100 Jahre Museum Hoflößnitz – Teil 3

Bevor sich Dr. Hans Beschorners im zweiten Teil unserer Serie zitierte Hoffnung von 1905, das Hoflößnitzschlösschen möge »einen kunstsinnigen Eigentümer finden, der liebevoll seine Hand über all die Herrlichkeiten aus längst vergangenen Tagen breitet«, erfüllte, verdüsterten sich die Aussichten zunächst. Mit dafür, dass es am Ende doch so kam, sorgte schließlich, wenn man so will,

Ein allerhöchster Wunsch

Ausstellung der Lößnitzortschaften 1909, Panoramafoto des Festplatzes von der Sängerhalle aus, Foto: Stadtarchiv Radebeul

Um die Wende zum 20. Jahrhundert zeichneten sich auf dem Hoflößnitzgelände deutliche Veränderungen ab. Mit der Aufschüttung von Straßen und der Aufteilung in Bauparzellen wurde seit 1898 die Villenbebauung vorbereitet. Für den Gutshof der alten Hoflößnitz mit dem historischen Gebäudebestand und dem umgebenden, später sogenannten »Schlossberg« hatte Investor Hermann Hennicke im russischen General Sukhanov-Podkolzin einen vermögenden Interessenten gefunden, der das rund 2,5 Hektar große Anwesen im Zusammenhang erhalten und als repräsentativen Wohnsitz nutzen wollte, aber 1900 schon wenige Wochen nach der Eintragung im Grundbuch starb. Seine Erbin Anna Gregoriewna Zolotoff trug sich von Beginn an mit Veräußerungsabsichten, sträubte sich aber gegen einen Verkauf unter Wert. Im Ganzen war das »Luxusgrundstück« schwer zu vermarkten, woraufhin der von der Baronin beauftragte Agent seit 1908 mit der Idee einer Zergliederung hausieren ging. 18 Parzellen waren vorgesehen; kosten sollte jede, Pi mal Daumen, 10000 Mark, alles in allem 180000. Auch munkelte man, ein großes Berliner Kaufhaus hätte ein hoch dotiertes Angebot für den Kauf der wertvollen Deckengemälde im Schlösschens unterbreitet.
Unterdessen bereitete man in Kötzschenbroda ein Großereignis vor, wie es er Ort noch nicht erlebt hatte. Die Festwiese an der Sängerhalle verwandelte sich in ein Messegelände, auf dem am 22. Mai 1909 die »Ausstellung der Lößnitzortschaften für Handwerk, Gewerbe, Kunst, Gartenbau und Industrie« eröffnet wurde. Rund 300 Firmen und Vereine aus der Region präsentierten dort ihre Erzeugnisse, Dienstleistungen, Steckenpferde und Projekte. Neben den Messehallen war das »Vergnügungseck Alt-Ketzschber« aufgeschlagen, das außer Gaumenfreuden verschiedener Art auch mit einer »Sonderausstellung über die Weinbauzeit in der Lößnitz« aufwartete, gestaltet durch die vom Niederlößnitzer Schuldirektor Ernst Emanuel Erler geleitete Ortsgruppe des Vereins für Sächsische Volkskunde. Außer dem »Friedenstisch« von 1645 und einigen der ältesten Urkunden aus den

Bildnis Schuldirektor E. E. Erler, Gemälde von Gustav Neuhaus im Familienbesitz

Gemeindearchiven waren hier vor allem weinbaugeschichtliche Zeugnisse und Gerätschaften zu sehen. Als König Friedrich August III. die unter seiner Schirmherrschaft stattfindende Messe am 23. Juni 1909 kurz vor Schluss doch noch besuchte, soll er sich, wie bei solchen Gelegenheiten üblich, beifällig auch darüber geäußert und Behördenvertretern gegenüber den Wunsch ausgesprochen haben, »diese Ausstellung müsse erhalten bleiben«. Für Erler, der diese Äußerung 1961 in einem Brief an den Radebeuler Bürgermeister erwähnt, begann damit die unmittelbare Vorgeschichte des Hoflößnitz-Museums. Denn wo in der Lößnitz hätte eine solche Präsentation besser untergebracht werden können, als im ehemals königlichen Weinbergschlösschen in deren Herzen?
Das Fragment einer Privatakte im Radebeuler Stadtarchiv (OL 1785) wirft etwas Licht darauf, wie die Idee Gestalt zu gewinnen begann. Anfang 1910 trat danach »eine Anzahl Herren aus den Lößnitzortschaften in lockerem Verbande zusammen«, um die Frage zu prüfen, ob ein Erwerb des Hoflößnitzgrundstücks für Museumszwecke möglich wäre. Unter der Hand zog man Erkundigungen über die Eigentumsverhältnisse und den Grundstückwert ein. Wer die Mitglieder dieses »Hoflößnitz-Komitees« waren, bleibt in der Quelle leider unklar; genannt sind einzig Staatsarchivar Dr. Woldemar Lippert (Niederlößnitz) und Oberst Hans Alfred von Kretschmar (Radebeul), zwei engagierte Mitglieder des Sächsischen Altertumsvereins und der Historischen Gesellschaft zu Dresden. Kretschmar wurde mit der Leitung des »Museums-Ausschusses« betraut und im März 1910 beauftragt, sich mit Regierungsvertretern in Verbindung zu setzen, um Chancen auf finanzielle Unterstützung beim Grundstückskauf auszuloten. Auch wollte man versuchen, Prinz Johann Georg, den für seine kunstgeschichtlichen Interessen bekannten Bruder des Königs, für die Angelegenheit zu erwärmen. Ein Zwischenfazit lautete ernüchternd: »Staatliche Beihilfe ist nicht zu erwarten, es bleibt also nur der Versuch, Privatpersonen dahin zu interessieren. Das ist nun natürlich nicht so leicht u. bedarf geraume Zeit der Entwicklung.« Tatsächlich kam jedoch schon bald Bewegung in die Sache. (Fortsetzung folgt.)
Frank Andert

Editorial

Im Rechenschaftsbericht unserer Jahresmitgliederversammlung im Februar 2024 erwähnte ich u.a., dass „Vorschau & Rückblick“ auch für neue Ideen in der Stadtgesellschaft als Medium zur Verfügung steht. Ein Aufruf kam im letzten Jahr von Chajim Grosser, der das Lößnitzbad aktivieren möchte. Für zwei Personen war das der Anstoß zum Handeln. Zwei Dinge spielen dabei eine große Rolle: 1. Die schlechte Wasserbeschaffenheit – im Sommer verhindert Blaualgenbefall leider regelmäßig in der größten Hitze das kühle Nass zu nutzen – und 2. ein kulinarisches Angebot in der anliegenden Gaststätte. Vielleicht wissen Sie, dass der Betreiber der beliebten „Leibspeiserei“ in Radebeul- Ost auch der Pächter der Badgaststätte ist. Ihm und seiner Mitstreiterin lässt es keine Ruhe, dass das „Lößi“ so wenig genutzt wird. Er weiß, dieses Naturbad war vor Jahren im Hochsommer, vor allem während der Schulferien, der Freizeittreff für sehr viele Besucher. Bei einer Einwohnerzahl von über 30.000 eine angemessene Erholungsoase! Der Umnutzung vom Freibad zum Badesee vor einiger Zeit kann man ja durchaus auch gute Seiten abgewinnen, wenn das mit der Wasserqualität nicht wäre. Aber der Wunsch vom Baden zu allen Zeiten bleibt noch ein Traum. Den zu verwirklichen bedarf es u.a. vieler Mitstreiter, die es zusammenzubringen gilt.
Was schon realisiert werden kann, ist wieder Leben in die Gaststätte zu bringen. Das soll nun im März passieren. Im Veranstaltungskalender unseres Heftes finden Sie, liebe Leserinnen und Leser, Hinweise auf die ersten Veranstaltungen. Bildende Kunst, Musik und Kulinarisches einzeln oder zusammen sind dahin gehend ein Neuanfang.
Ich hoffe, dass viele diese Angebote nutzen werden und neugierig sind, wie es denn im „Lößi“ weitergehen könnte. Engagierte Menschen sind herzlich willkommen, besonders aus Naundorf! Mich als „alte“ Naundorferin freut diese Initiative und ich werde sie unterstützen, das sei schon mal gesagt.

Ilona Rau

10. Thematischer Filmclubabend

Die Filmauswahl korrespondiert im Radebeuler Jubiläumsjahr mit städtisch relevanten Themen. Gezeigt wird am 29. Februar 2024 um 19 Uhr in einem sanierten DDR-Plattenbau (OS Radebeul-Mitte, Wasastraße 21, Neubau) der DEFA-Film „Die Architekten“. Im Anschluss erfolgt ein Gespräch über „Verhinderte, abgerissene und sanierte Plattenbauten in Radebeul“. Eingeladen sind dazu auch Architekten, Ingenieure und Bauarbeiter.

Die Vorlage für den Film „Die Architekten“ entstand 1988, gedreht wurde von 1989 bis 1990. Die Premiere fand am 21. Juni 1990 im Berliner Kino „International“ statt. Die Besucherresonanz war verständlicherweise gering.

Der Film ist ein kritischer Abgesang auf die DDR. Gezeigt wird die „Demontage einer Illusion“. Beschrieben wird das Lebensgefühl einer Generation, die trotz besten Bemühens an den Realitäten scheiterte. Die Botschaft, dass man die DDR von unten her verändern könne, hatte sich mit dem Mauerfall erledigt. Plötzlich war eine neue Zeit angebrochen. Die alten Maßstäbe galten nicht mehr. Die am Film Beteiligten stellten sich die Frage nach dem bisherigen Sinn. Einige Passagen wurden nachgedreht und glücklicherweise wieder verworfen. So blieb der Film in seiner Aussage schlüssig.

Der Regisseur und Drehbuchautor Peter Kahane (geb. 1949) gehörte zu jenen „jungen“ Filmemachern, die sich in einem „Manifest der Nachwuchsgruppe“ gegen die Kulturpolitik der Verhinderung wendeten. Sie begehrten auf gegen Agonie und Gleichgültigkeit. Der Film „Die Architekten“ ist eines der letzten Filmprojekte, die in der DDR realisiert wurden.

Der Hauptdarsteller Kurt Naumann (1948 – 2018) hatte an der Theaterhochschule „Hans Otto“ in Leipzig studiert. Vor und nach dem gesellschaftlichen Umbruch trat er in verschiedenen Theatern auf und wirkte in zahlreichen Filmen mit. Er arbeitete mit Regisseuren wie Castorf und Schlingensief zusammen, spielte an der Seite von Corinna Harfouch und Katrin Saß. In der Rolle des David Brenner im Film „Die Architekten“ beeindruckt er durch ein diffiziles und eindringliches Spiel.

Die Architekten
1989/1990, DDR, DEFA, Gruppe Babelsberg, 102 Minuten, FSK 0

Regie: Peter Kahane; Drehbuch: Thomas Knauf, Peter Kahane;
Musik: Tamás Kahane; Kamera: Andreas Köfer; Besetzung (Auswahl): Kurt Naumann, Rita Feldmeier, Ute Lubosch, Wolfgang Greese, Jörg Schüttauf

Der Architekt Daniel Brenner ist Ende Dreißig. Trotz Bestnoten hatte er bisher nur Busstationen und Telefonhäuschen projektiert. Durch Vermittlung seines ehemaligen Architekturprofessors eröffnen sich für Brenner neue Möglichkeiten. Für ein tristes Berliner Neubaugebiet soll er ein kulturelles Zentrum entwerfen. Brenner nimmt den Auftrag unter der Bedingung an, dass er sich die Mitarbeiter selbst auswählen darf. Doch das Interesse ist verhalten. Ehemalige Kommilitonen befinden sich bereits in der „inneren Emigration“ oder sind in den „Westen“ gegangen. Schließlich kann er einige überzeugen, mitzumachen. Voller Enthusiasmus stürzt sich die Gruppe in die Arbeit. Groß ist die Hoffnung, dass sich die Idealvorstellungen von einem schönen lebendigen Stadtzentrum mit Gaststätten, Geschäften, Kulturstätten, einem Kindergarten und Grünanlagen in die Praxis umsetzen lassen. Doch immer neue Hürden bauen sich auf, das Kollektiv zerfällt und auch Brenners Ehe zerbricht. Seine Frau verlässt mit der Tochter die DDR. Als dann endlich von einer Tribüne aus, mit blumigen Worten der Baubeginn verkündet wird, ist vom ursprünglichen Entwurf nichts mehr übrig. Als Brenner am Abend allein vor der leeren Tribüne sitzt, kippt, kriecht und schließlich im Dreck liegen bleibt, erklingt eine kraftvolle Musikpassage aus Händels „Messias“.

Karin Baum und Michael Heuser
Sprecher der Cineastengruppe „Film Club Mobil“ im Radebeuler Kultur e.V.


Anmerkung: unter Verwendung von verschiedenen Filmbegleitmaterialien und Wikipedia-Eintragungen

Information und Reservierung unter: 0160-1038663

 

Zum Titelbild

Pünktlich zum krönenden Abschluss der Faschingszeit erscheint auf unserem Titelblatt der „Zecher im Weinberg“.

Halb sitzend, halb liegend hingebreitet, den linken Arm hinterm Kopf verschränkt, schwenkt er in der Rechten die Weinflasche, das nur allzu rasch wieder leere Glas erneut zu füllen. Hinter ihm thront der Weinberg.

Mit sparsamen weißen Linien ist die Szene aus der schwarzen Fläche geschnitten. Weiße Flecken – der östliche Himmel überm Berg, die Lagerstatt des Zechers – weisen auf die kommende Zeit des Lichtes hin. Ein liebevolles Detail mildert die grobe Geste unbeherrschten Trinkens: Von weißem Vogel frech beäugt, stellt sich ein schwarzer Kater schlafend.

Der Künstler liebt die stillen Freuden, die gleichwohl immer wieder ungestüm aus ihm herausbrechen. Und er hat den Geist dieser Tage erfaßt: Das Wort „Fasching“ (mhd. „vast-schanc“) bezeichnet den in Strömen fließenden „Fasten-trunk“, womit eine ältere Tradition der Fruchtbarkeitsrituale aufscheint. Das seit dem 17. Jh. gebrauchte Wort „Karneval“ bezeichnet den Abschied vom Fleisch („carne vale“: „Fleisch, lebe wohl“), kann sich aber auch auf den „carrus navalis“ beziehen, den „Schiffskarren“, der anläßlich von Frühlingsumzügen zum Wiederbeginn der Schifffahrt zum Einsatz kam.

Indem Michael Hofmann mit seinen Holzschnitten Geschichten erzählt, greift er auf die Anfänge seiner Kunst zurück. Zu Beginn des 15. Jhs. nämlich kam zunächst das Einzelblatt in Umlauf, bevor sich ab Jahrhundertmitte die Buchkunst durchsetzte, und der Holzschnitt als Mittel zur Illustration in die zweite Reihe trat. (1600)

Thomas Gerlach

Mein Haus – Meine Stadt

Im Jubiläumsjahr 100 Jahre Stadtrecht Radebeul, 100 Jahre Stadtrecht Kötzschenbroda startet die Stadtgalerie im Februar mit einem ungewöhnlichen Projekt. Die Basis bilden Schülerarbeiten des GTA-Kunstunterrichtes an der Oberschule Mitte. Schülerinnen und Schüler formten im Keramikkurs unter der Leitung der Dresdner Künstlerin Roswitha Maul ihre Wohnhäuser. In einem Prozess werden diese durch weitere Schülerarbeiten auf Papier, mit Glas oder bemalten Kartons in Workshops unter der Leitung von Kunstschaffenden u.a. Mechthild Mansel, Roswitha Maul und Maja Nagel ergänzt. Schülerinnen und Schüler setzen sich mit ihrer Stadt, ihrem Umfeld und ihrer Lebenssituation auseinander. Die Galerie wird zum Labor, zur Werkstatt der Fantasie. Dazu sind Grund- und Mittelschülerinnen und -schüler Radebeul herzlich eingeladen.

Vom 27. Februar bis zum 10. März sind die Arbeiten in der Galerie während der üblichen Öffnungszeiten zu besichtigen. Bis dahin wird in den Räumen gearbeitet, denn alle Kunstwerke sollen vor Ort entstehen. Start ist der 6. Februar. Mit einer Finissage am 6. März, 17.00 Uhr wird die Projektarbeit feierlich beendet.

Alexander Lange

Editorial

Die Großbaustelle auf der Meißner Straße stellt für Autofahrer seit vielen Wochen eine große Herausforderung dar. Insbesondere die Anwohner der Goethe-, Freiligrath-, Marien- und oberen Hauptstraße haben mit den Belastungen des völlig überdurchschnittlichen Verkehrsaufkommens zu kämpfen.

An dieser Stelle sei lobend OB Bert Wendsche erwähnt, der im Neujahrsgruß des Amtsblatts den Anwohnern ausdrücklich Respekt zollte und sich für das Verständnis bedankte!

Keine Empathie zeigt hingegen, allen Widrigkeiten zum Trotz, das Ordnungsamt! Damit sei auf ein Ereignis in eigener Sache im Herbst verwiesen: Stellen Sie sich vor, es ist Freitag, Markttag. Da ist selbst für Anwohner vor der Haustür kein Parkplatz zu finden. Nach ergebnislosem Suchen hielt ich, aufgrund der beengten Straße, halb auf dem Gehweg vor der eigenen Tür!, um einige Sachen für eine anstehende Trauerfeier einzuladen. Wenig später prankte ein Strafzettel an der Windschutzscheibe (55€!). Dem Amtsleiter des Ordnungsamtes teilte ich schriftlich unverzüglich den Sachverhalt mit und bat um Verständnis aufgrund der schwierigen Verkehrslage und außerordentlichen Umstände. Doch die Antwort war von praxisfernen, wie wohlfeilen Maßregelungen geprägt und ließ keine Milde walten. Frei nach dem Motto: „Vom sichern Port lässt sichs gemächlich raten!“

Für die von mir eingesandten Bilder von geschädigten parkenden Autos, die von verzweifelten Autofahren an Laternen angebracht wurden, mit der Bitte um Kenntnisnahme, erhielt ich keinerlei Resonanz. Der Amtsleiter macht hier keine gute Figur, die behördliche Bürgerferne ist skandalös! Abkassieren allein reicht nicht!

Zudem ist es nunmehr geboten, den Zustand der beschriebenen Straßen von den verantwortlichen Instanzen unverzüglich in Augenschein zu nehmen! Sie haben durch den immensen Verkehr und Frost sehr gelitten. (hier besonders: Abzweig Haupt-, Goethestraße.)

Wer haftet hier eigentlich bei Fahrzeugschäden?

Sascha Graedtke

Mit Stephan Krawczyk poetisch durch das Jahr



Zur Titelbildserie

Holzschnitte von Michael Hofmann

Für 2024 hat der Radebeuler Maler und Grafiker Michael Hofmann die Gestaltung des Titelbildes übernommen. Mit einer Serie meist eigens dafür geschaffener Holzschnitte führt er durch das Jahr.
Das Blatt „Begegnung“ eröffnet den Reigen.
In den scherenschnittartig ausgestellten Formen lassen sich zunächst fünf Elemente unterscheiden: Hand, Kopf und Vogel, Haus und Mond. Bei genauerem Hinschauen erkennen wir zwischen Hand, Hut und Frisur zwei Gesichter wie in einem. Werden wir hier Zeugen einer besonders innigen Begrüßung, eines berührenden Abschieds oder gar einer plötzlich aufwallenden Gemütsbewegung? Was erzählt uns die erhobene Hand? Zeigt sie Ablehnung? Unterstreicht sie Zuneigung?
Das Blatt steht nicht zufällig am Beginn des Jahres und der Reihe. Janus, der altrömische Gott mit den zwei Gesichtern, gilt in der Überlieferung als Behüter der Tür und allen Anfangs. Der erste Monat des Jahres ist nach ihm benannt. Mit seiner Fähigkeit, zugleich nach vorn und zurück zu blicken, wäre er auch der beste Hüter von „Vorschau & Rückblick“.
Der Holzschnitt ist als Vervielfältigungsdruck die älteste Drucktechnik überhaupt. Das British Museum in London bewahrt mit der „Diamant-sutra“ den ältesten sicher datierten Bildholzschnitt aus dem Jahr 868. In Mitteleuropa kommt diese Technik seit dem 15. Jh. in Gebrauch.
Der in Chemnitz geborene Künstler hat im grafischen Betrieb seines Vaters den Beruf des Reprofotografen erlernt, bevor er in Dresden Malerei und Grafik studierte. Schon in seinen frühesten Arbeiten hat er sich ernsthaft mit dem Holzschnitt auseinandergesetzt. Davon aber später mehr.
Thomas Gerlach

Stephan Krawczyk zu Gast bei uns

2024 setzen wir unsere Reihe mit Liedermachern fort, die bereits zu DDR-Zeiten die Musikszene auf ihre ganz besondere Weise prägten.
Im Frühjahr letzten Jahres las ich beiläufig, dass Stephan Krawczyk in der Kirche Riesa-Gröba ein Konzert gibt. Da er meines Wissens in den letzten Jahren im Dresdner Kulturkalender nicht vertreten war, ergriff ich die Gelegenheit dem Konzert dort beizuwohnen.
Vor dem Konzert war der Künstler im ungewohnt vertrauten Austausch mit zumeist älteren Gästen. Aus gutem Grund, wie ich erfahren durfte. So fand sage und schreibe vor über 35 Jahren, also ein Stück weit vor dem Mauerfall, hier sein letztes Konzert statt, wo er unter Berufsverbot und im Schutze der Kirche auftrat. Viele der Anwesenden waren schon damals dabei und es hatte mit dieser Vorgeschichte selbst heute noch irgendwie den Nimbus des Konspirativen. Es schien, als schlösse sich nun endlich ein bisher unvollendeter Kreis.
Ermutigt durch die offene Atmosphäre habe ich ihn angesprochen und erzählte von der „Vorschau“ und unserer Lyrikseite. Ich rannte offene Türen ein, denn schon wenige Tage später fand ich 12 Texte für das komplette Jahr in meinem Postfach. Ebenso begrüßte er meinen Vorschlag, im kommenden Jahr ein Konzert in Radebeul geben zu wollen. (Die Planungen hierfür laufen bereits.)
Stephan Krawczyk ist insbesondere im Zusammenhang mit seinem unverdrossenen Engagement in der DDR-Bürgerbewegung bekannt geworden.
1981 gewann er den Nationalen Chansonwettbewerb der DDR, die Begegnung mit der Regisseurin und späteren Frau Freya Klier im Jahr 1984 gab seinem künstlerischen Weg ganz neue, kritische Impulse. Seine Lieder wurden schnell zu Hymnen der Protestbewegung. Es folgten Berufsverbot und Haft, bis er schließlich 1988 in den Westen abgeschoben wurde.
Nach der Wende 1989 setzte Krawczyk seine künstlerische Karriere fort. Er veröffentlichte zahlreiche Alben und Bücher, in denen er seine Erfahrungen in der DDR reflektierte. Politisch blieb er stets wachsam und entwickelte ein feines Gespür für die Erfahrungen in den Zeiten des Wandels.
Freuen Sie sich mit uns auf ein lyrisches Jahr mit Texten von Stephan Krawczyk!

Sascha Graedtke

Biographische Notizen

• Silvester 1955 in Weida/ Thüringen geboren.
• Nach Abitur und Studium der Konzertgitarre an der Franz-Liszt-Hochschule in Weimar seit 1980 freiberuflicher Sänger.
• 1981 Gewinner des Nationalen Chansonwettbewerb der DDR.
• 1984 Umzug nach Berlin, Hauptstadt. Im selben Jahr beginnt er zu schreiben, im Jahr darauf wird ein Berufsverbot über ihn verhängt.
• Tritt gemeinsam mit Freya Klier in Kirchen auf, wird zur Symbolfigur der DDR-Bürgerbewegung. 1988 verhaftet die Stasi den oppositionellen Künstler und schiebt ihn 16 Tage später in den Westen ab.
• Im selben Jahr, in Westberlin, gründet Krawczyk die Bürgerinitiative „FCKW Stop! Jeder Tag zählt“.
• Konzerttourneen führen ihn durch den deutschsprachigen westeuropäischen Raum, nach Nordamerika, Frankreich, Spanien, Italien. Er schreibt das Buch „SCHÖNE WUNDE WELT“, das im Jahr der Wiedervereinigung veröffentlicht wird.
• Es erschienen bisher 15 LPs und CDs als Solokünstler und neben einem Opernlibretto und einem Schauspiel ebensoviele Veröffentlichungen in Lyrik und Prosa.
• Krawczyk lebt in Berlin und auf Mallorca.

Auszeichnungen

– 1981: Hauptpreis beim DDR-Chansonwettbewerb
– 1992: Bettina-von-Arnim-Preis
– 2001: Verdienstorden des Landes Berlin
– 2005: „Das unerschrockene Wort“, Auszeichnung des Bundes der Lutherstädte
– 2009: Bundesverdienstkreuz am Bande
– 2023: Mehrfache Auszeichnung beim Deutsch-französischen Chanson- und Liedermacherpreis 2023

Radebeuler Miniaturen

Rechenbeispiel
(für die eine, die gelacht hat)

Das ist das Schöne am Stammplatz, daß du da einfach sein kannst. Je nach Wetter drinnen am Tresen oder draußen am Faß, kannst du reden oder schweigen, ganz, wie dir zu Mute ist – eben: einfach sein. Alle, die darum wissen, denken, ach, da ist er wieder. Und wenn du länger nicht gesehen wurdest, wirst du vermißt. Selbst in der mäßig interessiert klingenden Frage, wo warst du denn so lange, liegt mehr Liebe, als du verdienst zu haben glaubst. Auch das tut gut, zu wissen.
Deine Gänge „ins Dorf“, die mal einfach der Bewegung dienen, aber auch einem höheren Zweck folgen können (heute zum Beispiel warst du im Rechenzentrum zwecks gemeinschaftsfördernden Erwerbs eines neuen Laubbesens), diese Gänge also, die folgerichtig am Stammplatz enden, sind für dich zum Inbegriff von Lebensqualität, Zufriedenheit und Dankbarkeit geworden. Vor allem aber sind sie Quelle der Inspiration:
Plötzlich hörst du da nämlich eine Stimme:
Sag mal, kennst du Al Gore?
Sofort erwacht deine Aufmerksamkeit, die Ohren richten sich nach hinten.
Naja kennen, antwortet eine zweite Stimme, den Namen hab ich schon gehört. War Senator in Tennessee, und zweimal Vize, bei Obama, glaub ich, oder wars Clinton? Warum fragst du?
Ich hab gehört, das wieder die Stimme des ersten, der hat den Rhythmus des Lebens gefunden.
Al Gore?! Quatsch! Präsident wollte er werden, war den meisten seiner Landsleute aber zu grün und also versifft oder umgekehrt.
Doch, doch, das erneut und voller Ernst der erste, ich weiß das genau, der kann dir alles ausrechnen, was du willst.
Freilich, denkst du selbst, die Amerikaner sind berechnend und unberechenbar zugleich – der andere scheint Ähnliches geäußert zu haben:
So meine ich das aber nicht, braust da nämlich der erste auf, der rechnet dir sogar aus, welcher Partner zu dir paßt.
Der Vize?
Genau, Al Gore! Wenn der erst den Rhythmus gefunden hat, weiß er genau, wen du an deiner Seite verträgst. Das spart Umwege.
Ach, sagt der Zweite, ich wäre da vorsichtig, hat der erst dein Geld kassiert, war alles nur wieder eine alternative Wahrheit. Ich kenn doch die Brüder…
Hat der Brüder?
Wer?
Al Gore!
Woher soll ich das wissen?!!
Na, wenn du sie kennst, wie du sagst, – warst du mal drüben?
Nee, nie, hab auch nicht das Bedürfnis dazu. Obwohl – New York könnten wir uns schon noch mal angucken, bevors absäuft … aber sag mal, kannst du dir deine Partnerin nicht selber ausrechnen?
Eben nicht! Dazu fehlt mir der Al-Gore-Rhythmus …

Neugierig geworden verläßt du deinen Hocker in Richtung Toilette, nur um nachher einen unauffälligen Blick auf die Redner werfen zu können. Aber wie du zurückkommst, sind sie verschwunden. Dankbar nimmst du dein zweites Bier in Empfang und überlegst, wieviele und welche Schritte der Algorithmus vorschreiben müßte, um das Gefühl der Dankbarkeit zu errechnen: 101001100011100001121100001110001100101 … in Ewigkeit Amen…

Thomas Gerlach

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