Sprösslinge Mit Spass

Kunststudenten und Meisterschüler in der Radebeuler Stadtgalerie

„Es war eine der interessantesten Ausstellungseröffnungen, die wir hier bisher erlebt haben…“ schrieb ein Radebeuler Ehepaar ins Besucherbuch.

Noch nie hat man so viele junge Menschen zu einer Ausstellungseröffnung in der Stadtgalerie gesehen. Sie mischten sich mit den Älteren, saßen in Grüppchen auf der Wiese und diskutierten bis spät in die vorsommerlich laue Nacht. Selbst der Rektor der Dresdner Kunsthochschule Matthias Flügge war gekommen und sehr angetan.

Prof. Ralf Kerbach (3.v.l.) mit Kunststudenten beim Ausstellungsaufbau
Bild: K. Baum

Die Gastredner, locker aufgelegt, erhielten viel Beifall. Das Repertoire der Studentenband „Pfürsichkompott“ beinhaltete Freejazzavantgardistisches sowie dadaistische Klangperformationsmomente und liedermacherische Werke.

Ein Gemälde wurde sogar in den Nußbaum gehängt. Die kleinen Flügel am Kopf des Porträtierten spielen auf Hermes an, den Schutzpatron der Gaukler, Diebe und (Kunst)Händler. Mit einer Bierflasche in der einen und einer Zigarette in der anderen Hand, schaut er schelmisch auf das Geschehen im den Hof herab. Ein Banner an der Hauswand sollte mit dem Spruch „Nur der Provinzielle hat Angst vor der Provinz“ provozieren, doch von Berührungsängsten war weit und breit nichts zu spüren.

Der Gedanke, über die Dresdner Hochschule für Bildende Künste (HfBK) auf den künstlerischen Nachwuchs zuzugehen, war nicht neu. Doch wie stellt man das an? Der Umstand, dass Prof. Ralf Kerbach, Jahrgang 1956, an der Dresdner Kunsthochschule Malerei und Grafik lehrt, kam unserer Absicht sehr entgegen. Radebeul ist ihm vertraut. Allerdings sind seine Beziehungen zur Lößnitzstadt sehr ambivalent. Hier besuchte Kerbach die Schule, bezog er sein erstes Atelier, erregte er mit einer Gruppe von Künstlern politisches Aufsehen und hier lernte er Künstler wie Theodor Rosenhauer, Werner Wittig, Claus Weidensdorfer und Gunter Herrmann kennen. Mit Cornelia Schleime und dem Radebeuler Peter PIT Müller präsentierte er sich 1991 in der Stadtgalerie in Radebeul-Ost.

Eine, der zwei Bandformationen von »Pfürsichkompott«
am Eröffnungsabend
Bild: K. Baum

Mit unserem Anliegen rannten wir bei Kerbach gewissermaßen offene Türen ein. Der administrativen Form musste allerdings entsprochen werden. Kerbach vermittelte zur Hochschulleitung und motivierte seine Studenten in der Radebeuler Stadtgalerie auszustellen, denn Gemeinschaftsprojekte stärken den Zusammenhalt der Gruppe. Zwischen der HfBK und der Stadtgalerie wurde eine Kooperationsvereinbarung geschlossen. Alles Weitere ergab sich wie von selbst und entwickelte eine mitreißende Dynamik. Für beide Partner eine neue Erfahrung.

Die „Kerbachklasse“ ist wohl eine der größten an der Dresdner Kunsthochschule. Dass letztlich 23 Studenten unterschiedlicher Jahrgänge und 4 Meisterschüler ihre Teilnahmebereitschaft signalisierten, hatte uns dann doch überrascht.

Der „Praxis-Stress-Test“ umfasste einen sehr komplexen Aufgabenbereich. Vom Finden eines Ausstellungstitels, über die Gestaltung der Druckerzeugnisse, die Vorauswahl der Exponate und deren Hängung im Innen- und Außenraum bis zum Eröffnungsprogramm. An zwei Tagen flutete die „Kerbachklasse“ unsere kleine städtische Galerie. Eine längere Vorbereitungsphase war dem vorausgegangen.

Der Ausstellungstitel „SMS – Sprösslinge Mit Spass“ zeugt von lebenspraktischer Selbstironie, was durch die Abbildung auf Einladung und Plakat anschaulich illustriert wird. Aus der fruchtbaren Scholle keimen viele Sprösslinge, doch nur einem Pflänzchen gelingt es, nach oben zu wachsen, während die anderen im Untergrund verschwinden.

Bild: K. Baum

Was macht die „Kerbachklasse“ aus? Kerbach, der sich selbst nie anpassen wollte, ermuntert seine Studenten eigene Wege zu beschreiten, lässt ihnen viel Freiraum, wohl auch bedingt durch seine eigene Biografie. Es ist schon paradox, dass Kerbach seit 1992 an jener Hochschule lehrt, die ihn 1979 zur Exmatrikulation gedrängt hatte. Die Schüler der „Kerbachklasse“ empfinden sich nicht als Epigonen, schon eher als eine Gruppe aus Individualisten. Die Hochschule ist für sie ein Schutzraum, der die Möglichkeit bietet, sich zu orientieren, auszuprobieren, mit Kommilitonen auszutauschen und alles kritisch zu hinterfragen. Behutsam werden sie dabei von Dozenten flankiert. Selbst wenn es immer wieder Situationen gibt, wo ihnen der Spass vergehen könnte, wollen sie sich den Spass am Leben, den Spass am künstlerischen Tun nicht nehmen lassen.

Die Vielfalt der Themen, Handschriften und Techniken fällt auf. Man spürt die Lust am Experimentieren. Was allerdings dominiert, ist die Malerei. Die menschliche Figur steht dabei häufig im Mittelpunkt. Nicht ohne Grund ist man in der „Kerbachklasse“. Da wird gerungen um Farbe, Form, Struktur und Raum. Ihres spannungsgeladenen Umfeldes sind sich die Kunststudenten durchaus bewusst. Der Traum von der Kunst um der Kunst willen scheint ausgeträumt. Es geht ihnen um Inhalte und es geht ihnen darum, den Betrachter zu berühren.

So wurde an zentraler Stelle im Untergeschoss der Galerie das Gemälde „under the trees“ (unter den Bäumen) platziert. Der Betrachter ist fassungslos. An den Bäumen hängen zwei Menschen, darunter völlig teilnahmslos die gleichgültige Menge, als wäre das alles ganz normal. Oder das Bild im Eingangsbereich, auf dem die Köpfe bekannter Staatsmänner zu sehen sind, verbunden mit der simplen Botschaft „vertragt euch“, was sich weiterdenken ließe: Wir wollen auch noch eine Zukunft haben.

Es hat sich gelohnt, aufeinander zuzugehen. Die kleine provinzielle Stadtgalerie auf den künstlerischen Nachwuchs aus der „Kerbachklasse“ mit Wurzeln in Bulgarien, Polen, Südkorea, Türkei, Iran, China, den alten und neuen Bundesländern. Aus Vorurteilen wurde Zuversicht. Miteinander reden und arbeiten, das könnte schon ein guter Ansatz sein.

Bild: K. Baum

Der Dresdner Künstler und Galerist Holger John mailte uns: „Eine wunderbare Vernissage und Ausstellung. Der Schritt ist nur zu begrüßen! Bravo. … einmal junge Sprossen, die wohl gut keimen, wachsen erst wollen, auszustellen … herrliche abendliche Atmosphäre, und für den inneren älteren Zirkel, die schon gereiften Zweige auch ergötzlich, die Mischung tats dann, Jung und Alt, geht doch zusammen … Schluss mit Monokultur … und sie können voneinander lernen, diese Gewächse … weiter so. Glückwunsch!“

Zur Finissage mit den Sprösslingen der Kerbachklasse und einer Portion „Pfürsichkompott“ sind am 25. Juni um 19 Uhr alle, die sich für den Spass am Spass Interessieren herzlich eingeladen.

Karin (Gerhardt) Baum

Aus der Kerbachklasse in der Stadtgalerie Radebeul: Swantje Ahlrichs, Petar Bocin, Anne-Cathrin Brenner, Michael Broschmann, Robert Czolkoß, Anna Ditscherlein, Lena Dobner, Marcus Eck, Michaela Fenzl, Albert Gouthier, Merlin Grund, Danny Hermann, Carlotta van der Heyden-Rynsch, Teresa Hilliger, Lion Hoffmann, Gene Hünniger, Julia Johansson, Joo Young Kim, Sina Neuberger, Murat Önen, So Young Park, Ana Pireva, Mona Pourebrahim, Hamidreza Yaraghchi, Tillmann Ziola, Shengjie Zong, Helena Zubler

Editorial 6-18

Einige Gedanken zur Nachbarschaft.

Wir alle haben Nachbarn. Manche kennt man, manche nicht. Manchmal ein Hallo über den Gartenzaun, manchmal ein Gruß bei einer Begegnung.

Aber manchmal ist Nachbarschaft etwas ganz Besonderes.

Es klinkt zunächst nach einer Banalität des Alltags, aber manchmal wird aus Alltag Tradition.

Auf Initiative in meinem Haus, also wo ich wohne, hat sich über die Jahre ein überaus interessantes Umfeld gestaltet. Wir leben an einer Kreuzung, und es wurde schon vom „Kreuzungschor“ gesprochen, da sich einige Anwohner an musikalischen Begebenheiten beteiligten.

Das Zentrum der Begegnung ist unser Garten geworden. Zumeist wurden auch viele Weihnachtsbäume „entsorgt“, sodass für eine Feuerstätte eigentlich immer gesorgt ist.

Da kommen viele Familien aus Nachbarhäusern und es wird geschwatzt über dies und das. Ein reger Austausch von Gedanken und Eindrücken.

Ein schöner Ort der Begegnung mit Menschen im Umfeld. So soll es bleiben!

Sascha Graedtke

Denkpause?

„Heut mach ich mir kein Abendbrot, heut mach ich mir Gedanken!“
Diese sarkastischen Worte zirkulierten vor einiger Zeit unter den Satirikern in diesem Land, nichts ahnend, dass eben jener Spruch – in sein Gegenteil verkehrt – eines Tages behördliche Handlungsanweisung werden könnte. Die in der „Sächsischen Zeitung“ (SZ) vom 31. März/1. April dieses Jahres angekündigte „Denkpause zur Bahnhofstraße“ für das Radebeuler Rathaus verwunderte schon etwas. In wieweit der Satz der Autorin Nina Schirmer in diesem Artikel „Die Stadt gönne sich eine kreative Denkpause, um noch einmal neu zu überlegen, was durch den Umbau eigentlich erreicht werden soll.“ autorisiert ist, war nicht zu erfahren.

Nach dem der »E-markt« auf der Bahnhofstraße durch tragische Umstände 2016 geschlossen werden mußte, steht der Laden nach kurzem Intermezzo eines Antikhändlers aus Hamburg seit
Anfang dieses Jahres wieder leer.    Foto: K.U. Baum

Der Satz brachte denn auch mehr Verwirrung als Aufklärung, will doch die Stadt in der „Denkpause“ doch noch „überlegen“. Also, doch keine „Denkpause“? Nun versteht der brave Bürger überhaupt nichts mehr. Dabei schien doch eigentlich alles klar: Bäume absägen, Bahnhofstraße „umpflügen“, Schulneubau einfügen. Fertig ist das Sanierungsgebiet. Alles wohl durchdacht! Jedenfalls ließen die zuständigen Verantwortlichen bei allen öffentlichen Auftritten lange Zeit keinerlei Zweifel aufkommen. Und das „Innovative“, was bei geförderten Sanierungsgebieten ja immer eingefordert wird, schien hinlänglich durch Einbeziehung der Objekte „Bahnhof“ und „Post“ gesichert. Noch 2015 hielt OB Bert Wendsche den Bahnhof für unverzichtbar „für den Erfolg des Gesamtprojektes“. Aber Pustekuchen, wie sich mittlerweile herausstellte. Die einen wollen nicht verkaufen und die anderen nicht ins Sanierungsgebiet aufgenommen werden. Und zu allem Unglück stellte sich unlängst noch heraus, daß auch die Bahn-AG den Geländestreifen an der Güterhofstraße, vorgesehen für Parkplätze und Spielanlage (?!), vorerst nicht veräußern möchte. Hatte man evtl. schon in der Planungsphase eine Denkpause eingelegt? Wie kann man als Träger des Sanierungsgebietes auf Objekte als Eckpfeiler der Planung setzen, die man weder besitzt noch ausreichend beeinflussen kann? War vielleicht nur Gedankenlosigkeit im Spiel? Oder sollte die Sache gar wie im SZ-Beitrag „Gegenwind für Stadtverwaltung“ vom 27. März 2018 beschrieben, „durchgepeitscht“ werden?

Auch wenn der untere Teil der Moritzburger Straße nicht mehr zum Sanierungsgebiet gehört, offenbart er ebenfalls das Grundproblem des Einkaufsbereiches in Radebeul-West.  Foto: K.U. Baum

Die große Preisfrage, die nicht erst mit den zuletzt „teils hitzige[n] Diskussionen“ ansteht, ist doch die Frage nach dem Sinn des Ganzen. Warum dieses Sanierungsgebiet? Die Verbesserung der Parkmöglichkeiten und das fehlende schnelle Internet können es nicht gewesen sein. Der Charakter der Bahnhofstraße, dies hat sich nun doch durchgesetzt, sollte sich nicht ändern. Das Gründerzeitflair möchte keiner missen und die Bäume schon gar nicht. Das Händlersterben aber ist doch nicht eine Frage der fehlenden Sanierung, als vielmehr eine der Umstrukturierung des Handels überhaupt. „Veränderte Konsumgewohnheiten und der Druck der Online-Konkurrenz zwingen immer mehr Händler, sich neu zu erfinden“, schätzt eine Betrachtung aus dem Jahre 2016 ein und charakterisiert in acht Trends wohin sich der Einzelhandel künftig entwickeln wird. Auch wenn letztlich der Onlinehandel bis 2020 „nur“ auf etwa 20 Prozent steigen wird, werden die Städte „leerer“. Über sinkende Kundenzahlen klagen 60 Prozent der Händler, besonders in kleinen und mittleren Städten. Die wirklichen Konkurrenten sind die Einkaufsparks, wo der Kunde etwas „erleben“ kann. Einkaufen ist heute ein Event. Selbst die Supermärkte „hübschen“ sich auf, wie beispielsweise Aldi, Lidl und neulich Kaufhof.
Nicht eine bauliche Sanierung wird dem Handel auf die Sprünge helfen, sondern eine gezielte Wirtschaftsförderung. Gleichwohl besteht das Sanierungsgebiet ja nicht nur aus Handelseinrichtungen. Von den Baumaßnahmen sind ebenso die Hausbesitzer und die 290 Einwohner des Gebietes betroffen. Zugleich ist Radebeul-West das gefühlte Stadtteilzentrum dieses Wohngebietes. Mit den Ideen zur Nutzung von den Gebäuden der ehemaligen Post und des Bahnhofes hätte möglicherweise ein derartiges attraktives Zentrum entstehen können. Aber so? Denkpausen werden da keine Lösung bringen. Auch der zwischen Harmoniestraße und Hermann-Ilgen-Straße gezwängte künftige dreigeschossige Schulneubau wird die Lage hinsichtlich des Verkehrsaufkommens nicht gerade vereinfachen. Auch mag zweifelhaft sein, ob der dadurch entstehende Schulcampus tatsächlich zu Erhöhung der Attraktivität des Sanierungsgebietes beiträgt.
Neue innovative Ansätze sind deshalb notwendig. Es ist die Frage zu beantworten, welche Funktion soll Radebeul-West in der Stadt künftig erfüllen? Mit einer 12-monatigen Denkpause ist das Problem sicher nicht zu lösen.

Karl Uwe Baum

Denkmalpflege / Denkmalschutz

Umnutzung alter Gebäude, hier von Kulturdenkmalen

Foto: D. Lohse

Irgendwann und irgendwo hat man schon mal davon gehört oder gelesen: Kirche als Konzertsaal (Frankfurt / Oder), Kirche als Gaststätte (ich glaube das war im Hessischen?) sogar Kirche als Schwimmhalle (Leningrad hieß das damals noch). Das zeigt, Umnutzung, bzw. Nutzungsänderung kommt doch recht oft vor und ist ein weites Feld von „gut möglich“ bis „nein, das geht gar nicht“!
Architekten, Bauingenieure und Denkmalpfleger stehen im Dienst öfter vor so einer Frage, Bauherrinnen und Bauherren bringen sich mit Ideen ein, wenn eine planmäßige Nutzung eines Bauwerks, also der Zweck, wofür das Gebäude früher einmal errichtet wurde, nicht mehr da ist, es leer steht, aber doch erhalten werden soll, weil es ja ein Denkmal ist und nicht abgerissen werden darf. Dazu braucht man schon Fingerspitzengefühl und Erfahrung! Ein simples Beispiel, eine alte Schule ist zu klein und wird nicht mehr genutzt, hat aber eine noch brauchbare Substanz. Mit vor allem inneren Umbauten könnte hier z.B. eine Senioreneinrichtung, die gebraucht wird, hergestellt werden. So ein Beispiel gibts in Radebeul, die alte Schule Lindenau-Oberort in der Neuländerstraße 34 – so weit, so gut, wenn dabei nicht der Turm mit Uhr dem Denkmal geklaut worden wäre.

Foto: D. Lohse

In den 90er Jahren wurde versammelten Denkmalschützern bei einem Lehrgang vom Referenten die Frage gestellt: könnte die untere Denkmalschutzbehörde den Antrag eines Eigentümers die Umnutzung seiner Villa (Denkmal) als ein Bordell ablehnen? Es folgte Raunen und Tuscheln im Saal und es herrschte Ratlosigkeit. Dann die Antwort: nein, wenn dabei die Villa erhalten und die denkmalpflegerischen Belange erfüllt würden. Da gibt es andere Zuständigkeiten; dem Denkmalschützer stehen normalerweise keine moralischen Gründe zu, eine derartige Ablehnung zu formulieren. Das ist schon etwas pikant, aber so in Radebeul, glaube ich, noch nicht vorgekommen.
Hier nun noch ein anderes Beispiel einer im Laufen befindlichen Umnutzung von einem recht kleinen Gebäude in unserer Stadt. Diese Entscheidung der Stadtplaner und Denkmalschützer hat auf den ersten Blick schon ein „Gschmäckle“, wie ich meine. Es ist die Schildenstraße 13 (diese Nr. wurde in jüngerer Zeit vergeben), ein kleines, anderthalbgeschossiges und unterkellertes, um 1899 mit zweifarbigen Klinkern erbautes Gebäude. Es gab auch farbige Bleiglasfenster noch bis 2009, leider sind sie verschwunden. Ursprünglich, also von 1900 wohl bis zum 1. Weltkrieg bestand ein Zusammenhang zu dem großen Wohn- und Geschäftshaus Schildenstraße 17, das der Böttchermeister und Weinhändler Hermann Knötzsch 1898 / 99 errichten ließ, um darin Weinverkauf und –ausschank zu betreiben. Das o.g. kleinere Haus, wofür der Begriff Winzerhaus wohl nicht die richtige Beschreibung wäre, das später auch als Gartenhaus eines Kleingärtners genutzt wurde und etwa ab 2000 leer stand, beherbergte ursprünglich einen kleinen Erlebnisbereich, wo Gäste des Weinhändlers im noch ungeteilten Grundstück gelegentlich in engem Rahmen feiern und Wein trinken konnten und dabei im Kleinen gezeigt bekamen, wie Wein hergestellt und gekeltert wird. Im EG müsste es eine kleine Weinpresse gegeben haben, der Saft wurde durch ein Loch in den Keller geleitet, wo ein paar kleine Weinfässer standen. Die Einrichtung habe ich nicht mehr gesehen, aber das Loch im Fußboden war 2009 noch da. Solch ein dem Wein im weitesten Sinne dienendes Haus ist meines Erachtens einmalig in Radebeul! Dass im Bereich des „Weinhauses“ auch einige Weinstöcke (es müssten zu dem Zeitpunkt aber schon reblausresistente gewesen sein) gestanden haben, erkennt man aus älteren Fotos. Am Hauptgebäude Schildenstraße 17 finden wir in Höhe des 1. OG ein Relief aus der Bauzeit, was sehr anschaulich und lustig die Weinherstellung durch Putten zeigt. Der Weinhändler Knötzsch hatte sich kurz nach der Reblaus große Mühe gegeben, seine Gäste auf verschiedene Weise wieder an das Thema Wein heranzuführen.
Im Sinne einer Spende zum Aufbau der Dresdner Frauenkirche wurde das Grundstück Schildenstr. 13 samt dem massiven Pavillon von einer Nachkommin des Erbauers des Wohn- und Geschäftshauses Schildenstr. 17, Frau Liese-Lotte Nitzsche, geb. Schadewitz (1910 – 2000) aus Kiel geschenkt.
Noch als Dienstaufgabe in der unteren Denkmalschutzbehörde in Radebeul hatte ich Vorgespräche mit Dr. Hans-Joachim Jäger, dem Geschäftsführer der Gesellschaft zur Förderung der Frauenkirche Dresden e.V. und damaligen Eigentümer geführt, mit dem Ziel, dieses Grundstück an die Stadt Radebeul zu verkaufen, um es später mit dem angrenzenden Karl-May-Park zu verbinden. Dieses „später“ ist nun eingetreten und es wird gebaut, auch an dem kleinen Haus. Dass es hier eine Nutzungsänderung geben wird, überraschte mich kaum, dass es künftig als Toilettenhäuschen fungieren soll, dagegen schon! Man darf auch fragen, was hätte die o.g. Spenderin, die inzwischen gestorben ist, zu dieser neuen Nutzung gesagt, zum Park sicher ja, aber auch zur Toilette? Für einen Ausschank von Kaffee und Erfrischungen hätte sich kein Betreiber gefunden, sagte man mir im Rathaus. Auch ein Kiosk zum Verkauf von Postkarten und Souvenirs im Zusammenhang mit dem Museum wäre eine anständige Lösung gewesen. Doch nein, jetzt wird es eine Bedürfnisanstalt im Inneren und außen ein ordentlich gepflegtes Denkmal, wie ich hoffe, entstehen (Anfang April erkannte ich im Vorbeifahren, dass zZ. das Dach mit Schiefer gedeckt wird!). Laut Stadtverwaltung gäbe es für derartige Anstalten immer einen Bedarf.
Nun könnte man ja mal eine Gegenrechnung aufmachen – wie viele Toiletten gibt es im derzeitigen Museum und wie viele werden im neuen Museumsbau an der Ecke Meißner / Schildenstraße (wurde kürzlich in der Tagespresse vorgestellt) dazu kommen? Vielleicht würde das ja in Zukunft reiche

Foto: D. Lohse

n?
Wenn die Beteiligten noch ein bisschen länger überlegt hätten, wäre für das Häuschen vielleicht noch eine andere Nutzung gefunden worden – so sieht es nach „Schnellschuss“ aus, schade.
Jedenfalls sieht man auch an dem kleinen Beispiel aus der Schildenstraße, wie breit gefächert das Feld bei Umnutzungen sein kann und jedem Denkmalschützer steht innerhalb des gesetzlichen Rahmens (SächsDschG) wohl eine eigene Entscheidung zu, man spricht dann von Ermessensspielraum. Ich hätte in der Situation vielleicht anders entschieden, glaube ich. So weit das ernsthafte Nachdenken zu dem Thema.

Man könnte es ja aber auch mal ganz anders betrachten: wo Wein getrunken wird und es wird ja nicht bei einem Schoppen bleiben, man sitzt, trinkt und trinkt noch einen, da entsteht mit der Zeit auch ein Bedürfnis. Und wenn man in unserem Falle den Zeitfaktor „etwas großzügiger“ ansetzt, sagen wir knappe 120 Jahre, dann passt doch alles zusammen! Was will denn der Lohse da?

Dietrich Lohse

Quellen:
1. „Denkmaltopografie Stadt Radebeul“, Volker Helas, Sax-Verlag Beucha, 2007
2. Die Reihe Archivbilder „Radebeul“, Gottfried Thiele, Sutton Verlag Erfurt, 1997

 

Veränderungen gestalten in Zeiten des Wandels

Die katholische Gemeinde in Radebeul geht in einer größeren gemeindlichen Struktur auf

Dietrich Lohse hatte in seinem Beitrag im Heft 12/2017 darauf aufmerksam gemacht, dass im Oktober 2017 auf dem Grundstück der katholischen Kirche auf der Borstraße in Radebeul ein den Kirchbau überragendes Kreuz aufgestellt wurde, das die Wahrnehmbarkeit des Gotteshauses in der Öffentlichkeit seither verbessert haben dürfte. Denn tatsächlich war der 2001 geweihte moderne Bau für Ortsfremde bis dato nicht ohne Weiteres als sakraler Bau erkennbar gewesen. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass die eindeutige Markierung als Kirche ausgerechnet zu einer Zeit wirksam wird, in der die Bedeutung dieses Bauwerkes als Ortskirche und Zentrum der Radebeuler Christus König-Gemeinde einer bedeutenden Veränderung unterworfen ist. Insofern kann man das aufgestellt Kreuz auch als Zeichen einer Selbstbehauptung in einem Wandlungsprozess sehen, mit dem nicht nur die Radebeuler, sondern alle Katholiken im Bistum Dresden-Meißen seit 2013 konfrontiert sind. Was hat es damit auf sich?
Kurz gefasst sieht sich die katholische Kirche in ganz Deutschland gezwungen, auf den seit Jahren eklatanten Mangel an Priesternachwuchs (und in strukturschwachen Gebieten auch auf das Schrumpfen der Zahl an Gemeindemitgliedern) zu reagieren. Für die Radebeuler Katholiken bedeutete dies ganz konkret, dass seit dem Weggang des letzten Pfarrers im August 2015 kein eigener Seelsorger mehr vor Ort ist und somit das seit 1927 als Sitz eines festen Pfarrers fungierende, später lange auch eine als Gottesdienstraum genutzte Kapelle beherbergende Haus (das heutige Gemeindezentrum) einer wichtigen Aufgabe beraubt wurde. Denn ganz zweifellos ist die zuverlässige Präsenz eines Geistlichen am Ort eine zentrale Komponente im gemeindlichen Leben und eigentlich unentbehrlich für das gedeihliche und vertrauensvolle Miteinander zwischen einem Pfarrer und den Gemeindemitgliedern. Wie geht die Radebeuler Gemeinde mit dieser Situation um, welche Veränderungen sind geschehen und stehen noch an? Die wichtigste davon betrifft einen Prozess, der 2013 durch den damaligen Bischof Heiner Koch initiiert und inzwischen auch durch seinen Nachfolger Heinrich Timmerevers weiter verfolgt wird: benachbarte Gemeinden im Bistum müssen sich in sogenannten „Verantwortungsgemeinschaften“ zusammenfinden und das pastorale Leben gemeinsam neu gestalten. Dies ist ein für alle Beteiligten herausfordernder Prozess. Über Jahrzehnte etablierte Gewohnheiten (Gottesdienstzeiten) und Gewissheiten (Eigenständigkeit bei gemeindlichen Entscheidungen, feste Termine im Jahreskalender, Treffs von Gruppen und Kreisen etc.) standen bzw. stehen auf dem Prüfstand und müssen den neuen Bedingungen angepasst werden. Ganz konkret ist die Radebeuler Gemeinde zusammen mit denen in Coswig, Weinböhla, Meißen, Wilsdruff, Lommatzsch und Nossen (!) eine Verantwortungsgemeinschaft eingegangen, die aktuell nur noch zwei hauptamtliche Pfarrer mit Sitz in Coswig bzw. Meißen und einen Kaplan mit Sitz ebenfalls in Meißen aufweist.

Repro: B. Kazmirowski;

Hinzu kommen gegenwärtig noch zwei Gemeindereferentinnen in Coswig und Radebeul und eine Praktikantin. Das sind – angesichts einer konstant hohen Mitgliederzahl in Radebeul von ca. 1400 und etwa 4900 in der gesamten Verantwortungsgemeinschaft – sehr begrenzte personelle Ressourcen für eine so große Zahl an Gläubigen auf einer so ausgedehnten Fläche, die ein recht aktives Gemeindeleben pflegten und weiter pflegen wollen. Und die Vorgaben des Bistums sind nicht gerade ermutigend: bis 2025 sollen es nur noch zwei Priester und eine Gemeindereferentin sein. Abgesehen von den logistisch-organisatorischen Herausforderungen auf Seiten der Hauptamtlichen (Fahrwege, Absicherung von Präsenzen zu Anlässen wie Taufen, Trauungen, Beerdigungen, Vorbereitung von Erstkommunionen und Firmungen, geistlichen Gesprächen etc.) gilt es für die Katholiken im Gebiet auch eine gemeinsame Identität über die bisherigen Gemeindegrenzen hinweg zu entwickeln. Und das ist sicherlich der schwerste Teil auf dem eingeschlagenen Weg, denn zwischen Radebeul und bspw. Nossen und Lommatzsch gab es in der Vergangenheit keinerlei Berührungspunkte, dazu sind die Orte in ihrer regionalen Ausrichtung und bevölkerungsspezifischen Zusammensetzung zu verschieden. Vertreter aus allen Ortsgemeinden und Hauptamtliche haben – unterstützt von einem aus der Kirchenverwaltung entsandten Prozessberater – in den letzten Monaten über die nächsten Schritte beraten und entschieden, dass im Juni 2018 eine neue Pfarrei mit einem neuen Namen gegründet werden soll. Allerdings wird der neue Name so neu nicht sein, denn vorgesehen ist, den Namen „St. Benno“ der bisher eigenständigen Meißner Gemeinde als Namen für die neue Großpfarrei zu nehmen. Diese Entscheidung hat Sinn, denn der Hl. Benno ist für die gesamte Region von überragender Bedeutung, wie nicht zuletzt die gut besuchte Ausstellung im Meißner Dom im letzten Jahr (Ein Schatz nicht von GOLD. Benno von Meißen – Sachsens erster Heiliger) gezeigt hat. Damit werden alle anderen sechs Kirchen in der Region sogenannte Filialkirchen werden, die allerdings ihren bekannten Namen behalten. Bereits in den letzten Monaten sind erste praktische Schritte erfolgt, mit denen die Idee des übergemeindlichen Ansatzes in die Tat umgesetzt wird. So haben sich etwa die Chöre aus Radebeul, Coswig und Weinböhla zusammengetan und werden künftig als ein Chor auftreten. Und am Morgen des Ostermontags trafen sich die Radebeuler Katholiken am Schloss Wackerbarth, um beim sogenannten „Emmausgang“ nach Coswig die biblische Erzählung, an die zu jenem Tag erinnert wird, im tatsächlichen Vollzug zu vergegenwärtigen.
Auch wenn für die meisten Leser von „Vorschau & Rückblick“ diese innerkirchlichen Veränderungen keine persönliche Bedeutung haben, so halte ich das Wissen darum dennoch für wichtig. Denn Kirchen und christliche Gemeinden sind Teil unserer unmittelbar erfahrbaren Kultur und bieten geistliche Heimat für viele Menschen. Und vielleicht sind es gerade Ihr netter Nachbar oder Ihre freundliche Nachbarin, die von diesen Veränderungen direkt betroffen sind.
Bertram Kazmirowski

Zwischen Traum und Wirklichkeit

25 Jahre Verein für Denkmalpflege und Neue Bauen Radebeul e.V.

Der Aufbruch geschah noch in der Zeit des allgemeinen Aufbruchs. Es war eine Art zweiter Gründerzeit, eine Zeit zwischen Traum und Wirklichkeit. Vieles war möglich und noch mehr wurde für möglich gehalten.

Als wir den Verein gründeten wurde gerade das Sächsische Denkmalschutzgesetz auf den Weg gebracht. Erste Entwürfe dazu waren schon im Herbst `89 von Denkmalpflegern und Archäologen, denen ich mich damals noch zugehörig fühlte, zu Papier gebracht worden. Es basierte auf Erfahrungen, die wir in der DDR gemacht hatten. Erfahrungen im gesamtdeutschen Verwaltungshandeln fehlten logischer Weise.

Mein erster Traum bei der Gründung des Vereins bestand in der Vision, ein geistiges Klima schaffen zu können, das das Denkmalschutzgesetz überflüssig macht. Recht bald musste ich jedoch erfahren, dass das eine derjenigen Visionen war, bei deren Auftreten Altbundeskanzler Helmut Schmidt einen Arztbesuch empfohlen hatte.
Ich bin nicht zum Arzt gegangen. Stattdessen haben wir Vorträge organisiert, Exkursionen und Busreisen. Wir haben Denksteine ans Licht geholt, Radebeuls bedeutendste Grabfigur gesichert und Theater gespielt. Wir haben Diskussionsrunden moderiert und Bauherrenpreise vergeben. Mit all dem haben wir auch versucht, dem Wort Heimat einen Klang zu geben, dass es nicht mit Schaum vorm Mund ausgesprochen werden muss. Doch es kam anders: Noch immer gilt der Denkmalpfleger als natürlicher Feind allen Baugeschehens, dabei hatte der leider verstorbene ehemalige Kulturamtsleiter Dr. Dieter Schubert mit Bedacht das Feindbild umgehen und das „Neue Bauen“ im Namen des Vereins verankert wissen wollen. Das Denkmalschutzgesetz ist heute nötiger denn je, zumal die Denkmalbehörde nach Großenhain ausgelagert wurde. Schließlich fällt auch das Wort „Heimat“ zunehmend in die Hände jener, die schon beim Aussprechen des Wortes alles zerstören, was Heimat sein könnte. Der Traum hat sich nicht erfüllt. Ernüchtert bin ich aufgewacht.

Ein zweiter Traum bezog sich auf die im Artikel 14 (2) des Grundgesetzes verankerte Sozialbindung des Eigentums, worauf ja auch das Denkmalschutzgesetz zu wesentlichen Teilen basiert. Die Berater aus dem Westen lachten: das ist nicht durchsetzbar. Eigentum verpflichtet nur die anderen, nämlich dazu, draußen zu bleiben und die Schnauze zu halten. Wir wollten es nicht glauben. Aber sehen wir uns um: Friedensburg, Bahnhof West, Villa Kolbe, Gasthof zum Russen …
Ernüchtert bin ich aufgewacht.

In den Anfangsjahren des Vereins mahnte ein Herr Neidhard, bestallter Berater von der Stadtentwicklung Baden-Württemberg in Diensten der Stadt Radebeul, zu Besonnenheit und warnte vor schnellen Erfolgen. Die autogerechte Stadt, sagte er, gibt es nicht. Im Westen sei man diesem Gedanken vierzig Jahre lang vergeblich nachgelaufen. Verkehr muss ordnend geplant werden. Ihr müsst, sagte er weiter, ja die Fehler, die wir im Westen gemacht haben, nicht wiederholen. Er war keine zwei Jahre im Amt. Freie Fahrt für freie Bürger ist offensichtlich nicht zu bremsen. Wir haben schon vor zehn und mehr Jahren mit sachkundiger Unterstützung durch die TU Dresden eine ganze Reihe von Veranstaltungen und Ideenkonferenzen zur Zukunft der Meißner Straße angezettelt. An der Zillerstraße drohten Experten schon damals, die Straßenbahn könne dort bald nicht mehr fahren. Sie fährt immer noch und die Experten drohen auch immer noch. Die Schildbürger aber planen eine vierspurige Straße zwischen zwei Nadelöhren.
Ernüchtert bin ich aufgewacht.

Der unruhige Schlaf, das wiederholte ernüchterte Erwachen führten mitten in dunkler Nacht zu der Frage: was wäre wenn?

Wie sähe es aus, unser schönes Radebeul, wenn wir uns die Ernüchterung erspart und gar nicht erst geträumt hätten? Gibt’s noch mehr und anderes, um das es schade wäre, als die Brunnen und Plätze, deren Gestaltung wir anregten oder die Fußwege auf der Bahnhofstraße, die auch auf unser Betreiben hin ansprechend gestaltet worden waren?
Ein Jubiläum bietet Gelegenheit, auch solche Fragen zu bewegen.

Thomas Gerlach

25 Jahre Verein für Denkmalpflege und Neues Bauen Radebeul e. V.

25 Jahre Verein für Denkmalpflege und Neues Bauen Radebeul e. V.

„Der Glaube, der Berge versetzt, er schafft auch die Berge … Siehst du nicht, daß ich das siebenfach versiegelte Buch des Lebens schreibe, mein Sohn? Aber du schreibst es in den Sand, sagte der Rabbi, und ein Wind wird kommen und alles verwehen. Genau das, erwiderte der Alte, ist das Geheimnis des Buches.“ (Stefan Heym, Ahasver)
25 Jahre – Zeit eine Familie zu gründen, Zeit Kinder groß werden zu lassen, Zeit Häuser zu bauen, Politik nachhaltig zu gestalten oder einfach Zeit, die man ins Land fließen lassen kann. Auf jeden Fall aber sind 25 Jahre Zeitabschnitte, die nach einer Zwischenbilanz, beim dritten oder spätestens vierten Mal nach einer Endbilanz fragen. Wenn die Gründungsmitglieder unseres Vereins auf 1993 zurückschauen, so sehen sie nicht nur jede Menge – aus heutiger Sicht berechtigten wie auch enttäuschten – Enthusiasmus, sondern auch Frauen und Männer Ende 20 bis Ende 30, die viele Wünsche bewegten, die auch anderes im Blick hatten als nur den Verein und, nicht alle leben mehr, ihm doch treu geblieben sind, mit ihm älter und vermutlich auch alt werden. Am 23. März in der Hoflößnitz stellten wir uns mit über 100 Gästen, Freunden und Gratulanten dieser Frage: Was macht unseren Verein aus, haben wir Berge versetzt, neue Probleme geschaffen oder nur in den Sand geschrieben?
Alle Redner, ob unser Landtagspräsident und Vereinsmitglied Dr. Matthias Rößler, unser Oberbürgermeister Bert Wendsche oder mein Amtsvorgänger Thomas Gerlach, der erste Vorsitzende 13 Jahre lang, waren sich einig, dass der Verein viel und nachhaltig bewegt hat. Ob die Figurengruppe Chronos und die Trauernde, der Pavillon an der Spitzhaustreppe, Weiberstein, Heimkehrerstein, Schmincke-Allee, Platanenplatz, Bilzplatz, Bismarckturm, über 70 Bauherrenpreise, ungezählte Vorträge wie auch Stellungnahmen zu stadtgestaltenden Baumaßnahmen, das Forum „Was macht Radebeul aus“ oder regelmäßige Beiträge in diesem besonderen Monatsheft, Exkursionen und anderes mehr – der Verein ist mit seinen Fragestellungen und Antworten in der Stadt gefragt und akzeptiert. Dazu gehören ebenso die Pflanztage, der ehemalige Tag der offenen Aussicht, der Tag des offenen Gartens oder der Tag des offenen Denkmals – alles Dinge, die ehrenamtlich betrieben werden und viel Kraft fordern; gerade auch vielleicht deshalb, weil das „Publikum“ den Unterschied zwischen Ehrenamt und Beruf gar nicht merken soll. Über die Jahre gerechnet haben wir knapp eine Million Euro gesammelt, gespendet, beigetragen – Geld, welches direkt unserer Stadt sichtbar zufließt. Das Wenigste können wir allein, aber eine unserer entscheidenden Funktionen ist es anzustoßen, zu bündeln, zu transportieren und gemeinsam mit weiteren Interessensgruppen oder einzelnen Personen Maßnahmen umzusetzen bzw. Themen auf die kommunalpolitische Agenda zu heben. Und zwar ohne parteipolitische bzw. interessenspolitische Fixierung sondern nur mit unserem Satzungsanspruch: Erhaltung des besonderen Charakters der Stadt Radebeul.
Dieser Charakter ist weiterhin nicht definiert; und vielleicht ist dies sogar sein Geheimnis. Nicht zuletzt bleibt somit jeder Generation eigenes Zutun offen und jede Generation wird darüber hinaus aufgefordert, sich mit ihren Altvorderen auseinanderzusetzen und zu ergründen, was sie bewegte. Leider ist auch manches im Baugeschehen in den letzten Jahren misslungen – weniges davon wird man später als doch gelungen bezeichnen, bei Vielem eher hoffen, dass es wieder verschwindet (was aber gerade bei Bauten eben nicht leicht der Fall ist). Thomas Gerlach wies in seiner Rede darauf hin – und es bleibt anzumerken, dass mangelnder Gestaltungswillen des Gesetzgebers, Spardruck der Verwaltung hinsichtlich entsprechender Stellen und eine zunehmend andere Rechtsprechung dem persönlichen Geschmacksverlust hilfreich zur Seite stehen.
Wichtig ist und bleibt daher die Sensibilisierung, die kulturelle Bildung der Einwohner unserer Stadt, die Einbeziehung schon der Jugend für ihre Gemeinde: Denn nur wer weiß, warum die Stadt gerade so entstanden ist wie sie ist, wird sich für ihren Erhalt einsetzen, wird den Charakter der Stadt überhaupt vollumfänglich erfassen können. Vorträge, Diskussionsforen und Exkursionen sind für diese Sensibilisierung weiterhin ein gutes Mittel. Nicht zuletzt hatte der Festredner Dr. Storz in seinem mitreißenden Vortrag deutlich gemacht, auf welchen (europäischen) kulturellen, architektonischen und künstlerischen Voraussetzungen unser gebautes Erbe bis hin zu seiner Zeichensprache in Schmuck und Form beruht und das dieses Erbe einen jahrtausendalten Zusammenhang widerspiegelt, der für unser Wertebewußtsein Meßlatte sein sollte. Es gilt eben nicht, in vollständiger Freiheit nur Wohnraum zu schaffen, Zuzug von Steuerzahlern zu ermöglichen – sondern es gilt, mit alten und neuen Einwohnern eine Stadt abendländischer Kultur weiterzubauen. So wird der Bauherrenpreis, der Beispielhaftes hervorhebt, von uns weiterhin fortgesetzt werden; in der Stadt wird noch charaktervoll gebaut und zugleich sich am Anspruch „Radebeul“ versündigt. Desgleichen werden wir uns mit Stellungnahmen zu öffentlichen Vorhaben fortlaufend einbringen und erwarten natürlich von der Verwaltung und den Stadträten, dass unsere Anmerkungen auch Berücksichtigung finden. Es ist daher unsere Anregung, die sich über uns selbst erstrecken kann, ob es nicht zielführend wäre, wenn Vereine mit stadtgestaltendem Anspruch beratenden Status im entsprechenden Ausschuß bekämen. Aktuell werden wir uns einbringen in die Diskussion um das weitere Vorgehen im Sanierungsgebiet Radebeul-West.
25 Jahre sind uns also nicht genug, auch wenn wir kein typischer geselliger Verein sind, sondern uns eher zu Themen oder Aufgabenstellungen zusammenfinden. Entscheidend für die Kraft wird die Lust am Gestalten sein, der Glaube, Berge versetzen zu können – und diese Lust, dieser Glaube hängen wiederum von Akzeptanz und Mitwirkung ab. Versprochen haben wir zu unserem Jubiläum, der Stadt weiterhin Stütze, aber auch Stachel zu sein – damit nichts in den Sand geschrieben wird.
Dr. Jens Baumann, Vereinsvorsitzender

Editorial Mai 2018

25 Jahre „Spötter-Trio“

Radebeul ist eine Stadt der Künste. Mit Malern, Theater, Oper und Tanz. Neben den Landesbühnen Sachsen und all den anderen Künstlern, erwuchsen auch andere kunstfreudige Menschen, die sich in ihrer Freizeit der Kunst oder Kleinkunst verschrieben haben.
Mit großem Engagement hat das „Spötter-Trio“ in zahllosen Veranstaltungen die Herzen der Menschen in Sachsen erobert. In diesem Jahr feiert das Ensemble sein 25 jähriges Bestehen! Unentwegt unterwegs spielen sie in Kulturhäusern und Kliniken und bereichern so die sächsische Kabarettlandschaft und nehmen die gesellschaftlichen Verhältnisse mit „Augenzwinkern“ unter die Lupe.
In wechselnden Programmen in all den Jahren nahmen die Akteure politische Themen mit Witz in ihr Spiel, was große Heiterkeit beim Publikum erzeugte. Die Nachwendezeit bot zunächst viel Stoff für die Bühne, aber heute ist es ja kaum anders.
Auch an den Landesbühnen Sachsen trat das Trio nunmehr auf. Die Gründer Christine Strangfeld und Raimund Kunze bezeichnen sich selbst als Urviehcher des politisch-satirischen Kabaretts.
Nun gibt es nach einem Vierteljahrhundert und unzähligen Auftritten die große Sause! Dabei, die drei Pianisten!
Am 13. Mai als große „Kabarett-Gala“ in der Börse in Coswig.
Seien Sie eingeladen, sofern es noch Karten gibt.

Sascha Graedtke

Schweizerhäuser in der Lößnitz

Diese Häuserart finden wir vorwiegend in Radebeul, da sich diese aber im Lößnitzgrund über die Stadtgrenze Radebeuls hinaus fortsetzen, habe ich in der Überschrift den Begriff der Landschaft Lößnitz gewählt. Bei den hier dargestellten Schweizerhäusern handelt es sich um eine Gruppe von Häusern in regional geprägten Formen. Eine deutschlandweite Verbreitung fanden die alpenländischen Bauern- oder Landhäuser im 19. Jh., in der Lößnitz, genauer gesagt, in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts. Solche Beispiele für Schweizerhäuser gibt es u.a. auch in Glienicke bei Potsdam, in der Sächsischen Schweiz (Gasthaus „Lichtenhainer Wasserfall“) und in Dresden auf der Grundstraße. Apropos Sächsische Schweiz, dieser Name für das richtig lautende Elbsandsteingebirge kam erst ab 1800 auf, als die beiden in Sachsen ansässigen schweizer Maler Adrian Zingg und Anton Graff, dieses Gebirge bereisten und malten und sich dabei an ihre Heimat erinnerten – der Begriff steht auch mit dem Zeitalter der Empfindsamkeit in Verbindung.
Im 19. Jh. kam das Reiseziel Alpen stark auf – für diejenigen, die solch eine Reise durchgeführt hatten, war ein Schweizerhaus daheim dann eine schöne Erinnerung, jene aber, und das dürfte die Mehrzahl gewesen sein, die sich diese Reise nicht leisten konnten, hielt das Schweizerhaus in Radebeul den Reisewunsch „Alpen“ weiterhin wach! In unserer Region bot sich bevorzugt der Lößnitzgrund für den Bau solcher alpenländischer Häuser an, es gab ein kaum besiedeltes Tal mit Bach und Mühlen, die Talflanken waren meist bewaldet und zeigten an mehreren Steinbrüchen Felswände. Der Lößnitzgrund stellte im 19. Jh. aber auch ein beliebtes Naherholungsziel mit Gaststätten von schweizer Flair, wie die „Meierei“ dar. Hinzu kamen ab 1884 die Schmalspurbahn und später noch das Bilzbad. Mit etwas Phantasie kam da schon ein Gefühl „wie in der Schweiz“ zu sein auf. Es fehlte nur, dass einer da mit Echoeffekt gejodelt hätte!


Vom Typ her sind die hiesigen Schweizerhäuser Landhäuser, Einfamilienhäuser, oft auch nur Sommerhäuser. Aber auch stattlichere Häuser, die dann eher Villen zuzurechnen sind, wie zB. Paradiesstraße 46, Weinbergstraße 10 oder 26. Es sind aber niemals 1:1- Nachbauten von schweizer Häusern, die hiesigen Architekten und Baumeister dürften nie dort gewesen sein und haben sich nur von Bildern der Originalhäuser inspirieren lassen. Manche haben nur wenig Ähnlichkeit oder entsprechen dem Typus Schweizerhaus nur entfernt. ZB. erscheint mir hier die stärkere Höhenentwicklung der Häuser und die Fenstergrößen durchaus abweichend von den Originalen.

Und wenn sie mir jetzt die Frage stellen sollten: wer baute in unseren Breiten die besten und meisten Schweizerhäuser? Dann lautet die Antwort wieder mal: ja, es sind die Zillers, genauer gesagt die Firma Gebr. Ziller, also Moritz (*28.09.1838 +11.10.1895) und Gustav Ziller (*03.04.1842 +27.02.1901) gewesen. Eine recht gut passende Querverbindung wäre schon, dass Vorfahren der Familie Ziller aus dem Zillertal (Tirol) stammen würden und diese die alpenländischen Haustypen hierher mitgebracht hätten. Das muss ich aber als nicht zutreffend, bzw. nicht nachweisbar darstellen. Durch die Fa. Gebr. Ziller wurde mit den Schweizerhäusern im Lößnitzgrund auf jeden Fall auch eine städtebauliche Wirkung erzielt, im Falle der Eduard-Bilz-Straße, Schweizerstraße („nomen est omen“) und auch in der Zillerstraße wurde das nur ansatzweise erreicht. An den Häuserbeispielen des Lößnitzgrundes erkennen wir, dass hier die Gebr. Ziller einen Grundtyp von Schweizerhaus hatten, der je nach Gelände bzw. Kundenwunsch geringfügig angepasst oder variiert wurde, ähnlich auch in der mittleren Eduard-Bilz-Straße. Andere Architekten und Baumeister wie C. E. Johne, August Große oder Adolf Neumann haben im Untersuchungsgebiet auch Beispiele dieser Mode hinterlassen. Ja, ich spreche absichtlich von Mode und nicht von einem Baustil. Die Übertragung von regionalen Haustypen in eine andere Landschaft, wie Schweizerhäuser nach Sachsen, könnte man durchaus kritisch sehen, weil bei starker architektonischer Vermischung die bauliche Typik einer Region über die Jahre verdrängt würde. Manchmal wurden und werden von ortsansässigen Bauherrn bauliche Urlaubserinnerungen aus Spanien, Schweden oder eben der Schweiz (Dr.-Rud.-Friedrichs-Str. 40) hier mit unterschiedlichem Erfolg ausprobiert. Soweit die Theorie, in der Praxis kann man aber einen architektonischen Mix bis zu einem gewissen Grad akzeptieren und Radebeul ist dafür ein gängiges Beispiel. Seit die meisten Schweizerhäuser in die Denkmalliste aufgenommen worden sind, kann man wohl auch vom weiteren Erhalt dieser Häusergruppe ausgehen.

Was sind nun im Detail die Merkmale der Schweizerhäuser, die sie von anderen Häusern in unserer Region unterscheiden? Zu allererst möchte ich die Dachform nennen: Pfettendachstuhl mit Drempel, flach geneigte (ca. 15 … 35°) Sattel- oder Krüppelwalmdächer mit weitem Dachüberstand (50 … 120cm) an den Giebeln und Traufseiten. Hinzu kommen hölzerne Verzierungen an allen Dachkanten, solche, die eiszapfenartig herabhängen oder aufstrebende Elemente an den First- und Traufenden. Balkone aus Holz befinden sich meist am Giebel, manchmal sogar in zwei Etagen oder auch an den Längsseiten. Die Balkongeländer sind häufig aufwändig mit senkrechten Brettern in der Art barocker Docken geschweift gestaltet. Die Wände über quadratischem oder rechteckigem Grundriss sind massiv (meist Naturstein oder Ziegel) aufgeführt und verputzt, Wandteile davon können in Fachwerk ausgeführt oder verbrettert gestaltet sein und Haussockel erscheinen oft steinsichtig (Syenit). Wir finden stehende Fensterformate, dazu häufig hölzerne Klappläden. Manchmal gibt es auch Risalite auf den Längsseiten, Gaupen und Erker sind original eher selten. Vom Haus Lößnitzgrundstraße 103 habe ich mal ein historisches Typenblatt (Werbung um 1880) kopieren können. Am spannendsten sind darauf die Baukosten von 16 000,- Mark! Klingt preiswert, aber in der Kaiserzeit hieß das Goldmark und das war eine ganz andere Größe als jede spätere Mark!



Die Anzahl der Schweizerhäuser ist hier doch recht groß, im Raum Dresden kenne ich keine vergleichbare Anhäufung derartiger Häuser und sie sind nicht so leicht zu begrenzen. Der Auflistung im Anhang steht eine größere Zahl von ähnlichen oder Schweizerhäusern nur entfernt ähnlichen gegenüber. So zeigen etliche der Beispiele nur einzelne der o.g. Merkmale, andere haben diese über die Zeit (ca. 150 Jahre) bei früheren Sanierungsversuchen eingebüßt.


Oft wurden bei Reparaturen hölzerne Dachzier und der weite Dachüberstand weggelassen oder der Kosten wegen auf ein Minimum eingekürzt. Bei den geringen Dachneigungen kamen in der Zeit nach 1945 statt Schiefer dann oft Dachpappe oder Pappschindeln aufs Dach. Auch muss festgestellt werden, dass sich die Vorschriften für Dachdecker inzwischen verschärft haben: was um 1880 bei Schiefer erlaubt und üblich war, geht inzwischen so nicht mehr. So ist bei ganz flachen Dächern Naturschiefer nicht immer möglich, entweder man entscheidet sich für die teure Schiefer-Doppeldeckung oder man muss in einigen Fällen auf Zinkdeckung ausweichen. Nach 1989 bekamen vor allem als Sommerdomizil errichtete Schweizerhäuser oft unangemessen starke Wärmedämmung verordnet. So war die Weinbergstraße 38 wärmetechnisch nicht zu ertüchtigen und wurde schließlich abgerissen. Dass es auch anders geht, sieht man am Landhaus Bennostraße 23, wo bei einer um 2008 erfolgten Sanierung nach Befund und alter Bauzeichnung alle Merkmale erhalten bzw. so gut ergänzt wurden, dass sich dieses Haus heute als Muster eines Schweizerhauses empfiehlt. Ebenfalls ein Haus, wo sich fast alle Schweizerhausmerkmale erhalten haben, ist am Standort der „Bilz-Pension“ im Lößnitzgrund zu bewundern.

Dietrich Lohse

Fotos: D. Lohse

 

Anhang zu „Schweizerhäuser in der Lößnitz“

Auerweg 2a – August Große – 1875
Augustusweg 5 – Gebr. Ziller – um 1870
Bennostraße 23 – Gebr. Ziller – 1873/74
Borstraße 19 – Gebr. Ziller – 1878
Dr.-Rud.-Friedrichs-Str. 25 – Adolf Neumann – 1893
Eduard-Bilz-Str. 27 – Gebr. Ziller – 1877
Eduard-Bilz-Str. 35 – Gebr. Ziller – 1880
Jägerhofstraße 47 – Gebr. Ziller – 1877/78
Lößnitzgrundstr. 81 – Gebr. Ziller – 1887
Lößnitzgrundstr. 84 – Gebr. Ziller (Meierei) – um 1880
Lößnitzgrundstr. 97 – Gebr. Ziller zugeschrieben – um 1880
Lößnitzgrundstr. 99 – Gebr. Ziller zugeschrieben – um 1880
Lößnitzgrundstr. 103 – Gebr. Ziller (Bilz Kurhotel) – 1887/88
Lößnitzgrundstr. 107 – Gebr. Ziller zugeschrieben – um 1880
Lößnitzgrundstr. 115 – Gebr. Ziller zugeschrieben – um 1880
Lößnitzgrundstr. 117 – Gebr. Ziller – 1884/85
Lößnitzgrundstr. 125 – Gebr. Ziller zugeschrieben (Haus am Hang) – um 1880
Lößnitzgrundstr. 126 – Gebr. Ziller zugeschrieben – um 1880
Paradiesstraße 46 – Moritz Ziller – 1863
Waldstraße 20 – Moritz Ziller – 1860/61
Weinbergstraße 10 – C. E. Johne (neben Meinh. Turmhaus) – 1853
Weinbergstraße 26 – Gebr. Ziller – 1866/67
Winzerstraße 7 – Gebr. Ziller zugeschrieben – um 1890

Dietrich Lohse

Rauschendes Sommermärchen im zeitigen Frühling

Zur Premiere von William Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“ am 10./11.3. 2018

»Ein Sommernachtstraum« mit Moritz Gabriel, Michael Berndt-Cananá, Holger Uwe Thews und Jürgen Haase
Bild: H. König

In die Vorfreude auf die Neuinszenierung des „Sommernachtstraums“ hatte sich bei mir in den Tagen zuvor auch ein wenig Furcht gemischt, denn ich hatte die Textvorlage zur Hand genommen und die Figuren durchgezählt, die der große Barde für dieses Stück als Handlungsträger vorgesehen hatte. Es sind 27, nicht mitgezählt „andere Elfen“ und „Gefolge“ als üppiges darstellerisches Beiwerk. Kein Wunder also, dass vor nunmehr 20 Jahren insgesamt knapp 40 Akteure die Bühne bevölkert hatten, als in der Inszenierung Carsten Ramms der „Sommernachtstraum“ auf der Felsenbühne gegeben wurde. Ich weiß noch, wie mich das Verwirrspiel um Lieben und Geliebtwerden damals irritiert hatte und ich am Ende nicht mehr wusste, wer warum und durch wen zum Lieben oder Hassen veranlasst oder davon auch wieder geheilt wurde. Insofern war damit schon die eigentliche Aufgabe für Regisseur Peter Kube und Dramaturgin Uta Girod gestellt: Die verworrenen, sich überlagernden, aber auch gegenseitig bedingenden Handlungsstränge so zu entflechten, dass es für den Zuschauer transparent bleibt. Und das gelang durch Erstellung einer stringenten Spielfassung und damit Konzentration auf das Wesentliche auf bravouröse Weise, sodass nach knapp drei Stunden das begeisterte Premierenpublikum bestens gelaunt in den Frühlingsabend entlassen wurde. Kube und Girod hatten natürlich gegenüber Ramm einen entscheidenden Vorteil, denn sie konnten – anders als es vor 20 Jahren möglich war – auf die großartige, in einem sehr heutigen Deutsch geschriebene, dennoch den Shakespeareschen Sprachwitz auf frische Weise in unsere Hörgewohnheiten überführende Übersetzung Frank Günthers zurückgreifen, die seit Ende der 1990er Jahre die altbackene Fassung Schlegels aus dem 19. Jahrhundert obsolet werden ließ. Und so lässt man sich gleich von Beginn an sehr bereitwillig auf dieses für sich genommen märchenhafte Spiel ein, das zwischen der realen Welt Athens (als Herzog Theseus agiert Matthias Henkel) und dem magischen Reich der Elfen (deren Königspaar Oberon und Titania wird von Grian Duisberg und Sandra Maria Huimann interpretiert) immer hin und her wechselt. Zwischen diesen Welten suchen, finden und verlieren sich die vier jugendlichen Athener Lysander, Demetrius, Hermia und Helena (Felix Lydike, Johannes Krobbach, Luca Lehnert und Julia Rani), an deren unsteten hormonellen Zuständen vor allem Puck Schuld ist. Diese Figur, die üblicherweise durch junge und kleine oder wenigstens drahtige Ensemblemitglieder besetzt wird, gewinnt durch Tom Hantschel eine ganz eigene Note: Dessen Puck ist eine schon leicht altersschwache Elfe, die aber außerordentlich sympathisch in ihrer behäbigen Massigkeit wirkt und dem mitunter rasanten Treiben im nächtlichen Wald eine gemütliche Präsenz á la Balu dem Bären aus dem „Dschungelbuch“ entgegensetzt. Alles andere als Gemütlichkeit verbreiten dagegen vier Athener Handwerker (Michael Berndt-Cañana, Moritz Gabriel, Jürgen Haase und Holger Uwe Thews), die zu Ehren der bevorstehenden Vermählung zwischen Theseus und Hippolyta (Sophie Lüpfert) ein kurioses Theaterstück einstudieren, in denen es – wie könnte es anders sein – auch wieder um zwei Liebende geht, Pyramus und Thisbe. Das hanebüchen amateurhafte, mitunter hektisch-stümperhafte Agieren der vier Männer mit Akkuschrauber, Taschenlampe, Karabinerhaken und Bierflaschen ist so wunderbar komisch und einfallsreich in Szene gesetzt, dass man aus dem Lachen kaum herauskommt. Großartig in diesem „Stück im Stück“ vor allem Michael Berndt-Cañana in seiner zweiten Rolle als Thisbe, bemerkenswert auch Holger Uwe Thews, der vom Habitus her glatt als jugendlicher Rod Stewart durchgeht. Zahlreiche gelungene Einfälle verstärken den inszenatorischen Ansatz, die irreale Binnenhandlung dieses Stück vor allem als einen lang anhaltenden Traum erlebbar zu machen, denen die vier jungen Liebenden in einer warmen Sommernacht ausgeliefert sind. So geht ein Mond in wechselnden Farben auf und unter, flimmern beeindruckende Lichtarrangements über sanftem Klangteppich durch den Bühnenraum, erscheint die Natur belebt durch raschelndes Blätterwerk und schwankende Bäume (Ausstattung: Barbara Blaschke). Wesentlich trägt auch die Wahl der Kostüme zu dem insgesamt sehr überzeugenden Eindruck des Stückes bei. Klug akzentuieren diese die jeweilige Zugehörigkeit zur menschlichen und zur Traumwelt. Während alle Athener (zu denen auch noch Michael Heuser als Egeus zählt) in einfarbigen oder wenigstens gedeckten Kostümierungen zu erleben sind, wahren alle Figuren der Traumwelt in ihren exaltierten Gewändern und Maskeraden auch optisch den Abstand zur Wirklichkeit.

Warum bringt man ein solches über weite Strecken lustiges und unpolitisches Stück in aufwühlenden Zeiten wie den unserigen auf die Bühne? Wäre nicht eine der vielen Shakespeareschen Historiendramen oder Tragödien angemessener gewesen, aus Sicht der Überzeitlichkeit dieser Stoffe einen tiefen Blick in die Abgründe unserer Tage zu wagen? Vielleicht. Aber Humor und Frohsinn sind schon immer subtile Waffen im Kampf gegen Verzweiflung und Ratlosigkeit gewesen. Insofern haben die Landesbühnen an diesem Abend alle Besucher aufs Beste ausgerüstet. Danke.

Bertram Kazmirowski

Aufführungen ab April: 1.4., 7.4., 3.5. Radebeul, 21.4. Meißen.

Copyright © 2007-2025 Vorschau und Rückblick. Alle Rechte vorbehalten.