1. Edition KünstlerKartenBox Radebeul

Ein Mensch malt, von Begeisterung wild,
Drei Jahre lang an einem Bild.
Dann legt er stolz den Pinsel hin
Und sagt: „Da steckt viel Arbeit drin.“
Doch damit wars auch leider aus:
Die Arbeit kam nicht mehr heraus.
(Eugen Roth)

Foto: M. Kratschmer

Im Ergebnis des unvorhersehbaren Wirkens eines kleinen Virus ist ein neues Wort entstanden, das nun seinerseits mit einem Keil die Gesellschaft in Gefahr bringt: Wer „systemrelevant“ ist, hält das Rad der Geschichte am Laufen. Wer nicht, kann zu Hause bleiben.

Auf diese Weise – und das ist das Gute daran – sind Berufsgruppen ins Rampenlicht geraten, die bisher beinahe unbemerkt ihren in der Regel schlecht bezahlten Dienst geleistet haben.

Andere – und das ist die arge Seite – werden kaum noch erwähnt. Zu dieser Gruppe zählen die Künstlerinnen und Künstler.? Die vom Rotary Club Radebeul initiierte Künstlerbox soll dem ein ganz kleines Stück entgegenwirken. Ach ja – die Künstler – „… die Arbeit kommt nicht wieder raus …“ ?Ist dass das Schicksal der Kunst? Ist dass das berühmte „Künstlerpech“?

Kunst ist so alt wie die Menschheit selbst und schon von daher mit modernen Maßstäben nicht zu messen. Wie die Menschheit selbst, ist sie an keinen Zweck gebunden. Wann und wo immer Menschen aufgetreten sind, zeugt Kunst von ihrem Wirken. ?Auf diese Weise kündet Kunst vom Leben selbst. Das Leben aber ist nicht „systemrelevant“, es ist größer als das System, das zu aller erst für den Erhalt des Lebens zu sorgen hat. Oder wozu könnte das System sonst da sein?

So ist die „Box“ auch geeignet, neu oder überhaupt erst einmal darüber nachzudenken, was wir als Gesellschaft mit dem „System“ eigentlich anrichten in der Welt. Mit der Verengung des Blickes auf ökonomische Zweckerfüllung und also auf „Systemrelevanz“ haben wir uns bereits sehr weit von unserer eigentlichen Aufgabe als Menschen entfernt. Das kleine Virus kann uns nun helfen, uns zu uns selbst zurückzuführen. Der sprichwörtliche „Blick über den Tellerrand“ (englisch „out oft the box thinking“) wird zur Überlebensstrategie: Was ist wichtig? Worauf können wir verzichten? Auf Kunst jedenfalls nicht.

Die Box kann dieser Botschaft zu Aufmerksamkeit verhelfen. Geschickt verteilt und verbreitet, kann sie es Künstlern ermöglichen, ihrerseits „out of the box“ zu springen und neue Wirkungsfelder zu erschließen. Vielleicht kommt ja am Ende doch etwas „raus“.

Die Idee der KünstlerKartenBox entstand Ende des Jahres 2019 im Rotary Club Radebeul. Im Sommer 2020 wurden Künstler in und um Radebeul angefragt, ob sie Interesse an einer Präsentation in dieser KünstlerKartenBox haben. 34 Künstlerinnen und Künstler haben sich gemeldet und sind mit einer Faltkarte darin vertreten. Die Teilnahme war kostenfrei.

Je eine Faltkarte enthält neben Daten zum jeweiligen Künstler auch ein ausgewähltes Werk als Postkarte. Für 29 EUR eignet sich die Box somit zum Verschenken und Selberschenken. Insgesamt bietet die KünstlerKartenBox Radebeul einen Einblick in das vielfältige Kunstschaffen unserer Region.

Der Verkaufsstart der Box ist für das 2. Adventswochenende im Rahmen des „Adventszaubers“ auf Schloss Wackerbarth geplant. Dort wird sie auch im Verkaufs-Shop zum Kauf angeboten. Darüber hinaus ist geplant sie z.B. in der Radebeuler Tourist-Information, dem „touristischen Informationspunkt in Radebeul-West“, der Galerie Weitblick, im Shop der Hoflößnitz und der Weinhandlung Andrich anzubieten.

Das Staatsweingut Schloss Wackerbarth unterstützt das Projekt weitergehend: Es bietet u.a. den KünstlerInnen die Möglichkeit der Präsentation eines ihrer Werke, um diese zum Verkauf anzubieten. Eine weitere Ausstellung im 1. Quartal 2021 ist angedacht.

Der Verkaufserlös fließt zu 100% in Kunst- und Kulturprojekte oder kommen direkt Kunstschaffenden zugute. Die Erstauflage der KünstlerKartenBox beträgt 500 Exemplare.

Zur Titelbildserie

Vorangestellt sei ein Dankeschön an die Radebeuler Malerin und Grafikerin Bärbel Kuntsche, welche ihre Grafiken für unsere aktuelle Titelbildserie zur Verfügung stellte. Andererseits hat sie sich wiederum über die positive Resonanz von Lesern und Künstlerkollegen gefreut.

Das Titelbild (Offsetdruck 2001, überarbeitet 2020) der Dezember-Ausgabe zeigt einen ruhenden Engel. Obwohl dieses geflügelte Wesen eindeutig weiblich ist, sagt man noch immer „der Engel“ statt „die Engelin“ und niemanden scheint das zu stören. Erfrischend unbekümmert präsentiert er sich in seiner drallen Nacktheit, ungeachtet der winterlichen Temperaturen. Die weichen Rundungen stehen im Kontrast zu den streng strukturierten Weinhängen im Hintergrund. Es scheint, als wolle er träumend zwischen dem alten und dem neuen Jahr ein wenig innehalten, um für alles Kommende mit frischer Kraft gewappnet zu sein.

Es waren Künstler, die den Engeln eine Gestalt verliehen haben. Sie begegnen uns in Kirchen, auf Friedhöfen und in Museen als musizierende, singende, trauernde, verkündende, lobpreisende, gefallene, strafende oder tröstende Wesen. Die Faszination für Engel ist bis heute ungebrochen und das nicht nur zur Weihnachtszeit. Als Schutzengel verschiedenster Art begleiten sie den Alltag vieler Menschen.

Auch im Schaffen von Bärbel Kuntsche finden sich Engel als Motiv. Fragen nach einer rationalen Erklärung beantwortet die Künstlerin mit einem Lächeln. Dass sich zahlreiche dieser Arbeiten in öffentliche und private Sammlungen befinden, spricht für sich.

Karin (Gerhardt) Baum

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Krüger–Villa, Neue Straße 12

Foto: D. Lohse

Flurstücks-Nr. 69-1, 69-2, Gemarkung Kötzschenbroda

Meine Tochter, eine aufmerksame Vorschau-Leserin, riet mir neulich, mal wieder was zu schreiben, was nicht so nach erhobenem Zeigefinger aussieht – vermutlich dachte sie dabei an meinen Artikel über die bauliche Entwicklung von Niederlößnitz.

Dieser Rat führt mich in direkter Linie zu einer Denkmalbeschreibung in meinem Wohnbereich, zur Krüger-Villa, was ich schon seit ein paar Jahren vor hatte. Für das Treffen mit dem Miteigentümer der Villa, Herrn Dr. Krüger, hatte ich einen kleinen Fragespiegel vorbereitet, darunter die Fragen, wie hängen die Initialen W und H im schmiedeeisernen Tor mit dem Namen Krüger zusammen und auch, warum hatte die gleiche Villa den eigenartigen Namen Berliner Villa?

Nordansicht, vor 1929 Foto: Fam. Krüger

Als ich zur vereinbarten Zeit am Tor klingle, ist der Arzt, der gerade frei hat, bei der Gartenarbeit. Nach freundlicher Begrüßung, möchte ich zuerst durch den Garten gehen, weil es am Nachmittag bald dunkel wird und ich gern noch ein paar Fotos machen möchte. Die weitere Unterhaltung findet in erfrischend ungezwungener Atmosphäre im Salon in der oberen Etage statt. Wir wollen erst mal die Eigentümerfolge mit seiner Hilfe in eine Reihe bringen, dabei werden schon die ersten Fragen beantwortet.

1858 Friedrich Wilhelm Jürgens, Drechslermeister aus Berlin, war der Erbauer und erster Eigentümer, daher Berliner Villa. Der Entwurf wird dem bekannten Architekten Adolf Neumann zugeschrieben.

1862 Erfolgt der Verkauf an Karl Friedrich Rost. Er veranlaßt den Bau der Remise.

1865 Ein neuer Eigentümer, Herr J. T. Stechlich, erscheint im Register.

1886 Erwirbt Frau Johanna Julia Weise das Anwesen.

1891 Kommt es zum Verkauf an Woldemar Herrnsdorf / Rentier und Privatier (ist der Urgroßvater der heutigen Eigentümer), da hin gehören die Buchstaben „W“ und „H“ am Tor. Es erben das Grundstück seine Tochter Johanna und sein Sohn Edwin mit deren Ehepartnern Rudolf Krüger (Landgerichtsdirektor) und Charlotte Herrnsdorf, geb. Krüger. (Rudolf Krüger ist der Großvater der heutigen Eigentümer).

Südansicht, 1968 Foto: H. Sparbert

1944 Erfolgt eine Erbteilung der Radebeuler Villa und anderer Immobilien
außerhalb Radebeuls. Ab da ist die Villa Eigentum von Horst-Rudolf Krüger
/ Arzt (Vater der heutigen Eigentümer) und Ursula Krüger.

1993 Werden Bettina Röder, geb. Krüger / Journalistin in Berlin und Rolf-Achim Krüger / Arzt die Eigentümer von Grundstück und Villa.

Bei der Eigentümerfolge lohnt es sich, die Zeit unter Woldemar Herrnsdorf etwas näher zu betrachten, in der das Grundstück, eine frühere Kötzschenbrodaer Feldflur, fast doppelt so groß war und im Süden bis an die Eisenbahntrasse reichte. Der Privatier mußte gute Verbindungen gehabt haben, heute würde man es als gut vernetzt bezeichnen, denn es genügte ein Anruf am Vortag zur Bahndirektion, wenn er die Absicht hatte mit dem Zug zu fahren. Dann hielt der Personenzug für Herrn Herrnsdorf kurz an seinem Grundstück auf freier Strecke – heute unvorstellbar! Später in seiner Aera wurde die heutige Bernhard-Voss-Straße vollendet und sein Grundstück zergliedert, es hat aber immer noch eine stattliche Größe. Das Grundstück teilte sich früher in einen an die Meißner Straße angrenzenden Park auf der Nordseite, einen Hofbereich in der Mitte und einen Obst- und Gemüsegarten im Süden bis zur Bernhard-Voss-Straße. Das änderte sich erst, als der Arzt Dr. Rolf-Achim Krüger 1993 die Absicht hatte, im südlichen Teil des Grundstücks einen Neubau für seine Praxis zu errichten. Dadurch wurde ein Teil des Gartens aufgegeben.

Südseite, Blick vom Tor, 2020 Foto: D. Lohse

Lange Zeit wurde die Villa, wie das üblich war, nur von einer Familie bewohnt. Nach 1945 jedoch fanden in einer Übergangszeit vier Familien (Ausgebombte, Umsiedler) Unterkunft.

Heute wohnt außer Familie Krüger hier noch eine Familie zur Miete.

Für die Villa liegt ein erster Entwurf aus dem Jahr 1858 mit einem flachen Walmdach vor. Die heutige, zweigeschossige Villa ist vierseitig abgewalmt und hat einen Flachdachbereich. Die Proportionen mit 7 x 3 Fenster- bzw. Türachsen sind ausgewogen, der Entwurf im Stil des Spätklassizismus entspricht der Dresdner Nicolai-Schule. Beide Längsseiten haben mittig einen dreiachsigen Risalit, der jeweils durch ein flaches Giebeldreieck abgeschlossen wird. Alle vier Fassaden sind gestalterisch gleich behandelt und haben horizontale und vertikale Gliederungselemente; zu den horizontalen zählen außer den leicht auskragenden Fensterverdachungen das Traufgesims, ein umlaufendes Putzband (Höhe Fensterbank OG), ein kräftiges Gesimsband (Höhe Geschoßdecke) und ein Sockelgesims, vertikale Putzquaderungen markieren die Haus-, bzw. Risalitecken, ebenfalls vertikale Gestaltungselemente sind die stehenden Fensteröffnungen. Die massiven Außenwände (wohl Naturstein und Mauerwerk) tragen seit der Bauzeit Glattputz. Die Fassaden haben, entsprechend der klassizistischen Villa, eine helle, zurückhaltende Farbigkeit, der Fond ein sehr helles Ocker, die Gliederungselemente ein helles Steingrau. Das Dach war und ist mit Schiefer gedeckt. Die oben dargestellte Dachform wird durch zwei Gaupen auf der Ostseite (hier dürften sich Zimmer für Hauspersonal befunden haben) und wenige Dachliegefenster aus jüngster Zeit ergänzt. Die Schornsteine stehen im Flachdachbereich und tragen keramische Rauchrohre, eine Gestaltung, die an englische Landhäuser erinnert und in Radebeul selten geworden ist.

Loggia und Balkon, Nordseite, 2020 Foto: D. Lohse

Während der kleine Altan auf der Hofseite von Anfang an besteht, erfolgen 1891 neben einem Umbau des Walmdachs an der Nordseite der Anbau einer Terrasse und eines großen Balkons. Auf der Hofseite entsteht ein Eingangspodest unter dem Altan. Dabei lehnt man sich außer der Farbgebung (die Villa wird grün gestrichen) gestalterisch an den Ursprungsbau an. Einen Unterschied erkennt man auch an der Gestaltung der Eisengeländer, das ältere ist schlichter. Das Haus ist voll unterkellert und die Kellerwände ragen etwa zur Hälfte über das Gelände. Dadurch sind zumindest die Kellerräume der Südseite gut nutzbar – da waren die Küche (mit Lastenaufzug) und der Aufenthalt für den Kutscher (zZ. von Herrnsdorf hieß der Kutscher Tamm, fuhr die Herrschaft zunächst mit Kutsche und zwei Pferden und später mit dem ersten Auto von Kötzschenbroda). Lange Zeit gab es keine Bäder auf den Etagen, da mußte man das Bad im Keller nutzen. Einen Weinkeller dürfen wir im ursprünglichen Keller auch vermuten. Die innere Ausstattung enthält außer der großzügig gewendelten Steintreppe noch einige Originalteile, deren Aufzählung diesen Rahmen sprengen würde. Es existieren noch zwei Kachelöfen aus der Entstehungszeit, die aber bei meinem Besuch leider nicht zugänglich waren.

Während unseres Gesprächs zeigte mir Dr. Krüger eine ältere Postkarte mit der Straßenansicht der Villa, wohl von 1929, die Ansicht erscheint auf den ersten Blick unverändert zu heute. Beim zweiten Blick allerdings offenbaren sich jedoch ein paar Veränderungen: heute fehlen die Dachreling, ein niedriges, oberes Geländer, ebenfalls ein Akanthusblatt (wohl Sandstein) und zwei Vasen (möglicherweise Zink) am Giebeldreieck, Jalousien mit Schabracken an allen Fenstern, Schmuckelemente auf der Balkonbrüstung und die beiden Postamente mit Vasen im Park sind inzwischen andere. 1962/63 erfolgte eine umfangreiche Sanierung des Hauses, bei der die Fassade unter Beratung von Architekt Dr. Bernhard Klemm, Dresden, wieder dem Originalzustand angenähert wurde.

Zur Remise, einem 1862 errichten Zweckbau, ist zu sagen, daß ursprünglich eine Kutsche, zwei Pferde und eine Waschküche zu ebener Erde und darüber ein Stauraum für Heu mit Lukarne und eine Kammer für den Pferdeburschen untergebracht waren. Da hat sich über die Jahre etwas geändert, heute sind hier zwei Garagen und darüber eine kleine Ferienwohnung für gelegentliche Aufenthalte für die Familie Röder.

Teil der Einfahrt mit südlicher Torsäule, 2020 Foto: D. Lohse

Der Praxisneubau wurde 1993 projektseitig von Architekt Bernd betreut und ist maßvoll modern, so daß hier insgesamt ein harmonisches Gebäudeensemble aus verschiedenen Bauzeiten entstanden ist.

Natürlich muß ich auch noch auf den Park und den Hof eingehen. Der Park in den Formen von 1858 ist das logische Zubehör zu einer Villa des 19. Jh. und wurde über die Jahre immer so beibehalten. Der Hof hat eine funktionelle Notwendigkeit und der Garten stellte früher die teilweise Selbstversorgung sicher. Das Rasenparterre bildet mit einem Springbrunnen und den zwei Vasen die Mitte, axiale Wege führen durch den kleinen Park. Verschiedene Bäume, darunter auch Exoten, stehen in lockerer Gruppierung an den Rändern, u.a. Nadelbäume, mehrere Linden, eine Rotbuche, eine stattliche Magnolie sowie ein Ginkgo nahe der Einfahrt. Das einladende Tor an der Neuen Straße besteht aus, zwei kräftigen Sandsteinpfeilern mit obeliskartigen Aufsätzen und schmiedeeisernen Flügeln, darin die o.g. Buchstaben W und H. Da die straßenseitige Einfriedung aus wechselnden Abschnitten von Sandsteinmauern und aufwändigen Eisenzäunen ein paar Einblicke gestattet, kann man sich als Vorübergehender das ganze Jahr über an dem schönen Park erfreuen – an der Magnolienblüte, dem Plätschern des Brunnens, der Laubfärbung oder einem Hauch von Raureif. Im Hof erkennen wir einen Geräteschuppen, eine Reihe von Linden, die früher auf Kopf gesetzt waren, sowie einen Brunnen mit Schwengelpumpe.

Wir finden hier ein Beispiel, wo das gesamte Anwesen über mehrere Generationen, auch in schweren Zeiten, erhalten und gepflegt wurde und höchsten denkmalpflegerischen Ansprüchen gerecht wird. Ich danke Herrn Dr. Krüger für ein gutes Gespräch und Unterstützung meiner Recherche.

Dietrich Lohse

Literaturhinweis:
Denkmaltopografie der BRD / Sachsen / Stadt Radebeul, Volker Helas u. Autorenkollektiv, Sax-Verlag, 2007

Lößnitzstadt Radebeul, Gottfried Thiele, Radebeuler Edition, wohl 2003

Abschied, Trauer und Dankbarkeit

Zum Tod von Matthias Henkel

Pressefoto Landesbühnen Sachsen

Seit 1994 schreibe ich in „Vorschau & Rückblick“ über Schauspielpremieren an den Landesbühnen Sachsen. Nicht alle konnte ich seither wahrnehmen – dazu waren es viel zu viele; nicht jede hat mich interessiert – dafür war die thematische Breite zu groß, aber ich übertreibe nicht wenn ich sage, dass ich in den mehr als 25 Jahren aufmerksamer Begleitung eine intensive Beziehung zum Haus an sich und zu den Schauspielern im Speziellen aufgebaut habe. Die allermeisten von ihnen wissen das gar nicht, aber das ist kein Problem für mich. Ganz im Gegenteil: So konnte und kann noch immer meine Bewunderung im Stillen wachsen, konnte und kann diese einseitige Beziehung von mir als Zuschauer zu einzelnen Akteuren reifen und sich in der anonymen Begegnung zwischen dunklem Saal und heller Bühne ausformen. Unter all den Schauspielerinnen und Schauspielern, die ich im Laufe der Zeit kommen, bleiben aber vielfach auch gehen sah, ist Matthias Henkel einer derjenigen gewesen, dessen Auftritte ich immer besonders genoss. Er war schon da, als meine Theaterleidenschaft als junger Erwachsener erwachte. Eine meiner allerersten Begegnungen mit ihm hatte ich im November 1994 in seiner Rolle als Biff in Arthur Millers „Tod eines Handlungsreisenden“. Ich habe ihn noch immer vor Augen und in den Ohren, in dieser für ihn so typischen melancholischen Gebrochenheit, die eine Verletzbarkeit unter der mannhaften Oberfläche erfahrbar machte. Aber Henkel konnte natürlich auch ganz anders in seinen großen Rollen, so etwa als Draufgänger (Karl Mohr in Schillers „Räuber“), Zweifler (Hamlet) oder jugendlicher Naivling (Michael Kuppisch in „Sonnenallee“). Im März 2018 agierte Henkel – damals im 30. Jahr an den Landesbühnen und damit schon fast der Doyen unter den Akteuren – als König Theseus in der umjubelten Premiere von Shakespeares „Sommernachtstraum“ und überließ die stürmischen Rollen längst den jüngeren Kollegen. Es war eine seiner letzten Partien. Vor fast genau 14 Jahren wurde Henkel als Salieri in Peter Shaffers Erfolgsstück „Amadeus“ besetzt. In meiner Besprechung schrieb ich im Heft 12/2006: „Henkels Leistung verdient nicht nur wegen des enormen Textumfangs großen Respekt, sondern vor allem auch, weil er trotz sehr beanspruchter Stimme die Aufführung fabelhaft zu Ende brachte.“ Ja, Henkel war ein Profi durch und durch, aber er musste auch kämpfen, vor allem in den letzten Jahren, als seine Konstitution unter dem Einfluss einer hartnäckigen Krankheit litt. Deswegen war er seit vielen Monaten, auch schon vor Corona, nicht mehr auf der Bühne zu sehen gewesen, machten sich seine Fans schon Sorgen. Sie waren nicht unbegründet. Am 15. November verstarb Matthias Henkel in Dresden. Für die Landesühnen ist das ein großer Verlust an künstlerischer Kraft, dem Publikum ist ein Sympathieträger genommen. Es bleibt zurück in Trauer, aber in Dankbarkeit über viele beglückende Theaterabende.

Bertram Kazmirowski

Gemeinschaft trotz Abstand

42. Radebeuler Grafikmarkt in Zeiten von Corona

Wenn dieser Beitrag erscheint, befinden wir uns bereits zum zweiten Mal im Zustand der verstärkten kulturellen und sozialen Abstinenz. Museen, Kinos, Theater, Gaststätten, Konzert-, Vereins- und Kulturhäuser wurden geschlossen, Veranstaltungen abgesagt oder bis auf Weiteres verschoben.

Dass der 42. Radebeuler Grafikmarkt vom 31.10. bis 1.11.2020, dem letzten Wochenende vor dem „Teil-Lockdown“, in der Elbsporthalle Radebeul-West stattfinden konnte, war mehr oder weniger Glück. Doch vom Grafikmarkt, wie wir ihn bisher kannten, unterschied sich dieser erheblich. Waren die Veranstalter in Vor-Corona-Zeiten immer sehr stolz auf die hohen Besucherzahlen, so versuchte man nun alles, um diese möglichst niedrig zu halten. Die Öffentlichkeitsarbeit wurde auf das Notwendigste beschränkt. Die Erarbeitung von Hygienekonzepten hingegen kostete sehr viel Zeit. Bis zuletzt war man sich nicht sicher, ob diese Großveranstaltung würde stattfinden können.

Allerdings sei in diesem Zusammenhang daran erinnert, dass es immer wieder in der langen Geschichte des Radebeuler Grafikmarktes Situationen gab, wo dessen lückenlose Folge ernsthaft in Frage gestellt wurde. Das war z.B. 1990 durch die Auflösung der bisherigen Organisationsstrukturen (VUR 1990/12 „Grafikmarkt – nur noch eine Legende?“) und 2015 durch die brandschutzertüchtigende Umgestaltung der traditionellen Veranstaltungsräume (VUR 2015/10 „Der 37. Radebeuler Grafikmarkt zieht um von Ost nach West“) der Fall.

Das diesjährige Grafikmarktgeschehen konnte die Redaktion von „Vorschau und Rückblick“ aus unmittelbarer Nähe erleben. An beiden Tagen waren wir mit einem eigenen Stand vor Ort. Die Atmosphäre schien verständlicherweise ein wenig gedämpft. Einerseits freute man sich, dass der Grafikmarkt in Radebeul noch möglich war, andererseits lag über allem etwas Wehmut, wusste doch niemand, wie es danach weitergehen würde. Bei einem Großteil der freischaffenden Künstler ist die finanzielle Decke mehr als dünn. Das zweite Standbein, in Form von oftmals geringfügig vergüteten Tätigkeiten, brach für Viele ebenfalls weg.

Hatten sich in anderen Jahren bereits vor der Eröffnung des Grafikmarktes immer lange Schlangen gebildet, wartete diesmal nur eine Handvoll Interessierter unter Regenschirmen. Doch von Stunde zu Stunde trafen immer mehr Menschen ein. Trotzdem wirkte das Publikum in der 900 qm großen Elbsporthalle etwas verloren. Die Anzahl der Stände war deutlich reduziert. Auch sagten einige der angemeldeten Künstler kurzfristig ab.

Kamen in den Vorjahren an einem Tag in 8 Stunden ca. 4.000 Besucher, so wurden nun an zwei Tagen in 14 Stunden 887 Besucher gezählt. Es war nahezu paradox: Obwohl sich weniger Künstler präsentierten, wurden wesentlich mehr Helfer benötigt. Zusätzlich galt es die Besucher am Ein- und am Ausgang gewissenhaft zu zählen, denn es durften sich nicht mehr als 120 Besucher gleichzeitig in der Halle aufhalten. Außerdem war akribisch auf die Einhaltung aller Hygienevorschriften zu achten.

Die organisatorischen Fäden liefen beim zweiköpfigen Team der Stadtgalerie, Alexander Lange und Magdalena Piper, zusammen – erstmals auch unter Ober-Regie der neuen Kulturamtsleiterin Dr. Gabriele Lorenz. Spontan hatten sich viele ehrenamtliche Helfer gemeldet. Kollegen aus der Stadtverwaltung zeigten sich ämterübergreifend solidarisch. Kunstfreunde und Künstler halfen darüber hinaus beim Auf- und Abbau mit. Einige technische Neuerungen trugen zur Arbeitserleichterung bei. Dass es diesmal während des Grafikmarktes kein Gedränge gab, wurde als sehr angenehm empfunden. Die meisten Besucher kamen zielgerichtet, waren kauffreudig und sehr interessiert.

Fotos 1-5 Karin (Gerhardt) Baum

Zweifellos sind Grafikmärkte ganz besondere Märkte, bei denen – wie es der Name „Grafikmarkt“ besagt – das breite Spektrum der künstlerischen Druckgrafik im Mittelpunkt steht. Eine besondere Würdigung erfuhr dieses Genre im Jahr 2018 durch dessen Aufnahme in das Bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes.

Insgesamt hatten sich an zwei Tagen ca. 80 Künstler (je 40 Künstler im alphabetisch geordneten Wechsel) aus Radebeul, Dresden sowie der näheren und ferneren Umgebung mit ihren Werken präsentiert. Zum Verkauf wurden neben Grafiken auch Aquarelle, Collagen, Scherenschnitte, Fotografien, Künstlerbücher, Kalender, Karten u.v.m. angeboten. Unter den Teilnehmern befand sich in diesem Jahr der Fotograf Michael Lange aus Quoren, dessen Fotokalender von hiesigen Sammlern, als auch in Japan sehr geschätzt werden. Vertreten waren ebenso die Radebeuler Maler und Grafiker Markus Retzlaff und André Uhlig, bei denen man übrigens auch Kurse buchen kann, um verschiedene grafische Techniken einmal selbst auszuprobieren. Heiterkeit und Zuversicht strahlen die Cartoons des Radebeuler Karikaturisten Lutz Richter aus. Auch die einstige Mitbegründerin des Radebeuler Grafikmarktes, die 94-jährige Malerin und Grafikerin Lieselotte Poser, ließ es sich nicht nehmen, ihren Stand persönlich zu betreuen. Zusätzlich wurden Arbeiten aus den Nachlässen bereits verstorbener Künstler angeboten. Das diesjährige Grafikmarktplakat hatte der Freiberger Maler und Grafiker Holger Koch entworfen. Zu sehen sind darauf viele putzmuntere Vögel, die die fröhliche Botschaft verbreiten: Der Grafikmarkt lebt!

Wie gesagt, der Radebeuler Grafikmarkt ist für die Region ein wichtiger kultureller Höhepunkt, wo Kontakte geknüpft werden können, wo man sich zum Schauen, Plaudern, Fachsimpeln, Kaufen und Verweilen trifft.

Allen, die zum Gelingen des diesjährigen Grafikmarktes beigetragen haben, sei an dieser Stelle gedankt. Was allerdings die digitale Präsens des Radebeuler Grafikmarktes anbelangt, sollte man sich u. a. an der vorbildlichen Homepage des Dresdner Grafikmarktes orientieren. Was einem kleinen Dresdner Verein gelingt, müsste doch erst recht für eine Große Kreisstadt möglich sein.

Bleibt zu hoffen, dass der 43. Radebeuler Grafikmarkt im nächsten Jahr wieder mit Schaudrucken, Mal-Ecke, Künstlercafé und all seinen spezifischen Besonderheiten vollumfänglich stattfinden kann.

Karin (Gerhardt) Baum

Grußwort von Wenzel

Foto: S. Graedtke

Liebe Vorausschauende und Zurückblickende!

Gerne wäre ich heute an Eurem dreißigsten Geburtstag bei Euch. Ich feiere für mein Leben gern dreißigste Geburtstage. Meiner liegt leider schon eine Weile zurück. Es erfreut mich, wenn ich auf intelligente Dreißigjährige treffe oder, wie in diesem Fall, zumindest eingeladen werde zu ihrer Feier und also im Geiste dabei sein kann.

Es ist schön, dass es in diesen Zeiten, wo so viel gebrüllt und behauptet wird, kleine Vereine gibt, die eine sanfte Kultur am Leben erhalten und beleben. Schön, dass ich mit einigen meiner Texte dabei behilflich sein konnte.

Ich erhebe mein Glas Wein (natürlich aus Eurer Region!!!) auf Euch und leere es (in diesem Falle leider nur symbolisch) mit den besten Wünschen für die nächste Zeit. Haltet durch, ruft

WENZEL

Geburtstagsrede der Vereinsvorsitzenden zum 30.

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Herr Wendsche, sehr geehrte Amtsleiterin für Kultur und Tourismus, Frau Lorenz, liebe Förderer des Radebeuler Monatsheftes „Vorschau & Rückblick“, liebe Mitglieder dieses Vereins, einschließlich der Redaktionsmitglieder, lieber Chefredakteur Sascha Graedtke, liebe Antje Herrmann, lieber Gastgeber Frank Andert,

was für ein Jahr! Na, wir feiern unseren 30. Geburtstag, genauso wie die Macher der Herbst-und Weinfeste oder die Familieninitiative, um nur zwei zu nenen. Das diese Feierlichkeiten stattfinden konnten, ist engagierten Menschen, vorwiegend aus der schönen Stadt Radebeul, zu verdanken. Menschen, die nicht müde werden, fast täglich ihre Kraft, ihre Ideen, ihren Elan einzusetzen, in Radebeul und Umgebung

Einmaliges Dauerhaftes zu schaffen. Ich denke, sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, darüber können Sie und wir uns sehr freuen!

Und wir freuen uns heute darüber, dass wir bei der Stiftung Hoflößnitz zu Gast sein dürfen. Vielen Dank dafür! Mein Dank geht heute natürlich auch an alle, die sich, in welcher Form auch immer, am Entstehen und Bestehen von „Vorschau & Rückblick beteiligen. Das sind einmal das Redaktionskollegium mit Sascha Graedtke an der Spitze, das sind die zahlreichen anderen Redakteure, die durch ihre Beiträge das Heft bereichern, das sind die über 70 Mitglieder, die durch ihre Mitgliedsbeiträge die Herstellung des Heftes ermöglichen. Das sind die zahlreichen Annoncengeber, durch deren Geld das Layout und der Druck realisiert werden kann. Manche von ihnen sind treu fast vom ersten Heft an.

Last, but not least, die Stadt Radebeul, die uns von Anfang an mit Fördermitteln unterstützt.

Und wir können uns in diesem Jahr über ein ganz besonderes Geschenk freuen: Hanna Kazmirowski, die Tochter unseres verdienstvollen Vorstands- und Redaktionsmitgliedes Bertram Kazmirowski, hat sich in einer Dokumentation im Rahmen ihrer Abiturprüfung am Romain-Rolland-Gymnasiums unserem Monatsheft gewidmet. Mit dem Titel: „Vom Kampf um die Freiheit des Wortes: Eine Radebeuler Monatszeitschrift im Kontext gesellschaftlicher Umbrüche zwischen 1954 – 1963 und 1989 – 1993“ ging sie Entstehen und Niedergang und Auferstehung, wie „Phönix aus der Asche“, um mal das letzte Motto des Herbstfestes zu gebrauchen, für „Vorschau & Rückblick“ auf den Grund. Die vorliegende Arbeit von 84 Seiten zeigt uns einmal, dass wir uns über unser Durchhaltevermögen trotz Widrigkeiten in den Anfangsjahren, über die 30 freuen können, aber dass wir uns auch darüber freuen können, zu welchen Leistungen junge Menschen, hier Hanna, in der Lage sind, wenn sie sich für etwas interessieren.

Toll und danke Hanna!

Nun komme ich nochmal zu unserem Redaktionskollegium: Ein großer Teil unseres Teams schreibt ja mehr oder weniger seit unserem 1. Heft im Mai 1990. Aber keiner von uns hat so viele Beitrage geliefert, wie unser Wolfgang Zimmermann, genannt WOZI. Aus gesundheitlichen Gründen hat Wolfgang nun unsere Redaktion verlassen. Über eine Würdigung seiner Mitarbeit haben wir uns Gedanken gemacht und nun überreichen wir Dir, lieber Wolfgang, die Ehrenurkunde zur Ehrenmitgliedschaft im Redaktionskollegium. Ulrike, als Fachfrau, hat sie handgefertigt.

Mit dieser Würdigung beende ich meine kleine Rede und bitte Sie, auf unsere aller Wohl und Gesundheit mit mir anzustoßen. Zum Wohl!

Ich übergebe das Wort an den Oberbürgermeister.

Ilona Rau

Laudatio

Dreißig Jahre „Vorschau und Rückblick“

Die schlechte Nachricht zuerst: Wir sind alle dreißig Jahre älter geworden. Das berühmte Jahr 2000, von dem ich noch im Schulaufsatz aufschreiben mußte, wie ich es mir irgendwann einmal vorstelle, liegt weit zurück. Leider finde ich den Aufsatz nicht mehr – es würde sich lohnen, mal nachzufragen, wer seinen noch hat. Es sah nämlich ganz anders aus, als die Propheten des real existierenden Sozialismus es uns hatten voraussehen lassen.

Und nun die gute Nachricht: Vorschau und Rückblick gibt es immer noch!

Wie wir uns im Fünfjahresrhythmus gegenseitig versicherten, hätten wir nie geglaubt, einmal bis hier her zu kommen. Und nu simmer da.

Was ich besonders schön finde: Das Heft wird gelesen. Es wird von unseren Menschen – wie wir früher gesagt hätten – dankbar angenommen.

Zum 20. Geburtstag hatte ich die Idee, das Heft und seine Leser ein ganzes Jahr lang mit „Radebeuler Miniaturen“ zu beglücken. Nun sind zehn Jahre draus geworden, und ich frage mich manchmal – ja, ich frage mich manchmal, was ich hier eigentlich mache. Aber dann werde ich auf der Straße angesprochen, wie schön das immer ist, und dann erträgt es Anna kaum noch, immer mit Sonja verwechselt zu werden. Dankbar hat sie nun zur Kenntnis genommen, daß ich Susanna ins Spiel gebracht habe, eine Figur wahrhaft biblischer Größe, die unverwechselbar bleibt.

Das sind so Rückmeldungen, die die Hoffnung wachsen lassen, daß irgendwann der Fünfzigste gefeiert werden wird. (Dann aber sicher ohne Miniaturen…).

Auf das Stichwort Hoffnung komme ich noch mal zurück.

Natürlich weiß ich auch, daß sich der eine oder die andere nach Veränderungen sehnt, nach Neuerungen, Loslösung vom Hergebrachten, denn, wie es so schön hieß und immer noch heißt, wer aufhört voran zu gehen, bleibt zurück. Ich bin da eher vorsichtig: Das Land, in dem ich die immer noch größere Hälfte meines Lebens verbracht habe, hatte den Fortschritt für sich gepachtet. Von daher war mir das Wort schon immer verdächtig. Der Fortschritt war sozusagen genauso vereinnahmt, wie heute bei BMW die Vorfahrt eingebaut ist: Gibt es ab Werk gratis dazu, gegen Aufpreis natürlich. Aufpreis gabs früher auch nicht, als das Vierpfundbrot noch 1,04 Mark kostete und also an die Schweine verfüttert werden konnte.

Fotos 1-5 Karin (Gerhardt) Baum

Aber ich schweife ab.
Lieber komme ich auf die Hoffnung zurück:

Am Weinherbst-Sonntag hatte ich in Radebeul Ost das nicht geringe Vergnügen, mit einer lieben Freundin eine Reise auf dem hand- und vor allem beinbetriebenen Theater-Karussell unternehmen zu können. Der Chef hatte alle Hände und vor allem alle Stimmbänder voll zu tun, stets alle Plätze zu besetzen. Aus sicherem Abstand rief ein Herr die übliche Ausrede herüber: Wir kommen später noch mal.

Na, dann ist ja noch Hoffnung, rief der Maestro zurück, wir Künstler leben nämlich von Hoffnung.

Mancher mag bittere Schokolade, das waren mindestens 85%.

Ich denke, Vorschau und Rückblick ist als Kulturerscheinung auch ein gutes Stück auf Hoffnung gegründet. Zuerst war es die jubelnde Hoffnung des Aufbruchs im 89er Herbst. Später war es nur noch die Hoffnung, das nächste Heft pünktlich an die Leserin zu bringen. Nun bewegt uns die Hoffnung, junge Leute bewegen zu können, das weiterzuführen, was vor dreißig Jahren so hoffnungsfroh begann – denn, siehe oben, wir sind alle dreißig Jahre älter geworden.

Zur Nachwuchsgewinnung wird es darauf ankommen, die Jüngeren in ähnlicher Weise zu begeistern, wie uns der hoffnungsvolle Aufbruch begeistert hat. Das wird natürlich zunehmend schwieriger. Vor Jahren schon stellte mich der damalige Getränkehändler meines Vertrauens vor die Frage: bezahlen die wenigstens ordentlich?! Ich konnte ihn dahingehend beruhigen, daß das Geld seines Inserates jedenfalls nicht in meiner Tasche landete.

Schließlich wird Vorschau und Rückblick ausnahmslos ehrenamtlich erstellt, aus Begeisterung eben. Es gilt, den jungen Leuten klarzumachen, daß gerade darin der besondere Reiz liegt. Mehr noch, möglicherweise birgt dieser Umstand sogar etwas Subversives, eine Art Gegenentwurf zum neoliberalen Manchester-Kapitalismus marxscher Prägung. Solche Beispiele gibt es ja auch anderwärts schon: Ich denke da z.B. an Repair-Cafés, wo Dinge repariert werden, die nach Ablauf der Garantiezeit pünktlich und planmäßig den Geist aufgeben, die Hufe hochklappen und eigentlich gar nicht repariert werden dürfen. Es doch zu tun, schadet dem ökonomischen System, nützt aber dem natürlichen, und macht vor allem Freude.

Freude macht Vorschau und Rückblick auch.

Freude kommt auf beim Fabulieren, wenn Susanna ausm Bade steigt, aufrecht stolz und schön, Freude, wenn Sonja beim Frühstück sitzt. Freude macht es, die Hefte ausm Kasten zu nehmen und zu lesen – und das nicht nur, wenn sich Dietrich Lohse um die Niederlößnitz sorgt oder Karin Baum um die Kinos.

Und irgendwie ist Freude ja auch subversiv: Sie kostet nichts, bringt nichts ein und macht das Leben dennoch leichter. Nicht umsonst hat Schiller die Freude zur Tochter aus Elysium erklärt.

Eine besondere und in diesen Tagen beinahe unerwartete Freude ist es mir zu sehen, wie fröhlich wir den 30. Geburtstag, wenn auch verspätet, begehen. Ich sage bewußt begehen, denn feiern gehört sich nicht in dieser Zeit. Auf Feiern lauert das Virus.

Es wird immer wieder die Hoffnung geäußert, das Virus könnte uns nicht nur am Kneipengang hindern (was sein Zweck weder ist noch sein darf), sondern zum Nachdenken darüber anregen, ob permanentes Wachstum wirklich nötig, sinnvoll und vor allem möglich ist.

Wir alle sind, ich sags jetzt zum dritten und letzten Mal, dreißig Jahre älter geworden. Wir wissen, es gibt ein Leben nach dem Wachstum: wir haben es erlebt. Einige von uns werden sogar schon wieder kleiner. Leben sie deshalb weniger?

Vorschau und Rückblick – unser Heft – hält sich konstant bei 32 Seiten. Bei einem angestrebten Wachstum von nur 3% müßten es, grob gerechnet, inzwischen 70 Seiten sein. Könnten wir die füllen? Lohnt es sich überhaupt, darüber nachzudenken?

Ich denke, Nein!

Wir begehen das Bestehen. Dreißig Jahre muß uns einer erst mal nachmachen! Und wir können, wie der heutige Abend zeigt, auch ohne Wachstum glücklich sein.

Darauf laßt uns anstoßen, bevor das Alkoholverbot in Kraft tritt!

Thomas Gerlach

Klaus Liebscher zum 80. Geburtstag

Foto: B. Schade

Klangteppich, Toncluster, Klangstruktur, Klangfarbe, Tonfarbe-Farbton, Farbcluster, Farbspiel, wie sich die Wortschätze der Musik- und Kunstrezensionisten doch ähneln! Für den Radebeuler Klaus Liebscher gehören Malerei und Musik zusammen. Ja, sie bedingen einander. Er liebt den Klarinettisten Louis Sclavis oder den Modern Jazz-Saxophonisten Charles Lloyd. Wie in der Musik, so in der Malerei: Es kann nicht abstrakt genug sein. Ein Vorbild in der Kunst ist der US-amerikanische Abstrakte niederländischer Herkunft Willem de Kooning. War das nicht der Erfinder des Action Painting? Mag er Paul Klee? Aber sicher, sagt Liebscher! Intellekt und Emotion, die waren bei Klee im Gleichgewicht. Er mag den Russen Wassily Kandinsky, den Spanier bzw. Katalanen Antoni Tapies, den Deutschen Emil Schumacher und nicht zuletzt den Amerikaner Sam Francis. Das war doch der, der Farben in Rinnsalen malte.

Bevor Liebscher im von der Wismut nach dem Krieg schwer devastierten Niederpöbel bei Schmiedeberg im Erzgebirge zu Malen anfing, spielte er Klavier. Bis zu den Nocturnes von Chopin hat er es gebracht. Doch bereits vor Jahren hat er das Klavierspiel aufgegeben. Nicht, weil er keine Zeit mehr gehabt hätte. Nein, zu eindeutig ist das Ergebnis, wenn Tasten angeschlagen werden. Heute liebt er Rock und Blues, ganz besonders den avantgardistischen Freejazz. Malerei wie Musik müssen sich aus der Situation, aus dem Spiel entwickeln können. Deshalb diese Vorliebe für die Klänge der indischen Sitar mit ihren modalen Skalen, die weder Dur noch Moll kennen und den Kammerton a schon gar nicht. Ganz besonders liebt Liebscher die Slidegitarristen, die mit dem Bottleneck auf Klangsuche gehen.

Etliche, bereits vielfarbig tönende Blätter Zeichenpapier und Malkreiden auf dem Tisch und vom CD-Spieler Freejazz-Improvisationen, so sieht Liebschers Lieblingsaufenthalt im Unfertigen aus. Das Arbeitszimmer gibt ein beredtes Zeugnis ab. Ein Griff und schon geht die Sucherei los. Deshalb arbeitet er auch nicht im Arbeits- sondern im Wohnzimmer, zum Leidwesen seiner Lebensgefährtin, die den Besucher bereits an der Haustür warnt, er würde gleich die „Vorhölle“ betreten. Überall liegen Stapel von Zeichnungen und Bildern herum. Warum sind so wenige gerahmt? Weil sie alle noch nicht fertig sind. Es sind sicher einige Hundert. Stets hat Liebscher mehrere davon auf dem Tisch in der „Mache“. Doch beim Aktuellen fließt die Inspiration trotz Musik nicht. Also blättert er in seinem Stapel, entdeckt ein anderes Bild und plötzlich weiß er, was diesem fehlt: Ein knalliges Orange oben links und in der Mitte ein paar kräftige Striche in Blau. Wie mag da erst der Neubeginn auf einem bedrohlich weißen Papier sein? Gar nicht schwer, sagt Liebscher. Strich, Punkt, Linie. Der Rest ergibt sich. Irgendwie. Irgendwann.

Foto: B. Schade

Klaus Liebscher kann sich die langwierige Suche nach dem Optimum leisten. Er ist quasi Rentner, allerdings fast schon wieder einer von der Sorte „keine Zeit, keine Zeit“. Außerdem war er schon mal fertig. Akademischer Maler und Malsaalvorstand! Auftragswerke von 12 mal 20 Metern. Märchenlandschaften, Dramenhintergründe. Plastische Arbeiten gehörten ebenfalls dazu: Schwäne aus Butterbrotpapier und Gips. Spachtel und Pinsel konnten nicht groß genug sein – Arbeit im Akkord, vor Premieren bis kurz vor Aufzug des Eisernen Vorhangs. Im Kreistheater Annaberg war das, 1951. Doch nach einem Dutzend Vorstellungen wurden die Werke weggeworfen. Nichts für einen Maler, der auf Zeit und Ewigkeit aus ist. Deshalb wählte Liebscher das andere Extrem. Er griff zu Lupe, Skalpell, Pinzette und Spitzpinsel.

In den 70er Jahren beschlossen die Kreiskulturverantwortlichen, dass der vor 200 Jahren geschaffene Johannes Nepomuk-Altar in der ehemaligen Zisterzienser-Abtei Neuzelle bei Eisenhüttenstadt für die Nachwelt zu erhalten sei, mindestens für weitere 200 Jahre. Wer weiß, wann es wieder Geld von der Denkmalpflege gibt! Das war etwas nach dem Geschmack für den zum Restaurator im Verband Bildender Künstler fortgebildeten Maler Klaus Liebscher. Ein 1985 herausgegebener Bildband zum Wiederaufbau der Dresdner Semperoper zeigt auf einer Seite einen rauschbärtigen Glatzkopf mit einer auf die Stirn geschobenen Lupenbrille vor einem rußgeschwärzten Wandbild. Ja, das ist er! Heute erstrahlen die Lünetten der oberen Vestibüle in frischem Glanz und die malerischen Landschaften, Schauplätze berühmter Dramen, erfreuen das lustwandelnde Pausenpublikum. Nur wer nah genug herantritt wird mit geübtem Auge Alt und Neu unterscheiden können. Beim Neuen wurde die Farbe ausschließlich in einer Richtung aufgetragen – eine Reverenz an die Kunst der Alten von 1878 und ein augenzwinkernder Gruß an den zeitgenössischen Fachmann: Siehst du, so macht man das!
Restauratoren müssen Geduld und Ausdauer haben und immun sein gegenüber unbequemen Haltungen, ob auf dem Bauch und oder dem Rücken liegend, sowie gegen Hitze, Kälte, Staub, Hunger und Durst. Denkt man! Bei den Erhaltungsarbeiten am Bünau-Schloss in der Dahlener Heide (es ist leider 1973 abgebrannt), so fanden die Restauratoren heraus, waren beim Bau um 1750 drei verschiedene Sande aus der nahen Heide zu Putzen verarbeitet worden. Diese Sande waren zu suchen und wiederzufinden. Wie? Mit dem Fahrrad natürlich. Quer durch die Heide und wieder zurück. Dabei fanden sich unterwegs auch Beeren, Pilze und gastfreundliche Wirtshäuser am Wegesrand. Was das alles an Arbeitszeit gekostet hat! Aber aus unseren VEB war ja schon immer mehr herauszuholen.

In den Kirchen war zu Beginn jeder Arbeitswoche ein halber Tag Heizen der Sakristei angesagt, wohinein man sich alle paar Stunden zum Aufwärmen flüchtete. Dazu gab es kannenweise heißen Punsch und jeden Tag einen großen Kuchen aus dem Pfarrhaushalt. Das muss dann schon in Ostritz gewesen sein, denn wo gab es in der DDR noch Pfarrersköchinnen? Jedenfalls – umgekommen sind die Restauratoren bei der Arbeit nicht gerade. Daneben betätigten sie sich – Psst! Psst! – als Fremdenführer für die Teilnehmer benachbarter Lehrerseminare, denen Kirchenbesichtigungen neben der Rotlichtbestrahlung strengstens untersagt waren.

Daher kann unserem Freund Klaus Liebscher eine gewisse Härte gegenüber den vier Jahreszeiten auch heute nicht abgesprochen werden. Für die Radebeuler ist der zu jeder Jahreszeit radelnde, jung gebliebene alte Knabe mit dem wettergegerbten Gesicht, der braunen Glatze, dem Rauschebart und den meist kurzen Hosen eine bekannte Erscheinung. Nun, vielleicht doch noch nicht bei allen. Im Friedewald kamen ihm unlängst im Hochsommer zwei etwa sechsjährige Mädchen entgegen. Unschuldig nackt, wie Gott sie schuf, wandelten sie Hand in Hand durch den lichten Wald. Sie erblicken den radelnden Mann in seiner luftigen Tracht und eine empörte sich in breitestem Sächsisch: „Ganz schön nack’sch!“

»action-painting« an den Elbwiesen Foto: B. Schade

Farben in Rinnsalen: Gerne zu den treibenden Rhythmen des befreundeten Schlagzeugers Günter „Baby“ Sommer wie bei den Tagen des offenen Ateliers im Sommer 2020 oder auch am Dresdner Elbufer bringt Klaus Liebscher die bunten Farben kübelweise aufs Papier. Da das im Eifer des Gefechts nicht ohne Spritzer abgeht, ist es nicht zuletzt eine Art des „Body-Painting“ – mit sich selbst als Model.

Sein Rauschebart prädestiniert Klaus Liebscher geradezu für die Rolle des Nikolaus. Denn für solche Späße ist er stets gern zu haben. Den Weihnachtsmann spielt er regelmäßig, beispielsweise auf dem Weihnachtsmarkt von Radeburg.

Alles Gute zum 80. wünschen Dir deine Freunde

Burkhard Schade (Fotos) und
Burkhard Zscheischler (Text)

Editorial

Zunächst eine erfreuliche Nachricht in eigener Sache: Unsere Vereinsfeier zum 30. Geburtstag hat, buchstäblich punktgenau, kurz vor weiteren versammlungsfeindlichen Restriktionen stattgefunden! Zwei abgedruckte Reden und eine kleine Auswahl an Bildern lassen auch Sie nochmals an diesem überaus schönen Abend teilhaben.

Es ist in diesem Jahr zum unfreiwilligen Phänomen geworden, dass das planvoll geschriebene Wort hinter den tatsächlichen Ereignissen uneinholbar zurück bleibt.

Daher ist auch an dieser Stelle wieder nahezu unmöglich für die kommenden Wochen einen verlässlichen Ausblick zu geben.

Bildete unser ausführlich gestaltete Kulturteil auf den letzten Seiten, und insbesondere in den Tagen des Advents, eine reiche Quelle an unterschiedlichsten Veranstaltungen, so ist unser Hinweis auf einige Licht bringende Aktivitäten in den Radebeuler Stadtteilen zusammengeschmolzen.

Auf uns wartet nun wohl eine für viele Generationen nie gekannte Weihnachtszeit. Eine Zeit, an der es an so allem fehlt, was gemeinhin als unerschütterlicher Bestandteil von geronnenen Traditionen galt. Kein leibhaftiges Weihnachtsoratorium. Kein Weihnachtsmarkt mit Buden und Zauber. Kein Kinderkarussell. Selbst der Weihnachtsmann wird wohl in Quarantäne bleiben müssen, denn er läuft Gefahr, in diesen Zeiten nur Ungeheuerliches zu verteilen.
Uns bleibt also nur das Beste aus alledem zu machen!

Da es für jedermann nun allerorten an Zerstreuung weitgehend fehlen wird, so erfüllt sich der doch alle Jahre wieder gehegte Wunsch nach einer besinnlichen Weihnachtszeit vielleicht nun wirklich mal.

Sascha Graedtke

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