„Tag der offenen Gärten“

verein für denkmalpflege und neues bauen

Denn ich halte dafür, dass es der Hauptzweck des Gartens ist, Freude zu bereiten und das Gemüt zu erfrischen, zu lindern und zu läutern.“

Gertrude Jekyll, 1907

Die Idee zur „Offenen Gartenpforte“ hat ihren Ursprung in England Ende der 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts. Im Lauf der folgenden Jahrzehnte entwickelten sich in einigen Staaten Europas und auch in Deutschland Initiativen, bei denen private Gartenbesitzer an einem bestimmten Tag im Jahr für Besucher ihren Garten öffnen. Dies ermöglicht es vielen Menschen, die Vielfalt und Schönheit von Gärten kennen zu lernen sowie Gedanken und Erfahrungen auszutauschen oder sich einfach umzuschauen.

In diesem Jahr findet bereits zum vierten Mal der „Tag der offenen Gärten“ in Radebeul statt. Der Hauptanteil der beteiligten Gärten befindet sich in diesem Jahr von Radebeul-Ost bis Mitte. Die Wahl des diesjährigen Termins schon am letzten Maiwochenende, statt wie bisher im Juni, hat den Grund, dass wir hoffen, die in Radebeul recht häufig gepflanzten Rhododendren mal in Blüte zu „erwischen“, um die Farbenpracht dieser Gehölze genießen zu können. Diese überwiegend im lichten Schatten alter Bäume gut wachsenden, meist immergrünen Sträucher können bei entsprechenden Wachstumsbedingungen im Laufe von Jahrzehnten sehr alt werden und eine beachtliche Größe entwickeln. Ihre überreiche Blüte zwischen Mitte Mai und Mitte Juni ist immer ein dominanter Auftritt im Gartenjahr. Davor und danach bilden die dunkelgrünen Büsche den perfekten Hintergrund für andere Sträucher und blühende Begleitstauden. Die sommergrünen Rhododendren, auch als Azaleen bezeichnet, zeigen oft im Herbst noch eine schöne Laubfärbung. In einigen der diesjährigen Gärten sind Rhododendren zu finden, begleitet von passenden Schatten- oder Waldstauden, Farnen und Gräsern. Die beiden Gärten in Radebeul-West sind durch ihre Lage am Hang ganz anderer Art. Hier können Sie zusätzlich zum Garten den Ausblick übers Elbtal genießen.

Bitte beachten Sie, dass die Gärten an überwiegend schmalen Straßen liegen und die Parkmöglichkeiten deshalb begrenzt sind. Das Organisationsteam hat den Schwerpunkt in diesem Jahr auf Radebeul-Ost gelegt, um die Wege kurz zu halten und somit Verkehr zu vermeiden. Lassen Sie also nach Möglichkeit das Auto zu Hause und kommen mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, zu Fuß oder mit dem Fahrrad und genießen den Tag bei hoffentlich schönem Wetter.

Iris Wilhelm

Die offenen Gärten (PDF)

XJAZZ in RADEBEUL

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Günter Baby Sommer im Konzert                                           Foto: Rytz

Karl May und Radebeul, die köstlichen Weinfeste mit einem sehenswerten Angebot an Kunst -und Kulturaktionen, die Lößnitzberge, das Theater Landesbühnen Sachsen, der Kunstpreis der großen Kreisstadt Radebeul, Kötzschenbroda mit seiner Zugverbindung nach Chattanooga Choo choo und vielleicht noch Baby Sommer aus Radebeul…..viele Künstler und ein angenehmes Wohnambiente.

Das sind wohl im Telegrammstil die schnellsten Antworten auf die Frage: „Was fällt Ihnen zu Radebeul ein“.

Aber Jazz in Radebeul? Und dann noch XJAZZ!!!! Das ist eine Errungenschaft und Neuheit, welche nur von jungen Leuten erfunden worden sein kann, die etwas Unruhe in die Selbstgefälligkeit und Beschaulichkeit des Radebeuler Bildungsbürgertums bringen wollen.

Gut so, ihr jungen Macher! Ohne Barock keine Noise Music, ohne Wein kein Trester und ohne Senf wissen wir den Geschmack des Honigs nicht zu schätzen.

Mit dem ersten XJAZZ Festival kommen neue Töne in unser Tal und Orte wie das Weingut Aust, die Lutherkirche in Ost und die Landesbühnen Sachsen werden um eine Musikgattung bereichert, derentwegen man sich sonst mindestens nach Dresden, wenn nicht gar weiter weg bewegen musste.

Wenn sich die Radebeuler Bürgerschaft zwar erfolgreich gegen das Eindringen von McDonalds, Kentucky Fried Chicken und die Errichtung einer Sommerrodelbahn in den Weinbergen erwehren konnte, so sollte sie doch dem Jazz gegenüber eine Willkommenshaltung einnehmen und hingehen, wo diese Musik am 27. und 28. Mai ertönen wird. Wenn auch der Begriff JAZZ schon mißbräuchlich für Automarken und Unterwäsche gebraucht wird, so hat es die Kunstgattung JAZZ selbst nach 100 Jahren immer noch schwer in die heiligen Kunsthallen der Hochkultur einzuziehen.

Deshalb würde ich mich freuen, wenn die Radebeuler bereit sind, im Mai 2016 zwei Feste zu feiern.

Nämlich das alljährliche Karl-May Fest – UND – den Erstling XJAZZ.

Von Ihrer Akzeptanz hängt es ab, ob wir dann ab dem Jahr 2017 eine Reihe machen können.

Viel Vergnügen bei offenen Ohren wünscht

Günter Baby Sommer

XJAZZ – Programm und Künstler

Editorial 05-16

Endlich ist es soweit!

Nach langen Sanierungsmaßnahmen feiert das „Pressenhaus“ von Hoflößnitz im Mai seine feierliche Eröffnung. Der im Jahr 1824 nach Plänen des sächsischen Landbaumeisters Carl Mildreich Barth errichtete Bau war im 19. Jahrhundert bis zur Reblauskatastrophe das zentrale Wirtschaftsgebäude des einst königlichen Weingutes. Nach Ende des Ersten Weltkrieges kam den Räumlichkeiten eine neue Bedeutung zu, als Carl Pfeiffer hier eine Versuchs-und Lehranstalt mit Musterkelterei einrichtete.

Nachdem für die Kellerwirtschaft vor der Sanierung eine neue Heimstatt außerhalb der Anlage gefunden wurde, erhält der wohlproportionierte Zweckbau aus der Blütezeit des Klassizismus nun wieder eine zentrale Funktion. Im Erdgeschoss befindet sich der zentrale Empfangsbereich mit angeschlossener Vinothek. In einem weiteren Raum entsteht das „Sächsische Weininformationszentrum“, das einen umfassenden Überblick über den sächsischen Weinbau der Gegenwart vermittelt. Der „Winzersaal“ im Obergeschoss bietet Raum für Veranstaltungen, Tagungen und Feiern mit bis zu 100 Gästen.

Im Vorfeld der Umbaupläne gab es in Teilen der Radebeuler Bürgerschaft laut formulierte Bedenken. Immerhin befindet sich das bedeutsame Gebäudeensemble aus denkmalpflegerischer Sicht im besonderen Spannungsfeld zwischen historischer Bewahrung und den strukturellen Bedürfnissen unserer Zeit. Ein Spagat, der naturgemäß nicht allen Parteien Rechnung tragen kann.

Im Rahmen des Hoffestes am 28. und 29. Mai haben die Besucher nun die Möglichkeit, die neue konzeptionelle Ausrichtung mit Führungen und Wein selbst erleben zu können.

Sascha Graedtke

Ein seltener Glücksfall

Künstlerischer Nachlass von Karl Sinkwitz (1886-1933) in der Radebeuler Stadtgalerie

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Karl Sinkwitz »Kötzschenbroda Hauptstraße«, Aquarell, Mai 1909        Repro: Radebeuler Stadtgalerie

Die interessierten Kunstfreunde können sich freuen. Erstmals gibt eine Ausstellung umfassenden Einblick in das Schaffen des Malers und Grafikers Karl Sinkwitz, der sich zu Lebzeiten als talentierter Architektur-, Landschafts- und Porträtmaler sowie als Gebrauchsgraphiker einen Namen gemacht hatte. Bekannt wurde er vor allem durch seine Stadtbilder von Bautzen, für die er öffentliche Anerkennung erfuhr. Wenngleich der Künstler über eine längere Zeit in Bautzen wirkte, befand sich sein eigentlicher Wohnsitz in der Landgemeinde Niederlößnitz (heute ein Ortsteil von Radebeul) auf der Blumenstraße 5. Dort lebte er am Fuße der Lößnitzhänge in der eigenen kleinen Villa mit seiner Frau Charlotte und den beiden Söhnen Bernhard und Hermann. Auch die heimische Kulturlandschaft bot ihm Anregung und viele darstellenswerte Motive.

Nach dem frühzeitigen Ableben im Jahr 1933 geriet der Künstler nahezu in Vergessenheit.

Acht Jahrzehnte später ereignete sich ein seltener Glücksfall. Die Städtische Kunstsammlung Radebeul erhielt von der „Erbengemeinschaft Sinkwitz“ im Jahr 2012 eine sehr umfangreiche Schenkung. Damit war sie dem Wunsch von Bernhard Sinkwitz nachgekommen, den künstlerischen Nachlass seines Vaters an dessen Heimatstadt zu übergeben.

Obwohl Bernhard Sinkwitz – ein Pfarrer im Ruhestand – seit vielen Jahren in Freiberg lebte, ist seine Bindung zur Lößnitzstadt nie abgerissen. Wenn er in Radebeul weilte, besuchte er sein Elternhaus und das Familiengrab auf dem Friedhof in Radebeul-West. Hin und wieder kam er dann auch in die Stadtgalerie und erzählte von seinem Vater, dem Kunstmaler Karl Sinkwitz. Besonderes Interesse zeigte er an der Gedenkausstellung zum 125. Geburtstag von Paul Wilhelm (1886-1965), einem engen Freund des Vaters.

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Karl Sinkwitz »Selbstbildnis«, Kohle/LW, o. J.         Repro: Radebeuler Stadtgalerie

Im Frühjahr 2012 erreichte die Galerie ein Anruf. Die Nachlasspflegerin Carola Kamptner teilte mit, dass Bernhard Sinkwitz im Juni 2011 verstorben sei und der Radebeuler Stadtgalerie die Bilder seines Vaters hinterlassen habe.

Das Konvolut umfasste insgesamt knapp 400 Einzelexponate, wobei es sich – das muss einschränkend angemerkt werden – dabei nicht ausschließlich um Werke von Karl Sinkwitz handelte. Manches Blatt mag ihm als anregende Vorlage gedient haben und auch Sohn Bernhard hatte wohl alles, was ihm an Arbeiten (auch von anderen Künstlern) aufhebenswert erschien, in den Grafikmappen des Vaters deponiert.

In diesen vier Mappen befanden sich Pastelle, Aquarelle, Zeichnungen, Grafiken, Skizzen und Entwürfe, dazwischen Unmengen von vergilbtem Seiden- und Pergamentpapier. Die gerahmten Bilder hingen zum Teil noch an den Wänden. Außerdem gehörten zum Konvolut zwei Skizzenbücher und einige Druckplatten sowie eine kleinere Mappe mit Briefen und Postkarten.

Die Art der Lagerung hatte den Arbeiten im Laufe der Zeit stark zugesetzt. Die Blätter waren stockfleckig und von Schädlingen befallen, was die Begutachtung durch einen Papierrestaurator dringend erforderlich macht. Trotz des bedenklichen Zustandes stellte sich recht schnell heraus, dass mit der Schenkung des Konvolutes, welches Werke aus nahezu allen Schaffensperioden enthielt, ein nahezu weißer Fleck in der Radebeuler Künstlerlandschaft endlich mit Farbe gefüllt werden kann.

Obwohl Karl Sinkwitz mit Paul Wilhelm, Karl Kröner, Theodor Rosenhauer, Ruth Meier und Burkhart Ebe den kollegialen Austausch pflegte und durch jene große Wertschätzung genoss, ist er heute nur noch wenigen Kunstfreunden ein Begriff.

Selbst im Aufsatz „Die Lößnitz und ihre Künstler“, verfasst von dem profunden Kenner der Radebeuler Kunstszene Dieter Hoffmann, welcher 1998 in der Reihe „Dresdner Hefte“ erschien, sucht man den Namen Karl Sinkwitz vergebens. Und sogar im Radebeuler Stadtlexikon wurde nicht der 9. April, sondern fälschlicherweise der 9. März 1886 als Geburtsdatum ausgewiesen.

Im Auftrag der Stadtgalerie recherchierte die Dresdner Kunsthistorikerin Katrin Bielmeier zu Karl Sinkwitz in Archiven, Museen und sonstigen Einrichtungen. So wissen wir nun, bei welchen Lehrern und mit wem er an der Königlich Sächsischen Kunstgewerbeschule studierte und dass sich Werke von Karl Sinkwitz in Museen der Städte Bautzen, Zittau, Görlitz und Dresden befinden. In verschiedenen Textbeiträgen fanden sich Hinweise auf Ausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen. Aussagen zur Biografie und zum künstlerischen Werdegang waren jedoch rar.

Völlig unerwartet geschah dann wiederum etwas ganz Erstaunliches. Zu Beginn des Jahres 2016 kam ein Anruf von den Bewohnerinnen der Villa auf der Blumenstraße, in welcher die Witwe des Künstlers noch bis zu ihrem Tode im Jahr 1977 gelebt hatte. Sie fragten an, ob die Stadtgalerie an zwei Bildern von Karl Sinkwitz als Leihgaben für die geplante Gedenkausstellung Interesse habe. Aus Platzgründen wurde das Angebot höflich abgelehnt, die Einladung zum Kaffeetrinken hingegen freudig angenommen, bot sich doch damit eine gute Gelegenheit, Haus, Atelieranbau, Garten und natürlich auch die zwei erwähnten Bilder einmal näher in Augenschein zu nehmen. Allerdings ließ an diesem Ort kaum noch etwas auf das Wirken des Künstlers schließen. Und doch sollte der Nachmittag eine große Überraschung bieten. Für die Kunstsammlung wurden sieben Schreibmaschinenseiten übergeben. Es handelte sich dabei um die Erinnerungen von Dr. Fritz Hempel, den um zwei Jahre jüngeren Vetter von Karl Sinkwitz, die er 1964 zu Papier gebracht hatte. Die Aufzeichnungen waren für die Zuordnung der Werke, welche sich in der Nachlassschenkung befanden, äußerst hilfreich. Sehr einfühlsam und kenntnisreich hatte der fast Gleichaltrige Lebensumstände und künstlerische Intentionen von Karl Sinkwitz beschrieben.

Sowohl die Aufzeichnungen von Dr. Fritz Hempel als auch der im Konvolut befindliche Briefwechsel zwischen Karl und Charlotte Sinkwitz lassen das Hin- und Hergerissensein des Künstlers zwischen notwendigem Broterwerb, künstlerischem Selbstfindungsprozess, öffentlicher Anerkennung und der Sehnsucht nach einer eigenen Familie mit Frau und Kindern in schwierigen Zeiten unmittelbar nach dem ersten Weltkrieg, während der Inflation und vor der Machtergreifung Hitlers erahnen.

Dass das nachgelassene Werk des früh verstorbenen Künstlers Karl Sinkwitz in der Region erhalten bleibt und öffentliche Verbreitung erfährt, dafür will die Radebeuler Stadtgalerie gern ihren Beitrag leisten. Mit dieser Gedenkausstellung wurde nun der vielversprechende Anfang gemacht für eine kunstwissenschaftlich fundierte Auseinandersetzung.

Karin (Gerhardt) Baum

Zum 130. Geburtstag von Karl Sinkwitz findet am 9. April um 11 Uhr auf dem Friedhof in Radebeul-West ein stilles Gedenken statt.

Ein weiterer Beitrag, der ausführlich auf Leben und Werk des Künstlers eingehen wird, erscheint in der nächsten Ausgabe des kulturellen Monatsheftes.

Radebeuler Miniaturen

Paul Wilhelm in der Niederlößnitz
Danksagung und Gratulation

Am Anfang waren diese farbenfrohen Plakate mit dem Schriftzug PAUL WILHELM. Es folgten Neugier und dann ein zunächst ungläubiges Staunen ob der Einladung in die neu in die Welt getretene AUSSTELLUNG DRESDNER KUNST in privaten Räumen auf der Hohen Straße. Der nach vielerlei (letztlich unentschuldbaren) Abhaltungen endlich erfolgte Besuch zog ein Bedürfnis nach sich: Dank zu sagen!

Die inzwischen leider beendete Ausstellung war dem 50. Todestag des Malers gewidmet. Sie zeigte Aquarelle aus unterschiedlichen Lebens- und Schaffensphasen. Vor allem nahm sie das runde Datum zum Anlaß, vor dem Hintergrund inzwischen eingetretener Kunstentwicklungen (…) das auch hier in Radebeul für die Ausprägung Dresdner Malkultur von Paul Wilhelm Geleistete für eine breitere Öffentlichkeit wieder vernehmbar ins Gedächtnis zu rufen …, ein Ansatz, der gar nicht hoch genug geachtet werden kann.

Willkommen geheißen vom Hausherrn selbst oder einem begeisterten und begeisternden Kreis einstiger Jugendfreunde hat diese breitere Öffentlichkeit die Offerte dankbar und rege angenommen (nur, wer gemeint hatte, die Bilder allein genießen zu können, sah sich getäuscht). Seien es die Eindrücke des italienischen Lichts südlich der Alpen, die seine [des Malers] expressiven Blätter aus den frühen 20er Jahren bestimmen, oder die flammenden Himmel der Lößnitz mit ihrem Orange und Tief-Violett, die Porträts von Jungen und Mädchen neben den von liebender Hand geprägten Marion-Porträts, oder die überbordende Farbenpracht der Blumen im Malergarten auf dem Ledenweg – in derart kompakter Fülle ist diese Seite des Künstlers so schnell nicht wieder zu erleben.

Als in München lebender gebürtiger Radebeuler konnte der Sammler, stelle ich mir vor, über viele Jahre hin mit seiner Leidenschaft für vergessene Dresdner Kunst auch seine Sehnsucht nach der verloren geglaubten Heimat ein wenig beschwichtigen. Wenn er nun seine Liebe auf so geniale Weise uns allen mit – teilt, leistet er nicht nur der Erinnerung an den Maler einen großen Dienst.
Die Besucher haben die Einladung gerne angenommen, in einer glücklichen Stunde (…) die Kräfte einer poetischen Weltsicht in sich wecken zu lassen. Sie haben das Lächeln, das ihnen diese Stunde schenkte, mit in ihren auch heute nicht immer einfachen Alltag genommen. Für mich ergab sich darüber hinaus die Möglichkeit, hier daran zu erinnern, daß Paul Wilhelm am 29. März 130 Jahre alt geworden wäre.

Es gibt die Hoffnung, daß Herr Klitzsch noch mehr und anderes gesammelt hat und damit seiner breiteren Öffentlichkeit noch weitere glückliche Stunden zu bereiten in der Lage ist. Freuen wir uns drauf. Doch schon fürs gehabte Glück kann nicht laut genug Dank gesagt werden.

Thomas Gerlach

Radebeul und die Familie von Arnim

Im ersten Bauabschnitt des Waldstraßen-Viertels hatte man um 2005 einer kurzen, neuen Straße den Namen Bettina-von-Arnim-Straße gegeben – Bettina von Arnim (1785-1859) war eine Schriftstellerin in der Zeit der deutschen Romantik, Schwester des Clemens Brentano und Ehefrau von Joachim von Arnim, zwei weiteren Romantikern. Im Anschluss an die etwa seit 1930 bestehende Bebauung in der Goethe-, Lessing- und Kantstraße erhielten nun die neuen Straßen ebenfalls Dichternamen, darunter Bettina von Arnim als vorerst einzige Frau. In Radebeuls Osten spricht man logischerweise vom Dichter-Viertel, das hat Sinn!

»Haus Arnim«, Waldstraße 20f Foto: D. Lohse

»Haus Arnim«, Waldstraße 20f
Foto: D. Lohse


Alteingesessene Radebeuler, zu denen auch ich mich nun zählen kann, haben den Namen dieser in Deutschland weit verbreiteten Adelsfamilie schon einmal gehört oder in der Waldstraße gelesen, nämlich am „Haus Arnim“, Waldstraße 20 (heute kurioserweise 20f!). Da läge doch der Gedanke nahe, o.g. Bettina hätte in dem keine 150m von besagter Straße weit entfernten Anwesen gelebt – es ist schließlich der gleiche Familienname. Aber Vorsicht, das wäre zu „kurz gesprungen“. Das passt schon mal zeitlich nicht zusammen: Bettina von Arnim (eigentlich Anna Elisabeth, genannt Bettina, im engeren Kreis auch Bettine) starb 1859 und ihr sehr weitläufiger Verwandter Henning von Arnim ließ sich 1860/61 von Moritz Ziller in Oberlößnitz einen Altersruhesitz bauen. Das großzügige Anwesen, ursprünglich ein von drei (heute nur noch zwei) Gebäuden gebildeter Hof gehört, obwohl über dem Eingang auf der Südseite noch deren altes Wappen zu erkennen ist, auch schon lange nicht mehr der Familie von Arnim.
Foto: D. Lohse

Foto: D. Lohse


Die Stationen der Bettina von Arnim waren Frankfurt, wo sie am 4. April 1785 als Bettina Brentano geboren wurde und später in einer Klosterschule aufwuchs, ab 1811 nach Heirat mit Ludwig Joachim, gen. Achim, von Arnim wurden Schloss und Gut Wiepersdorf (südöstlich von Jüterbog) ihre Heimat. Von Wiepersdorf aus reiste sie öfter nach Berlin, wo sie am 20. Januar 1859 starb. Wir dürfen sie uns als eine lebenslustige, vielseitig interessierte Frau vorstellen, die es als junge Schriftstellerin in der damaligen Männerwelt der schreibenden Zunft nicht leicht hatte, sich zu behaupten. Eine Annäherung ihrerseits an Goethe, man war ja in der gleichen Stadt geboren, und ein Gedankenaustausch zu aktuellen Themen verlief wohl eher einseitig, so dass ihr Buch „Goethes Briefwechsel mit einem Kinde“ zumeist auf dichterischer Freiheit beruht. Andere von ihr geschriebene Bücher sind u.a. „Die Gunderode“ und „Dies Buch gehört dem Könige“, gemeint ist hier der Preußenkönig. Interessant ist auch, wie Bettina von Arnim in verschiedenen Brockhausausgaben charakterisiert wird: Naturliebe, schwärmerische Neigung und schrankenlose Einbildung (1894); adliger Blaustrumpf, ganz närrisches Wesen und vieles erdichtet (1929); eigenständige Vertreterin der Romantik, Beschäftigung mit sozialen Fragen und frühe Frauenrechtlerin (2006). Was drückt das nun aus? Zum einen, man kann sie nicht leicht einem „Schubkasten“ zuordnen und zum anderen: Kaiserreich, Weimarer Republik und BRD hatten die Frau jeweils aus anderem Blickwinkel betrachtet, die gesellschaftliche Rolle der Frau hat eine Wandlung erfahren. Nicht belegt ist aber, ob sie im Kreis der Dresdner Romantik (z.B. dem Scharfenberger Kreis) eingebunden war. Ausschließen können wir aber, dass sie in Radebeul, bzw. einer der Ursprungsgemeinden, jemals gewesen ist. Ungeachtet dessen, darf man hier natürlich eine Straße nach ihr benennen.
Foto: D. Lohse

Foto: D. Lohse


Was nun muss man über Friedrich Henning von Arnim, den Erbauer der Waldstraße 20, wissen? Zumindest so viel, dass er am 25. Juni 1804 in Merseburg geboren und am 21. Januar 1885 in Dresden gestorben ist. Er besaß in Dresden ein Haus (genaue Lage unbekannt) und seit 1861 ein neu gebautes Landhaus in Oberlößnitz, wo er und seine Familie sich meist im Sommer aufhielten. Das Landhaus entsprach mit einer stilistischen Anlehnung an Schweizer Häuser (Drempel, flachere Dachneigung, weiter Dachüberstand) dem damaligen Zeitgeschmack. Zusammen mit seiner Ehefrau Franziska, geb. von Böhlau, hatte er drei Kinder – Carl Christoph (1841-1876), Marie Louise (1844-1925) und Caroline Johanna, gen. Netty, (1850-1909). Henning von Arnim besaß Güter in Grossen und Groß-Milkau bei Mittweida, sowie in Oberau bei Meißen und hatte Anteile an einem Kohlebergwerk in Planitz. Als Rittergutsbesitzer und Industrieller dürfte er wohl nicht unvermögend gewesen sein.
Er war damit aber eher die Ausnahme in der Arnimschen Großfamilie, wo ansonsten Kammerherren, Offiziere, Diplomaten, Künstler, Schriftsteller und Förster nachgewiesen sind. Da seine Frau bereits 1855 starb, bezog er den Landsitz in der Waldstraße im Mai 1861 nur mit seinen Kindern und Personal.

Der in Radebeul wohl bekannte Baumeister Moritz Ziller (geb. 1838) war, nachdem er 1859 bzw. 60 das väterliche Baugeschäft übernommen hatte, für Entwurf und Ausführung der neuen Gebäude auf Flurst. 14/ Oberlößnitz verantwortlich, er unterzeichnete mit Ziller junior. Wir haben beim Arnimschen Gut vielleicht die früheste Arbeit von Moritz Ziller vor uns, denn die Firma Gebr. Ziller zusammen mit seinem Bruder Gustav wurde erst 1867 gegründet. Von der Waldstraße aus gesehen, bildeten die drei Gebäude mit zweigeschossigem Herrenhaus in der Mitte und links und rechts mit zwei nahezu gleichen Wirtschaftsgebäuden mit Ställen, Remise und untergeordneter Wohnfunktion ein Ensemble, in der Mitte des Hofes ein runder Springbrunnen. Das ursprünglich bis an die Sachsenstraße oder höher reichende Grundstück hatte um das Herrenhaus einen Park, von dem sich noch ein paar alte Bäume erhalten haben (1 Eiche, 2 Platanen, 1 Kiefer), nach Norden anschließend ehemals Flächen für Gartenbau und Wein – diese im 20. und 21. Jh. jedoch parzelliert und mit mehreren Einfamilienhäusern bebaut. Etwa seit 1980 fehlt das östliche Wirtschaftsgebäude. Hier stehen seit dem Garagen und die ehemals symmetrische Wirkung des Ensembles, man kann hier durchaus auch von städtebaulicher Raumwirkung sprechen, ist seit dem gestört. Das Herrenhaus zeigt außer dem weiten Dachüberstand Originalbalkone auf den beiden Giebelseiten, auf der Südseite dezenten plastischen Kopfschmuck und das Wappen derer von Arnim, im Inneren finden wir ein repräsentatives Treppenhaus mit Resten von Ausmalung aus der Bauzeit. Im Zuge der Sanierung war leider die Vervollständigung des Ensembles nicht möglich. Bedingt durch die Sanierung einschließlich Umbau zu einem Mehrfamilienwohnhaus kamen 2003 weitere Balkone und Dachgaupen dazu – ein Kulturdenkmal ist es aber trotzdem noch!

Der Name von Arnim, genauer gesagt Johanna Dorothea von Arnim (Hauptmannswitwe), taucht um 1925 in Radebeul als Besitzerin des Hauses Nizzastraße 53 (wo heute das große Hotel steht) nochmals auf. Ob sie in einer direkten familiären Beziehung zu Henning von Arnim stand, kann allenfalls vermutet werden, Nachweise fehlen aber. Im Vorfeld zu diesen Recherchen las ich das 1992 erschienene Buch „Der grüne Baum des Lebens“ von Clara von Arnim, erschienen bei Knaur, die in direkter Linie zu Bettina und Achim von Arnim steht. Darin die zum Teil tragische Lebensgeschichte der Familie im 20. Jh. mit einigen erhellenden Rückblicken ins frühe 19. Jh., durchaus empfehlenswert.

Für freundliche Auskünfte zur Adelsfamilie von Arnim danke ich Herrn Jasper von Arnim aus Melbeck / Niedersachsen, der den Überblick über den Stammbaum hat, sowie Frau Birgit Albrecht vom Künstlerhaus Schloss Wiepersdorf in Brandenburg.

Dietrich Lohse

Sonstige Quellen: „Stadtlexikon Radebeul“, Autorenkollektiv um Frank Andert, Große Kreisstadt
Radebeul, 2005
„Denkmaltopographie der BRD – Stadt Radebeul“, Dr. Helas, Mitarbeit M. Müller,
M. Nitzsche, Sax-Verlag, 2007

Mäßig unterhaltsame Tischgesellschaft

Zur Premiere von „Die Ritter der Tafelrunde“ am 5. März 2016 an den Landesbühnen Sachsen

Eine Schlange vor der Abendkasse bis fast nach Draußen; Händeschütteln und Smalltalk von Staatsministerin zu Landrat zu Oberbürgermeister; Theaterschaffende vom Hause selbst aber auch von weiter weg als Gäste unter dem gewohnten Stammpublikum: Man konnte den Eindruck gewinnen, als sei die Premiere von Christoph Heins „Die Ritter der Tafelrunde“ nicht nur lange erwartet worden, sondern endlich wieder einmal ein gesellschaftliches Ereignis, das dem Radebeuler Haus als Ort substantieller Theaterdiskurse gut zu Gesicht stünde. Und tatsächlich waren ja die Vorzeichen günstig, denn Heins Werk genießt insbesondere in unserer Region einen legendären Ruf als DAS Theaterstück des Wendejahres 1989, als es nach seiner Uraufführung im April am Staatsschauspiel Dresden zur Chiffre für ein dem Untergang geweihtes Altherrenregime wurde. Hein selbst wehrte sich zwar gegen diese Vereinnahmung, aber seither gilt es doch als ausgemachte Sache, dass eine Neuinszenierung dieses Stücks immer auch die Temperatur einer Gesellschaft in einer krisenhaften Zeit messen müsste. Insofern waren die Zuschauer also gespannt auf die von Manuel Schöbel besorgte Inszenierung und neugierig, wie hoch das Fieber wohl steigen würde. Nach etwas mehr als zweieinhalb Stunden stellte man ernüchtert fest: An welcher Stelle das Thermometer auch angelegt wurde, auf die erhoffte (Betriebs-)Temperatur kam die Aufführung nicht – und ließ das Publikum deshalb weitgehend kalt.

»Die Ritter der Tafelrunde« mit Grian Duesberg, Cornelia Kaupert, Sandra Maria Huimann, Vladimir Garcia del Risco, Thomas Förster und Johannes Krobbach Foto: H. König

»Die Ritter der Tafelrunde« mit Grian Duesberg, Cornelia Kaupert, Sandra Maria Huimann, Vladimir Garcia del Risco, Thomas Förster und Johannes Krobbach
Foto: H. König


Die Handlung setzt am Morgen nach Jeschutes (Cornelia Kaupert) 50. Geburtstag ein und erstreckt sich über zwei Jahre, wobei der Handlungsort stets der Hof von König Artus (gespielt von Thomas Förster, der seine Rolle mit altersmilder Gelassenheit interpretiert) ist. In dieser Zeit zerfällt der von Artus einst gegründete stolze Bund seiner Ritter zusehends und löst sich schließlich auf, bevor ganz am Ende der junge Mordred mit der altersgleichen Kunneware (Julia Rani) die Gralshoffnung der Elterngeneration reuelos auf dem Müllhaufen der Geschichte entsorgt und mit der Botschaft „Alle Menschen sind Schwestern und Brüder“ einer luftballonbunten Zukunft entgegensingt und -tanzt. Es bleibt das Geheimnis des Regieteams, warum diese Rolle auf drei Akteure – Johannes Krobbach, Jonas Münchgesang, Jörg Schittkowski – aufgeteilt wird, denn sinnfällige Effekte ergeben sich daraus nicht, eher stiftet es Verwirrung. Als Ironisierung funktioniert dieses Schlussbild allerdings auch nicht (mehr), werden doch zuvor die Krisen der Gegenwart von Klimawandel bis Migration so reichlich und mit pädagogischem Gestus eingeflochten (auch dort, wo es gar nicht passt, etwa im Brief des freiwillig aus dem Bund der Ritter ausgeschiedenen Gawain, der seinen Gral nun doch lieber im „Kloster der Hundert Frauen“ suchen will), dass der in dieser Form angekündigte Aufbruch in eine bessere Welt je nach Blickwinkel liebenswert naiv oder gar peinlich flach anmutet.

Zuvor gibt sich die Regie Mühe, die Zuschauer Anteil an den Leiden der alten Ritter nehmen zu lassen, die auf je unterschiedliche Weise mit der eingetretenen Situation eines Staates im Umbruch umgehen. Während Keie kraftvoll auf die Verteidigung der alten Werte und die Verantwortung der Gralsritter für das Wohl der Gesellschaft pocht (Tom Hantschel überzeugt in dieser Rolle durch kompromisslose Authentizität) und Orilus verklärt der guten alten Zeit mit Brot und Spielen für das Volk nachhängt (Olaf Hörbe kann sich mit der undankbaren Aufgabe, einen Ehe- und Alkoholprobleme mit albernen Waldläufchen kompensierenden Ritter zu spielen, offenkundig nicht so richtig anfreunden), hat der einstige Vorzeigeritter Parzival bereits die Lehren aus seiner erfolglosen Gralssuche gezogen und sich als Realpolitiker neu erfunden, der sich in den Dienst der progressiven Jugend stellen und den Wandel als Journalist ideologisch unterfüttern will (Grian Duesbergs Parzival nimmt man ab, dass er zwischen Loyalität zur alten Ordnung und Hinwendung zum noch unbestimmten Neuen schwankt). Die erste Frau am Hofe – Ginevra (Sandra Maria Huimann) ist die Ehefrau von Artus – ist mit ihren Gedanken weniger beim Ehemann als beim lange Zeit abwesenden Lancelot, der ausgangs des zweiten Aktes (d.h. vor der Pause) nach fünfjähriger Abwesenheit wie der lang ersehnte Heilsbringer an der Tür des Schlosses steht – und zunächst lange Zeit schweigt, weil er eben nichts von einem Gral zu sagen weiß. Es mag zwar der Kooperation mit dem kubanischen Theater in Camagüey geschuldet sein, dass Lancelot durch Vladimir Garcia del Risco verkörpert wird, der seinen Part auf Spanisch spricht (eine deutsche Übersetzung läuft über der Bühne gut sichtbar mit). Und sicherlich spielte auch das Bestreben eine Rolle, Gralsverheißung und -ritterlichkeit in Zeiten angstvoller Kulturbewahrung nicht eurozentrisch zu verengen, sondern ins Globale zu weiten. Aber wäre dann nicht angesichts der realen Situation in Europa ein Arabisch sprechender Lancelot passender gewesen?

Über die ganze Aufführungsdauer ungeklärt bleibt die Funktionalität der Bühne (durch Anja Furthmann besorgt), die durch eine transparente Wand mittig in Vorder- und Hintergrund geteilt ist. Weder wird deutlich, dass die ritterliche Tafel sich über beide Flächen verteilt, noch ist nachvollziehbar, warum es überhaupt zwei Hälften geben muss. Die Kostüme (Bogna Grazyna Jaroslawski) folgen keiner einheitlichen Ästhetik. Jene der Männer sind einem traditionellen Stil verpflichtet, während die Frauen deutlich moderner gezeichnet sind. Ob das ein Fingerzeig daraufhin sein soll, wem die Zukunft gehört, bleibt jedoch offen.

Im Programmheft formuliert Intendant und Regisseur Manuel Schöbel seine Überzeugung, dass Heins Stück „auch heute Mut machen und Impulse geben kann“. Damit mag er grundsätzlich Recht haben, seine eigene Arbeit aber bleibt hinter diesem Anspruch zurück. Mut machen können in dieser Ritterdämmerung weder die müden, um ihre Ideale und Hoffnungen ärmer gewordenen Haudegen noch die jungen Wilden, die vom Gewesenen nichts mehr wissen wollen, aber auch nicht wirklich Führungsstärke entwickeln und Verantwortung übernehmen wollen. Und so bleibt wohl nur die Einsicht von Artus übrig, der in einem stillen Moment Bob Dylans Klassiker „The times they are a-changing“ singt. Vielleicht ist das ja auch nur die Essenz des Stückes – und mehr nicht. Allerdings bewahrt mich die Anerkennung dieser (ja hinlänglich bekannten) Tatsache nicht vor dem unbehaglichen Gefühl, dass diese laue Tafelrunde weder in der Lage ist, Glücksversprechen der Vergangenheit wenigstens als schöne Illusion für die Gegenwart zu bewahren, noch diese in ein lebenswertes Morgen zu übersetzen. Wo bleibt da der (so nötige) Impuls?

Bertram Kazmirowski

Nächste Aufführungen: 3. April, 19 Uhr, 5. Juni 15 Uhr, 11. Juni 19.30 Uhr, jeweils Radebeul

Stolzes Jubiläum!

Das traditionsreiche Radebeuler „Reformhaus Schreckenbach“ wurde vor 120 Jahren gegründet

Es gehört heute wohl eher zu den Seltenheiten der Geschichte des Handels, dass ein Familienunternehmen auf eine mehr als hundert Jahre andauernde erfolgreiche Geschichte zurückblicken kann. Ein solches Unternehmen aber ist in Radebeul seit nunmehr 120 Jahren ansässig. Gegründet wurde es 1896 von dem Drogisten Carl Schreckenbach, der im Geschäft fortan seiner Kundschaft Drogen, Farben, Chemikalien und Sämereien anbot. Darüber hinaus konnte man bei ihm auch Zigarren kaufen. Ohne größere Blessuren überstand das Geschäft das deutsche Kaiserreich, die Weimarer Republik, das nationalsozialistische 3. Reich und den DDR-Sozialismus (inklusive zweier Weltkriege). In der freien Marktwirtschaft angekommen, entwickelte sich das Reformhaus auf der Hauptstraße im Radebeuler Osten zu einem von seiner Kundschaft bestens reflektierten Einkaufsort. Dies alles geschah immer unter dem Namen Schreckenbach; beginnend mit dem Gründer Carl Schreckenbach (1858 bis 1930), dem Johannes Schreckenbach von 1945 bis 1993 (die Kriegszeit ausgeklammert) folgte. Er gehörte in der DDR zu den wenigen Privatunternehmern, die dafür aber die Macht des Staates besonders zu spüren bekamen. Sämtliche Vorhaben und Pläne zu einer Erweiterung bzw. Modernisierung des Unternehmens wurden verhindert. Erst nach der Wende von 1990/91 wurde eine Neuorientierung der Firmenpolitik überhaupt möglich.

Gründungsurkunde

Gründungsurkunde


Es war die Zeit, als der promovierte Mathematiker und Informatiker Dr. Roland Schreckenbach sich der Fortführung des Familienunternehmens annahm und es gemeinsam mit einer seiner Töchter (der gelernten Drogistin Christina Jende) in eine erfolgreiche Zukunft steuern wollte.
Christina Jende, die Chefin des Reformhaus Schreckenbach, im Kundengespräch

Christina Jende, die Chefin des Reformhaus Schreckenbach, im Kundengespräch


Christina Jende erhielt bereits im Jahre 1990 an der Fachakademie in Oberursel eine Lizenz als „Reformhaus – Fachberaterin“. Und unter dem Motto „Gesunde Lebensweise auf natürlicher Basis“ startete die Umgestaltung des Unternehmens, das unter der Leitung von Christina Jende im Jahre 1994 folgerichtig seine Pforten öffnete. Vier Jahre später kam als zweites Standbein ein Naturkostladen (unter der Bezeichnung „Pro natura“) auf dem Altkötzschenbrodaer Anger hinzu. Gleichzeitig entstand 2006 im Zuge der Umgestaltung der Hauptstraße der attraktive Einkaufsbereich „Paul-Große-Passage“, der sich als eine neue Möglichkeit der Kommunikation zwischen Verkäufern, Fachberatern und der Kundschaft bestens positionierte. Interessenten der Geschichte des Reformhauses können sich aus Anlass des 120-jährigen Jubiläums in einer Ausstellung über die wechselvolle Geschichte des Reformhauses informieren. Am 20. Mai 2016 gibt es zudem einen Tag der offenen Tür. Tags darauf – am 21. Mai – startet dann das Passagefest, das mittlerweile auch schon Tradition ist.

Wolfgang Zimmermann

Fotos (Zi)

Editorial 4-16

Die erste Frühlingssonne lockt die Groß- und Kleinwinzer wieder in ihre Weinberge. Der Rebschnitt will beendet sein, bevor der aufsteigende Saft die Stöcke bluten lässt.

Bluten muss der sächsische Weinbau in diesem Jahr wohl auch in artverwandter Weise. Immerhin überschattet seit Jahresanfang ein unschöner „Weinskandal“ die hiesige Kulturlandschaft. Vereinzelte Kleinwinzer im Raum Meißen, die ihre Trauben an große Weinbetriebe lieferten, verwendeten ein für den Weinbau nicht (mehr) zugelassenes Spritzmittel. Bei einigen anderen Obstkulturen kann es jedoch mit Rechtsgrundlage verwendet werden, sodass gar die eher unwahrscheinliche Spritzabdrift benachbarter Felder kolportiert wurde.

Der Tatbestand soll nichts Beschönigen, hingegen auch nicht der antizipierten Hysterie verfallen, wie es diverse Gazetten propagierten. Die Sache gehört aufgeklärt, fraglos und mit allen Konsequenzen! Immerhin geht es um den Ruf einer ganzen Gilde, die mit Herzblut seit der Wendezeit eine Renaissance der regionalen Weinkultur ermöglichten und mit all ihren Winzerhandschriften ganz individuelle vinophile Facetten erschuf.

Also, Augenmaß ist gefragt!

Radebeul hat in Hinblick auf die hiesige Weinbautradition in diesem Jahr immerhin ein kleines Jubiläum zu verzeichnen. Die traditionsreiche „Sektkellerei Bussard“ wurde vor 180 Jahren als „Actienverein zur Fabrikation moussierender Weine“ auf der Moritzburger Straße gegründet. Damit war sie die älteste sächsische und lange Zeit gar zweitälteste Sektkellerei Deutschlands. 1979 wurde die Produktion und einhergehende Namensrechte an Schloss Wackerbarth überführt, sodass das schon zu DDR-Zeiten unter Denkmalschutz stehende Gebäudeensemble seinem Zweck enthoben wurde. Nach langem Leerstand und Verfall beherbergt die aufwendig sanierte Anlage heute zahlreiche Wohnungen.

Sascha Graedtke

Mit Tom Tagtraum durch das Jahr 2016

Du musst Träumen ihre Entstehung zulassen, denn nur so kann irgendwann ein Teil davon auch Wirklichkeit werden.

Kapitel 3:

Zur Insel Golanzkanafuetenero

Es muss ein Jahr gewesen sein, in dem 13 Monate hintereinander November hießen. Und nicht mal solche ruhigen November, wie wir sie vielleicht mit Spaziergängen auf ockerbuntem Lärchennadelteppich, Drachensteigen und bei heißem Holunderbeersaft angenehm in Erinnerung haben, sondern jene, für die der arme Monat oft als schlechter Vergleich herhalten muss: Nebel, Sturm über Stürme, Nasskälte und peitschender Regen, ein Gefühl, als ob der alte Friedhof noch der lebendigste Ort weit und breit wäre. An solch einem Tag, es mag noch nicht der 35., vielleicht der 34. aber ganz bestimmt schon der 33. November sein, verlässt Tom Tagtraum ganz früh das Haus. Seine quietschgelbe Straßenbahn bringt ihn im müden Tempo zum noch leeren, auch längst noch nicht ausgeschlafenen dunkelroten Zug, und als der seine Fahrt in einem Tunnelterminal beendet, wartet zwei Etagen darüber schon Toms kleines, hellblaues Flugzeug. Über eine schmale Leiter klettert Tom mit seinem Gepäck hinauf, Thomas, der Pilot, grüßt ihn mit Handschlag und Schulterklopfen. Wie nur lassen wir den Piloten Thomas aussehen, nach der doch so ulkigen Verkleidung des Fahrers der quietschgelben Straßenbahn? An dieser Stelle fallen dem Erzähler zwei Möglichkeiten ein: Entweder ein Flugkapitän alter Schule in dunkelblauer Uniform, mit Schirmmütze und vier goldfarbenen Ärmelstreifen oder eine Art Comicfigur in einer zum Flugzeugmodell umgeschmiedeten Ritterrüstung mit einer Amtskette aus lauter Schlagsahne-Windbeuteln um den Hals. Es stünde die Frage, ob Tom eine Reise als Beinahe-Diplomat anträte in ein gediegenes Hotel nach Paris, New York, Moskau oder Brüssel, oder eher nach Fantasialand, dorthin, wo alle Comics ihr Zuhause haben. Aber unsere Frage erübrigt sich. Durch die Fenster des Flugplatzcafés ist trotz des Morgendunkelgraus nicht nur zu erkennen, wie Tom im kleinen, hellblauen Flugzeug verschwindet, sondern auch wie Thomas, der Pilot, in Jeans und Kurzarmhemd die Tür verschließt. Noch ehe eine weitere Tasse Kaffee bestellt ist, saust der kleine Flieger auch schon los und ist schnell mit Tom Tagtraum über all den Grauwolken in die Morgensonne aufgestiegen. Tanja, die Stewardess, bringt Tom einen Schokoladeneisbecher mit vielen Früchten, Schlagsahne, Himbeerstreuseln, Quittensirup und Vanillewaffel. Fort geht’s aus dem Novembergrau zur Sonneninsel Golanzkanafuetenero.

Diesmal ist Tom längst nicht der einzige Gast, der auf dem Flugplatz der Sonneninsel landet. Massen von Menschen warten auf ihr Gepäck, drängeln sich in der Ankunftshalle, warten, bis sie zu den Taxis und Bussen können, die sie in ihre Ferienhotels bringen sollen. Aber Tom weiß längst, wo sich sein Zimmerchen auf der Sonneninsel befindet, gleich hinter den zwei Bergen am Ende der Meeresbucht ist es. Aus dem Handgepäck holt er seine mausgrauen Meilensprung-Stiefeletten, die, mit einem zusätzlichen, riesig-stahlschwarzen Hufeisenmagneten versehen auch gleich seinen großen Reiserucksack aus all den Gepäckmassen ziehen. Schritt-Sprung-Schritt-Sprung-Sprung. Schon blickt Tom vom Balkon seines Zimmerchens aufs Meer, und als dann noch ein geheimnisvolles Geräusch wie pengknatterdieuff-uff zu vernehmen ist, liegt das große Tom-Abenteuer-Notizbuch auf dem Tisch, sind alle T-Shirts, Schlüpfer, Shorts und Sandalen im Schrank verstaut, steht das Waschzeug im Bad in Reih und Glied und sein Handy tankt Strom an der Steckdose. Das dies alles in bester Ordnung geschah, wird Tom später feststellen, denn längst schwimmt er im Meer, springt in die kleinen Wellen, taucht über den sandigen Grund, lässt sich in der Sonne trocknen, rennt den Strand auf und ab… Wie hatte doch gleich der Tag heute begonnen?
Nun, sein kleines Flugzeug in Hellblau wird die nächsten Tage etwas verschlafen sein, wie die quietschgelbe Straßenbahn und der dunkelrote Zug am Morgen. Termine hin und Schulferien her, ein Weile wird Tom auf der Sonneninsel Golanzkanafuetenero bleiben, bevor er wieder die mausgrauen Meilensprung-Stiefeletten hervorholt, um vom Ende der Seebucht über die zwei Berge zurück zum Flugplatz zu gelangen. Schließlich gibt es auch etwas, das ihn immer wieder nach Hause zieht.

Tobias Märksch

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