, die wären ja der Parforcejagd hinderlich gewesen. Die Baustelle werde ich sicherlich weiterhin im Blick behalten und freue mich mit allen am Bau Beteiligten, wenn die 1. Baustufe am Hellhaus bald fertiggestellt sein wird.
Ich bedanke mich herzlich bei Herrn Christian Lehmann aus Moritzburg für das Gegenlesen meines Manuskriptes.
Da ich früher schon mal über das Hellhaus in V+R berichtet hatte, möchte ich auch auf den Artikel im Augustheft 2003 verweisen.

Dietrich Lohse

Quellen:

1. „Beschreibende Darstellung der älteren Bau-und Kunstdenkmäler des Königreichs
Sachsen“, Cornelius Gurlitt, Verl. C.C. Meinhold u. Söhne, Dresden, 1904
2. „Landkreis Meißen – seine Städte u. Dörfer“, Günter Naumann, Kreissparkasse
Meißen, 1998
3.„Kulturlandschaft Moritzburg von 1945 – 1990“, Gerhard Glaser, Sandsteinverlag
Dresden, 2010 (von da eine Zeichnung mit Zustimmung des Verfassers übernommen)

Altwahnsdorf 63

Altwahnsdorf 63

Etwa in der Dorfmitte der südlichen Bebauungsflanke finden wir den großen Dreiseithof Altwahnsdorf 63. Der Ursprung des Hofes ist sicherlich älter als die Jahreszahl 1769 im Schlussstein des Torbogens ausweist – das Jahr könnte die Übernahme des Bauernhofes durch einen Bauern mit den Initialen I G D anzeigen. Die Bauart der heutigen Gebäude lässt auf eine Errichtung oder einen Umbau in der Mitte des 19. Jh. schließen. Außer dem Torbogen mit Pforte unterscheidet sich dieser Hof von anderen Wahnsdorfer Gehöften auch durch die beiden Lindenbäume, Hausbäume vor dem Tor.
Familie Schindler bewirtschaftet den Hof und bietet landwirtschaftliche Produkte an.
Als Kulturdenkmal ist hier nicht der ganze Hof, sondern nur das Tor ausgewiesen, ein ungewöhnlicher Fall in der Denkmalerfassung, der wohl mit Baumaßnahmen vor 1989 zusammenhängt. Deshalb sollte man bei Arbeiten an den Gebäuden nicht die in der Denkmalpflege üblichen Forderungen hinsichtlich Dachdeckung, Zahl und Größe der Dachflächenfenster, Putz- und Farbgestaltung und Art der Fenstererneuerung stellen, das gilt hier nicht.
Der o.g. Torbogen wurde übrigens von mir in Heft 11 / 2010 erfasst und mit anderen Torbögen in Radebeul verglichen.

Dietrich Lohse

Kunst und Kultur – Neuigkeiten trotz Corona

Liebe Freundinnen und Freunde der Radebeuler Kunst- und Kulturszene,

die Corona-Pandemie ist eine große Herausforderung für alle Kunst- und Kulturschaffenden. Theater, Konzerthallen, Kinos, Museen, Galerien und alternative Veranstaltungsorte sind bis auf Weiteres geschlossen. Insbesondere die freiberuflich Selbständigen befinden sich in einer existenzbedrohenden Situation. Die Redaktion von „Vorschau und Rückblick“ will auf ihre Weise dazu beitragen, ein kulturelles Netz zu knüpfen und zum Austausch von Gedanken und Informationen einladen. Viele Akteuren der „Szene“ haben die coronabedingte „Denkpause“ kreativ genutzt, um Ideen zu sammeln, Ressourcen zu bündeln und neue Projekte zu entwickeln. Die Planungen der Jahresprogramme aller Kultureinrichtungen für 2021 sind größtenteils abgeschlossen, allerdings unter Vorbehalt. Sobald sich deren Türen wieder öffnen, werden wir über einen reich gefüllten Veranstaltungskalender staunen können.

Doch bis dahin haben wir uns einmal umgeschaut, was es in Radebeul trotz Corona an kulturellen Aktivitäten zu entdecken gibt und wollen auch schon immer ein wenig Vorfreude auf künftige Projekte wecken.

Zu den innovativsten kulturellen Zentren unserer Stadt zählt zweifellos das Lügenmuseum. Aus der Not wurde kurzerhand eine Tugend gemacht und einen Teil des Inhaltes des Lügenmuseums nach außen, an die Fassade des historischen Gebäudes verlagert. Und wer noch ein ungewöhnliches Geschenk suchen sollte, kann sich ein Überraschungspaket mit dem „Museum to go“ zusenden lassen. www.luegenmuseum.de

Das kulturelle Frühlingserwachen soll vom 30. April bis zum 2. Mai zelebriert werden. Eine Kulturkarawane begibt sich an zentrale, aber auch geheimnisvolle Orte der Radebeuler Ursprungsgemeinden, um diese mit Kultur zu beleben. Im Gefolge sind Musiker, Schauspieler, Performer, Puppenspieler, Akrobaten, Sänger. www.radebeul.de / lebensart

Die aktuelle Ausstellung in der Stadtgalerie Radebeul zeigt unter dem Motto „An den Rändern“ Werke des Radebeuler Malers und Grafikers Stefan Voigt (digitaler Rundgang möglich). Ab sofort bietet die Galerie auf ihrer Homepage eine Plattform für Radebeuler Künsterinnen und Künstler. www.radebeul.de / Stadtgalerie

Das erfolgreiche Gemeinschaftsprojekt „Kunst geht in Gärten“ soll fortgeführt werden. Voraussichtlich wird es am 17. und 18. Juli 2021 stattfinden. www.radebeul.de / Stadtgalerie
Ein Besuch der Homepage des Karl-May-Museums lohnt sich unbedingt. Man kann einen Blick hinter die Kulissen werfen, einen Museumsrundgang erleben oder unter digitaler Anleitung eine Indianerwoche zu Hause verbringen. www.karl-may-museum.de

Jeden Donnerstag ist die Stadtbibliothek in Radebeul Ost und West geöffnet. Geplant sind für 2021 wieder Literaturkino, Ausstellungen, Vorträge, Literatur- und Autorengespräche sowie viele abwechslungsreiche Ferienangebote. www.radebeul.de / Stadtbibliothek

Der Radebeuler Kulturverein will 2021 in einer Aktionsgemeinschaft das Kino in Radebeul wiederbeleben. Vorgesehen sind Literaturkino, Traumfabrik, Kino mit Livemusik und Kurzfilmnacht. www.radebeuler-kultur.de

Die KulTour wird vom Radebeuler Kulturverein in Zusammenarbeit mit den Radebeuler Winzern veranstaltet. Die Teilnehmer wandern zu verschiedenen magischen Orten in den Weinbergen, wo sie jeweils durch eine künstlerische Kurzdarbietung mit Picknick überrascht werden. www.radebeuler-kultur.de

Kontakte & Informationen

www.radebeul.de unter den Rubriken „Kunst & Kultur“ sowie „Leben & Wohnen“

Radebeuler Kulturamt, Telefon (0351) 8311-600, kulturamt@radebeul.de

Mit Bernhard Theilmann poetisch durch das Jahr

Radebeul hat ein neues Kunstobjekt

Haben sie die Plastik „Wende“ von dem Künstler Reinhard Dietrich aus Ribnitz-Damgarten schon entdeckt? Radebeul lag bisher nicht in seinem künstlerischen Betätigungsfeld, er hat zahlreiche Plastiken und baukünstlerische Arbeiten in Städten und Orten an der Ostsee hinterlassen. So z.B. Wandmosaikgestaltungen an Neubauten in Rostock oder eine künstlerische Gestaltung eines Bootes neben dem „Teepott“ in Warnemünde. Im Laufe seines Lebens hat er oft mit dem bekannteren Künstler Jo Jastram zusammen gearbeitet. Bei dem vor den Landesbühnen aufgestellten Objekt handelt es sich um eine kubisch geprägte, männliche Bronzefigur, die den Kopf um 180° dreht und in zwei Stahlträger eingespannt worden ist.

Bild: D. Lohse


Auf diese Weise will sie uns an die Wende von 1989 erinnern. Diese Plastik konnte aus dem Nachlass des Künstlers, der 2015 verstorben ist, erworben werden. Er konnte also nicht ahnen, dass seine Plastik einmal in Radebeul stehen würde. Die Idee, diese künstlerische Arbeit nach Radebeul zu holen, stammt von Robert Bialek, der hier ein Baugeschäft unterhält und in Kontakt zur Witwe des Künstlers, Frau Magdalena Dietrich, stand.

Bild: D. Lohse


Zur Realisierung der Idee formierte sich eine Dreiergruppe – das Kulturamt der Stadtverwaltung Radebeul, die Landesbühnen Sachsen und der Verein Denkmalpflege und neues Bauen. Seit dem 3. Oktober 2020 steht diese kleine Figur auf dem Fußweg der Meißner Straße vor den Landesbühnen und bereichert so den öffentlichen Raum in künstlerischer Weise.

Bild: D. Lohse


Dietrich Lohse

Vergangenes sichtbar machen

Förderpreis Heimatforschung für Karl Uwe Baum

Bereits im November vergangenen Jahres erhielt das Redaktionsmitglied von Vorschau und Rückblick Karl Uwe Baum den vom Sächsischen Staatsministerium für Kultus und vom Landesverein Sächsischer Heimatschutz e. V. vergebenen Förderpreis des „Sächsischen Landespreises für Heimatforschung 2020“ zugesprochen. Mit Karl Uwe Baum sprach Karin (Gerhardt) Baum.

Zunächst möchte ich dir im Namen der Redaktion für die Auszeichnung herzlich gratulieren. Nun sind seit der Ehrung schon einige Monate vergangen. Hat sich die Freude bereits gelegt?

Die Auszeichnung hat mich natürlich schon überrascht, auch wenn man mit der Teilnahme an so einem Wettbewerb dies erhofft. Mein eigentliches Ziel aber war, das Thema „Geschichte des nichtprofessionellen Theaters“ besser in die Öffentlichkeit zu bringen. Das ist gelungen und insofern hält die Freude auch heute noch an.

Kannst Du uns das genauer erklären?

Gern. Ausgezeichnet wurde ja die von mir seit 2017 betriebene Homepage www.amateurtheater-historie.de. Bis Oktober vergangenen Jahres haben im Schnitt rund 1.800 Nutzer monatlich auf die Seite zugegriffen. Nun ist ja die Geschichte des nichtprofessionellen Theaters kein besonders populäres Gebiet. Man kann es eher als ein „Orchideenfach“ bezeichnen. Regelrecht unzufrieden war ich also nicht. Aber es lag mir schon daran, mein Anliegen stärker bekannt zu machen. Nach der Veröffentlichung der Auszeichnung stiegen die Zugriffe auf die Seite mit weit über 11.000 auf das Sechseinhalbfache im Monat. Darüber hinaus haben sich auch Bürger gemeldet, die mir Informationen und Material angeboten haben.

Szene aus Des Teufels goldene Haare von Gernot Schulze, gespielt vom Arbeitertheater der Bauarbei-ter Dresden mit Karin Bräuer als Hexe Igittigitt und Uwe Baum als Räuber Bums 1980
Bild: Archiv Baum


Dein Anliegen ist es also, Material zur Geschichte des Amateurtheaters zusammenzutragen. Warum und was steckt dahinter?

Das Verrückte ist, dass dieses Theater in der Freizeit zu allen Zeiten in großer Zahl, besonders auch in Sachsen, gepflegt wurde und wird, aber in der Geschichtsschreibung der letzten 30 Jahre wie auch in Archiven und Museen nur in geringem Maße anzutreffen ist. Das hängt auch mit der Besonderheit des Metiers zusammen. Ein Theater, und sei es nur ein Amateurtheater, zu betreiben, ist teilweise kostenintensiv sowie ungeheuer zeitaufwendig und verlangt auf vielen unterschiedlichen Gebieten Kenntnisse. Für die Dokumentation bleibt dann oft keine Zeit und Kraft mehr. Auch haben Kriege, Katastrophen sowie gesellschaftliche Umbrüche den Archivbeständen stark zugesetzt.

Wer sich aber mit diesem Gebiet einmal näher beschäftigt hat, wird feststellen, dass dieses nichtprofessionelle Theater über Jahrhunderte hinweg eine große kulturelle Leistung in der Gesellschaft vollbracht und so wesentlich zu deren Funktionieren und Herausbilden beigetragen hat. Sachsen kann man als ein „Mutterland des nichtprofessionellen Theaters“ bezeichnen.

Mit meiner Homepage aber auch mit meiner Sammlung will ich ein wenig dazu beitragen, dass das Wissen und die Kenntnisse um diese Freizeitbeschäftigung nicht verloren gehen.

Auf deine Antwort fallen mir jetzt sehr viele Fragen ein… Du hast Sachsen als das „Mutterland des Amateurtheaters“ bezeichnet, wie muss man das verstehen?

Die Geschichte des nichtprofessionellen Theaters ist ja noch nicht erforscht. Da tut sich die Wissenschaft schwer. Sicher auch aus den von mir genannten Gründen. In Sachsen sind wir erfreulicherweise in der Lage, diese Geschichte bis ins 14. Jahrhundert konkret zurückverfolgen zu können. So weiß man, dass 1322 in Eisenach – damals noch zu Sachsen gehörig – das geistige Schauspiel von den klugen und unklugen Jungfrauen durch Mönche und Schüler zur Aufführung gelangte. Mindestens seitdem ist das Theaterspielen durch Menschen aus dem Volk in Sachsen nicht mehr wegzudenken. Im 19. und 20. Jahrhundert entwickelte sich dieses Bedürfnis dermaßen, dass die nichtprofessionelle Theaterszene zu den stärksten im Deutschen Reich und der Weimarer Republik zählte. Auch in der DDR führten die drei sächsischen Bezirke das Feld der Amateurtheater nicht nur zahlenmäßig an.

Du hast dich offensichtlich gründlich mit diesem Gebiet beschäftigt. Wie bist du dazugekommen?

Der DNN-Beitrag ist darauf schon ausführlich eingegangen, deshalb nur eine kurze Antwort. Ich habe natürlich vor langer Zeit selbst in einem Amateurtheater gespielt und von 1990 bis 2013 den sächsischen Verband für Amateurtheater geleitet. Von daher war ich schon länger auch an deren Geschichte interessiert. So konnte ich u.a. im Neuberinmuseum in Reichenbach (Vogtl.) Anfang der 1990er Jahre ein Archiv für Amateurtheater initiieren. Der eigentliche Auslöser aber folgte reichlich 10 Jahre später. Im Landesverband war die Überzeugung gereift, selbst eine Publikation zur Geschichte des sächsischen Amateurtheaters herausgeben zu müssen. An diesem Unternehmen, an dem ich maßgeblich beteiligt war, haben wir fünf Jahre gearbeitet. Herausgekommen ist dann die Publikation Auf der Scene 2013, die heute in vielen Hochschulbibliotheken gelistet ist. Mit dieser Arbeit ist mir die Situation auf diesem Gebiet so richtig bewusst geworden und so habe ich begonnen, das über die Jahre bei mir angesammelte Material aufzuarbeiten.

Und wie bist du auf die Idee mit der Website gekommen?

Hanna Rosemann und Volkmar Weitze, die Darsteller von Christine und Egon aus der Inszenierung Egon und das achte Weltwunder durch das Jugendtheater Radebeul 1967 bei einem Gastspiel an der Jugendhochschule Bogensee
Bild: Archiv Baum


Ehrlich gesagt, das weiß ich gar nicht mehr so genau. Durch meine ehrenamtliche Arbeit im Landesverband war mir der Umgang mit derartigen Seiten natürlich vertraut. Also nicht von der technischen Seite her, mehr von der Sinnhaftigkeit und vom Inhalt. Das Technische besorgte ein mit allen atlantischen Wassern gewaschener IT-Spezialist. Der Dresdner Mike Bormann hatte in den USA studiert und betreute u. a. auch die Homepage des Verbandes. Daraus hatte sich eine freundschaftliche Beziehung entwickelt. Ihm habe ich die Website letztlich zu verdanken. Ohne Mike also kein Preis!

Du hast sicher eine große Menge an Material zu Hause. Wie muss man sich das vorstellen?

Nach dem ich 2013 meine Funktion im Verband niedergelegt hatte, habe ich mit der Sichtung und Systematisierung des Materials begonnen. Daraus hat sich dann langsam ein Archiv geformt, welches heute weit über 10.000 Artefakten enthält. Im Wesentlichen ist das sogenannte „Flachware“, bestehend aus Dokumenten, Programmheften, Plakaten, Abbildungen, Fotos, Beiträgen aus Printmedien aber auch Filmen. Dazu kommt noch die Bibliothek, die gegenwärtig über 800 Bände und Zeitschriften umfasst.
Das Material befindet sich größtenteils in meinem Arbeitszimmer. Der Rest musste leider an anderen Stellen gelagert werden. Zum Glück konnte ich Ende des vergangenen Jahres knapp 20 Ordner dem Deutschen Archiv der Theaterpädagogik an der Universität Osnabrück übergeben.

Osnabrück, liegt das nicht im Bundesland Niedersachen?

Ja, leider. Der theaterwissenschaftliche Bereich an der Universität Leipzig schien offensichtlich nicht interessiert. Seit 2017 stand ich mit dem dort neugegründeten CCT (Centre of Competence for Theatre) in Verbindung. Zu einer konkreten Vereinbarung ist es leider nicht gekommen, so dass ich mich Ende 2019 entschlossen habe, nach neuen Partnern zu suchen. Mit dem in Lingen ansässigen Archiv kam es dann sehr schnell zur Übergabe einer ersten Charge. Ehrlich gesagt bin ich froh, einen interessierten Partner gefunden zu haben, wo durch die Anbindung an den Studiengang Theaterpädagogik auch die Chance besteht, dass mit meinem Material wissenschaftlich gearbeitet wird. Genau darin sehe ich den Sinn meines Tuns.

Sammelst du das Material nur oder arbeitest du auch damit?

In der Hauptasche trage ich Materialien und Informationen zusammen. In der wissenschaftlichen Arbeit liegt sicher nicht meine Bestimmung. Der Mangel an wissenschaftlichen Arbeiten auf diesem Gebiet begründet sich gerade in einem Mangel an Quellenmaterial und der Unkenntnis über deren Lagerungsorte. Deshalb sehe ich neben dem Zusammentragen dieser Materialien meine Aufgabe auch in deren Aufbereitung. So habe ich beispielsweise eine Erfassung aller mir bekannten Inszenierungen des nichtprofessionellen Theaters von 1821 bis 1990 mit Quellenangaben erstellt. Auf meiner Website befinden sich sogenannte Zeittafeln, die Ereignisse rund um das nichtprofessionelle Theater von 1300 bis 1990 dokumentieren. Die Zeittafel 1944 bis 1990 enthält beispielsweise auch über 60 Eintragungen zu Radebeul. Hier kann der Nutzer ebenfalls auf die Quelle zurückgreifen. Für die Forschung ist das eine „wahre Fundgrube zur Geschichte des sächsischen Amateurtheaters“, wie die Jury des Sächsischen Heimatpreises einschätzte.

Einige kleine Aufsätze habe ich schon verfasst. Aktuell arbeite ich mit meinem Leipziger Freund Roland Friedel unsere Erinnerungen an die gemeinsame Zeit im Landesverband Amateurtheater Sachsen auf. Auch habe ich hin und wieder Studenten bei der Erstellung ihrer Abschlussarbeiten beraten.

Wir haben uns deine Website angesehen. Da sind ja tatsächlich eine Unmenge von interessanten Daten zu finden. Woher kommen die alle?

Der größte Teil stammt aus meinem Archiv. Natürlich führe ich auch ständig weitere Recherchen durch. Erst neulich bin ich auf zwei Theatergruppen in Cunewalde (Lausitzer Bergland) gestoßen, die nur etwa 20 Jahre existierten. Darüber hinaus halte ich auch Kontakte zu Kollegen und bin Sprecher des Bundesarbeitskreises „Geschichte, Kultur und Bildung“ im Dachverband „Bund Deutscher Amateurtheater“. Außerdem schreibe ich ja auch hin und wieder für Vorschau und Rückblick.

Die Redaktion dankt für das Interview und wünscht dir weiter viel Kraft für diese interessante Tätigkeit.

Erinnern ist Wissen, Denken und Fühlen

Ein Gespräch mit Ingrid Lewek zum 27. Januar

Erinnern kann vieles sein: der Versuch, angenehme Gefühle zurückzuholen, eine Person zu würdigen, Vergessenes aufleben zu lassen. Nicht immer ist es leicht. Am 27. Januar gedenkt Deutschland der Opfer des Nationalsozialismus. Ganz groß im Bundestag, kleiner in Radebeul.

Ingrid Lewek und Wolfgang Tarnowski an den Ehrensteinen vor dem Radebeuler Rathaus. Beide erhielten 2017 den Preis des Couragevereins Radebeul
Bild: privat


Frau Lewek, das, woran wir jährlich am 27. Januar oder auch am 9. November erinnern, ist nun schon über 70 Jahre her. Die moderne Gesellschaft ist nicht dafür bekannt, sich lange mit der Vergangenheit zu befassen. Offiziell gibt es Gedenkfeiern im großen Rahmen. Warum ist es Ihnen dennoch wichtig, der Opfer des Nationalsozialismus hier in Radebeul zu gedenken?

Ingrid Lewek | Die großen Feierlichkeiten sind wichtig, aber sie gehen ins Weite. Wenn man aber der Menschen an dem Ort gedenkt, wo das schreiende Unrecht geschah, entsteht ein eigener Bezug.

Fünf Stolpersteine an der Moritzburger Straße 1 in Radebeul leuchten mehr oder weniger gegen das Vergessen an. Jedes Jahr am 9. November kommen hier Menschen zusammen, um an zwei Familien zu erinnern, die von den Nazis verschleppt und umgebracht wurden. Sie kannten das Mädchen Irmgard Zeitler, das diese Familien besucht hat.

Ingrid Lewek | Irmgard wohnte im Hinterhaus, und ihre Familie hat ihr erlaubt, sich um das jüdische Mädchen Marion zu kümmern – bereits das ein Wagnis. Ich erzähle immer wieder gern davon und freue mich, wenn jedes Jahr ein paar mehr Menschen zum Gedenken kommen und zuhören. Sich in der Nazizeit um jüdische Menschen zu kümmern, war gefährlich. Deren Isolation war damals das Normale. Kontakte zwischen jüdischen und nicht jüdischen Menschen waren sehr gewagt, für beide Seiten. Das Mädchen, das das dennoch tat, wurde selbst diskreditiert, auch von ganz normalen Leuten. Ihrer Familie sagte man nach, sie sei „tüchtig rot“. Allein das war eine Gefährdung. Aber sie ließ sich nicht einschüchtern. Nachdem Marion Freund als jüdisches Kind nicht mehr zur Schule gehen durfte und auf dem Hof andere Kinder nicht mit ihr spielten, ging Irmgard zu ihr, brachte ihr Hausaufgaben, spielte mit ihr und sie machten gemeinsam Handarbeiten mit ihrer Großmutter. Wenn die „Kontrollen“ kamen, wurde sie schnell im Wandschrank versteckt, damit nicht auch sie in den Fokus der Gestapo geriet. So sorgten sich die Verfolgten um andere!

Immer wieder haben Sie jungen Menschen von ihnen und ihrem Schicksal erzählt. Leugner gibt es immer noch.

Ingrid Lewek | Den ewigen Leugnern kann man nichts erzählen. Die hören gar nicht hin. Sie haben ihre Anschauung und bleiben dabei. Wichtiger finde ich, dass inzwischen viele Jüngere sich fragen, wie ihre Eltern und Großeltern damals gelebt haben. Ob sie auch nichts sahen, vielleicht weil sie weggeschaut haben? Oft bekommen sie keine Antworten. Es ist ja kein angenehmes Thema, das eigene Unvermögen einzugestehen. Die meisten bleiben dabei, sie hätten nichts gewusst. Ich weiß aber, dass es auch in Radebeul Nachbarn gab, die sich beklagt haben, sie wollten nicht mit Juden unter einem Dach leben. Und wenn die Menschen deportiert wurden, gab es oft genug Plünderungen ihrer Wohnungen. Die Nachbarn warteten hinter ihren Wohnungstüren, und sobald die Gestapo mit den festgenommenen Menschen das Haus verlassen hatten, fielen sie über die Habe der Deportierten her. Es gab Prügelszenen um die Dinge. Das Wort „Schnäppchenjagd“ fiel in diesem Zusammenhang. Ich kann es nicht mehr hören! Sehr viele haben sich so verhalten. Aber in der Moritzburger Straße 1 soll das nicht so gewesen sein.

Sie haben das hilfreiche Mädchen, Irmgard Zeitler, später noch am Telefon gesprochen?

Ingrid Lewek | Ja, als schon ältere Frau. Als ich an unserem Buch schrieb, bekam ich ihre Telefonnummer und konnte viel mit ihr über Marion und ihre Familie sprechen. Irmgard lebte in Thüringen. Sie war gerührt und dankbar dafür, dass es hier ein Erinnern gibt. Marion war ihre einzige Freundin geblieben. Inzwischen lebt auch Irmgard nicht mehr.

Frau Lewek, ist Ihnen jemals erklärlich geworden, warum jüdische Menschen immer wieder gehasst, oft auch einfach abgelehnt werden?

Ingrid Lewek | Ich denke, ein Motiv war von jeher der Neid auf Bildung und Besitz. Bei den Juden konnten die Kinder schon ab vier Jahren lesen und schreiben lernen. Übrigens: seit dem Mittelalter war das so. Und deren wirtschaftliche Erfolge waren auch vielen ein Dorn im Auge. „Jüdischer Besitz in arische Hände“ war tatsächlich ein Slogan in Deutschland!

Die Wegnahme und Verwertung des Eigentums jüdischer Menschen hatte System. Bevor die Menschen weggebracht wurden, mussten sie ihre Habe in Pakete packen und genau beschriften. Deshalb die „Kontrollen“. Wertvolle Gegenstände wie Kunstobjekte, Porzellan oder Besteck waren schon vorher konfisziert worden. Was dann nicht von den Nachbarn geplündert wurde, gelang oft auf den „Hamburger Markt“, wo es für günstige Preise die Besitzer wechselte. Es stand nicht direkt dabei, aber jeder wusste, wo die Dinge herstammten. Soviel zur landläufigen Aussage: Wir haben nichts gewusst.

In unserer Gegend ist zu beobachten, dass es deutliche Ablehnung von politischem Engagement, gar in Parteien, gibt. Können Sie diese Haltung verstehen?

Ingrid Lewek | Mein Verstehen ist, dass ich auch ein politischer Mensch bin. Das heißt, in die Verantwortung für die Stadt und die Gesellschaft eingebunden zu sein. Das ist ein allgemeiner Auftrag für alle, sofern sie das können. Auf der Suche nach Menschen, die sich mit ums Wissen und Denken kümmern, habe ich immer Leute gefunden. Natürlich ist überall etwas, was einen ärgert. Doch nach der Wende war mir schnell klar: wenn eine Partei, dann nur die SPD. So bin ich seit 1993 Mitglied des Radebeuler Ortsvereins der SPD. Eins muss man wissen: Harmlos und gutgläubig darf man nicht in die Politik gehen. Da muss ich an die Gründungszeit der SPD 1990 in Sachsen denken und heute noch schmunzeln. Einer sagte damals: Wir müssen erst einmal lernen, dass man bezahlen muss, was man vorhat. Das habe ich schon als Kind und als Hausfrau gelernt! Im Ernst: Der kritische Austausch und der Abgleich der Interessen sind wichtig. Dafür braucht es einen politischen Ort. Irgendwann gewöhnt man sich daran, dass es Grenzen des Machbaren und Möglichen gibt.

Was können wir heute tun?

Ingrid Lewek |Wir können dafür sorgen, dass das geschieht, was die Nazis immer verhindern wollten und Leugner heute noch nicht wollen: Dass verfolgte und getötete Menschen ihren Namen und ihr Gesicht behalten können. Und dass es nicht wieder passiert, was damals geschah, dass zu wenig entgegnet wird. Hinschauen ist auch heute Pflicht, Zurückziehen hilft nicht. Ich halte es da sehr mit Imre Kertesz*, der gesagt hat: Der Mensch ist geschaffen, um zu wissen und zu denken. Wir können uns weder das eine oder das andere ersparen. Wir sind verpflichtet, uns wissend machen. Das hat mich gerade in dieser Weihnachtszeit sehr beschäftigt. Dieses Stück Arbeit müssen wir, jeder der es kann, leisten! Und ist es nicht auch etwas sehr Schönes, nachzudenken, Zusammenhänge zu erkennen und mit anderen darüber zu reden?

Für das Gespräch mit Ingrid Lewek bedankt sich Christine Ruby

*ungarischer Schriftsteller, Nobelpreisträger, 1929 – 2016
Die Gedenkstunde des Bundestages am 27. Januar beginnt um 11 Uhr und wird live im Internet unter www.bundestag.de übertragen.
Der Couragepreisverein veröffentlicht auf seiner Homepage www.couragepreis.de eine Videobotschaft zum Thema
Für ein stilles Gedenken treffen sich Radebeuler*innen am 27. Januar 2021 am Erinnerungsstein auf dem Rosa-Luxemburg-Platz ab 17 Uhr.
Dort können Blumen niedergelegt werden.

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