Nachschlag…

Zum Theater „Heiterer Blick“

Nachtragen wollte ich noch, dass die Gruppe am 22. Oktober dieses Jahres ihr 70-jähriges Jubiläum im Kulturbahnhof von Radebeul begeht. Um 19 Uhr findet dort die große Feier statt, zu der sicher nicht nur die vielen ehemaligen und gegenwärtigen Mitglieder und Fans herzlich eingeladen sind.

Nachtragen könnte man natürlich aus der Geschichte der Truppe so Vieles. Dass zum Beispiel die Familie Kunze aktiv mitwirkte und Dietmar Kunze u. a. verantwortlich war für das Bühnenbild von Antigone, dass die Mitglieder Andrea Stache und Bernd Peschke 1970 zum Schauspielstudio nach Rostock gingen oder Volkmar Weitze das Studium der Theaterwissenschaften an der Humboldtuniversität in Berlin aufnahm. Und wer erinnert sich noch an Karin Abicht…? Es war und kann nicht meine Absicht sein, als Chronist eines Theaters aufzutreten, welches ich nur durch die zufällige Bekanntschaft mit dem Ehepaar Kunick kennengelernt habe. Dazu glaube ich, sollten sich andere berufen fühlen. An die wechselvolle Geschichte des Theaters „Heiterer Blick zu erinnern, schien mir dennoch wichtig.

Ich jedenfalls komme gern zu dieser Jubiläumsfeier und fahre aus diesem Grund extra einen Tage eher vom internationalen Theaterfestival der deutschsprachigen Gruppe „Agora“ aus St. Vith/Belgien ab.

Karl Uwe Baum

Mit Tom Tagtraum durch das Jahr 2016 – Teil 10

Du musst Träumen ihre Entstehung zulassen, denn nur so kann irgendwann ein Teil davon auch Wirklichkeit werden.

Der Astronom auf dem Domhügel

„Nenn mich einfach Nick. Meinen richtigen Namen wälzt die Wissenschaft wohl noch in fünfhundert Jahren in die eine und dann wieder in die andere Sprache. Und nach all der Zeit sollte ich mich noch entscheiden, ob mein Reisepass zwei- oder dreifarbig gestreift sei! Dabei war das damals völlig gleich und sollte erst recht auch heute nicht mehr wichtig sein.“ Zur See im Norden war Tom sehr lange unterwegs und ungewöhnlich weit östlich angekommen. Ein schmaler Streifen Land trennt dort die See von einem See hinter dem Meer. Tom musste Irek, den Fährmann, auf seinem zinnoberroten Boot erst wecken, damit der ihn zu Nick übersetzte, blieb aber für die Rückfahrt ab dem kleinen Hafen mit Irek verabredet. „Weißt du Tom, eines Tages wird man mich im Dom begraben. Mein Sarg wird sogar unter Glas liegen und Besucher werden Eintritt zahlen müssen, um in die Kirche zu dürfen…Na, der Platz hier steckt aber voller Magie. Schau selbst, die Nacht ist wunderbar dunkel. Kein menschen-gemachtes Licht weit und breit, soweit ich von meinem Turm in den Himmel schaue. Und je mehr ich entdecke, desto mehr Ideen und Fragen kommen mir.“ Tom durfte mitten in einer neumondklaren Nacht durchs Fernrohr schauen und in Nicks Schriften und Zeichnungen stöbern. Mehrere Nächte vergingen so und auch Tage, an denen Tom meist unter einem mächtigen, alten Baum inmitten des Kathedralhügels schlief. Tage, an denen er, kurz erwacht, nur mal zur angelehnten Domtür schlich, um die Schöne Madonna auf der Mondsichel zu bewundern. Nächte, die er bei Nick am Fernrohr im Turmzimmer verbrachte. Der Astronom sah in Wirklichkeit gar nicht so aus, wie ihn die Nachwelt aus einem Kupferstich kennen sollte, wallendes Haar und fern entrückt. Nick war ein Mann vom Meer im Norden. Er hätte auch Bootsmann oder Fischer sein können. Jedenfalls war sein Wesen authentisch mit der Welt der Seen vor dem Meer. Kühler Nordwind war ihm tief in Stirnfalten gegraben und machte seine Gedanken zur Welt, die uns umgibt, erst wirklich.

„Nick, unsere Welt ist also wirklich richtig rund und die Planeten drehen sich nach festen Regeln um die Sonne?“ Tom starrte durchs Fernrohr und wagte vor Sternenfaszination kaum zu atmen. Sein Herz war weit und beklommen zugleich. Was hatte er eben gefragt? Nick dachte nach und formulierte mit nordischer Ruhe eine Antwort. „Das stimmt schon, Tom. Jedenfalls fast. Es wird bestimmt viele hundert Jahre so stimmen und die Leute werden es glauben. In Wirklichkeit ist aber alles ganz anders. Die Erde ist längst keine Kugel mehr, sondern ein Würfel. Und auch das wieder nicht. Die Erde besteht aus vielen Würfeln mit unendlich vielen Ecken und Kanten, die sich von allen Seiten durchdringen. Wichtiger als all die Sternenbahnen am Himmel ist, dass du ständig aufpassen musst, auf der Erde nicht bloß so über diese Kanten und Ecken durchs Leben zu stolpern. Am Ende hast du nichts auf der Welt gesehen, geschweige denn hinterlassen. Viele Leute stürzen dieser und nächster Tage ins Zeitaus, finden nie mehr ins Dies-Zeits zurück. Alles dreht sich immer schneller, dreht und dreht sich. Manche haben dann mit viel Geld alles nur Mögliche eingekauft und die tollsten Erlebnisse gebucht. Gerade denen bleibt mitunter nichts erhalten. Hörst du den Schrei der Graugänse draußen vom Haff? Ihren Flügelschlag? Der Endlosgedanke der Erde ist ein ganz anderer, als ihn deine und meine Gegenwart beschreibt.“ Tom hätte noch viele Fragen, wollte von Nick zum Beispiel wissen, wie das Leben auf die Erde gekommen war und wo die Zeit entsteht, wo der Raum drin ist, den wir als Raum erleben. Aber auf all das wollte Nick keine so rechte Antwort geben. Zum Abschied drückte er Tom einen selbst gezeichneten Sternenatlas in die Hand und brummelte etwas von „vielen verschiedenen Richtungen, Etappen in den Zeiten, Geist, der sich verändert…“. Da verstand Tom längst nicht mehr alles, denn selbst Nick war, wie sich hier herausstellte, auch nur ein Suchender geblieben. Tom ist dann den Domhügel direkt zum kleinen Hafen hinunter gerannt und weckt Käptn Irek, der die ganze Zeit auf dem zinnoberroten Fährboot gewartet hatte. Aber Tom holt nur sein signalrotes Flitzefahrrad mit Weitsprungfunktion von Bord und bedeutet Irek, weiter zu schlafen. Schließlich, nun, es kämen bald sehr stürmische Zeiten.
Trotz Flitzweitsprungfahrrades entfernt sich Tom nur ganz langsam von Nick, dem Astronomen vom Domhügel. Die Landschaft ist hier sanft geschwungen. Es hatte am Morgen noch geregnet. Toms Magen knurrt und dirigiert ganz irdische Dinge: Heiße Fischsuppe, Brot und Krautsalat. Das schmeckt so köstlich, Tom wird es auch morgen bestellen. Und übermorgen. Und üüüü… Nehmen wir einfach an, dass der dunkelrote Zug auf der Fahrt nach Hause nur die üblichen Verspätungen haben wird.

Tobias Märksch

Häuser im Weinberg

verein für denkmalpflege und neues bauen
„Sie können es einfach!“

Ein Stoßseufzer war das, tief aus der Seele einer Besucherin der Ausstellung, die am 26. August im sächsischen Weinbaumuseum Hoflößnitz eröffnet worden ist. Gemeint waren Thilo Hänsel und Klaus Schumann, die in einer kleinen feinen Kabinettausstellung „Häuser im Weinberg“ zeigen: Skizzen, Zeichnungen und grafische Arbeiten, entstanden auf langen Spaziergängen durch die heimischen Weinberge. Im Mittelpunkt steht dabei die Weinkultur – konkret der steingewordene Gestaltungswille, der mit Mauern, Treppen, Toren, Remisen und Lusthäusern seit Jahrhunderten unsere Landschaft zu der formte, die sie heute ist.

Klaus Schumann »Weinbergstor Finstere Gasse«

Klaus Schumann »Weinbergstor Finstere Gasse«


Die beiden Zeichner haben sich am Anfang des Lebens als Studenten in Dresden kennengelernt, haben zusammen im TU-Orchester musiziert und schon damals die gemeinsame Liebe zum Zeichenstift gepflegt. Nun, nach beiderseits reichem Arbeitsleben, haben sie sich wiedergefunden. Wieder und wieder sind sie gemeinsam unterwegs um zu zeichnen. Die Betrachter spüren die Freude, die beide am Unterwegssein haben und sie spüren die Liebe zum Sujet, das für sie mehr ist, als nur ein Malgrund.
Thilo Hänsel »Minckwitzsches Lusthaus«

Thilo Hänsel »Minckwitzsches Lusthaus«


Die Idee zur Ausstellung ist einem Buchprojekt entwachsen, eine Gelegenheit, die sich Museumsleiter Frank Andert glücklicherweise nicht entgehen ließ. Das Buch ist unter dem Titel „Weinberghäuser im Elbtal“ im September beim Notschriftenverlag erschienen.

Von Pillnitz im Südosten bis Seußlitz im Westen ist den wachen Augen der Zeichner kein architektonisches Kleinod verborgen geblieben, wobei sie, wie sie selbst sagen, keinesfalls Vollständigkeit angestrebt haben. „Mit jeweils eigener Handschrift“, schreibt Frank Andert in seinem Geleitwort, „aber freundschaftlich geteilter Wertschätzung für das Originale und baulich Gelungene“ haben Thilo Hänsel und Klaus Schumann hier „architektonische Zeugen der sächsischen Weinbaugeschichte dokumentiert“. Es ist dies durchaus ein Anspruch der beiden Künstler: zu zeigen, was ist, einen gegebenen mit Zustand künstlerisch ansprechenden Mitteln festhalten. So manches von ihnen mit dem Stift der Erinnerung erhaltene Detail haben der Zahn der Zeit oder die Ignoranz der Zeitgenossen schon verschwinden lassen.

Ein anderes Anliegen ist es, die Betrachter zum Selberschauen, zum Selbersuchen anzuregen, in ihnen die Liebe zu den Dingen zu wecken. Dem dienen dann Thilo Hänsels lyrische Erläuterungstexte ebenso wie die Worte, mit denen Michael Mitschke das Jahr des Winzers vorüberziehen lässt. Auch darin wird die Begeisterung spürbar, mit der die Autoren ans Werk gegangen sind.

Noch einmal Frank Andert: „Neben frischen Blicken auf bekannte Wahrzeichen hält der Band auch manche Entdeckung parat und weckt Lust, den Wegen der Zeichner zu folgen…“ und auf diesen Wegen wird so mancher von uns in der Landschaft stehen, das Büchlein in der Hand halten und wieder einmal bewundernd feststellen, „ja, sie könnens einfach …“

Thomas Gerlach

Intermediales Kunstprojekt „Radebeul besitzen“

Werke von 53 Künstlern in der Stadtgalerie

Dies Haus ist mein, es ist aber auch nicht mein,
der vor mir war dachte es wär sein,
es war aber nicht sein, denn er zog aus und ich zog ein,
und nach meinem Tod wird es ebenso sein!

Hausinschrift Meißner Straße 279

Themenorientierte Gemeinschaftsausstellungen mit lokalem Bezug haben in der Stadtgalerie Tradition. Ein erstes Projekt dieser Art wurde bereits 1986 unter dem Titel „Leben hinter alten Mauern“ gezeigt. Die Dokumentation „Altkötzschenbroda im Abriß?“ (1990) führte letztlich dazu, dass sich die Stadtgalerie am heutigen Standort in Altkötzschenbroda befindet. In einem engen Zusammenhang mit Radebeul standen auch die Projekte „RAD,RAD, RADebeul“ (2013) und „Radebeul – Stadt der Zukunft“ (2015), denen nunmehr „Radebeul besitzen“ folgte.

Foto: Stadtgalerie Radebeul

Foto: Stadtgalerie Radebeul

Die Eröffnung der Ausstellung am 10. September war wiederum mit einem kleinen hand- und hausgemachten Künstlerfest verbunden. Nach altbewährtem Ritual wurde das Publikum an verschiedenen Fest-Stationen mit hochwertigen Überlegungen und turbulenten Aktionen konfrontiert. Reißenden Absatz fanden die limitierten Radebeul-Aktien, welche nur an diesem Abend erhältlich waren und zur Teilnahme an einer Versteigerung der besonderen Art berechtigten. Das fiktive Portfolio des Auktionators reichte von der Schrott- bis zur Luxusimmobilie. Ersteigert werden konnten u.a. „Radebeuls kulturelle Mitte“, die „Fassade vom ehemaligen Bahnhofsgebäude in Radebeul-West“, die „Un-Friedensburg“ oder ein „Schlammteich“ mit den Koordinaten Y 405638 X 5664559 im System ETRS89b. Der Besitzerwechsel brachte Rekordeinnahmen. Zu höchst dramatischen Szenen kam es auch bei der Besitzergreifung des einzigen freien Stuhles auf der Bühne, denn der Hinweis „Sitzen verboten“ wurde von den zwei eigens aus Berlin und Leipzig angereisten Clowns völlig ignoriert. Alles in allem war es ein schönes Fest mit interessanten Gesprächen und lebendiger Musik zum Tanzen und vergnügten Zuhören.

Peter Graf »Besitz (jedem seinen Käfig)«, 2016, Pastell

Peter Graf »Besitz (jedem seinen Käfig)«, 2016, Pastell

Obwohl das diesjährige Thema „Radebeul besitzen“ zunächst recht schwierig schien, stieß es bei den Künstlern auf großes Interesse. Von den 53 Radebeuler bzw. mit der Stadt Radebeul verbundenen Malern, Grafikern, Bildhauern, Fotografen und kreativen Allroundern werden viele neue Werke gezeigt, welche eigens für diese Ausstellung entstanden sind. Ergänzend sind auch Arbeiten von bereits verstorbenen Künstlern aus dem Bestand der Städtischen Kunstsammlung eingefügt. Darüber hinaus setzen sich Schüler der Oberschulen Kötzschenbroda und Radebeul-Mitte mit der Thematik auseinander. Auch der Radebeuler Autorenkreis „Schreibende Senioren“ gestaltet im Rahmen der Ausstellung einen eigenen Beitrag.

Cornelia Konheiser, Bemalter Stuhl, 2016

Cornelia Konheiser, Bemalter Stuhl, 2016

Das Motto „Radebeul besitzen“ ist sowohl materiell als auch geistig und sinnlich ausdeutbar. Sitzen, besitzen, besetzen… Wer besitzt was und wie viel von der Wein-, Villen- und Gartenstadt Radebeul? Zugegeben – eine durchaus spannende Frage. Die Ausstellung gibt hierauf zwar keine Antwort, doch ohne Provokation keine Kunst. Und eine Stadt, die sich den „Luxus“ einer Stadtgalerie leistet, wird das wohl locker verkraften, zumal Kritik und Humor in diesem Falle dicht beieinander liegen.

Anita Rempe »Die Kugel rollt nicht«, 2016, Installation (Detail)

Anita Rempe »Die Kugel rollt nicht«, 2016, Installation (Detail)

Eigentum verpflichtet. Ja, wozu eigentlich? Steht Eigennutz über Gemeinwohl oder umgekehrt? Welchen Gewinn bringt Spekulationsgewinn? Wie ausgewogen gestaltet sich die Balance zwischen privatem und öffentlichem Raum? An welchen Orten fühlen sich die Bewohner Radebeuls besonders wohl? Wo sitzt man gern und was bedeutet es zu sitzen, in einer Zeit der boomenden Fast Food Ketten mit Essen und Trinken to go? Radebeul – eine Stadt der Genießer zwischen „wisch und weg“? Wird Radebeul von den „Auspendlern“ als Stadt überhaupt wahrgenommen? Wie lässt sich der Organismus einer Stadt begreifen? Wie hat sich das Bild der Stadt seit dem gesellschaftlichen Umbruch gewandelt? Wer dominiert den öffentlichen Disput über die Entwicklung unser aller Stadt und wer hält diesen in Gang?

Eine Stadt wie Radebeul bietet verführerisch schöne Motive. Doch Kunst ist viel mehr als das Abbild einer Postkartenidylle. Künstler haben ein feines Gespür für Veränderungen und dafür, was Menschen bewegt.

Die Stadtgalerie gleicht für sechs Wochen einer prall gefüllten Wundertüte mit Bildern und Objekten rund ums Besitzen in Radebeul. Gold wohin das Auge schaut. Haben oder sein? Auf einer Münzen ausspuckenden Ladenkasse thront eine (wohl um sich selbst kreisende) kleine Prinzessin. Doch alle Entwicklung ist blockiert, denn die goldene Kugel rollt nicht. Der vergoldete Sonnenkönig zeigt Flagge und hält die Friedensburg besetzt. Eine Domina peitscht die ihr hörige Schnecke mit goldenem Schneckenhaus. Goldene Zwerge sitzen auf dem blauen Planeten Radebeul. Ein Stuhl mit goldenem Toilettendeckel und Endlosschleifensymbol gemahnt an „Die Vergänglichkeit in der Unendlichkeit“. Goldene Pflastersteine werden zur zukunftsträchtigen Option, sobald die letzte Baustelle von Radebeul verkauft sein sollte, denn ewig währt der „Tanz ums goldene Kalb“. Jedem seinen Käfig!

Im Raum steht die Frage: Wie wollen wir leben? Startbereit und brav sitzen die Kleinsten auf dem Töpfchen. Sie haben noch Zeit. Das Galopprennen auf der Zielgeraden beginnt erst später und endet mit der „Letzten Ruhe“. Aus einem Birkenstamm sprießt der Paradiesapfelbaum. Hasen besetzen den Rasen. Stadträte besitzen Radebeul – ein Dampfer fährt vorbei. Wieder so ein Formfehler. Ziel verfehlt. Ob Friedensburg, Bahnhofsgebäude oder Kaiserpost – zu spät. Mensch, ärgere Dich nicht!
Von Bedeutung sind die Weinberge, der Gottesacker, die Nähe des Flusses, der Lößnitzgrund, die Streuobstwiesen, der „Hinterhof meiner Kindheit“, ein autofreies Altkötzschenbroda (wenigstens am Sonntag), der Pavillon im Grundhof, der Markttag in Radebeul-Ost, das kleine Frühstück oder
der sonnige Biergarten.

Don Quichote trägt den Kopf hoch über den Wolken. Er ist reich an Fantasie. Was jedoch zu seinen Füßen geschieht, kann er so nicht sehen. „Radebeul für alle“ wird zur Illusion, wenn wir nicht praktisch gegensteuern. Vorsorglich erfolgte deshalb vom 6.6. bis 21.8.2016 in Radebeul an öffentlich zugängigen Orten die Entnahme von 35 spekulationsfreien Bodenproben mit anschließender Konservierung. Auch Fund- und Erinnerungsstücke aus aller Welt verstauben nun in einem Serkowitzer Museumskoffer. Über einhundert Jahre alt ist das Aquarell mit dem herrlichen Blick übers Elbtal, präzise mit Mai 1913 datiert – zwei Weltkriege sollten folgen. Nur der Moment ist wahr.

Für Freunde der (Überlebens)Kunst bietet die Stadtgalerie reichlich Anregung
zum sitzen, besitzen, besetzen. Aber alles auf eigene Gefahr!

Karin (Gerhardt) Baum

Die Ausstellung ist bis zum 23. Oktober DI, MI, DO, SO 14-18 Uhr geöffnet. Gruppen-Führungen mit der Galerieleitung sind auch außerhalb dieser Zeiten möglich. Um Voranmeldung unter 8311-600, -625, -626, 0160-2357039 wird gebeten. MIDISSAGE am 21.10., FINISSAGE am 24.10., jeweils um 19.00 Uhr

Zu sehen sind Werke von Regina Baum, Dieter Beirich, Sophie Cau, Lieselotte Finke-Poser, Thomas Gerlach, Karen Graf, Peter Graf, Roland Gräfe, Christiane Herrmann, Gunter Herrmann, Mandy Herrmann, Horst Hille, Michael Hofmann, Cornelia Konheiser, Karen Koschnick, Matthias Kratschmer, Gabriele Kreibich, Ingo Kuczera, Dorothee Kuhbandner, Bärbel Kuntsche,Wolf-Eike Kuntsche, Käthe Kuntze, Edgar Kupfer, Klaus Liebscher, Johanna Mittag, Peter PIT Müller, Tine Neubert, Gerd-Rüdiger Perschnick, Anne-Katrin Pinkert, Pseudo, Gabriele Reinemer, Anita Rempe, Markus Retzlaff, Lutz Richter, Gerald Risch, Luc Saalfeld, Burkhard Schade, Petra Schade, Gabriele Schindler, Annerose Schulze, Fritz Peter Schulze, Gerold Schwenke, Gabriele Seitz, Karola Smy, Wolfgang Smy, Ju Sobing, SODA, Johannes Thaut, André Uhlig, Christian URI Weber, Irene Wieland, Renate Winkler, Reinhard Zabka

 

Editorial 10-16

Verschlungene rätselhafte Wege, die keinesfalls zielführend sein müssen – ein Labyrinth – eine herrliche Metapher griechischer Mythologie. Derzeit auch in Radebeul durchaus zu erfahren. Wie sollte man sonst die derzeitige Verkehrssituation beschreiben?
Es mutet an, als ergösse sich vor den Toren des Herbstes ein kaum zu ermessendes Füllhorn an Geldern, um das Straßengeflecht unserer Heimatstadt in eine einzige Baustelle zu verwandeln. Auf der Internetpräsenz der Stadtverwaltung werden in der ersten Septemberhälfte sage und schreibe 18! gleichzeitig verlaufende Baumaßnahmen aufgeführt. Und so wird die gute alte Meißner Straße durch Kappung wichtiger Nebenstränge, insbesondere mit Schließung der Kötzschenbrodaer Straße, seit langem mächtig malträtiert. Aber es geht noch mehr.
Selbst den „Obenrumfahrern“, welche das Nadelöhr zwischen Ober- und Niederlößnitz an der Jägermühle zu schätzen wissen, bleibt aufgrund der Brückenarbeiten die Querung versagt. Der vermeintliche Geheimtipp mit dem Übergang an der Grundmühle avancierte so nicht selten zur Staufalle für Insider.
Doch auch damit nicht genug. Um nach Lindenau zu kommen bedurfte es schon viele Monate den Umweg über die Moritzburger Straße. Schließlich war die logische Umleitung zum Erstaunen der Herumirrenden dann auch noch verschlossen. Nun bedurfte es einer Umleitung der Umleitung. Wer glücklich, wie ich, endlich in Lindenau angekommen über den Kreyernweg in Richtung Rietzschkegrund wollte, sah sich vor der nächsten Sperrung. Nach längerem Suchen fand ich einen kleinen abenteuerlichen Pfad.
Und ich staunte nicht schlecht, als „Altradebeuler“ noch ganz neue, ganz unbekannte Wege erfahren zu dürfen.

Sascha Graedtke

Editorial 09-16

Vorhang zu!
Im Oktober vor zwei Jahren eröffnete die frisch sanierte „Goldne Weintraube“ für Gäste und Personal der Landesbühnen Sachsen. Frohgemut übernahm auch der damalige Kantinenbetreiber mit Familie Engelmann den völlig neu gestalteten Küchentrakt. Die anfangs schlüssig erscheinende Gesamtkonzeption mit Gaststätte, als Podium für Kleinkunst und internem Kantinenbetrieb erwies sich in der Praxis als wohl leider nicht ganz so tragfähig. Die im Vergleich günstigen Preise und die zudem nicht einfach zu kalkulierenden Aufwendungen mit den täglich changierenden Probenplänen trieben den Pächter schließlich in die baldige Kündigung.
Das Theater hat mit dem Unternehmer André Sarrasani nun einen unerwarteten Nachfolger gefunden. Der Zirkusbetrieb mit dem klangvollen Namen hat in Dresden eine über hundertjährige Tradition, seit 1901 ist er mit seinem damaligen Sitz in der Gartenstraße 30 auch mit Radebeul eng verbunden. Jenes Haus ist heute, wenn auch wenig geschmackvoll, in Erinnerung des Firmensitzes derb farblich gestaltet.
Die Übernahme der „Theaterkneipe“ erfolgt nicht unter den glücklichsten Vorzeichen, da das traditionsreiche Unternehmen im Juli Insolvenz anmelden musste. Mit der neu gegründeten Sarrasani Event GmbH gibt es für die Fortführung der Geschäfte hingegen grünes Licht.
Konzeptionell soll sich in der „Goldnen Weintraube“ manches ändern, vieles wird strukturbedingt bleiben müssen. Wer mit den neuen zauberhaften Ideen der Theaterleitung und des Pächters nun aber der größere Illusionist ist, wird die Zukunft zeigen.
Dem neuen Betreiber ist inmitten der Theaterwelt zumindest wieder traditionsgemäß ein herzliches toi, toi, toi zu wünschen!
Also, Vorhang auf ab Anfang September!

Sascha Graedtke

Mit Tom Tagtraum durch das Jahr 2016 – Teil 9

Du musst Träumen ihre Entstehung zulassen, denn nur so kann irgendwann ein Teil davon auch Wirklichkeit werden.

Ferdinand, der verrückte Luftgraf

Das aber träumt selbst Tom nicht am Tag, sondern im tiefsten Schlaf. Die Fahrt im dunkelroten Zug war sehr lang und voller Bilder und ging in den Süden des Landes, in dem Tom lebt. Vor einer mächtigen Bergkette, die auch die Grenze zu zwei Nachbarländern durchzieht, liegt ein weiter und weltentiefer See, mit dem es noch die Bewandtnis hat, dass ein Fluss, gerade erst entstanden, auf der einen Seite hinein fließt, um den See auf der anderen Seite wieder zu verlassen und das ganze Land Richtung Norden zum Meer durchzieht.
Mittagszeit ist es am See, die Märzsonne strahlt hier meist viel kräftiger und wärmer schon als an anderen Orten des Landes. Genau das muss unseren Tom aber auf einer Bank vorm Eiscafé an der Seepromenade plötzlich so schläfrig gemacht haben.
Dass nun gerade in diesem Traum Tom eben Ferdinand erschien, Ferdinand der verrückte Luftgraf, das wiederum ist kein Zufall, es hängt mit dem Ort am See zusammen. Ferdinands Idee, die Erde mit Fluggeräten zu erkunden, die Menschen jeden Tag, ja jede Sekunde über Ländergrenzen, ja Meere und Kontinente hinweg durch die Luft gleiten zu lassen – diese Idee wurde hier am See geboren. Nein, Ferdinand war längst nicht der erste Mensch, der vom Fliegen träumte und zu fliegen versuchte. Seine Besessenheit aber, silbergraue Luftschiffe zu bauen, die sehr weite Strecken in großer Höhe zurücklegen können und Menschen auf der ganzen Erde miteinander verbinden, dieser Spleen des „verrückten Luftgrafen“ war der Beginn dessen, was wir heute erleben, wenn wir vor der elektronischen Anzeigetafel eines großen Flughafens stehen und versuchen, die Zielorte auf der Erde nach Ländern und Richtungen zu ordnen. Tom träumt, von Ferdinand durch die alte Luftschiffwerft geführt zu werden und findet, dass sich beide in ihren Ideen und Spinnereien sehr gut verstehen. Wie Tom hat einst Graf Ferdinand Träumen ihre Entstehung zugelassen. Er hatte von einem Helden namens Ikarus gelesen, der seine Gefangenschaft auf einer Insel mit selbst gebauten Flügeln verlassen und in die Freiheit wollte. Eine Sage, erhalten aus einer Zeit, die heute durch ihre hinterlassenen Aufzeichnungen entschlüsselbar ist. Ikarus‘ Flucht misslang, er stürzte ins Meer. Von Graf Ferdinands Träumen aber hat sich nicht nur ein Teil verwirklicht, nein, es ist viel mehr Wirklichkeit geworden, als das, wovon Ferdinand je zu träumen gewagt hatte.
Jetzt wird es am See etwas lauter. Aus dem Hafen ausgefahren, nimmt ein möwenweißer Katamaran an Fahrt auf, um den See diagonal in den Hafen der Stadt am Uferhorizont zu durchqueren. Weit draußen begegnen sich zwei Fähren mit kunterbunten Autos in ihrem Unterdeck, denen der Weg so verkürzt wird. Und als wäre das noch nicht genug, setzt noch ein – diesmal dunkelblaues und schon etwas größeres – Flugzeug zur Landung auf dem Flugplatz der Stadt am See an. Es fliegt deshalb schon ganz tief, als es die ersten Häuser an der Uferpromenade samt der Bank vorm Eiscafé mit dem eingedösten Tom überquert. Tom fühlt sich in den Arm gekniffen, als er wieder wach wird, das Eis in seiner Waffel ist ein wenig angeschmolzen. „Ferdinand? Hallo Graf Fer…“ Da entdeckt Tom hoch über dem See ein ruhig ziehendes, traumorangefarbenes Luftschiff. Er kneift sich noch einmal selbst in den Arm, steht auf und läuft lächelnd die Seepromenade hinab.

Tobias Märksch

Es ist etwas hinzugekommen

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Steinerne Schnecke«, Zeichnung von Dr. D. Kunze

Kunst wird bekanntermaßen sehr unterschiedlich vom Rezipienten angenommen. Solange es sich um Werke handelt, seien es Bilder, Musikstücke oder Geschriebenes, kann das jeder mit sich selbst ausmachen, ob’s gefällt oder durchfällt.
Ganz anders ist es mit Werken der bildenden Kunst im öffentlichen Raum, die von allen Menschen konsumiert werden müssen.
Hier herrscht in der Regel eine Bandbreite zwischen reflexartiger Ablehnung und enthusiastischer Zustimmung und Bewunderung vor.
Zu reden ist von einem neuen Kunstbaustein im Weinberg der „Drei Herren“ in der Radebeuler Oberlößnitz. Konkret handelt es sich dabei um eine Bekrönung der sogenannten Steinernen Schnecke, dem Cikkurat, einem „planvoll aufgeschichteten Hügel aus Syenitsteinen von ca. 7,00 m Höhe in Form einer Schnecke, also mit einem spiralförmig angelegten Weg“ (Helas, Denkmale in Sachsen, Stadt Radebeul).
Sie/er dürfte wahrscheinlich im 17. Jahrhundert angelegt worden sein, 1842 kann er als vorhanden nachgewiesen werden (ebenfalls Helas).

Der Leser merkt schon: ein sehr sensibler Ort an der Hangkante der Weinberge.

Diese Bekrönung erfolgte durch einen aus Keramik gefertigten Kopf, man sollte ihn „Schneck“ nennen.

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Das Kunstwerk im Anflug Foto: Dr. D. Kunze

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Foto: Dr. D. Kunze

Der Schöpfer ist Herr Prof. D. Reinemer, ein ortsansässiger Bildhauer mit ehemaligem Lehrauftrag für das Fach Keramik an der Dresdener Hochschule für bildende Künste.
Wie auch bei den anderen im Berg verstreut platzierten Kunstwerken ist auch bei diesem Objekt Herr Prof. Beck, einer der „Drei Herren“, Inspirator und Auftraggeber.
Natürlich kann man streiten, ob die steinerne Schnecke einen solchen Abschluss benötigt oder nicht. Überzeugend ist jedoch das Durchwandern des Hohlweges mit dem Blick nach oben. Hier findet sich auch rechts des Weges eine kleine sandsteinerne Plattform mit den geschichtlichen Erläuterungen zum Bauwerk selbst – von hier aus ist der Schneck wohl am schönsten zu betrachten, wenn man sich den doch mühsamen Aufstieg auf dem Wein- und Kunstwanderweg im Weinberg bis dicht heran ersparen will oder muss, weil die Puste nicht reicht.
Dem Aufsetzen des Bildwerkes gingen neben vielen Überlegungen und Skizzen auch die Herstellung eines Phantoms aus Holz und Papier voraus, um die richtigen Maßverhältnisse im Vergleich zum Unterbau festlegen zu können.
Hergestellt hat ihn D. Reinemer in Crinitz (Brandenburg), einer traditionsreichen Firma zur Herstellung industriell genutzter Steinzeugprodukte (Wassertröge und Behälter in dunkelbrauner Farbe, vielleicht ist manchem so etwas schon begegnet). Der Kopf des Schneck ist farbig gefasst und mit Eisenbändern stabilisiert (Blitzschutz?).

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Steinzeugkopf mit Eisenbändern Foto: Dr. D. Kunze

Am unteren Rand sind Verfasser und Helfer genannt. Der Korpus ist zusätzlich noch mit chinesischen oder japanischen Schriftzeichen, wer weiß es schon genau außer dem Künstler selbst, versehen.
Das Objekt stellt neben der künstlerischen Meisterleistung auch ebenso eine technische dar.
Der Clou des Ganzen sind Öffnungen: Mund, Nase und Ohren, aus denen, wenn man den im Berg verborgenen, früher mit einem Kamin versehenen Raum mit einen Feuer beheizt, Rauch aufsteigt und damit vom Wesen der Kunst im weitesten Sinne zeugt.
Vielleicht ist die Wahl der nächsten Weinkönigin ein gegebener Anlass, ihn richtig qualmen zu lassen.

Dr. Dietmar Kunze

Schmetterlinge im Weinberg (Teil 2)

9-segelfalter

Foto: J. Kuhbandner

Zurück in die Weinberge, nun in die heimischen, in die sächsische Kulturlandschaft entlang der Elbe. Auch hier haben einige seltene Falterarten überlebt. Wer mit offenen Augen durch die Weinberge spaziert, kann sie fliegen sehen.
Die Schmetterlingszeit in den Weinbergen beginnt mit den ersten warmen Sonnentagen. Das kann schon im Februar oder März sein. Es erscheinen die Überwinterer – die Schmetterlinge, die als Falter den Winter in Kellern, auf Dachböden, in Mauerritzen oder geschlossener Vegetation schlafend verbrachten. Der Zitronenfalter, der Kleine Fuchs, der C-Falter und das Tagpfauenauge sind die ersten Boten. Ein erneuter Wintereinbruch lässt sie wieder verschwinden. Sieht man den Aurorafalter, zuerst die männlichen Tiere mit den orangen Flügelspitzen, wird es bald Frühling. Dieser Falter hat den Winter im Puppenstadium verbracht, wie auch der ihm folgende Segelfalter. Schlüpfen sie aus der Puppe, ist der Sommer nicht mehr weit.
April, Mai – die ersten warmen Tage. Wir nehmen den Weg über Schloss Wackerbarth zum Jacobstein. Mit viel Glück können wir den Segelfalter beobachten. Diese wärmebedürftige Art lebt hier in einem seiner nördlichsten Verbreitungsgebiete an den sonnigen Hängen mit Trockenmauern und Brachen mit wilder Schlehe, der Futterpflanze der Raupe. Der Wärmeanspruch und das Verschwinden geeigneter Biotope macht ihn in Deutschland zu einer sehr seltenen Schmetterlingsart. In der Roten Liste der Tagfalter Sachsens steht er als „stark gefährdet“ und „besonders geschützt“. Der Segelfalter – hellgelb mit schwarzen Streifen, einer Flügelspannweite von 5 bis 8 Zentimetern, an den Hinterflügeln je einen halbmondförmigen blauschwarzen Augenfleck mit orangeroter Randung und den auffälligen langen Schwanzfortsätzen, die ihn vom ähnlichen Schwalbenschwanz unterscheiden – fällt durch seinen elegant gleitenden Flug auf. Wir sehen ihn hier unterhalb des Jacobsteins durch den Weinberg segeln, unter Ausnutzung der Thermik zeitweise ohne Flügelschlag. Dann ein kurzes Flattern an einer Distelblüte und am Natternkopf, von einem Artgenossen aufgescheucht geht es senkrecht nach oben. Zwei Falter schrauben sich in den Himmel. Wir verlieren sie aus den Augen. Dieses Balzverhalten bezeichnet man als Hilltopping, zu beobachten meist an exponierten Stellen, einer Bergkuppe, wie hier am Jacobstein, oder auch am Bismarckturm in den Weinbergen der Oberlößnitz. Der imposante Falter fällt auch in den Gärten unterhalb der Weinberge auf. Dort locken ihn die Blüten zum Nektar tanken. Die Raupen fressen an wilder Schlehe, die zwischen den bewirtschafteten Weinbergflächen wächst. Im südlichen Europa kommt der Segelfalter häufiger vor, bringt im Jahr bis zu vier Generationen hervor. Nördlich der Alpen spricht man von meist nur einer Frühjahrsgeneration. Ich konnte aber in den letzten Jahren immer eine zweite Generation im Juli beobachten. Ein gutes Zeichen. Als ich einmal in der Webergasse mit meinem Teleobjektiv am Zaun stand und versuchte Segelfalter zu fotografieren, die dort um ein Blumenbeet flogen, erweckte ich die Aufmerksamkeit einiger Spaziergänger. Sie entdeckten das Objekt im Ziel meiner Linse und staunten nicht schlecht. So große Falter, wo sind die denn entflogen? Einer wusste ihn zu bestimmen: ein Schwalbenschwanz. Vor Jahren hätte er mal einen gesehen. Ich erklärte ihnen die Besonderheit. Eine Verwechslung mit seinem nächsten Artverwandten dem Schwalbenschwanz liegt nahe, da man beide Falter sehr selten zu Gesicht bekommt.
Der Segelfalter hat eine offensichtliche Beziehung zum Weinbau, dessen Anbaumethoden sich in letzter Zeit hin zum ökologischen geändert haben. Sein Lebensraum wird nicht mehr bedroht
Juni, Juli – kleine Bläulinge sind nun an den Wildblumen zwischen den Weinreben und am Wegesrand zu beobachten. Kohlweißlinge vervollständigen das Bild, noch sind sie relativ zahlreich vertreten. Hat der Sommer die Oberhand bekommen, fliegen die Gäste aus dem Süden ein, die sogenannten Wanderfalter wie Admiral, Distelfalter oder Taubenschwänzchen.
Das Taubenschwänzchen ist ein kleiner Schwärmer und erinnert an einen Kolibri, wenn es in der Luft an einer Blüte verweilt und mit seinem langen Rüssel Nektar trinkt. Diese Vertreter haben einen weiten Weg hinter sich – über die Alpen bis zu uns in den Weinberg. Hier pflanzen sie sich fort, fliegen weiter nördlich oder sind bis in den Spätsommer bei uns zu Gast.
Noch eine Seltenheit. Der Russische Bär oder auch Spanische Flagge genannt, ist eigentlich ein Nachtfalter. Er fliegt aber auch tagsüber im Weinberg. Man nimmt etwas orangerotes Flatterndes war. Sitzt der Falter an einer Mauer oder auf einem Blatt, sind die Flügel geschlossen. Braun mit weißen Streifen, bilden sie eine dreieckige Form. Die orangeroten Hinterflügel sind verdeckt.
Bekannt ist der Falter als Touristenattraktion auf der Insel Rhodos. Dort sammeln sich alljährlich tausende Falter im Tal der Schmetterlinge (Petaloudes). An Felsen und Stämmen sitzen die Falter dicht gedrängt. In den sächsischen Weinbergen und nahen Taleinschnitten ist der schöne Falter von Mitte Juli bis Ende August zu beobachten. Etwas Glück gehört aber immer dazu und man kann froh sein, wenn man einen einzelnen zu Gesicht bekommt. In der Roten Liste Sachsens ist die Art in die Kategorie „stark gefährdet“ eingestuft.
Zum Schluss etwas Statistik. Schmetterlinge sind die zahlenmäßig zweitstärkste Gruppe an Arten unter den Insekten nach den Käfern. In Deutschland sind ca. 3700 Arten beschrieben, davon entfallen 190 Arten auf die Tagfalter. In Sachsen sind 114 Tagfalterarten nachgewiesen. Davon gelten 66 Arten als gefährdet bzw. ausgestorben. 16 Arten sind bereits ausgestorben, 20 weitere sind vom Aussterben bedroht. (Quelle: Rote Liste Tagfalter Sachsens, Landesamt für Umwelt und Geologie, Juli 2007)
Ausgeräumte und intensiv genutzte Landschaften sind eine Ursache für das Verschwinden vieler Schmetterlingsarten. Den Futterpflanzen der Raupen und Schmetterlinge wird die Wachstumsgrundlage entzogen. Es bleiben nur wenige Refugien und Nischen, die Rückzugsorte für viele bedrohte Tiere und Pflanzen darstellen. Diese sollten wir schützen und erhalten.
Einer dieser wertvollen Lebensräume für Schmetterlinge ist der Weinberg. Wir sind auf einem guten Weg.
So könnte auch bei uns, wie an der Mosel der Apollofalter, ein Vertreter der fliegenden Gaukler der Lüfte symbolhaft auf dem Etikett einer Weinflasche von einer lebenswerten Kulturlandschaft erzählen. Der heimische Segelfalter wäre ein würdiger Botschafter.

Jörg Kuhbandner

„Tag des Offenen Denkmals 2016“ am 11. September

verein für denkmalpflege und neues bauen

In diesem Jahr wenden wir uns in Radebeul vorrangig Wohngebäuden zu.
Radebeul wird neben den historischen Dorfkernen insbesondere durch seine vielfältige Wohnbebauung der Ober- und Niederlößnitz geprägt. Zumeist verbinden wir damit Villen, Winzerhäuser, Weingüter. Weniger im Bewusstsein sind die kleinen Siedlungsgebiete aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, wie z. B. die zwischen Kötitzer und Brockwitzer Strasse in Naundorf (Nähe „Planeta“), die Gröba-Siedlung in der Niederlößnitz oder die an der Trachauer Strasse in Radebeul Ost. Auch anderenorts in Radebeul findet man Ansätze von Siedlungsbebauung aus dieser Zeit in Radebeul.

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Wohnhaus »Kyauhaus«, Wettinstraße 2 Foto: J. Reichstein

Städtebaulich besonders prägend ist die kleine, aber sehr feine Bebauung am Rosa-Luxemburg-Platz. Diese wurde ebenso wie die Gröba-Siedlung, durch den Elektrizitätsverband Gröba für Mitarbeiter der neuen Verwaltungszentrale am Körnerweg gebaut. Und dies am besten Platze der Niederlößnitz – direkt gegenüber dem Rathaus!
Von Außen betrachtet schienen die Gebäude in den letzten Jahren in einen unergründlichen Dornröschenschlaf gefallen zu sein. Seit dem Sommer saniert die Besitzgesellschaft Radebeul als Eigentümer das Objekt und gewährt am „Tag des Offenen Denkmals“ Einblick in ihr Vorhaben und in dem Wohnbereich Rosa-Luxemburg-Platz 3.

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Wohnhaus, Heinrich-Heine-Str. 11a Foto: C. Crämer

Wohnbebauung ganz anderer Art – vor allem viel älter – begegnet uns im Kyauhaus auf der Wettinstrasse 2. Um das Gebäude rankt sich nicht nur die eine oder andere Sage, es ist nach der aufwändigen (teilw. noch laufenden) Sanierung ein beeindruckendes historisches Zeugnis Radebeuls.
Die Ursprünge des Gebäudes stammen von einem zwischen 1650 und 1670 erbautem Winzerhaus. Es folgten bald erste Umbauten und mit dem Besitzerwechsel 1754 die barocke Neuordnung des Grundrisses. Aus dieser Zeit sind noch Deckenmalereien im 1. Obergeschoss erhalten und können besichtigt werden. Ebenso die historische Holzdecke im Erdgeschoss, die sich nach Freilegung als  reichhaltiger „Bretter-Fundus“ verschiedenster Bauepochen entpuppte. Auf alle botanisch interessierten Besucher wartet außerdem die frisch ausgetriebene Kyau-Linde im Garten.
Eine ebenso abwechslungsreiche, wenn auch nicht so alte Geschichte verbindet sich mit dem Objekt auf der Heinrich-Heine-Strasse 11a. Erbaut wurde das Gebäude als Remise mit Kutscherwohnung für die Villa „Lina“ Horst-Viedt-Strasse 3. Dank der liebvollen Sanierung der Eigentümer ist der bauliche Zusammenhang heute im Äußeren wieder unverkennbar. Ab den 1938er Jahren wurde das Gebäude zu Büro und Werkstatt umgebaut und erhielt mehrere Anbauten sowie Nebengebäude. 2012 bis Ende 2013 sanierten die jetzigen Eigentümer das Objekt nicht nur denkmalpflegerisch, sondern auch umfangreich energetisch. Am „Tag des Offenen Denkmals“ gewähren sie Einblick in Grundstück und Erdgeschoss mit ehem. Stallung und Remise.
Traditionell öffnet die Hoflößnitz am „Tag des Offenen Denkmals„ kostenfrei ihre Türen. Alle Denkmalfreunde sind in das Museum mit Sonderausstellung und zu Führungen durch die historische Weingutanlage eingeladen. Das Presshaus wurde in den letzten Jahren umfangreich umgebaut und steht seit Mai dieses Jahres als Veranstaltungsstätte zur Verfügung – am 11. 09. dem Deutsch-französische Chor Dresden als Konzertraum.
Wir laden Sie recht herzlich ein, am 11. September „Neues Altes“ in Radebeul zu entdecken, mit Bauherren und Mitbesuchern ins Gespräch zu kommen und Erfahrungen auszutauschen.
Katja Leiteritz

Veranstaltungsorte am Tag des Offenen Denkmals

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