Keine Kritik, sondern eine Würdigung

Zur Uraufführung von In Gottes eigenem Land am 29.4. 2017 in den Landesbühnen

Von einem „Theaterwunder“ sprach eine Mitarbeiterin des Hauses in der Pause um zu erklären, wie aus einem noch kurz vor der Uraufführung unfertig erscheinenden Stück ein prächtig bebildertes, von der ersten Minute an mitreißendes und das Publikum in den Bann ziehendes Schauspiel entstehen konnte. Tatsächlich war vieles wunderbar an diesem Abend, der – das behaupte ich eingedenk meiner Erfahrungen in den letzten 25 Jahren als regelmäßiger Besucher von Schauspielproduktionen der Landesbühnen – als ein Höhepunkt in der Geschichte des Hauses gelten kann und im Rückblick ganz sicherlich mit der Intendanz Manuel Schöbels verknüpft bleiben wird. In Gottes eigenem Land ist ein ebenso ungewöhnliches wie faszinierendes Projekt, weil es das staunenswerte Ergebnis eines fünfjährigen (!) Prozesses ist, der von persönlichem Engagement, organisatorischem Geschick, künstlerischer Klasse und externer Unterstützung getragen wurde. Aber der Reihe nach.

Szenenbild mit Gojko Miti´c und Moritz Gabriel


Jane Taubert, 1990 aus den USA nach Deutschland gekommene Sängerin mit deutschen Wurzeln, später langjähriges Ensemblemitglied der Landesbühnen und seit einiger Zeit Assistentin der Intendanz, entdeckte in dem 2011 erschienenen historischen Roman In Gottes eigenen Land von Eberhard Görner ihre eigene Familiengeschichte wieder, übersiedelte doch ihr Vorfahr 1738 aus der Pfalz nach Pennsylvania ebenso wie vier Jahre später der aus Mitteldeutschland stammende lutherische Pfarrer Heinrich Melchior Mühlenberg (verkörpert durch Moritz Gabriel). Der Mythos von Amerika als einem von Gott besonders gesegneten Land, in dem man seiner eigenen Religion frei von Verfolgung und Einschränkung nachgehen kann, reicht zurück bis zu den sogenannten „Pilgrim Fathers“, die 1620 aus England kommend an der Ostküste Amerikas an Land schlugen. Zwar gelten – je nachdem, wen man fragt – inzwischen auch Australien und Neuseeland als „God’s own country“, aber ursprünglich bezog sich dieser Begriff auf Nordamerika. Recherchen einer amerikanischen Historikerin förderten zu Tauberts Verblüffung sogar zu Tage, dass ihre den lutherischen Glauben bekennenden Vorfahren Mühlenberg im Gottesdienst einst erlebt hatten. Mühlenberg als historisch verbürgte Person war Zeitgenosse bekannterer Theologen wie Graf Zinzendorf (Utz Pannike), dem Gründer der Herrnhuter Brüdergemeine, und August Herrmann Francke aus Halle (Matthias Henkel). Als junger Pfarrer wurde Mühlenberg 1742 nach Pennsylvania entsandt, um den dort siedelnden Deutschen (bis 1776 waren insgesamt etwa 100.000 Deutsche nach Nordamerika ausgewandert) ein guter Hirte zu sein, was vor allem erforderte, gemeindliche Strukturen und gottesdienstliche Ordnung zu schaffen.

Jane Taubert träumte davon, dass dieser Romanstoff auf die Bühne kommt und erwärmte den erst 2012 nach Radebeul gewechselten Schöbel bereits in seinem ersten Amtsjahr für diese Idee. Gemeinsam planten sie weiter, holten mit Olaf Hörbe einen etablierten hauseigenen Schauspieler und Autor ins Boot, der sich an eine Bühnenfassung machte. Die Legende will es, dass Schöbel bereits zu diesem sehr frühen Zeitpunkt Gojko Miti? von einer Mitwirkung in ferner Zukunft überzeugte, der dieser Bitte auch nicht widerstehen konnte, wie der noch immer beeindruckend fitte Vorzeigeindianer (76) nach der Vorstellung bekannte: „Immer wenn ich nach Radebeul kam, sprachen die Leute von mir als ‚unser Gojko’. Da hatte ich ja gar keine andere Wahl!“ Und so übernahm Miti? die Rolle des Delawarenhäuptlings Fliegender Pfeil, den es – eine Ausnahme bei den auftretenden Figuren im Stück – in Wahrheit nie gegeben hat.

Die Inszenierung historischer Situationen wie eine mehrwöchige Überfahrt deutscher Auswanderer oder kriegerische Auseinandersetzungen zwischen englischen Soldaten und Indianerstämmen bedürfen einer großen Zahl von Mitwirkenden, damit sie ihre volle Wucht entfalten. Das ist im Theater nicht anders als im Film, wo man selbstverständlich erwartet, dass für Massenszenen ausreichend Komparsen zur Verfügung stehen. Selbst unter Aufbietung aller Kräfte inklusive bewährter Statisten wäre das Ensemble der Landesbühnen zu klein gewesen, um eine solche Aufgabe zu stemmen. Abhilfe schafft hier das aus dem angelsächsischen Raum stammende Konzept der sogenannten „Community Players“, womit man ortsansässige Laiendarsteller bezeichnet, die durch Theaterpädagogen (Dirk Strobel, Morten Gentsch) in einem mehrmonatigen, auch didaktisch-methodisch herausfordernden Probenprozess auf die Mitwirkung an einer professionellen Produktion vorbereitet werden. Damit diese Art der Zusammenarbeit funktioniert, muss ein Regisseur gefunden werden, der damit Erfahrung hat. Wie gut, dass die Landesbühnen seit einigen Jahren schon eine Kooperation zum York Theatre Royal in England pflegen und von dort Damian Cruden zur Übernahme der künstlerischen Leitung gewinnen konnten. Cruden spricht in einem Interview (im übrigens außergewöhnlich reichhaltigen und lesenswerten Programmheft) zu Recht davon, dass für nicht wenige dieser Laiendarsteller die Theaterarbeit einer Form der Reintegration in die Gesellschaft gleichkäme oder sie sich dadurch die für sie völlig neue Theaterwelt erschließen könnten. Etwa 40 solcher Community Players aller Altersgruppen bevölkern als Soldaten und Matrosen, Farmer, Indianer und Gemeindemitglieder die Bühne und ermöglichen mit ihrer Präsenz erst die Sogwirkung, der man sich nicht entziehen kann. Als wäre der Einbezug einer so großen Anzahl von Laiendarstellern noch nicht genug der organisatorischen Herausforderung, ergänzen außerdem fünf Herren des Ensemble Nobiles (Vokalquintett) sowie ca. 50 weitere Sänger der Lutherkantorei und der Chorgemeinschaft Radebeul-Lindenau das Ensemble, denn (geistliche) Musik spielte im historischen Kontext eine bedeutende Rolle (Chorleitung Uwe Zimmermann). Bereits im 18. Jahrhundert war etwa das auf Martin Luther selbst zurückgehende Lied Ein feste Burg ist unser Gott weit verbreitet, weshalb es authentisch ist, dass die unter Not und Angst leidenden deutschen Protestanten dieses Lied anstimmen, wenn sie sich im Stück unter Leitung Mühlenbergs und dessen Frau Anna Maria (Julia Rani hat besonders nach der Pause viele starke Momente) gegen Indianer zur Verteidigung rüsten. Zusammen mit den 16 Hauptdarstellen galt es also etwa 100 Mitwirkende zu koordinieren, was für die Landesbühnen eine Rekordbesetzung bedeutet. Eine Rezension der Leistung aller maßgeblichen Akteure ist deshalb unmöglich, weshalb ich mich nur auf drei ganz unterschiedliche Aspekte der künstlerischen Leistung beschränken und diese herausheben möchte.

Zum einen gelingt es dem Autor Olaf Hörbe durch einen genialen dramatischen Einfall, dem Stück Pfiff zu verleihen. Wie leicht nämlich hätte die Darstellung historischer Gegebenheiten (Die Kostüme und Bühne von Tilo Staudte sind eine Augenweide!) in eine trockene Abfolge reanimierter, miteinander kaum verbundener Szenen abgleiten können, denn die im Stück verhandelten Ereignisse umspannen den Zeitraum von immerhin etwa 15 Jahren. Aber das Hinzunehmen zweier vom eigentlichen Geschehen unabhängiger Instanzen, einfach Person 1 (Holger Uwe Thews) und Person 2 (Sophie Lüpfert) genannt, ermöglicht dem Zuschauer, eine Beziehung zu Pfarrer Mühlenberg und seinen Sorgen und Nöten aufzubauen, denn Person 1 und 2 kommentieren und bewerten dessen Handeln, drücken aus, was man sich als Zuschauer fragt und verknüpfen erzählend Szenen auf sinnfällige Weise. Zum anderen ist es ein Genuss, dem Gesang des mehrfach ausgezeichneten Leipziger Vokalquintetts Ensemble Nobiles zu lauschen, das über weite Strecken dezent das Geschehen untermalt. Der erst 26-jährige Komponist und Sänger Paul Heller schuf eine Musik, die an tradierte, mittelalterliche Gregorianik und Vokalpolyphonie erinnert, gleichzeitig aber auch neue Harmonien einschließt. Einzelne Rollen, wie etwa die des Mühlenberg oder jene des Indianerhäuptlings Fliegender Pfeil erhalten auf diese Weise eine akustische Markierung, die im Verlauf des Stückes Orientierung bietet und Wiedererkennung ermöglicht. Zum dritten schließlich ist Moritz Gabriel zu nennen, der binnen 8 Wochen eine weitere Hauptrolle zu verinnerlichen und einzustudieren hatte. Zwar ist der Textkorpus von In Gottes eigenem Land bei weitem nicht so umfangreich wie in Dr. Jekyll und Mr. Hyde, aber mit ihm als Pfarrer Mühlenberg steht und fällt die Handlung, er ist das Zentrum, auch wenn er in einer Szene einmal nicht vertreten ist. Gabriel vermag es vortrefflich, Mühlenbergs trotzige Uneigennützigkeit und Entschlossenheit einerseits, seine obrigkeitshörige Unsicherheit andererseits zu vermitteln.

Schließlich darf nicht unerwähnt bleiben, dass ein solch gewaltiges Projekt nur mit zusätzlichen öffentlichen Mitteln und privater Unterstützung umsetzbar ist. Weil es als ein Beitrag zum Lutherjahr 2017 deklariert ist, fließen Mittel des Bundes. Darüber hinaus ist die Ostdeutsche Sparkassenstiftung mit im Boot und die hessische (!) Klingspor AG. Sinnstiftend angelegtes Geld ist das allemal, denn nicht nur ist eine erhellende Ausstellung im Foyer entstanden, die den Entstehungsprozess des Stückes beleuchtet und zusätzliche Informationen zur nordamerikanischen Geschichte gibt; auch die ins Auge gefasste Reise der Produktion in das Siedlungsgebiet der deutschstämmigen Amerikaner dürfte ohne diese zusätzlichen Mittel nicht finanzierbar sein. Wer allerdings eine Aufführung in der Nähe anstrebt, sollte nicht lange säumen: Am 3. und 4. Juni bietet sich in Radebeul dazu Gelegenheit, am 11.6. in Großenhain, ebenso am 16. und 17. Juni in Meißen im Rahmen der Burgfestspiele.

Der vorletzte Satz gehört der letzten Szene des Stückes, in der die Personen 1 und 2 mit einer Rettungsweste á la Frontex bekleidet auf die auf einem Schiff eingezwängten Auswanderer treffen – die Schicksale auf dem Atlantik des 18. Jahrhundert unterscheiden sich kaum von jenen auf dem Mittelmeer des Jahres 2017. Aber das ist eine Botschaft, für deren Verkündigung es viele wackere Mühlenbergs braucht.

Bertram Kazmirowski

Weg ins Paradies

Es gibt Wege in Radebeul, die man einfach gern und oft geht, zumal sie mit Erinnerungen aus früherer Zeit verbunden sind.

In diesem Fall handelt es sich um den Weg ins Paradies. Diesen Weg verbinde ich mit Schulzeit und auch Erinnerungen an eine sehr gute Freundin, die seinerzeit auf dem Höhenweg zuhause war. Heute wohnt sie in einer fernen Stadt und ist immer noch eine sehr gute Freundin geblieben.

Paradiesberg 2017


Auch heute noch gehe ich diesen Weg immer noch gern, sicherlich auch aus einer gewissen Sentimentalität und eben: Jugenderinnerung.

Seit ein paar Jahren aber auch unter dem Motto „Von einem, der auszog, das Gruseln zu lernen“. Ich meine das in vielerlei Hinsicht.

Es verbinden sich Erinnerungen an die damalige Jugendkunstschule, so hieß sie wohl früher, an das Winzerhaus, ungefähr nach dem ersten Drittel des Weges und nicht zuletzt an das „Haus an den Barnewitzen“ mit tollem Rodelberg, bevor der Weg dann steil ansteigt zu den ehemaligen Gaststätten „Paradies“ und „Sängerhöhe“.

Barnewitz 1967


Grusel, warum?

Barnewitz 2017


Das Gelände um besagte Schule herum ist planiert und „anspruchsvoller“ Wohnungsbau macht sich breit, die entstandene Brache harrt sicherlich noch auf weitere Zutaten dieser Art. Sollte ich mich täuschen, umso besser. Das genannte Winzerhaus auf dem ersten Drittel, was für eine Kitschoase – ich habe für mich beschlossen, da nie einen Fuß hineinzusetzen. Offensichtlich gefällt es manchen, aber es ist ja kein Muß.

Den Schlusspunkt der Grauslichkeit setzt allerdings das ehemalige Anwesen der Familie Barnewitz.

Es ist nicht wiederzuerkennen. Das Hauptgebäude ist mit den heute realisierten Dachaus- und anbauten total verunstaltet. Vom charakteristischen hohen Walmdach sind fast nur noch die Gratziegel dachbildend. Das ehemals maßvoll hinzugefügte Seitengebäude ist „aufgemöbelt“ und die untergeschobenen Garagen dienen wohl eher dem zukünftigen Wohnen? Von dem umgebenden Gelände ganz zu schweigen: die ehemals sanfte Einbettung des Gebäudes ist wohl passé.

Winzerhaus 1967


Architekten sind Sachwalter ihres Brötchen- oder in diesem Fall Honorargebers.

Aber zur Ehrenrettung unseres Berufsstandes, der architektonische Entwurf ist immer nur so gut, wie der umzusetzende Bauherrenwunsch es zulässt. Das sind nicht nur finanzielle Bandagen, das sind auch räumlich-funktionelle und ästhetische Ansprüche, die umzusetzen sind.

Winzerhaus 2017


In diesem Fall kann man erahnen, was es heißt „Weiterbauen am Denkmal“. Dieses Denkmal ist vor Bedrängnis durch An- und Zubauten gestorben.

Ich gehe im vorliegenden Fall davon aus, dass dieses Haus zumindest seinen Denkmalstatus verloren hat, die massive Verunstaltung von Ort und Raum bleibt – da hilft auch kein noch so üppiger Bewuchs.

Aber das Positive zum Schluss: wenn man den Kopf beim Aufstieg ins Paradies konsequent nach rechts dreht, so erkennt man den Zugang in den Paradiesberg. Dort ist ein Platz, von dem man einen wunderbaren Blick ins Tal genießen, kühlen Wein trinken und kleine Speisen zu sich nehmen kann. Das gab es allerdings früher nicht.

Hierbei ist allerdings beim Abstieg danach Vorsicht geboten. Ich spreche aus Erfahrung.

Dr. Dietmar Kunze

Aus dem Amt scheiden, den Dank mitnehmen

Zur Verabschiedung von KMD Karlheinz Kaiser am 18. Juni 2017

Das Kantoren- und Organistenamt in einer Gemeinde wie der Kötzschenbrodaer Friedenskirchgemeinde wird einem Kirchenmusiker nicht zufällig übertragen, genauso wenig wie eine solche Stelle nur eine berufliche Durchgangsstation ist. Nein, in einer solchen Position, an einer solchen Wirkungsstätte, schafft man (s)ein Lebenswerk, denn seit 250 Jahren hat keiner der seither nur acht Kantoren weniger als 20 Jahre Musik zur Ehre Gottes erklingen lassen. Der aktuell letzte in der verdienstvollen Reihe, die mit Thomas dem Schreiber 1532 beginnt, ist Karlheinz Kaiser, der seit 1994 amtiert und Ende diesen Monats, nach Vollendung des 65. Lebensjahres, offiziell aus dem Amt als Kantor der Friedenskirchgemeinde scheidet. In den 23 Jahren seines Schaffens hat sich Kantor Kaiser einen Namen als fachlich geschätzter, umtriebiger und innovativer Kirchenmusiker weit über die Grenzen Radebeuls erworben, weshalb Vorschau & Rückblick seinen Abschied vom Amt und seinen Geburtstag zum Anlass nahm, sich mit ihm zu einem Gespräch auf der Orgelbank der großen Jehmlich-Orgel der Friedenskirche zu treffen, um mehr über seinen Werdegang, sein Resümee der Radebeuler Jahre und seine Pläne für die Zukunft zu erfahren.

Karlheinz Kaiser an der Orgel der Radebeuler Friedenskirche


Karlheinz Kaiser ist waschechter Vogtländer. Aufgewachsen bei Oelsnitz in einer musikalischen Familie lernte der Junge durch seine Mutter beizeiten Tasteninstrumente spielen und stellte sich darin so geschickt an, dass er bereits als Jugendlicher die Orgel zum Gottesdienst spielen durfte. Heute dagegen interessieren sich Teenager weniger für die „Königin der Instrumente“, denkt Kaiser laut nach, und ergänzt, dass seiner Beobachtung nach Orgelkonzerte inzwischen auch weniger nachgefragt sind als vor 20, 30 oder 40 Jahren. Damals, Mitte der 70er Jahre, pendelte Kaiser jahrelang zwischen Weimar und Dresden. Denn nachdem er 1972 die Dresdner Kirchenmusikschule mit der B-Prüfung (Kantorenstellen werden je nach Ausbildung als A-, B- oder C-Stelle ausgewiesen) abgeschlossen hatte, setzte er seine Studien in Weimar an der dortigen Musikhochschule für weitere fünf Jahre fort und erwarb einen Abschluss, der ihn zur Übernahme einer A-Stelle berechtigte. Weil aber fähige Nachwuchsmusiker immer schon händeringend gesucht wurden, verdingte sich Kaiser bereits als Student von Freitag bis Montag in Dresden-Weißer Hirsch als nebenamtlicher Kantor und war damit in jenen Kreisen unterwegs, die in Uwe Tellkamps großangelegtem Erfolgsroman Der Turm literarisch gezeichnet sind. Weil es ihm auf dem Weißen Hirsch so gut gefiel, blieb er auch nach seinem erfolgreichen Examen für weitere acht Jahre dort, bevor er sich auf eine A-Stelle in Leisnig bewarb und dort auch bald schon zum Kirchenmusikdirektor (KMD) berufen wurde. Obwohl die prächtige spätgotische Hallenkirche St. Matthäi Karlheinz Kaiser ein repräsentatives Arbeitsumfeld bot, so drängte das Herz des Künstlers doch mehr und mehr zurück in das Zentrum der sächsischen Kirchenmusik, weshalb er mit Freuden 1994 die Wahl zum neuen Kantor der Friedenskirchgemeinde als Nachfolger des langjährigen Amtsinhabers KMD Hans-Bernhard Hoch (Er wirkte von 1954-1993 und singt mit seiner Frau noch immer aktiv in der Kantorei!) annahm. Die Nähe Radebeuls zu Dresden erlaubte Kantor Kaiser eben doch die regelmäßige Aufführung großer Werke der barocken, klassischen und romantischen Chorliteratur. Nicht nur, dass die Friedenskirchkantorei von beachtlicher Größe ist, die schnelle Verfügbarkeit hervorragender Musiker (Instrumentalisten wie Gesangssolisten), z. T. sogar aus den Reihen der Kirchgemeinde selbst, war ein Vorteil, den Kaiser gern nutzte. Wer also in den letzten gut zwei Jahrzehnten wollte, der konnte neben Bachs jährlich aufgeführtem Weihnachtsoratorium auch dessen Matthäus- und Johannispassion, Händels Messias und Haydns Schöpfung, die Requien von Mozart, Brahms und Fauré sowie Mendelssohns große Oratorien Paulus und Elias erleben, um nur die wichtigsten Werke zu nennen. Für nicht wenige Mitglieder der Kantorei dürfte die Amtszeit Kaisers untrennbar mit zwei großen Konzertreisen nach Israel und Griechenland in Erinnerung bleiben, ganz sicherlich auch die Aufnahmen für die CD Musik in der Friedenskirche bereits im Jahr 1994. Kaiser initiierte im gleichen Jahr den seither jährlich stattfindenden „Radebeuler Orgelsommer“ mit dem Ziel, die klanglich schöne, dreimanualige Jehmlich-Orgel stärker ins Bewusstsein der musikinteressierten Bevölkerung zu rücken. Nach mehrjähriger Vorbereitung gelang es im Jahr 2000, die Orgel einer Generalüberholung zu unterziehen, um die breiten klanglichen und technischen Anforderungen an eine Orgel im 21. Jahrhundert abzusichern. Kaisers Vorliebe gilt dabei besonders den französischen Romantikern von Vierne über Boëllmann bis Franck.

Was macht ein Kantor eigentlich, wenn er nicht Chorkonzerte dirigiert, Orgelkonzerte gibt und die Kantorei zu Proben anleitet? Kaiser lacht und zählt auf: Für die musikalische Absicherung von Gottesdiensten in insgesamt drei Predigtstätten sorgen (neben der Kötzschenbroader Hauptkirche gehört auch noch die Johanneskappelle in Naundorf und die Wichernkapelle in Lindenau dazu), auf Hochzeiten und Beerdigungen spielen, verschiedene Nachwuchschöre anleiten, mit dem Gospelchor und dem Kammerchor spezielle Repertoires pflegen und aufführen, im engen Kontakt mit dem Kirchenvorstand das kirchenmusikalische Programm bauen, Sänger und Solisten engagieren und nicht zuletzt auch noch selbst üben! Dafür hat er sich in seinem Niederlößnitzer Haus eine elektronische Orgel angeschafft, auf der er sich neue Literatur erarbeitet.

Der Abschied vom Amt fällt Karlheinz Kaiser nicht leicht, wie er mir gesteht. Er fühlt sich gesund und neugierig genug, um weiter arbeiten zu wollen, und tatsächlich steht er dankenswerter Weise auch noch so lange der Gemeinde zur Verfügung, bis der Nachfolger oder die Nachfolgerin ihren Dienst angetreten hat. Aus vier Bewerbern ist Ende Mai der geeignete Kandidat gewählt worden, der an das von Kaiser gestaltete Jahresprogramm 2017 anknüpfen kann. Und worauf freut sich Kaiser, dessen Verabschiedung am 18. Juni im Rahmen eines Gottesdienstes erfolgt, für die Zeit danach? Mit seiner Frau ins Wohnmobil steigen und einfach losfahren – nach England vielleicht, noch einmal an den Gardasee wie zu Ostern, oder auch nur nach Tschechien. Für seine Kinder und Enkelkinder da sein. Den Garten in Schuss halten. Und ja – irgendwo in der Nähe eine nebenamtliche Stelle antreten, damit er mit Lust und Leidenschaft das noch länger tun kann, was seit mehr als 40 Jahren sein Leben bestimmt: Geistliche Musik zur Aufführung bringen und damit dafür zu sorgen, dass möglichst viele Menschen Teil an diesem unermesslich reichen kulturellen Schatz haben. Die Radebeuler sagen „Danke“ und hoffen auf ein Gastspiel zu den Kirchenmusiktagen 2018 oder zum Orgelsommer im gleichen Jahr!

Vorschau und Rückblick gratuliert herzlich zum Geburtstag und wünscht weitere Jahre segensreichen Schaffens!

Bertram Kazmirowski

Zwischen Welten

Grafische Malerei von Anne-K. Pinkert in der Stadtgalerie

„Der Reichtum der Gesellschaften, in welchen kapitalistische Produktionsweise herrscht, erscheint als eine ‚ungeheure Warensammlung‘ …“ (Marx, Das Kapital)

Der Eröffnungssatz des Kapital ist in den hundertfünfzig Jahren seit seinem Erscheinen stets von allen übersehen worden. Es geht nämlich aus ihm hervor, daß andere Gesellschaften, andere Welten ganz anderen Reichtum haben: Reichtum des Geistes etwa, Reichtum des Herzens oder der Seele.

Anne K. Pinkert »Beschwörendes Gespräch«, 2000, Lithographie


Es ist eine Art von Reichtum, wie ihn Anne-Katrin Pinkert in unserer Welt vergeblich sucht. Deshalb findet sie auch, wie sie selbst sagt, kein Zuhause auf dieser Erde, auf der alles, was es gibt, der Boden unter den Füßen, das Licht der Sonne, das Wasser, die Luft und selbst der Platz, auf den ein Menschenkind sein Haupt bettet, längst zur Ware erklärt wurde. Die Welt ist aufgeteilt, ist fortgegeben, wie Schiller es ausdrückte, der Kaufmann nahm, was seine Speicher fassen und für die Künstlerin blieb mal eben noch im Himmel ein gelegentliches Plätzchen frei.

Und dieser Himmel ists, der Annes Seele mit diesem anderen Reichtum füllt, der nun in klaren Farben aus ihr herausdrängt. Es ist, als wolle die Farbfülle das Unbehagen vergessen machen, das Fremdsein auslöschen, das die Malerin für die Welt und in ihr empfindet. Dennoch ist es da, und Anne hat auch nicht vor, es zu verleugnen: zu genau kennt sie aus ihrer therapeutischen Arbeit die Abgründe des Lebens. So froh die Farben scheinen, sie künden keine heile Welt. Nein, es sind Prophetien die zeigen, wie die Welt vielleicht gemeint war, bevor Händler und Diebe sie verhökerten. Es sind Anklänge an Reichtümer von Gesellschaften, die nicht dem Tanz ums Goldene Kalb verfallen waren und die von uns, die wir uns für die Besseren halten, obwohl wir nur die scheinbar Stärkeren sind, von der Erde getilgt wurden.
Anne sucht ihre Bilder nicht, sie findet sie. Wenn sie ins Atelier kommt, sind die Bilder schon da. Still liegen sie auf den Papieren und harren ihrer Entdeckung. Und wenn die Malerin dann mit Kreide oder farbigen Tuschen die Konturen abfragt, die etwa beim Aufkleben oder Befeuchten entstanden sind, da treten sie plötzlich hervor, da zeigen sie sich. Wenn ich die Bilder nicht sehe, sagt Anne, kann ich nicht malen.

Anne K. Pinkert »Zufriedensein«, 2016, Mischtechnik


Da ist dann das leere Blatt nichts als eine weiße Fläche, als trüge es die Ödnis der Welt. Es folgen zähe, bildlose Stunden, bis der erste Vulkan sich wieder zeigt, seine Gluten in den leuchtenden Himmel schleudert und mit seinem Ausbruch erneuten Raum schafft für Noahs gerettete Lebenswelt und Frauen zu tanzen beginnen bevor sie wieder eintauchen in die Vielfalt der Schöpfung.

Anne hat auf der Burg in Halle-Giebichenstein Malerei und Grafik studiert und konnte zwischenzeitlich sogar ein Semester bei Elke Hopfe an der HfBK in Dresden einschieben. Ihrem Diplom in Halle hat Anne dann in Dresden ein Aufbaustudium für Kunsttherapie angeschlossen, das es ihr bis heute ermöglicht, ihren Neigungen entsprechend und unabhängig von der Kunst ihren Alltag zu bestreiten.

In den grafischen Werkstätten hat Anne ihre Liebe zum Steindruck entdeckt. Ihre Lithographien zum finnischen Nationalepos Kalevala waren Bestandteil ihrer im Jahr 2000 angefertigten Diplomarbeit.

In dieser Ausstellung markieren sie den Beginn des Reifeprozesses einer Künstlerin, der auch nach siebzehn Jahren noch nicht abgeschlossen sein kann. Sie sind vom spannungsreichen Geschehen des Mythos geprägt und von der hier artikulierten Sehnsucht nach Aussöhnung der Geschöpfe untereinander und mit der Welt. Diese Sehnsucht ist das eigentliche Thema aller dieser Arbeiten.

Was bedeutet nun aber, hören wir die Besucherin fragen, der Fisch, der die Frau küßt?

Die Antwort ist denkbar einfach: er bedeutet den Fisch, der die Frau küßt in einer Gesellschaft, in der weder Frau noch Fisch Gefahr laufen, zur Ware erklärt zu werden. Für mich ist er Ausdruck der Sehnsucht nach einer Welt, in der mehr und anderes im Mittelpunkt steht, als eine ungeheure Warensammlung.

Thomas Gerlach

Editorial Juni 2017

Liebe Leserinnen und Leser unserer „Vorschau & Rückblick“!

Allmonatlich halten Sie eine neue Ausgabe unserer Kulturzeitschrift in den Händen.

Allmonatlich ist das Heft gefüllt mit unterschiedlichsten Beiträgen von lokaler Kultur und Kunst. Allmonatlich trifft sich unser Redaktionskollegium am ersten Donnerstag des Monats, um den Inhalt des neuen Heftes zu besprechen.

Jede Ausgabe stellt immer wieder eine Herausforderung dar. Immer wieder die bange Frage, ob es genügend Beiträge für das kommende Heft geben wird. Zur Sitzung ist dies, bei aller Zuversicht, zumeist überhaupt noch nicht abzusehen. Immerhin haben wir einige treue Redaktionsmitglieder, die fast in jedem Heft mit interessanten Beiträgen seit vielen Jahren vertreten sind. Kaum auszudenken, wenn sie fehlten. Vor allem, weil sie fachspezifisch verschiedene Felder bedienen.

Und leider mangelt es nach wie vor an Nachwuchsautoren.

Dennoch ist das Heft damit meist noch nicht gefüllt. Und fast wie ein Wunder, dass bis zum Redaktionsschluss dann doch noch Texte externer Autoren regelmäßig den Weg zu uns finden.

Geschätzte Leserinnen und Leser, bereichern Sie unser Heft mit Ihren Geschichten, damit es so spannend bleibt wie es ist.

Sascha Graedtke

Editorial 05-17

Schade, dass zu Ostern Wunschzettel nicht üblich sind, die gehören ja eher zu Weihnachten. Ich hätte nämlich für Radebeul einige Wünsche aufgeschrieben. Angeregt durch meine Tätigkeit im Kommunikationsteam für das Sanierungsgebiet im Bürgerbüro auf der Bahnhofstraße, erfahre ich ja Wünsche und auch Beschwerden der Anwohner. Und ein Wunsch, der immer wieder auftaucht, ist ein Kino für Radebeul-Kötzschenbroda,es muss ja nicht groß sein.

In der SZ vom 6. April war zu lesen, dass es vom Eigentümer des Bahnhofs nun konkrete Vorstellungen gibt, was dort etabliert werden soll. Er möchte anonym bleiben, weshalb, erschließt sich mir nicht. Sonst könnte man ja mal auf ihn zugehen und sagen: „Ein kleines Kino wäre toll.“ Ich denke ja, wenn Sie Wünsche von Einwohnern mit beachten, wäre für den Erfolg schon viel getan. Also, Herr Anonymus, bitte mal diese Option mit ins Kalkül ziehen! Es könnte auch ein Mehrzweckraum sein.

Jetzt kommt gleich noch die nächste Idee, entstanden am Frühstückstisch: Im Lößnitzbad könnte herrliches Sommerkino stattfinden. Ein Spaß, der sicher gern angenommen würde und woanders prima funktioniert, mal schlechtes Wetter ausgenommen. Frisch gebadet zur Filmnacht, wenn das nix wäre. Die Betreiber des Bistros würden sich sicher auch freuen. Ein Bier und ’ne Bratwurst gehören ja schließlich dazu. Statt das Lößnitzbad für Jugendliche noch unattraktiver zu machen, z.B. durch das Entfernen des Pontons, früher „Boje“ mit 3-Meter-Turm, sollten die Gedanken eher an das Aufwerten des Bades gehen, finde ich. Die Beschwerden über die laute Jugend an manchen Stellen, u.a. am Apothekerpark, kommen ja ebenfalls im Bürgerbüro an. Aber ich frage jetzt mal: Wo bitte, außer im Weißen Haus haben die jungen Leute von Radebeul eine Möglichkeit, nach ihren Bedürfnissen Freizeit zu verbringen? Mir fällt da nicht viel ein.

Ilona Rau

Ein ungewöhnlicher Vorgang

Vom Versuch, in Reichenberg ein Putzbild zu retten

und dann passiert es plötzlich: Ein Detail der Hülle erweist sich als wertvoller als der ganze Rest. So geschehen neulich in Reichenberg. Der im Kern mehr als 400 Jahre alte Gasthof hat längst seine Schuldigkeit getan: Es kehrt niemand mehr ein, und im Ort gibt es wohl auch kein Interesse mehr an lautstarken Tanzvergnügen. Häuser aber nehmen das Leerstehen übel und beginnen zu verfallen, wenn keiner nach ihnen schaut. Meist beginnt es mit den Fenstern: eine nach der anderen splittern die Scheiben, weil sie niemand mehr putzt…

Sgraffitto-Putzbild von Hermann Glöckner

Sgraffitto-Putzbild von Hermann Glöckner Foto: Firma Bauhauf

Als sich schließlich doch jemand bereitfand, „noch was draus zu machen“, war das vollständig aus Bruchsteinen aufgeführte Mauerwerk rettungslos verschlissen. So standen die Zeichen auf Abriss – wenn nicht ein namhafter, freilich zu seiner Zeit eher beargwöhnter, Künstler sich gemeinsam mit seiner Frau an der Fassade zu schaffen gemacht hätte: Das Sgraffitto-Putzbild von Hermann Glöckner machte die Außenhaut wertvoll, weshalb es von den Professoren Werner Schmidt und Gerhard Glaser zum bedeutenden zeitgenössischen Kunstwerk erklärt worden war.

Eine Schüssel Klöße, ein Bierglas, eine Trompete, ein Bass, ein Pflug und ein Hahn: Das mehrere Meter hohe Bild zeigt, was der Gast 1947 bei der Einkehr erwarten konnte: gute Böhmische Knödel zum Bier, dafür war die Küche berühmt, Geselligkeit und Tanz – und alles auf der Basis eigener Landwirtschaft: Über Generationen hinweg war das gut gegangen; über Generationen hinweg war das Gut in der Familie geblieben. In den Nachkriegsjahren gab es die Hoffnung, dass es so bleiben würde. Der Künstler hatte das Leben sinnfällig umgesetzt in klaren Bildern und solidem Handwerk. Sowas kann einer nach runden siebzig Jahren nicht einfach wegreißen.

Kann Putz bestehen ohne das Mauerwerk, an dem er klebt, einem Putz zumal, der selbst die beste Zeit hinter sich hat und schon vom bloßen Hinschaun bröckelt?

Als Eigentümerin des Gebäudes ist die Firma BAUHAUF dafür bekannt, Schwierigkeiten nicht aus dem Wege zu gehen. Nach dem Motto „wenn mir einer sagt, wies geht, dann machen wir das!“ setzte sich auch die Chefetage hinter die Bücher, um nach einer Lösung zu suchen.

Sie fanden keine. Putzflächen dieser Dimension lassen sich nicht schadensfrei von der Wand nehmen. Selbst das allheilige Wundermittel „Digitalisierung“ half nicht weiter, war doch die Wirklichkeit hier nichts weniger als virtuell. Experten tagten. Restauratoren tüftelten. Ratlosigkeit machte sich breit, bis einer sagte, „dann nehmen wir eben die Wand vom Putz“.

Geplante Neubebauung

Geplante Neubebauung Foto: Firma Bauhauf

Und schon wurde gesägt und ein Rahmen geschweißt und eine Schutzschicht auf das Bild aufgetragen. Dann kams drauf an: Stein für Stein und natürlich mit der Hand (ja – auch das ist noch möglich im 21. Jahrhundert!) wurde die Wand abgetragen, Lage für Lage die frei stehende Bildträger-Putzschicht gesichert, ein innerer Rahmen mit dem äußeren verschweißt und das Ganze schließlich mit einem Kran zu Boden gebracht – geschafft!

Noch weiß niemand, ob und wie das zu rettende Bild die Prozedur überstanden hat. Immer noch ist ein Scheitern möglich, immer noch ist Hoffnung auf endgültiges Gelingen.

Diese Hoffnung rechtfertigt einen Versuch, der in unserer auf „Effizienz“ getrimmten Zeit alles andere als selbstverständlich ist. Allein dafür hat sich die Firma BAUHAUF ein großes Dankeschön für diesen ungewöhnlichen Vorgang verdient.

Thomas Gerlach

Ausstellung „Geheime Gärten“

Eröffnungsredner Alexander Lange, im Hintergrund  die Textilcollage »Neugierde-beidseitig« von 2012

Eröffnungsredner Alexander Lange, im Hintergrund die Textilcollage »Neugierde-beidseitig« von 2012 Foto: K. Baum

[…] Geheime Gärten gibt es so einige, vielfach in Großbritannien, aber auch hier in Radebeul. Man kann sie z.B. am Tag des offenen Gartens entdecken. Sie sind aber auch Thema in der Literatur: „Der geheime Garten“ ist der Titel eines Kinder- und Jugendromans von Frances Hodgson Burnett. Bekannter in Deutschland ist Hodgson übrigens mit „Der kleine Lord“, welcher so grandios verfilmt wurde.
Mit dem Garten fing laut Bibel das menschliche Leben an – er war ein Paradies (lange Zeit Thema in den Künsten) und in einem Garten endet es in der Regel – was ist ein Friedhof anderes. Aber Gartengestaltung ist dem Menschen seit der Entwicklung von Hochkulturen offensichtlich immanent. Und Kunde davon, dass sie existierten, geben bereits Wandmalereien aus dem alten Ägypten. Im frühen und antiken Griechenland fassten die Menschen die Natur als göttliche Erscheinung auf. Ihnen galt der Garten als ein mit vielen mystisch-symbolischen und religiösen Bedeutungen befrachteter Wald. Im Archäologiemuseum in Athen ist dazu eine wunderbare Wandmalerei von 1500 v.Chr. mit dem Titel „Frühling“ zu bewundern. Bis in die heutige Zeit sind Gärten ein Motiv in der Malerei – von detailreichen Perspektivdarstellungen in der Renaissance oder dem Barock bis zu Paul Klees „Orientalischer Garten“ oder „Garten Vision“.
Antje Schönauer nimmt uns mit ihren Bildern auf den Weg durch ihre geheimen Gärten. Sie bezeichnet sich selbst als dilettierenden Laien. […] Begriffe wie Laie oder Amateur sagen jedoch wenig über die Sachkenntnis der so Bezeichneten aus, die durchaus professionelles Niveau haben können. Dergestalt sind eine Reihe berühmter Künstler Laien, denn sie hatten keine Ausbildung. Berühmt werden will Antje [Schönauer] nicht. Aber immerhin kann sie schon auf einige Ausstellungen und eine Reihe von Verkäufen verweisen. Verkäufe sind für sie allerdings ein Problem, denn sie bezeichnet ihre Arbeiten als ihre Kinder. Doch Kinder gehen auch irgendwann in die Welt und so soll es m.E. auch mit Kunstwerken sein. Im Atelier oder wie in diesem Falle in der Wohnung stehend, erzielen sie keine Wirkung.
Antje [Schönauer] zeigt Arbeiten aus ca. zehn Jahren von 2004 bis 2013. Danach musste sie – vor allem aus Platzgründen eine Auszeit nehmen. Begonnen hat alles mit Applikationen auf Kleidung und mit Gestaltung von Decken für die eigenen Kinder. Das Talent dafür hat sie wohl geerbt, denn ihre Vorfahren waren Tapetenmusterstecher, ein ausgestorbener Beruf.
Bilder auf dem Blatt entstehen aus inneren Bildern aus Archetypen, wie Antje sagt, also aus einer „Ur- oder Grundprägung“. Archetypen sind psychische Strukturdominanten, die als unbewusste Wirkfaktoren das menschliche Verhalten und das Bewusstsein und somit das Schaffen beeinflussen. Vielfach kommen ihre Motive aus der Literatur oder der Musik. Ähnlich, wie in klassischen Werken findet sich die Wiederholung von Elementen, aber nie ganz gleich, ähnlich einem Rondo, welches bestimmte musikalische Teile in Variationen wiederholt. So entstehen keine wirklich konstruktiven Tafeln, sondern lebendige, bewegte Bilder. […] Die Motive erscheinen zum Teil wie von selbst. Florale Formen entwickeln sich aus einem unbewussten Prozess heraus und ordnen sich erst während der Arbeit zu einer Szene. Zu beobachten ist eine Entwicklung vom mehr Gegenständlichen zum Abstrakten. Die vertikale Ausrichtung fast aller Arbeiten ist logisch, denn alles was wächst strebt nach oben. Sie benutzt die Ausrichtung, um Strukturen zu entwickeln einer Rabatte oder einem Dickicht gleich. Deutlich zu erkennen sind in den Mustern Zitate des Barock oder des Jugendstils. Für diese Stilrichtungen hat Antje ein besonderes Faible. Farbe und Linie finden sich oft in einer Einheit, das kommt aus der benannten Vorliebe für den Jugendstil. So entstehen meist Blätter mit ornamentalem aber auch erzählerischem Charakter, den sich der Betrachter erschließen muss. […]

Alexander Lange

Auszüge aus der Rede des Amtsleiters für Kultur und Tourismus zur Eröffnung der Ausstellung „Geheime Gärten“ mit Bildern und Collagen von Antje Schönauer.
Die Ausstellung kann im Bürgertreff Radebeul-West mittwochs von 15 bis 18 Uhr besichtigt werden. Eine Finissage findet in Anwesenheit der Künstlerin am 13. Mai um 17 Uhr statt.

Im Frühjahr fertig geworden

Die Gröbahäuser am Rosa-Luxemburg-Platz

Dreispänner vom Park aus gesehen

Dreispänner vom Park aus gesehen Foto: D. Lohse

Mein Artikel zum Tag des offenen Denkmals 2016 zu eben diesen Häusern in Heft 10/16 von V&R endete mit der Aussicht, dass diese Denkmals-Sanierungsbaustelle im Frühjahr 2017 beendet sein sollte. Das ist planmäßig geschafft worden, ein Rest an Gartenarbeiten wird noch vollendet und die ersten Mieter sind eingezogen (Stand 31.03.17). Aber schauen wir einfach mal gemeinsam hin, wie es geworden ist.

Als erstes muss ich festhalten, dass die Radebeuler Besitzgesellschaft als Eigentümer die Maßnahme gründlich mit den zuständigen Denkmalpflegern aus Dresden und Großenhain sowie dem Architekturbüro Clausnitzer vorbereitet hatte. Hinzu kam eine Gruppe von Handwerksbetrieben aus der Region, fast alle mit Denkmalerfahrung. Auch der etwas länger als sonst anhaltende Winter war kein allzu großes Problem.

Beide Gröbahäuser von Nordwesten

Beide Gröbahäuser von Nordwesten Foto: D. Lohse

Was waren nun die baulichen Besonderheiten an der Aufgabe, es sind ja auf den ersten Blick scheinbar ganz normale Häuser? Für die Dächer mit einer Vielzahl von Gaupen (man kann hier fast alle Gaupenformen studieren) kamen nur schmale, rote Biberschwanzziegel in Frage. Ein bisschen schlucken musste ich, als ich vom Platz aus die drei komfortablen Rettungsausstiege sah. Offenbar sind die diesbezüglichen Sicherheitsvorschriften erneut verschärft worden. Beide Häuser hatten einen zeittypischen (um 1925) Rauputz, der fachgerecht ausgebessert, ergänzt und Ocker eingefärbt wurde. Der florale, plastische Schmuck über den Eingängen Rosa-Luxemburg-Platz 2 und 3 zeigt gereinigt und ergänzt ein weiteres zeittypisches Element am Haus. Ein Teil der Originalfenster konnte aufgearbeitet und weiß gestrichen werden, der größere Teil wurde als neue Holzfenster mit entsprechender Gliederung in der Außenansicht eingesetzt, analog die Außentüren (einige in Braun, andere nach Befund auch in Weiß). Ganz wichtig für den hier vorgefundenen sogen. Heimatstil war, dass die Fensterklappläden wieder angebracht worden sind. Die Farbe der Läden ist ein helles Blaugrau, vielleicht etwas ungewöhnlich, hier aber im Zusammenspiel mit den o.g. Farben von Dächern und Fassaden eine runde Sache. Ebenfalls dem Heimatstil entsprechen die hölzernen Rankspaliere an ausgewählten Stellen des Erdgeschosses, ich hoffe, dass laut Gartenplan bzw. durch die Mieter da auch noch was Passendes gepflanzt wird. Der Kahlschlag (Baufreiheit!) Mitte 2016, also vor Baubeginn, war für manche Vorbeigehende schon ein Schreck gewesen.

Das Doppelhaus von Südwesten

Das Doppelhaus von Südwesten Foto: D. Lohse

Nicht unerwähnt bleiben darf der hohe Aufwand für die Umzäunung nach drei Straßen hin. Mauern und Pfosten aus Sandsteinzyklopen wurden gereinigt und neu verfugt, Abdeckplatten ebenfalls aus Sandstein neu angefertigt. Zaunfelder sowie Tore und Türen aus Holz und Stahl erneuert und hellgrau gestrichen. Die die Zugänge flankierenden, aufgesetzten Kugeln wurden zum Teil neu angefertigt. Hier nicht im Detail aufgeführt, kommen eine Reihe von Verbesserungen im Inneren der Gebäude hinzu, die natürlich für die neuen Mieter auch ganz wichtig sein dürften.

Obwohl ich als Rentner ja aus dem Geschäft raus bin, also keinen Einfluss auf das Denkmalgeschehen mehr habe, hatte ich im Vorbeigehen meine Freude an der Baustelle und möchte allen Beteiligten danken. Das Ergebnis kann sich wirklich sehen lassen – die östliche Flanke des Rosa-Luxemburg-Platzes ist ein „Hingucker“ geworden. Das sollte ein Ansporn für die angekündigte Umgestaltung des Platzes durch die Stadt sein!

Dietrich Lohse

Ankündigung und Einladung:

Führung durch den „Bilzhof am Jägerberg“ – ehem. Wohnhaus von Eduard Bilz

Ansicht Jägerberg um 1845, vor Umbauten  1872 und 1898

Ansicht Jägerberg um 1845, vor Umbauten 1872 und 1898 Foto: Stadtarchiv Radebeul

Im Rahmen des Bilz-Festes (Programm über SBF GmbH Radebeul) anlässlich des diesjährigen 175. Geburtstag von Friedrich Eduard Bilz lädt der „verein für denkmalpflege und neues bauen radebeul e.V.“ recht herzlich zur Führung durch das Grundstück der ehemaligen Wohnstätte von Eduard Bilz – dem Bilzhof am Jägerberg – ein.

Die Führungen am Samstag dem 24.6. beginnen jeweils 11 und 13 Uhr und dauern ca. 1,5h. Da die Besichtigung jeweils nur für eine begrenzte Teilnehmerzahl von max. 25 Personen möglich ist, bitten wir um vorherige Anmeldung bis zum 10. Juni unter k.leiteritz@web.de.

Ansicht Villa am Jägerberg von der Gartenseite, 1962

Ansicht Villa am Jägerberg von der Gartenseite, 1962 Foto: Stadtarchiv Radebeul

Um Missverständnissen vorzubeugen, weisen wir darauf hin, dass es sich um eine reine Außenbesichtigung der Gebäude handelt. Die Führung wird über das gesamte weitläufige Grundstück verlaufen und auch die Turmruinen inclusive der „Blechburg“ im verwilderten Weinberg einbeziehen. Die Wege und Treppen dorthin sind teilweise in einem schlechten Zustand und erfordern eine gewisse Trittsicherheit der Besucher.

Weiterhin möchten wir auf den Vortrag „Die meisten Menschen haben viel zu wenig Vergnügung“ – Der Lebensreformer Friedrich Eduard Bilz von Frau Dr. Marina Lienert ebenfalls am 24.6. um 20 Uhr im Restaurant des Bilz-Bades hinweisen und einladen. Veranstalter des Vortrages sind SBF GmbH und Bilzbund.

Katja Leiteritz

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