Mittendrin II

Foto: I.Meffert

Weinbergsbilder von Anita Rempe und Pit Müller in der Hoflößnitz
Es ist eine unendliche Geschichte: Eingewiegt in die sanfte Bewegung der steinernen Mauern, die, dem leichtwelligen Verlauf der Hänge folgend, dem Weinstock Lebensraum schaffen und dem Winzer Arbeit; eingesponnen und umgarnt vom rötlichen Geflecht der Reben, die ihre Daseinsfreude in immer weiter ausgreifenden Ranken ausspielen und ihre Lebenslust in saftige Trauben gießen; bestrahlt schließlich von der Sonne, die den Stein erwärmt; eingehüllt aber auch von grauen Nebelschwaden, die die Wirklichkeit in eine andere Dimension heben, dann und wann sogar von Schnee überrascht, der selbst zu unserer Zeit schon häufiger fiel – dort, immer mittendrin, sitzt der Maler mit Block und Stift und läßt die Dinge wirken.
Der Ereignisreichtum derartiger Lebensfülle in der Stille des Weinbergs – und wenn nicht gerade Traktoren oder Motorsensen unterwegs sind, ist es dort erstaunlich still – führte den Radebeuler Maler und Grafiker Peter Pit Müller mit logischer Konsequenz zur Ausstellung Mittendrin, die er vor zwei Jahren hier in der Hoflößnitz gemeinsam mit André Uhlig gestaltete. Damals also sind zwei Männer gemeinsam durch die Weinberge gewandert, haben gemalt und gezeichnet und eine erstaunliche Bildfülle mit nach Hause gebracht.
Es liegt nahe, daß es dabei nicht bleiben konnte. Eine unendliche Geschichte hat nun mal die fatale oder schöne Angewohnheit, immer wieder weiterzugehen. Pit ist, wie er selbst sagt, mit dem Weinberg einfach noch nicht fertig. Wer wollte ihn dafür tadeln? Wer wollte ihm gar zürnen, wenn er immer wieder in den Berg steigt – ja, durchaus auch mal mit einem guten Tropfen im Gepäck – und Erholung sucht für die geplagten Augen? Die können sich angesichts eines Reisighaufens entspannen, dessen grafische Raffinesse Pit zum Bild werden läßt. Wenn überall nur Ordnung herrscht, sagt der Maler dazu, wenn es nichts mehr gibt als rechte Winkel, muß die Wildnis gemalt werden. Unsere Augen brauchen etwas, woran sie sich festhalten können. Ganz nebenbei führt uns eine Ausstellung wie diese eindrucksvoll vor Augen, wie glücklich wir hier unter den Weinhängen sein können, mitten in der Stadt so viel lebendige grüne Natur zu haben. Weinbau, das darf an dieser Stelle nicht vergessen werden, ist hier im Elbtal vor allem auch Landschaftspflege.
Spätestens hier ergibt sich für Pit ein schöner Gleichklang mit seiner genialen Kollegin Anita Rempe. Sie sieht das scheinbar allgegenwärtige Chaos in den Köpfen trefflich gespiegelt im tausendfachen Durcheinander der Reben und Ranken. Gleichzeitig ist sie stets aufs Neue fasziniert von dem sich so störrisch gebenden Gestrüppe, das der Winzer mühsam zu bändigen sucht. Wie unser aller Leben auch, zeigt es immer wieder überraschende Wendungen.
Anita fühlt sich in Manchem den Reben nahe. In ihr wohnt ein ständig neu aufkeimendes Bedürfnis zum Anderssein, ein starker Wunsch nach Neubeginn. Sie könnte kein Bild zweimal malen.
Die diplomierte Grafikerin ist in Magdeburg geboren und seit zehn Jahren im Gauernitzer Fischerdorf ansässig. Dort hat sie sich im Überschwemmungsgebiet hochwassersicher eingerichtet. Natürlich entstehen da auch ihre Ölbilder, in denen sie ihre in der Natur gewonnenen Eindrücke auf immer wieder erfrischende Weise verarbeitet. Anita hat fürs Puppentheater gearbeitet und als Trickfilmzeichnerin. Ein paar Jahre lang war sie – wie Pit auch – Mitglied der Künstlergemeinschaft Atelier Oberlicht. Und wie Pit hat sie sich in einem Zusatzstudium der Kunsttherapie zugewendet. Das Studium und das daraus resultierende Papier waren nötig, therapeutisch arbeiten zu dürfen – es zu können, bedarf es noch ganz anderer Voraussetzungen. Da ist vor allem Einfühlungsvermögen gefragt. Dank ihrer unverstellten, munteren Begeisterungsfähigkeit fällt es Anita leicht, auf andere Menschen, vor allem auf Menschen, die anders sind, zuzugehen. Über viele Jahre hinweg haben beide dann in unterschiedlichen Einrichtungen und Projekten sehr segensreich wirken können. Ihre eigentliche Passion, die Kunst, haben sie dabei nie aus den Augen verloren.
Pit ist in Leipzig geboren, über Jahrzehnte hinweg aber zweifellos ein waschechter Radebeuler geworden. Er hat Glas- und Keramikmalerei gelernt und dabei ein solides Handwerkszeug erworben. Es spricht sich ja langsam wieder herum, daß die Kunst so ganz ohne Handwerk doch nicht auskommt. Pit hat dann an der Dresdner Hochschule Malerei studiert. Er ist seit 1982 selbstständiger Maler. Seine Sujets findet er in den vier Elementen. Besonders dem Wasser hat er im Laufe der Jahre viel Aufmerksamkeit gewidmet, wobei stets das fünfte Element, der alles verbindende Geist, durch die Hand mit aufs Bild kam.

Foto: I.Meffert

Die Hand hat das Malen gelernt über die Jahre. Das kommt ihm nun zu Gute, da die Sehkraft nachläßt – eigentlich Höchststrafe für einen Maler –, aber die Hand weiß auch so, was zu tun ist: Die Bewegungsabläufe sitzen einfach. Beim Wandern und Verweilen im Weinberg entstehen größerformatige Skizzen und manchmal auch Fotografien, die später zu Hause im Atelier zu Bildern komponiert werden.
Ein fröhlicher Zufall – Anita fremdelt ein wenig mit dem Wort, mir aber gefällt es, weil ich den Zufall persönlich nehme – ein fröhlicher Zufall also hat dafür gesorgt, daß sich Anita und Pit spontan entschlossen haben, das Thema Weinberge noch einmal gemeinsam für eine Ausstellung zu bearbeiten. Besonders für Anita ist es wichtig bei solch einer Aufgabe ein Gegenüber zu haben. Und schon saßen sie malend und zeichnend und schauend und vor allem atmend mittendrin zwischen den Reben. Wenn’s sein sollte, sind sie auch mal allein losgelaufen. Zudem haben sie Bild-Erfahrungen von außerhalb in ihre Betrachtungen einbezogen. So ist Pit besonders dankbar dafür, daß ihn sein Freund und Mäzen Frank Biermann nach Lanzarote eingeladen hatte. Dort, wo die Rebe in schwarzen Lavakratern gedeiht, haben die beiden Männer weinfreudig die Landschaft erkundet. So manches Bild dieser Reise ist hier zu sehen.
Und dann geschah etwas, das eigentlich gar nicht geschehen kann: Anita und Pit malen, unabhängig von einander im jeweils eigenen Atelier und freilich auf der Grundlage gemeinsamer Erfahrungen, die gleichen Bilder. Auf der Einladungskarte ist das eindrücklich zu sehen. Namen sind nicht wichtig, sagt der abgeklärte Pit dazu, wichtig ist das Bild, das Entstehen.
Nun, vielleicht sind Namen wirklich nicht wichtig. Aber wichtig ist, davon bin ich zutiefst überzeugt, die Persönlichkeit, die hinter einem Bild steht. Pit und Anita sind sich insoweit ähnlich, als sie beide ausgeprägte Persönlichkeiten sind. In ihren Weinbergsbildern scheint nach meinem Empfinden eine partielle Geschwisterlichkeit auf, ein Gleichklang der Begeisterung angesichts der Elemente. Diese Begeisterung ist es, die Begeisterung für die leichtwelligen sonnenbeschienen Hänge, für die seit Jahrhunderten gepflegten Trockenmauern und den Wein, die die unendliche Geschichte weiterleben läßt, wie die Reben, die alljährlich ihre Ranken ins Endlose strecken. Und ich hoffe, daß sich die Begeisterung nun auch auf die Betrachter überträgt und der Ausstellung den verdienten Erfolg beschert.

Thomas Gerlach

Die Ausstellung »Mittendrin II« ist noch bis zum 10. Dezember im Bergverwalterhaus der Hoflößnitz, Knohllweg 37, in Radebeul zu sehen, geöffnet Di–So von 10–18 Uhr.

Leserzuschrift zu:

Zu: Vorschau 10/23, Hymnische, „Einigkeit, Recht & Freiheit“

JA, ICH, Jahrgang 1953, Geburtsort Köln, „Wehrpaß“ Nummer TTMMJJK30117 Kreiswehrersatzamt Aachen vom 20.9.1972, BIN Kriegsdienstverweigerer.
In Vorbereitung der damaligen gerichtsartigen Verhandlung vor dem Ausschuss des Kreiswehrersatzamtes habe ich dank Hilfe meines katholischen Beistandes gelernt, was eine Gewissensentscheidung ist.
ICH kann seither den Unterschied von Notwehr und Nothilfe artikulieren. DAS war für mich als junger Mann, eine prägende Erfahrung, die bis Heute Bestand hat. Insofern war meine Einforderung des grundgesetzlich verankerten Rechtes der Kriegsdienstverweigerung kein einmaliger Akt, sondern eine bleibende Erfahrung für mein gesamtes Leben.
JA, ich bekenne mich als Fundamental-Pazifist und würde mir statt die in unseren Leitmedien gebetsmühlenhaft vorgetragenen Kriegsberichte die von Thomas Gerlach vorgetragene Lyrik aus der Oktober-Ausgabe des „Vorschau-Rückblick“ wünschen.
Begleitend empfehle ich auf örtlicher Ebene (Stadtbibliothek, Stadtgalerie) Filmabende mit den Filmen: Stanley Kubrick, 1964, „Dr. Seltsam oder wie ich lernte die Bombe zu lieben“ Dalton Trumbo, 1971, „Johnny zieht in den Krieg“ Romuald Karmakar, 1992, „Warheads“ mit den dokumentarischen Kapiteln „Mississippi, Special Aussault Scool, 1990“ „Französisch Guyana, 1991“ und „Gospic, Kroatien, 1991“.
Möglicherweise könnten solche „Bilder“ in den videospielgeprägten Jahrgängen nach mir einen Denkprozess initiieren, der mit „Büchern, beispielsweise „Die Waffen nieder!“ (Bertha von Suttner, 1889) nicht mehr zeitgeist- und bildungsmäßig zu vermitteln sind.

Heinz-Gerd Koch

Radebeuler Miniaturen

1623 – 2023:

400 Jahre Haus Möbius

XI
Haus und Abgrund

In strahlender Gewißheit eines nahen Sieges tritt Ulrike auf mich zu und hält mir das Oktoberheft unter die Nase: Meinst du nicht, flötet sie mit aller Süße, deren sie fähig ist, daß es sinnvoll wäre, ein Bild nicht nur zu erwähnen, sondern auch so zu erklären, daß sich die Leserschaft was drunter vorstellen kann – wenn dus schon nicht zeigen willst?!
Nun ja, sag ich leise, hast ja recht, da ist etwas schief gegangen. Das Bild ist irgendwie, nu, wie ein bißchen verloren gegangen. So was kommt vor. Aber hier ist es nun in voller Schönheit:
Es trägt den Titel „Zu Gast bei TG“, und es wirkt auf den ersten Blick tatsächlich so, als stünden Tisch und Wein auf der Straße. Die Kopie hat mir Familie Kronbach zugänglich gemacht (herzlichen Dank dafür!). Bei genauerem Betrachten – nun, das bleibe jeder und jedem selbst überlassen. Auf unserer „Laube“ steht das alles jedenfalls nicht…

Michael Hofmann Repro T. Gerlach

Klaus Schumann Repro T. Gerlach

Und ganz sicher kann sich auch jeder und jede vorstellen, daß es im Laufe der vierhundert Jahre so manches gab, das es nicht gab (und das demzufolge auch nicht vermißt wurde):
In den ersten rund zweihundertachtzig Jahren gab es keinen elektrischen Strom und demzufolge auch weder Heizlüfter noch Ventilatoren.
In den ersten rund dreihundertzwanzig Jahren gab es kein fließendes Wasser im Haus, nur einen Brunnen auf dem Hof.
In den ersten rund dreihundertvierzig Jahren gab es kein Radio im Haus und demzufolge weder Fußballreportagen noch „Alternative Fakten“.
In den ersten rund dreihundertfünfundsiebzig Jahren gab es keine Badewanne im Haus. Da das Haus aber gut durchlüftet ist, fiel das so gut wie gar nicht auf.
Und in den ersten rund dreihundertneunzig Jahren gab es im Haus kein Internetz – was waren das glückliche Zeiten – und demzufolge waltete auch vierhundert Jahre lang (wenn überhaupt) nur natürliche Intelligenz im Hause. Und das soll auch noch einige Zeit so bleiben!
Kriege gab es natürlich immer, obwohl die mit Sicherheit (von der Generalität mal abgesehn) keiner vermißt hätte. Fünfundsiebzig Jahre ohne Krieg, wie wir sie zuletzt erlebt haben, gab es noch nie. Wenn wir hoffen könnten, daß dieser Zustand noch etwas anhält, könnten wir davon ausgehen, daß unsere Nachfahren noch das Fünfhundertste feiern können. Das Haus jedenfalls wäre bereit…
Apropos feiern: Wein gab es natürlich auch immer. Der hilft in guten wie in weniger guten Tagen. Darauf sollten wir anstoßen, ohne Netz, aber mit klingenden Gläsern, auf daß es ihn auch weiterhin gibt.
Die jüngste Hausansicht stammt übrigens aus der Feder von Klaus Schumann. Auch sie ist der Erwähnung wert. Und wenns sein soll, gibt’s künftig nicht nur Wein, sondern auch das eine oder andere neue Bild. Aber darum werden sich andere kümmern …

Thomas Gerlach

Glosse?

„Der grüne Heinrich“

Vielleicht kann sich der Eine oder Andere noch an den „Grünen Heinrich“ erinnern. Wer das war und wo der lebte? Nicht nur die Radebeuler, die einst vom Dresdner West-Hang in die Lößnitzstadt zogen, werden ihn nicht vergessen haben, verbrachten sie doch im „Grünen Heinrich“ vermutlich so mache vergnügte Stunde.
Dort in Gorbitz wurde am 21. August 1981 für das größte Neubaugebiet Dresdens der Grundstein gelegt. Genau an dieser Stelle entstand weder ein Wohngebäude noch eine Schule, nein, sondern die spätere Wohngebietsgaststätte „Grüner Heinrich“. Wie die Gaststätte, die zunächst Bauarbeiter und Schulkinder mittags verpflegte und in der später bis zu 450 Gäste Platz gefunden haben, zu ihrem Namen gekommen ist, weiß ich eigentlich nur aus der Zeitung.
Für dieses für 45.000 Menschen konzipierte Wohngebiet soll es auch ein Kunst-Konzept gegeben haben. „Kunst am Bau“ muss offensichtlich auch schon in der DDR eine Rolle gespielt haben. Von derartigen Ideen habe ich bezüglich der Siedlung an der Waldstraße oder des Villenparks Altradebeul in unserer Stadt bisher noch nichts gehört. Im Nachhinein wurde von Privat ein Gedenkstein in der Waldstraßensiedlung aufgestellt. Sei es drum.
Den Namen „Grüner Heinrich“ hatte man sich von einem gewissen Gottfried Keller ausgeliehen. Der soll 1855 von Berlin kommend, nach Zürich reisend, in Dresden einen Zwischenstopp eingelegt haben. Da waren bereits die ersten drei Bände seines Romanzyklus Der grüne Heinrich erschienen, einer autobiografisch eingefärbten Lebensgeschichte von einem Mann, der als Kind den Spitznahmen „Grüner Heinrich“ wegen seines eigenartigen Mantels erhalten hatte.
Nun kam die Stadt Dresden 1904 auf die Idee, eine Straße nach dem Autor jenes Romans zu benennen, der mittlerweile zu einem der bedeutendsten Schriftsteller des bürgerlichen Realismus aufgestiegen war. Und wie es der Zufall so wollte, führte diese Straße ausgerechnet auch durch das spätere Baugebiet, auf dem 15.000 Wohnungen entstehen sollten.
Obwohl aus der Schweiz kommend, ist nun Gottfried Keller wahrlich kein unbedeutender Schriftsteller in deutschen Landen, auch wenn er in seinen jungen Jahren noch nicht so richtig wusste, was er mit sich anstellen sollte und seine Jugendzeit regelrecht verträumt und vertrödelt haben soll. Man kannte ja damals noch keine Discoschuppen oder Parkplätze vor Supermärkten. Aber einfach mal in Dresden aus dem Zug steigen und schon wird eine Straße nach dir benannt, das ist schon gewaltig. Wie oft bin ich schon  am Neustädter Bahnhof ausgestiegen…
Allerdings gibt es noch Steigerungen ungeahnter Art: Udo Lindenberg beispielsweise war nie in Radebeul und bekommt trotzdem ein hoch nobles Wandbild. Da strampelt man sich jahrzentelang ab und es merkt keiner! Da kannste warten bis de grün wirst! Aber offensichtlich fehlt mir dazu das entsprechende Likörglas.
Der Keller hingegen, das muss man ihm lassen, war schon ein feiner Mann. Der hat sich für seine Schweiz eingesetzt und die Neutralität gegenüber Napoleon verteidigt. Der Körner wiederum hatte den „Grünen Heinrich“ verteidigt – also der Matthias Körner, der Gorbitzer Stadtteilchronist – auch ein Dresdner. Genutzt hat es nichts. Abgerissen wurde die beliebte Wohngebietsgaststätte 2021 trotzdem. An deren Stelle steht heute ein großer Klotz mit 179 Studenten-Apartments.
Was das alles mit Radebeul zu tun hat? Es war auch ein Radebeuler Architekt, der beratend mit an der Umsetzung des Bauvorhabens beteiligt war. Daran kann man schon mal erinnern, meint

Euer Motzi.

 

Wir erinnern:

Hundertster Todestag von Architekt Ernst Ziller

Foto: Radebeuler Stadtarchiv

Ernst Moritz Theodor Ziller wurde am 22.06.1837 in Oberlößnitz als ältester Sohn des Baumeisters Christian Gottlieb Ziller geboren und starb am 20.11.1923 in Athen. Während seine Brüder Moritz, Gustav (sie firmierten als Gebr. Ziller) und Paul Ziller in der Lößnitz als Baumeister arbeiteten, hatte Ernst seine berufliche Entwicklung über Wien genommen und sich dann als Architekt in Athen niedergelassen. Die Firma Gebr. Ziller hatte in der 2. Hälfte des 19. Jh. ganz wesentlichen Anteil an der Gestaltung der Lößnitzorte. Ernst Ziller entwarf und baute bedeutende Häuser, darunter das Wohnhaus von Heinrich Schliemann und auch staatstragende Bauten in Athen und anderen griechischen Städten, er wurde da berühmt! In Radebeul hatte er durch Korrespondenz mit seinem Bruder Paul am Entwurf des späteren Karl-May-Grabmals mitgewirkt. Es ist schade, dass seine Entwurfsskizze für eine Kirche der Gemeinde Oberlößnitz nicht realisiert wurde.

Dietrich Lohse

 

 

Chorausfahrt 2023 in die Kunstblumenstadt Sebnitz

Die Ausfahrt startete pünktlich mit Gendritzki Reisen um 7:00 Uhr in Radebeul. Wie immer von Volkmar Kretzschmar perfekt und bis ins Detail geplant. Der kulturelle Teil begann mit einer sehr interessanten Führung durch die Schauwerkstatt „Kunstblume Sebnitz“. An den einzelnen Arbeitsplätzen konnten wir die aufwendigen Schritte vom Wickeln der Stiele über Schnitt und Pressung der Blütenblätter bis zum „Erblühen“ der fertigen Blume bewundern. Ein Film über die historische Entwicklung der Kunstblumentradition gab einen Überblick vom Start über die Blütezeit bis Gegenwart. Wir verabschiedeten uns hier traditionell mit einem kleinen Ständchen. Zu unserer aller Freude unter der musikalischen Leitung von Maria Schreyer.

Foto: Männerchor Radebeul e.V. „Liederkranz 1844“

Im Anschluss ging die Fahrt zum „Hertingswalder Gasthof“. Hier wartete zum Mittagessen eine gutbürgerliche Küche und leckere hauseigene Eierschecke.
Danach ging es zurück nach Sebnitz zu einer historisch heimatkundlichen Führung durch Sebnitz. Begonnen wurde auf dem Marktplatz in Sebnitz vorbei an historischen Gebäuden, am Denkmal des Scherenschnittkünstler Adolf Tannert. Die Führung endete passend auf dem „Sängerhof“ in Sebnitz.

Der Chor bedankte sich mit einem kleinen Ständchen bei der Stadtführerin. Weiter ging es mit dem Bus zum Panoramahotel Lilienstein in Ebenheit. Dort gab es ein Treffen mit dem Männerchor „Sächsische Schweiz“. Gesangseinlagen in der Tradition der Bergsteigerchöre trafen auf unsere Tradition der Weinlieder.

Ein gemeinsames Singen mit dem schönen Panoramablick auf den Königsstein beendete die diesjährige Chorausfahrt.
Timo Schneider 30.07.23
Schriftführer

Die Fahrtkosten für die Chorfahrt werden durch den Sächsischen Musikrat gefördert und mitfinanziert durch Steuermittel auf der Grundlage des vom Sächsischen Landtag beschlossenen Haushaltes.

Wie bunt ist Coswig wirklich?

Spaziergang mit Carl Romer durch die Große Kreisstadt Coswig (Teil 6)

Der Sommer neigt sich dem Ende, obwohl uns die Tagestemperaturen noch sehr verwöhnen. Ich sitze in meinem grünen Garten, genieße ein oder vielleicht zwei Glas Goldriesling, eine Sorte die ich selbst anbaue. Dabei blicke ich zurück auf meine sehr gute Weinernte, denn die Menge und auch die Qualität, hier mit 68 °Oe, sind ein Ergebnis des Jahres und meiner investierten Arbeit.
Wie seit langem lese ich Fontanes “Wanderungen durch die Mark Brandenburg”, da schreckt mich mein Handy beim Lesen aus dem Band 5 “ fünf Schlösser” hoch. Ich suche und finde es unter meinen gemachten Notizen, denn das eine oder andere Schloss muß ich unbedingt noch besuchen!
Ich hebe ab und höre die sehr erregte Stimme eines mir bis dahin noch unbekannten Bürgers aus Coswig. Er sagt, “Ich stehe gerade neben der Karrasburg im Garten und von der Stele herunter fordert mich Herr Romer auf, Sie sofort anzurufen und Sie zu bitten, in einer dringenden Angelegenheit sofort zu erscheinen!” Mehr konnte mir der erregte Bürger nicht übermitteln. Ich dachte, Herrn Romers Wunsch kann ich ja wohl nicht ausschlagen, denn wir haben ja schon diverse Spaziergänge durch unsere gemeinsame Heimatstadt gemacht.
Also rauf aufs Radel und schnell hin zur Karrasburg. Herr Romer bat mich gleich, dass ich ihn von der Stele herunter helfe. Gesagt getan, mussten wir uns auf die Ruhebank daneben setzen. “Was gibt es denn so dringend, dass Sie mich sofort zum Kommen bitten?” sagte ich umgehend. Ich war schon sehr über seine Erregtheit erstaunt, denn dies ist für sein Befinden nicht gerade förderlich.

Interkultureller Garten, der Bereich vom rot-weißen Band bis zur Grundstücksgrenze rechts soll für die Baumaßnahmen,gerodet werden. Foto: H. Trapp

“Lieber Herr”, begann er nach einem kurzen Luftholen,“Ich dachte immer, die Zeiten sind vorbei, aber gestern sitzen hier an dieser Stelle doch zwei mir nicht bekannte Angestellte der Stadtverwaltung und diskutierten über geplante Massnahmen zur Umsetzung des Baubeschlusses des Stadtrates zum Bau des kombinierten Rad- Fußweges “Grüner Westring”. Ich war also ein ungewollter Zeuge eines wohl noch nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Inhalts. Sie konnten ja nicht ahnen, dass ich weiter am Geschehen meiner Stadt teilhabe und dafür offene Ohren besitze. Denn in Erinnerung blieb mir sofort, dass Sie und Frau Obst mir im 2. Teil unseres grünen Spazierganges das Refugium des “Interkulturellen Gartens” zeigten und dabei schon auf den o.g. unredlichen Beschluss des Stadtrates vom 2.11.2022 zum Bau des Radweges hinwiesen. Dies habe ich nicht vergessen und Sie deshalb umgehend hierher bestellt”.
Ich war ebenso wie er erstaunt über den Inhalt dieser “abgehörten Nachricht”, denn davon hatte auch ich noch keine Kenntnis, obwohl die Hinweise aus den Ausschusssitzungen nichts Gutes erwarten ließen. Eine Nachfrage bei der UNB (Untere Naturschutzbehörde des Landkreises) erbrachte jedoch noch keinen neuen Sachstand zum erforderlichen naturschutzfachlichen Gutachten zum “Grünen Westring”, das die Stadtverwaltung im Baubeschluss durch ein Büro erarbeiten lassen wollte. Ebenso war die Stadtverwaltung von der UNB im Januar 23 neu beauflagt worden, das Gutachten zur Mountainbikestrecke zu überarbeiten.
Dies alles beunruhigte Herrn Romer sehr, denn wie kann man von einer “Grünen Stadt” sprechen, wenn eine grüne Zone fast im Zentrum der Stadt umgestaltet werden soll, ungeachtet der Notwendigkeit von sicheren Radwegen. “Habt Ihr denn keine Alternativen für die geplante Trasse von der Weinböhlaer Str. bis zum Hirtenweg prüfen lassen?”, wollte Herr Romer wissen. “Die haben wir selbst natürlich geprüft, ohne planerische Leistungen ausgeschrieben zu haben. Und wir gehen auch davon aus, dass dies reale Alternativen wären und einen unkomplizierten Trassenverlauf für sichere Radwege darstellen. Noch dazu kommt die Einsparung von Bauleistungen, die bei der Trasse im “Grünen Westring” jedoch den Haushalt der Stadt belasten”. Dabei informierte ich ihn aber auch über die ausgewiesenen Fördermittel von Bund und Landkreis. “Was ist dies aber alles gegen eine 8m breite Trasse durch dieses schöne Refugium des Gartens mit diversen geschützten Tieren und deren Rückzugsräumen”, antwortete er verärgert. Leider konnte ich ihn noch nicht über konkrete Zahlen des Beginns der Massnahme aufklären, denn nun muss ich selbst in die Spur gehen und Informatioen einholen.
Und nun heute am 7.10., ich wache auf und das Amtsblatt liegt im Kasten. mit dem Artikel der Stadtverwaltung zu “E-Fähren und Radwegenetz im Landkreis- Grüner Westring” und auch die SZ vom 7.10. mit dem Artikel “Hier werden Fördergelder mit Fördergeldern plattgemacht”, worin besorgte Bürgerinnen und Bürger ihre Besorgnis über den beschlossenen Bau des Radweges ”Grüner Westring” äußerten. Damit nimmt die Eskalation des Vorganges seinen Weg und wohin wird er führen?
Also düse ich sofort zu Herrn Romer und zeige ihm die besagten Artikel. Bloß gut, dass sein Haupt so fest auf der Stele verankert ist, denn er wäre fast von derselben gefallen. Dies konnte ich ja nicht zulassen und stützte ihn mit voller Kraft, um das kulturelle Erbe der Großen Kreisstadt Coswig zu erhalten. “Jetzt seid Ihr am Zuge, um dieses Vorhaben zu stoppen”, forderte er mich sehr energisch auf. “Dies wird nicht so leicht sein”, erwiderte ich.
“Die Mehrheitsverhältnisse im Stadtrat sind unberechenbar und durch die bisherige Unkenntnis der Bevölkerung dazu, wird es ein steiniger Weg der Verhinderung werden. Mal sehen, was der Fördermittelgeber für “efair” zur Beseitigung von Grün in einem Klimaprogramm dazu sagen wird”, versuchte ich Herrn Romer zu beruhigen. “Lieber Herr Romer, entschuldigen Sie mich nun für heute, ich muss los und die Coswiger wie auch immer wachzurütteln, was hier in ihrer Stadt passiert. Ich komme bald wieder, um Sie auf dem Laufenden zu halten. Bleiben Sie weiter aufmerksam, wenn Sie hier im Garten Infos aufschnappen!”
”Gehen Sie nur, lieber Herr und tun Sie Ihre Bürgerpflicht, denn soviel ich in der heutigen Zeit schon mitbekam, haben wir jetzt Demokratie.
Donnerwetter, dachte ich, was dieser weise Mann so alles sagte!
Und nun an die Arbeit!

Eberhard Bröhl

BISMARCKTURM hat jetzt wieder einen gestalteten Vorplatz

Foto: D. Lohse

Ein paar Mal habe ich es schon erlebt, wenn ich Freunde zum Aussichtspunkt Bismarckturm begleitet hatte, dass ich mich für Pfützen und da herumliegenden Abfall entschuldigen musste. Es war lange ein unwürdiger Zustand für die Touristenstadt Radebeul, die man ja sein möchte.
Nach 2000 hatte die Stadt als erste Etappe begonnen, die Fläche vor der Südseite des Turmes als Aussichtsterrassen mit Treppen und Bänken neu zu gestalten. Die Vorbereitung der nächsten Etappe, der baulichen Sicherung und Umgestaltung des von Architekt Wilhelm Kreis entworfenen und 1907 errichteten Bismarckturms, dauerte von 2015 – 19 etwas länger. Der Turm sollte nun eine innere Treppe mit Aussichtsplattform erhalten, wozu ein Zusammenwirken der Stadtverwaltung und dem „verein für denkmalpflege und neues bauen“ vereinbart wurde. Eine recht anspruchsvolle und schließlich gut gelöste Aufgabe!

Foto: D. Lohse

Die dritte Etappe im Jahr 2023, die ich heute vorstellen möchte, betraf dann die Gestaltung des nördlichen Vorplatzes. Sie wurde im dritten Quartal d.J. bis auf eine Restarbeit (regulierte Wasserableitung am Eggersweg) abgeschlossen. Von der ursprünglichen Gestaltung des Platzes von 1907 war bis auf die Reihung von Stieleichen nichts mehr zu erkennen. In diesem Frühjahr war ich zufällig hier vorbeigekommen als die Arbeiten begannen und war froh, dass diese Maßnahme nun endlich realisiert werden sollte. Dann war ich Anfang September wieder hier oben gewesen und konnte das fast fertige Ergebnis der Vorplatzgestaltung sehen. Restliche Bauzäune, die das Anwachsen des Grases gewährleisten sollten, sind inzwischen auch verschwunden.
Die 3. Etappe lag zuständigkeitshalber wieder wie die südlichen Terrassen in den Händen der Stadtverwaltung Radebeul. Das Landschaftsplanungsbüro Knibbe hatte ein Projekt erarbeitet. Straßen- und Tiefbauarbeiten erbrachte die Firma Hausdorf aus Thiendorf und für die landschaftsgärtnerischen Arbeiten war die Firma Kohout aus Elstra zuständig.

Foto: D. Lohse

Betrachten wir nun die Gestaltung der Anlage etwas genauer. Man wird axial im Sinne der Turmachse (Eingangstür) zum Bauwerk hingeführt. Vor dem Turm erweitert sich die Wegbreite zu einem viereckigen Platz, der durch eine etwa sitzhohe Sandsteineinfassung von den Rasenflächen getrennt wird. Diese Rechteckform des Platzes setzt sich bewusst von der Kreisform (Grundriss) des Bismarckturms ab. In die Sandsteineinfassung sind umlaufende Lichtstreifen zum Platz hin installiert, die die Beleuchtung gewährleisten sollen. Auch Papier- und Abfallkörbe wurden in den Vorplatz integriert. Außerhalb der Sandsteinstreifen (Postaer Sandstein) schließen sich Rasenflächen bis zu den Bäumen hin an. Die unmittelbare Wegfläche wurde mit Granitkleinpflaster belegt, die Platzerweiterung erhielt eine sächsische Wegedecke. Parallel zur verlängerten Spitzhausstraße wurden längliche Gräben als Verdunstungsmulden in die Rasenfläche eingefügt, da eine Kanalisation nicht vorhanden war und eine Abspülung des Erdreichs von den angrenzenden Hangflächen unerwünscht war. Die planierte Platzfläche erhielt ein optisch kaum wahrnehmbares Gefälle in Richtung der Mulden, also vom Turm weg. Der alte, etwa hundertzwanzigjährige Baumbestand von Stieleichen, konnte erhalten und um eine Neupflanzung ergänzt werden. Eine Spendenbox und eine Hinweistafel vor dem Eingang wurden bereits in der zweiten Bauetappe (Turm) aufgestellt.

Foto: D. Lohse

Durch die o.g. drei Etappen konnte das Ensemble Bismarckturm zur Freude der Radebeuler und der Gäste unserer Stadt wesentlich aufgewertet werden. Hoffen wir, dass die „Sprayergilde“ den frischen Sandstein hier verschonen möge. Bei einem abendlichen Besuch des Bismarckturmes sah ich dann die eingeschaltete Beleuchtung. Gut gedacht, aber je nach Standpunkt wird man etwas geblendet. Vielleicht kann man die Leuchtstärke mit technischen Mitteln (Dimmen?) und ohne großen Aufwand ein wenig reduzieren?
Laut Auskunft des Gartenamtes im Rathaus wird sich die Gesamtbausumme um ca.
310.000€ belaufen.
Ich danke Frau Seidel vom Gartenamt für ihre freundliche Auskunft.

 

Dietrich Lohse

Tabula Rasa – Tanzen verbindet…oder?

Eindrücke von einem ungewöhnlichen Tanzprojekt an den Landesbühnen

Ja, Tanzen verbindet, wie man im September am Beispiel einer Koproduktion der Landesbühnen Sachsen mit Tänzern der „ich bin o.k.“ Dance Company aus Wien sehen konnte. „Tabula Rasa – ein inklusives Tanzprojekt“ wurde nach Voraufführungen in Wien Mitte September drei Mal auf der Studiobühne der Landesbühnen uraufgeführt und dem überwiegend jugendlichen Publikum präsentiert. „Tabula Rasa“ ist die Fortsetzung einer schon länger bestehenden Kooperation beider Ensembles, die uns schon tolle Stücke, wie im letzten Jahr den „Nussknacker“, erleben ließ. Die Kooperation ist Teil eines von der EU geförderten Projekts, das den Tänzern unter anderem auch Auftritte in Norwegen ermöglichte. „Tabula Rasa“ wurde seit Februar in sechs Probenphasen von ungefähr je einer Woche Dauer vorbereit, denn die Mitwirkenden aus Wien mussten dafür ihren Urlaub nutzen.
Die „Ich bin O.K.“ Dance Company wurde vor 45 Jahren durch die Mutter des heutigen künstlerischen Leiters Attila Zanin mit der Vision der „Förderung der gesellschaftlichen Inklusion von Menschen mit und ohne Behinderung durch Tanz und Theater“ ins Leben gerufen. Und diese Vision haben sie bis jetzt in beeindruckender Weise mit Leben erfüllt, denn neben der Kooperation mit den Landesbühnen Sachsen war die Wiener Company noch an vielen weiteren inklusiven Tanzprojekten beteiligt. Dazu gehörten z.B. die Teilnahme eines Debütantenpaares mit Down-Syndrom am Wiener Opernball, die Mitwirkung an der Eröffnungs- und Abschlussshow der Special Olympics World Winter Games 2017 oder die siegreiche Teilnahme an internationalen Tanzwettbewerben in Wien und Moskau.
„Tabula Rasa“- reinen Tisch machen. Der Titel der jüngsten Produktion zieht sich auch ganz augenfällig durch das Stück, das aus einzelnen nicht zwingend zusammenhängenden, aber doch ähnlich aufgebauten Szenen besteht. Aus den Interpretationen verschiedener Alltagsmomente durch die fünf Wiener Tänzerinnen und Tänzer mit Behinderung und den beiden Akteuren aus der Tanzcompagnie der Landesbühnen (Marianne Reynaudi und Gavin Law) entstehen doch immer ein Dialog und ein Zusammenspiel. Tanzend erzählen die Künstler von Alltäglichem wie dem Kochen, von Gruppendynamiken, vom Ausgeschlossensein und vor allem davon, dass Geld und Erfolg vielleicht nicht alles sein sollten was im Leben zählt. Dass die Gemeinschaft wichtiger ist und wir wahrscheinlich vor allem eines brauchen, nämlich eine Tabula Rasa, einen Neuanfang im Umgang mit Menschen mit Behinderung. Wir werden aufgefordert, die Welt unvoreingenommen zu betrachten, alle Lebewesen als wertvoll anzuerkennen und uns nicht von der Last von Goldketten am Hals in unserer Mitmenschlichkeit runterziehen zu lassen.
Was Stücke wie diese besonders macht ist natürlich die Zusammenarbeit zwischen den Profitänzern und den Menschen mit Trisomie 21. „Die Tänzer mit Trisomie 21 tanzen einfach so, wie sie sich selber sehen“, so Atilla Zanin. Während die Profis vor allem Technik und Perfektion in die gemeinsame Arbeit bringen, tragen die Menschen mit Behinderung ein Gefühl von Ungezwungenheit, Spontaneität und Freiheit bei. Und genau deswegen sind Stücke und Projekte wie diese auch so wichtig und wünschenswert für die Förderung von Toleranz und Inklusion. Denn sie zeigen, dass wir von jedem Mitglied der Gesellschaft lernen können und lernen sollten. Denn ich glaube, in einer Welt, wie wir sie gerade haben, die geprägt ist von Leistung als dem Qualitätsmaßstab schlechthin, vergessen wir manchmal, was wirklich zählt. Nicht perfekt zu sein ist okay und macht uns zu den Menschen, die wir wirklich sind. Vielleicht sollten wir alle mal auf leere Tische steigen und tanzen – und schauen, was das mit uns macht.

Helene Ploschenz
Kl. 11 Lößnitzgymnasium Radebeul

Ein Kötzschenbroda-Roman von Anja Hellfritzsch

Foto:Radebeuler Notschriftenverlag

Romane, deren Handlung in Radebeul bzw. den Ursprungsgemeinden angesiedelt ist, sind äußerst selten. Man denkt da zuerst an Tine Schulze Gerlachs „Erinnerung an Maurice“ aus dem Jahre 1969, und manche kennen „Kokeros“ von Christian Grün.
Nun ist ein knapp 350-Seiten-Werk erschienen, was uns ein paar Jahre in Kötzschenbroda Ende des 19. Jahrhunderts eindrucksvoll und lebensnah miterleben lässt: „Haltepunkt Kötzschenbroda“.
Die Autorin Anja Hellfritzsch hat sich durch eine Akte („Weggang des Gemeindevorstandes Vogel“) im Stadtarchiv zu intensiven Recherchen inspirieren lassen und dann literarisch die Fäden zwischen den Fakten gesponnen.
Und so sind wir dabei und mittendrin, als Hermann Ilgen die Apotheke auf der Bahnhofstraße übernimmt, modernisiert und mit Rattengift experimentiert, wie der Gemeinderat im Harmonieschlößchen bei Bier und Tabak tagt, wie die 400-Jahre-Lutherfeier in der späteren Friedenskirche begangen wird, wie August Kaden mit neuen sozialen Ideen aneckt und und und.
Aber Mittelpunkt der Handlung ist der Gemeindevorstand Woldemar Vogel, der anerkannt und souverän die Gemeinde führt, im Amt auf der Harmoniestraße 3 „residiert“, dort ganz routiniert den (noch) mittellosen Gerhart Hauptmann mit der reichen Marie Thienemann vermählt und eine nach außen mustergültige Ehe führt.
Doch der Schein trügt. Den Tod seiner ersten Ehefrau verkraftete Vogel nicht, die jetzige ist eine Zweckehe, seine Apotheke hatte er damals verkauft an jenen Hermann Ilgen, nun ist jede Neuerung an ihr ein Angriff auf all die schönen Erinnerungen, wie er auch sein gesamtes Bild von Kötzschenbroda konservieren möchte. Allerdings drängt die Zeit vorwärts mit damals irritierenden Neuerungen wie Elektrizität, Telefonie, Industrialisierung, Sozialdemokratie und zunehmenden Tourismus. Stoff für Konflikte. Die Fassade des Gemeindevorstandes Vogel beginnt zu bröckeln, und es endet in einer Tragödie.

Autor


Roman
346 Seiten, Klappenbroschur
mit einigen historischen Fotos und Abbildungen
16,90 €

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