Von der Metamorphose einer »Rinnsteinpflanze«

Zur »My Fair Lady«-Premiere an den Landesbühnen

Am Ende – als Ergebnis der turbulenten Ereignisse in London am Beginn des 20. Jahrhunderts – haben sich nicht nur Eliza und ihr Vater Alfred P. Doolittle, sondern auch der Phonetik-Professor Henry Higgins in ihrem jeweiligen Wesen gründlich gewandelt. Glaubt man zumindest auf den ersten Blick. Wenn es denn wirklich so wäre, dann hätte der Dichter und Dramatiker George Bernhard Shaw allerdings seinem Ruf, schärfster Kritiker eben jener Gesellschaft gewesen zu sein, nicht gerecht werden können. Denn das Vorbild für jenen experimentierfreudigen Professor im Musical »My Fair Lady« ist die Figur des Königs »Pygmalion« aus der griechischen Sagenwelt, der aus vielerlei Gründen Frauen nun mal nicht mag, sich aber dann doch in ein Mädchen verliebt, das allerdings nur als elfenbeinerne Statuette existiert. Der Pygmalion des Musicals nun ist jener Professor Henry Higgins. Und der bleibt im Grunde der überhebliche und menschenverachtende Wissenschaftler, der er vor seinem Experiment mit dem Blumenmädchen Eliza schon war. Auch wenn er – als ihm ihre Abwesenheit bewusst wird – fast flehend singt »Ich bin gewöhnt an ihr Gesicht«. Sogar an Elizas versoffenem Vater hat Higgins gefehlt; denn der ist mit seinem gesellschaftlichen Aufstieg zum brillanten Rhetoriker alles andere als glücklich geworden. Higgins selbst vermisst Eliza zwar, doch weniger als die junge liebenswerte Frau, sondern mehr als willfährigen und geduldigen Blitzableiter für seine maskulinen Wutausbrüche. Er nennt sie nun zwar nicht mehr »Drecksstück« und »Rinnsteinpflanze« wie am Anfang seines Unterrichts, dennoch ist sie nach seinem überheblichen Selbstverständnis immer noch ein »unverschämtes Insekt«.

My Fair Lady (Szenenfoto LBS)

Alles in allem ein grandioser Stoff, der seinerzeit geradezu nach einer Vertonung schrie. Zuvor aber kam ein erster Film, 1938 von Gabriel Pascal produziert. Danach erst folgte das Musical, dessen Skript Alan Jay Lerner verfasste und dessen mitreißende Musik Frederick Loewe komponierte. 1956 dann wurde der Film zum Musical »My Fair Lady« fertig mit einer wunderbaren Audrey Hepburn in der Rolle der Eliza Doolittle und einem ebenso trefflichen Rex Harrison als Henry Higgins.

An den Landesbühnen Sachsen in Radebeul erlebte die »Lady« nun am 16./17. Januar 2010 in einer Inszenierung von Horst O. Kupich eine Neuauflage. Antje Kahn konnte dabei in der Titelpartie stimmlich und spielerisch genauso überzeugen wie Michael König in der Rolle des Professor Higgins. Eine ebenfalls ideale Besetzung wurde mit Dietmar Fiedler gefunden, der den trinkfesten und schlitzohrig argumentierenden Alfred P. Doolittle sang und spielte. Falk Hoffmanns Part des in Eliza verliebten jungen Freddy Eynsford-Hill dagegen bleibt blass, was man aber nicht dem Sänger, sondern der Rolle anlasten muss. Und die Figur von Higgins Wettkumpel Oberst Pickering (Jussi Järvenpää) degradierte die Regie leider zu einer Karikatur. Völlig unmotiviert musste er ständig die Hacken zusammenschlagen, Haltung annehmen und salutieren. Dabei ist doch an Dienstgrad und Uniform für jeden ablesbar, dass Pickering vom Militär kommt.

Das Bühnenbild (Stefan Wiel) erweist sich als ausgesprochen variabel. Die jeweilige Szenerie (beispielsweise der Blumenmarkt am Covent Garden) formiert sich hinter einem durchsichtigen Zwischenvorhang. Die Auftritte erfolgen aus einer Art überdimensioniertem Grammophontrichter heraus; links und rechts wird die Bühne dabei von den wuchtigen Schriften Higgins’ (»Higgins Universal Alphabet«) und Pickerings (»Das gesprochenen Sanskrit«) gesäumt. Der recht intensive Einsatz des Balletts (Choreographie: Reiner Feistel) in den Massenszenen rundete das Bühnengeschehen auf erfrischende Weise ab, und das Orchester unter Stabführung von Hans-Peter Preu widmete sich mit Hingabe und Spiellaune all den berühmten Ohrwürmern.

W. Zimmermann

[V&R 2/2010, S. 9f.]

ZEIT-Geist-Fragen 1

Im Magazin der Ausgabe Nr. 51 der Wochenzeitung »Die Zeit« vom 10. 12. 2009 erschien ein fünfseitiger Artikel von Jana Simon unter dem Titel: »Über den Dächern von Radebeul – Die Stadt bei Dresden ist das Nizza Sachsens. Der Villen wegen leben viele Wohlhabende aus dem Westen hier. Doch die schönen Häuser spalten die Stadt: In Arm und Reich, in Einheimische und Zugezogene.« Die Reportage (nachzulesen unter www.zeit.de/2009/51/Radebeul) ist sicher nicht schlechter als das, was immer wieder in allerhand Blättern und Blättchen über unsere Stadt zu lesen war, seit die Radebeuler Millionäre nicht mehr bis nach England fahren müssen, um sich mal eben einen neuen Rolls-Royce zu holen – besser übrigens, wie schon die, mit Verlaub, reichlich dämlich Überschrift ahnen lässt, auch nicht. Trotzdem scheint das gefühlte Maß des Erträglichen durch diesen jüngsten Beitrag zum immer gleichen Thema voll geworden zu sein. Jedenfalls sahen sich diesmal gleich mehrere Redaktionsmitglieder zu Kommentaren veranlasst:

Radebeul im Brennglas des Maklers

Im Grunde sollte es einer Stadt zur Ehre gereichen, in einer der renommiertesten Wochenzeitungen Deutschlands einen so umfangreichen Rahmen zu erhalten. Als langjähriger Leser des von mir durchaus geschätzten Blattes war ich indes über die ausufernden Plattitüden so peinlich berührt, dass ich mich fragte, wie diese journalistische Schwarzweißmalerei im 20. Jahr der Einheit in dieser Fassung und an dieser Stelle in Druck gelangen konnte. Rückt er doch zum wiederholten Male die Kaste einer überschätzten Schickeria ins Zentrum der Betrachtung, die nach Meinung einiger voneinander abschreibender überregionaler Blätter nunmehr den Geist der Stadt nahezu vollständig beherrschen sollen.

Auch wenn der Beitrag streckenweise um ein differenzierteres Bild der Radebeuler Bürgerschaft bemüht ist, bereiten manche Stellen bloß Kopfschütteln. So ist u.a. zu lesen: »Die Villen von Radebeul – nichts beschäftigt die Einheimischen mehr. Die Villen beherrschen die Gespräche der Stadt« oder: »Radebeul teilt sich nicht nur in oberhalb und unterhalb der Meißner Straße, sondern auch in die Klasse der Hausbesitzer und die Klasse der Nichthausbesitzer. Die Villen sind die Währung der Stadt. Wer kein Haus hat, kann auch nicht richtig mitreden.« Unkritisch wird von jenen gesprochen, die es im materiellen Sinne geschafft haben, und jenen, die es wohl bestenfalls zu einem Mietverhältnis brachten. Ein derartiger Klienteljournalismus unter der Ägide von Millionen, Villen und Luxuslimousinen evoziert in unerträglicher Weise eine klischeehafte »Rosamunde-Pilcher-Idylle«, die der breiten Lebenswirklichkeit am Ort wohl kaum entspricht. Der stolze, wie redundant im Artikel zu lesen ist, Audi A6-fahrende Makler erhofft sich medienwirksam wohl eine neuerliche Taxierung seines Jagdreviers. Ob er sich hingegen als zugezogener Bürger damit einen sympathieträchtigen Dienst erwiesen hat, bleibt zu bezweifeln.

Sascha Graedtke

[V&R 2/2010, S. 11f.]

ZEIT-Geist-Fragen 2

Millionärsstädtchen von Villenbesitzern inspiriert?

Wohl selten hat ein Beitrag so stark die Gemüter der Radebeuler erregt wie dieser. Und selten wurde so deutlich benannt, was West von Ost auch 20 Jahre nach dem Fall der Mauer zu unterscheiden scheint. Wie im Märchen (frei nach Aschenbrödel) werden die Reichen ins Töpfchen und in die Armen in Kröpfchen sortiert. Das Leben kann so einfach sein in Radebeul. Denn die Stadt hat etwas, was Deutschland seit langem nicht mehr hat: Eine Mauer, die entlang einer »Demarkationslinie« verläuft und sich Meißner Straße nennt. Sie trennt in unten und oben, in arm und reich, in Ost und West, in alt und neu. Das Leben kann so einfach sein, betrachtet man es von oben herab. Wäre da nicht dieses große Missverständnis: Die reichen Zugezogenen erwarten Dankbarkeit und die armen Eingesessenen verweigern diese. Die Zugezogenen definieren sich über ihren Besitz, die Eingesessenen über ihr maßloses Anspruchsdenken.

Geschrieben in schönster Eroberungsmanier, bedient der Artikel verstaubte Klischees aus der gutbürgerlichen Mottenkiste. Die dünkelhaft überzuckerten Parolen sind derart zugespitzt, dass sie nur als parodistisch polarisierende Kunststückchen begriffen werden können. Der Irrwitz findet sich nicht nur zwischen den Zeilen. Nein, man kann ihn auch schwarz auf weiß nach Hause (pardon, in die eigene Villa) tragen. Da wird behauptet »Die Villen sind das höchste Gut Radebeuls. Sie sind die stillen Herrscher der Stadt.« oder »Wer kein Haus hat, kann auch nicht mitreden.« Aber wer will schon mitreden, wenn das Gespräch keinen Inhalt hat? Und wer will sich schon gern von einem Immobilienmakler als Werbegag bei einer medienwirksamen Verkaufsaktion verwursten lassen?

Doch auch ein Immobilienmakler hat ein weiches Herz und ein feines Gespür für Kultur, was die Saga belegt. »Als er das erste Mal in die Stadt kam, im Winter 1990, war Beck von den Villen bezaubert. […] In seiner Heimat Hamburg war alles schon verteilt. Radebeul, der Osten, lag vor Jens Beck wie eine riesige leere Bühne. Er musste sie nur noch bespielen. […] Wenn sich die alten Eigentümer nur schwer von ihrem Heim lösen können, lässt Beck die Villen für sie malen.« Auch Gussy Hippold, eine Dix-Schülerin, zu deren 100. Geburtstag die Stadt Radebeul im März eine Ausstellung zeigen wird, hätte wohl ihre Freude daran gehabt zu lesen, dass sich in der Villa »Sorgenfrei«, wo sie mit ihrem Mann Jahrzehnte künstlerisch tätig war, die neue Radebeuler Elite zur »Pullerparty« trifft.

»Jens Beck hat zurzeit nur ein Problem: Die Häuser werden knapp. Der Kampf um die letzten Villen von Radebeul hat begonnen.« Und weiter heißt es im Text: »Die schönsten, größten Villen gehören fast alle Zugezogenen aus dem Westen.« Die Antwort der Bürger lautet: Na und? Die Villen wurden aufwendig saniert. Sie prägen das Bild der Stadt. Die Radebeuler – ob Einheimische oder Zugezogene – erfreuen sich beim sonntäglichen Spaziergang daran. Die kulturelle Szene lebt in und außerhalb der Villen, mit und ohne Hausmusik. Und sollte es eine »Demarkationslinie« geben, dann verläuft diese wohl eher in den Köpfen einiger Weniger. Nur gut, das sie nicht sichtbar ist!

Karin Gerhardt

[V&R 2/2010, S. 12f.]

ZEIT-Geist-Fragen 3

Die da oben und die da unten…

Schachspieler wissen am ehesten, was eine Demarkationslinie ist. Unter den vier Siegermächten, die Deutschland nach dem 2. Weltkrieg aufteilten, erreichte der Begriff eine ähnliche strategische Bedeutung, doch eine weit größere und langwierigere Dimension.

Wann allerdings die Radebeuler »Demarkationslinie« entstanden sein soll, bleibt im Dunklen verborgen. Und selbst die unzähligen bisherigen Namenspatrone der einstigen und heutigen Meißner Straße sind heute nicht mehr zu befragen. Nicht jener uniformierte Diktator und selbsternannte »Führer«, nicht »Väterchen Stalin« und auch nicht der greise 1. Präsident der DDR, Wilhelm Pieck, dessen Namen die Straße bis 1989 trug.

Glaubt man aber nun den beiden forschen ZEIT-Journalisten, dann wohnt das Radebeuler Bettelpack unterhalb dieser Straße und der Radebeuler Geldadel oberhalb. Das zu wissen scheint zweifellos unverzichtbar, will man ein Radebeuler Lebensgefühl richtig beschreiben. Glaubt zumindest die ZEIT! Ob deren Mitbegründerin Gräfin von Dönhoff oder Altkanzler Helmut Schmidt die gewählte Herangehensweise wirklich toleriert hätten bzw. haben, sei dahingestellt. Ebenso die Hoffnung der Schreiber, dass ihrem Glauben auch die Radebeuler folgen werden. Normalerweise müsste nach Veröffentlichung dieses Artikels längst das große Umziehen im Gange sein. Denn welcher Manager, Banker oder Immobilienmakler lässt sich schon gern in die eine Kategorie einordnen, wo er doch glaubt, längst zur anderen zu gehören.

Erstaunlicherweise aber rollen noch immer keine Umzugs-LKW. Daher muss zur Ehrenrettung vieler wohlhabender Neuradebeuler wohl gesagt werden, dass es ihnen vollkommen schnuppe ist, ob sie nun direkt unterhalb der Weinberge oder in der Nähe des Elbufers leben. Beides hat sowohl Vor- wie Nachteile. Und daran kann die Bezeichnung »Demarkationslinie« rein gar nichts ändern. Es sei denn, die oben ziehen irgendwann mal entlang der »Meißner« einen Stacheldrahtzaun und hängen daran Schilder auf mit Mahnungen wie »Zutritt nur mit Einkommensnachweis bzw. Kontoauszug ab 1 Million € aufwärts!«. Dann wäre der soziale Friede endlich fest zementiert, der Begriff »Demarkationslinie« rechtens und Ausreden zählten ab sofort nicht mehr.

Um solche Missverständnisse von vornherein auszuschließen, haben sich die ZEIT-Journalisten in ihrem Beitrag selbstverständlich auf die »üblichen Verdächtigen« konzentriert: einen Luxusimmobilienhändler, einen cleveren Schlossbesitzer als Vermieter und eine Autohausbesitzerin, deren unterste Preisklasse bei ca. 150.000,– € liegt. Sehr ausführlich kommen also vor allem jene zu Wort, deren Wege zum Wohlstand meist ziemlich unangenehm duften. Nicht hinein in die weitere Aufzählung gehört der jetzige Besitzer von Hohenhaus, weil der in Radebeul längst heimisch geworden ist und sich auch entsprechend einbringt. Dass die Kommunalpolitik durch den amtierenden OB zu Wort kommt, entspricht sozusagen einem ganz normalen Akt der Höflichkeit. Zum echten Härtefall aber wird das beschriebene Leid einer zugunsten einer Luxussanierung aus ihrer Wohnung vertriebenen Altradebeulerin. Wo aber bleibt die Recherche der ZEIT-Journalisten beim und über den Vertreibenden, jenen Luxussanierer nämlich. Weil gerade darauf die Antwort fehlt, wirkt die beschriebene Tragik wie ein ziemlich hilfloser Versuch, die eigentliche Tendenz dieser Radebeul-Beschreibung zwanzig Jahre nach Mauerfall und Wiedervereinigung zu verschleiern. Eine Tendenz, die den Neid fördert und damit dem sozialen Unfrieden Tür und Tor öffnet. Im Übrigen suchte das Journalistenteam auch einen Radebeuler Kunstpreisträger und engagierten Denkmalschützer auf. Der stellte vor seine Antwort die Gegenfrage: »Wie sind Sie auf Radebeul gekommen?« Worauf man einen Moment herumdruckste, um dann in aller Schlichtheit zu erwidern: »Der FOCUS hat über Radebeul geschrieben, da wollten wir das auch mal tun!« Das jedenfalls war wirklich eine ehrliche Antwort.

W. Z.

[V&R 2/2010, S. 13f.]

100 Jahre Vor|Stadt|Geschichte – Die Lößnitz 1835-1935

1835 war die Lößnitz eine vom heraufziehenden Fortschritt praktisch noch unberührte Weinbaulandschaft, in der sich acht alte Dörfer und Dörfchen und ein paar Dutzend Weingüter malerisch verteilten. Radebeul gehörte eher zu den Dörfchen. Unbestrittener Hauptort war der Marktflecken Kötzschenbroda mit frisch renovierter alter Kirche, zweieinhalb Stunden von Dresden entfernt.

Im gleichen Jahr wurde die »Leipzig-Dresdner Eisenbahn-Compagnie« gegründet. Der Bau dieser ersten deutschen Ferneisenbahnstrecke, von der die Lößnitz das Glück hatte, durchschnitten zu werden, und die sächsischen Reformen jener Jahre – u.a. ist da die Einführung der kommunalen Selbstverwaltung auch auf dem Lande durch die Gemeindeordnung von 1838 zu erwähnen – läuteten eine Zeit tief greifender Veränderungen ein. Hundert Jahre später war die Vereinigung der Lößnitzgemeinden zur »Industrie- und Gartenstadt« Radebeul vollzogen. Dieses »neue Radebeul« hatte mehr Einwohner als heute und achtmal so viele wie die Lößnitz 1835.

Bei der Ausstellungseröffnung am 8. Januar 2010 (Foto K. Gerhardt)

Die goldenen Jahre des »Sächsischen Nizza« waren zum Zeitpunkt des Zusammenschlusses von Kötzschenbroda mit Radebeul am 1. Januar 1935 schon wieder Geschichte. Diese goldene Ära hatte etwa mit der Reichseinigung 1871 begonnen und bis zum Ersten Weltkrieg gedauert. Es war die Periode des Baubooms und der Industrialisierung, die Blütezeit des Kurbetriebs, des Fremdenverkehrs und des bürgerlichen Vereinswesens in der Lößnitz. Damals entstanden die neuen städtischen Kerne von Kötzschenbroda und Radebeul (ohne dass diese Gemeinden zunächst irgendwelche städtischen Ambitionen hegten). Damals wurde die grundlegende Infrastruktur der öffentlichen Daseinsvorsorge geschaffen, die großen Schul- und die schönen Rathäuser gebaut.

Mitten in dieser Zeit wurde auch der Wunsch nach Vereinigung mehrerer, wenn nicht aller Lößnitzgemeinden zu einem größeren Gemeinwesen lauter. – Von außen gesehen erschien die Lößnitz ohnehin schon als eine große zusammenhängende »Vorstadt der sächsischen Residenz«. Die schrittweise Umsetzung dieser Bestrebungen blieb schlechteren Zeiten vorbehalten; wachsende Aufgaben und die Not der öffentlichen Haushalte sowie die Abneigung gegen eine Eingemeindung nach Dresden schweißten zusammen. Vollendet wurde die Vereinigung dann in der allerschlechtesten Zeit. Mit Gewalt brach man eine erst fast reife Frucht vom Baum, die in den hundert Jahren davor gewachsen war.

Viel reifer wäre sie vermutlich nicht mehr geworden, denn 1935 war die Stadt praktisch fertig. Danach passierte lange nicht mehr viel, oder zumindest nicht mehr viel Gutes. Auch die großen Wunschträume, die in den Vereinigungsdiskussionen der 20er Jahre immer wieder eine Rolle gespielt hatten (eine hemmende übrigens – viele sahen damals vor allem die drohenden Kosten…) sind entweder erst Jahrzehnte später (z.B. die Schwimmhalle) oder bis heute noch nicht (oder noch nicht ganz) Wirklichkeit geworden: die Elbbrücke, das zentrale Rathaus, eine halbwegs vernünftige Straße nach Wahnsdorf etc. Der letzte große öffentliche Neubau für lange Zeit war das Sparkassengebäude Kötzschenbroda, das gerade saniert wird, eingeweiht im Dezember 1934.

1835 – 1935. Einige wesentliche Entwicklungen dieses dynamischsten Jahrhunderts unserer Stadtgeschichte werden in der ersten »Ausstellung im Depot« auf etlichen Schautafeln und in ausgewählten Sachzeugen aus öffentlichen und privaten Sammlungen vor Augen geführt. Jedes der angeschnittenen Themen ließe sich vertiefen, viele, ebenfalls bedeutsame Aspekte mussten aus Platz- oder Zeitgründen unberücksichtigt bleiben, zu manchem war auch schlicht nichts Vorzeigbares zu finden. Aber: Diese Ausstellung ist ja auch nur als ein Anfang gedacht, der den Facettenreichtum der Radebeuler Stadtgeschichte ins Blickfeld rücken soll. Weitere Ausstellungen können folgen und vielleicht sogar nicht nur alle »Jubeljahre« einmal.

Dafür ist die kleine AG Stadtmuseum – hervorgegangen aus einem großen Museumsbeirat – auf Unterstützung angewiesen, z. B. durch neue Mitstreiter, Hinweise auf interessante potentielle Exponate in privater Hand oder die Bereicherung der städtischen Sammlungen, die in diesen Räumen ein gutes neues Domizil gefunden haben, um Dokumente aller Art zur Radebeuler Geschichte. Über entsprechende Angebote würden wir uns freuen.

Frank Andert

Die Ausstellung ist bis Jahresende im Obergeschoss des Hintergebäudes (Neubau) der Roseggerschule, Wasastr. 21, zu sehen.

[V&R 2/2010, S. 15f.]

Das Sparkassengebäude in Radebeul-West

Zur Eröffnung der letztjährigen Radebeuler Bauherrenpreisverleihung brachte Rainer Schikatzki, Vorstandsmitglied der Sparkasse Meißen, das eigene Unternehmen gleich mal coram publico als heißen Anwärter auf eine der begehrten Plaketten des Jahrgangs 2010 ins Gespräch. Das Geldinstitut saniert derzeit seine Filiale in Radebeul-West. Nach Fertigstellung soll es dort in helleren Räumen nicht mehr nur Bares geben, sondern auch Kaffee und die Möglichkeit zum Surfen im weltweiten Netz. Die Hälfte der gesamten Bausumme von gut zweieinhalb Millionen war im November schon ausgegeben. Wie Schikatzki betonte, gingen die meisten Aufträge an Baubetriebe aus der Region.

Das Stadtbankgebäude Kötzschenbroda kurz nach der Einweihung

Bei der Gelegenheit hätte sich auch ein Blick in die Geschichte gelohnt, denn fast auf den Monat genau 75 Jahre vorher, am 10. Dezember 1934, war das damalige »Stadtbankgebäude Kötzschenbroda« nach knapp neunmonatiger Bauzeit feierlich eingeweiht worden. Bei Errichtung des vom Kötzschenbrodaer Architekten Edmund Kießling geplanten »größten städtischen Gebäudes der Lößnitz«,  ausgeführt »in den schlichten Formen des so genannten Lößnitzer Barock«, waren auch damals bewusst fast nur ortsansässige Firmen zum Einsatz gekommen. An die 100 Handwerksmeister und ihre Gesellen hatten mitgebaut.

Der Bau war eine der ersten großen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen der Nazizeit in der Lößnitz, die ersten Planungen reichten aber schon gut zehn Jahre zurück. Bereits bei der Vereinigung der westlichen Lößnitz 1923 hatte das Projekt eine Rolle gespielt. Wie der Kötzschenbrodaer Bürgermeister und Verwaltungsratsvorsitzende der Spar- und Girokasse Dr. Wilhelm Brunner bei der Einweihung – seinem letzten großen öffentlichen Auftritt – betonte, konnten die Gesamtkosten von damals 440.000 Reichsmark ohne weiteres aus dem liquiden Barbestand der örtlichen Sparkasse bestritten werden. Diese sparte nun Miete und konnte durch den Neubau fortan selbst auf erhebliche Mieteinnahmen rechnen. Neben den Bankräumen waren 14 Wohnungen sowie modern ausgestattete neue Domizile für das »Ratskeller«-Restaurant und die Stadtbücherei entstanden. Eine ganze Etage bekam die örtliche NSDAP für Bürozwecke, auch »ein neuzeitlicher und zeitgemäßer Luftschutzraum« war nicht vergessen worden, und auf Kunst am und im Bau hatte man großen Wert gelegt, wie noch heute die in doppelter Hinsicht hervorragenden Reliefs von Burkhart Ebe belegen.

Ob der Umbau des Baudenkmals die Plakette verdient, wird, eine ordnungsgemäße Einreichung vorausgesetzt, im Herbst – wie immer – eine fachkundige Jury entscheiden.

F. A.

[V&R 2/2010, 3. US]

Wo Hausknisterer, Müllranfte und Knatterlinge wohnen

Der Radebeuler Autor Christian Grün erzählt Geschichten um ein »altes Haus«

In jenem alten Haus in Radebeul lebt auch Morimutz, die Waschhausmaus. Und die wiederum beneidet seit langem schon die Spinne Thekla um deren zahlreiche Beine. Um wie vieles schneller könnte sie selbst doch laufen, hätte sie auch so viele Beine. Ergo schlägt Morimutz der Thekla einen Tauschhandel vor; ihre vier Beine gegen die acht. Der Handel kommt zustande, funktioniert aber in der Praxis überhaupt nicht. Denn Morimutz ist mit acht Spinnenbeinen alles andere als flinker und auch Thekla merkt, dass nur vier Mäusebeine ihren täglichen Speiseplan ganz schön durcheinander bringen. So machen sie alles wieder rückgängig und sind beide wieder glücklich.

Geschichten wie diese können wohl nur in einem alten Haus passieren. Dort nämlich, wo außer den Tieren auch die Hauswichtel ihr Domizil haben. Und die »Hausknisterer«, die für das Knarren der Dielen verantwortlich sind. Und die »Müllranfte«, die immer nur als Trio auftreten und den Müll nach Verwertbarem durchsuchen. Oder die Knatterlinge, die im Auspuff des Autos leben; und und und …ihnen allen und vielen anderen mehr kann man jedenfalls im neuen Buch des Radebeuler Autors Christian Grün begegnen, dem er den Titel »Der kleine Kuckuck« gab. Grün erzählt in seinem Buch mit unerschöpflicher Phantasie Geschichten, wie es sie in dieser Art in der Literatur scheinbar längst nicht mehr gibt. Und er nährt ein Gutteil dieser märchenhaften Geschichten aus seiner eigenen Radebeuler Kindheit. Denn das »alte Haus« ist zugleich das Haus seiner Kinderjahre. Illustriert wurden die Geschichten von dem Radebeuler Maler Edgar Kupfer und erschienen sind sie dieser Tage im Radebeuler Notschriftenverlag.

Christian Grün ist ein Radebeuler des Jahrgangs 1957, der mit 26 Jahren von der damaligen Bundesregierung freigekauft wurde, bis in die 1990er Jahre in Norddeutschland lebte und in unterschiedlichsten Berufen arbeitete und nach der deutschen Wiedervereinigung nun wieder in Radebeul angekommen ist. Der Notschriftenverlag verlegte u.a. seine »Chronik von Serkowitz« und auch den fantasievollen Roman »Kokeros«.

Das Buch »Der kleine Kuckuck« ist für den engagierten Verlag von Jens Kuhbandner insofern ein Novum, weil davon zeitgleich mit dem gedruckten Werk eine Hörbuch Doppel CD erschienen ist. Darauf liest der Rundfunksprecher Uwe Behnisch Grüns Geschichten und wird dabei musikalisch begleitet von dem Radebeuler Duo »LAND ÜBER«. Das Buch kostet 12,50 € und das Hörbuch 14,80 €

W. Zimmermann

[V&R 1/2010, S. 8]

Nach fünfundsiebzig Jahren

ist es an der Zeit einmal zu fragen, was damals eigentlich passiert ist. Aus dem eigenen Erleben nur des letzten Drittels dieser Zeit können wir Vokabeln wie Verwaltungsgemeinschaft, Gemeindegebietsreform oder Zwangszusammenschluß mühelos vorwärts und rückwärts deklinieren. Wir kennen die Befindlichkeiten der Vereinnahmten, wissen um die Renitenz, mit der neue Namen eifrig vermieden werden. Die Demokratie hats schwer, auf ihrem Wege schmerzhafte Schritte durchzusetzen. Das war damals anders. Da gab es eine Partei, die hatte recht (und brauchte sich das auch nicht immer selbst vorzusingen) und setzte dieses Rechthaben mit unglaublicher Brutalität gegen alle scheinbaren und tatsächlichen Widerstände durch. Sie hat da gar nicht lange gefackelt, obwohl sie grad mit ihren Fackelzügen so viele Ahnungslose zu beeindrucken verstand. Der damalige Bürgermeister von Kötzschenbroda gehörte dieser Partei nicht an und wurde also gar nicht erst gefragt. Es heißt sogar, es habe schon ein Wagen bereit gestanden, den Ungeliebten nach Hohnstein ins KZ zu bringen. Der damalige Ortsgruppenführer, der trotzdem ein anständiger Mensch gewesen sein soll, heißt es, habe ihn gewarnt. Alles in allem liegt noch so vieles im Dunkeln, daß es sich lohnt, in den nächsten 25 Jahren alles ordentlich aufzuarbeiten, um dann ein würdiges Hundertjähriges feiern zu können.

Grund zum Feiern jedenfalls ist durchaus gegeben.

Im Ergebnis ist hier nämlich etwas zusammengewachsen, was zwar so nie zusammen gehört hätte, aber dennoch lebensfähig ist. Und lebensfähig heißt hier: Es ist eine gemeinsame Identität gewachsen, es hat sich ein gemeinsames Ortsbewußtsein gebildet: Selbst die Kötzschenbrodaer sind zuerst Radebeuler.

Aus der Art des flächenhaften auf einander zu Wachsens resultieren freilich auch all die markanten städtebaulichen Problemzonen, die die Bürgerschaft so gar nicht zur Ruhe kommen lassen. Zuerst das Vakuum: Es fehlt ein Zentrum. Dafür gibt’s ausreichend infrastrukturelle Zersplitterung, und es gibt diese Straße, die Meißner Straße. Sie könnte das einigende Band darstellen, am Ende aber trennt sie mehr, als sie vereint. Es wird noch viel Kraft kosten, ihren Ausbau zur Schnellstraße dauerhaft zu unterbinden.

Ohne die vor 75 Jahren vollzogene Vereinigung hätten wir diese Probleme nicht. Unser Zentrum läge auch irgendwo zwischen Frauenkirche, Residenzschloß, Semperoper und Zwinger. Die Waldschlößchenbrücke ginge uns wirklich etwas an, und die von Naundorf nach Cossebaude befände sich noch ebenso tief im Planungssumpf wie die zugehörigen Straßen (wieso haben wir diese Brücke eigentlich so frag- und klaglos hingenommen? Immerhin gleicht sie in ihrer Form auffällig einem Entwurf für die Waldschlößchenbrücke, der 1988 aus einem Wettbewerb als Sieger hervorgegangen und 1990 als »nicht mehr zeitgemäß« verworfen worden war).

Das Fehlen eines städtischen Zentrums ist jedoch durchaus nicht nur von Nachteil. Es erfordert von der Stadtplanung unausgesetzt erhöhte Aufmerksamkeit. Jedes noch so kleine Ungleichgewicht wirkt sich sofort aufs Ganze aus. Als damals bei den Vier Jahreszeiten neu gebaut werden sollte, wurde wider besseres Wissen die Baumasse von Glasinvest als Maßstab genommen. Jetzt soll Glasinvest abgerissen werden. Deren Maßstab jedoch wurde ja lange vorher schon auf die Vier Jahreszeiten übertragen. Ein Schelm, wer Arges dabei denkt. Der Zeitgeist ist ein flüchtiger Gesell, schwer zu greifen und insbesondere im Elbtal von allen Winden zerblasen. Folgerichtig tut sich die Stadt selbst schwer mit ihrem Jubiläum. Allein das Kulturamt hat die Bürger aufgerufen, einmal mit wachen Augen durch die Stadt zu gehen.

Wir haben das getan, gemeinsam mit dem Kunstverein. Und wir sind mal wieder über einen Stein gestolpert:

Einen schlichten Sandsteinquader, 60 cm hoch, 56 cm breit und 32 cm stark – er stand einst auf einem Sockel auf dem alten Friedhof in Radebeul-West. Er war mit einer Deckplatte versehen und trug auf seiner Schauseite eine Inschrift. Der Text ist stark verwittert, er lautet u.a.: August Joseph Ludwig Graf von Wackerbarth, geb. zu Koschendorf am 7. März 1770, gest. zu Nd. Lössnitz am 19. März 1850. Menschengeschlechter ziehen vorüber wie die Schatten vor der Sonne …

Gestiftet hatte das Denkmal der einzige (uneheliche) Sohn des »Dahingeschiedenen«, Teut von Wackerbarth »aus kindlicher Liebe und Verehrung«. Der Verewigte war ein Großneffe des berühmten Feldmarschalls gleichen Namens, dem wir Wackerbarths Ruhe verdanken.

Irgendwann war der Stein dann von seinem Sockel gerutscht, und der rührige Radebeuler Altertumsfreund Gottfried Thiele hatte ihn in die Bildhauerwerkstatt Bollenbach getragen. Hier hoffte er, ihn nach und nach – so wie er solvente Helfer fände – restaurieren lassen zu können, um ihn dann wieder an seinen Ort zurückzubringen. Es war Gottfried Thiele nicht vergönnt, dies Werk zu vollenden. Nun wollen wir es versuchen.

Und wenn es geschehen sollte, daß am Ende dieses gerade begonnenen Jahres der Stein wieder gefestigt am alten Platze steht, so verdankt Radebeul dies nicht nur den beiden genannten Vereinen, sondern auch seinem 75. Geburtstag. Der nämlich hat uns aufmerksam werden lassen.

Thomas Gerlach

[V&R, 1/2010, S. 2f.]

Die Logen – Erstmals Leben der Freimaurer in der Region erforscht

Gut, dass Journalisten so neugierig sind, sonst wäre dieses Buch nie entstanden. Als Kathrin Krüger-Mlaouhia, Redakteurin bei der Sächsischen Zeitung in Großenhain, in einem Stadtkalender ihres Wohnortes einen kurzen Hinweis auf einen Freimaurerklub von 1857 entdeckte, war ihre Neugier geweckt. Sie wollte mehr über das geheime Leben der Freimaurer erfahren, fand aber nur wenige Hinweise in den Bibliotheken und Archiven der Region, nicht mal in der Unibibliothek Dresden. Ihre Recherche führte sie über bis Merseburg bis nach Berlin, zum Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz.

Die Freimaurer waren ein Männer-Geheimbund, »über 70 Jahre blieben sie quasi unentdeckt«, schreibt die Autorin im Vorwort, denn unter den Nazis wurden sie 1935 zwangsaufgelöst und verfolgt. Ziel der Freimaurer, die sich in örtlichen Clubs und Logen organisierten, war die Vervollkommnung des Menschen. Weisheit, Stärke und Schönheit galten als die drei fundamentalen Säulen. Sichtbar wird das Anliegen durch die Werkzeuge der Steinmetze – die zugleich Symbole waren: Wasserwaage (Gerechtigkeit), Hammer (Arbeiten an der Vervollkommnung), Zirkel (ordnenden Kraft) und Winkeldreieck. Konflikte sollten vermieden, Menschlichkeit und Toleranz gelebt werden. Da die Mitglieder der Geheimbünde meist wohlhabende Handwerker, Unternehmer und Lehrer waren, spendeten sie beträchtliche Summen an Bedürftige.

Die Logen in Sachsen hatten so blumige Namen wie »Zum goldenen Apfel« Dresden oder »zur Akazie« in Meißen oder »Minerva zu den drei Palmen« in Leipzig, wobei die Pflanzen natürlich auch wieder symbolische Bedeutung hatten. All dies, ihre Geschichte und ihre Rituale und sind in dem Buch ausführlich und reich bebildert dargestellt.

Wer wissen will, wer im Elbland zu den Freimaurern gehörte, wird ebenfalls in dem Buch fündig. Denn nicht nur Prominente wie Lessing, Goethe und Mozart waren bekennende Freimaurer, sondern auch Otto Baer (Farbenfabrikbesitzer aus Dresden), Max Barbe (Geheimer Hofrat aus Niederlößnitz) und Alfred Bergmann (Fabrikbesitzer aus Radebeul). Manchen Mitbürgern werden vielleicht auch folgende Radebeuler Namen geläufig sein: Max Brösel (Kunstmaler), Johannes Eisold (Baumeister), Hermann Flade (Lehrer). Insgesamt enthält die Liste der Mitglieder aus unserer Region 77 Persönlichkeiten.

Heute soll es nach Informationen der Autorin deutschlandweit noch 14.000 Freimaurer geben, denn nach der Wende haben sich die Logen zum Teil wieder gegründet. In Berlin sind die meisten aktiv, aber es gibt auch Hinweise die in Radebeul sichtbar werden. So zum Beispiel an dem Mühlsteinbrunnen zwischen den Landesbühnen und dem »Weißen Ross«, den die Dresdner Freimaurerstiftung im Jahr 2008 errichten ließ.

»Die Logen. Verschwiegene Gesellschaften mit offenem Herzen. Freimaurer im Elbland 1800 bis 1935« – dieses informative, 200 Seiten starke Sachbuch von Kathrin Krüger-Mlaouhia erschien im »activ Verlag« in Großenhain, enthält zahlreiche Abbildungen auch in Farbe sowie Tafeln/ Tabellen und kostet 14,50 €. Man bekommt es über den Verlag (www.activ-verlag.de) oder in der Buchhandlung Thalia, oder in der Buchhandlung Sauermann, im SZ-Treffpunkt Bahnhofsstraße, im Stadtarchiv Gohliser Straße bzw. in der Touristinformation.

Karin Funke

[V&R 1/2010, S. 6f.]

Zu den Titelbildern des neuen Jahrgangs

Im Mai wird die ›Vorschau‹ 20. Im Laufe des Jahres werden wir deshalb ab und zu auf unsere Anfänge zurückblicken und an treue Begleiter erinnern. Einer unserer treuesten Begleiter war der Druckfehlerteufel. Gleich auf der zweiten Seite des ersten Heftes schlug er zu. Als Urheber der Titelgrafik war dort »Architekt Thilo Hänsch« genannt. Gemeint war natürlich Thilo Hänsel, dessen Federzeichnungen alle Ausgaben von 1990 zieren sollten. Auch er wurde ein treuer Begleiter der ›Vorschau‹, deshalb haben wir ihn gebeten, zum Jubiläumsjahrgang wieder Titelillustrationen beizusteuern.

Thilo Hänsel (Foto F. Andert)

Die Lust am Zeichnen hat Thilo Hänsel (* 1939) schon während der Grundschulzeit in Oberschöna gepackt und seitdem nicht wieder losgelassen. Eigentlich wollte er sein Hobby zum Beruf machen, Grafik und Buchkunst studieren. Als das nicht klappte, riet ihm sein Freiberger Lehrer Werner Küttner, es mit der Architektur zu versuchen, was er auch tat. Gern erinnert er sich daran, dass die Architekturstudenten an der TU Dresden damals von Professoren wie Walter Howard, Georg Nerlich und Walter Hentschel, bei dem er Hilfsassistent wurde, ein gerüttelt Maß an künstlerischer Bildung mit auf den Weg bekamen. Ab 1965 war Thilo Hänsel dann dreieinhalb Jahrzehnte als »Gesellschaftsbauer« tätig, lange beim Kreisbaubetrieb Dresden-Land. Der Zeichenstift hat in dieser Zeit nie geruht und danach erst recht nicht mehr.

Anders als man beim Rückblick auf die ›Vorschau‹ von 1990 vermuten könnte, interessieren den Zeichner Thilo Hänsel, seit 1966 Radebeuler, nicht nur die markanten Baudenkmale der Lößnitz, mit denen er sich zum Teil auch von Berufs wegen oder während seiner Mitarbeit im »Aktiv für Bau- und Denkmalpflege« zu befassen hatte. Vielmehr will er zeichnend all dem nachspüren, was unsere Stadt ausmacht. Er nimmt sich dabei immer neue Aufgaben vor, mal den Lößnitzgrund mit seinen Mühlen, mal die dörflichen Wurzeln, die großen und kleinen Türme der Stadt, Villenstraßen, Elb- und Weinbergslandschaften, die Kirchen und Gottesäcker etc. Aus einigen dieser Themen sind im letzten Jahrzehnt Buchprojekte entstanden, aus einigen schon Bücher: das »Lößnitzgrundbuch« (2003), die »Elbigramme« (2006), der »Höhenwind« (2008), immer in Kooperation mit dem Poeten und Freund Thomas Gerlach. In seiner dicken Radebeuler Skizzenmappe hat Thilo Hänsel so manche Ecke festgehalten, der sonst vielleicht kaum jemand Beachtung schenkt, der eilige Passant schon gar nicht. Vor allem solche Blätter, teilweise schon von dokumentarischem Wert, haben wir gemeinsam mit dem Künstler für die ›Vorschau‹-Titel 2010 ausgewählt.

Nicht nur unsere Titelillustrationen stehen – wie jedes Jahr – unter einem neuen Motto. Diesmal hat sich auch der Rahmen geändert. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge haben wir uns von unserem 1991 eingeführten alten Layout verabschiedet. Nicht aus Eitelkeit oder Neuerungswahn. Wir haben dabei in erster Linie an Sie, unsere geschätzten Leser gedacht. Das Auge liest ja schließlich mit.

F. A.

[V&R 1/2010, S. 12]

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