Ausblick auf die V+R-Titelbilder im Jahr 2017

Zunächst möchte ich im Namen der Redaktion dem Künstlerpaar Friederike Curling-Aust und Brian Curling herzlich danken für die Gestaltung unserer Titelbilder im zu Ende gehenden Jahr – Grafik leicht und locker, ein Hauch von Tönen meist der Natur entlockt, aber auch kontrastreichere Bilder darunter.

In den zurückliegenden Jahren konnte man bei den Titelbildern beobachten, dass einem Jahr mit Malerei und Grafik meist ein Jahr mit fotografischen Motiven folgte. An dem Prinzip wollen wir festhalten und haben zur letzten Redaktionssitzung beschlossen, 2017 Fotos von Gartenlauben und Pavillons (die Grenzen sind oft fließend) aus Radebeul und Umgebung auf die Titelseiten der Vorschau zu bringen. Es war zwar nicht meine Idee, doch ich gebe gern zu, dass dieses Thema eine Steilvorlage für mich ist. Ältere Leser werden sich vielleicht erinnern, dass ich 1995 (Heft 4, 5 u. 7) das Thema schon mal behandelt hatte, da waren es aber Textbeiträge und nun geht es um die Titelbilder. Ich denke, das ergänzt sich ganz gut.

Wenn Sie, liebe Leserinnen und Leser, das Januarheft in den Händen halten, könnte der Gedanke an „Die Gartenlaube“ (ein bekanntes Familien- und Freizeitjournal aus der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts) aufkommen und wir sollten unser Heft gleich so nennen – nein, so weit wollten wir dann doch nicht gehen.

Freuen Sie sich auf eine neue Titelbildserie und bleiben Sie uns gewogen.

Dietrich Lohse

Mit Tom Tagtraum durch das Jahr 2016 – Teil 12

Du musst Träumen ihre Entstehung zulassen, denn nur so kann irgendwann ein Teil davon auch Wirklichkeit werden.

EPILOG – Herr Tagtraum und das allweis(s)e Sternenschiff

Viele, sehr viele Jahre sind vorüber. Stell dir vor, wir schreiben das Jahr, na, sagen wir, Zweitausendännafännuffzig. Aus Kindern sind Eltern, Groß- und sogar Urgroßeltern geworden. Aus Träumen sind neue Träume entstanden, weil, tja, eben nicht alle sich erfüllt haben. Manche sind auch komplett schief gegangen oder von der Wirklichkeit in eine ganz andere Richtung gedrängelt worden. Aus dem Heute heraus weiß keiner so genau, was bis zum Jahr Zweitausendännafännuffzig so alles erfunden sein wird und in welcher Verfassung sich dann unsere gute, alte Erde und die gesamte Menschheit befinden wird, denn, das einzige, auf das Verlass ist, ist, dass sich alles ändert. Gestern – heute – morgen, einen Halt, ein Festhalten gibt es immer nur im Augenblick und in der Hoffnung, der Gewissheit, weiter gehen zu müssen. Aber stellen wir uns mal einen schönen, spätwarmen Herbsttag im Oktober des Jahres Zweitausendännafännuffzig vor. An einem grünen, dreieckigen Haus werden tatsächlich Straßenbahnen vorbeifahren, eine Haltestelle befindet sich unmittelbar vor der Eingangstür. Vielleicht ist die Straßenbahn dann auch noch gelb, quietscht aber kein bisschen mehr, weil sie tatsächlich weder Schienen noch Oberleitung braucht, sondern auf einem Luftkissen angeschwebt kommt. Der Traum, dass eine S-Bahn vom Hauptbahnhof hier stoppt, um als nächste Station das Haus auf dem Weinberg anzusteuern, der hat sich natürlich auch erfüllt, nur nicht hier, sondern in Prag, Paris und Sao Paolo. Leider haben Unwetter, Vulkanausbrüche, Brände und Beben die Erde immer wieder heimgesucht, aber alle großen Kometen und Asteroiden sind immer nur knapp, also einige zehntausend Kilometer entfernt, an der Erde vorbeigesaust, die ganz große Katastrophe ist also ausgeblieben. Trotz allem, was immer wieder „Fortschritt“ genannt wird, ist die Menschheit nicht von Krankheiten verschont geblieben und auch nicht so vernünftig geworden, dass Kriege ausbleiben konnten. Und Wohlstand für alle Menschen? Die Erde hätte schließlich genug Ressourcen dazu, diesen mit dem Vernunftteil des menschlichen Gehirns zu ermöglichen, und es wäre schön zu sagen –

„Stelle dir das einfach mal vor!“ Aber mit dem Teil des Gehirns, in dem Gier, Hass und Neid wohnen…, nein, auch in vielen Jahren scheint das alles nicht so recht vorstellbar.

Ach, würde ich mich nur täuschen! Würde im Jahre Zweitausendännafännuffzig jemand diesen Text lesen und sagen: „Wie konnte der sich bloß so irren!“ Alle Welt lebte friedlich miteinander und die Menschheit hätte einen bleibenden Wohlstandsausgleich geschaffen. Magst du daran glauben oder davon träumen?

Um die Erde kreist ein allweis(s)es Sternenschiff. Das Sternenschiff scheint verlassen und leer, aber das täuscht, denn es ist voller Gedanken, Ideen und Erinnerungen. Seine Fenster geben den Blick auf die Erde frei, auf viele Sonnenauf- und -untergänge in ganz kurzer Zeit. Noch mag es sich von dem faszinierenden Blick auf die Erde nicht lösen. Für einen Weiterflug in die Tiefen des Alls bedürfte es eines gewaltigen Schubes…

An jenem spätwarmen Herbsttag im Oktober Zweitausendännafännuffzig sitzt im kleinen Park beim Theater ein alter Herr mit Hut und Mantel tagträumend auf einer Bank. Mit einer quietschgelben Straßenbahn begannen unsere Geschichten und – wie gesagt – eine Straßenbahn gibt es hier ja wirklich. Der alte Herr aber ist die zwei Haltestellen von seiner Wohnung zum Park gelaufen, sogar über Umwege. All diese Umwege stecken für ihn voller Erinnerungen, denn es sind von ihm oft begangene Wege. Herr Tagtraum beobachtet die Leute von seiner Parkbank aus, freut sich besonders über die Kinder, die jetzt aus der Schule kommen, erinnert sich wieder an den Geruch der Pausenbrote, damals, in einem schweren Schulranzen aus Leder, voller Bücher und Hefte. Mitunter ist Herrn Tagtraum etwas schläfrig und er nickt auf der Bank im kleinen Park ein wenig in den Schlummer. Dann träumt ihm von weiten Wegen, Wiesen, einem Flug über die Alpen, den Wellen am Meer und von einem Sternenschiff, das direkt über der Stadt schwebt und vielleicht sogar ihn und all die Menschen ringsum beobachten kann. Tatsächlich steht in der Zeitung etwas vom Kometen Singflurhallytour, der dieser Tage an der Erde vorbeizieht, leicht mit bloßem Auge zu erkennen. Astronomen haben nicht nur seine Masse und die Länge seines Schweifs berechnet, nein, auch seine Bahn. In genau 3 Millionen Jahren käme er hier an gleicher Stelle wieder vorbei… Es ist schon später Nachmittag geworden. Herr Tagtraum schaut auf seine alte Armbanduhr aus rötlichem Gold. Die hat schon viele Kratzer und auch nicht mehr das richtige, ursprüngliche Armband. Herr Tagtraum hat es durch ein einfaches, praktisches, mit weißen und roten Streifen und vielen Sternen ersetzen lassen. Der Sekundenzeiger der Uhr ist irgendwann hängen geblieben und steht ständig auf „zehn nach“, aber das stört Herrn Tagtraum nicht. Das Besondere an der Uhr ist nämlich das Zifferblatt. Da reichen sich zwei Männer in sehr altmodischen Sternenschifffahreranzügen die Hand. Der eine lächelt geradezu bezaubernd. Er soll der erste Mensch gewesen sein, der vor vielen Jahrzehnten die Erde für einen Flug ins All verlassen hat. Der andere Herr schaut etwas bedächtiger und blickt dabei auf seine Füße. Er soll auch der erste Mensch gewesen sein, jener, der den Mond betrat. Beide haben sich in Wirklichkeit nie getroffen. Nur auf dem Zifferblatt der alten Uhr von Herrn Tagtraum stehen sie sich Hand in Hand und von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Es ist Zeit für den alten Herrn in Hut und Mantel, Herr Tagtraum nimmt seinen Gehstock, stützt sich von der Bank und begibt sich auf den Weg nach Hause. Wiederum nimmt er nicht die Straßenbahn, wieder läuft er Umwege durch seine Erinnerungen. Und: Er wird bald DA sein. Wer ihn beobachtet wird feststellen, dass sein Gesicht, ja seine ganze Gestalt vor Zufriedenheit strahlt. Der Nachhauseweg fällt ihm leicht.

Und für den Autor dieser Geschichten wird es jetzt auch Zeit, nämlich sich an dieser Stelle von dir zu verabschieden. Du weißt ja – was immer geschieht, du darfst nie aufhören zu träumen und zu sagen „stelle dir vor…“. Und vielleicht stellst du dir ja vor, was man in Zukunft so vieles noch berge-, ja weltenversetzend besser machen muss. Deshalb mein inniger Wunsch mit auf DEINEN eigenen und einzigartigen Weg: Viel Glück und gute Begegnungen.

Solltest du Tom treffen, nun, mitunter bedarf es einer praktischen Handreichung aus den Träumen heraus in die Wirklichkeit. Meistens aber reicht schon ein wissendes Augenzwinkern…!

Tobias Märksch

In eigener Sache

Weihnachtswunsch

Liebe Leserinnen und Leser,

nein, um eine Spende bitte ich Sie jetzt nicht, auch wenn wir, wie im Novemberheft berichtet, den sächsischen Bürgerpreis nicht erhielten. Immerhin gab es zur Anerkennung unten gezeigte Urkunde. Wir machen weiter, habe ich versprochen und deshalb möchte ich heute noch einmal auf eine andere naheliegende und beständige Unterstützung für unser Monatsheft hinweisen. Immer zum Monatsende machen sich die Redaktionsmitglieder und deren Freunde auf den Weg, um „Vorschau & Rückblick“ zu verteilen. Viele Stunden, oft über Tage verteilt, laufen und fahren sie durch Radebeul und Umgebung, um pünktlich bis zum Ersten des Monats die Hefte in die Briefkästen bzw. zu den Auslagestellen zu bringen. Viele von Ihnen bekommen auf diesem Weg direkt das Heft, ohne im Verein Mitglied zu sein. Dieser Service hat sich über die Zeit entwickelt und soll auch nicht abgeschafft werden. Dennoch stellen wir die Frage in den Raum, ob es nicht den Vereinsmitgliedern gegenüber fair wäre, dass die bequeme Frei-Haus-Lieferung durch eine formelle Mitgliedschaft gedeckt wird. Die 25 €, die dafür pro Jahr zu entrichten sind, würden uns helfen, das monatliche Erstellen des Heftes auch zukünftig zu sichern. Zusätzlich wollen wir gern die Internetpräsenz durch die Aufnahme zeitloser, interessanter Artikel aus den vergangenen fünfundzwanzig Jahren erhöhen. Dies wäre mit einem hohen Aufwand verbunden. Auch dafür könnte das Geld in Form von kleinen Aufwandsentschädigungen verwendet werden.
9-Saechsischer-Buergerpreis
Sollten also auch Sie zu denen gehören, die diese Dezemberausgabe kostenlos und ohne eigenen Aufwand erhalten haben, dann überlegen Sie doch bitte, ob Sie nicht ab 2017 Vereinsmitglied werden möchten. Einen Aufnahmeantrag finden Sie auf unserer Homepage im Internet unter dem Stichwort „Verein“.

Vielen Dank schon jetzt an alle, die sich dafür entscheiden.

Allen Leserinnen und Lesern wünsche ich nun eine frohe Adventszeit und ein fröhliches, besinnliches Weihnachtsfest – und lassen Sie sich nicht vom Vorweihnachtsstress einfangen!

Ilona Rau
Vereinsvorsitzende

Zeichen und Gestalt

DIE KRAFT DER LINIE
Hermann Glöckner & Helmut Schmidt-Kirstein

Sowohl der Glasperlenspielmeister Hermann Glöckner (1889 – 1987), als auch der sinnliche Helmut Schmidt-Kirstein (1909 –?1985) setzen in ihrem Werk in besonderem Maße auf die Sensation der Linie, die Raum und Welt aus dem Nichts der leeren Fläche ins Leben ruft.

Glöckner, »Formen in der Landschaft«, um 1958 Foto: G. Klitzsch

Glöckner, »Formen in der Landschaft«, um 1958
Foto: G. Klitzsch


Die Zeichnung als die klassische Grundlage aller Darstellung ist zugleich Ausdruck und Ausweis der künstlerischen Meisterschaft beider Künstler. Kohlezeichnungen stehen am Beginn der künstlerischen Entwicklung Hermann Glöckners und nicht zufällig klingt in den »Schwüngen« – vollendet fließenden, farbigen Kurvenlinien – sein Lebenswerk aus. Im Tafelwerk der 30er Jahre erlangt die Linie systemhafte und gestaltschaffende Bedeutung.
Schmidt-Kirstein, »Liegender Herbststrauß«, 1980 Foto: g. Klitzsch

Schmidt-Kirstein, »Liegender Herbststrauß«, 1980
Foto: g. Klitzsch


Helmut Schmidt-Kirstein begleitet nicht nur seine späten, flächigen Gestaltungen mit einem Liniennetz sprechender und raumschaffender Konstruktivität, sondern gibt in den Porträtzeichnungen seinen Frauengestalten mit wenigen Linien körperliche Präsenz. Die Linie gibt bei Schmidt-Kirstein auch in seinen frühen Nachkriegs-Lithographien, den italienischen Mädchen und Frauen und ihren lebensfrohen Arbeiten stets eine unmittelbare Authentizität. In den in der Ausstellung nur mit einem Werk vertretenen »Vergitterten Gärten« aus dem Jahre 1959/1960 bestimmt neben glühenden Farben ein dichtes Liniengeflecht den Bildcharakter.

Glöckner und Kirstein kommen sich Mitte der 50er Jahre in ihrem gegenstandsfreien Arbeiten nahe, auch in Hinblick auf internationale Tendenzen (Hartung) der Kunstentwicklung nach dem Krieg. Die Ausstellung versucht hierfür den Beweis anzutreten.

Es ist eine der stupenden Stärken der Dresdner Kunst, auch in der Abstraktion oder im Informellen stets einen Rückbezug auf die realistische Wahrnehmung der Welt fortzuführen, diese aufzuheben und damit die Gründung der Abstraktion im Gegenstand der Welt zu bewirken. Dies erscheint als eine spürbare, vielleicht aus der Flusslandschaft der Kontinuität des Kunstraumes von Dresden sich nährende Besonderheit.

Lineare Strukturen findet Glöckner in den 20er und 30er Jahren in Schornsteinen und Strommasten, in Flächenteilungen der Felder, an Hausdächern und Giebeln seiner näheren Umgebung. Die Entstehung seines »Konstruktivismus«, auf den er zu Unrecht oft schlagwortartig reduziert wird, schildert er wie folgt:

»Um 1930 sind Bilder wieder hervorgeholt worden, die bis 1927 entstanden sind. Wesentlich war mir vor allem der »Kleine Dampfer«. Es fiel mir auf, dass in dem Bild bestimmte Maßverhältnisse herrschten, die sich gewisser Maßen unbewusst formiert hatten. Ich untersuchte dann auch andere Bilder daraufhin und es stellte sich heraus, dass es auch dort der Fall war. Die Bilder wurden fotografiert und die Fotos von mir mit Maßlinien überzeichnet, so dass entsprechende Teilungen und Unterteilung aufzufinden waren. Es stellte sich heraus, dass immer eine Mittelachse vorhanden war und außerdem sowohl in horizontaler wie in vertikaler Richtung die Halbe-, die Viertel-, die Achtelunterteilungen und so weiter sich deutlich durch Bildelemente akzentuieren, und zwar so scharf, dass ich mir bewusst wurde, dass das nicht zufällig sein konnte. Ich besann mich meiner jugendlichen Erfahrungen und Leidenschaften für die Geometrie. Es war zweifellos so, dass meine damaligen Erfahrungen in meine Arbeiten eingegangen sind, ohne dass ich das bemerkte.«

Helmut Schmidt-Kirstein kehrt nach 1970 zu einer gegenständlichen Darstellung zurück (»Herbststräuße«). Allerdings bleiben die Erfahrungen der vorangegangenen beiden Jahrzehnte lebendig in Gestalt einer flirrenden explosiven Lineatur, die die Früchtestillleben und die Mädchen, die Bischofswerdaer Gartenlandschaften und die italienischen Erinnerungen in einer nervösen Kalligraphie begleiten. Eine kraftvolle Farbigkeit zeichnet die nach den Monotypien allmählich in verstärktem Maße entstehenden Aquarelle aus.

Hermann Glöckner zog 1945 in den ersten Stock des Loschwitzer Künstlerhauses, Helmut Schmidt-Kirstein folgte im Erdgeschoss 1955 und beide behielten diese Ateliers, die zugleich bescheidene Wohnungen waren, bis zu ihrem Tode.

Der Pietzsch-Bau beherbergte mit Glöckner und Schmidt-Kirstein nicht nur sehr unterschiedliche Künstler, die gleichwohl von der Unbedingtheit ihres Schaffens geleitet, zum Freiheitlichsten gehören, was die Dresdner Kunst auch nach dem Krieg als neuen Beitrag zur Moderne dieser hinzugefügt hatte.
Beide Künstler bewegten sich im Spannungsfeld zwischen »Zeichen und Gestalt« und vermögen unserer Wirklichkeitserfahrung andere Weltsichten hinzuzufügen. Sie sind herausragende Beispiele einer Lebenskunst, die nicht den Vorgaben einer normierenden Gesellschaft, sondern den inneren Sternen ihrer eigenen Existenz mit all ihren Zufälligkeiten und Unvorhersehbarkeiten gefolgt sind. Gerade in unseren Tagen von erneut vorgeprägter Gedanken- und Sprachwelten, gewinnt das Lebens-Zeugnis der beiden »Künstlerhäusler« Glöckner und Schmidt-Kirstein eine besondere, heiter stimmende Bedeutung.

Lassen Sie sich von diesem freien Spiel zu einem Augenblick zwischen Lebenslust und Kontemplation herzlich einladen!

Gottfried Klitzsch

Von einem der wegging, um sich einen Namen zu machen

Interview mit Frank-Jürgen Weise anlässlich seines 65. Geburtstags am 8. Oktober 2016

Wenn wir in den zurückliegenden zweieinhalb Jahrzehnten in unserem Heft Persönlichkeiten porträtiert oder interviewt haben, dann handelte es sich fast ausschließlich um Menschen, die als Kunst- und Kulturschaffende unser Leben bereichert und Radebeul seinen unverwechselbaren Charakter als Herz und Sinne anregende Stadt verliehen haben. Oft genug waren diese Personen schon lange Bürger unserer Stadt gewesene, weshalb wir vom Redaktionskollegium – und auch unsere Leserschaft – sie bereits mehr oder weniger gut kannten. Wir hatten sie schon bei Ausstellungen gesehen, in Konzerten und Theatervorführungen erlebt, ihren Reden und Auftritten zu Festen gelauscht, ihre Texte gelesen. Es gibt aber auch die seltenen Momente, wo man ganz unverhofft auf Menschen trifft, deren Biografie zwar mit Radebeul verbunden ist, die aber unsere Stadt schon vor langer Zeit verlassen hatten, weshalb sich heute keiner mehr so recht an sie erinnert bzw. sie mit Radebeul in Verbindung bringt. Mir ist es vor einigen Monaten so mit Frank-Jürgen Weise gegangen. Frank-Jürgen Weise? Vielleicht denken Sie jetzt: „Den Namen habe ich schon einmal gehört.“ Tatsächlich gehört Frank-Jürgen Weise als Vorsitzender des Vorstandes der Bundesagentur für Arbeit und als Leiter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zu den hochrangigsten Verwaltungsmanagern unseres Landes. Vor kurzem erst, am 8. Oktober, beging Weise seinen 65. Geburtstag, denn er wurde 1951 geboren, und zwar in Radebeul. Das war für mich Anlass, mich um einen Interviewtermin mit Herrn Weise zu bemühen. Dankenswerter Weise nahm er sich Zeit, meine Fragen zu beantworten, wobei mich natürlich vor allem seine Erinnerungen an die Radebeuler Kinderjahre und seine noch bestehenden Bindungen an unsere Stadt interessierten.  

Frank-Jürgen Weise Foto: Bundesagentur für Arbeit

Frank-Jürgen Weise
Foto: Bundesagentur für Arbeit


Wo genau haben Sie in Radebeul gewohnt? Wir wohnten im Hausbergweg in Radebeul.

Woher stammt Ihre Familie, wann ist sie nach Radebeul gezogen und warum ist sie dann in die Bundesrepublik umgezogen? Mehrere Generationen von Urgroßeltern, Großeltern und Eltern sowohl von Vater als auch Mutter stammen aus dem Raum Dresden, Radebeul, Zitzschewig, Naundorf und Coswig. Meine Eltern hatte nach dem Krieg Sorge, dass es bei einer Besatzung durch die Sowjetunion bleibt, dass der Druck gegen die selbstbestimmte Lebensweise der Menschen in der DDR größer wird. So kam es zur Entscheidung, Radebeul zu verlassen.

Wo haben Ihre Eltern gearbeitet? Haben Sie Geschwister, die mit Ihnen in Radebeul aufgewachsen sind? Wenn ja, wo gingen Sie zur Schule? Mein Vater war Wirtschaftsprüfer und später Direktor in einer Fabrik für Kunststoffe. Meine Mutter hat uns drei Kinder, meine zwei älteren Schwestern und mich, erzogen.

Wie haben Sie Ihre ersten Lebensjahre in Radebeul verbracht? Die Schwestern waren schon in der Grundschule, ich war noch vor der Schule in der Kinderkrippe. Ich habe sehr schöne Erinnerung vor allem an die Natur, ein wenig auch an Freunde im Nachbarhaus im gleichen Alter.

Was ist Ihnen aus dieser Zeit besonders in Erinnerung geblieben? Ich habe in der Familie eine schöne, behütete Kindheit gehabt. Ich erinnere mich vor allem an Ausflüge, sowohl in die Natur in der Umgebung Radebeuls, aber auch Ausflüge an die Ostsee. Ich erinnere mich an die Tischlerwerkstatt meines Großvaters mütterlicherseits. An Freunde kann ich mich wegen der jungen Jahre leider nur vage, aber sehr positiv erinnern.

Sind Sie in den letzten Jahren besuchsweise nach Radebeul zurückgekommen? Wenn ja: Welchen Eindruck haben Sie von der Stadt gewonnen? Wenn nein: Planen Sie einen Besuch nach Eintritt in den Ruhestand? In der Zeit der DDR konnte ich als späterer Offizier der Bundeswehr in West-Deutschland nicht nach Radebeul fahren. Nach der Wende war ich mehrmals in Radebeul und Dresden. Ich war Mitglied im Aufsichtsrat der Robotron-Werke in Chemnitz und konnte helfen, Firmenteile zu erhalten und Leiterplattenfertigung für die Firma VDO zu produzieren. Die Technologie war sehr fortgeschritten. Beeindruckt war ich auch von den Fähigkeiten der Menschen. Das waren gute Erfahrungen. Ich habe später auch Professor Biedenkopf besucht, meinen Vorgänger als Vorsitzender des Kuratoriums der Hertie School of Governance. Ich war auch dienstlich zu Veranstaltungen mit der Bundesagentur für Arbeit in Dresden, und dann habe ich oft in Radebeul übernachtet. Und ich habe als Vorsitzender der Europäischen Arbeitsmarkt Services der 28 EU Länder Vertreter der Länder nach Meißen in unser Bildungszentrum und zu Besuchen in Dresden und Radebeul eingeladen. Radebeul ist eine sehr schöne Stadt, der ich sehr verbunden bin. Im Ruhestand werde ich sicher nach Radebeul und Dresden fahren, aber eher in Bayern wohnen bleiben.

Vielen Dank für das Interview und alles Gute für die Zeit des Unruhestandes!

Nach Abschluss der Schulzeit in Schweinfurt/Franken begann Frank-Jürgen Weise 1971 seine Karriere bei der Bundeswehr, wo er neben seiner Offiziersausbildung auch ein Studium der Betriebswirtschaftslehre abschloss. Während seiner 12 Jahre als Soldat bekleidete Weise zahlreiche Funktionen, u.a. als Kompaniechef und Jugendoffizier. Daran schlossen sich Stationen in der Wirtschaft an, bevor er 2002 in den Vorstand der Bundesagentur für Arbeit berufen wurde, dessen Vorsitz er im Februar 2004 übernahm. Nach eigenen Aussagen wird er voraussichtlich zum 1. April 2017 dieses Amt niederlegen und an seinen Nachfolger Detlef Scheele übergeben. Im September 2015 kam Weise der Bitte der Bundesregierung nach und übernahm außerdem ehrenamtlich die Leitung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Darüber hinaus ist Weise mit zahlreichen weiteren Ämtern und Funktionen in Wirtschaft und Öffentlichkeit betraut (u.a. Vorsitzender des Vorstands der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung, Frankfurt/Main und Senator der Deutschen Nationalstiftung, Hamburg). Frank-Jürgen Weise ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Frank-Jürgen Weise hat mich ausdrücklich bitten lassen, ihm Exemplare der Dezember-„Vorschau“ nach Nürnberg in die Zentrale der Bundesagentur zu schicken. Dem komme ich natürlich gern nach – vielleicht gewinnen wir so einen neuen Abonnenten?

Bertram Kazmirowski
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Quellen:
Wikipedia-Artikel zu Frank-Jürgen Weise (https://de.wikipedia.org)
Internetauftritt der Bundesagentur für Arbeit (https://www.arbeitsagentur.de)

 

17. Bauherrenpreis der Großen Kreisstadt Radebeul 2016

Am 4. November 2016 wurde durch die Stadt Radebeul und den Verein für Denkmalpflege und Neues Bauen Radebeul e.V. zum nunmehr siebzehnten Mal der Bauherrenpreis der Großen Kreisstadt Radebeul verliehen. Der Drei-Jahres-Rhythmus hat sich wohltuend auf die Einreichungen ausgewirkt. 20 qualitätsvolle Einreichungen in den drei ausgeschriebenen Kategorien Garten- und Freiflächengestaltung, Denkmalpflege und Sanierung sowie Neues Bauen sorgten für die notwendige Spannung und intensive Diskussion in vier Jurysitzungen.

Festzuhalten ist, dass allerdings über die Jahre hinweg immer nur sehr wenig Gärten und Freiflächen eingereicht werden, diesmal nur zwei. Das Selbstbild der Bürger dieser Stadt ist aber gerade (noch??) ein anderes: wir sehen unsere Stadt als Villen- und Gartenstadt; die Villen benötigen geradezu einen angemessenen Garten, sonst wären es keine. Oder wird Radebeul sukzessive eine Stadt der Ein- und Zweifamilienhäuser, der Doppelhaushälften und der sog. Stadtvillen? Auch die Freiflächen, im engeren Sinne die gestalteten Plätze, geben unserer Stadt erst ihr Flair. Hier ist aber erkennbar, dass sich Verwaltung und Bürger gleichermaßen um diese wichtigen Zäsuren bemühen, das öffentliche Bewußtsein dafür sehr ausgeprägt ist – sei es eben der Robert-Werner-Platz, die Anger in Zitzschewig oder Naundorf, der Fontänenplatz, Platanenplatz, Bilzplatz und sicherlich (!) bald der Rosa-Luxemburg- und der Ziller-Platz.

Mit der Kategorie Denkmalpflege und Sanierung, bisher immer Bauen im Bestand, sollte etwas mehr der Denkmalaspekt und fachgerechte Sanierungen betont werden. Dies nahm auch die Jury in ihren Diskussionen auf. Überhaupt greifen die Diskussionen in der Jury naturgemäß immer weiter als nur auf die einzelnen Baulichkeiten. Nicht zuletzt merkt man den Diskussionen ihre Befreiung im Korsett der Jury von den sonstigen rechtlichen Zwängen, die manchmal gleich Denkgrenzen markieren, an. Es wäre ggf. einmal überlegenswert, die inhaltlichen Ideen der Jury für die Stadt bzw. „ihre Baugremien“ nutzbar zu machen.

Auffallend ist zudem, dass diesmal am meisten Neubauten (13) eingereicht wurden. Es ist auch für den Verein unbestritten, dass unsere Stadt sich weiterentwickeln, Neues Bauen auch zu einer Villenstadt gehören muss. Wir tragen diesen Anspruch ja nicht zuletzt auch im Namen. Schwer ist natürlich immer das „richtige“ Maß, für das es auch gar keinen für jedermann gleichermaßen fassbaren Rahmen gibt. Neues Bauen soll nicht Kopie sein. Neues Bauen soll aber auch nicht Selbstzweck sein, sich nicht als alleiniges Maß sehen, sondern sich zwar neu positionieren aber dennoch einfügen, die Umgebung anerkennen und respektieren (nicht zuletzt die Natur und den Nachbarn).

Schwer haben es generell Gebäude in Neubausiedlungen, dies war dieses Jahr nicht anders als zuvor. Positiv war auch der Mut von Firmen, ihre Bauten „in den Ring zu werfen“. Schließlich prägen auch Firmenbauten die Umgebung und die in ihnen arbeitenden Menschen – eigentlich ein uralter Gedanke.

Ein vollständiger Überblick nebst Begründungen über die Gewinner, der dann auch wieder den Sammelordner ergänzen kann, wird erst der Januarausgabe von Vorschau und Rückblick beiliegen.

Zur Preisverleihung konnte der Vorstandsvorsitzende der Sparkasse, Herr Rolf Schlagloth, wieder knapp 100 Besucher in den Räumen der Sparkasse Radebeul West begrüßen. Die Sparkasse hatte darüber hinaus, wie schon in den letzten Jahren, freundlicherweise dafür gesorgt, dass alle Gäste in angenehmer Atmosphäre bei kleinen Snacks und anregenden Getränken zu ebensolchen Gesprächen über Baukultur und mehr verweilen konnten. Ein Grußwort sprach dann Dr. Jörg Müller, 1. Bürgermeister der Großen Kreisstadt Radebeul, der nicht zuletzt darauf aufmerksam machte, dass schon immer Bauen umstritten war und sich Qualität ggf. erst über Jahrzehnte hin zeigt und druchsetzt.

Innerhalb der zwei Ausstellungswochen erst in Ost dann in West bis zur Preisverleihung hatten diesmal über 200 Bürger (!) wieder von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, ihren Publikumsfavoriten zu wählen. Der Entscheidung der Jury (drei Vertreter der Stadtverwaltung, drei Vertreter des Stadtrates und sechs Vertreter des Vereins), die kein reines Fachgremium ist und in einem geheimen Wahlgang entscheidet, wurde damit die öffentliche Meinung gegenüber gestellt.

In der Kategorie „Denkmalpflege und Sanierung“ gab es fünf Vorschläge. Der Bauherrenpreis ging an das Objekt Augustusweg 44 (Bauherr Ursula Amberger-Hagen und Dr. Norbert Hagen), den Publikumspreis hingegen konnte die Weinstube Altnaundorf 20 (Bauherr Familie Handrack) für sich entscheiden.

In der Kategorie „Neues Bauen“ gab es dreizehn Vorschläge. Die große Dichte von qualitätsvollen Einreichungen und mehreren Vorschlägen für Gewerbebauten hatte die Jury von der Möglichkeit Gebrauch machen lassen, in dieser Kategorie zwei erste Preise zu verleihen. Diesen erhielten das Objekt Thomas-Mann-Straße 17 (Bauherr Familie Marcus Namokel) und das Objekt Friedrich-List-Straße 27 (Bauherr LTB Leitungsbau GmbH). Der Publikumspreis ging ebenso an die Friedrich-List-Straße 27.

In der Kategorie „Freiflächengestaltung“ konnte aus diesmal nur zwei Objekten ausgewählt werden, die zudem ganz unterschiedlich in ihrer Ausdehnung und Anspruch (Garten und Platz) sind. Hier entschied sich die Jury für den Robert-Werner-Platz (Bauherr Stadt Radebeul), der ebenso den Publikumspreis erhielt.

An rund 80 Objekten in Radebeul befindet sich nunmehr die Plakette – vielleicht auch einmal eine Anregung für einen Stadtspaziergang. Wir bedanken uns bei allen Mitwirkenden – ob Bauherr, Einreicher, Jurymitglied, Sponsor oder interessierter Bürger; ebenso bei der Druckerei Krause für die Einladungen und beim Grafiker Matthias Kratschmer, der wie gewohnt für die Urkunden, Plakate und Plaketten verantwortlich zeichnete. Wir gratulieren allen Preisträgern und bedanken uns für die großzügige Unterstützung der Sparkasse Meißen.

Dr. Jens Baumann

Kunst statt Sport an einem Ort

Eindrücke vom 38. Radebeuler Grafikmarkt

Ein Trend der modernen Kulturvermittlung ist die Entkopplung von Veranstaltungsort und Veranstaltungsformat. Nur so funktionieren Klassikkonzerte in Autofabriken, Ausstellungen in Bankhäusern und Performances in Industriebrachen. Inhalte suchen sich ihre Hüllen, auch wenn diese eigentlich anderen Zwecken dienen. Manchmal kommt es vor, dass erst der Kontrast von Inhalt und Form einem bestehenden Angebot zur vollen Blüte verhilft. Genauso verhält es sich seit dem letzten Jahr mit dem traditionellen Radebeuler Grafikmarkt, der am 6. November zum 38. Mal stattfand und – nach Jahrzehnten in engen Räumen erst des Rathauses und dann auch der Pestalozzischule – erneut in die Elbsporthalle nach Kötzschenbroda verlegt wurde. Denn dort, wo sonst der Sportlerschweiß rinnt und der Schiri schrill pfeift tummelten und drängelten sich ab dem Vormittag bis in den Abend hinein feinsinnige Kunstliebhaber auf der Suche nach Druckgrafiken, Zeichnungen, Aquarellen, Collagen, Fotografien, Künstlerbüchern, Kalendern, Katalogen, Plakaten und Kunstpostkarten. Unser Verein „Radebeuler Monatsheft e.V.“ hat zwar von alldem nichts zu bieten, aber dennoch erfuhren auch wir abermals großes Interesse der Besucher, die sich durch unsere farbenfrohe Präsentation mit zahlreichen Exemplaren unseres Heftes aus vergangenen Jahren angezogen fühlten. „Vorschau & Rückblick“ gehört für kulturvolle Radebeuler erfreulicherweise inzwischen ganz selbstverständlich zu ihrem Alltag, das bestätigten uns viele im persönlichen Gespräch. Auswärtigen konnten wir unser Monatsheft näher bringen, weshalb am Ende des Tages viele Probeexemplare den Weg zu potentiellen neuen Lesern gefunden hatten. Wir waren froh, zusätzlich zu unseren Heften auch durch unsere Grafikerin Antje Herrmann gestaltete Post- und Visitenkarten auslegen zu können, deren frisches Hellgrün gut anzuschauen ist. Wir sind uns angesichts der wiederum sehr positiven Erfahrungen sicher, auch im kommenden Jahr dabei sein zu wollen, denn nirgendwo sonst ist der Kontakt zu den Lesern und solchen, die es werden könnten, so persönlich möglich. Na dann, auf ein Wiedersehen in 2017 und „Sport frei“!

Für die Redaktion
Bertram Kazmirowski

Editorial 12-16

Kurz nach meinem Geburtstag beginnt in den Geschäften die kommerzielle Weihnachtszeit. Dann ist es wieder Anfang September! Selbst das spätsommerliche Weinfest liegt noch in relativer Ferne.

Längst haben wir uns daran gewöhnt in luftiger Sommerbekleidung an Pfefferkuchen und anderen Begehrlichkeiten vorbei zu defilieren. Nein, es ist noch nicht dran, wirft man sich affirmativ entgegen.

Erkläre das mal den Kindern, die in Erwartung eines kühlenden Eises mit einer Armada von Weihnachtsmännern konfrontiert werden.
Weihnachtszeit und Besinnlichkeit – Jedes Jahr die große Sehnsucht nach den aus der Kinderzeit tief eingepflanzten Urbildern und Emotionen. Ein immer wiederkehrendes Wagnis allen und allem gerecht zu werden. Wie kann und soll das gehen?

Erkläre das mal den Kindern…

Und jedes Jahr der Ruf nach Frieden. „Und Friede auf Erden“, heißt es so schön. Ein hehrer Wunsch angesichts der immer unübersichtlichen Weltenlage. Ganze Nationen versinken in Schutt und Asche, ganze Grundsysteme drohen ins Wanken zu geraten und wir zelebrieren im Mikrokosmos Weihnachtsfrieden. Aus Überzeugung oder Resignation?
Die Gebete wurden bisher kaum erhört und mit dem fraglich vernunftbegabten Wesen ist es bisher leidlich schlecht bestellt.

Erkläre das mal den Kindern…

Sascha Graedtke

Nach 69 Folgen in 17 Jahren mit über 3500 Besuchern

(Nicht nur) Reden in Kötzschenbroda schweigt vorerst

Am Ende des letzten Jahrtausends hatten sie furios im Luthersaal der Friedenskirche begonnen mit alle acht Sekunden von der Orgelempore rollenden Zeitkugeln und einer Dialogrede über Zeitenwenden und Zeitgefühl. Sie wurden ins Leben gerufen von Pfarrer Wolfram Salzmann, Thomas Gerlach und dem Autor, in den ersten Jahren unterstützt und mitgestaltet von einer Gruppe der evangelischen Friedenskirchengemeinde. 17 Jahre später haben sich die Kugeln vorerst ausgerollt. Die Begründer von „(nicht nur) Reden in Kötzschenbroda“ legen den Staffelstab ab, ohne zu wissen, ob, wann und wie er wieder aufgenommen wird.
In jedem Winter zwischen 1999 und 2016 haben zwischen zwei und sieben Reden den Luthersaal in Altkötzschzenbroda oft mit weit über hundert, manchmal aber auch nur mit knapp dreißig Besuchern mehr oder weniger gefüllt. Das Konzept war: aus der Kirchengemeinde heraus sollten für alle Bürger der Stadt aktuelle regionale und überregionale, persönliche und politische, kulturelle-religiöse und soziale Themen aufgegriffen und zur Diskussion gestellt werden. Mit den Reden verbunden waren immer Diskussionen, meistens musikalische Zwischenspiele und anfangs in der Regel auch eine themenspezifische Gestaltung des Vortragsraumes. Die Redner und Rednerinnen kamen überwiegend aus der Region, gelegentlich aber auch aus Hamburg und Stuttgart, Weimar und Berlin.
Aus dem großen Spektrum der Themen sollen hier beispielhaft einige genannt werden. Speziell auf Radebeuler Probleme bezogen sich Reden über Zwangsarbeit in unseren Weinbergen im Dritten Reich, über den Schutz vor dem Elbehochwasser, zu OB- und anderen Wahlen, zu Gewalt in der Schule und zu Courage und Asyl, auch – zwecks Einstimmung auf das jährliche Wandertheaterfestival im Herbst oder zu Inszenierungen der Landesbühnen – zu Mythen und Märchen, historischen Maskenspielen und Medea. Werte unseres Lebens standen im Fokus zum Beispiel bei „Partnerschaft heute“, „Homosexualität“, „Schenkenkönnen und Beschenktwerden“, „Barmherzig- und Gerechtsein“, „Sterben wahrnehmen“. Zur Literatur- und Kunstgeschichte gab es Abende beispielsweise über „drei Weise aus dem Morgenland“ und „die Begegnung der Königin von Saba mit König Salomo“. Im Mittelpunkt von Religionsdialogen standen Judentum, Islam und Buddhismus. Politische Themen waren u.a. – international: – Palästina und der Nahe Osten, die Revolution im Iran und ihre Konsequenzen, Europa und der Euro, die Finanz- und Bankenkrise sowie Begrenzung des Wachstums, – national: – Demokratieverständnis und Verfassung, Datenschutz und Bürgerfreiheit, Arbeitsplätze und Mitbestimmung.
Der Radebeuler Notschriftenverlag veröffentlichte vier der Reden und ihre Diskussion in kleinen Buchausgaben, darunter „Paulus und der verborgene Gott“ in Anton Dietrichs monumentalem Zittauer Historiengemälde, „Märchen und Mythen“ über Geschichten vom Ursprung unserer Kultur, und „es begibt sich aber zu der Zeit“ mit Reden und Trommlers Musik zur Weihnachtszeit. Einen besonderen Höhepunkt bildete die Diskussion über Resozialisierung und Strafvollzug, zu der sich der Luthersaal durch mit Kreide skizzierte Zellen in ein Gefängnis verwandelte und vier Dresdner Gefangene zusammen mit vier ehrenamtlichen Mitarbeiter_innen auf dem Podium saßen, ohne dass erkennbar wurde, wer zu welcher Gruppe gehörte.
Eine Reihe von Vorträgen fand überregional Beachtung. So erschien die Nikolausrede in polnischer Übersetzung im dem deutschen Spiegel vergleichbaren Warschauer „Forum“, die deutsche Fassung in der „Frankfurter Rundschau“ und in Ost-West-Magazinen. Die Königin von Saba gelangte in fast alle großen deutschsprachigen Tageszeitungen (Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Allgemeine, Frankfurter Rundschau, Neue Zürcher Zeitung), dazu zweimal in Deutschlandradio Kultur und MDR-Figaro. Sie wurde auch in verschiedenen Fachzeitschriften gewürdigt. Sächsische Zeitung bzw. Frankfurter Rundschau druckten ganzseitig die Reden über „Barmherzigkeit und Gerechtigkeit“, „Buddha und Jesus“ und über Nikolaus von Myra und die Solidarität.
Über Radebeul hinaus wirkten die „Reden in Kötzschenbroda“ auch durch den Radebeuler Courage-Preis. In einer der ersten Reden hatten sich im Jahr 2000 die damals sieben Kandidaten der OB-Wahl vorgestellt. Auf die Frage, was die Kandidaten im Falle ihrer Wahl dafür tun würden, dass Radebeul wieder – wie 1645 durch den Waffenstillstand von Kötzschenbroda, der den 30jährigen Krieg in unserem Raum vorzeitig beendete – als Friedensstadt bekannt würde, hatte der damalige Kandidat Bert Wendsche die Auslobung eines Friedenspreises genannt. Ein halbes Jahr nach seiner Wahl haben ihn die drei Begründer der „Reden“ daran erinnert. Das war die Geburtsstunde des Courage-Preises. Er wurde damals mit der Absicht gegründet, gestützt von einer Bürgerinitiative und unabhängig von Parteipolitik, insbesondere diejenigen Personen und Gruppen aus Osteuropa u.a. mit einem Preisgeld der Stadt zu fördern, die unter schwierigen Bedingungen den Mut haben, einen Beitrag für Frieden und soziale Gerechtigkeit in ihrem Land und in Europa zu leisten.
An dieser Stelle seien abschließend ein paar kritische Bemerkungen gestattet. Der Courage-Preis geriet leider in parteipolitische Kontroversen, und ungewöhnlicherweise übernahm der OB den Vorsitz der Bürgerinitiative. Der große Kreis der Planer der „Reden“ reduzierte sich im Laufe der Zeit auf die drei Impulsgeber. Das lokale mediale Interesse war sehr gering: die Radebeuler Seiten der Tageszeitungen kündigten zwar die Veranstaltungen an, berichteten aber anders als über sonstige kulturelle und politische Ereignisse so gut wie nie darüber; das blieb den überregionalen Medien und Zeitungsseiten vorbehalten. Das Kulturamt der Stadt erklärte zwar sein Interesse an einer Mitgestaltung der „Reden“, konnte dies aber im eigenen Haus nicht umsetzen. Wo nicht unmittelbare persönliche Interessen berührt waren oder ein besonderes kulturelles Erlebnis zu erwarten war oder eine brisante lokalpolitische Frage zur Diskussion stand, war die Resonanz eher verhalten. Der Wunsch der Veranstalter nach einem grundlegenden demokratischen Gesprächsforum auf lokaler Basis, aber im überregionalen Horizont, konnte so nur sehr bedingt erfüllt werden. Spätere werden es besser ausrichten…?
Ulfrid Kleinert

Eine etwas kritische Wegebetrachtung

 – oder wo unsere Fußwege zu verbessern wären

Kürzlich erst hatte ich die Stadtverwaltung in unserem Blatt hinsichtlich der Neugestaltung eines Teiles der Finsteren Gasse gelobt. Nun hoffe ich, es geht auch andersrum, ich meine, dass es auch möglich sein sollte, mal einen Missstand aufzuzeigen. Sollten die Verantwortlichen in der Verwaltung das auch so sehen, könnte vielleicht eine Verbesserung der Fußwege an den nachfolgend genannten Stellen früher oder später zustande kommen. In den letzten Jahren ist viel über Autoverkehr und öffentlichen Nahverkehr gesprochen worden, es sind Maßnahmen realisiert worden (Straße im Bereich Weißes Ross / Landesbühnen) und es bestehen weitere Planungen für die Meißner Straße. So weit, so gut, aber was ist mit Fußgängern, die sozusagen auf der untersten Stufe der Verkehrsteilnehmer stehen? Auch da gibt es in Radebeul ein paar Stellen, wo mal etwas investiert werden könnte, bzw. müsste. Und man bedenke, die Stufen der Verkehrsteilnehmer vermischen sich ja auch mal – Autofahrer können auch mal Fußgänger oder Radfahrer sein. Erst neulich musste ich, der zugegeben gern Auto fährt, die Mittlere Bergstraße von der Gerhart-Hauptmann-Straße bis nach Coswig zu Fuß gehen und ja, ich lebe noch! Also, man sollte die Wünsche der Fußgänger nach sichereren Fußwegen bitte mehr berücksichtigen.
Nun glaube ich, dass meine ehemaligen Kolleginnen und Kollegen im Rathaus sicher einen guten Job machen, dass an vielen Stellen wichtige Dinge gelöst werden und manchmal aber auch das Geld nicht reicht – ich will ja auch nur einen kleinen Denkanstoß geben, nehmt’s mir bitte nicht übel.
Doch nun zur Sache: innerhalb des letzten halben Jahres hatte ich unabhängig voneinander an drei Nahtstellen Radebeuls zu benachbarten Kommunen (im Osten, im Norden und Westen) zu tun und das war als Fußgänger nicht ungefährlich. Schaut man an Radebeuls Grenzen vielleicht doch nicht so genau hin?
Da, wo die Kötzschenbrodaer Straße im Osten Radebeuls den alten Elbarm quert und an der Siedlung Dresdner Flur erreicht, fehlt auf beiden Seiten der Fußweg. Die Wohnbebauung hat hier zwar eine Lücke aber es ist eine örtliche Straße – 50 km/h sind möglich. Die Straße ist relativ breit, doch auch stark befahren. Ein Fußweg hätte auf Radebeuler Flur auf der S-Seite Sinn, weil auf Dresdner Seite ein solcher auf der S-Seite bei diversen Autohäusern vorhanden ist.
Den Verlauf der Stadtgrenze im Lößnitzgrund zu verfolgen, ist nicht so einfach. Das kann auch mit einem Ende der 90-er Jahre erfolgten Grundstückstausch (die „Meierei“ sollte unbedingt zu Radebeul kommen) zusammenhängen. Ich glaube, die „Scheffler-Mühle“ gehört nicht mehr zu Radebeul aber genau hier gibt’s mit der Lößnitzgrundstraße ein Problem. Diese ist relativ schmal, hat eine mit hoher Hecke bepflanzte Kurve, die Straßen Am Brand und der Langewiesenweg (Radebeul) münden auf der anderen Seite ein und Fußweg ist Fehlanzeige. Diese Stelle ist für Fußgänger noch gefährlicher als die o.g.. Man muss sich wundern, dass hier noch nichts passiert ist, oder hat man vielleicht einen Unfall in der Zeitung nicht gelesen. Einen Geländestreifen für einen Fußweg von der Mühle zu erwerben, wäre denkbar, sagte man mir vor Ort. Müßte hier vielleicht Moritzburg den Fußweg bauen oder kann man auch mal was gemeinsam machen, wenn die Bürger beider Kommunen davon Nutzen hätten?
Und dann wäre da noch die Mittlere Bergstraße ganz im Westen Radebeuls, da, wo früher der „Karlshof“ gestanden hatte, bzw. dem gegenüber. Hier gibt es zwar auf der N-Seite einen Fußweg zwischen zwei Zaunfluchten (!?), doch der hat grundstücksweise sehr unterschiedliche Qualitäten, dabei auch holprige Strecken mit Pfützen oder Staub (je nach Witterung). Auf Coswiger Seite gibt es dann einen sehr gut ausgebauten Fußweg, der offensichtlich im Zuge der jüngst da errichteten Neubauten entstanden ist. Hier drängt sich der Gedanke auf, ist Coswig die reichere Stadt? – vielleicht stimmt das ja sogar!
Für die Mittlere Bergstraße sollte man nicht „zu kleine Brötchen backen“ und mehr als den Fußweg direkt an der Stadtgrenze in eine längerfristige Planung aufnehmen. Hier gibt es nur wenige kurze Abschnitte von Fußwegen auf beiden Seiten, in unregelmäßigem Wechsel und nicht durchgängig. Die Bebauung auch im Hinterland wurde verdichtet und ist noch nicht abgeschlossen, d.h., das Aufkommen an Kraftfahrzeugen und Fußgängern nimmt zu. Das Gefährdungspotential ist nicht zu übersehen, da hilft m.E. auch die Begrenzung auf 30 km/h wenig. Interessant ist, dass bei ein paar Häusern (u.a. Nr 62 und 64) aus der Kaiserzeit der Zaun bereits so angeordnet wurde, dass da ein Fußweg möglich war, damals hatte man an die Zukunft gedacht!
Sicherlich, es gibt auch innerhalb Radebeuls noch ein paar Stellen ohne Fußweg an der Straße; mir fällt ohne Anspruch auf Vollständigkeit gerade die Borstraße gegenüber der Nr. 57 und vor der Nr. 59 ein. Da und an anderen Stellen wird man langfristig auch Lösungen für das Problem finden. Die geschilderten Fälle an der Stadtgrenze werfen aber zusätzlich eine weitere Frage auf: reden die denn nicht miteinander, die Bürgermeister, Amtsleiter oder Sachbearbeiter, um für ihre Bürger vernünftige und sichere Fußwege gerade an den Übergängen von einer Kommune zur benachbarten hinzukriegen? Nun bin ich sicher, dass die Verwaltungen von Coswig und Radebeul intensiv zusammen arbeiten, miteinander reden und sich Verwaltungsaufgaben teilen. Wie das Miteinanderreden mit Moritzburg klappt, weiß ich gerade nicht so genau, aber mit Dresden hörte und las man schon, dass der Ton etwas rauer geworden ist – etwa wegen einer besseren Autobahnzufahrt von Radebeul nach Dresden Neustadt.
Ich weiß, dass das keine Veranstaltung „Wünsch Dir Was“ ist, aber loswerden wollte ich meine Gedanken zu dem Thema schon mal. Und wer weiß, vielleicht kommt ein Krümel davon über die Zeit auch im richtigen Ohr an.

Dietrich Lohse

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