Editorial 10-21

Ein glücklicher Zufall spielte mir kürzlich die nebenstehende Erstausgabe einer historischen Regionalzeitschrift in die Hände. Reichen die Ursprünge unserer „Vorschau“ immerhin bis in das Jahr 1954 zurück, so entführt die „Kötzschenbrodaer Zeitung“ mit ihrer Probenummer und Auflage von 108! Stück vom 13. Dezember 1865 in noch ganz andere zeitliche Gefilde.

Die vom Schriftsteller August Ziegner und dem Leihbibliotheksbetreiber Eduard Dietrich gegründete und nach wenigen Monaten von Ziegner allein herausgegebene Zeitung für die Parochie Kötzschenbroda und umliegender Gemeinden wurde in den ersten Jahren in Dresden gedruckt. Eine wechselvolle Geschichte des Wochenblattes reicht dann bis zur Einstellung wegen Papierknappheit im März 1943.

Der Inhalt des doppelt gefalteten Blattes vereint ein Sammelsurium von Lokalnachrichten und Neuigkeiten aus Sachsen, Deutschland und der Welt. Immerhin die Hälfte des Umfangs besteht aus Geschäftsanzeigen zeittypischer Gewerke. So ist hier bereits die „Alte Apotheke“ zu Kötzschenbroda zu finden, wie auch schon die Avancen eines Immobilienmaklers.
Ab 1884 erfolgte die Herstellung in der ziegnerischen Druckerei auf der Güterhofstraße 5, eines der ältesten ununterbrochen am gleichen Ort bestehenden Unternehmen Kötzschenbrodas, welches heute als Lößnitz-Druck GmbH firmiert. Wie sich die Kreise schließen, denn auch unsere „Vorschau“ ist seit nunmehr mehreren Jahrzehnten in dem traditionsreichen Haus eine treue Kundin.

Den Worten der alten „Redaction“ an die geneigten Leser wollen wir uns anschließen:

Damit aber unsere Liebe und unser Eifer zur Sache nicht erkalte, so erfreue das verehrte Publikum uns durch eine nachsichtsvolle Kritik und fördere freundlichst das [begonnene] Werk durch zahlreiches Abonnement!

Sascha Graedtke

Mit Bernhard Theilmann poetisch durch das Jahr

Titelbilder Bauernhäuser in Radebeul September 2021

Vorwerkstraße 3

In der Vorwerkstraße finden wir ein paar kleine, ehemalige Bauernwirtschaften. Die Nr. 3 hat eine auffällige Fassadengestaltung, auffällig insofern, da hier Wandbereiche verschiefert worden sind, was für Mittelsachsen unüblich ist und sonst nur im Vogtland oder in Thüringen (da, wo Schiefer abgebaut wurde) zu finden ist. Hinzu kommt, daß die Belegung mit Naturschiefer sogar in drei Farben (blau, grau u. rot) und mit Ornament erfolgt ist.
Ich habe heute auch mal ein unsaniertes Bauernhaus in die Titelbildserie aufgenommen, um den Bezug zur Realität nicht zu verlieren – Realität ist, daß ein Teil der Häuser noch nicht saniert werden konnten, bzw. es ungewiß ist, ob es jemals eine Sanierung geben wird.
Der Schlußstein „J. G. M. 1805“ über der Tür besagt, daß dieses Haus nach einem Großbrand in Kötzschenbroda am 31. Mai 1805 in der heutigen Gestalt wieder aufgebaut worden ist. Wohnhaus und Auszugshaus haben massive EG-Wände und Fachwerkwände im OG. Vom Fachwerk sieht man aber nichts, weil es entweder mit Schiefer belegt oder verputzt worden ist. Die Krüppelwalmdächer dürften ehemals mit Biberschwanzziegeln gedeckt gewesen sein. Ein Ersatz für die abgewitterten Betondachsteine und die Abnahme der Riemchensteine um Fenster und Türen dürften ua. das Ziel einer künftigen denkmalpflegerischen Sanierung sein.
Seit 1879 betrieb hier ein Schlachter und Fleischer sein Handwerk und baute den Laden ein. Einen heutigen Eigentümer konnte ich leider nicht antreffen.

Dietrich Lohse

Radebeuler Miniaturen

Vier Blätter eines Glückssommers

Ulrike im Grünen: Das Jahr, das den Regen wiederentdeckt hat, prangt in grüner Üppigkeit und Ulrike steht mitten drin. Ich hab eins, ruft sie plötzlich, hier sieh: ein Kleeblatt mit vieren! Dann pflücks, sag ich, und stecks in dein Tagebuch zur Erinnerung an einen Glückstag.
Erst sehen, obs einer wird, lacht Ulrike. Du weißt doch, niemand soll den Tag vor seinem Ende glücklich schätzen… Nee, ich laß es stehen und erst, wenn es morgen noch da ist, werd ich es ernten.
Ich weiß ja nicht, lache ich zurück, ob du einen einzelnen Kleestängel „ernten“ kannst – ja, wenns die Wiese wäre, wollte ich nichts sagen, wenn du hergingest mit der Sense und dann mit dem Rechen unter der Sonne alles trocknest…
Herr Oberschlau nimmt wieder alles wörtlich. Ulrike blickt plötzlich sehr ernst. Früher hattest du mal Humor.
Na, na, Frau Leberwurst, zwinkere ich, früher hatte ich auch keinen Bauch und du hattest glänzende Augen, wenn du so im Klee standst. Denk aber dran: wenn die Elfen kommen und der Faun zum Tanz aufspielt, findest du morgen, wie weiland die Ziege kein einzigs Blättelein mehr an seinem Platz.
Den Vergleich mit der Ziege, wendet Ulrike leise ein, höre ich, wie du dir vorstellen kannst, nicht gerade gern – obwohl ich mich andererseits als Ziege auf dieser Wiese noch wohler fühlen könnte, als so schon: Endlich satt zu essen!
Danke für den Hinweis, sage ich mit Blick zur Uhr, ich geh gleich rein und mach uns was, aber fünf Minuten hab ich noch. Motivationsfördernd schwebt sie an meinen Hals.

Wie vorhergesehen, kommen mit der Dämmerung eine nach der anderen, die Elfen: Eva, Andrea, Elvira, Simone, Susanna …wer zählt die Völker, nennt die Namen … und schließlich mit Mütze und Quetschkommode ein Faun namens Gerd oder so, die beide voller Töne stecken. Sogar der Mond ist pünktlich.
Dann dreht er auf.
Er beginnt mit einem Walzer und spielt dann über Musette in die Schlagerwelt hinein alles, was Beine in Bewegung bringt.
Dann drehen sie auf.
Sie drehen vor allem sich selbst. Am lebhaftesten dreht sich Ulrike mit erhobenen Armen und wehendem Rock im Kreise im Kreise. Und in Kreisen legt sich das Gras unter ihre Füße. Im Märchen heißt es, Elfen schweben. Ich glaube, die Wiese wünscht sich in diesem Moment nichts sehnlicher, als daß Märchen in Erfüllung gehen. Und tatsächlich ist es, als schwebten sie, denn kaum berühren die Zehen zwischen zwei kreisenden Sprüngen den Boden.
Noch am Morgen sind die Runden zu sehen am Bild der Gräser, die sich gelegt hatten im Rhythmus der Füße. Mitten zwischen ihnen steht Ulrike und jubelt: hier sieh: mein Klee, vier Blätter – aufrecht steht er und ist eben dabei, sich zu entfalten – gut daß ich ihn stehen ließ. Es war doch ein schöner Tag, sagt sie so sanft sie es vermag.
Der Rest ist Schweigen.
Thomas Gerlach

Eine Glosse

Kritik unerwünscht!

Krise und Kritik seien zwei unzertrennliche Gesellen stellten die Herausgeber der Edition Theorie und Kritik in ihren 2015 bis 2018 erschienen Werken fest. Dies mag nicht nur für die gesellschaftliche Moderne zutreffen, war es doch in grauer Vorzeit Sitte bei den Oberhäuptern, den Überbringer einer schlechten Nachricht zu köpfen, als hätte man damit das Problem aus der Welt geschafft. Kritiker am System oder an der ausgegebenen Meinung landeten kurze Zeit später gleich auf dem Scheiterhaufen. Galileo Galilei, der italienische Universalwissenschaftler, ist 1633 gerade noch so davongekommen. Anna Maria Braune aus der Nähe von Delitzsch hatte da 1689 weniger Glück. Sie war die letzte Person in Sachsen, die wegen Hexerei verbrannt wurde.
Heute wird man bei einer geübten Kritik etwas zivilisierter behandelt – nämlich wegen der Geschlechtergleichberechtigung in männlicher, weiblicher oder diverser Form. Zerrissen wird man aber auf jeden Fall. Nun will ich damit ja nicht behaupten, dass wir uns seit Beginn der Neuzeit nicht weiterentwickelt hätten. Einerseits haben sich die Methoden enorm verbessert. Daumenschrauben kommen nur noch symbolisch oder in Ausnahmefällen zur Anwendung. Auch sind wir heute dankenswerterweise nicht mehr auf die „feine englische Art“ oder die „Konversationsregeln“ eines Herbert Paul Grice angewiesen, der ja auch schon über 30 Jahre tot ist und den sicher kaum noch einer kennt. Der Philosoph aus Birmingham hatte die sogenannten „Konversationsmaximen“ aufgestellt, die man in dem Satz zusammenfassen könnte: „Sage nur, was informativ, wahr und themenbezogen ist und sage dies klar und deutlich!“. Mit so einem Spruch weiß doch keiner mehr was anzufangen. Und seit wann geht es denn um Inhalte…? Egal zu welchem Sachverhalt ich mich äußere, zunächst erzähle ich von meinen jüngsten Partyerlebnissen. Einfach nur so, für einen lockeren Einstieg. Wichtig ist doch, wie man rüberkommt. Schließlich sollen sich die Leute auch amüsieren. Der Donald Trump hat das schon richtig gemacht, halt nur etwas übertrieben. Diese langweiligen Verwaltungsregeln, Vertragsabschlüsse, Sicherheitsvorschriften, Höflichkeitsfloskeln und sonstigen Vorschriften muss man doch nicht so auf die Goldwaage legen. Wird doch alles nicht so heiß gegessen…
Und wer will denn schon Kritik hören? Alle wollen doch nur gelobt werden. Folgerichtig hat man in der Pädagogik die Kritik längst abgeschafft. Die „Kleinen“ sollen nur noch über ihre Stärken gefördert werden. Richtig! Kann ich auch nicht leiden, wenn man mir immer meine Fehler vorhält. Das macht mich depressiv. Da bekommt man ja einen richtigen Persönlichkeitsknick! Wenn ich dann aggressiv werden sollte, kann ich halt auch nichts dafür.
Das mit der ewigen Kritisiererei ist sowieso erst Ende des 17. Jahrhunderts aufgekommen und aus dem Französischen herüber geschwappt. Da war Sophie von Brandenburg, die Gemahlin des sächsischen Kurfürsten Christian I., die den sächsischen Kanzler Dr. Nikolaus Krell 1601 wegen politischer Unangepasstheit köpfen ließ, leider schon lange tot. Wer weiß, vielleicht wäre uns sonst so manches erspart geblieben. Als Wissenschaft und Religion noch eine Einheit bildeten, war eh alles besser. Mittlerweile spielt das aber auch schon keine Rolle mehr. Die Wissenschaft und die Vernunft haben eh nicht mehr viel zu sagen, wie das Geschehen um die Pandemie gezeigt hat. Und ob die Flyer für eine Veranstaltung zwei Tage vor dem Termin oder überhaupt nicht kommen, scheint auch egal.
Das hat der olle Immanuel Kant noch anders gesehen. Also, nicht das mit den Flyern, das mit der Vernunft. Die stellt sich ein, wenn Sinnlichkeit und Verstand in Abwägung gebracht und die daraus gewonnenen Erkenntnisse nach Prinzipien geordnet werden. „Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind“ urteilte dann auch Kant. Aber Michel Foucault, ein französischer Vertreter des Poststrukturalismus, stellte die Sache auf den Kopf und ließ den Gegenstand der Kritik völlig außer Acht, um stattdessen das System der Kritik in den Fokus zu nehmen. Damit schaltete er zwar jegliche Kritik aus, aber die braucht eh keiner. Besser hätte es Sophie von Brandenburg sicher auch nicht hinbekommen und alles ohne „Köpfe-rollen“.
Mit Foucault betrachtet, verbitte ich mir deshalb jedwede Kritik am meinem Beitrag und verbleibe mit nebulösen Grüßen,

Euer Motzi

 

4.343

EINE BILZ-IDEE, den Menschen helfen zu wollen und dabei noch Geld zu verdienen

Friedrich Eduard Bilz’ (1842-1922) Leitspruch war „Die Natur war mein Leitstern“, so zu lesen auf der Familiengrabstätte auf dem Friedhof Radebeul-Ost.

Emaille-Werbeschild Foto: D. Lohse

Bilz stammte aus Arnsdorf bei Penig und war auf autodidaktischem Wege Naturheilkundler geworden. Er war kein Arzt, er „sprang auf den Zug auf“, der in Deutschland in der 2. Hälfte des 19. Jh. u.a. durch Sebastian Anton Kneipp (1821-1897) in die Spur gebracht worden war. Das war damals eine starke Bewegung, teilweise jedoch von studierten Medizinern beargwöhnt.
Zunächst wurden von ihm die Ideen zur Naturheilkunde in Buchform gebracht – das Bilz-Buch erschien in mehreren Fassungen, Auflagen und auch Übersetzungen, hatte also große Verbreitung gefunden. In einem anderen Buch „Der Zukunftsstaat – Staatseinrichtung im Jahr 2000“ gab er seiner Fantasie freien Lauf. Alle die, die dann 2000 erlebt haben, können beurteilen, was von Bilz‘ Vorahnungen eingetreten ist. Mit der Gründung des Bilz-Sanatoriums (1892 eröffnet) in Radebeul, heute Eduard-Bilz-Straße 53, strebte er mit Licht, Luft und Wasser eine gesunde Lebensweise an und setzte sie hier vorbeugend und zur Gesundung seiner Patienten und Kurgäste ein. Der Faktor Licht war in Oberlößnitz insofern gegeben, weil hier für Sachsen die meisten Sonnenstunden im Jahr registriert wurden. Schließlich bezeichnete man die Lößnitz touristisch gern als „sächsisches Nizza“. Die Luft, sein zweiter Faktor, dürfte um 1900 hier auch noch sauber gewesen sein, denn die Chemiebetriebe liefen noch nicht auf Hochtouren, wie das dann in der DDR zu erleben war. Der Faktor Wasser war zunächst durch Quellfassungen im

Foto: D. Lohse

Strakengrund abgesichert, später (1905) kam dann noch das Bilz-Bad im Lößnitzgrund mit der „Undosa Wellenmaschine“ dazu. Außer den drei Säulen seines Tuns um die Gesundung der Menschen hatte er noch ein paar flankierende Ideen, die wohl eher in Randbereichen wirksam wurden. In das Unternehmen von F. E. Bilz war die ganze Familie stark eingebunden, Friedrich Eduard Bilz war der Chef und Besitzer, Sohn Ewald (1872-1941) leitete den Bilzverlag, Sohn Alfred (1877-1939) war Direktor des Sanatoriums und Sohn Willy Johannes (1884-1965) kümmerte sich um das Bilzbad.
Da Bilz die schädliche Wirkung von Alkohol erkannt hatte und selbst keinen Alkohol getrunken haben soll, wollte er seinen Gästen und Patienten außer Wasser noch ein anderes nichtalkoholisches Getränk anbieten. Er entwickelte eine Bilz-Limonade, konnte sie aber nicht in größeren Mengen herstellen. Deshalb sollte diese Limonade bei der Firma „Sinalco“ in Detmold für ihn produziert werden. Eine Weile lief das ganz gut. Außerdem meinte Bilz, dass die Menschen damals zu wenig Salz, bzw. Mineralsalz zu sich nahmen und das zu einer Mangelerscheinung führen würde. Heute ist das möglicherweise anders, man isst eher zu viel Salz, weil es für den Verbraucher auch unsichtbar in vielen Fertig- oder Halbfertigprodukten enthalten ist. Deshalb ließ Bilz ein Nährsalz entwickeln und im Kurbetrieb dosiert verabreichen und auch im Handel u.a. in 1kg-Blechdosen vertreiben.

Salzmühle, heute verschrottet Foto: D. Lohse

Zu dem Salzthema im Bilz-Sanatorium habe ich noch ein paar Erinnerungsstücke gefunden und will einige Gedanken zum Thema niederschreiben. Woher Bilz das stückige Rohmaterial an Salz bezog, ist heute nicht mehr nachweisbar, war es vielleicht Meersalz und damit jodhaltig? Auf jeden Fall musste man dieses Salz zerkleinern, ehe es den Patienten verabreicht werden konnte. Dazu wurde eine große Salzmühle (etwa 5m hoch, 3m breit und 4m tief) angeschafft und wegen der Bedienung von oben mit einer eisernen Wendeltreppe versehen. Als Standort der Mühle bestimmte Bilz den Wintergarten auf der Westseite seiner Villa Augustusweg 110. Mit dieser Entscheidung dürfte sich Bilz über die im Wintergarten herrschenden klimatischen Verhältnisse hinweggesetzt haben, aber irgendwie musste es eine Zeit lang funktioniert haben. So war bis auf Weiteres der Wintergarten für Wohnen oder repräsentative Zwecke nicht mehr nutzbar, zumal, weil beim Mahlen auch Lärm und Staub entstanden sein dürften, was jedoch nur in gewissen Zeitabständen erfolgte. Als dann ab 2006 die Sanierung des Gebäudeensembles Bilz-Villa (sogen. „Jägerberg“) begann und das Ziel die Schaffung hochwertiger Wohnbereiche war, stand dann die alte, etwas verrostete Mühle im Wege. Etwa ein Jahr liefen die Bemühungen seitens der Bauleitung, des Landesamtes für Denkmalpflege und mir Interessenten für diese Maschine zu finden. Die Mühle hätte vielleicht das Zeug zu einem technischen Denkmal gehabt, hat aber offiziell diesen Status nie erhalten. Wir konnten keinen Handwerker oder Kleinbetrieb ermitteln, der die Mühle wieder flott machen und nutzen wollte oder eine museale Einrichtung, wo sie zum Thema des Museums gepasst hätte. Ein Heimatmuseum gab und gibt es ja in Radebeul nicht. Eine Möglichkeit zur längeren Zwischenlagerung der Salzmühle fand sich im Grundstück auch nicht, so dass sie schließlich leider verschrottet werden musste. Zumindest habe ich die alte Maschine im Wintergarten noch mal fotografieren können.
Dann war da noch ein altes (Ende 19. Jh.) Werbeschild – ein mehrfarbig bemaltes Blechschild – das für den Kauf von Bilz-Nährsalz warb, darauf sind alle ehemals mit dem Kurbetrieb verbundenen Gebäude in Radebeul in einem idealisierten Landschaftsbild vereint. Neben den bei Sammlern besonders begehrten Emaille-Werbeschildern (z.B. Kaffee Hag oder Felsenkeller Bier) gab es auch die etwas einfacheren, bemalten Blechschilder. Es ist ein Wunder, dass unser über 120 Jahre altes Schild noch so gut erhalten ist!

Bilz-Villa (sogen. »Jägerberg«), Wintergarten, Augustusweg 110 Foto: D. Lohse

Und schließlich hatte ich im Erdaushub einer Rohrverlegung im Grundstück Augustusweg 110 auch noch einen Salzstreuer aus den ehemaligen Speiseräumen des Sanatoriums gefunden, gesäubert und aufgehoben. In einer Grube waren wohl am Ende des Sanatoriumsbetriebes, um 1940, etliche Salzstreuer auf diese Art entsorgt worden, wobei aber nur wenige ganze Glasbehälter gegenüber vielen, z.T. zerbrochenen Porzellandeckeln durcheinander lagen. Ich fand aber schließlich noch ein passendes Paar. Der Salzstreuer sieht auf den ersten Blick fast edel aus, das achtkantige, sich nach oben hin verjüngende Glas erinnert an geschliffenes Kristallglas, stellt sich aber beim näheren Betrachten als Preßglas heraus. Der abschraubbare Porzellandeckel (kein Markenporz.) hat oben acht kleine Löcher zum Streuen und eine von der Seite lesbare Umschrift „BILZ-TAFEL-NÄHR-SALZ Für Blut & Nerven“. Der Salzstreuer ist ein handliches Gefäß, das wohl industriell hergestellt worden war – für ein Sanatorium in Oberlößnitz angemessen, ein ähnliches Haus in Davos hätte sicher echtes Kristallglas als Salzstreuer gehabt. Soweit meine Gedanken zu einem kleinen Stück Bilzgeschichte, die so nicht wiederkommen dürfte.

Dietrich Lohse

Quellen: 1. „Friedrich Eduard Bilz – Altmeister der Naturheilkunde in Sachsen“, Jürgen Helfricht, Druckerei
Thieme Meißen, 1992
2. „Stadtlexikon Radebeul“, A. Karnatz u. Kollektiv, Große Kreisstadt Radebeul, 3. Auflage, 2021

 

Mit dem Rollator durch Radebeul

Immer häufiger sind sie im Straßenbild zu sehen; kleine, für alte und behinderte Menschen sehr nützliche Gefährte, die Rollatoren. Sie verhelfen den betroffenen Menschen zu mehr Beweglichkeit und mehr Sicherheit und geben ihnen ein Stück Unabhängigkeit zurück. Ich spreche aus Erfahrung, benutze ich doch seit fast sechs Jahren so ein Hilfsmittel. Aber leicht ist das in Radebeul nicht! Da sind zuerst einmal die Hindernisse, die nicht abzustellen sind, Steigungen, die je nach persönlicher Kondition nicht mehr überwindbar sind und zwar sowohl nach oben wie auch nach unten. Dazu gehören für mich zum Beispiel der Anstieg der Weinbergstraße vom Lößnitzgrund aus oder der Beginn der Zillerstraße von der Meißner Straße her. Gut, damit muss ich mich abfinden und einen anderen Weg suchen, auch wenn dieser etwas weiter ist. Zur Weinbergstraße komme ich auch, wenn ich am Weißen Ross den Augustusweg entlang gehe und dann in die Hoflößnitzstraße einbiege. Anstelle der Zillerstraße kann ich den Körnerweg nehmen. Aber es gibt auch Hindernisse, die beseitigt werden können. Das ist zum einen der schlechte Zustand vieler Radebeuler Fußwege. So schön wie es ist, wenn die Straßen von Bäumen gesäumt werden, aber an vielen Stellen wachsen die Wurzeln bis weit in den Fußweg hinein. Damit machen sie nicht nur behinderten Menschen das Leben schwer, sie stellen auch eine Gefahr für gesunde Bürger dar. Weiterhin gibt es viele Steine, die aus dem Belag herausragen und zu Stolpersteinen werden. Ein besonderes Problem stellen die Ausfahrten aus den Grundstücken dar. Sie sind oft zur Fahrbahn hin sehr stark geneigt und man braucht viel Kraft um den Rollator festzuhalten und die Balance zu bewahren, hier hält nicht der Rollator den Menschen, sondern der Mensch hat Mühe, ihn zu halten. Der Belag ist sehr unterschiedlich und oft auch in keinem guten Zustand. Besser sieht es bei den Fußwegen aus, die im Zuge einer Straßensanierung neu belegt wurden. Manche sind vorbildlich gemacht, aber bei einigen kann man nur mit dem Kopf schütteln und sich fragen, ob die Bauleute blind gewesen sind. Zum Beispiel: Vor etlichen Jahren wurde ein Teil der Paradiesstraße und die dazugehörenden Fußwege saniert, einige Jahre später ein Stück der Winzerstraße. Aber zu welcher von beiden gehört das Stück in dem die eine Straße in die andere übergeht? Dort wurden einige Meter von der Renovierung ausgespart und ausgerechnet da, wo der Fußweg ansteigt muss man sein Wägelchen mühsam durch den Sand schieben!
Ein weiteres Problem sind die oft hohen Bordsteine, auch an den Straßenübergängen, und das oft sehr unebene Schnittgerinne dahinter. Auch hier sieht es da besser aus, wo Fußwege renoviert und Übergänge abgesenkt wurden. Aber liebe Leute, macht sie doch bitte dahin, wo man die Straße, die man überqueren will, auch richtig einsehen kann und von Autofahrern und Radfahrern gut gesehen wird.
Schwierig ist das Einkaufen. So gibt es für viele Radebeuler kaum noch ein Geschäft, das man zu Fuß erreichen kann. Bleiben die Supermärkte. Aber auch an diese kommt man mit dem Rollator nicht so gut heran, es sei denn, man wohnt nicht weit von ihnen entfernt. Einige sind mit Straßenbahn oder Bus erreichbar, nur ausgerechnet die Haltestellen, die dafür in Frage kommen, sind nicht angepasst, z.B. Bahnhofstraße, Schildenstraße und Hauptstraße. Wahrscheinlich müssen wir darauf warten bis die Meißner Straße an diesen Stellen einmal grundlegend saniert wird. Also doch das Auto! Entweder man kann noch selber fahren oder muss Angehörige oder liebe Nachbarn bitten. Es gäbe noch einige Stolpersteine zu nennen und es betrifft nicht nur die Rollatoren, auch für Rollstuhlfahrer und Leute, die mit Kinderwagen unterwegs sind, treffen diese Hindernisse zu. Mir ist schon bewusst, dass Radebeul ein weitläufiges Straßennetz hat und nicht alle Mängel sofort beseitigt werden können. Aber da, wo sowieso Reparaturen durchgeführt werden oder wo die Mängel mit geringem Aufwand beseitigt werden können, würde ich mir schon etwas mehr Aufmerksamkeit wünschen.
Wie wäre es, liebe Stadtverordnete, wenn Sie selber einmal mit einem Rollator eine Stunde lang durch Radebeuler Straßen laufen würden und vielleicht können Sie sich dabei vorstellen, dass Sie nicht mehr so jung und fit sind und die Wege auch mit Hilfsmitteln mühsam geworden sind.

Dr. Ursula Martin

„Heimat, die ich meine.“

Ein arg in Mitleidenschaft gezogener Begriff, abgenutzt, missbraucht, als politisches Kampfmittel unterschiedlicher Couleur verwendet – es stockt einem der Atem beim Aussprechen dieses Wortes. Man ist versucht, beim Benutzen erklärende Worte hinterherzusenden, um ja nicht falsch verstanden zu werden, um nicht mit den Ewig-Gestrigen, den Erzkonservativen oder gar Neu-Rechten in einem Atemzug genannt zu werden. Selbst im zweiten Band des Kleinen Lexikons vom VEB Bibliographisches Institut Leipzig, 1971, findet man dazu die fast typische Eintragung: „im polit.-sozialen Sinn svw. Vaterland; im umfassenderen Sinne die nähere (lokale) Umgebung […], in der ein Mensch aufwuchs und die ihm beeinflusste.“ [sic!].
Nun ist dieser Begriff ja nichts Feststehendes, er unterliegt einer ständigen Wandlung. Auch „Vaterland“, eine Bezeichnung, die sich an den Nationalstaatsgedanken anlehnt, scheint nicht mehr so prägend zu sein, auch wenn in den letzten Jahren bei derartigen Auffassungen ein gewisser Aufwind zu verzeichnen ist. Diese Haltung sah auch Erich Mühsam skeptisch, der bereits 1933 ausführte, dass „Heimatsverehrung […] mit Vaterlandsliebe nichts zu schaffen“ hat, um schließlich anzufügen, dass es „[e]ine Pflicht zur Liebe aber“ nicht geben kann! Andreas Nahles, die ehemalige SPD-Vorsitzende, war 2018 gar der Meinung, dass das Gefühl für die Heimat „von unten“ wachsen würde. Nach Bloch kann „Heimat nur dort sein, wo man ganz Mensch sein kann.

Johannes Thaut »Unser Heimatmuseum«, Holzschnitt 1961 Repro: K.U. Baum

Feststellen aber muss man schon, dass der Begriff „Heimat“ im deutschen Sprachraum eine Verengung erfährt, die sich ausschließlich als Herkunft, Behausung oder eben Verortung versteht. Heimat ist aber nicht nur der Ort oder die Region. Heimat ist nach Ernst Bloch (1885–1977) auch der Mensch, den der Philosoph als „heimat-stiftendes Wesen“ sieht. Das klingt zumindest im Kleinen Lexikon an. Allerdings ist diese Heimat für Bloch nicht einfach da. Sie muss erst geschaffen werden. Sie ist also eher eine utopische Vision, an der gearbeitet werden muss. Und schaut man sich die empirischen Daten dazu an, so ist Heimat für 58 Prozent der Befragten immer noch traditionell der Wohn- oder Geburtsort, aber für 31 Prozent sind es eben auch die Menschen (Familie, Freunde), die unmittelbar um sie herum sind und ihnen ein heimatliches Gefühl vermitteln.
„Heimat, die ich meine“ – übrigens der Titel einer Ausstellung der Radebeuler Stadtgalerie im Jahr 2006 – ist deshalb für viele mehr, als eine Verortung oder gar eine politische Auffassung. Es sind eher die sozialen Beziehungen, der gelebte Alltag, die einen empfinden lassen, angekommen zu sein, sich „zu Hause“ fühlen zu können. Es ist aber nicht nur Identifikation mit einer Umgebung, sondern eben auch das „Angenommen-sein“, das „Dazugehören“. Heimat ist deshalb auch etwas, was gestaltet werden will, was man erleben können muss. Dazu sind die sozialen Kontakte wichtig, aber es braucht auch die haptischen Elemente, die Heimat bildhaft sichtbar werden lassen.
Versuche hat es dazu in Radebeul schon mehrfach gegeben. Da sah der Oberbürgermeister Bert Wendsche 2010 bei der Eröffnung des Museums-Depots im Gelände der Oberschule Radebeul-Mitte auf der Wasastraße 21 perspektivisch schon ein Heimatmuseum entstehen. Dabei hätte Radebeul diesen Umweg gar nicht nötig gehabt, sondern nur einfach das existierende Heimatmuseum im Haus Hoflößnitz weiterführen können, war und ist doch die Stadt Hauptstifter der Stiftung Hoflößnitz. Mit dem Aufbau des Heimatmuseums, welches den sächsischen Weinbau einschloss, begann der Schuldirektor Emanuel Erler bereits 1912. Es sollte aber keine hundert Jahre Bestand haben bis es, laut Wikipedia, nach einer Phase der weiteren Profilierung ab Mitte der 1980er Jahre 1997 ausschließlich ein Weingutmuseum wurde und daraus die Heimat sukzessive verschwand. Die aber soll ja sowieso mehr im Menschen zu suchen sein.

Wandbild am Eingang zum ehemaligen Wohnhaus des Hofkapellmeisters Ernst Edler von Schuch Foto: K.U. Baum

Die traditionelle Sicht auf die Heimatgeschichte von „oben“ hat sich in der Bundesrepublik eigentlich schon seit dem Beginn der 1980er Jahre erledigt. Das geschah in der DDR freilich 35 Jahre früher. Immer stärker wurden damals die Lebens- und Denkweisen der sogenannten „einfachen Leute“ in den Blick genommen. Zwei pfiffige Radebeuler Jungs hatten dann auch nach der letzten Jahrtausendwende die Idee, die Stadtbevölkerung aufzurufen, Gegenstände für ein Heimatmuseum zu spenden. Einige sind diesem Aufruf nachgekommen. Aber die Puste der Jungs reichte nicht lange. Auch die hoffnungsvolle AG-Stadtmuseum steht zur Zeit nur noch auf dem Papier. Ausstellungen oder andere Aktionen gibt es schon lange nicht mehr. Die verortete Heimat hat es natürlich schwer, sich gegen die erzwungene Mobilität, Zersiedlung und zunehmende Zentralisierung zu behaupten.
Heimatgeschichte kann deshalb nicht als eine bruchlose Identifikation mit der gesellschaftlichen und natürlichen Umwelt verstanden werden, wenn sie nicht ideologisch überfrachtet sein soll. Dem ideologischen Missbrauch des Begriffes „Heimat“ durch vergangene Epochen ist eine objektive und versachlichte Sicht entgegenzustellen. Dazu muss der Gegenstand nicht nur in eine offene Diskussion kommen, sondern auch praktisch präsent sein. Dies kann auf vielfältige Art erfolgen. So findet der aufmerksame Spaziergänger bereits an historisch wichtigen Orten der Stadt Hinweise auf geschichtliche Vorgänge. Darunter befinden sich nicht nur die allseits bekannten Objekte wie Hoflößnitz oder Schloss Wackerbarth. In der Kehre des „Prof.-Wilhelm-Rings“ informiert beispielsweise eine Tafel über die „Villenkolonie Altfriedstein“. In der Schuchstraße wird man über den berühmten Hofkapellmeister Ernst Edler von Schuch unterrichtet und in der Gartenstraße wurde gar die gesamte Fassade eines Hauses zu Ehren von Ernst Storch-Sarrasani gestaltet, jenem Gründer des später berühmten Zirkusunternehmens. Natürlich bietet auch das „Sächsische Weinbaumuseum“ viel Radebeul-Bezug. Aber von der Sozialgeschichte weniger herausgehobener Persönlichkeiten und anderen stadtgeschichtlichen Ereignisse erfährt man hingegen kaum etwas, sieht man von den beiden temporären

Erinnerung an Hans Stosch Sarrasani in der Gartenstraße Foto: K.U. Baum

Ausstellungen zur Zwangsarbeit in den Weinbergen während der NS-Zeit durch das „Sächsischen Weinbaumuseums“ ab. Was wirklich fehlt, ist ein Heimatmuseum, in dem auch über gegenständliche Präsentation dem Besucher die Geschichte der Stadt und Umgebung nahegebracht wird, in dem aber vor allem die Zusammenhänge der einzelne Ereignisse mit dem Großen und Ganzen verdeutlicht werden. Die verstreuten Hinweistafeln im Stadtbild sind wichtig, werden aber von vielen Radebeul-Besuchern nur zufällig entdeckt und wirken letztlich wie Versatzstücke. Auch über die 300 Objekte, die unter dem Begriff „Kunst im öffentlichen Raum“ zusammengefasst wurden, haben vermutlich nur die wenigsten Radebeuler einen annähernden Überblick.
Den Wunsch nach einer derartigen Einrichtung sollte man nicht mit der Mär vom Fischer und seiner „nimmersatte[n] Frau“ abtun. Selbst die verdienstvolle Herausgabe des Radebeuler Stadtlexikons kann ein Heimatmuseum nicht ersetzen.
Der Ur-Radebeuler ist ein sehr heimatbewusster Zeitgenosse, der eng mit seiner Stadt verbunden ist. Auch die „Zugezogenen“ wollen hier ihre Heimat finden und bedürfen Orte, die ihnen die Geschichte nahebringen.

Karl Uwe Baum

 

Schon wieder »Schuldkult«?

Am ersten Öffnungstag der aktuellen Sonderausstellung »Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz. Deutsches Reich | Sachsen | Radebeul« im Sächsischen Weinbaumuseum Hoflößnitz stand, das Museum hatte gerade geöffnet, schon der erste Besucher in der Tür. Das geht ja gut los, dachte ich. Was das jetzt denn schon wieder solle, fragte der strohbehütete Herr mittleren Alters, ohne sich lange umzusehen, »immer dieser Schuldkult«. Ja, Zwangsarbeit hätte es gegeben, das sei schlimm gewesen, aber doch alles bekannt und ewig her. Dass man das überall immer wieder aufwärmen müsse, um uns ein schlechtes Gewissen

Französische Kriegsgefangene beim Trockenmauerbau 1940 Foto: Stadtarchiv Radebeul

einzureden, und dafür öffentliche Mittel verpulvert, könne er nicht verstehen. Jetzt hole man hier wieder alte Fotos raus, und er deutete auf das Plakat. Der Landser, der hier Zwangsarbeiter bewacht, hätte das doch nicht freiwillig gemacht und sei sicher kein schlechter Mensch gewesen. Und dass der Russe da in Deutschland arbeiten musste und dabei ums Leben kam, sei schlimm gewesen, aber so war das eben im Krieg. Die Deutschen hätten für das, was im »Dritten Reich« passiert ist, ihren Preis gezahlt und sollten damit endlich in Ruhe gelassen werden; an die wirklich Schuldigen hätte sich damals wie heute eh niemand herangetraut. Die heute 30-Jährigen – dabei hatte er offenbar die Generation seiner Kinder im Blick – hätten mit alldem nichts mehr zu tun und müssten sich hier jetzt wieder diesen alten Schuh anziehen. Das Thema sei längst erledigt, die Entschädigungen gezahlt; im Internet fände man alles dazu. In einem Weinbaumuseum wolle er anderes sehen.
Ob es lohnt, gegen eine missmutig abgeschossene Breitseite dieser Art zu argumentieren, ist ebenso zweifelhaft wie, dass es sich dabei um eine Einzelmeinung handelt. Immerhin war sie einmal ausgesprochen und der Tag jung. Wo der Gast in letzter Zeit so zum Überdruss mit dem Thema konfrontiert worden sei, interessierte mich. Dr. Klaus-Dieter Müller, der gerade an einer ersten umfassenden Publikation zur NS-Zwangsarbeit in Sachsen von 1939 bis 1945 arbeitet, und ich hatten intensiv recherchieren müssen, um das Material für die Ausstellung zusammenzutragen. Und dass Weinbaumuseen nicht per se Gute-Laune-Museen wären, zumal es Zwangsarbeit im Zweiten Weltkrieg hier eben auch im Weinbau gegeben hat, musste ich zumindest loswerden. Das kurze Gespräch, das sich anspann, drehte sich aber im Kreise. Das Thema sei x-mal abgehandelt; was man wissen müsse, fände man im Internet zur Genüge; und wissen müsse man eigentlich nicht viel, weil das alles ewig her sei und erledigt. Dass er freiwillig im Museum sei, räumte der Gast immerhin ein, und als ich ihm nahelegte, seine Meinung ins Gästebuch zu schreiben, machte er von der Freiheit Gebrauch, dies nicht zu tun, was ich bedauerlich fand, und war dann bald wieder zur Tür hinaus.
Drei Generationen nach Ende des Zweiten Weltkrieges sinkt die Zahl der Zeitzeugen allmählich gegen Null, aus Zeitgeschichte ist vergleichsweise gut erforschte und von der Wissenschaft weitgehend einheitlich bewertete Geschichte geworden. Eine Möglichkeit, das zunehmend abstrakte Bild dieser Epoche konkreter zu fassen und mit Leben zu erfüllen, besteht darin, nach ihrem Verlauf in der eigenen Region zu fragen, denn auch hier spielte sie sich ab. Und auch wenn die Vorgänge längst vergangen sind und ihre Akteure tot und begraben, kann ihre Beziehung zum eigenen Ort aufs Neue Interesse wecken und historisches Verständnis fördern.
Obwohl der Zwangsarbeitskomplex zu den größten NS-Verbrechenskomplexen gehörte, setzte die öffentliche Auseinandersetzung damit erst spät ein. Die von der im Sommer 2000 von Bund und deutscher Wirtschaft gemeinsam gegründeten Stiftung »Erinnerung, Verantwortung und Zukunft« bis 2007 geleisteten symbolischen humanitären Zahlungen an ehemalige Zwangsarbeiter erreichten noch etwa zwölf Prozent der insgesamt mehr als 13 Millionen betroffenen Menschen, von denen bis zu 2,7 Millionen den Aufenthalt und Arbeitseinsatz in Deutschland nicht überlebt hatten und viele andere fast sechs Jahrzehnte später gar nicht in der Lage waren, die erforderlichen Nachweise beizubringen.
Schon diese wenigen Daten mögen andeuten, welche Dimensionen der Zwangsarbeitseinsatz während des Zweiten Weltkrieges im Deutschen Reich hatte und dass von einer alle berechtigten Ansprüche befriedigenden Kompensation, die diesen Schandfleck aus der deutschen Geschichte tilgen könnte, keine Rede sein kann. Sicher findet man diese Zahlen im Internet, wenn man sie sucht. Was sie bedeuten, wie sich der Zwangsarbeitseinsatz in unserer Region und unserer Stadt gestaltete und einige exemplarische Schicksale rückt unsere kleine Ausstellung in den Fokus, auf Basis der Quellen, die hier wie vielerorts nicht eben reichlich sprudeln, und um Anschaulichkeit bemüht.
Keine Weltverschwörung hat der Arbeitsgruppe »75 Jahre Kriegsende in Radebeul«, die die Ausstellung 2020 mit Unterstützung der Stadt und der Stiftung Hoflößnitz ehrenamtlich realisierte, das Thema diktiert, sondern das Interesse an einem bislang wenig bearbeiteten Gegenstand und der Zufall, einen ausgewiesenen Experten dafür in Radebeul zu haben. Viele der Dokumente, auf denen der Lokalteil basiert, stehen der Forschung erst seit jüngster Zeit zur Verfügung, was gegen den Vorwurf der ständigen Wiederholung des immer Gleichen spricht. Dass die Ausstellung erst jetzt und in der Hoflößnitz einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich ist, hat mit Corona zu tun und soll die Freude am Hoflößnitz-Wein nicht trüben, der im Zweiten Weltkrieg, wie fast alle Erzeugnisse der deutschen Wirtschaft, seine Zwangsarbeitsgeschichte hat, die wir nicht abhaken, sondern zunächst kennen, einordnen und sodann gebührend erinnern wollen.
Eine Vortrags- und Diskussionsveranstaltung zur noch bis zum 5. September laufenden Ausstellung, zu der ich alle Interessierten und auch den Herrn mit dem Strohhut herzlich einlade, wird am Antikriegstag, dem 1. September, um 19 Uhr im Winzersaal der Hoflößnitz, Knohllweg 37, stattfinden. Und allen, die sich eingehender mit dem Thema »NS-Zwangsarbeit und Kriegswirtschaft 1939-1945. Ausländereinsatz im Deutschen Reich und in Sachsen« auseinandersetzen wollen, sei schon jetzt das von Klaus-Dieter Müller herausgegebene Buch dieses Titels empfohlen, das voraussichtlich ab Ende September über die Sächsische Landeszentrale für politische Bildung in Dresden erhältlich sein wird.
Frank Andert
Museumsleiter Hoflößnitz

Mitgliederversammlung 2020

Lieber Mitglieder des Vereins Radebeuler Monatsheft e.V. „Vorschau & Rückblick“,

da unsere Jahresmitgliederversammlung für das Jahr 2020 bisher nicht stattfinden konnte, haben wir jetzt den 15. Oktober 2021, 19 Uhr in der Stadtgalerie vorgesehen. Wir würden uns freuen, Sie in unserer Runde begrüßen zu dürfen.
Die offizielle Einladung mit Tagesordnung erscheint dann im Oktoberheft und im Internet ab 1. Oktober unter www.vorschau-rueckblick.de/Verein.

Mit freundlichen Grüßen

Ilona Rau
Vereinsvorsitzende

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