Die ganze Glosse

Und die Moral von der Geschicht…?

Es gibt ja immer welche, die wissen „wie was geht“, die „gleich gesagt haben“… und was der Sprüche alle noch so sind. Erst neulich hat ein Intendant auf solche Verkünder hingewiesen. Aber wie eben das Leben lehrt, kommt man mit diesen Volksweisheiten nicht sehr weit, auch wenn man dazu den Friedrich Schiller bemüht. Denn, ein halber Schiller ganz oder halt ein ganzer Schiller halb, ist eben beides nichts Ganzes. Da weiß man noch lange nicht, was die Glocke geschlagen hat, mal abgesehen davon, dass heutzutage fast jeder glaubt, die Selbige schlagen zu können. Da herrscht ja auch kein Mangel …weder an Händen und noch an Glocken. Ein sehr guter Bekannter hat sich für diesen Fall folgende Richtschnur zurechtgelegt: „Erhalte ich für einen Tag mehrere Einladungen für irgendeine Sache, so bleibe ich zu Hause.“ Recht hat er! Schließlich leidet er an keiner Persönlichkeitsspaltung.
Heutzutage meinen ja auch alle zu wissen, was die Glocke geschlagen hat. Ich weiß nur, dass drei Pfund Fleisch…, aber lassen wir das. Das ist schon wieder eine andere Glocken-Geschichte.
Ein Blick in die Geschichte kann ja mitunter auch erhellend wirken. Da klingen einem in gewisser Weise regelrecht die Ohren vor Erkenntnis. Oder vor Einfalt…? Egal! Jedenfalls soll es im beginnenden 20. Jahrhundert an Verkündern und Propheten nicht gemangelt haben. Mit dem Ausrufen neuer Weisheiten, Lebensphilosophien und Weltuntergangsphantasien ist es damals zugegangen wie auf einem Basar. Etwa wie heute mit den Corona-Verschwörungstheorien, Moralappellen oder allgemeinen Aufrufen zur Freude und sonstigen Erscheinungen.

Natürlich sind Krisenzeiten immer belämmert. Und wer freut sich schon über eingeschränkte Kontaktmöglichkeiten, geschlossene Geschäfte und Kulturtempel? Nur die Fabrikhallen und Büros stehen allen offen, na und die Krankenhäuser – Gesunden wie Kranken. Ob die Altersheime jetzt noch Neuzugänge aufnehmen entzieht sich allerdings meiner Kenntnis. Obwohl…? Die Spekulationen schießen ja gegenwärtig derart ins ins Kraut, dass man mit Richtigstellungen überhaupt nicht mehr hinterherkommt. Hier kann eigentlich nur eine Rückbesinnung auf Nietzsche helfen. Freilich auch nur auf die Gefahr hin, bei irgendwelchen Propheten anzuecken.
Aber mal ehrlich, bei so manchen Äußerungen könnte man glauben, die Leute haben nicht alle… Nein, ich werde, was mir gerade auf der Zunge lag, jetzt nicht zu Papier bringen. Man würde ja sonst von mir denken, ich hätte meine Contenance verloren.
Klar, Familie ist wichtig. Wie uns aber die Statistik zeigt, ist sie nicht das einzig Seligmachende. Rund 42 Prozent der Haushalte sind Singlehaushalte und es werden immer mehr. Weitere Überlegungen will ich hier nicht anstellen. Da sollten wir mal die Kirche im Ort lassen. Denn, auch eine ganze Kirche ist eben nur eine halbe Bevölkerung.
In schwierigen Zeiten könnte sich deshalb der Blick ruhig einmal weiten und das eigene Ego etwas zurückgestellt werden. Auch Schiller hat ja nicht nur mit Glocken gehandelt, sondern vielmehr Tacheles geredet, mehr noch geschrieben. Dabei waren seine Räuber keineswegs ein jugendlicher Fehltritt. Vielmehr folgte Schiller einer Grundüberzeugung, die bis in sein Spätwerk aufzufinden ist, auch wenn nachfolgende Kreise seine Werke für eigene Zwecke und Ziele vereinnahmten.
Das kennt man ja seit Ewigkeiten: Auf anderen Feuern die eigene Suppe kochen. Diese immer wieder nachwachsenden „Denkmalstürzer“ sind ermüdend, aber nicht ungefährlich, streuen sie doch Hass und Zwietracht. Nun soll der Mohr vom „Sockel“ geholt werden, dabei wurde er in europäischen Landen bereits im 16. Jahrhundert hoch verehrt. Andere wieder wollen vermeintliche Größen auf Selbigen stellen, wo sie nicht hingehören. Hier heißt es in Redaktionsstuben wachsam sein, auch das lehrt die Geschichte.
Wer jetzt nur noch Bahnhof versteht, kann getrost auch mal einen Blick auf die Webseite der Stadt Radebeul werfen.
Und die Moral von der Geschicht…? Man sollte immer wissen, was die Glocke geschlagen hat!

Euer Motzi

 

Zum Gedenken

Kurz nach Drucklegung des letzten Heftes erreichte uns nachfolgender persönlich-familiärer Beitrag in Ergänzung zum Nachruf für Dr. phil. Dr. sc. Manfred Altner, den wir auf Wunsch seiner Frau veröffentlichen.

Als Manfred Altner im Frühling 1977 mit seiner Frau und den beiden Söhnen das Grundstück in der Lindenauer August-Kaden-Straße begutachtete, war die Frage seiner Kinder: Wer war August Kaden? Da hatte er den ersten Forschungsauftrag für die später entstandenen »Sächsischen Lebensbilder« durch die Familie erhalten. Sie weiteten sich zu literarischen Streifzügen von der Lößnitz über die Lausitz bis zu Dresden und Leipzig (Edition Reinsch 2001). Und mit der Familie verbrachte Altner in Lindenau den Reisebeschränkungen zum Trotz die herrlichsten Sommertage. War doch das Bilzbad nebenan, der Dippelsdorfer Teich und Moritzburg nicht weit. Nach seiner Entlassung von der HfBK in der Wendezeit gelang es seiner Frau, durch Rückübertragung ihres Erbes für den Verkaufserlös, ein Haus im Grundstück für die ganze Familie zu bauen, in der ihre Mutter noch 13 Jahre bis zum 94. Lebensjahr mit leben konnte. Tatkräftig unterstützte Altner sie zuletzt bei der Pflege der Mutter.
Manfred Altner brauchte neue Herausforderungen. Seine alte Kollegin Gertrud Haupt, die er zufällig in Radebeul wiedertraf, machte ihn auf die monatlich erscheinende »Vorschau & Rückblick« aufmerksam. Ihr Mann hatte sie mitgegründet. Sie lebten seit Anfang der 50er Jahre auf dem Prof.-Wilhelm-Ring, nachdem sie mit Martin Andersen-Nexö ihre Wohnung auf dem Weißen Hirsch in der Kollenbusch-Straße tauschten, weil Nexö die vielen Stufen bis zum Haus nicht mehr steigen konnte. Durch Frau Haupt lernte Manfred Altner die Schriftstellerin Tine Schulze-Gerlach kennen, der er in dem Buch «Das Lächeln der Lößnitz« (den Titel hatte Altner gefunden). Edition Reinsch, 1999, ein Porträt zum 80. Geburtstag widmete. Ein weiterer Aufsatz im ››Lächeln…« war der zu unrecht vergessenen Lyrikerin Maria Marschall-Solbrig gewidmet, deren sensiblen Gedichte über die Landschaft der Lößnitz noch unveröffentlicht und unbeachtet auf mit der Schreibmaschine geschriebenen Blättern im Radebeuler Stadtarchiv schlummern. Es fehlt nur ein Geldgeber, um diesen Schatz zu heben. Heute muss der Autor Druckkosten beim Verlag bezahlen, damit sein Werk veröffentlicht wird:

„Land der braunen Rebenhügel, lieblich- heiter schönes Land,
lösest was die Seele band mit des Frohsinns leichtem Flügel.
Blumenbunter Erdengarten, sanfte Hügel, sonnensatt,
jede Blüte, jedes Blatt, nur auf unsere Sinne warten.
Leicht und heiter scheint das Leben,
holder Traum und Hoffnung winkt,
wenn des Landes Schöne sinkt in den goldnen Saft der Reben.
Mit der süßen Trauben Blut trinken Sonne wir und Glut.“

Außerdem gibt es im „Lächeln“ noch ein Porträt von Manfred Altner: „Leben und Leiden der Martha Hauptmann, geborene Thienemann“. Der zweitältere Bruder von Gerhart Hauptmann, Carl, später promovierter Schriftsteller, lernte, wie seine Brüder, die jüngste der drei Thienemanntöchter, Martha, aus dem großbürgerlichen Zitzschewiger Hohenhaus schätzen und lieben. Die drei Brüder Hauptmann heirateten drei Schwestern Thienemann, die ihnen durch ein beträchtliches Erbe eine sorgenfreie Entwicklung ermöglichten. Nur der Älteste, Georg, blieb seiner Frau treu. Nachdem sich die beiden, Carl und Gerhart, im Leben etabliert hatten, wandten sie sich jüngeren, unverbrauchten Gefährtinnen zu.
2003 erschien im Hellerau-Verlag „Gerhart Hauptmann in Dresden und Radebeul“ mit einem handschriftlichen Faksimile vom Gedicht „Goldene Zeiten“ im Umschlag des Einbandes sowie eine Parkskizze am Ende des Umschlags. Altner entdeckte im Nachlass der Marie Thienemann, der sich wiederum im Nachlass ihres Sohnes Ivo in Hamburg befand, den Trauschein von Marie und Gerhart Hauptmann, den Altner als Ablichtung ins Buch einbringt. Daraus ist ersichtlich, dass die standesamtliche Trauung in Kötzschenbroda in der Harmoniestr. 3 stattfand und die kirchliche Trauung nicht in der Frauenkirche, wie Hauptmann im „Abenteuer meiner Jugend“ beschreibt, sondern in der Johanneskirche, dort wo sich heute das Benno-Gymnasium in Dresden be?ndet.
Manfred Altner gab 2000 die „Schwestern vom Hohenhaus“ von Hans-Gerhard Weiß mit einem Vorwort heraus. Das Buch gibt einen Einblick in die Geschichte vom Hohenhaus und der Geschichte der sechs Thienemann-Kinder: fünf Töchter und ein Sohn. ln den 1990er Jahren schreibt Altner mehrere Artikel für „Vorschau & Rückblick“, die in den Jahresinhaltsverzeichnissen nachzulesen sind.
Für den Creutz-Verlag schreibt er für die Tischkalender 2008 und 2010 die geschichtliche Dokumentation. Manfred Altner gehörte zum Freundeskreis Hohenhaus und unterstützte den neuen Besitzer Torsten Schmidt mit seinen Vorträgen, zum Beispiel, als die Hauptmann-Gesellschaft ihre Jahreshauptversammlung 2003 im Hohenhaus abhielt oder als Nachkommen von Vertriebenen aus Schlesien auf ihrer Rundreise das Hauptmann-Haus in Agnetendorf. das hiesige Hohenhaus und auf Hiddensee „Haus Seedorn“ besuchten. lm Lindenauer Senioren-Club sowie in der Radebeuler Bibliothek-Ost sprach Altner über Hauptmann und die Thienemanntöchter, wo er auch eine Brieffreundin aus seiner Kinderbuchforschung noch aus DDR-Zeiten persönlich kennenlernte: Erika von Engelbrechten aus der Internationalen Kinder- und Jugendbibliothek München. Sie „habe noch viel von ihm geIernt“. Altners Arbeiten zeichneten sich durch gründliche und zuverlässige Recherchen und gute Lesbarkeit aus. Sie ist wiederum Erich Kästner noch begegnet, als sie ihm zu seinem 75. Geburtstag eine Ausstellung in der Blutenburg in München ausrichtete. ln den letzten zehn Jahren war sie im Kästner-Museum auf dem AIbertplatz in Dresden sonntags freiwillige Führungskraft.
Als das Pl Dresden 1968/69 Pädagogische Hochschule wurde, erhielt sie als Forschungsauftrag die Kinder- und Jugendliteratur. Altner schloss seine Habilitation auf diesem Gebiet erfolgreich ab. Zuvor verteidigte er 1967 seine Promotionsarbeit mit „Summa cum laude“ in Jena. Altner erhielt von der Universität Regensburg den Auftrag, die ostdeutschen Kinder- und Jugendbuchautoren, Illustratoren und Verlage in das Lexikon der Kinder- und Jugendliteratur miteinzubringen, welches seit 1995-2011 aus nunmehr 13 ständig erweiterbaren Ordnern besteht und dadurch immer auf den neuesten Stand gebracht werden kann. Altner erhielt für seine Mitarbeit am Lexikon in Volkach, wo der Sitz der Akademie war, eine Auszeichnung, die er 2004 persönlich in Begleitung seiner Ehefrau und Frau von Engelbrechten entgegennehmen konnte.
Seit 1973 arbeitete Altner an der Hochschule für Bildende Künste Dresden und brachte das Buchprojekt „Von der Königlichen Kunstakademie zur Hochschule für Bildende Künste“ als Leiter des Autorenkollektivs in Gang. Von Cheflektor Ehrhard Frommhold erhielt Altner den Auftrag für das erste Kapitel: „Von den Anfängen im 18. Jahrhundert bis zum Tode Hagedorns“. Er setzte sich beim Kulturministerium für das Buch ein und erhielt grünes Licht. In zehnjähriger gemeinsamer Arbeit nahm das Buch Gestalt an. Und das alles ohne Computer und Internet in mühseliger Schreibmaschinenarbeit. Dazu in wochenlanger Übersetzung der in Sütterlin-Schrift aller Schüler-und Lehrerlisten ins Lateinische Alphabet auf Karteikarten! Davon dürfte das Archiv der Hochschule heute noch profitieren.
1990 erschien schließlich das 684 Seiten umfassende, wunderschön mit Fotos und Bildern ausgestattete Buch, fand jedoch wenig Beachtung, weil durch die Wende und interne Querelen die Hochschulleitung wechselte und sich keiner mehr für das Autorenkollektiv einsetzte. Mit 63 Jahren musste er die nun zweimal gekürzte Rente beantragen, obwohl er sich noch nicht zum alten Eisen zugehörig fühlte. Wie Viele konnte er diese Ungerechtigkeit nicht ertragen. Er widmete sich dem Thema: Frauen in der Exilliteratur: Hermynia zur Mühlen, Ruth Körner und Auguste Lazar in England, Lisa Tetzner aus Zittau in der Schweiz und Annie Geiger-Gogh im inneren Exil. Mit James Krüss war er befreundet und besuchte ihn Anfang der 90er Jahre auf Gran Canaria gemeinsam mit seiner Frau zweimal. Ab 2010 zog er sich aus gesundheitlichen Gründen mehr und mehr aus der Öffentlichkeit zurück. Er ertrug alle Unbilden tapfer und gab sich nicht auf. Aber seine Schöpferkraft ließ immer mehr nach. Er half dem jungen Tobias Günther, dessen schöne Radebeul-Kalender durch Texte zu den Bildern noch interessanter zu machen bis 2019. Altner hing sehr an Radebeul. der lieblichen Elbtal-Landschaft und ihren Seitentälern. Als dann die Aussicht am Wasserturm mit Eisentoren versperrt wurde, konnte er den weiten Blick im Sitzen auf der Alberthöhe nicht mehr genießen. Das tägliche Training bergauf und die Ruhepause fehlten dem fast 90jährigen. Und so ließen die Kräfte immer mehr nach. lm vergangenen Jahr war jeder Tag ein kleiner Abschied. Die 27 Jahre in Radebeul waren die schönsten seines Lebens. Am 27.11.2020 schlief er einen Monat vor seinem 90. Geburtstag am 26.12.2020 bei den Klängen von Tschaikowskys „Pathetique“ daheim ein.

Christine Schäfer

Da fehlt was …

Notwendige Anmerkungen zum Beitrag „Mit Schweiß gedüngt“

„Ein gewisser ernsthafter Idealismus erfaßt uns in unserer Jugend, deshalb sind so viele Freiwillige achtzehn – und tot.“
Sue Crafton soll das irgendwann geschrieben haben, vielleicht finde ich die Originalquelle noch irgendwo. Die Worte kamen mir in den Sinn beim Lesen des o.a. Beitrags von Burkhard Zscheischler im letzten Heft Vorschau und Rückblick (Heft 2/2021, S. 19ff), in dem der Autor in Erinnerungen seines Vaters kramt. Der war, wie zu lesen ist, 1936 einundzwanzig Jahre alt und hat als Dienstverpflichteter – also nicht ganz „freiwillig“ aber mit viel Spaß – Lößnitzer Weinberge „mit seinem Schweiß gedüngt“. Und sicher nicht ohne Idealismus, aber ganz bestimmt ohne nachzudenken hat er es im nachfolgenden Weltkrieg, wie berichtet wird, „bis zum Hauptmann“ gebracht. Nun, andere sind direkt in den Himmel gekommen. Das ist je bekannt: Wen der Barras erstmal in den Klauen hat, den läßt er so leicht nicht wieder los.
Über hier referierten den Radebeuler Tagen aber lag ganz offensichtlich nichts als jugendliche Romantik. Die für den Abschied zusammengestoppelte Reimerei spricht da für sich.

Was die jungen Leute damals nicht wußten – und was sie, hätten sie es gewußt, in ihrer pangermanischen Fröhlichkeit auch nicht beeinträchtigt hätte, war folgendes:
Der Bürgermeister Heinrich Severit, der auf dem beigegebenen Foto die uniformierten jungen Leute verabschiedete, hatte als strammer „Parteigenosse“ erst kurz vorher gemeinsam mit dem „Gauleiter“ Mutschmann den Zusammenschluß der Städte Radebeul und Kötzschenbroda betrieben und sich an die Spitze der nun größer gewordenen Gemeinde gesetzt. Dr. Wilhelm Brunner, der Bürgermeister von Kötzschenbroda, war in diesen Prozeß nicht einbezogen worden – er war kein Parteimitglied. Stattdessen stand ein Fahrzeug bereit ihn nach Hohnstein ins KZ zu bringen. Dank einer gezielten Indiskretion war er nicht zu Hause, als er „abgeholt“ werden sollte.
Zudem ist B. Zscheischlers Beitrag zu entnehmen, daß die Dienstverpflichteten im „Lager Immelmann“ untergebracht waren. Laut dtv-Lexikon (Brockhaus1995 Band 8) war der Namensgeber Max Immelmann 1890 in Dresden geboren. Abermals dürfte es „ein gewisser (ernsthafter) Idealismus“ gewesen sein, der ihn Offizier und Kampfflieger hatte werden lassen. Zudem wird ihm ein großer Anteil an der Entwicklung „deutscher Luftkriegstechnik“ zugeschrieben. Nach, wie es heißt, „15 Luftsiegen“ (was gewiß keine Luftnummern waren) ist er 1916 in Nordfrankreich ums Leben gekommen. Er hat es somit auf stolze sechsundzwanzig Lebensjahre gebracht und eignete sich dadurch ganz hervorragend als Vorbild für eine neue Kriegergeneration. Selbst von einen fatalen Idealismus erfaßt, haben das die jungen Leute damals nicht durchschauen können oder wollen. Anscheinend haben sie auch später keine weiterreichenden Schlüsse daraus gezogen.

Es ist gut, daß Burkhard Zscheischler ans Licht brachte, was es in „unserem schönen Radebeul“ so alles gegeben hat. Doch so ganz unkommentiert wollte ich die Sache nicht lassen. Das gehört auch zur Erinnerungskultur.
Thomas Gerlach

Leserbrief

Herr Zscheischler vermittelt uns mit den Erinnerungen seines Vaters einen deutlichen Eindruck von dem Geist, in dem die Jugend in der Nazi-Zeit erzogen wurde, – „Heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt.“ Die Welt wartet ja geradezu auf deutsches Wesen, deutsche Lebensart.
Und das zumal im „Ostland“. Was wird da deutsche Tüchtigkeit daraus machen!

Und es war selten ein Erwachsener da, der Fragen anmeldete, nur so

Ihr Leben haben und sicher auch behalten wollen?

Wir haben kein Recht, die so Heranwachsenden zu verurteilen. Aber wir können es auch nicht einfach stehen lassen, wenn sie sich als Erwachsene ganz und gar unkritisch an diese Zeit erinnern. 1935 legten die Nazis das „Ostland“ für 15 Jahre aus als „deutsches Kulturland“, aber 1950 lebten dort keine deutschen Bauern mehr und die Städte hießen schon lange nicht mehr Danzig oder Pillau.

Die Geschichte hat gegen uns entschieden, oder der Geist der unmenschlichen Verantwortung. Dem müssen wir uns stellen.
Herrn Zscheischler ist zu danken, dass er uns mit seinem Artikel aufmerksam macht, wo wir immer noch wieder verführbar sind.

Ingrid Lewek

Ergänzungen zum Beitrag „Mit Schweiß gedüngt“

Die Redaktion sieht in dem Beitrag ein wichtiges Dokument zur Veranschaulichung der Radebeuler Stadtgeschichte, dem, so der nachvollziehbare Vorwurf, im geschichtlichen Kontext allerdings die notwendige Relativierung fehlt. Im Widerstreit der Lesarten hat uns der Autor nachfolgende Zeilen zukommen lassen:

Vernunft, Berechnung, Angst, Einsicht, Stolz, Erfahrung – jeder weiß es bei Erich Fried besser. Doch es ist was es ist, sagt die Liebe. Mein Beitrag „Mit Schweiß gedüngt“ im Februar-Heft hat die Wellen hochschlagen lassen. Der Autor darf es nun richten. Danke für die Chance.
Ich bin Radebeuler mit Migrationshintergrund, seit 1990 ansässig. Von einem Elternteil her halber Sachse, geschult durch jährliche Besuche. Nur zu gut verstand ich das Leid Hiesiger, die sich von keinem Bio-Wessi absprechen lassen wollten, dass es jenseits von Schießbefehl und Stasi ein Leben voll Glück und Liebe in der DDR gab. Denn: Es ist was es ist.
Nun eine Frage an die Älteren, die mit dem eingeimpften Anti-Faschismus: Warum sollte es nicht auch ein glückliches Leben 1933-1945 gegeben haben? Genau einen solch kleinen Ausschnitt beschreiben die Erinnerungen meines Vaters beim Umgraben der Radebeuler Weinberge. Sicher: Seine Fotos zeigen Hakenkreuze. Rechtfertigt dies die reflexartige Etikettierung? „Achtung, die Lektüre dieses Textes kann faschistisches Gedankengut beflügeln!“
Mein Vater beendet seine Erinnerungen für die Zeit bis 1945 mit einem „Nie wieder“. An jedem 13. Februar stellte er eine Kerze in sein bayrisches Fenster und er sorgte 1973 dafür, dass sein Jüngster keinen Wehrdienst leisten musste. Man darf und soll die Vergangenheit kritisch betrachten, aber man kann dennoch positive Erinnerungen an sie haben. Denn: Es ist was es ist.

Burkhard Zscheischler

Wie kam eigentlich das Lügenmuseum nach Radebeul?

Vor neun Jahren landete dieses brandenburgische Kleinod im maroden Gasthof Serkowitz.

Der Auslöser war ein einfacher Zeitungsartikel. Ein Journalist stellte vor zehn Jahren den Künstler Richard von Gigantikow vor den leer stehenden Gasthof Serkowitz. Im Dach des 700-jährigen Gasthofes klaffte ein Loch, als wäre ein unbekanntes Flugobjekt eingeschlagen. Es regnete rein, und das historische Gemäuer ergab sich dem Ruin. Mit der kühnen Behauptung, der Gasthof wird zum Lügenmuseum, kam der Stein ins Rollen. Oberbürgermeister Bert Wendsche fand die Idee gut. Die Stadträte im Kulturausschuss entschieden, das Lügenmuseum, wie die Katze im Sack, in das historische Gemäuer einziehen zu lassen. Immerhin war der Künstler mit seinen labyrinthischen Skulpturengärten in Radebeul eingeführt. (www.luegenmuseum.de/wird-der-gasthof-zum-luegenmuseum/)
Nun ist es ein lebendiges Kulturzentrum, ein beliebtes Ausflugsziel, strahlt weit über Sachsen hinaus. Richard von Gigantikow erhielt den Radebeuler Kunstpreis für seinen Ideenreichtum und sein Engagement für den historischen Gasthof. Er fand Feinde und auch viele Fans. Der Verein »Kunst der Lüge e.V.« konnte zahlreiche Förderungen einwerben und bewies, dass er professionell arbeitet. Doch nun müssen Förderungen gestrichen werden, da die Akzeptanz noch nicht in der Kommune oder im Kulturraum angekommen ist und/ oder entsprechende Förderungen für Freie Träger fehlen. Die institutionellen Förderungen des Kulturraumes wurden abgelehnt, höchst bedauerlich. Da gibt es Zweifel am Vergabeverfahren, wenn der Verein bundesweit Mittel einwirbt und im Kulturraum wiederholt ablehnt. Dies wirft ein Schlaglicht auf Intransparenz und mangelnde Regeln bei der Vergabe. Wie kann es sein, dass eine Institution die sachsenweit, ja sogar bundesweit BesucherInnen anzieht nicht förderungswürdig ist? Seit März 2020 kreieren wir pandemietaugliche Kulturereignisse, die umsonst und draußen verfügbar sind. Solche Aktionen und Projekte sind mit viel Aufwand verbunden und werden teils ehrenamtlich begleitet. Wir wünschen uns, dass auch in Zukunft viele Aktionen kostenfrei bleiben, dass Freie Kulturträger, wie wir, mit 5.000€ jährlich ausgestattet werden (das ist laut einer Studie des LBK der Durchschnitt des Jahresetats freier Träger).
Museum »to go« verkauft sich inzwischen deutschlandweit (www.luegenmuseum.de/shop/). Damit kann man weder einen Kulturbetrieb finanzieren, noch den wohl ältesten Gasthof der Lößnitz sanieren. Aber es kommt ein Museumsbesuch direkt nach Hause, aufs Sofa. Handlich verpackt führt die Museumsbox in die faszinierende Welt von Dingen, die es überhaupt nicht gibt. Darin finden sich unter anderem ein Orientierungsstein, ein Lügenmantra, ein Klangobjekt, ein Fragebogen und ein originales Kunstwerk.
Reinhard Zabka

Der einstige Stadtomnibusbetrieb in Radebeul

Wer kennt sie noch, die blauen Fahrzeuge des privaten Unternehmens von Rudolf und Herbert Krause?

Neben dem Grundstück Horkenweg 1 in Naundorf, wohl um 1934/35 Foto: Sammlung Klemm

Dieses Kapitel der Heimatgeschichte mit seinen Anfängen in den 1930er Jahren war Lebensader für die etwas abgelegenen Ortsteile wie Lindenau und Naundorf.
Betriebssitz und Werkstatt mit Garage war an der Meißner Straße in Radebeul West auf der Hainstraße. Die bedeutendste zentrale Haltestelle war auf der Bahnhofstraße auf dem Teilstück zwischen zwischen Meißner Straße und und Eisenbahnbahnbrücke gegenüber des ehemaligen Palast-Kinos.
Nach Unterbrechungen während des 2. Weltkrieges erfolgte recht bald der Neubeginn mit mehreren älteren Omnibussen der Fabrikate Opel-Blitz u.a. auf verschiedenen Linien, vornehmlich in Kötzschenbroda und Niederlößnitz in Richtung Lindenau, teilweise auch weiter über Friedewald, Dippelsdorf, Reichenberg, Boxdorf, Baumwiese zum Bahnhof Radebeul Ost.
In entgegengesetzter Fahrtrichtung gab es auch planmäßige Fahrten über Naundorf und Kötitz nach Coswig.
Es war sicherlich nicht einfach unter den damaligen schwierigen Verhältnissen einen privaten öffentlichen Liniendienst zu betreiben.
Die Fahrpreise waren gering, Gewinn war kaum zu erwirtschaften und Ausfälle aus technischen Gründen oft nicht zu vermeiden.

Postkarte »Gasthof zu Lindenau«, 1930er Jahre Foto: Sammlung Manfred Richter, Coswig

Postkarte »Gasthof zu Lindenau«, um 1940, Foto: Sammlung Manfred Richter, Coswig

Als Kind und Schüler habe ich selbst einige Erlebnisse und Beobachtungen bei Mitfahrten mit meinem Großvater und meinen Eltern machen können. Auf dem Schulweg entlang dem Gradsteg, konnte ich das Ergebnis einer missglückten Unterquerung der dortigen Eisenbahnbrücke betrachten. Dem Fahrer war offenbar die niedrige Lichte Höhe nicht bewusst, sodass es das Busdach unter die Unterführung schob.
Kurios war manchmal auch anzusehen, wenn unterwegs stehengebliebene Omnibusse mit einem größeren PKW in die Werkstatt abgeschleppt worden.

Bus, um 1950, Foto: Sammlung Mario Schatz, Langebrück

Die wirtschaftliche, aber auch die politische Situation des Privatunternehmens verschlechterte sich bereits gegen 1960 derart, dass die Betreiber den Linienbetrieb aufgaben und der damalige VEB Kraftverkehr Meißen den Betrieb mit eigenen Fahrzeugen des Fabrikates „Ikarus“ größtenteils übernahm und sein Nachfolgeunternehmen dies bis in die heutige Zeit betreibt.
Übriggeblieben war ein relativ modern anmutender alter Sattelschlepper-Omnibus ungeklärter Herkunft, der noch einige Jahre für Sonderfahrten und im Schienenersatzverkehr für die Deutsche Reichsbahn im Einsatz war.
In Erinnerung geblieben sind so manche Episoden und die leuchtend blaue Außenlackierung mit dem schönen bunten Radebeuler Stadtwappen an der Seite.

Wer als Leser dieser „Vorschau & Rückblick“ ebensolche Erinnerungen, Fotos oder andere Dinge wie Fahrscheine und Fahrpläne im Besitz hat, wird freundlichst gebeten, dies der Redaktion oder dem Verfasser kundzutun.

Sattelschlepper, um 1960, Foto: Peter Dönges, Bildverlag Böttger GbRG_420

Wilfried Heinrich, seit 1966 in Dresden

Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan …

Erinnerungskultur ist gefragt.
Die von wohlmeinender Jugend entfachte Diskussion über die Namen „Mohrenhaus“ und „Mohrenstraße“ erinnert mich an ein Gedicht aus dem „Struwwelpeter“, das auch heute noch geläufig sein dürfte:

„Es ging spazieren vor dem Tor
Ein kohlpechrabenschwarzer Mohr …“

Ihm folgte, wie es auch heute noch immer wieder vorkommt, eine Rotte johlender und pöbelnder Rotzjungen, die der „große Nikolas“, nachdem er sie erfolglos zu mäßigen versucht hatte, kurzerhand in sein Tintenfass tauchte:

„…hätten sie nicht so gelacht,
hätt Niklas sie nicht schwarzgemacht.“

Die Botschaft bedarf keiner Erläuterungen.

Die Bezeichnung „Mohr“ ist jedenfalls vom Autor des Gedichtes nicht diskriminierend gebraucht worden. Sie ist auch historisch nicht ausschließlich abwertend gemeint. So drücken die „Mohrenapotheken“ in diesem Namen ihre Hochachtung vor orientalischer Weisheit aus und ihren Anspruch an der Teilhabe am Weltwissen – und damit „Globalisierung“ im besten Sinne des Wortes.
Dennoch ist das Wort wie viele andere auch Ausdruck großdeutschen Überheblichkeitswahns mit allen seinen unschönen Auswüchsen.
Aber: Ändert sich das, wenn wir das Wort schamhaft wegschweigen? Verschwindet damit der Geist, der es zum Schimpfwort macht? Führt diese Art von Vergangenheitsbewältigung nicht vielmehr zu Vergangenheitsverdrängung und – schlimmer noch – zur Verdrängung tagesaktueller Schuld?

Wie ändert sich die Geschichte, wie sieht unser Gedicht aus, wenn wir den „Mohren“ einfach rausstreichen?

„Sieh, da spaziert vor unsrer Tür
Jemand der anders ist, als wir …“
Bleibt deswegen der Mob zu Hause?

Wir können unsere Vergangenheit nicht einfach wegschweigen und können auch Kunst und Literatur nicht rückwirkend ändern.

Zur Erinnerungskultur gehört, Verfehlungen zur Kenntnis zu nehmen und alte Schuld anzunehmen.
In seiner Dankesrede bei der Entgegennahme des Friedensnobelpreises sagte Dr. Martin Luther King 1964:
„…Wir haben gelernt, die Luft zu durchfliegen wie die Vögel und das Meer zu durchschwimmen wie die Fische, aber nicht die einfache Kunst, als Brüder zusammenzuleben.“

Daran hat sich bis heute nichts geändert. Und es wird sich auch künftig nichts ändern, wenn wir nicht aufhören, unseren Müll von afrikanischen Kindern sortieren zu lassen – Missachtung drückt sich nicht nur in Worten aus.

Es nützt der Zukunft mehr, wenn wir in der Bezeichnung „Mohrenhaus“ alte Schuld und neue Verantwortung anerkennen und uns öffnen, mit dem „Mohren“ brüderlich zusammenzuleben. Und wenn er „seine Arbeit getan“ hat, bekommt der Mohr, wie jeder andere auch, eine anständige Rente.
Thomas Gerlach

Zur derzeitigen Debatte „Mohrenhaus“ / Mohrenstraße in Radebeul

Mohrenhaus, Foto: S. Graedtke

Es liegt wohl in der Natur der Sache, dass die Jugend den Drang hat, alles zu hinterfragen und manches zu verändern – die Alten sind „das Alte“ so gewohnt und wünschen, dass sich nichts oder nur wenig ändern möge. Erst mal ist es nahe liegend, dass ich als alter Radebeuler, inzwischen Rentner und dazu noch Denkmalschützer mich eher der zweiten Gruppe zugehörig fühle. Deshalb sage ich, die alten Namen haben Geschichte und mögen so bleiben! Ich würde mich freuen, wenn die Anfrage von Bürgerforum / Grüne / SPD, die durch eine Schülergruppe angeregt wurde, im Radebeuler Stadtrat nicht zwangsläufig zur Veränderung von altbekannten Radebeuler Haus- und Straßennamen führen müsste.
Hier nun meine Gründe zur Beibehaltung der Namen „Mohrenhaus“ und Mohrenstraße:

* Der Begriff „Mohr“ für einen dunkelhäutigen, hier lebenden Menschen ist seit Ausgang des Mittelalters üblich und nicht erniedrigend oder gar rassistisch gemeint, also ganz anders als z.B. „Nigger“. In der Barockzeit waren Mohren Dienstleistende, manchmal auch Spaßmacher an Herrscherhöfen. Sie waren anerkannte Personen und erhielten sicherlich einen Lohn.
* Der seit dem Zeitalter der Empfindsamkeit (1. Hälfte des 19. Jh.) gebräuchliche Name „Mohrenhaus“ (verschiedene Umbauten, zunächst Winzerhaus dann schlossartige Villa) bezog sich auf zwei Felskuppen, die im damals unbewaldeten Grundstück von Weitem wie zwei Mohrenköpfe (Begriff aus der Konditorware) aussahen. In der Zeit entstanden an verschiedenen Stellen in der Lößnitz ähnlich klangvoll-blumige Häusernamen, man denke nur an Haus Fliegenwedel, Haus Sorgenfrei oder Haus in der Sonne.
* Die Mohrenstraße heißt seit 1915 so, der Name bezieht sich auf das bereits existierende „Mohrenhaus“, obwohl dieses Haus nach der Moritzburger Straße (51) postalisch orientiert wurde.
* Der bekannte, dunkelhäutige Koch Andrew Onuegbu aus Kiel hätte sein Speiselokal „Zum Mohrenkopf“ sicherlich nicht so genannt, wenn er das als herabsetzend oder gar rassistisch empfinden würde.
* Überhaupt sollte man in Radebeul nach der begründeten Rück- und Umbenennungswelle von Straßen gleich nach der Wende nun mal zur Ruhe kommen, anstatt bei jeder neuen Idee, wie eine Straße noch besser heißen könnte, gleich die Straßenschilder zu ändern. Man denke nur an den „Rattenschwanz“ von anderen Änderungen bei einer Straßennamensänderung: neue Straßenschilder, neue Privat- und Betriebsadressen, Änderungen in Stadtplänen, Adress- und Telefonbüchern, neue Stempel und auch Änderungen der Denkmallisten – das „Mohrenhaus“ selbst ist ein Kulturdenkmal und in der Mohrenstraße fallen mir mindestens vier andere Kulturdenkmale ein.

Ich denke, die Argumente für die Beibehaltung des „Mohrenhauses“ und der Mohrenstraße sollten genügen, um den og. Änderungswillen zu stoppen. Vielleicht werde ich dem OB mal eine Vorschau in den Briefkasten stecken? Da wir derzeit in der „Vorschaurunde“ wegen Corona keinetatsächlichen Redaktionssitzungen durchführen können, betone ich, dass mein Artikel allein meine und nicht die Redaktionsmeinung wieder gibt.

Straßenschild, Foto: S. Graedtke

Dietrich Lohse

 

Endlich ist ein großer baulicher Schritt am Moritzburger Hellhaus getan!

Das Hellhaus, Januar 2021, Foto: D. Lohse;

Über viele Jahre, genau genommen seit 1945, schien gar nichts zu gehen am mitten im Wald hinter dem Schloss gelegenen Hellhaus – keine Nutzung, z.T. unklare Zugehörigkeit, dafür fortschreitender Verfall und schließlich 1989 Brandstiftung. Das Hellhaus liegt auf einem Hügel etwa 800m nordöstlich vom Barockschloss und diente im 18. Jh. der Jagd. Es besteht aus zwei massiven, achteckigen Etagen und zwei Dachgeschossen mit einer Plattform auf dem Dach. Im Erdgeschoss gab es verschiedene Abstell- und Funktionsräume, im hohen OG war ein kleiner Saal mit Austritten und Geländern (hier konnten früher, wenn die Jagd erfolgreich war, intime Feste gefeiert werden) und im ersten DG waren kleinere Wohnräume. Im 20. Jh. wurde es von den Wettinern wohl nur noch selten genutzt.
Von der Plattform aus konnte ein Akteur durch Flaggenzeichen den Jägern anzeigen, in welcher der acht Schneisen das Wild gesichtet wurde und in welcher Richtung es sich weiter bewegte. Auch als Ruine war es auch stets ein Kulturdenkmal.
Uns muss klar sein, dass in Moritzburg das Barockschloss nach 1945 immer an erster Stelle beim Publikumsinteresse, bei der Mittelbewilligung und der Werterhaltung (wenn das Gerüst einmal ums Schloss gewandert war, fing es wieder von vorne an) lag. Dann folgte mit Abstand an zweiter Stelle das Fasanenschlößchen und sein Umfeld. Und erst an dritter Stelle der Wettiner Hinterlassenschaften wäre das 1776 erbaute Hellhaus, ein Denkmal der Jagdausübung dran gewesen, wozu es aber offiziell bis 1989 nie kam und auch nach 1990 noch lange nicht dran war. Inzwischen ist der staatliche Forstwirtschaftsbetrieb Eigentümer dieser Immobilie geworden und seit 2020 tut sich nun wirklich etwas am Hellhaus. Was täglich von vielen Spaziergängern beobachtet wird, ist keine Notsicherung, sondern die 1. Baustufe, also die äußere bauliche Fertigstellung. Welche Nutzung das vollständig sanierte Hellhaus einmal haben wird, ist noch nicht beschlossen, zeichnet sich aber in groben Umrissen ab: Museum zur höfischen Jagd in verschiedenen Jahrhunderten, Forstwirtschaft in Sachsen heute und Schule des Waldes, also eventuell entsprechende Lehrveranstaltungen für Schulklassen. Eine Jahreszahl, wann das so weit sein wird, kann heute noch nicht genannt werden. Die 1. Baustufe muss die Gewähr sein für weitere Baustufen und wird damit schließlich auch die endgültige Fertigstellung des Hellhauses bewirken. Was ich bisher auf der Baustelle im Moritzburger Wald gesehen habe, stimmt mich froh und optimistisch, endlich tut sich hier was!

Aufmaßzeichnung von Studenten, 1949, „Kulturlandschaft Moritzburg von 1945 – 1990“, Gerhard Glaser, Sandsteinverlag Dresden, 2010

Bei meiner Recherche zu dem Artikel bin ich, was die jüngere Geschichte des Hellhauses betrifft, auf interessante Verbindungen zwischen den Nachbarkommunen Moritzburg und Radebeul gestoßen, die ich hier einmal zusammenfassen möchte. Den Wenigsten dürfte bekannt sein, dass es zwischen 1945 und 1989, also in der Zeit als sich von offizieller Seite scheinbar niemand um das Hellhaus kümmerte, sich ein paar Radebeuler Bürger in bescheidener Weise um den Erhalt dieses Bauwerks gekümmert haben – ich kann also nur die Radebeuler Linie beschreiben. Das soll nicht ausschließen, dass sich in der Zeit auch Moritzburger oder andere Bürger, die mir nicht bekannt sind, um das Hellhaus in irgend einer Weise bemüht haben – die müssten sich aber bitte selbst zu Wort melden. Da wäre zunächst der alte Radebeuler Baumeister Franz Jörissen (1895-1996) zu nennen, der schon früher mit Prinz Heinrich aus dem Hause Wettin bekannt war und in den 50er und 60er Jahren den damaligen Direktor Herrn Frenzel gut kannte und an die Erhaltung des Hellhauses als einen Bestandteil des Schlosses Moritzburg erinnert hatte. Seine Tochter Elisabeth Jörissen (verheiratet Kaufmann) hatte als studentische Übung Detailzeichnungen für neue Hellhausfenster angefertigt – zur Ausführung sind sie m.E. nicht gekommen. 1964 bot sich der Baumeister an, für eine kleinere Instandsetzung Holz, Zement und Kalk beschaffen zu können, wohl für die Zumauerung der EG-Fenster – man erinnere sich, wie schwierig das zu der Zeit war! Anfang der 60er Jahre erhielt der Radebeuler Stud. Arch. Ulrich Aust, der spätere Zwingerbaumeister, durch Vereinbarung zwischen dem Institut für Denkmalpflege und dem Schlossdirektor einen befristeten Pachtvertrag für das Hellhaus, um mit kleineren Werterhaltungsmaßnahmen den weiteren Verfall zu bremsen und Vandalismus durch Fremde mit zeitweiser Anwesenheit im Hellhaus zu begegnen. Als Aust als fertiger Architekt dann mit anderen Aufgaben beschäftigt war, setzten Anfang der 70er Jahre Freunde und Kollegen von Aust – u.a. die Radebeuler Volker Röhricht, Dietrich Lohse und Dietmar Kunze – diese Tätigkeit am und im Hellhaus fort. Aber zu gelegentlichen Einbrüchen ins Hellhaus kam es weiterhin, obwohl es da eigentlich nichts zu klauen gab. An ausgewählten Wochenenden wurde tags gearbeitet und abends manchmal auch mit Freundinnen, bzw. Ehefrauen gefeiert, wir erinnern uns gern an diese Zeit. Ein neuer Direktor des Schlosses Moritzburg, Herr Jehmlich, war aber nicht bereit, o.g. Vertrag zu verlängern, tat aber auch seinerseits nichts Wesentliches für das Hellhaus, so dass unsere Hilfsaktion 1975 endete.
In den späten 80er Jahren gab es von Seiten der Schlossverwaltung einen angedachten Rettungsversuch für das Hellhaus, wofür Architekt Feigenspan, Boxdorf, ein Projekt ausarbeitete, der aber schon daran scheiterte, dass eine Bereitstellung der dazu benötigten Medien – Wasser, Strom, Telefon – mitten im Wald damals nicht zu realisieren war. Dann brannte 1989 der Dachstuhl durch Brandstiftung ab und gleich nach der Wende gab es viele andere wichtige Aufgaben in Moritzburg. Später trennte sich die Schlossverwaltung von der schwierigen Immobilie, für mich schwer nachzuvollziehen – von nun ab gehörte das Hellhaus zum Staatlichen Forstwirtschaftsbetrieb.
Nachdem Architekt Dr. Dietmar Kunze mit seinem Dresdner Büro Kunze und Zerjatke ein paar Planungsaufträge für das Barockschloss und das Fasanenschlößchen realisiert hatte, ging er an die Vorbereitung für das Hellhaus, das er also nie aus dem Auge verloren hatte, und holte kurz vor seinem Tod noch die denkmalschutzrechtliche Genehmigung für die Rekonstruktion des Hellhauses ein.

Rohbaufertige Gaupe in der Werkstatt Grätz, Januar 2021, Foto: D. Lohse

Auftraggeber für die 1. Baustufe (äußere Instandsetzung des Hellhauses) ist der Staatliche Forstwirtschaftsbetrieb. Die Bauplanung und Bauausführung geschieht unter Leitung des Staatsbetriebes Sächsisches Immobilien- und Baumanagment (SIB). Die Verantwortung für das Bauprojekt liegt in den Händen von Maximillian Kunze, Architekten Kunze Reisnecker, Dresden. Ich betrachte es als einen sehr glücklichen Zufall, dass der Sohn von Dietmar Kunze da weiter arbeiten kann, wo Dietmar plötzlich und unerwartet aufhören musste. Ein Projekt zur Landschaftsplanung, hierzu zählt u.a. der Ausbau der Schlossschneise als Baustraße, wurde vom Büro Michael Simonsen ausgearbeitet.
Als die wichtigsten bauausführenden Betriebe sind die Coswiger Firma Holzbau Grätz und die Dachdecker Täuber – Kühnel, Altenberg, zu nennen. Der zweigeschossige Dachstuhl über achteckigem Grundriss und mit vielen Gaupen ist fast abgeschlossen und sicherlich keine alltägliche Bauaufgabe. Dem historischen Bild entsprechend, kommen bald wieder Biberschwanzziegel auf das Dach und als oberer Abschluss wird das eiserne Geländer wieder aufgebaut. Beide Betriebe haben bereits auf anderen Baustellen, die Fa. Grätz z.B. den neuen Glockenstuhl der Friedenskirche in Radebeul, bewiesen, dass sie denkmalpflegerische Aufgaben gut bewältigen können.
Ein bisschen gewundert habe ich mich (ich war längere Zeit nicht da gewesen), dass das Gebäude auf dem Hügel nun „so im Freien“ steht, war da ein Sturmschaden gewesen oder haben die Bauleute diese Baufreiheit gefordert? Ich hatte doch noch die Erinnerung an einen dichteren und älteren Bestand von Bäumen rund ums Hellhaus im Kopf, darunter auch Weymouthskiefern und Lärchen, ein romantischeres Bild eben. Aber früher, also im 18.Jh., dürften die Bäume auch nicht dicht am Gebäude gestanden haben, die wären ja der Parforcejagd hinderlich gewesen. Die Baustelle werde ich sicherlich weiterhin im Blick behalten und freue mich mit allen am Bau Beteiligten, wenn die 1. Baustufe am Hellhaus bald fertiggestellt sein wird.
Ich bedanke mich herzlich bei Herrn Christian Lehmann aus Moritzburg für das Gegenlesen meines Manuskriptes.
Da ich früher schon mal über das Hellhaus in V+R berichtet hatte, möchte ich auch auf den Artikel im Augustheft 2003 verweisen.

Dietrich Lohse

Quellen:

1. „Beschreibende Darstellung der älteren Bau-und Kunstdenkmäler des Königreichs
Sachsen“, Cornelius Gurlitt, Verl. C.C. Meinhold u. Söhne, Dresden, 1904
2. „Landkreis Meißen – seine Städte u. Dörfer“, Günter Naumann, Kreissparkasse
Meißen, 1998
3.„Kulturlandschaft Moritzburg von 1945 – 1990“, Gerhard Glaser, Sandsteinverlag
Dresden, 2010 (von da eine Zeichnung mit Zustimmung des Verfassers übernommen)

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