Radebeuler Ehrenbürger (Teil 2): Robert Werner

Beim Votum über die Ehrenbürgerwürde für Curt Schnabel 1926 (V&R 4/2010) hatte es im 23-köpfigen Stadtverordnetenkollegium von Kötzschenbroda immerhin acht Gegenstimmen gegeben. Verdienste hin und her – der besonderen Auszeichnung für einen derart eingefleischt Konservativen wie den Medizinalrat wollten die Vertreter der Linksparteien nicht zustimmen. Als die Stadtverordneten des benachbarten Radebeul am 30. September 1927 erstmals über einen Vorschlag zur Verleihung der Ehrenbürgerwürde zu befinden hatten, waren sich dagegen über die Parteigrenzen hinweg alle einig: Wenn jemand diese Ehrung verdient, dann zuallererst der scheidende  Bürgermeister Robert Werner.

Bürgermeister Werner am Schreibtisch (Foto Stadtarchiv Radebeul)

Partei- oder kleinliche Kirchturmsinteressen hatten für den drahtigen Mann mit dem inzwischen ergrauten Vollbart nie eine Rolle gespielt. Ihm war es stets um gewissenhafte Pflichterfüllung im Dienste der Allgemeinheit gegangen, und die Ergebnisse seiner gut 34-jährigen Arbeit an der Spitze der Radebeuler Gemeindeverwaltung konnten sich sehen lassen.

Am 31. Juli 1862 in Kleinthiemig bei Großenhain geboren, hatte sich Ernst Robert Werner früh für die Verwaltungslaufbahn entschieden und sein Metier auf subalternen Positionen in verschiedenen sächsischen Gemeinden von der Pike auf gelernt. Als die Radebeuler Gemeindeverordneten seiner Bewerbung um die erstmals durch einen Berufsbeamten zu besetzende Stelle des Gemeindevorstands den Vorzug gaben, arbeitete Werner als Ratsregistrator in Pirna. Als er sein neues Amt am 1. Februar 1893 antrat, brachte er von dort das Bewusstsein für die Bedeutung eines geordneten Aktenwesens für die Verwaltung mit. Radebeul war damals eine aufstrebende Gemeinde mit rund 3.000 Einwohnern. Das mit der fortschreitenden Industrialisierung verbundene immense Bevölkerungswachstum – allein in Werners sechsjähriger erster Amtszeit sollte sich die Einwohnerzahl mehr als verdoppeln – stellte die Gemeindeverwaltung vor eine Reihe schwieriger Herausforderungen. Und die Kasse war leer, das gesamte Gemeindevermögen bestand bei Werners Amtsübernahme in einem abbruchreifen kleinen Armenhaus, darüber hinaus standen 3000 Mark Schulden zu Buche.

Der als »schneidig« beschriebene neue Vorstand machte sich beherzt an die Arbeit und brachte die Verwaltung in Schuss. Schon nach wenigen Monaten lag ein ordentlicher Bebauungsplan auf dem Tisch. Zielbewusst organisierte Werner den Ausbau der öffentlichen Daseinsvorsorge: 1895 war das neue Wasserwerk fertig, 1897 das zweite Schulhaus, 1899 die Straßenbahnanbindung nach Dresden, die er maßgeblich mit in die Wege geleitet hatte, 1900 stand das neue Rathaus, dessen Bau nicht unumstritten gewesen war, und so ging es weiter.

Was Werner nach reiflicher Überlegung für richtig hielt, versuchte er mit Beharrlichkeit umzusetzen, doch nicht alle seine Verschläge stießen auf Gegenliebe. Als von außen kommendem Fachmann mit einem sicheren Blick für Notwendigkeiten war ihm z. B. schnell klar geworden, dass die zunehmende bauliche Verdichtung der Lößnitz die Bildung eines größeren und leistungsfähigeren Gemeinwesens unausweichlich machte. Ab 1895 arbeitete er auf diese Vereinigung – zunächst die von Radebeul, Oberlößnitz und Serkowitz – hin und sah sich deswegen immer wieder, zum Teil böswilligen Angriffen ausgesetzt. Der einzige Erfolg in dieser Richtung, den er erleben durfte, war die Eingemeindung von Serkowitz nach Radebeul 1905. Als er wegen der beträchtlichen Mehrarbeit in diesem Zusammenhang um eine kleine zusätzliche Aufwandsentschädigung bat, stieß er bei der Gemeinde ebenso auf taube Ohren wie mit seinem Vorschlag, das von der Größe her nun eigentlich fällige Stadtrecht zu beantragen. Letzteres wurde erst 1924 nachgeholt, fortan trug Werner den Titel Bürgermeister.

Als der frisch gebackene erste Radebeuler Ehrenbürger am 1. Oktober 1927 in den wohl verdienten Ruhestand trat, hinterließ er eine trotz schwieriger Zeitumstände blühende Stadt mit fast 13.000 Einwohnern, geordneter Verwaltung und einem Gemeindevermögen von an die vier Millionen Reichsmark. Ihre Geschicke und die der Lößnitz lagen ihm auch danach weiter am Herzen. Er übernahm den Vorsitz des Verschönerungs- und Verkehrsvereins und wandte sich noch verschiedentlich mit bis heute lesenswerten Denkschriften an die Radebeuler Gemeindevertretung. Insbesondere machte er sich weiter für einen Zusammenschluss der Lößnitzgemeinden stark, um der drohenden Eingemeindung nach Dresden zu entgehen. Dass er die Kurzfassung einer entsprechenden Denkschrift 1929 in den »Dresdner Nachrichten« veröffentlichte, trug dem Ehrenbürger übrigens eine ausdrückliche Missfallensbekundung seitens der Radebeuler Stadtverordneten ein.

Während eines Besuchs in der Sächsischen Schweiz erlitt Robert Werner einen Schlaganfall, an dessen Folgen er am 26. Januar 1932 in Dresden verstarb. Einen Tag später hieß es im Radebeuler Tageblatt: »Mit dem Heimgang Robert Werners beklagt die Stadtgemeinde Radebeul und ihre Bürgerschaft den Verlust eines Mannes, der ein ganzes Menschenalter hindurch […] kein anderes Ziel kannte als das eine: Das Wohl Radebeuls. Und so verkörpert sich in der Persönlichkeit ihres ersten Bürgermeisters Robert Werner die Geschichte der Gemeinde Radebeul in ihrem bedeutsamsten Abschnitt der letztverflossenen 40 Jahre.« Der Nachruf endet mit dem Satz: »Wenn wir heute zurückblicken auf das Lebenswerk dieses Mannes, so ist uns seine Bedeutung in voller Stärke gegenwärtig und wir wissen, dass wir, die Gemeinde und alle ihre Bürger, dem Verewigten immerdar in steter Dankbarkeit verbunden sind.« Als Zeichen dieser Dankbarkeit wurde am 17. Februar 1932 ein bis dahin namenloser Platz, an dem das alte und das neue Radebeul zusammentreffen, nach Robert Werner benannt.

Annette Karnatz und Frank Andert

[V&R 5/2010, S. 4-6]

Was uns Häusernamen sagen können (Teil 2)

Nach den allgemeinen Betrachtungen zum Thema Villennamen in Radebeul im Märzheft von Vorschau und Rückblick sollen diesmal einige der Aufschriften in Bild und Text vorgestellt werden. Aus Platzgründen war eine Auswahl nötig. Die Reihenfolge ergab sich eher zufällig, auch wenn ein mit »A« beginnendes Beispiel am Anfang steht.


»Amicitiae.« (Moritzburger Str. 50): Der Bauherr der kleinen, 1899 erbauten Villa wollte offenbar über die lateinische Sprache seine Gefühle mitteilen – Amicitiae wäre mit »der Freundschaft« zu übersetzen. Auch hier finden wir die Mode mit dem Punkt am Schluss. Wie sich der Inhalt der Schrift mit dem darüber befindlichen Geweih und dem Hubertussymbol vereinbart, bleibt das Geheimnis des Bauherrn Karl Heinrich Claus.

»Villa Carola.« (C.-Zetkin-Str. 20): An der 1902 von Architekt Carl Käfer entworfenen Mietvilla aus Klinkern und Sandsteindetails prangt der Name »Villa Carola« mit Punkt. Die Schrift auf Sandstein könnte früher, wie beim Nachbarhaus »Villa Martha« noch zu erkennen, vergoldet gewesen sein. Die durch Jugendstileinfluss gespreizt wirkenden Buchstaben entfernen sich etwas von der Klarheit der Antiqua. Auf wen sich der Name Carola bezieht, blieb bisher offen.

»Saxonia« (Meißner Str. 241): Seit 1875 zeigt die spätklassizistische Mietvilla stolz den Namen Saxonia über dem 1. OG. Das Bekenntnis zu Sachsen gehört somit zur Gruppe der geografischen Namen. Hier wurden große und kleine Metallbuchstaben auf Putz oder Sandstein montiert.

»Villa Sancerre« (Rennerbergstr. 11): Diese Schrift gehört auch zur Gruppe mit geografischer Aussage. Vor der Sanierung war die um 1900 erbaute Villa namenlos. Der zugereiste Bauherr wünschte 1994 im Rahmen der Sanierung den o. g. Namen, der sich auf die französische Stadt an der Loire bezieht, wo wie in Radebeul auch Wein angebaut wird. Die gebrochene Schrift ist etwas schwer lesbar. Auch die Bearbeiter der Radebeuler Denkmaltopographie hatten da ihre Probleme, der Name wird dort zu »Villa Saurerre« verballhornt.

»Villa Lindeberg« (K.-May-Str. 1): Die neuere, ca. 2003 aufgemalte Schrift am Eckbalkon der Mietvilla erinnert an den schwedischen Maler und Grafiker Carl Lindeberg (1876-1961), der von 1907 bis 1945 hier wohnte. Er hat u. a. die Titelbilder von Karl-May-Büchern gestaltet. Die Schrift wirkt hier in den Straßenraum der Kreuzung Schildenstraße/ Karl-May-Straße.

»Deutsches Haus« (Lößnitzstr. 4): Der Name des 1875 errichteten Hauses stand für ein Lokal, das ab 1910 zugleich Sitz der Turngemeinde Kötzschenbroda-Niederlößnitz war. 1921 wurde die Gaststätte geschlossen und in ein Wohnhaus umgewandelt. Der in den Putz eingelassene Name in typischer Jugendstilschrift hat sich aber über mehrere Sanierungen hinweg an der Fassade erhalten.

»Villa Elisa« (Borstr. 19): Die Gebr. Ziller errichteten 1878 diese Villa mit portalartiger Pforte in der Einfriedungsmauer. Welche Gründe es gab, den Namen in den Sandstein der Pforte zu meißeln und nicht am Haus selbst darzustellen, bleibt unklar. Die Pforte wurde 2002 teilerneuert, der Name wurde beibehalten.

»Landhaus Käthe.« (Zillerstr. 10): Das seit 1874 bestehende Gebäude (Gebr. Ziller) trägt erst seit 1913 den o. g. Namen, der sich auf die Ehefrau des zweiten Hauseigentümers bezieht. Die jetzigen Eigentümer ließ 1992 den Hausnamen durch den Radebeuler Maler Pit Müller restaurieren. Die auf Putz gemalte zweifarbige Schrift zeigt noch Nachklänge des Jugendstils. Das Zierelement darüber gehört nicht zum Hausnamen, es ist Teil einer schmiedeeisernen Fahnenstangenhalterung.

»Villa Franziska« (Hoflößnitzstr. 58): 1905 gab der Bauherr Heinrich Schürer dem Architekten Paul Ziller den Auftrag, eine Villa zu errichten. Das Interessante bei dem hier am Giebel angebrachten Hausnamen ist, dass er zweigeteilt wurde, wobei zwei junge, in der damaligen Mode gekleidete Damen die Spruchbänder halten – eine schöne Arbeit des Jugendstils. Nach der kürzlich erfolgten Sanierung der Villa kommt auch der Name besser zur Geltung.

»Berghäus’l« (Am Goldenen Wagen 16): Der in der Giebelspitze befindliche Name passt zu dem kleinen, holzverkleideten Landhaus (1912) am Hang. Hier wird durch eine auf ein rustikales Brett gemalte Schrift ein etwas sentimentales Gefühl zum Ausdruck gebracht.

»Villa ›Shatterhand.‹« (K.-May-Str. 5): Wie in vielen anderen Fällen bauten die Gebr. Ziller 1894 eine Mietvilla ohne Bauherrn, also auf eigene Kosten. Erst als der Schriftsteller Karl May diese 1896 kaufte, wurden auf seinen Wunsch hin die goldenen Lettern samt Punkt unter dem Traufgesims angebracht.

»Villa Friedensreich« (Winzerstr. 73): Die Idee für den Namen, eine Reverenz an Friedensreich Hundertwasser, hatte die kunstinteressierte heutige Eigentümerin der im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts entstandenen und 2007 aufwändig sanierten Mietvilla.

»Villa Bohemia« (Dr.-R.-Friedrichs-Str. 13): Ursprünglich trug die 1893 erbaute Mietvilla den Namen »Villa Augusta«. Wie er angebracht war und bis wann, ist nicht bekannt. Das Haus wurde 1994 umgebaut und saniert. Bei der Gelegenheit erhielt es seinen heutigen Namen, ein Bezug der aktuellen Eigentümerin zu ihrer tschechischen Heimat.

(Schluss folgt.)

Dietrich Lohse

[V&R 4/2010, S. 2-5]

»Ist das nicht wieder ein schöner Tag?«

Die Radebeuler Schriftstellerin Tine (»unsere Tine«) Schulze-Gerlach wird neunzig

Zum neunzigsten Male sieht sie den Frühling mit Riesenschritten herankommen, erlebt, wie die Sonne von Tag zu Tag an Kraft gewinnt, beobachtet, wie die warmen Strahlen die grünen Grasspitzen und die ersten Frühlingsblumen hervorlocken. Zum neunzigsten Male auch versammelt sich die stetig anwachsende Familie um sie, mit ihr gemeinsam das Osterfest und dann – was noch weit wichtiger ist – ihren Geburtstag zu feiern. Vier Kindern schenkte Tine Schulze-Gerlach das Leben. Da ging sie noch einer anderen Profession nach und die Schriftstellerei war noch Zukunftsmusik, obwohl ihr das Talent dazu in die Wiege gelegt war. Später dann wurde sie eine »Schreibende« und erschrieb sich mit einer Anzahl großartiger Bücher einen bedeutenden Namen, den man heute im Lande mit Hochachtung ausspricht.

Tine Schulze-Gerlach 2010

»Gaukler wollt ich sein, fahrender Spielmann, nach Usedom wollt ich…!« erinnerte sich Tine Schulze-Gerlach noch vor wenigen Jahren in einem Gedicht an ihre Kindheitsträume. Sie hat sie später alle wahr gemacht und schipperte dann gar – die Zeitenwende 1990 machte es möglich – hinüber nach Helgoland.

»Abschiedskrümel II« hatte sie ultimativ über ihr letztes Buch geschrieben; es erschien im Mai 2004, kurz nach ihrem 84. Geburtstag und trug den Titel »Deine Horizonte«. Im Titelgedicht stellt sie sachlich fest »Deine Horizonte suchtest Du aus, als Du jung warst, ›unbereubar‹.« Einen Rückblick ohne Wehmut leistet sie sich mit ihrer Lyrik und das will schon was heißen. Doch so war sie wohl schon immer, ehrlich und direkt.

Tine Schulze Gerlach saß mit am Tisch, als wir in Radebeul Anfang 1990 die neue »Vorschau« aus der Taufe hoben. Da war sie immerhin schon siebzig und längst eine Berühmtheit. Immer wieder steuerte sie zu unserem Monatsheftchen erfrischende Erzählungen und Gedichte bei. Als wir bei ihr anfragten, ob sie Ehrenmitglied unseres Vereins werden wollte, sagte sie gerne ja und hat uns damit eine große Ehre erwiesen.

Sie war bei unseren Jahresabschlussfeiern dabei, bis sie sich dann in bestimmten Jahreszeiten und bei ungewissem Wetter nicht mehr aus dem Haus traute. Seither besuche ich sie einmal im Monat in ihrer kleinen Wohnung im Haus ihres ältesten Sohnes auf der Karl-Liebknecht-Straße. Dann bringe ich ihr jedes Mal die neueste Ausgabe von »Vorschau & Rückblick« vorbei, auf die sie bereits sehnlich wartet. Regelmäßig empfängt sie mich mit der Frage »Ist das nicht wieder ein schöner Tag?«, um gleich darauf in ihre Küche zu wuseln. Dort kramt sie einen Moment herum und kommt dann mit einer Flasche Whisky – Glennfiddich oder Ballantine’s (»der ist aber nicht ganz so gut«, kommentiert sie mit Kennermiene) – zurück. »Du trinkst doch einen mit, oder?« Natürlich stoße ich mit ihr an, der rauchige Geschmack des Whiskys löst die Zunge, und wir verlieren uns im Gespräch. Die Themen gehen uns nicht aus – Familie, Garten, Urlaub, unsere Stadt, Erinnerungen –, und kein Gespräch geht zu Ende, ohne dass wir nicht wenigstens einmal auch die Literatur berührt hätten.

Ein Stündchen mit Tine und die Sorgen sind verflogen. Sie ist das, was man als einen durchweg positiven Menschen bezeichnen könnte. Bis oben hin voll Optimismus, »auch wenn der alte Body nicht mehr so richtig will«, wie sie sagt. Dabei lächelt sie verschmitzt, von Larmoyanz keine Spur.

Am 21. April wird Tine Schulze-Gerlach neunzig – was für ein Reichtum an gelebten Jahren. Wir gratulieren von Herzen und voller Bewunderung!

W. Zimmermann

[V&R 4/2010, S. 6f.]

Werke von Gussy Hippold-Ahnert wieder in Radebeul

Eine Retrospektive zum 100. Geburtstag

Am 12. März wurde in der Stadtgalerie Radebeul unter dem Titel »Im Schatten der Zeiten gewachsen« eine Gedenkausstellung mit Werken von Gussy Hippold-Ahnert (1910-2003) eröffnet. Seitdem herrscht reger Andrang in der kleinen Galerie. Viele Besucher haben die Künstlerin selbst noch in lebendiger Erinnerung und erfreuen sich an dieser erlesenen Präsentation.

Fast fünf Jahrzehnte verbrachte Gussy Hippold-Ahnert im Haus »Sorgenfrei«, einem der schönsten Anwesen inmitten der Oberlößnitz, bis sie fortschreitend sehbehindert zu Beginn der 90er Jahre in die Nähe der Tochter nach Dresden-Gorbitz in eine Neubauwohnung zog. Haus »Sorgenfrei« erwarb schon bald darauf ein tatkräftiges Architektenehepaar aus dem westlichen Teil Deutschlands und begann Gebäude und Parkanlage anhand alter Pläne wieder herzurichten. Das Haus nannten sie nun Villa. Doch die Villa »Sorgenfrei« blieb nicht frei von Sorgen und brachte den neuen Bewohnern kein Glück. Andere Besitzer folgten nach und bewirtschaften das Areal als Hotel mit Restaurant der Luxusklasse. Ein Schmuckstück auf Hochglanz poliert.

Getilgt sind die Spuren zweier Malerleben. Was bleibt, ist die Kunst, welche an diesem einst so inspirierenden Ort entstand. Auch der Lyriker Wulf Kirsten bewahrte in einem Gedicht aus dem Jahr 1974 das Vergängliche vor dem Vergessen. Worte wie »im verblichenen herrensitz Haus Sorgenfrei, empirestil, wohnt die malerin Gussy Hippold. … aufgeblättert berge lauterer kunst, im schatten der zeiten gewachsen…« stimmen die Ausstellungsbesucher im Foyer der Stadtgalerie auf Leben und Werk der Künstlerin ein.

Die Ausstellung zeigt vorwiegend Menschen- und Landschaftsbilder aus sieben Schaffensjahrzehnten. Das älteste Blatt ist eine kleine Buntstiftzeichnung aus Kindertagen. Erhalten blieb auch das erste Skizzenbuch der 13-Jährigen, in dem sie Menschen und Dinge ihrer unmittelbaren Umgebung naturgetreu festzuhalten versucht, den Blick bereits auf Wesentliches konzentriert.

Die Talente der in Berlin geborenen und in Dresden-Wachwitz aufgewachsenen Gussy Ahnert zeigten sich schon früh. Ihre musische Entwicklung wurde im Elternhaus gefördert. Sie nahm Klavier- und Zeichenunterricht. Auch dem späteren Besuch einer Kunstakademie stand nichts im Wege. Dix erkannte die außergewöhnliche Begabung der jungen Frau sofort und nahm sie auf in seinen Schülerkreis.

Das Jahr 1933 bildet für die noch am Anfang ihres Entwicklungsweges stehende junge Künstlerin sowohl in persönlicher als auch künstlerischer Hinsicht eine Zäsur. Ebenso wie ihr Lehrer Otto Dix verlässt sie die Akademie. Noch im gleichen Jahr zieht sie von Dresden nach Radebeul. Zunächst auf die Rennerbergstraße 11, später auf den Augustusweg 48. In der Lößnitz findet sie gemeinsam mit Erhard Hippold, ihrem späteren Mann, einen neuen Wirkungskreis. Die Arbeit in der väterlichen Miederwarenwerkstatt, notwendig zur Sicherung des Lebensunterhalts, und die Geburt der Tochter lassen für die aufwändige Technik des Lasierens keine Zeit. Es werden andere Techniken eingesetzt, die zu einem schnelleren Ergebnis führen. Die heitere Lößnitz mit ihrer üppigen Vegetation bietet eine Fülle darstellenswerter Motive. Es entstehen leuchtende Pastelle und duftige Aquarelle. Beziehungen werden gepflegt zu den Malern Karl Kröner und vor allem Paul Wilhelm, der seine gärtnerischen Ambitionen mit Erhard Hippold teilt. Während Dresden in Schutt und Asche versinkt, bleibt die liebliche Idylle der Lößnitz nahezu unversehrt. Für Künstler Glück und Fluch zugleich.

Das Frühwerk gerät zunehmend in Vergessenheit. Erst mit dessen Wiederentdeckung durch den Dresdner Kunsthistoriker Dr. Fritz Löffler zu Beginn der 70er Jahre und einer sich unmittelbar anschließenden Ausstellung in der Galerie Kühl werden Fach- und Sammlerkreise aufmerksam. Ein Großteil der frühen Werke befindet sich heute in Museen, öffentlichen und privaten Sammlungen. Ein Umstand, der zunächst die Befürchtung weckte, dass für die geplante Retrospektive zum 100. Geburtstag von Gussy Hippold-Ahnert kaum noch bedeutende Arbeiten aufzutreiben wären. Der Berliner Kunstwissenschaftlerin Frizzi Krella, die als profunde Kennerin ihres Werkes gilt, ist es zu verdanken, dass sich zahlreiche private Sammler freudig bereit erklärten, Leihgaben aus ihrem Besitz für die Radebeuler Gedenkausstellung zur Verfügung zu stellen.

Der Erdgeschossraum der Galerie wird dominiert von elf ausdrucksstarken Porträts aus den frühen 30er Jahren, darunter die Bildnisse »Trude« , »Rothaarige«, »Jüdisches Mädchen«, »Erhard Hippold«, »Frau Möckel« und »Fischermädchen« sowie ein Rückenakt und der Halbakt »selbst«. Wenngleich der Einfluss des Lehrers Dix zu spüren ist, durchdringt die Künstlerin das Wesen ihrer Modelle mit der ihr eigenen weiblichen Sensibilität. Gezeigt wird auch eine Stadtlandschaft, bei der es sich um den Blick aus dem Dresdner Atelier auf der Zirkusstraße handelt. Daneben hängt, quasi als Gegenstück, ein Winterbild von Erhard Hippold. Es zeigt den Blick aus dem Haus »Sorgenfrei«, der späteren Wirkungsstätte beider Künstler. Ebenfalls von Erhard Hippold wurde in Ergänzung das Porträt der jungen »Gussy« aus dem Jahr 1931, dem Jahr des Kennenlernens, in die Serie der Porträtdarstellungen eingefügt. Beide letztgenannten Werke stammen aus der Städtischen Kunstsammlung Radebeul.

Ein kurzer Film von Dr. Hans Cürlis aus dem Jahr 1926, der während der Ausstellung im Obergeschoss zu sehen ist, zeigt den Maler Otto Dix, wie er zeichnet, aquarelliert und lasiert. Techniken also, die auch Gussy Ahnert zu Beginn der 30er Jahre von ihm erlernen sollte.

Erstmals in einer Ausstellung präsentiert werden einige der Pariser Skizzenblätter aus dem Jahr 1933. Zu sehen sind auch Radierungen, die im Schaffen der Künstlerin jedoch eine Ausnahme bilden. Der Anstoß hierzu dürfte wohl von Erhard Hippold ausgegangen sein.

Gemalt und gezeichnet wurde, sobald sich die Möglichkeit bot. Anregungen, die Gussy Hippold-Ahnert während ihrer Reisen – anfangs in der Schweiz, in Lettland, Litauen und Frankreich, später dann in Bulgarien, Ungarn und Polen sowie an der Ost- und Nordsee – empfing, flossen in ihr Schaffen ein. Auch nach dem Tod ihres Mannes im Jahr 1972 war Gussy Hippold-Ahnert, so lange es ihre Sehkraft erlaubte, künstlerisch aktiv. Mit einem Skizzenbuch, das bis ins Jahr 1986 hinein datiert ist, schließt sich der zeitliche Bogen dieser Gedenkausstellung.

Für deren Besuch bietet sich Gelegenheit bis zum 25. April. Ebenfalls zu empfehlen ist eine Ausstellung in der Städtischen Galerie Dresden mit frühen Arbeiten der letzten lebenden Dix-Schülerin Erika Streit, welche in freundschaftlicher Beziehung zu Gussy Hippold-Ahnert stand.

Karin Gerhardt

[V&R 4/2010, S. 11-14]

Was uns Häusernamen sagen können (Teil 1)

Auf ausgedehnten Spaziergängen habe ich mich im Januar gezielt auf die Suche nach Namensauf- und -inschriften an Radebeuler Häusern gemacht. Diese sicher nicht vollständige Sammlung hat über 60 solcher auf Fassaden von Villen und anderen Häusern befindlichen Namen ergeben. Im Folgenden will ich versuchen, sie in Gruppen einzuteilen und einige Hintergründe zu beleuchten, um anschließend eine Auswahl in Wort und Bild vorzustellen.

Doch grenzen wir zunächst einmal das Thema ein. Es geht hier nicht um im Volksmund verwurzelte Namen (z. B. Haus Breitig), sondern um solche, die sozusagen »schwarz auf weiß« an den Fassaden zu sehen sind bzw. waren. Ausgeklammert bleiben sollen hier Schriften und Werbung mit kommerziellem Hintergrund wie Gaststättennamen etc. Auch reine Schmuckformen, Wappen, Sonnenuhren, Monogramme oder Jahreszahlen und Grüße über Hauseingängen (»Salve«) lassen wir heute außen vor und wenden uns nun »Villa Marie und Co.« zu.

Villa Marie (Foto D. Lohse)

So ein Villenname war und ist kein Muss, das Haus funktioniert auch ohne Namen. Bei Kulturdenkmalen kann der Erhalt einer Fassadeninschrift dann ein Thema sein, wenn der alte Name den heutigen Eigentümern zufällig nicht gefällt. Etwa die Hälfte der betrachteten Häuser sind Denkmale. In Radebeul finden wir solche Namen schwerpunktmäßig an Villen und Wohnhäusern zwischen 1870 und 1915, dann kommt eine längere Zeitspanne fast ohne Namen. Erst nach 1990 scheint wieder ein Gefühl dafür aufgekommen zu sein – man pflegt vorhandene Villennamen und man findet auch hin und wieder neue.

Wo »Villa Soundso« draufsteht, haben wir es streng genommen nicht immer mit einer echten Villa (aufwändiges Einfamilienhaus, meist mit offenem Treppenhaus) zu tun. Die Bezeichnung Villa in Häusernamen begegnet uns oft auch bei Mietvillen (diese haben zwei oder mehr Wohnungen und ein geschlossenes Treppenhaus) und anderen Wohnhäusern.

Villennamen gibt es quer durch das Alphabet von Amely (Paradiesstr. 9a) bis Zucca (Obere Bergstr. 11), wobei natürlich Vornamen und da weibliche (über 90 %) dominieren. Mancher seinerzeit weit verbreitete Vorname (z. B. Marie, Elisabeth, Martha, Clara) fand bzw. findet sich gleich an mehreren Radebeuler Villen, andere wirken heute geradezu exotisch (z. B. Villa Sarolta, Schildenstr. 2). Männliche Vornamen (z. B. Villa Elias, L.-Richter-Allee 15) sind in Radebeul und wohl auch andernorts sehr selten. Meist wollten die Bauherren mit dem Villennamen ihre Ehefrau und manchmal auch die Tochter ehren.

Bei Häusernamen erkennen wir aber auch noch eine andere, Wünsche, Sehnsüchte und Erinnerungen zum Ausdruck bringende Gruppe, hier seien stellvertretend »Heimattreue« (Lößnitzgrundstr. 16) oder »Sorgenfrei« (Augustusweg 48) genannt. Die dritte Gruppe bilden Häusernamen mit geografischen Bezügen, also Länder-, Völker- oder Städtenamen – Villa Sancerre (Rennerbergstr. 11), Villa Bohemia (Dr.-Rud.-Friedrichs-Str. 13) –, die eventuell Rückschlüsse auf die Herkunft des Bauherrn zulassen. Mitunter fließen auch religiöse Inhalte in diese Namen ein wie bei »SOLI DEO GLORIA« (Hauptstr. 41). Gelegentlich lassen uns Bauherren mit der Verwendung von lateinischen Texten wissen, dass sie zum Bildungsbürgertum gehören wollen. Manchmal war der Häusername für mich mit längerem Rätselraten verbunden, aber jetzt weiß ich, was uns der italienische Name »Villa Fenice« (H.-Zille-Str. 57) sagen will, nämlich nichts anderes als Phönix!

Villa Falkenstein (Foto D. Lohse)

Natürlich sind die hier betrachteten Namen fast immer auf der Schauseite der Häuser, also der Straßenseite, angebracht. Ein geeigneter Platz findet sich meist in der Höhe zwischen Erd- und Obergeschoss, oft mittig zur Fassade oder auch an Giebeln oder Türmen, dann auch höher platziert. Der richtige Platz, eine gut proportionierte Schriftgröße und die passende Schrifttype sind insgesamt wichtig für eine gute Gestaltung und Erkennbarkeit.

Bei den Fassadenschriften kamen verschiedene Materialien, Farben und Techniken zum Einsatz – aufgesetzte Metallbuchstaben, auf Putz gemalte Schriften, erhabene Stucktexte, im Putz vertiefte Schriften (Sgraffito) oder auch montierte Schrifttafeln. Unter den verschiedenen Schrifttypen kann die Antiqua mit ihren Spielarten als der Klassiker bezeichnet werden. Daneben finden wir auch gotisierende, groteske und gefällige Jugendstilschriften in unserer Stadt. Leider treffen wir vereinzelt auch auf verkomplizierte Schriften oder solche mit zu geringem farblichem Kontrast, die dann kaum lesbar sind. Bei schlecht platzierten oder handwerklich verstümperten Häusernamen (Hauptstr. 41) wünschte man sich, sie wären nicht angebracht worden oder es gäbe eine Chance, sie noch zu verbessern.

Auf eine kleine Besonderheit sei noch hingewiesen, nämlich den eigentlich überflüssigen Punkt hinter einigen der gesammelten Namen, wie bei »Villa Marie.« Möglicherweise wollte man dadurch der Schriftzeile zusätzlich Gewicht verleihen. Da der Name an der Fassade meist der letzte Akt des Baugeschehens war, kann es aber auch sein, dass man nach den entbehrungsreichen Monaten sprichwörtlich jetzt erst »mal einen Punkt machen« wollte.

Verglichen mit anderen Villengebieten in Dresden wie z. B. Wilder Mann, Klotzsche oder Blasewitz haben Ober- und Niederlößnitz einen beachtlichen Bestand solcher Schriften, im Einzelfalle durchaus auch von vergleichbarer Qualität. Für Spaziergänge lohnen sich etwa die Ludwig-Richter-Allee, die Obere Berg- und die Clara-Zetkin-Straße mit je vier sowie die Moritzburger und die Paradiesstraße mit je drei derartigen Namensschriften.

Bei meinen Recherchen konnte ich stellvertretend für eine sicher viel größere Zahl in Radebeul ehemals vorhanden gewesener Häusernamen auch folgende heute fehlende Namen feststellen: »Villa Agnes« (Lößnitzgrundstr. 2), »Villa Augusta« (Bodelschwinghstr. 2) und »Villa Columbia« (Mohrenstr. 14). Ob diese Namen eine Auferstehung haben, wäre nicht auszuschließen, ist aber z. Z. nicht abzusehen. (Fortsetzung folgt.)

Dietrich Lohse

[V&R 3/2010, S. 2-4]

Auf der Erfolgswelle!?

Franz Wittenbrinks »Sekretärinnen« an den Landesbühnen

Zwischen das ambitionierte und von der Kritik mit einhelligem Beifall aufgenommene »Umbrüche«-Projekt und die im Frühling folgenden dramatischen Schwergewichte Shakespeare und Brecht platzierten die Landesbühnen mit »Sekretärinnen« einen jener szenischen Liederabende, mit denen das musikalische Multitalent Franz Wittenbrink seit nunmehr 15 Jahren landauf, landab die (Samstag­)Abendunterhaltung deutschsprachiger Bühnen bestimmt. Mittlerweile gibt es wohl allein mehr als ein halbes Hundert »Sekretärinnen«-Inszenierungen, wovon die Mehrzahl zur Freude der Intendanten an der Kasse sehr erfolgreich ist (135 ausverkaufte Vorstellungen am Hamburger Schauspielhaus sprechen für sich). Wahrscheinlich ist es auch genau dieser Aspekt, der diesem Wittenbrinkschen »Musical« (der Deutsche Bühnenverein verweigert diesen Produktionen nicht grundlos die Bezeichnung »Stück«) den Weg auf den Spielplan der Landesbühnen ebnete. Denn die auf 75 Minuten beschränkte, intellektuell gleichermaßen unbelastete und unbelastende, vor allem auch pausen-lose Unterhaltung ermöglicht es dem Theaterfreund, nach Heimkehr noch in Ruhe das Programmheft zu studieren und danach seine Gedanken vom Kunsterlebnis weg und bei einem Glas Wein auf etwas anderes zu lenken. Wittenbrink äußerte einmal mit leicht selbstkritischem Unterton, dass sein Tippsenabend »ja eher einfach – mit klaren Frauentypen – und vielleicht deshalb so erfolgreich« sei. Mit fröhlicher Unkompliziertheit lässt sich sicherlich mancher Zeitgenosse, der sonst lieber den Fernseher einschaltet, in den Theatersaal locken. Für den Moment muss man aber noch abwarten, wie der Zuspruch in Radebeul ausfallen wird, denn von einem großen Erfolg beim Premierenpublikum kann keine Rede sein. Nicht nur, dass – ungewöhnlich genug – eine ganze Anzahl von Sitzen von vornherein leer blieb, auch der Beifall am Ende war freundlich, aber nicht begeistert, und schon gar nicht euphorisch.

v.l.n.r.: Wiebke Adam-Schwarz, Julia Vincze, Anke Teickner, Holger Uwe Thews, Ursula Schucht, Sandra Maria Huimann, Franziska Hoffmann (Szenenfoto LBS)

Unter der Regie von Stephan Thiel entfaltet sich auf der als Großraumbüro gestalten Bühne (Ausstattung: Halina Kratochvil) der Arbeitsalltag von sechs Sekretärinnen (Ursula Schucht, Sandra Maria Huimann, Franziska Hoffmann, Wiebke Adam-Schwarz, Anke Teickner, Julia Vincze), deren verschiedene Charaktere erst nach und nach sichtbar werden, was die nüchterne Konformität der Büroarbeit mehr und mehr aufbricht und dieser ein menschliches Antlitz verleiht. Da wird getippt und geflüstert, Kaffee gekocht und genascht, Papier geknüllt und gekeift, gelacht und geraucht. Völlig normal also und eigentlich keiner näheren Betrachtung wert. Eine nacherzählbare Handlung gibt es nicht, stattdessen besteht das Stück in weiten Teilen aus einer Abfolge von 33 mal mehr (z.B. Für mich soll’s rote Rosen regnen, This is a man’s world), mal weniger (z.B. Bei mir bist du scheen, Das Glück ist a Vogerl) bekannter Gassenhauer, die in unterschiedlicher Besetzung (solo, Duett, alle) und souverän von Amadeus Boyde am Klavier begleitet vorgetragen werden. Diese Lieder und Gedichte aber werfen Schlaglichter auf die Eigenarten und Schicksale der Figuren, denen die Ensemblemitglieder ihre Darstellungskunst leihen. Da beweist die eine oder andere Aktrice durchaus bemerkenswerte Stimmqualitäten (Julia Vincze), kann der Regie eine gute Portion inszenatorischer Witz (etwa wenn alle Darstellerinnen zum Shanty »Ein Schiff wird kommen« in einer Art Standbild ein Schiff imitieren, inklusive Möwengeschrei und Wellengeschaukel) bescheinigt werden, vermag auch manches Mal die akustische Choreographie von Büroraumszenen attraktive Akzente zu setzen (so bei der Schreibmaschinensinfonie). Zusammengehalten wird der Büroalltag – und damit gleichermaßen auch der szenische Liederabend – durch die universale Sehnsucht der Frauen nach dem männlichen Prinzip in ihrem Leben, so unterschiedlich dieses für jede einzelne auch ist. Träumt die eine von einem Seemann, legt sich die andere mit Gedanken an Genies von Mozart bis Tolstoi zu Bett. Verzehrt sich die eine nach der großen Liebe, geht die andere mit der ihrigen schon recht routiniert um. Vermag die eine mit glitzerndem Tand die Trennung vom Vater ihres noch ungeborenen Kindes zu kompensieren, scheint die andere viel zu cool, um sich je mit solchen Emotionen überhaupt zu belasten. Herein in den tristen Vollzug der Schreibarbeiten tritt das Maskuline in Gestalt des Büroboten (Holger Uwe Thews mit zwei starken Gesangsnummern), der unter seiner Rolle als Sehnsuchtsobjekt mehr leidet, als dass er sie genießt. Offen bleibt, ob das für die Aussageabsicht des Liederabends eine Rolle spielt oder nicht. Zwar werden einzelne Sekretärinnen durch ein Licht-Ton-Signal für kurze Zeit vom Arbeitsplatz abberufen, aber wer sie ruft und weshalb ist unklar. Diese Leerstelle stört aber nicht sehr, denn der Zuschauer ist sowieso gefragt, sich selbst einen Reim auf die nur angerissenen Biographien der Protagonistinnen zu machen. Und da mag es durchaus ganz unterschiedliche Lesarten geben.

Rein statistisch gesehen hat mehr als jeder Hunderste Deutsche in den letzten 15 Jahren einen Wittenbrink-Abend erlebt, die Gesamtbesucherzahl aller Inszenierungen hat mittlerweile die Millionengrenze überschritten. Den Landesbühnen ist zu wünschen, dass sie an dieser Erfolgsstory teilhaben mögen, wenngleich der Rezensent nicht seine Vorfreude auf die nächsten »richtigen« Theaterpremieren der Spielzeit verhehlen möchte.

Bertram Kazmirowski

[V&R 3/2010, S. 9-11]

Rauchschwalben in Radebeul

Nicht allen wird es bekannt sein: Seit fast sechzig Jahren gibt es in Radebeul eine Gruppe, die sich besonders dem Vogel- und Naturschutz verschrieben hat. In DDR-Zeiten im Kulturbund organisiert, fand sie nach der Wende ihren Platz unter dem Dach des NABU.

Neben manchen anderen Aktivitäten der Gruppe wurde in diesem Jahr erneut ein Projekt aufgelegt, das sich der »Erfassung und Förderung der Rauchschwalben in Radebeul« widmet.

Ein Sprichwort sagt: Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Neben seiner kaum zu bestreitenden Aussage drückt es nebenbei aus, dass diese Vögel fest im Bewusstsein vergangener Generationen verankert waren. Heute gehören sie leider nicht mehr zu den selbstverständlichen Mitbewohnern menschlicher Siedlungen.

Manche werden wissen, dass in unseren Breiten mehrere Arten von Schwalben beheimatet sind. Vielleicht haben Sie schon die vielen Schwalben wahrgenommen, die seit einigen Jahren ihre Nester an das Gebäude vom »Kaufland« auf der Kötzschenbrodaer Straße angeklebt haben. Es sind dies Mehlschwalben, leicht erkennbar an ihrer auffälligen rein-weißen Unterseite und dem relativ kurz gegabelten Schwanz. Viele ordnen auch die pfeilschnellen schwarzen Flieger mit den sichelförmigen Flügeln und den schrillen sriiieh-Rufen den Schwalben zu, was aber falsch ist, denn da handelt es sich um Mauersegler, die mit den Schwalben in keinem Verwandtschaftsverhältnis stehen.

Und dann eben die Rauchschwalben. Sie sind im Ganzen auch dunkel gefärbt, die Unterseite ist weißlich, sie haben aber, im Gegensatz zur Mehlschwalbe, eine rostrote Kehle, und – daran sind sie zu erkennen – extrem lange Schwanzfedern, die wie Spieße weit nach hinten abstehen.

Unterscheiden kann man sie auch leicht nach ihren bevorzugten Brutplätzen. Mehlschwalben heften ihr napfförmiges Nest aus Lehm und Grashalmen außerhalb von Gebäuden und senkrechten Flächen an, Rauchschwalben suchen das Innere auf, nisten in Ställen und Scheunen, knapp unter der Decke. Früher war das für sie kein Problem. Kuh-, Pferde- und Schweineställe gab es im ländlichen Raum in großer Zahl und die damit angelockten Fliegen waren eine schier unerschöpfliche Nahrungsquelle. Auch wenn durch ihren Appetit die Fliegenplage kaum gemindert wurde, sah der Bauer die Schwalben doch gern in seinem Stall. Und dass Fenster und Luken für sie offen standen, war ein gern gewährtes, selbstverständliches Gastrecht.

Dass Rauchschwalben ausgerechnet diese Lebensweise angenommen haben, ist ihnen in unserer Zeit zu einem existenzgefährdenden Problem geworden. Ställe sind rar geworden in unseren Siedlungsgebieten und Dörfern. Und damit hat auch ihr früher unbegrenztes Nahrungsreservoir spürbar abgenommen. Das alles hat dazu geführt, dass die Rauchschwalbe, eben anders als ihre Schwester, die Mehlschwalbe, einen besonders starken Bestandsrückgang zu verzeichnen hat, der alarmierend zu nennen ist. Aus diesem Grund sollen wieder einmal die Radebeuler Rauchschwalben in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt, ihre Zahl erfasst und, so gut es geht, ihre Lebensbedingungen verbessert werden.

Einige Mitarbeiter der NABU-Gruppe werden ab April an die Plätze gehen, wo in den vergangenen Jahren Rauchschwalben beobachtet wurden, werden sehen, wie sich die Lebensbedingungen für diese Vögel vielleicht verändert, verbessert oder verschlechtert haben, werden Altvögel zu zählen versuchen, Nester und darin befindliche Junge, die Ergebnisse auf Karten eintragen und in Tabellen zusammenstellen. So wurden in den Jahren 2005/06 einige Brutpaare in Serkowitz, Zitzschewig, Lindenau, Wahnsdorf, Kötzschenbroda und Naundorf erfasst. Einige wenige Einzelvorkommen wurden sogar in Wohngebieten der Ober- und Niederlößnitz und in abgelegenen Gehöften festgestellt.

Und deswegen nun auch unsere Bitte an Sie: Wenn Sie Rauchschwalben sehen, wie sie immer wieder einen Stall, einen Schuppen oder sonst ein Gebäude anfliegen und nach einem Einflugloch suchen, öffnen Sie ihnen, wenn es nur irgend geht, eine Luke oder ein Fenster zu einem Raum, der für einen Nistplatz in Frage kommen könnte. Ein kleines Brett, etwa 20 cm unterhalb der Decke angebracht, könnte ihnen eine dankbar angenommene Hilfe für den Nestbau bedeuten. Freilich müsste gewährleistet sein, dass diese Ein- und Ausflugöffnung bis etwa September frei zugänglich bliebe.

Und die andere Bitte: Wenn Sie ein- oder ausfliegende Rauchschwalben beobachten, alte oder neue Nester entdecken und Rauchschwalben an Lehmpfützen feststellen, wo sie ihr Nistmaterial holen, teilen Sie es uns bitte mit (Tel. 0351-8486925). Wir würden uns dann gern mit Ihnen in Verbindung setzen, austauschen und beraten, wie die Lebensbedingungen für diese liebenswerten Sommergäste eventuell noch verbessert werden können.

Johannes Woldt

[V&R 3/2010, S. 5f.]

Besuch bei alten Bekannten

Viele bedauern es, aber es ging nicht anders: Sachsens, wahrscheinlich sogar Deutschlands größte Puppentheatersammlung musste das Radebeuler Hohenhaus im Herbst 2003 verlassen. Seither ist die Sammlung von Marionetten, Stab- und Handpuppen sowie Bühnen aus zwei Jahrhunderten, die bekanntlich schon lange zu den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden gehört, in einem Seitenflügel der Garnisonskirche an der Stauffenbergallee im Dresdner Norden untergebracht und zurzeit leider nicht zu besichtigen.

Kasper ruft zur Ausstellung im Jägerhof (Foto K. Funke)
Kasper ruft zur Ausstellung im Jägerhof (Foto K. Funke)

Ein gutes Jahr lang war bis Ende Januar eine kleine Schau daraus im Dresdner Museum für Sächsische Volkskunst zu sehen. Weithin sichtbar saß ein langnasiger wetterfester Kasper vor dem 2. Stock des Jägerhofs, um auf sich bzw. die Ausstellung »Kasper – eine deutsche Karriere« aufmerksam zu machen. Wenn der Konservator der Sammlung, Lars Rebehn, erklärt: »Diese Sonder-Ausstellung zeigt nur ein Prozent des Bestandes«, dann kann man sich vorstellen, wie riesig die Sammlung insgesamt sein muss, etwa 100.000 Exponate, schätzt er. Das Gästebuch des Museums am Carolaplatz zeugt jedenfalls von der Begeisterung von Jung und Alt.

Gleich als erster Blickfang war der »subversive Kasper« in einer Art Blechkastenbühne zu sehen, der Hauptdarsteller der Berliner »Gruppe Zinnober«. Zu DDR-Zeiten brachte die Gruppe – in Anspielung auf den damals aktuellen Abenteuerfilm »Jäger des verlorenen Schatzes« – das Stück »Jäger des verlorenen Verstandes« als aktuelle Polit-Satire auf die Bühne. Ein Amateur-Video von damals belegt anhand der vielen Lacher aus dem Publikum, wie gut die Anspielungen verstanden wurden.

Blickfang Blechkasten (Foto K. Funke)

Auf Veranlassung des Dichters und Gelehrten Gottsched ließ die Theaterdirektorin von Leipzig, Caroline Neuber, 1737 die Harlekinfigur symbolisch auf der Bühne verbrennen, um deutlich zu machen: mit ihr ist es vorbei. Um diesen Skandal nachzuspielen, gestaltete Tilla Schmidt-Ziegler genau 200 Jahre später Handpuppen in Kostümen jener Zeit und ließ die Geschichte nachspielen unter dem trotzigen Titel: »Kasper stirbt nicht!«, was zumindest für die Puppenbühne gelten sollte und wohl nach wie vor gilt.

Marionetten Kasper der Familie Ritscher (Foto K. Funke)

Kasper und Co. gibt es in allen erdenklichen Materialien: Holz, Stoff, PVC und Pappmaché. Im 19. Jahrhundert war Holz vorherrschend, vor allem aus dem leicht zu bearbeitenden Lindenholz wurden die Köpfe geschnitzt. Der hierzulande berühmte »Hohnsteiner Kasper« – auch das erklärte die Ausstellung – entstammt der Wandervogel-Bewegung. Deshalb trat der Hohnsteiner Kasper ohne Knüppel auf und überzeugte den Gegner lieber mit Klugheit und moralischen Argumenten. Auch Seppel war dabei, der seinen Freund Kasper immer wieder in heikle Situationen brachte.

Gewöhnlich wird eine Marionette an sieben Fäden geführt, um alle wichtigen Bewegungen zu erzeugen. Beim Kasper waren es aber oft mehr, so dass man ihn auch die Augen rollen und die Kinnlade herunterklappen lassen konnte. Er war damit beweglicher als Prinzesssinnen und Räuber. »Die Führung von Marionetten ist eine Kunst für sich, denn sie sind schwer wie ein Eimer Wasser«, sagte die Museumsmitarbeiterin Frau Friedrich. Im Elbtal war neben Heinrich Apel vor allem die Familie Ritscher bekannt, die um 1930 zu den fleißigsten Gestaltern von Marionetten und Kaspern für Komödien gehörte.

Die Ausstellung ist vorbei (leider), nun wird im Jägerhof umgebaut. Ab Ende November 2010 soll aber die Kasper-Schau hier wieder zu sehen sein. Derweil wird in der Garnisonskirche gezählt, geschrieben, erfasst. Eine Art Volkszählung ist angesagt. Unter dem Namen »Daphne« läuft das Projekt. Alle Puppen und Bühnen werden fotografiert und im Computer registriert. Alle Kollegen helfen mit, auch die Restauratorin Ines Handel. Sie prüft den Zustand der wertvollen alten Puppen und beseitigt nach Möglichkeit die behebbaren Schäden, bevor die Objekte wieder eingewickelt und einsortiert werden. »Zu jeder Figur gibt es eine Geschichte«, erklärt Lars Rebehn. Wenn die bekannt ist, muss sie natürlich mit erfasst werden. Die älteste Puppe ist 220 Jahre alt. Ihr damaliger Besitzer, Franz-Anton Lorgis, soll sie dabei gehabt haben, als er anno 1798 im Schloss Pillnitz vor der königlichen Familie aufspielte.

»Es gibt in Deutschland noch fünf weitere große Puppentheatersammlungen«, sagt Museumsleiter Rebehn, »aber unsere Dokumentation wird einzigartig sein.« Das macht die Dresdner Sammlung so wertvoll. Leider kann sie derzeit nicht von jedermann besichtigt werden, was in Radebeul noch möglich war. Ab und zu gibt es aber auch öffentliche Depot-Vorführungen, so wahrscheinlich zur Dresdner Museumsnacht am 10. Juli und dann noch einmal im Herbst 2010 im Rahmen der Veranstaltungsreihe »Puppenspiel in der Garnisonskirche«. Auf Anfrage werden zwar auch Führungen gemacht, jedoch momentan nur für Fachpublikum, Archivare, Studenten und Wissenschaftler.

Karin Funke

[V&R 3/2010, S. 13-15]

Ein Schauspieler der leisen Töne

Horst Mendelsohn feierte seinen 80. Geburtstag

Fast zehn Jahre ist es nun schon wieder her, dass Horst Mendelsohn seine Abschiedsvorstellung an den Landesbühnen Sachsen gab, jenem Theater, wo er über vier Jahrzehnte in unzähligen Rollen auf der Bühne gestanden und für die langjährigen Radebeuler Theatergänger immer »irgendwie dazu gehört« hatte. Gegeben wurde Michael Frayns Komödie »Der nackte Wahnsinn«; Horst Mendelsohn war darin in der Rolle eines 70-jährigen Schauspielers zu erleben. Zufall oder nicht – jedenfalls feierte Mendelsohn zwei Tage nach der Premiere am 6. Februar 2000 seinen eigenen 70. Geburtstag. Und längst schon stand für ihn fest: Es wird ultimativ die letzte Spielzeit sein. Mit der ihm eigenen Konsequenz begründete er damals seine Entscheidung: »Ich möchte nicht irgendwann mal hilfsbedürftig auf der Bühne stehen wie manch anderer, der glaubt, nicht aufhören zu können.«

Denen, die ihn in zahlreichen Inszenierungen am Radebeuler Theater und auf der Felsenbühne Rathen erleben konnten, bleiben die Erinnerungen an einen Mimen, der stets mit Akribie an die Erarbeitung seiner Rollen ging. An einen, der noch jenem – mittlerweile längst ausgestorbenen – Schauspielertyp angehörte, der jede neue Rolle als die wichtigste Aufgabe betrachtete.

1960 – ganz am Anfang seines Radebeuler Engagements – war es vor allem die Rolle des Raimund in der »Jungfrau von Orleans« und 1963 die des Mephistopheles im »Urfaust«, in denen der gebürtige Berliner das Publikum von seiner Kunst überzeugen konnte. Der Peachum in der »Dreigroschenoper« kam dazu, der Oberon im »Sommernachtstraum«, Napoleon in »Krieg und Frieden« und zahllose weiter Rollen, nicht zu vergessen natürlich die Figur des Prof. Grey in der unverwüstlichen »Feuerzangenbowle«. Auf seine Laufbahn zurückblickend, sagte Mendelsohn einmal: »Ein Brüller war ich nie!« Ihm lagen die stilleren Charaktere mehr als die lauten.

Einer ganz anderen und viel Engagement fordernden Aufgabe widmete sich Horst Mendelsohn im Herbst 1989. Damals stellte er sich – gemeinsam mit dem heutigen Intendanten Christian Schmidt und dem damaligen Kapellmeister Matthias Liebich – zur Verfügung, als es darum ging, das Theater in einer schwierigen politischen Situation nicht kopflos zu lassen.

Sechs Intendanten erlebte Mendelsohn in seiner aktiven Zeit allein in Radebeul. Sie kamen und gingen wieder, Horst Mendelsohn aber blieb. Die Stadt Radebeul ehrte den Schauspieler am 9. September 2000 mit der Verleihung des städtischen Kunstpreises, unter anderem dafür, dass »er stets seine ganze Kraft und seine Persönlichkeit in den Dienst des Theaters gestellt hat«.

Am 8. Februar feierte Horst Mendelsohn seinen 80. Geburtstag. Dazu im Nachhinein unseren herzlichen Glückwunsch!

W. Zimmermann

[V&R 3/2010, S. 12]

Exkursion zu den Kaditzer Torbögen

In mittelsächsischen Dörfern finden wir bei Zwei- oder Dreiseithöfen gelegentlich noch große, in die Schildmauern zum Anger hin eingelassene Torbögen, meist mit einer kleineren Pforte daneben. Seit wann es diese wehrhaft wirkenden Anlagen gibt, ist nicht genau zu sagen. Man wird kaum fehl gehen, sie schon im Mittelalter als vorhanden anzusehen. Gerade in unsicheren Zeiten kam es für die Bauern darauf an, ihre Familie, Hab und Gut und auch das Vieh zu schützen; Mauern und Tore trugen dazu bei.

Wenn man heute in den Radebeuler Dorfkernen Bilanz zieht hinsichtlich solcher Toranlagen, sieht es sehr unterschiedlich aus. So gibt es am Anger der größten Dorfgemeinde Kötzschenbroda keine alten Torbögen mehr – der Bogen von Altkötzschenbroa 26 (etwa 3 Jahre alt) ist nicht einmal eine Kopie, eher schon die Karikatur eines solchen Bogens. Jedoch hat sich in der Neuen Straße noch ein solcher Bogen erhalten. Um 1900 erkennen wir auf alten Postkarten im Kötzschenbrodaer Oberdorf noch etwa acht Torbögen. Altwahnsdorf hat einen, Altzitzschewig zwei und Altnaundorf drei derartige Bögen (einer davon allerdings in anderer Form, mit Holzdach und geradlinigem Abschluss) – Altradebeul, Serkowitz, Fürstenhain und Lindenau haben dagegen keine (mehr).

Torbögen im Ortsbild von Altkaditz (Foto D. Lohse)

So gesehen ist das südöstlich von Radebeul gelegene Dorf Kaditz (heute Stadtteil von Dresden) mit vier Torbögen reich bestückt. Drei haben Tor und Pforte, einer nur einen Torbogen. Alle Torbögen und eine Pforte sind als Korbbögen ausgebildet, zwei der Pforten haben allerdings Segmentbögen. Während für die Pforten der Mensch als das Maß der Dinge gilt, muss der Torbogen so ein lichtes Maß haben, dass voll beladene Erntewagen passieren können – ca. 3,40 m breit und ca. 3,80 m hoch. Selbstverständlich wird bei solcher Breite nur ein zweiflügliges Tor funktionieren.

Auch für Kaditz kann vermutet werden, dass es früher mehr als die vier Torbögen gegeben hat, leider liegen mir dafür keine entsprechenden Belege vor. Sogar das ansonsten gut recherchierte Sachbuch »Typisch Kaditz«, 2002 herausgegeben vom Verein »Neue Nachbarschaft Kaditz e.V.«, geht auf dieses Thema nicht näher ein. Zumindest bei Altkaditz ist anzunehmen, dass es hier mal einen Torbogen gegeben hat. In die Flankenmauer wurde der Schlussstein – MFE 1751 – eines wohl abgebrochenen Tores als Zitat eingefügt. Auch bei Altkaditz 7 kann neben der Pforte ein Torbogen gewesen sein. Es liegt auch nahe, dass vor allem die Höfe von Großbauern solche Tore hatten. Ein gewisses Repräsentationsbedürfnis kann hier auch eine Rolle gespielt haben. Aufgrund der sparsamen Gestaltung der Torbögen ist die Zuordnung zu Baustilen schwer – das Motiv Korbbogen weist ins 18. Jahrhundert, also in die Barockzeit.

Für Abbrüche von Torbögen sind verschiedene Gründe denkbar, so das Aufkommen landwirtschaftlicher Großtechnik im 20. Jahrhundert, für die die Bögen zu eng waren, die allmählichen Verstädterung der Dörfer und der Rückgang dörflicher Traditionen oder die Tatsache, dass Reparaturen an Torbögen in wirtschaftlich schlechter Zeit schwierig waren. Anderseits könnten zu leicht gebaute Bögen, wo zu wenig seitliches Mauerwiderlager dem Schub des Bogens auf Dauer nicht standhielt, zu Rissbildungen und Schäden geführt haben. Das Entstehen von Rissen im Bogenbereich (ansatzweise ist ein solcher am Torbogen von Altkaditz 14 zu erkennen) kann speziell in Kaditz auch an der Elbnähe – schwankender Grundwasserstand und/oder nicht homogener Baugrund (Schwemmland) – liegen. Umso beachtlicher ist die Tatsache, dass 2010 noch vier Torbögen vorhanden sind!

Ein paar Stichworte zu den einzelnen Bögen:

Altkaditz 4-6 (Foto D. Lohse)

Altkaditz 4/6: wohl nach 1990 neu errichteter, massiver Torbogen, Mauerwerk glatt verputzt, Sockel und Prellsteine aus Sandsteinquadern, Gewände und Schlussstein (JBF 1899) jedoch in Sandsteinfarbe aufgemalt, Abdeckung der Mauer hier in Zink, Torflügel aus braunen, senkrecht gefügten Brettern, oberer Abschluss derselben leicht geschweift, dadurch zwischen Tor und Torbogen etwas Luft lassend. – Im Vergleich ein eher schlechtes Beispiel ohne Originalsubstanz und historisches Flair; die Kopie einer Toranlage ist als Raumabschluss für den doppelt großen Hof dennoch sinnvoll.

Altkaditz 10 (Foto D. Lohse)

Altkaditz 10: massive Wand in zwei verschiedenen Höhen, verputzt außer der Bogenfassung und Randbereichen der Mauer, hier Sandsteinquader, Bogen mit Schlussstein (JGP 1799), Pforte mit Segmentbogen, hier Putzfaschen, Wand oben mit Dachziegeln als Pultdach abgeschlossen, Holztor und Tür senkrecht verbrettert (graugrün) mit Deckleisten (weiß), Öffnung ganz durch Torflügel geschlossen. – Gutes Beispiel der Erhaltung einschließlich der farblichen Behandlung, jedoch zu spielerischer Umgang bei der Sandsteinfreilegung.

Altkaditz 14 (Foto D. Lohse)

Altkaditz 14: gestaffelte Mauerhöhen, Mauern beidseitig in der Tiefe des Grundstücks fortgeführt, völlig verputzt und gestrichen (Hauptfarbe Altweiß, Teile rosa), Sandstein-Schlusssteine (Tor JAP Nr. 28, 1803, Pforte CGF 32), beidseitig Prellsteine vorhanden, Mauer mit Biberschwanzziegeln als Satteldach gedeckt, Tor und Pforte mit senkrecht verbretterten Flügeln (Braun), Oberteil der Torflügel in Lattenwerk aufgelöst. – Sehr gutes Beispiel, jedoch Farbe Rosa untypisch. Sollte die Farbe an den rötlich-braunen Porphyr erinnern, wäre es farblich auch daneben.

Altkaditz 15 (Foto D. Lohse)

Altkaditz 15: auch hier gestaffelte Mauerhöhen, Mauer bis auf charakteristische Sandsteinteile glatt verputzt, Tor und Pforte mit steinmetzmäßig bearbeiteten Sandsteingewänden, die seitlichen Gewände schließen am oberen Ende mit plastischen, kapitellartigen Ziergliedern ab, beide Öffnungen mit bemalten Schlusssteinen (Grund weiß, Rahmung und Schrift blau; Tor JCC 1816, Symbole Dreschflegel und Gabel, Pforte Nr. 11, Symbole Sichel und Messer (?)), Tor mit Prellsteinen, Verdachung mit »Bibern« in Satteldachform, grüne, senkrecht verbretterte Tür und Tor, wobei die Torflügel am Ansatz des Bogens horizontal enden und so der Bogen frei bleibt. – Ebenfalls ein sehr gutes Beispiel, jedoch wirkt die Mauerverlängerung mit inselartig freigelegten Sandsteinen etwas manieristisch. Interessant zu wissen wäre, ob für die Farben der Schlusssteine restauratorische Befunde vorlagen.

Wenn ich mich z.T. auch kritisch zum gegenwärtigen Zustand der Bögen äußere, soll das keineswegs eine Missachtung der bisher von Privatpersonen, Betrieben oder Denkmalpflegern ausgeführten Arbeiten an Mauern und Toren sein. Diese haben auf jeden Fall zum Erhalt dieser dörflichen Anlagen beigetragen und verdienen auch meine Anerkennung. Es sind persönliche Feststellungen eines Denkmalpflegers i.R., Anregungen, dass Gutes ggf. noch besser werden kann.

Dietrich Lohse

[V&R 2/2010, S. 3-6]

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