Abflughafen Radebeul-Mitte

Spielzeitauftakt zu „Last Call“ Foto: R. Jungnickel

Zum Spielzeitauftakt „Last Call“ an den Landesbühnen am 14.10.2023

Nachdem die Landesbühnen Sachsen erstmals in der Spielzeit 2009/10 mit dem „Umbrüche“-Projekt den Versuch unternommen hatten, an einem Abend mehrere Stücke parallel auf drei Zeitschienen anzubieten, sie dieses Format 2014/15 und 2015/16 unter dem Motto „Irrtümer“ fortgesetzt hatten, trommelten sie jüngst zur Spielzeiteröffnung 2023/24 mit „Last Call“ die Theaterenthusiasten nach Radebeul-Mitte, um ein vergleichbares Projekt zu stemmen. Man mag darüber streiten, ob die Fülle an Angeboten wirklich nötig ist, um die beachtliche Vielfalt des Repertoires des Mehrspartenhauses unter Beweis zu stellen. Die Struktur des Abends sieht vor, dass sich die Besucher zuerst auf vier Stücke verteilen, sich danach alle im Großen Saal einfinden, sie sich abermals trennen um schließlich zur vierten Aufführung wiederum im Großen Saal zusammenzukommen. Insgesamt gibt es sieben verschiedene „Gates“, an den sich die „Passagiere“ einfinden können (ein Lob für die pfiffigen „Bordkarten“, also die Programmzettel). Intendant Manuel Schöbel möchte den Spielzeitauftakt als eine Einladung ins Theater verstanden wissen, „in eine zauberhafte Welt, eine Welt der tausend Möglichkeiten, an einen Ort, an dem Träume wahr werden, wo alles möglich erscheint“. Der Theaterdirektor aus Goethes „Faust“ mag hierbei insgeheim Pate gestanden haben, denn „wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen“. Hinzu kommt, dass die Landesbühnen seit 2022 ihr Leitungsteam personell neu aufgestellt haben und demzufolge Kai Anne Schuhmacher (Operndirektorin), Natalie Wagner (Leiterin der Tanzcompagnie und Chefchoreografin) sowie Jan Meyer (Oberspielleiter Schauspiel) zusammen mit Intendant und Chefdramaturgin Dr. Ruth Heynen einen solch opulent ausgestatteten Abend verantworten und sich damit en bloc zusammen mit ihren Ensembles dem Publikum präsentieren können.
Manuel Schöbel erklärt im Jahresspielplanheft den auf den ersten Blick befremdlich anmutenden Titel „Last Call“ mit dem Hinweis auf einen „letzten Aufruf“ (wie vor dem Abflug eines Flugzeuges) an das Publikum, gemeinsam Gefährdungsszenarien unserer Zeit auf ihre Relevanz für uns im Jetzt und Hier zu befragen. Die vier von mir besuchten Stücke beziehen sich in ganz unterschiedlicher Weise auf diesen Ansatz und vermochten nur teilweise die Erwartungen zu erfüllen. „Atmen“, ein Zweipersonenstück von Duncan Macmillan, hatte bereits im April 2022 Premiere und gehört seither zum Repertoire (Regie: Moritz Gabriel). Julia Rani und Grian Duisberg stehen für schauspielerische Exzellenz und loten in dem 75 Minuten dauernden Kammerspiel Höhen und Tiefen einer Paarbeziehung aus. Ihr intensives Spiel zieht in den Bann und eröffnet eine sehr private, geradezu intime Perspektive auf den „last call“. Wie geht verantwortungsvolle Familienplanung heute angesichts Klimakrise und Überbevölkerung? Sollten die 10000 Tonnen CO², die ein Mensch im Laufe seines Lebens durchschnittlich verursacht, ein Grund dafür sein lieber kinderlos bleiben zu wollen? Ist der altruistische Gedanke, der Erderwärmung nicht auch noch durch Fortpflanzung Vorschub zu leisten, nicht am Ende nur eine egoistische Geste, die auf die eigene Komfortzone verweist? Das Stück, welches bis kurz vor Ende zwischen Aufgabe des und Hingabe an den Partner schwankt, endet versöhnlich.
Als eine von insgesamt vier Uraufführungen (!) an diesem Abend konnte das Publikum eine Komposition von Hans-Peter Preu erleben, dessen „Letzte Rufe aussterbender Arten“ als eine „Kantate über die Zukunft der Lebewesen auf diesem Planeten“ untertitelt ist, worunter auch der Mensch selbst als gefährdete Art fällt. Dieses Stück (Künstlerische Leitung: Tine Josch; Musikalische Leitung: Karl Bernewitz; Choreografie: Natalie Wagner) folgt einer ungewöhnlichen Grundidee: Textpassagen von der Bibel bis hin zur Gegenwart, die jeweils auf das Entstehen und Verschwinden von Lebewesen bezogen sind, vertonte Preu auf musikalisch sehr heterogene Weise und schafft eine von Tänzern illustrierte Klangwelt. Wird etwa der Entstehung der Welt mit Texten aus der Genesis ein mystisches musikalisches Gewand umgelegt (hier kommt ein Duduk genanntes Instrument zum Einsatz), erklingt wenig später eine die Werbeindustrie persiflierende tanzbare Nummer im Stil der 1920er, in der man nach Eberswalde zum „Friedhof der ausgestorbenen Tiere“ eingeladen wird. Die abwechslungsreiche musikalische und textliche Gestaltung verlangt dem Opernchor, den beiden Musikern (Hans Peter Preu am Klavier, Stephan Pankow an der Gitarre) und vor allem dem Publikum einiges ab. Wer nicht bibelfest ist wird sich fragen, was die neutestamentarische Erzählung über Lazarus damit zu tun hat, dass der neuseeländische Takahe (eine Vogelart) doch nicht ausgestorben ist… Etwas unklar bleibt die Rolle der Schauspielerin, die an diesem Abend von Dörte Dreger verkörpert wurde. Nachvollziehbar ist der Ansatz, dass sie das Geschehen durch ausgewählte Texte kommentiert. Warum sie dabei aber manchmal abliest, manchmal rezitiert, manchmal am Rand sitzt, sich dann wieder geisterhaft zwischen den Choristen durchschiebt wird nicht plausibel, sondern lenkt vom musikalischen und tänzerischen Geschehen ab. Insgesamt aber ist Preus Komposition ein mutiger und gelungener Versuch, einen „letzten Aufruf“ in die Welt zu schicken, sich für die Bewahrung der Schöpfung einzusetzen.
Mit dem Hinweis auf eine „schräge“ Darbietung entließ mich ein mir bekannter Mitarbeiter der Landesbühnen dann in die Studiobühne, wo mit „Eight songs for a mad king“ (Inszenierung: Kai Anne Schuhmacher) ein avantgardistisches Monodram des britischen Komponisten Peter Maxwell Davies aus dem Jahr 1969 auf dem Programm stand. Tatsächlich kommt diese gut halbstündige Performance als akustische Herausforderung daher, weil Andreas Petzoldt als König Georg III. die ganze ihm zur Verfügung stehende Skala an Tönen und Lauten ausschöpfen muss, um den von Wahnsinn heimgesuchten Regenten, der sich mit Vögeln unterhält, zu verkörpern. Das kleine Orchester unter Leitung von Karl Bernewitz muss damit leben, weniger Harmonie als vielmehr Kakofonie hervorbringen zu müssen, was die Hörgewohnheiten des Publikums auf die Probe stellt. Erfreulicherweise bot Dramaturgin Gisela Zürner nach der Aufführung ein kurzes Nachgespräch an, um Hintergründe dieser bereits in der Spielzeit 2022/23 produzierten Inszenierung auszuloten. Keineswegs ist es als ironischer Kommentar bezüglich der Tatsache zu deuten, dass mit König Charles III. erstmals seit 70 Jahren wieder ein männlicher Herrscher der britischen Monarchie vorsteht. Stattdessen soll auf das Problem aufmerksam gemacht werden, dass Machthaber, die nicht mehr Herr ihrer Sinne sind, womöglich nicht nur ein historisches Phänomen, sondern auch in der Gegenwart anzutreffen sind und also die Existenz von Menschen und Völkern gefährden.
Der Abend, der unterdessen mehr als eine halbe Stunde Verzögerung zum eigentlich vorgesehenen Zeitplan aufwies, wurde ab 22.20 Uhr mit der Groteske von G.A. Beckmann „Die große Reblauskatastrophe“ beschlossen. Dieses Stück in der Regie von Jan Meyer ist ein Auftragswerk und soll einen „wilden und trashigen Ritt durch die sächsische Geschichte“ (Programmheft) vermitteln. Diesen Ritt empfand der Großteil des Publikums allerdings als ziemlich holprig, denn abgesehen von Ausnahmen regten sich die Hände zum Applaus nur zögerlich und gingen die meisten mit Fragezeichen aus dem Saal. Die Grundidee, mehrere Zeitebenen von Sachsens Geschichte (im Stück als „Saxon Wonderland“ bezeichnet) ineinander zu blenden und die religiösen Konflikte des 30-jährigen Krieges mit der Reblauskatastrophe des späten 19. Jahrhunderts und den gegenwärtigen politischen und gesellschaftlichen Verwerfungen in eine Story zu bringen trägt nicht und wirkt bemüht. Die Figuren bleiben in ihrer Funktion und Motivation weitgehend unklar und bevölkern eine Bühne, auf der am Ende eine Atombombe durch Prof. Dr. Rotbart Stockenheimer (lies: Robert Oppenheimer) alle Probleme löst. Natürlich weitet die Genrebezeichnung „Groteske“ die akzeptabel empfundenen Stilmittel aus, aber ob man mit dem Entsetzen so Scherz treiben sollte möchte ich bezweifeln – noch dazu in unserer durch ganz reale Kriegsereignisse so gefährdeten Zeit. Ebenso ist es zu hinterfragen, ob es – wie gesprächsweise vernommen – eine gute Idee ist, dieses Stück in Settings wie der Hoflößnitz aufzuführen, also in einer intakten Kulturlandschaft, deren Bewahrung und Pflege den Radebeulern seit Generationen Herzensanliegen ist und denen man also darauf bezogene „letzte Aufrufe“ nicht mit dem Holzhammer in der Hand entgegenbrüllen muss.
Was also bleibt vom Spielzeitauftakt an den Landesbühnen? Ein großer Dank an die vielen Mitwirkenden aus allen Bereichen, die mit Liebe zum Detail an allen Ecken und Enden des Hauses Anreize setzten, sich willkommen zu fühlen (u.a. Gaukler vor dem Eingang, Musiker am Wunschklavier, „Fluglotsen“ in Person von Schülern aus dem Jungen Studio der Landesbühnen, Vertreter einer Blumensamenbank draußen im Hof). Respekt für die künstlerische Potenz des Hauses, dessen konzeptionelle, personelle, räumliche und technische Ressourcen ein Segen für Radebeul und die Theaterlandschaft in ganz Sachsen sind. Es ist mehr als erstaunlich, dass man sich einen Kraftakt wie „Last Call“ gleich fünfmal zugemutet hat (nicht nur am 14.10., sondern überdies vom 19.-22.10.) Leise Zweifel, ob man nicht das Publikum kräftemäßig mit einem mehr als fünfstündigen Programm überfordert, ohne dass zwischendrin ausreichend Zeit für ein Getränk oder einen Imbiss ist – die Schlangen am dünn besetzten Tresen waren lang, die Getränke durften nicht mit zu den Spielstätten genommen werden. Große Zweifel, ob wirklich alle Inszenierungen dem Anspruch gerecht werden, einen sinnstiftenden Beitrag zum Motto des Abends zu leisten. Vielleicht wären weniger Abflüge mit dafür größeren Maschinen ja doch besser gewesen.
Bertram Kazmirowski

45. Radebeuler Grafikmarkt

Zwischen Tradition und Perspektive

Wieder einmal ein Jubiläum! Nein, kein besonders Rundes, dafür aber ein recht bemerkenswertes. Denn der 45. Radebeuler Grafikmarkt ist der älteste Grafikmarkt in Sachsen in geschlossener Folge. Weder der gesellschaftliche Umbruch noch der Umzug von Ost nach West, selbst die Corona-Pandemie führten zu einer Unterbrechung. Immer wieder wurden organisatorische Lösungen gefunden, um die Fortführung dieser traditionsreichen Veranstaltungsreihe zu ermöglichen.
Die Anregung, in Radebeul einen Grafikmarkt zu etablieren, kam ursprünglich von Fritz Treu (1908-2009), dem damaligen Vorsitzenden der Radebeuler Pirckheimer-Gesellschaft, einer Vereinigung von Graphik- und Exlibris-Sammlern. Der Start erfolgte 1979 im Rathaus unter Beteiligung von 24 Künstlern. Nach Auflösung der Ortsgruppe des Kulturbundes, in welche die „Pirckheimer“ eingebunden waren, übernahm die Stadtverwaltung Radebeul ab 1990 die Trägerschaft. Die Organisation obliegt seitdem der Stadtgalerie. Wo ein Wille ist, findet sich immer wieder ein Weg!
Aber auch der Weitsicht unserer Vorfahren ist es zu danken, dass in Radebeul eine so großräumige Mehrzweckhalle existiert, welche im Jahr 1908 ursprünglich als offene Schützenhalle errichtet, später mehrfach umgebaut, u. a. als Sänger-, Konzert- und Messehalle sowie heute vorwiegend als Sporthalle genutzt wird. Mit einer Ausstellungsfläche von 900 qm und zahlreichen PKW-Stellplätzen auf der angrenzenden Festwiese bieten sich optimale Bedingungen für diese kulturelle Großveranstaltung. Zu den Standortvorteilen gehört vor allem aber auch die gute Erreichbarkeit mit S-Bahn, Bus und bald wieder mit der Straßenbahn.

Plakat zum 3. Radebeuler Grafikmarkt, Heinz Drache (1929-1989), Weinberg „Goldener Wagen“, 1981, Lithografie

Der Radebeuler Grafikmarkt ist im doppelten Sinne barrierefrei. Alle Stationen befinden sich auf einer Ebene und der kostenlose Eintritt – Dank städtischem Zuschuss und vieler ehrenamtlicher Helfer – ermöglicht den Zugang für jedermann. Auch das Standgeld für die 107 teilnehmenden Künstler ist erschwinglich. Die Zahl der Bewerbungen übersteigt die Platzkapazität allerdings bei weitem. Dominiert wird der Grafikmarkt in diesem Jahr von 22 Künstlern aus Radebeul und 44 aus Dresden. Gleich 5 Künstler haben sich aus Halle an der Saale angemeldet. Besonders für freischaffende Einzelkünstler, die in kleineren Städten und Gemeinden leben, haben die in Dresden, Meißen und Radebeul stattfindenden Grafikmärkte eine große Bedeutung.
Wer beim Radebeuler Grafikmarkt schon einmal dabei war, der kommt gern immer wieder. Die vielgescholtene „Schlafstadt Radebeul“ zeigt sich hier von ihrer munteren Seite. Sehen und gesehen werden lautet die Devise. Das Publikum ist bunt gemischt, darunter Kunstinteressierte, Neugierige und Sammler. Die einen kommen zielgerichtet, um zu kaufen, die anderen, um erstmal zu „guggn“. Die Fülle der Eindrücke ist überwältigend. Das vielfältige Angebot umfasst neben druckgrafischen Arbeiten auch Aquarelle, Zeichnungen, Scherenschnitte, Collagen und Fotografien. Die Werke stammen von etablierten, akademisch ausgebildeten, aber auch von jungen, noch völlig unbekannten Künstlern sowie von begabten Autodidakten. Künstlerbücher, Kataloge, Plakate, Kalender und Postkarten tragen zur Angebotsvielfalt bei. Wer hier keine Weihnachtsgeschenke findet, ist selber schuld!
Eine kleine Pause sollte man sich im Künstlercafé gönnen und ein Stück vom selbstgebackenen Kuchen des Förderkreises der Stadtgalerie probieren, zumal das süffisante Motto lautet: Jede Kalorie dient einem guten Zweck! Die optische Ausgestaltung des Cafés erfolgt durch die überregional agierende Gruppe „Kunstspuren“ und das diesjährige Grafikmarkplakat schuf der Dresdner Künstler Hartmut Trache. Der Radebeuler Künstler André Uhlig wiederum zeigt, wie eine Grafik an der Presse entsteht. Stationen zum Mitmachen gibt es für Kinder und Erwachsene. Angeboten wird ein Passepartouts- und Rahmungsservice, Verlage informieren über ihre Neuerscheinungen und der Wandertheaterförderverein präsentiert seine Weinsonderedition mit einem originellen Künstleretikett. Auch die Redaktion von „Vorschau & Rückblick“ ist wieder mit einem eigenen Stand vertreten, um mit den Lesern ins Gespräch zu kommen oder neue Interessenten zu gewinnen.
Auf die Frage, was denn nun die Künstler reizt, am Radebeuler Grafikmarkt teilzunehmen, kommt von vielen die erstaunliche Antwort, dass es Ihnen nicht in erster Linie um den Umsatz geht. Angezogen fühlen sie sich von der besonderen Atmosphäre. Es ist die Nähe zum recht bodenständig gemischten, kommunikationsfreudigen und aufgeschlossenen Publikum, der direkte Austausch über Kunst, die seltene Gelegenheit zum Fachsimpeln mit den Kollegen, die Möglichkeit alte Kontakte aufzufrischen und neue zu knüpfen. All das wirkt sich in seiner Komplexität motivierend und nachhaltig auf das künstlerische Schaffen aus. Wer sich darauf einlässt, vor Ort präsent zu sein, ist danach zwar ziemlich erschöpft, aber wohl auch ein wenig glücklich über die vielen anregenden Impulse.
Wenn der Radebeuler Grafikmarkt von allen Beteiligten weiterhin so engagiert mit Leben gefüllt wird und die verantwortlichen Organisatoren die künstlerische Qualität als Auswahlkriterium im Blick behalten, kann man recht zuversichtlich sein, dass diese traditionsreiche Veranstaltungsreihe auch künftig eine gute Perspektive hat.

Karin (Gerhardt) Baum


Info: Der Radebeuler Grafikmarkt findet am 5. November 2023 von 10 bis 18 Uhr in der Elbsporthalle Radebeul-West statt. Organisation, Kontakt und Information: Stadtgalerie Radebeul, Alexander Lange und Magdalena Piper, (0351) 8311-600, -626, galerie@radebeul.de
Der Grafikmarkt-Flyer ist online abrufbar und liegt außerdem im Radebeuler Rathaus, dem Kulturamt, der Stadtgalerie, der Tourist-Information sowie in allen Radebeuler Kultureinrichtungen und Buchhandlungen aus.
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Tipp: Interessante Lesebeiträge zur wechselvollen Geschichte des Radebeuler Grafikmarktes finden sich u.a. in den Print- und Onlineversionen des kulturellen Monatsheftes „Vorschau und Rückblick“ 1990/12, 2014/12, 2015/10, 2018/11.

 

Editorial

Editorial

Es ist Ende der 1960er Jahre gewesen, als ich im Zeitkino am Dresdner Hauptbahnhof einen Dokumentarfilm über Bauen in Finnland gesehen habe. Architekten überlegten genau, wie bereits existierende Bäume, Sträucher und weiteres wertvolles Grün als zwingend zu erhaltende Elemente in Planungen zu berücksichtigen sind. Und das in einem Land, in dem wahrlich reichlich Bäume wachsen. In der Vorbereitung der Baumaßnahmen wurden die zu schützenden Bäume sorgfältig „eingepackt“, um sie vor Schäden durch Baufahrzeuge zu schützen. Das hat mich damals sehr beeindruckt, und ich habe nicht vergessen, mit wieviel Sorgfalt da vorgegangen wurde.
Wenn ich heute Bauvorbereitungen betrachte, muss ich oftmals feststellen, dass, manchmal sogar ohne Vorliegen vollständiger Bauunterlagen, schon mal Tatsachen, sprich Baufreiheit dahingehend geschaffen wird, und alles was Grün ist, beseitigt wird. Da nützt es auch nicht immer, sogenannte Ausgleichs- und Ersatzflächen auszuweisen. Neue Anpflanzungen sind schön und gut, aber wie lange dauert es, bis ein Baum wieder Schatten spendet und hilft, die Luft zu reinigen und das Klima zu verbessern? Oft überstehen Neuanpflanzungen nicht einmal das erste Jahr, mangels Wasser oder wegen anderer Standortgunst. Ganz abgesehen davon, dass „Ausgleichsflächen“ in ihrem alten Zustand häufig bereits ökologische Bedeutung haben, letztlich also die „grüne Bilanz“ negativ ist. Schnell, viel zu schnell, geben Bauplaner und verantwortliche Verwaltungen grünes Licht für Kahlschlag. Und das in einer Zeit, in der kein Tag vergeht, an dem nicht die Worte Biodiversität und Klimaschutz benutzt werden. Dabei sollten doch alle Verantwortung für das genannte Anliegen übernehmen: Planerinnen und Planer, Verwaltungsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter, Ratsmitglieder und andere Beteiligte.
Dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen im umfassenden Sinne muss auch im Kleinen Vorrang eingeräumt werden!

Ilona Rau

Zum Titelbild V&R Okt. 2023

An den Brunnen 34

Foto: D. Lohse

Um 1900 hatten Studenten der Königlichen Baugewerkeschule Dresden das Winzerhaus aufgemessen und skizziert. Überrascht war ich, dass sie es altes Wohnhaus in Naundorf bei Kötzschenbroda nannten. Aber die Adresse befindet sich auf der nördlichsten Ecke von der Flur Naundorf, fast in Lindenau. Ich halte es vom Typ her für ein um 1700 erbautes Winzerhaus (ein Brunnenteil zeigt die Jahreszahl 1699) – früher war es das Wohnhaus eines Winzers, dann, nach der Reblaus, nur noch ein Wohnhaus, heute für Herrn und Frau Maune. Bauliche Veränderungen blieben nicht aus und verwischten den Charakter eines Winzerhauses immer mehr, so wurde der Stallanbau nach 1900 aufgestockt und das Fachwerk des OG ist nicht mehr zu erkennen. Es wurde verbrettert, bzw. überputzt. Hinzu kommen z.T. veränderte Türen und Fenster für eine neue Wohnfunktion. Auf dem westlichen Land wurde hier nach der Reblauskatastrophe kein Wein wieder angebaut.

Dietrich Lohse

Mit den Texten der brachialromantischen Hausapotheker Dieter Beckert und Jürgen B. Wolff durchs Jahr

8. Thematischer Filmclubabend

Das Wanderkino Film Club Mobil ist am 5. Oktober 2023 um 19.30 Uhr in der Stadtgalerie Radebeul zu Gast. Gezeigt wird der DEFA-Klassiker „Der nackte Mann auf dem Sportplatz“, welcher 1974 Premiere hatte. Bis zur kleinsten Nebenrolle ist dieser leise Episodenfilm über einen freischaffenden Bildenden Künstler hochkarätig besetzt. Der Regisseur Konrad Wolf (1925–1982) hatte dabei den Bildhauer Werner Stötzer (1931–2010) vor Augen, der im Film selbst eine kleine Rolle spielt. Aber auch durch die wechselvolle Biografie von Konrad Wolf wurde dieser Film geprägt.

In der Hauptrolle brilliert der Schauspieler Kurt Böwe (1929–2000). Dieser beschreibt Stötzer als eigenartigen, humorigen und hintergründigen Typ. In Vorbereitung auf seine Rolle wohnte er eine Woche bei Stötzer. Sowohl der Schauspieler als auch der Bildhauer sind gewissenhafte Beobachtungsmenschen. Der Film wirkt sehr authentisch und lässt viel Raum für das Unausgesprochene. Der nahezu dokumentarische Realismus spiegelt sehr feinfühlig den Alltag jener Zeit. Der Film entstand 1973, in der hoffnungsvollen Übergangszeit von der Ulbricht-Ära zur Honecker-Ära, welcher schon bald eine neue Phase der Agonie folgen sollte. Vor allem in Konrad Wolfs späten Werken klingen immer wieder kritische Töne gegen die Beeinflussung der Kunst durch die Politik an. Gedreht wurde u. a. in Stötzers Geburtsstadt Steinach, wo tatsächlich auch „Der nackte Mann auf dem Sportplatz“ zu sehen ist

Der nackte Mann auf dem Sportplatz

1973/74, DDR, DEFA, Künstlerische Arbeitsgruppe „Babelsberg“
101 Minuten, FSK 6

Regie: Konrad Wolf; Drehbuch: Wolfgang Kohlhaase, Gerhard Wolf;

Musik: Karl-Ernst Sasse; Kamera: Werner Bergmann; Schnitt: Evelyn Carow;

Besetzung (Auswahl): Kurt Böwe als Kemmel, Ursula Karusseit als Gisa Kemmel, Martin Trettau als Hannes und in weiteren Rollen: Elsa Grube-Deister, Marga Legal, Ute Lubosch, Vera Oelschlegel, Erika Pelikowsky, Katharina Thalbach, Ursula Werner, Reimar Johannes Baur, Gerhard Bienert, Dieter Franke, Matti Geschonneck, Wolfgang Heinz, Rolf Hoppe, Thomas Langhoff, Walter Lendrich, Dieter Mann, Günter Schubert, Jaecki Schwarz, Werner Stötzer, Hans-Joachim Wolle…

Zur Handlung: Der eigensinnige und wortkarge Bildhauer Kemmel befindet sich in einer Schaffenskrise. Ein von ihm gestaltetes Relief hatte man nicht aufgestellt, sondern abgestellt – im Feuerwehrturm. Es würde zu wenig Schwung und Optimismus ausstrahlen, erklärte ihm die LPG-Vorsitzende.

Für die Arbeit an einer Büste sollte der ehemalige Wismut-Arbeiter Hannes Modell sitzen, der aber zunächst ablehnte. So nach und nach entwickelt sich zwischen beiden eine spröde, immer besser werdende, Beziehung. Trotzdem misslingt auch dieses Werk.

Unerwartet kommt eine Delegation vom Sportclub aus dem Heimatort in Kemmels Atelier. Gewünscht wird ein Ehrenmal, möglichst mit der realistischen figürlichen Darstellung ihres „Idols“, dem jüngst verstorbenen ehemaligen Torwart. Kemmel nimmt den Auftrag an. Doch zur Enthüllung gibt es einen Eklat, denn der dargestellte Sportler ist kein Fußballer und noch schlimmer – er ist nackt. Es dauert einige Zeit, bis das Kunstwerk akzeptiert wird. Schließlich erhält Kemmel einige Fotos, auf denen zwei lachende Mädchen neben dem „nackten Mann“ zu sehen sind. Kunst braucht eben Verständnis und kein Feigenblatt!

Reservierungen unter 0351-8311626, 0160-1038663

Karin Baum und Michael Heuser
Sprecher der Cineastengruppe „Film Club Mobil“ im Radebeuler Kultur e.V.

Anmerkung: unter Verwendung von verschiedenen Filmbegleitmaterialien und Wikipedia-Eintragungen

Das Geschenk der Stille

Der heutige Zustand der Welt, das ganze Leben ist krank.

Wenn ich ein Arzt wäre und man mich fragte, was rätst Du?

Ich würde antworten, schaffet Schweigen.

Bringt die Menschen zum Schweigen.

Wer auf seinem Lebenskurs bleiben will, der braucht Stunden, Tage der Besinnung.

Je lärmender die Welt, je verworrener, desto dringender brauchen wir Stille.

Wir kommen in der Stille zum Nachdenken und das ist nötig.

Die Hektik des Tages vereinnahmt uns, wir müssen so vieles verarbeiten, dass wir kaum zum Nachdenken kommen.

Vor mir liegt eine lange Wegstrecke und ich möchte sie bezwingen, aber weiß ich, was mich am Ende erwartet?

Die Stille des Waldes begleitet mich rechts und links.

Plötzlich springt aus der Stille des Waldes ein Eichhörnchen auf den Weg, es bleibt sitzen und schaut mich mit großen Augen an, dann verschwindet es wieder in der Stille des Waldes.

Meine Gedanken wurden unterbrochen, nun denke ich über das kleine Eichhörnchen nach, „War doch süß“.

Am liebsten wäre ich ihm nachgelaufen, doch nun kann ich dort weiterdenken, wo mich das kleine Eichhörnchen unterbrochen hat.

Die Stille tut gut, sie hilft, um ruhig zu werden und über unser Dasein nachzudenken.

Einsamkeit ist etwas Anderes wie Stille.

Einsamkeit macht traurig und ängstlich, doch Stille gesund und frei.

Sie begleitet uns, wenn wir sie suchen.

In der Stille kann ich auch die Zeit empfinden.

Wir leben nicht in der Vergangenheit, auch nicht in der Zukunft, wir leben jetzt in diesem Raum und der Augenblick ist unsere Zeit.

Nutze sie, denn jeder Atemzug verweht, so wie der Wind vorüber weht.

Die Erinnerungen tragen wir in uns wie eine stille Freude und das vergangene Schöne wie ein kostbares Geschenk und das sollte man sich erhalten.

Radebeuler Miniaturen

1623 – 2023: 400 Jahre Haus Möbius

X
Haus und Giebel
Die Sachlage zur Dachfrage

Die Langeweile unserer modernen Städte …

nein, ruft Ulrike entsetzt dazwischen, nicht, hör auf!

… kommt nicht zuletzt daher, dass es keinerlei Überraschungen mehr gibt. Alles sieht gleich aus, die Landschaft wird der Bauweise angepasst und nicht umgedreht. Die künstliche Intelligenz der Stadtplaner und Architekten kennt weder menschliche Maßstäbe noch Abwechslungen oder gar Besonderheiten. Wo es nur rechte Winkel gibt, kann nichts Rechtes rauskommen.

Aber, wendet Ulrike berechtigt ein, rechte Winkel sind doch wichtig für die Stabilität.

Schon, schon, ereifere ich mich, aber ein Haus braucht mehr als rechte Winkel – wenn das Grundgerüst stabil ist, brauchts Raum für Besonderheiten; und anders als die Schönheit, liegen die nicht im Auge des Betrachters. Sie sind vielmehr ohne Sehhilfe wahrnehm- und manchmal sogar meßbar. Die Empfindungen, die sie hervorrufen, sind dann freilich wieder mit den schönen Augen der Betrachterin verbunden… Auf die Stabilität jedenfalls, sage ich nach einem kräftigen Schluck aus dem Glase, wirken sie sich nicht aus, wenigstens nicht negativ. Du siehst ja, unser Haus mit all seinem rechten und unrechten Gewinkel steht seit 400 Jahren, und das ist jedenfalls kein Zufall. Das müssen uns die anderen erst mal nachmachen…

Aber sag mal, kürzt Ulrike die Diskussion glücklich ab, wie kommst du denn jetzt darauf?

Na ja, ich werd halt immer wieder mal nach unsrem „schiefen“ Giebel gefragt, vor allem, seit ich im letzten Heft den Anblick von Osten her so hervorgehoben habe.

Dabei muß ich feststellen, daß der gar nicht so einfach zu erklären ist.

Klar ist, das Haus wurde erweitert.

Aber wann und wie?

Es deutet alles darauf hin, daß die massiven Umfassungsmauern für das Untergeschoß gleich beim ersten Anbau, also um 1715, in heutigen Maßen errichtet wurden und wohl das einstige Pressenhaus mit einbezogen. Jedenfalls sind die Deckenbalken bis heute durchgehend erhalten.

Das Obergeschoß wurde in den Ausmaßen allerdings an das alte Haus angepaßt, so daß an der Nordseite ein Laubengang entstand, wie es ihn in vergleichbaren Häusern öfter gab.

Ach, entfährt es Ulrike, das war ja romantisch!

Wenn du so willst, ja, bestätige ich. Von Westen her führte eine überdachte Treppe auf den Gang und die neuen Räume waren von außen her begehbar.

Vielleicht wohnte nun der Winzer im alten Haus und die Herrschaft dann und wann im Neuen, wer weiß …

Vielleich war der Laubengang von Anfang an unterm Schleppdach geborgen, vielleicht wurde das auch später angefügt, als die Laube geschlossen und ins Haus einbezogen wurde, wer weiß …

Spätestens 1784 ist dann die farbliche Gestaltung des Fachwerkes anzusetzen, dieses schöne Ziegelrot, unter dem noch Spuren einer älteren, dunklen Balkenfassung beobachtet wurden. Es müssen fröhliche Jahre gewesen sein, damals…

Das ist ja das Schöne an den alten Häusern, daß sie nicht nur schöne Augen noch schöner machen, sondern Raum geben zum Träumen. Stell dir vor, wir säßen jetzt in der Laube, über uns hingen Lavendelbündel zum Trocknen und verströmten ihren Duft, vielleicht kämen noch Sonnenblumenköpfe dazu, die für die Vögel im Winter bereitgehalten werden. Und wenn jemand die Treppe hochgepoltert käme, wäre ein Glas da und ein Stuhl…

Aber so ist es nicht mehr. Vielleicht sieht es auf dem Bild von Michael Hofmann deshalb so aus, als stünde der Tisch mit dem Wein auf der Straße …

Thomas Gerlach

(Für die Reproduktion und die Druckerlaubnis danke ich Familie Kronbach sehr herzlich.)

Glosse

Patriachat für alle oder Der kleine Friede

Zugegeben, ich war ein verdammt elender Macho, und wenn es nicht nach meinem Willen ging, rastete ich sowas von aus, da will man gar nicht hindenken. Lange ging es ja auch mit meiner kleinen Familie – Pluto, mein Zwergschnauzer, Kuschelmäuschen, meine Frau, und mir – ganz gut. Wenn ich pfiff, waren sie gleich zur Stelle und meine Wünsche wurden auch prompt erfüllt: Pluto verschwand unterm Sofa, Kuschelmäuschen holte das Bier aus dem Kühlschrank und der „kleine Friede“ war wieder hergestellt. Das mit dem großen Frieden wollte aber bisher nicht so recht klappen. Da werde ich wohl noch selber das Flüsschen Bug überschreiten müssen…!

Aber irgendwann wollte das in meinem kleinen bis dahin trauten Heim nicht mehr so richtig harmonieren. Zwar lief scheinbar alles wie gewohnt ab: Pluto holte die Zeitung und das Essen stand immer noch pünktlich bereit. Aber der Zwergschnauzer wedelt nicht mehr so freudig erregt mit seinem Schwanz und Kuschelmäuschen stellte den sächsischen Sauerbraten stumm auf den Tisch!

Zunächst dachte ich an eine Laune, wie sie halt Frauen immer mal wieder haben, wenn sie unpässlich sind. Aber als der Zustand nach drei Monaten immer noch derselbe war, bin ich ins Grübeln gekommen. Irgendetwas schien in der Luft zu liegen. Wie ich mir aber auch den Kopf zermarterte, ich fand es nicht heraus. Schließlich habe ich es nicht mehr ertragen, meinen Pluto und mein Kuschelmäuschen so leiden zu sehen.

Was macht man in so einem Fall? Man erinnert sich an seine alten Kumpels und geht in die Kneipe. Warum ich darauf nicht schon eher gekommen bin, kann ich heute nicht mehr verstehen. Früher traf ich mich mit den Kumpels mindestens dreimal in der Woche. Meine Güte, haben wir da einen gucken lassen…! So schnell hat sich mit uns keiner angelegt. Nun ja, seit ich Pluto und Kuschelmäuschen habe, bin ich halt etwas ruhiger geworden…

Die Kumpels jedenfalls haben mir dann tatsächlich aus der Patsche geholfen. Bei zehn Glas Bier hat man sich ja viel zu erzählen. Schließlich kam das Gespräch auf die Weiber, die auch nicht mehr wie früher seien und die Geleichberechtigung. Da schoss es mir wie ein Blitz durchs Gehirn. Ich hoch vom Barhocker und ab nach Haus, unterwegs noch schnell an einem Zigarrengeschäft gehalten.

Und so habe ich mich vor einem halben Jahr zu einem radikalen Schnitt entschlossen, der meine, Plutos und Kuschelmäuschens Welt total auf den Kopf gestellt hat. Ich habe die Insignien meiner Macht – Auto, Bierkasten, Zigarre und Bild – feierlich an Pluto und Kuschelmäuschen übergeben! Die nahmen sie freudig im Empfang. Nur an die Zigarren wollte meine Frau zunächst nicht so richtig ran. Aber mit der Zeit gewöhnt man sich an alles.

Ja, liebe Leser, man muss auch bereit sein, mit alten Gewohnheiten zu brechen, wenn man in der neuen Zeit bestehen will. Bei uns jedenfalls haben jetzt alle Familienmitglieder ein Recht auf das Patriarchat. Wir wechseln alle halben Jahre! So sichern wir den „kleinen Frieden“ und die Harmonie in der Familie, meint

Euer Motzi

Ergänzung zum Artikel „Beetziegel“ in V&R 08/23, S. 12-14

Nach Erscheinen des Artikels über ein Detail einer gartengestalterischen Modeerscheinung des 19. Jh. kamen zwei unabhängige Meldungen von ähnlichen Funden von Beetziegeln in Niederlößnitz herein. Über dieses Echo freut sich der Verfasser des Artikels natürlich – das Thema hat also die Leser interessiert. Weil sich durch diese Informationen (die erste erhielt ich als Anruf, die zweite in knapper Briefform) die gestalterische Vielfalt der Beetziegel dokumentieren lässt und weil sich dadurch auch neue Erkenntnisse ergeben, habe ich mich zu der Ergänzung entschlossen.

Foto: D. Lohse

Die erste Info zu einem weiteren Beetziegel erhielt ich von Herrn Karlfried Müller zur Borstraße 7, der da einen Teil des Gartens bewirtschaftet. Der hier schon vor Jahren gefundene Beetziegel mit verschlungenem Astwerk ist leicht beschädigt und wird an der Wand eines Nebengebäudes präsentiert. Das Vorhandensein eines früheren Rundbeetes mit Beetziegeln im großen Grundstück der Villa aus dem 19. Jh. kann angenommen werden, ist aber z.Z. nicht nachweisbar.

Foto: D. Lohse

Die zweite Meldung von Funden mehrerer, leicht beschädigter Beetziegel im Grundstück Käthe-Kollwitz-Str. 26 stammt von Familie Richter. Hier können wir zwei verschiedene Gestaltungen von Beetziegeln, solche mit hellgrauem Ton und durchbrochenem Kopfteil (Schlingenornament) und solche aus rötlichem Ton mit an Jugendstil erinnerndem Kopfteil erkennen. Interessant ist, dass einer der zuletzt genannten eine Prägemarke hat, die mit Eduard Lehmann eine Kötzschenbrodaer Herstellerfirma ausweist. Die Beetziegel dürften hier aber nur ein Nebensegment der Produktion gewesen sein. Die baulichen Reste des Betriebes in der Neuen Straße wurden nach der Wende entfernt. Heute stehen neue Wohnhäuser auf dem Gelände. Dass in der Käthe-Kollwitz-Str. 26 im Grundstück des von August Große um 1880 errichteten Landhauses ein mit Beetziegeln gestaltetes Prachtbeet vorhanden war, bezeugen kleinere Bruchstücke (Schlingenornament) im Erdreich des Vorgartens.

Foto: D. Lohse

Foto: D. Lohse

Durch die ergänzenden Funde von Beetziegeln können wir ein paar Schlussfolgerungen herausarbeiten:

  • 1.      Nachweise an drei Standorten in Niederlößnitz sagen uns, dass es solche Prachtbeete im 19. Jh. doch öfter gab, als beim Erstfund (palmettenartiges Kopfteil) zu vermuten war.
  • 2.      Es fällt auf, dass für den ähnlich strukturierten und etwa zur gleichen Zeit wie Niederlößnitz entstandenen Ortsteil Oberlößnitz z.Z. keine Nachweise vorliegen. Mit dem Nachweis von Beetziegeln in Oberlößnitz kann aber noch gerechnet werden.
  • 3.      Durch die Tatsache, dass Eduard Lehmann, Neue Straße 17, Kötzschenbroda, neben Blumentöpfen und Ofenkacheln auch Beetziegel hergestellt hatte, ist anzunehmen, dass diese auf kurzem Weg in Kötzschenbroda und Niederlößnitz verbreitet wurden – der Weg nach Oberlößnitz war da schon weiter.
  • 4.      Schäden an fast allen Fundstücken legen die Annahme nahe, dass sich die Mode Beete mit Beetziegeln anzulegen nicht lange gehalten hat – zerbrechliches Material und filigrane Formen aus gebranntem Ton sowie Frostschäden, wenn die Beetziegel vorm Winter nicht ausgegraben wurden, wie einzelne Hersteller angaben, unterstreichen die Annahme einer kurzen Modeerscheinung.

Ich danke allen Personen, die durch ihre Hinweise zum Zustandekommen dieser Ergänzung zum Thema Beetziegel beigetragen haben und hoffe, dass die jeweiligen Fundstücke weiterhin aufbewahrt werden können.

Dietrich Lohse

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