10 Jahre Jugendclub „Weißes Haus“

Das „Weiße Haus“ Radebeul wurde im August zehn Jahre alt. Unsere 26-jährige Autorin Leonore Schicktanz blickt auf ihre eigene Zeit dort und die Entwicklung des Jugendclubs zurück.

Um es ein wenig pathetisch zu formulieren: Im „Weißen Haus“ begann und endete meine (frühe) Jugend. Ja, so kann man es sagen, denn immerhin verbrachte ich dort so einige Zeit im Alter zwischen 17 und 24.

2006 begann die Stadt Radebeul damals mit der Sanierung der ehemaligen Kantine des LPG-Frühgemüsezentrums, nahe dem heutigen Kaufland. Seitdem konnte man den Club für Discos, Geburtstagsfeiern oder auch Theatervorstellungen mieten. Ich selbst war bei einigen Geburtstagsfeiern dabei, und auch bei so manchem Konzert. „King Fish“, „Roadcrash“ oder „Fuzz Party Invitation“ sind nur einige der Radebeuler Jugendbands, die damals im „Weißen Haus“ ihren ersten größeren Bühnenauftritt hatten.
Etwa ein Jahr später als das „Weiße Haus“ öffnete im hinteren Teil des Gebäudekomplexes zusätzlich der „Barnyard Club“ (dt.: Scheune, Schuppen, Hof). Mein Lieblingstermin war dort viele Jahre der Mittwochabend. Denn da öffneten sich von 19 bis 24 Uhr die Türen zum Tischtennisspielen, Skateboardfahren oder einfach zum Einstimmen auf das nahende Wochenende. Und auch heute, fast zehn Jahre später, treffen sich dort jeden Mittwoch Jugendliche im Teenageralter.

Ich muss also feststellen – es läuft auch ohne mich ganz gut im „Weißen Haus“. Zum zehnjährigen Jubiläum am 20. August kamen etliche Freunde und Gäste des Jugendclubs, die allein mit ihrem Kommen bewiesen: Der Jugendclub ist ein erfolgreiches Projekt in Radebeul. Und noch lange nicht beendet.

Erst seit kurzem können Tanzgruppen, wie beispielsweise Line- oder Breakdancer, den gerade fertig gestellten Tanzraum benutzen.

Auf der Party zum 10-jährigen Jubiläum; Foto: L. Schicktanz

Auf der Party zum 10-jährigen Jubiläum; Foto: L. Schicktanz


Außerdem soll bald ein Tonstudio entstehen. Die Proberäume sind alle vermietet und in die obere Etage des Hinterhauses soll ein kleines Kino ziehen. Außerdem soll die Zusammenarbeit mit den Schulen der Region verstärkt werden. Denn nur weil es für das „Weiße Haus“ gut läuft, gilt das nicht für alle Besucher von ihm. Viele Jugendliche haben Probleme im Elternhaus, der Schule oder mit Drogen. Für sie ist so ein Ort, wie dieser Jugendclub besonders wichtig.

Ich wünsche dem „Weißen Haus“ auch für die nächsten zehn Jahre alles Gute und weiterhin jede Menge Besucher, die mit ihren Ideen und ihrer Persönlichkeit das Radebeuler Jugendleben bereichern.

Leonore Schicktanz

Tag des offenen Denkmals 2016

Wie in V+R 09/16 angekündigt, fand der Tag des offenen Denkmals am Sonntag, den 11.09.16 bei strahlendem Sonnenschein statt. Das Interesse war wieder groß – zur Eröffnung durch die stellvertretende Vorsitzende des Vereins für Denkmalpflege und neues Bauen, Frau Katja Leiteritz, 10 Uhr am Rosa-Luxemburg-Platz 2/3 waren 40 bis 50 interessierte Radebeuler und ein paar Gäste von außerhalb Radebeuls anwesend. Auch von den anderen Denkmalstandorten war ein gutes Echo zu hören. Dank an alle, die zum Gelingen des Tages einen Beitrag geleistet hatten, vor allem aber an die privaten Eigentümer von Denkmalen, die sich bereit erklärt hatten, mitzuspielen! Nachfolgend sei mein Redebeitrag am Eröffnungsstandort angefügt:

Geschichte der Wohnhäuser Alfred-Naumann-Str. 13, 15, Heinrich-Zille-Str. 46 und Rosa-Luxemburg-Platz 2, 3 (heute alles Kulturdenkmale)

Gröba-Haus, Rosa-Luxemburg-Platz 2, 3 Foto: D. Lohse

Gröba-Haus, Rosa-Luxemburg-Platz 2, 3 Foto: D. Lohse


1. Die GRÖBA-Elektrizitätswerke – ein kommunaler Zweckverband

Nachdem um 1900 städtische Stromversorger als lukrative Geschäftsidee wie Pilze nach dem warmen Regen auftauchten, waren bald die ländlichen Regionen, in denen elektrische Maschinen für die Landwirtschaft aufkamen, hinsichtlich der Stromversorgung unterversorgt. Um dem Missstand abzuhelfen, wurde 1909 auf einem großen Gutshof in Gröba (Ortsteil von Riesa) der Zweckverband zur Stromversorgung und Verteilung über die ländlichen Gebiete in Mittelsachsen gegründet. In der ersten Phase waren die Städte Riesa, Großenhain, Meißen und Oschatz eingebunden, doch bald kamen Döbeln, Lauchhammer und die Lößnitzgemeinden dazu. Unter Direktor Korff und in der Zeit nach dem 1. Weltkrieg arbeitete der Zweckverband Gröba immer erfolgreicher, so dass er den Firmensitz 1924 / 25 nach Niederlößnitz verlegen konnte, die Verwaltung zog in den Neubau (Entwurf O. Rometsch) Körnerweg 5 ein. In der Folge wurde in Niederlößnitz von 1924 – 26 eine Gröba-Werkssiedlung errichtet, zu der auch die von den Architekten Gebr. Kießling entworfenen Wohnhäuser am heutigen Rosa-Luxemburg-Platz gehören. Andere Gröba-Häuser (Dr.-Rud.-Friedrichs-Str., Stosch-Sarassani-Str. u. Gröbastr.) entwarf Architekt Dr. Tischer. Ob es zwischen den verschiedenen, für Gröba tätigen Planern Kontakte, ggf. auch gestalterische Zusammenarbeit gab, ist nicht nachweisbar. 1928 / 29 errichteten die Gröba-Werke an der Meißner Straße ein Umspannwerk mit noch zwei Wohnhäusern, die von einem Dresdner Büro betreut wurden.

So war Radebeul ins Zentrum der ländlichen sächsischen Stromversorgung gerückt.

Dabei war die Idee von Werkswohnungen nicht neu, solche gab es früher und größer schon bei Krupp in Essen oder Zeiss in Jena. Man darf darin durchaus ein soziales Engagement des Betriebes sehen, auch wenn die Häuser im Volksmund Meister- oder Beamtenwohnungen genannt wurden. Ich weiß nicht, ob die Gröba-Siedlung nach der Definition einer Siedlung eigentlich Siedlung genannt werden dürfte – sagen wir so, es ist eine Siedlung, die im Stadtteil Niederlößnitz fließend integriert ist, d.h., keine so festen Konturen und einheitliche Hausbilder besitzt, wie man das von einer Siedlung erwarten würde. Wie mir Frau Klemm, die langjährige Bewohnerin eines Gröba-Hauses in der heutigen Dr.-Rud.-Friedrichs-Straße erzählte, war die technische Ausstattung mit Bädern, Zentralheizung und Warmwasserspeichern sehr modern. Hinter den Häusern waren in dem Bereich Nutzgärten und ein zentraler Wäscheplatz zugeordnet. Hier fanden auch gemeinsame Gartenfeste statt, die zur Festigung des Betriebsklimas beitrugen. Änderungen traten dann nach 1945 ein, als Umsiedler und Ausgebombte aus Dresden in der Gröba-Siedlung aufgenommen werden mussten und der kommunale Zweckverband in einen VEB umgewandelt, also verstaatlicht wurde. Damit verlor sich auch der Charakter von Werkswohnungen. Die Wohnhäuser waren für die wirtschaftlich schwere Zeit nach dem 1. Weltkrieg und Inflation sowie vor der Weltwirtschaftskrise auffallend solide und mit gut zugeschnittenen Wohnungen gebaut worden – was man auch daran erkennt, dass auf diesem Standort erst nach ca. 90 Jahren eine vollständige Sanierung erforderlich wurde.

2. GEBR. KIESSLING – die Architekten dieses Bauensembles

Schon der Vater Friedrich Ernst Kießling war Baumeister und Jalousienfabrikant in Kötzschenbroda gewesen. Seine Söhne Architekt Ernst Leopold K. (1873-1951) und Baumeister Edmund Walter K. (1875-1948) traten ab 1903 im Baugeschehen der Lößnitzorte unter der Bezeichnung Gebr. Kießling auf. Das Ende der Tätigkeit dieses Büros und Baugeschäfts lag etwa bei 1940. Als Gebrüder zu firmieren war in der Zeit offenbar üblich – Gebr. Ziller, Gebr. Große, Gebr. Thalheim…

Der Baustil, den der Vater pflegte, entsprach der Gründerzeit und zeigte oft Dachformen mit Schiefer, die an französische Architektur des 19. Jh. erinnerten, z.B. Heinrich-Zille-Str. 39 u. 56. Die Söhne bedienten sich anfangs des Jugendstils (Hermann-Ilgen-Str. 46) und zeigten später Bauten, die dem Heimatstil entsprachen, wie das heute vorgestellte Bauensemble am Rosa-Luxemburg-Platz. Ähnlich wie die Zillers hatten auch sie einige monumentalere Bauten in Radebeul entworfen und errichtet: die Schule Naundorf, später dazu die Turnhalle, die Schule in der Harmoniestraße, die Berufsschule (Straße des Friedens), das ehem. Rathaus von Kötzschenbroda (heute Sparkasse), aber auch die Feierhalle auf dem Friedhof Kötzschenbroda und die ehem. Totenhalle im Krankenhausgelände.

Dem Dreispänner (A.-Naumann-Str. 15 / R.-Luxemburg-Pl. 2 / 3) kommt noch eine wichtige städtebauliche Funktion zu: er bildet in idealer Weise den östlichen Platzabschluss des Königsplatzes, heute Rosa-Luxemburg-Platz, eines ansonsten recht gemischt umbauten Platzes. Die Westfassade wirkt zunächst regelmäßig, aber auf den zweiten Blick erkennt man eine Asymmetrie, die eine gestalterisch belebende Wirkung hat.

Die Gebr. Kießling machten fast alle ihre Häuser (hier leider nicht nachweisbar) durch ein Signet im Putz, meist neben dem Eingang, öffentlich kenntlich – „meine Hand für mein Produkt“ sagte man später in anderem Zusammenhang -, eine Parallele zu Dresdner Häusern von Baumeister Erlwein, die sich auch stilistisch oft mit den Kießling-Häusern vergleichen lassen. Längere Zeit war der Firmen- und Wohnsitz in der Meißner Str. 253, einer Villa mit Büroanbau und Lagerplatz daneben am Gradsteg, heute Garten. Ebenfalls für die Gröba-Werkssiedlung entwarfen die Gebr. Kießling auch das Mehrfamilienhaus Gröbastr. 14/15, das bereits früher saniert wurde. Die Gebr. Kießling hatten auch außerhalb von Radebeul große Aufträge, so z.B. die Rathäuser in Heidenau und Mügeln.

Für ein paar Bauaufgaben verpflichtete die Firma auch Künstler, wie Burkhart Ebe für den plastischen Schmuck am ehem. Rathaus von Kötzschenbroda. Wer das Schmuckrelief über dem Doppeleingang Rosa-Luxemburg-Platz 2, 3 angefertigt hat, war nicht zu erfahren.

Die Brüder Kießling fanden ihre letzte Ruhestätte an verschiedenen Stellen auf dem Kötzschenbrodaer Friedhof.

Während der Recherche für die beiden zum Tag des offenen Denkmals bestimmten Häuser stellte ich fest, dass es sowohl zur Bautätigkeit der Gebr. Kießling als auch zu deren privatem Umfeld noch unerforschtes Terrain gibt.

Es war interessant, zum diesjährigen Tag des offenen Denkmals wieder mal eine laufende Baustelle sehen zu können, auch wenn das Disziplin bei den Besuchern erforderte. Auf dieser denkmalpflegerischen Großbaustelle sah ich Firmenvertreter, bzw. Firmentafeln, die in anderen Jahren schon an Radebeuler Kulturdenkmalen erfolgreich tätig waren und das was an Geleistetem schon zu sehen war, z.B. die Dachdeckerarbeiten, machte einen sehr guten Eindruck. Ich bin sicher, dass viele Radebeuler Bürger im Frühjahr 2017, wenn die Bauarbeiten beendet sein werden, noch mal genau am Rosa-Luxemburg-Platz hinschauen und sich dann mit mir über die fertig sanierten Denkmale freuen werden.

Dietrich Lohse

Häuser im Weinberg

verein für denkmalpflege und neues bauen
„Sie können es einfach!“

Ein Stoßseufzer war das, tief aus der Seele einer Besucherin der Ausstellung, die am 26. August im sächsischen Weinbaumuseum Hoflößnitz eröffnet worden ist. Gemeint waren Thilo Hänsel und Klaus Schumann, die in einer kleinen feinen Kabinettausstellung „Häuser im Weinberg“ zeigen: Skizzen, Zeichnungen und grafische Arbeiten, entstanden auf langen Spaziergängen durch die heimischen Weinberge. Im Mittelpunkt steht dabei die Weinkultur – konkret der steingewordene Gestaltungswille, der mit Mauern, Treppen, Toren, Remisen und Lusthäusern seit Jahrhunderten unsere Landschaft zu der formte, die sie heute ist.

Klaus Schumann »Weinbergstor Finstere Gasse«

Klaus Schumann »Weinbergstor Finstere Gasse«


Die beiden Zeichner haben sich am Anfang des Lebens als Studenten in Dresden kennengelernt, haben zusammen im TU-Orchester musiziert und schon damals die gemeinsame Liebe zum Zeichenstift gepflegt. Nun, nach beiderseits reichem Arbeitsleben, haben sie sich wiedergefunden. Wieder und wieder sind sie gemeinsam unterwegs um zu zeichnen. Die Betrachter spüren die Freude, die beide am Unterwegssein haben und sie spüren die Liebe zum Sujet, das für sie mehr ist, als nur ein Malgrund.
Thilo Hänsel »Minckwitzsches Lusthaus«

Thilo Hänsel »Minckwitzsches Lusthaus«


Die Idee zur Ausstellung ist einem Buchprojekt entwachsen, eine Gelegenheit, die sich Museumsleiter Frank Andert glücklicherweise nicht entgehen ließ. Das Buch ist unter dem Titel „Weinberghäuser im Elbtal“ im September beim Notschriftenverlag erschienen.

Von Pillnitz im Südosten bis Seußlitz im Westen ist den wachen Augen der Zeichner kein architektonisches Kleinod verborgen geblieben, wobei sie, wie sie selbst sagen, keinesfalls Vollständigkeit angestrebt haben. „Mit jeweils eigener Handschrift“, schreibt Frank Andert in seinem Geleitwort, „aber freundschaftlich geteilter Wertschätzung für das Originale und baulich Gelungene“ haben Thilo Hänsel und Klaus Schumann hier „architektonische Zeugen der sächsischen Weinbaugeschichte dokumentiert“. Es ist dies durchaus ein Anspruch der beiden Künstler: zu zeigen, was ist, einen gegebenen mit Zustand künstlerisch ansprechenden Mitteln festhalten. So manches von ihnen mit dem Stift der Erinnerung erhaltene Detail haben der Zahn der Zeit oder die Ignoranz der Zeitgenossen schon verschwinden lassen.

Ein anderes Anliegen ist es, die Betrachter zum Selberschauen, zum Selbersuchen anzuregen, in ihnen die Liebe zu den Dingen zu wecken. Dem dienen dann Thilo Hänsels lyrische Erläuterungstexte ebenso wie die Worte, mit denen Michael Mitschke das Jahr des Winzers vorüberziehen lässt. Auch darin wird die Begeisterung spürbar, mit der die Autoren ans Werk gegangen sind.

Noch einmal Frank Andert: „Neben frischen Blicken auf bekannte Wahrzeichen hält der Band auch manche Entdeckung parat und weckt Lust, den Wegen der Zeichner zu folgen…“ und auf diesen Wegen wird so mancher von uns in der Landschaft stehen, das Büchlein in der Hand halten und wieder einmal bewundernd feststellen, „ja, sie könnens einfach …“

Thomas Gerlach

Intermediales Kunstprojekt „Radebeul besitzen“

Werke von 53 Künstlern in der Stadtgalerie

Dies Haus ist mein, es ist aber auch nicht mein,
der vor mir war dachte es wär sein,
es war aber nicht sein, denn er zog aus und ich zog ein,
und nach meinem Tod wird es ebenso sein!

Hausinschrift Meißner Straße 279

Themenorientierte Gemeinschaftsausstellungen mit lokalem Bezug haben in der Stadtgalerie Tradition. Ein erstes Projekt dieser Art wurde bereits 1986 unter dem Titel „Leben hinter alten Mauern“ gezeigt. Die Dokumentation „Altkötzschenbroda im Abriß?“ (1990) führte letztlich dazu, dass sich die Stadtgalerie am heutigen Standort in Altkötzschenbroda befindet. In einem engen Zusammenhang mit Radebeul standen auch die Projekte „RAD,RAD, RADebeul“ (2013) und „Radebeul – Stadt der Zukunft“ (2015), denen nunmehr „Radebeul besitzen“ folgte.

Foto: Stadtgalerie Radebeul

Foto: Stadtgalerie Radebeul

Die Eröffnung der Ausstellung am 10. September war wiederum mit einem kleinen hand- und hausgemachten Künstlerfest verbunden. Nach altbewährtem Ritual wurde das Publikum an verschiedenen Fest-Stationen mit hochwertigen Überlegungen und turbulenten Aktionen konfrontiert. Reißenden Absatz fanden die limitierten Radebeul-Aktien, welche nur an diesem Abend erhältlich waren und zur Teilnahme an einer Versteigerung der besonderen Art berechtigten. Das fiktive Portfolio des Auktionators reichte von der Schrott- bis zur Luxusimmobilie. Ersteigert werden konnten u.a. „Radebeuls kulturelle Mitte“, die „Fassade vom ehemaligen Bahnhofsgebäude in Radebeul-West“, die „Un-Friedensburg“ oder ein „Schlammteich“ mit den Koordinaten Y 405638 X 5664559 im System ETRS89b. Der Besitzerwechsel brachte Rekordeinnahmen. Zu höchst dramatischen Szenen kam es auch bei der Besitzergreifung des einzigen freien Stuhles auf der Bühne, denn der Hinweis „Sitzen verboten“ wurde von den zwei eigens aus Berlin und Leipzig angereisten Clowns völlig ignoriert. Alles in allem war es ein schönes Fest mit interessanten Gesprächen und lebendiger Musik zum Tanzen und vergnügten Zuhören.

Peter Graf »Besitz (jedem seinen Käfig)«, 2016, Pastell

Peter Graf »Besitz (jedem seinen Käfig)«, 2016, Pastell

Obwohl das diesjährige Thema „Radebeul besitzen“ zunächst recht schwierig schien, stieß es bei den Künstlern auf großes Interesse. Von den 53 Radebeuler bzw. mit der Stadt Radebeul verbundenen Malern, Grafikern, Bildhauern, Fotografen und kreativen Allroundern werden viele neue Werke gezeigt, welche eigens für diese Ausstellung entstanden sind. Ergänzend sind auch Arbeiten von bereits verstorbenen Künstlern aus dem Bestand der Städtischen Kunstsammlung eingefügt. Darüber hinaus setzen sich Schüler der Oberschulen Kötzschenbroda und Radebeul-Mitte mit der Thematik auseinander. Auch der Radebeuler Autorenkreis „Schreibende Senioren“ gestaltet im Rahmen der Ausstellung einen eigenen Beitrag.

Cornelia Konheiser, Bemalter Stuhl, 2016

Cornelia Konheiser, Bemalter Stuhl, 2016

Das Motto „Radebeul besitzen“ ist sowohl materiell als auch geistig und sinnlich ausdeutbar. Sitzen, besitzen, besetzen… Wer besitzt was und wie viel von der Wein-, Villen- und Gartenstadt Radebeul? Zugegeben – eine durchaus spannende Frage. Die Ausstellung gibt hierauf zwar keine Antwort, doch ohne Provokation keine Kunst. Und eine Stadt, die sich den „Luxus“ einer Stadtgalerie leistet, wird das wohl locker verkraften, zumal Kritik und Humor in diesem Falle dicht beieinander liegen.

Anita Rempe »Die Kugel rollt nicht«, 2016, Installation (Detail)

Anita Rempe »Die Kugel rollt nicht«, 2016, Installation (Detail)

Eigentum verpflichtet. Ja, wozu eigentlich? Steht Eigennutz über Gemeinwohl oder umgekehrt? Welchen Gewinn bringt Spekulationsgewinn? Wie ausgewogen gestaltet sich die Balance zwischen privatem und öffentlichem Raum? An welchen Orten fühlen sich die Bewohner Radebeuls besonders wohl? Wo sitzt man gern und was bedeutet es zu sitzen, in einer Zeit der boomenden Fast Food Ketten mit Essen und Trinken to go? Radebeul – eine Stadt der Genießer zwischen „wisch und weg“? Wird Radebeul von den „Auspendlern“ als Stadt überhaupt wahrgenommen? Wie lässt sich der Organismus einer Stadt begreifen? Wie hat sich das Bild der Stadt seit dem gesellschaftlichen Umbruch gewandelt? Wer dominiert den öffentlichen Disput über die Entwicklung unser aller Stadt und wer hält diesen in Gang?

Eine Stadt wie Radebeul bietet verführerisch schöne Motive. Doch Kunst ist viel mehr als das Abbild einer Postkartenidylle. Künstler haben ein feines Gespür für Veränderungen und dafür, was Menschen bewegt.

Die Stadtgalerie gleicht für sechs Wochen einer prall gefüllten Wundertüte mit Bildern und Objekten rund ums Besitzen in Radebeul. Gold wohin das Auge schaut. Haben oder sein? Auf einer Münzen ausspuckenden Ladenkasse thront eine (wohl um sich selbst kreisende) kleine Prinzessin. Doch alle Entwicklung ist blockiert, denn die goldene Kugel rollt nicht. Der vergoldete Sonnenkönig zeigt Flagge und hält die Friedensburg besetzt. Eine Domina peitscht die ihr hörige Schnecke mit goldenem Schneckenhaus. Goldene Zwerge sitzen auf dem blauen Planeten Radebeul. Ein Stuhl mit goldenem Toilettendeckel und Endlosschleifensymbol gemahnt an „Die Vergänglichkeit in der Unendlichkeit“. Goldene Pflastersteine werden zur zukunftsträchtigen Option, sobald die letzte Baustelle von Radebeul verkauft sein sollte, denn ewig währt der „Tanz ums goldene Kalb“. Jedem seinen Käfig!

Im Raum steht die Frage: Wie wollen wir leben? Startbereit und brav sitzen die Kleinsten auf dem Töpfchen. Sie haben noch Zeit. Das Galopprennen auf der Zielgeraden beginnt erst später und endet mit der „Letzten Ruhe“. Aus einem Birkenstamm sprießt der Paradiesapfelbaum. Hasen besetzen den Rasen. Stadträte besitzen Radebeul – ein Dampfer fährt vorbei. Wieder so ein Formfehler. Ziel verfehlt. Ob Friedensburg, Bahnhofsgebäude oder Kaiserpost – zu spät. Mensch, ärgere Dich nicht!
Von Bedeutung sind die Weinberge, der Gottesacker, die Nähe des Flusses, der Lößnitzgrund, die Streuobstwiesen, der „Hinterhof meiner Kindheit“, ein autofreies Altkötzschenbroda (wenigstens am Sonntag), der Pavillon im Grundhof, der Markttag in Radebeul-Ost, das kleine Frühstück oder
der sonnige Biergarten.

Don Quichote trägt den Kopf hoch über den Wolken. Er ist reich an Fantasie. Was jedoch zu seinen Füßen geschieht, kann er so nicht sehen. „Radebeul für alle“ wird zur Illusion, wenn wir nicht praktisch gegensteuern. Vorsorglich erfolgte deshalb vom 6.6. bis 21.8.2016 in Radebeul an öffentlich zugängigen Orten die Entnahme von 35 spekulationsfreien Bodenproben mit anschließender Konservierung. Auch Fund- und Erinnerungsstücke aus aller Welt verstauben nun in einem Serkowitzer Museumskoffer. Über einhundert Jahre alt ist das Aquarell mit dem herrlichen Blick übers Elbtal, präzise mit Mai 1913 datiert – zwei Weltkriege sollten folgen. Nur der Moment ist wahr.

Für Freunde der (Überlebens)Kunst bietet die Stadtgalerie reichlich Anregung
zum sitzen, besitzen, besetzen. Aber alles auf eigene Gefahr!

Karin (Gerhardt) Baum

Die Ausstellung ist bis zum 23. Oktober DI, MI, DO, SO 14-18 Uhr geöffnet. Gruppen-Führungen mit der Galerieleitung sind auch außerhalb dieser Zeiten möglich. Um Voranmeldung unter 8311-600, -625, -626, 0160-2357039 wird gebeten. MIDISSAGE am 21.10., FINISSAGE am 24.10., jeweils um 19.00 Uhr

Zu sehen sind Werke von Regina Baum, Dieter Beirich, Sophie Cau, Lieselotte Finke-Poser, Thomas Gerlach, Karen Graf, Peter Graf, Roland Gräfe, Christiane Herrmann, Gunter Herrmann, Mandy Herrmann, Horst Hille, Michael Hofmann, Cornelia Konheiser, Karen Koschnick, Matthias Kratschmer, Gabriele Kreibich, Ingo Kuczera, Dorothee Kuhbandner, Bärbel Kuntsche,Wolf-Eike Kuntsche, Käthe Kuntze, Edgar Kupfer, Klaus Liebscher, Johanna Mittag, Peter PIT Müller, Tine Neubert, Gerd-Rüdiger Perschnick, Anne-Katrin Pinkert, Pseudo, Gabriele Reinemer, Anita Rempe, Markus Retzlaff, Lutz Richter, Gerald Risch, Luc Saalfeld, Burkhard Schade, Petra Schade, Gabriele Schindler, Annerose Schulze, Fritz Peter Schulze, Gerold Schwenke, Gabriele Seitz, Karola Smy, Wolfgang Smy, Ju Sobing, SODA, Johannes Thaut, André Uhlig, Christian URI Weber, Irene Wieland, Renate Winkler, Reinhard Zabka

 

Editorial 10-16

Verschlungene rätselhafte Wege, die keinesfalls zielführend sein müssen – ein Labyrinth – eine herrliche Metapher griechischer Mythologie. Derzeit auch in Radebeul durchaus zu erfahren. Wie sollte man sonst die derzeitige Verkehrssituation beschreiben?
Es mutet an, als ergösse sich vor den Toren des Herbstes ein kaum zu ermessendes Füllhorn an Geldern, um das Straßengeflecht unserer Heimatstadt in eine einzige Baustelle zu verwandeln. Auf der Internetpräsenz der Stadtverwaltung werden in der ersten Septemberhälfte sage und schreibe 18! gleichzeitig verlaufende Baumaßnahmen aufgeführt. Und so wird die gute alte Meißner Straße durch Kappung wichtiger Nebenstränge, insbesondere mit Schließung der Kötzschenbrodaer Straße, seit langem mächtig malträtiert. Aber es geht noch mehr.
Selbst den „Obenrumfahrern“, welche das Nadelöhr zwischen Ober- und Niederlößnitz an der Jägermühle zu schätzen wissen, bleibt aufgrund der Brückenarbeiten die Querung versagt. Der vermeintliche Geheimtipp mit dem Übergang an der Grundmühle avancierte so nicht selten zur Staufalle für Insider.
Doch auch damit nicht genug. Um nach Lindenau zu kommen bedurfte es schon viele Monate den Umweg über die Moritzburger Straße. Schließlich war die logische Umleitung zum Erstaunen der Herumirrenden dann auch noch verschlossen. Nun bedurfte es einer Umleitung der Umleitung. Wer glücklich, wie ich, endlich in Lindenau angekommen über den Kreyernweg in Richtung Rietzschkegrund wollte, sah sich vor der nächsten Sperrung. Nach längerem Suchen fand ich einen kleinen abenteuerlichen Pfad.
Und ich staunte nicht schlecht, als „Altradebeuler“ noch ganz neue, ganz unbekannte Wege erfahren zu dürfen.

Sascha Graedtke

Editorial 09-16

Vorhang zu!
Im Oktober vor zwei Jahren eröffnete die frisch sanierte „Goldne Weintraube“ für Gäste und Personal der Landesbühnen Sachsen. Frohgemut übernahm auch der damalige Kantinenbetreiber mit Familie Engelmann den völlig neu gestalteten Küchentrakt. Die anfangs schlüssig erscheinende Gesamtkonzeption mit Gaststätte, als Podium für Kleinkunst und internem Kantinenbetrieb erwies sich in der Praxis als wohl leider nicht ganz so tragfähig. Die im Vergleich günstigen Preise und die zudem nicht einfach zu kalkulierenden Aufwendungen mit den täglich changierenden Probenplänen trieben den Pächter schließlich in die baldige Kündigung.
Das Theater hat mit dem Unternehmer André Sarrasani nun einen unerwarteten Nachfolger gefunden. Der Zirkusbetrieb mit dem klangvollen Namen hat in Dresden eine über hundertjährige Tradition, seit 1901 ist er mit seinem damaligen Sitz in der Gartenstraße 30 auch mit Radebeul eng verbunden. Jenes Haus ist heute, wenn auch wenig geschmackvoll, in Erinnerung des Firmensitzes derb farblich gestaltet.
Die Übernahme der „Theaterkneipe“ erfolgt nicht unter den glücklichsten Vorzeichen, da das traditionsreiche Unternehmen im Juli Insolvenz anmelden musste. Mit der neu gegründeten Sarrasani Event GmbH gibt es für die Fortführung der Geschäfte hingegen grünes Licht.
Konzeptionell soll sich in der „Goldnen Weintraube“ manches ändern, vieles wird strukturbedingt bleiben müssen. Wer mit den neuen zauberhaften Ideen der Theaterleitung und des Pächters nun aber der größere Illusionist ist, wird die Zukunft zeigen.
Dem neuen Betreiber ist inmitten der Theaterwelt zumindest wieder traditionsgemäß ein herzliches toi, toi, toi zu wünschen!
Also, Vorhang auf ab Anfang September!

Sascha Graedtke

Mit Tom Tagtraum durch das Jahr 2016 – Teil 9

Du musst Träumen ihre Entstehung zulassen, denn nur so kann irgendwann ein Teil davon auch Wirklichkeit werden.

Ferdinand, der verrückte Luftgraf

Das aber träumt selbst Tom nicht am Tag, sondern im tiefsten Schlaf. Die Fahrt im dunkelroten Zug war sehr lang und voller Bilder und ging in den Süden des Landes, in dem Tom lebt. Vor einer mächtigen Bergkette, die auch die Grenze zu zwei Nachbarländern durchzieht, liegt ein weiter und weltentiefer See, mit dem es noch die Bewandtnis hat, dass ein Fluss, gerade erst entstanden, auf der einen Seite hinein fließt, um den See auf der anderen Seite wieder zu verlassen und das ganze Land Richtung Norden zum Meer durchzieht.
Mittagszeit ist es am See, die Märzsonne strahlt hier meist viel kräftiger und wärmer schon als an anderen Orten des Landes. Genau das muss unseren Tom aber auf einer Bank vorm Eiscafé an der Seepromenade plötzlich so schläfrig gemacht haben.
Dass nun gerade in diesem Traum Tom eben Ferdinand erschien, Ferdinand der verrückte Luftgraf, das wiederum ist kein Zufall, es hängt mit dem Ort am See zusammen. Ferdinands Idee, die Erde mit Fluggeräten zu erkunden, die Menschen jeden Tag, ja jede Sekunde über Ländergrenzen, ja Meere und Kontinente hinweg durch die Luft gleiten zu lassen – diese Idee wurde hier am See geboren. Nein, Ferdinand war längst nicht der erste Mensch, der vom Fliegen träumte und zu fliegen versuchte. Seine Besessenheit aber, silbergraue Luftschiffe zu bauen, die sehr weite Strecken in großer Höhe zurücklegen können und Menschen auf der ganzen Erde miteinander verbinden, dieser Spleen des „verrückten Luftgrafen“ war der Beginn dessen, was wir heute erleben, wenn wir vor der elektronischen Anzeigetafel eines großen Flughafens stehen und versuchen, die Zielorte auf der Erde nach Ländern und Richtungen zu ordnen. Tom träumt, von Ferdinand durch die alte Luftschiffwerft geführt zu werden und findet, dass sich beide in ihren Ideen und Spinnereien sehr gut verstehen. Wie Tom hat einst Graf Ferdinand Träumen ihre Entstehung zugelassen. Er hatte von einem Helden namens Ikarus gelesen, der seine Gefangenschaft auf einer Insel mit selbst gebauten Flügeln verlassen und in die Freiheit wollte. Eine Sage, erhalten aus einer Zeit, die heute durch ihre hinterlassenen Aufzeichnungen entschlüsselbar ist. Ikarus’ Flucht misslang, er stürzte ins Meer. Von Graf Ferdinands Träumen aber hat sich nicht nur ein Teil verwirklicht, nein, es ist viel mehr Wirklichkeit geworden, als das, wovon Ferdinand je zu träumen gewagt hatte.
Jetzt wird es am See etwas lauter. Aus dem Hafen ausgefahren, nimmt ein möwenweißer Katamaran an Fahrt auf, um den See diagonal in den Hafen der Stadt am Uferhorizont zu durchqueren. Weit draußen begegnen sich zwei Fähren mit kunterbunten Autos in ihrem Unterdeck, denen der Weg so verkürzt wird. Und als wäre das noch nicht genug, setzt noch ein – diesmal dunkelblaues und schon etwas größeres – Flugzeug zur Landung auf dem Flugplatz der Stadt am See an. Es fliegt deshalb schon ganz tief, als es die ersten Häuser an der Uferpromenade samt der Bank vorm Eiscafé mit dem eingedösten Tom überquert. Tom fühlt sich in den Arm gekniffen, als er wieder wach wird, das Eis in seiner Waffel ist ein wenig angeschmolzen. „Ferdinand? Hallo Graf Fer…“ Da entdeckt Tom hoch über dem See ein ruhig ziehendes, traumorangefarbenes Luftschiff. Er kneift sich noch einmal selbst in den Arm, steht auf und läuft lächelnd die Seepromenade hinab.

Tobias Märksch

Es ist etwas hinzugekommen

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Steinerne Schnecke«, Zeichnung von Dr. D. Kunze

Kunst wird bekanntermaßen sehr unterschiedlich vom Rezipienten angenommen. Solange es sich um Werke handelt, seien es Bilder, Musikstücke oder Geschriebenes, kann das jeder mit sich selbst ausmachen, ob’s gefällt oder durchfällt.
Ganz anders ist es mit Werken der bildenden Kunst im öffentlichen Raum, die von allen Menschen konsumiert werden müssen.
Hier herrscht in der Regel eine Bandbreite zwischen reflexartiger Ablehnung und enthusiastischer Zustimmung und Bewunderung vor.
Zu reden ist von einem neuen Kunstbaustein im Weinberg der „Drei Herren“ in der Radebeuler Oberlößnitz. Konkret handelt es sich dabei um eine Bekrönung der sogenannten Steinernen Schnecke, dem Cikkurat, einem „planvoll aufgeschichteten Hügel aus Syenitsteinen von ca. 7,00 m Höhe in Form einer Schnecke, also mit einem spiralförmig angelegten Weg“ (Helas, Denkmale in Sachsen, Stadt Radebeul).
Sie/er dürfte wahrscheinlich im 17. Jahrhundert angelegt worden sein, 1842 kann er als vorhanden nachgewiesen werden (ebenfalls Helas).

Der Leser merkt schon: ein sehr sensibler Ort an der Hangkante der Weinberge.

Diese Bekrönung erfolgte durch einen aus Keramik gefertigten Kopf, man sollte ihn „Schneck“ nennen.

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Das Kunstwerk im Anflug Foto: Dr. D. Kunze

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Foto: Dr. D. Kunze

Der Schöpfer ist Herr Prof. D. Reinemer, ein ortsansässiger Bildhauer mit ehemaligem Lehrauftrag für das Fach Keramik an der Dresdener Hochschule für bildende Künste.
Wie auch bei den anderen im Berg verstreut platzierten Kunstwerken ist auch bei diesem Objekt Herr Prof. Beck, einer der „Drei Herren“, Inspirator und Auftraggeber.
Natürlich kann man streiten, ob die steinerne Schnecke einen solchen Abschluss benötigt oder nicht. Überzeugend ist jedoch das Durchwandern des Hohlweges mit dem Blick nach oben. Hier findet sich auch rechts des Weges eine kleine sandsteinerne Plattform mit den geschichtlichen Erläuterungen zum Bauwerk selbst – von hier aus ist der Schneck wohl am schönsten zu betrachten, wenn man sich den doch mühsamen Aufstieg auf dem Wein- und Kunstwanderweg im Weinberg bis dicht heran ersparen will oder muss, weil die Puste nicht reicht.
Dem Aufsetzen des Bildwerkes gingen neben vielen Überlegungen und Skizzen auch die Herstellung eines Phantoms aus Holz und Papier voraus, um die richtigen Maßverhältnisse im Vergleich zum Unterbau festlegen zu können.
Hergestellt hat ihn D. Reinemer in Crinitz (Brandenburg), einer traditionsreichen Firma zur Herstellung industriell genutzter Steinzeugprodukte (Wassertröge und Behälter in dunkelbrauner Farbe, vielleicht ist manchem so etwas schon begegnet). Der Kopf des Schneck ist farbig gefasst und mit Eisenbändern stabilisiert (Blitzschutz?).

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Steinzeugkopf mit Eisenbändern Foto: Dr. D. Kunze

Am unteren Rand sind Verfasser und Helfer genannt. Der Korpus ist zusätzlich noch mit chinesischen oder japanischen Schriftzeichen, wer weiß es schon genau außer dem Künstler selbst, versehen.
Das Objekt stellt neben der künstlerischen Meisterleistung auch ebenso eine technische dar.
Der Clou des Ganzen sind Öffnungen: Mund, Nase und Ohren, aus denen, wenn man den im Berg verborgenen, früher mit einem Kamin versehenen Raum mit einen Feuer beheizt, Rauch aufsteigt und damit vom Wesen der Kunst im weitesten Sinne zeugt.
Vielleicht ist die Wahl der nächsten Weinkönigin ein gegebener Anlass, ihn richtig qualmen zu lassen.

Dr. Dietmar Kunze

Schmetterlinge im Weinberg (Teil 2)

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Foto: J. Kuhbandner

Zurück in die Weinberge, nun in die heimischen, in die sächsische Kulturlandschaft entlang der Elbe. Auch hier haben einige seltene Falterarten überlebt. Wer mit offenen Augen durch die Weinberge spaziert, kann sie fliegen sehen.
Die Schmetterlingszeit in den Weinbergen beginnt mit den ersten warmen Sonnentagen. Das kann schon im Februar oder März sein. Es erscheinen die Überwinterer – die Schmetterlinge, die als Falter den Winter in Kellern, auf Dachböden, in Mauerritzen oder geschlossener Vegetation schlafend verbrachten. Der Zitronenfalter, der Kleine Fuchs, der C-Falter und das Tagpfauenauge sind die ersten Boten. Ein erneuter Wintereinbruch lässt sie wieder verschwinden. Sieht man den Aurorafalter, zuerst die männlichen Tiere mit den orangen Flügelspitzen, wird es bald Frühling. Dieser Falter hat den Winter im Puppenstadium verbracht, wie auch der ihm folgende Segelfalter. Schlüpfen sie aus der Puppe, ist der Sommer nicht mehr weit.
April, Mai – die ersten warmen Tage. Wir nehmen den Weg über Schloss Wackerbarth zum Jacobstein. Mit viel Glück können wir den Segelfalter beobachten. Diese wärmebedürftige Art lebt hier in einem seiner nördlichsten Verbreitungsgebiete an den sonnigen Hängen mit Trockenmauern und Brachen mit wilder Schlehe, der Futterpflanze der Raupe. Der Wärmeanspruch und das Verschwinden geeigneter Biotope macht ihn in Deutschland zu einer sehr seltenen Schmetterlingsart. In der Roten Liste der Tagfalter Sachsens steht er als „stark gefährdet“ und „besonders geschützt“. Der Segelfalter – hellgelb mit schwarzen Streifen, einer Flügelspannweite von 5 bis 8 Zentimetern, an den Hinterflügeln je einen halbmondförmigen blauschwarzen Augenfleck mit orangeroter Randung und den auffälligen langen Schwanzfortsätzen, die ihn vom ähnlichen Schwalbenschwanz unterscheiden – fällt durch seinen elegant gleitenden Flug auf. Wir sehen ihn hier unterhalb des Jacobsteins durch den Weinberg segeln, unter Ausnutzung der Thermik zeitweise ohne Flügelschlag. Dann ein kurzes Flattern an einer Distelblüte und am Natternkopf, von einem Artgenossen aufgescheucht geht es senkrecht nach oben. Zwei Falter schrauben sich in den Himmel. Wir verlieren sie aus den Augen. Dieses Balzverhalten bezeichnet man als Hilltopping, zu beobachten meist an exponierten Stellen, einer Bergkuppe, wie hier am Jacobstein, oder auch am Bismarckturm in den Weinbergen der Oberlößnitz. Der imposante Falter fällt auch in den Gärten unterhalb der Weinberge auf. Dort locken ihn die Blüten zum Nektar tanken. Die Raupen fressen an wilder Schlehe, die zwischen den bewirtschafteten Weinbergflächen wächst. Im südlichen Europa kommt der Segelfalter häufiger vor, bringt im Jahr bis zu vier Generationen hervor. Nördlich der Alpen spricht man von meist nur einer Frühjahrsgeneration. Ich konnte aber in den letzten Jahren immer eine zweite Generation im Juli beobachten. Ein gutes Zeichen. Als ich einmal in der Webergasse mit meinem Teleobjektiv am Zaun stand und versuchte Segelfalter zu fotografieren, die dort um ein Blumenbeet flogen, erweckte ich die Aufmerksamkeit einiger Spaziergänger. Sie entdeckten das Objekt im Ziel meiner Linse und staunten nicht schlecht. So große Falter, wo sind die denn entflogen? Einer wusste ihn zu bestimmen: ein Schwalbenschwanz. Vor Jahren hätte er mal einen gesehen. Ich erklärte ihnen die Besonderheit. Eine Verwechslung mit seinem nächsten Artverwandten dem Schwalbenschwanz liegt nahe, da man beide Falter sehr selten zu Gesicht bekommt.
Der Segelfalter hat eine offensichtliche Beziehung zum Weinbau, dessen Anbaumethoden sich in letzter Zeit hin zum ökologischen geändert haben. Sein Lebensraum wird nicht mehr bedroht
Juni, Juli – kleine Bläulinge sind nun an den Wildblumen zwischen den Weinreben und am Wegesrand zu beobachten. Kohlweißlinge vervollständigen das Bild, noch sind sie relativ zahlreich vertreten. Hat der Sommer die Oberhand bekommen, fliegen die Gäste aus dem Süden ein, die sogenannten Wanderfalter wie Admiral, Distelfalter oder Taubenschwänzchen.
Das Taubenschwänzchen ist ein kleiner Schwärmer und erinnert an einen Kolibri, wenn es in der Luft an einer Blüte verweilt und mit seinem langen Rüssel Nektar trinkt. Diese Vertreter haben einen weiten Weg hinter sich – über die Alpen bis zu uns in den Weinberg. Hier pflanzen sie sich fort, fliegen weiter nördlich oder sind bis in den Spätsommer bei uns zu Gast.
Noch eine Seltenheit. Der Russische Bär oder auch Spanische Flagge genannt, ist eigentlich ein Nachtfalter. Er fliegt aber auch tagsüber im Weinberg. Man nimmt etwas orangerotes Flatterndes war. Sitzt der Falter an einer Mauer oder auf einem Blatt, sind die Flügel geschlossen. Braun mit weißen Streifen, bilden sie eine dreieckige Form. Die orangeroten Hinterflügel sind verdeckt.
Bekannt ist der Falter als Touristenattraktion auf der Insel Rhodos. Dort sammeln sich alljährlich tausende Falter im Tal der Schmetterlinge (Petaloudes). An Felsen und Stämmen sitzen die Falter dicht gedrängt. In den sächsischen Weinbergen und nahen Taleinschnitten ist der schöne Falter von Mitte Juli bis Ende August zu beobachten. Etwas Glück gehört aber immer dazu und man kann froh sein, wenn man einen einzelnen zu Gesicht bekommt. In der Roten Liste Sachsens ist die Art in die Kategorie „stark gefährdet“ eingestuft.
Zum Schluss etwas Statistik. Schmetterlinge sind die zahlenmäßig zweitstärkste Gruppe an Arten unter den Insekten nach den Käfern. In Deutschland sind ca. 3700 Arten beschrieben, davon entfallen 190 Arten auf die Tagfalter. In Sachsen sind 114 Tagfalterarten nachgewiesen. Davon gelten 66 Arten als gefährdet bzw. ausgestorben. 16 Arten sind bereits ausgestorben, 20 weitere sind vom Aussterben bedroht. (Quelle: Rote Liste Tagfalter Sachsens, Landesamt für Umwelt und Geologie, Juli 2007)
Ausgeräumte und intensiv genutzte Landschaften sind eine Ursache für das Verschwinden vieler Schmetterlingsarten. Den Futterpflanzen der Raupen und Schmetterlinge wird die Wachstumsgrundlage entzogen. Es bleiben nur wenige Refugien und Nischen, die Rückzugsorte für viele bedrohte Tiere und Pflanzen darstellen. Diese sollten wir schützen und erhalten.
Einer dieser wertvollen Lebensräume für Schmetterlinge ist der Weinberg. Wir sind auf einem guten Weg.
So könnte auch bei uns, wie an der Mosel der Apollofalter, ein Vertreter der fliegenden Gaukler der Lüfte symbolhaft auf dem Etikett einer Weinflasche von einer lebenswerten Kulturlandschaft erzählen. Der heimische Segelfalter wäre ein würdiger Botschafter.

Jörg Kuhbandner

„Tag des Offenen Denkmals 2016“ am 11. September

verein für denkmalpflege und neues bauen

In diesem Jahr wenden wir uns in Radebeul vorrangig Wohngebäuden zu.
Radebeul wird neben den historischen Dorfkernen insbesondere durch seine vielfältige Wohnbebauung der Ober- und Niederlößnitz geprägt. Zumeist verbinden wir damit Villen, Winzerhäuser, Weingüter. Weniger im Bewusstsein sind die kleinen Siedlungsgebiete aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, wie z. B. die zwischen Kötitzer und Brockwitzer Strasse in Naundorf (Nähe „Planeta“), die Gröba-Siedlung in der Niederlößnitz oder die an der Trachauer Strasse in Radebeul Ost. Auch anderenorts in Radebeul findet man Ansätze von Siedlungsbebauung aus dieser Zeit in Radebeul.

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Wohnhaus »Kyauhaus«, Wettinstraße 2 Foto: J. Reichstein

Städtebaulich besonders prägend ist die kleine, aber sehr feine Bebauung am Rosa-Luxemburg-Platz. Diese wurde ebenso wie die Gröba-Siedlung, durch den Elektrizitätsverband Gröba für Mitarbeiter der neuen Verwaltungszentrale am Körnerweg gebaut. Und dies am besten Platze der Niederlößnitz – direkt gegenüber dem Rathaus!
Von Außen betrachtet schienen die Gebäude in den letzten Jahren in einen unergründlichen Dornröschenschlaf gefallen zu sein. Seit dem Sommer saniert die Besitzgesellschaft Radebeul als Eigentümer das Objekt und gewährt am „Tag des Offenen Denkmals“ Einblick in ihr Vorhaben und in dem Wohnbereich Rosa-Luxemburg-Platz 3.

2-wettinstrasse

Wohnhaus, Heinrich-Heine-Str. 11a Foto: C. Crämer

Wohnbebauung ganz anderer Art – vor allem viel älter – begegnet uns im Kyauhaus auf der Wettinstrasse 2. Um das Gebäude rankt sich nicht nur die eine oder andere Sage, es ist nach der aufwändigen (teilw. noch laufenden) Sanierung ein beeindruckendes historisches Zeugnis Radebeuls.
Die Ursprünge des Gebäudes stammen von einem zwischen 1650 und 1670 erbautem Winzerhaus. Es folgten bald erste Umbauten und mit dem Besitzerwechsel 1754 die barocke Neuordnung des Grundrisses. Aus dieser Zeit sind noch Deckenmalereien im 1. Obergeschoss erhalten und können besichtigt werden. Ebenso die historische Holzdecke im Erdgeschoss, die sich nach Freilegung als  reichhaltiger „Bretter-Fundus“ verschiedenster Bauepochen entpuppte. Auf alle botanisch interessierten Besucher wartet außerdem die frisch ausgetriebene Kyau-Linde im Garten.
Eine ebenso abwechslungsreiche, wenn auch nicht so alte Geschichte verbindet sich mit dem Objekt auf der Heinrich-Heine-Strasse 11a. Erbaut wurde das Gebäude als Remise mit Kutscherwohnung für die Villa „Lina“ Horst-Viedt-Strasse 3. Dank der liebvollen Sanierung der Eigentümer ist der bauliche Zusammenhang heute im Äußeren wieder unverkennbar. Ab den 1938er Jahren wurde das Gebäude zu Büro und Werkstatt umgebaut und erhielt mehrere Anbauten sowie Nebengebäude. 2012 bis Ende 2013 sanierten die jetzigen Eigentümer das Objekt nicht nur denkmalpflegerisch, sondern auch umfangreich energetisch. Am „Tag des Offenen Denkmals“ gewähren sie Einblick in Grundstück und Erdgeschoss mit ehem. Stallung und Remise.
Traditionell öffnet die Hoflößnitz am „Tag des Offenen Denkmals„ kostenfrei ihre Türen. Alle Denkmalfreunde sind in das Museum mit Sonderausstellung und zu Führungen durch die historische Weingutanlage eingeladen. Das Presshaus wurde in den letzten Jahren umfangreich umgebaut und steht seit Mai dieses Jahres als Veranstaltungsstätte zur Verfügung – am 11. 09. dem Deutsch-französische Chor Dresden als Konzertraum.
Wir laden Sie recht herzlich ein, am 11. September „Neues Altes“ in Radebeul zu entdecken, mit Bauherren und Mitbesuchern ins Gespräch zu kommen und Erfahrungen auszutauschen.
Katja Leiteritz

Veranstaltungsorte am Tag des Offenen Denkmals

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