Stilles Finale im Radebeuler Festbüro

Cornelia Bielig verließ die Schaltzentrale (Teil 2)

Wenn dieser Beitrag in der Mai-Ausgabe von „Vorschau und Rückblick“ erscheint, hat Cornelia Bielig, die Cheforganisatorin der Radebeuler Stadtfeste, die Schaltzentrale bereits verlassen. Das Abschiedsprozedere unter Pandemiebedingungen ist Geschichte. Es verlief fast wie immer.

Helmut Raeder als Direktor von Zirkus Luft, Herbst- und Weinfest 1992 Foto: Frank Hruschka

Der Oberbürgermeister kam persönlich ins Kulturamt, würdigte die Verdienste der ausscheidenden Arbeitnehmerin, sprach seinen Dank aus, überreichte ein kleines Präsent und wünschte ihr den wohlverdienten Ruhestand. Die Stellenausschreibung für einen potenziell nachfolgenden Sachgebietsleiter „Feste und Märkte“ (w/m/d) ist abgeschlossen. Eben alles wie fast immer und völlig korrekt. Auf jeden Abschied folgt ein Neubeginn.
Doch etwas war diesmal anders. Eines der Abschiedsgeschenke hatte es in sich. Das war ein kleines Buch mit emotionalen und auch humorvollen Erinnerungen, aufgeschrieben von Menschen, die mit Cornelia Bielig im Verlaufe von drei Jahrzehnten zusammengearbeitet hatten. Aber darauf werde ich später eingehen.
Zunächst will ich dort anknüpfen, wo der erste Teil meines Beitrages endet. Zwei, damals noch junge Frauen im Alter von 36 und 39 Jahren, Angestellte der Radebeuler Stadtverwaltung, hatten sich 1991 in den Kopf gesetzt, auf dem Dorfanger von

Cornelia Bielig 1993 im Festbüro auf dem Körnerweg Foto: K. (Gerhardt) Baum

Altkötzschenbroda ein „echtes“ Herbst- und Weinfest mit „lokalem Bezug und kulturellem Anspruch“ zu organisieren. Die Bürokratie war unmittelbar nach dem gesellschaftlichen Umbruch mit sich selbst beschäftigt und die Vorgesetzten, durchweg engagierte Seiteneinsteiger, zeigten sich sehr aufgeschlossen. Eine gute Zeit für die Kultur, um Neues zu erproben. Doch die Theorie war das eine und die Praxis das andere. In Altkötzschenbroda herrschte Agonie. Die meisten Anwohner lebten in sanierungsbedürftigen Gehöften. Daumendicke Risse durchzogen die grauen Fassaden und die Plumpsklos waren über den Hof zu erreichen. Die ursprünglichen Abrisspläne aus DDR-Zeiten waren zwar vom Tisch, doch keiner wusste, wie es weitergehen soll. Hinzu kam, dass einstige Bräuche und Festtraditionen völlig in Vergessenheit geraten waren. Eine Vogelwiese hatte schon lange nicht mehr stattgefunden. Ja selbst die Winzer zeigten kaum Interesse. Und so bedurfte es großer Überzeugungskraft, damit der Funke übersprang. Verbündete der ersten Stunde waren u. a. der alteingesessene Bauer Karl Reiche, der Kopiershop-Betreiber Christian Schwarze, der Pfarrer Eberhard Gehrt von der Friedenskirchgemeinde, die Kötzschenbrodaer Neubürgerin und Betreiberin der alternativen “Schaenke zum Schuh“ Heidi Jackley sowie die langjährige Vorsitzende des Dresdner Schaustellerverbandes Hannelore Bachmann, liebevoll „Scooter Hanni“ genannt.
Überraschendes bot Altkötzschenbrodas Unterwelt. Ein erster Keller (Altkötzschenbroda 48) wurde kurzerhand beräumt, zum Weinkeller umfunktioniert und „Schwarzes Tonne“ getauft. Am 27. September 1991 war es schließlich soweit. Die herbstlich geschmückten Höfe öffneten sich. Das morbide Ambiente bildete einen aufreizenden Kontrast. Weinkönigin und Bacchus fuhren in der Kutsche vor, dahinter ihr närrisches Gefolge und die ersten neugierigen Besucher. Auf dem Kirchvorplatz stach der Bürgermeister ein Weinfass an und die 10-Meter-Riesenwurst wurde aufgeschnitten. Mit dem Weinfestlogo, das die Bauernhöfe von Altkötzschenbroda zwischen Kirchturm und Riesenrad zeigt, hatte Frank Hruschka (Erinnerungen an Frank Hruschka, 1961-2019, VUR 09/2020) ein schönes Symbol geschaffen, welches seitdem die Weinfestgläser ziert. Geboten wurde trotz der kurzen Vorbereitungszeit und des knappen Budgets ein vielfältiges Programm. Mit dabei waren Zirkus Luft, der Liedermacher Gerhard Gundermann, Schauhandwerker, Straßenmusiker, Stelzenläufer, Händler, Vereine und viele mehr. Gezeigt wurden Kunstinstallationen und Ausstellungen. Am Sonntag fuhren Kremser zur Puppentheatersammlung, wo zeitgleich die Radebeuler Kasperiade stattfand. Die Tombola gestaltete sich jedoch als Flop. Auch das bei einem Fest so viel Müll anfällt, hatten wir nicht bedacht. Und so zogen wir zu dritt (Conny, Frank und ich) mit Kisten und Kästen los, um in sonntäglicher Morgenstunde das Veranstaltungsgelände per Hand zu säubern. Dennoch war das Fest ein Erfolg, wurden doch an den drei Tagen 10.000 Besucher gezählt.
Dass mit dem Herbst- und Weinfest für Altkötzschenbroda ab 1991 eine neue Zeitrechnung begann, ist keine Übertreibung. Nach der Einweihung des ersten sanierten Gebäudes im Jahr 1993 (heute Heimatstube) ging es Schlag auf Schlag. Es war ein beglückendes Gefühl zu erleben, wie sich Altkötzschenbroda veränderte und schließlich zu einer überregional beliebten Flaniermeile entwickelte. Auch dem Privatinvestor Dr. Christian Dross hatte das Herbst- und Weinfest Inspiration geboten. Sein außerordentliches Engagement sollte für das Sanierungsgebiet zum Glücksfall werden.

Festauswertung vorm Bauwagen auf den Elbwiesen nach dem Herbst- und Weinfest 1992 v.l.n.r.: Marion Olbrich, Cornelia Bielig, Frank Hruschka, Karin Gerhardt, Andreas Klipphahn, Helmut Raeder Foto: Privatarchiv

Auf die Frage, welche Ereignisse für Cornelia Bielig eine besondere Herausforderung gewesen seien, meinte sie: „Das war im Jahr 1995 die Festwoche zum 350. Jahrestag des Waffenstillstandsvertrages zwischen Schweden und Sachsen einschließlich Programm an zwei Wochenenden. Das ging an die Grenzen der physischen Belastbarkeit.“ Ein bereichernder neuer Akzent wurde 1996 mit dem Internationalen Wandertheaterfestival gesetzt. Wenngleich die Verantwortung für die inhaltliche Programmgestaltung beim Künstlerischen Leiter Helmut Raeder lag, so war der zusätzliche organisatorische Aufwand immens. Eine Ausnahmesituation herrschte durch die Flut im August 2002. Das Wasser stand in den Kellern und im Erdgeschoss der frisch sanierten Häuser. Auf dem Dorfanger fuhren Schlauchbote. Doch die Anwohner ließen sich nicht entmutigen und unternahmen alles, damit das Herbst- und Weinfest stattfinden konnte. Die größte Zäsur erfolgte jedoch im Jahr 2020. Das 30. Herbst- und Weinfest sollte gebührend gefeiert werden. Dann machte die Coronapandemie einen dicken Strich durch die Planung.

Herbert Graedtke als Bacchus mit Weinkönigin Michaela Tutschke, Herbst- und Weinfest 2014 Foto: K. (Gerhardt) Baum

Während Cornelia Bielig in all den Jahren für die Besucher mehr oder weniger unsichtbar hinter den Festkulissen die Fäden spannte und zusammenhielt, stand der Volksschauspieler Herbert Graedtke als Kommunikator in der Öffentlichkeit. So schlüpfte er jeweils am Freitag zum Auftakt des Herbst- und Weinfestes in die Rolle des lebensprallen Bacchus, umrahmt von jungen schönen Weinköniginnen und Weinprinzessinnen. Am Sonnabend und Sonntag führte er dann als fachkundiger Kellermeister durchs Programm. Herbert Graedtke war es auch, der unmittelbar nach dem 1. Herbst- und Weinfest an die Tür des Radebeuler Kulturamtes klopfte und von einem Sternritt schwärmte, der aus Anlass des 150. Geburtstages von Karl May stattfinden sollte. Eingebunden waren die Karl-May-Spielstätten Bad Segeberg, Werder und Rathen. Eine Zwischenstation war in Radebeul, der Heimatstadt des Schriftstellers, am Karl-May-Museum vorgesehen. Cornelia Bielig schlug vor, darüber hinaus ein Fest zu feiern. Doch dafür wurde Geld benötigt. Viel Geld. Dem frisch „gebackenen“ Leiter des Amtes für Bildung und Kultur, Dr. Dieter Schubert, gelang es, die Stadträte zu überzeugen (Erinnerungen an Dr. Dieter Schubert, 1940-2012, VUR 06/2012). Eine neue Festidee war geboren. Doch wer sollte diese in die Tat umsetzen? Auf Vermittlung von Till Wanschura wurde der Kontakt zum Berliner U. Loewe-Verlag hergestellt. Das war eine erfahrene Veranstaltungsagentur. Gemeinsam mit dem Karl-May-Museum, den Landesbühnen Sachsen und der Traditionsbahn wurde eine Konzeption entwickelt. Das Festgelände sollte durch den Lößnitzgrund, entlang des Lößnitzbaches und der Schmalspurbahn verlaufen. Das bewaldete Seitental und den ehemaligen Steinbruch plötzlich mit den Augen des Abenteuerschriftstellers Karl May zu sehen, war faszinierend. Die Westernstadt, das Sternreitercamp, der Orientbasar, das Indianerdorf, die Siedlercamps oder die Goldwäsche-Station erscheinen uns heute als Selbstverständlichkeiten, so als wären sie schon immer dagewesen. Auch für die Indianistik-, Country- und Westernszene bildet die Veranstaltung einen wichtigen Jahreshöhepunkt. Mehr als 200 Reiter nehmen jährlich am Sternritt teil. Die Karl-May-Festtage tragen sowohl zur Pflege des Karl-May-Erbes als auch zum interkulturellen Austausch und zur Verständigung zwischen Europäern und den Nachfahren verschiedener Stämme amerikanischer Ureinwohner bei.
Einen großen Anteil, dass in den Anfangsjahren bei den städtischen Großveranstaltungen alles in ein logistisches System gebracht und technisch bewältigt werden konnte, hatten Herrmann Rabe, Matthias Lüthge und Michael Hübner. Darüber hinaus müssten hier hunderte Namen stehen von Menschen, die sich durch ihr Engagement um die Radebeuler Fest- und Veranstaltungskultur verdient gemacht haben. Aber das würde diesen Beitrag sprengen. Auch über das wunderbare Fest zum 150. Geburtstag des Naturheilkundlers Friedrich Eduard Bilz, über Weihnachts-, Wochen- und Sondermärkte ließe sich noch vieles niederschreiben.
Die überregionale Relevanz der städtischen Großfeste drückt sich auch in den Besucherzahlen aus: Karl-May-Festtage 30.000, Herbst- und Weinfest 50.000, Weihnachtsmarkt 60.000!

Teatro Due Mondi aus Italien beim Festeinzug,
Herbst- und Weinfest 2016 Foto: K. (Gerhardt) Baum

Oftmals ging es im Kulturamt zu wie im Taubenschlag und im Sekretariat bei Annett Braun klingelten sich die Telefone heiß. „Nach dem Fest war vor dem Fest“ meint Cornelia Bielig rückblickend. Jede der Großveranstaltungen benötigte eine gründliche Vor- und Nachbereitungszeit. Kein Fest glich dem anderen. Und bei jedem Fest passierten kleine und größere Katastrophen. So erlitt ein Indianer während der Anreise einen Herzinfarkt. Verloren gingen nicht nur Schlüssel und Geldtaschen, sondern auch ein Finger und sogar ein Bein. Einmal kam der Sieger des Sternrittes auf einem Hengst zur Preisverleihung angeritten, Winnetou wiederum ritt zur Übergabe der Friedenspfeife ihm auf einer Stute entgegen. Was dann geschah, ließ die Fotografen vergessen, auf den Auslöser zu drücken. Schließlich ging alles nochmal gut. Doch für Hengste gab es fortan ein Karl-May-Fest-Verbot.

Die Katastrophe zur Loveparade 2010 in Duisburg hatte Cornelia Bielig sehr deutlich vor Augen geführt, auf welch dünnem Eis sich die Veranstalter von Großveranstaltungen bewegen. Die Verantwortung war mitunter erdrückend. Trotzdem versuchte sie, immer auf Lösungen bedacht, die Ruhe zu bewahren und ausgleichend zu wirken. Das war anstrengend und die Nerven lagen nach jedem Fest nahezu blank. Was bleibt, sind schöne Erinnerungen an gelungene Feste, glückliche Besucher, Programmhefte und Pressemappen sowie tausende Fotos und Videoclips.
Den vorgegebenen Kostenrahmen einzuhalten, war alljährlich ein Balanceakt, zumal sich Wetterkapriolen nicht planen lassen. Die kommerziellen Begehrlichkeiten nahmen zu. Doch der kulturelle Anspruch hatte bei „Conny“ stets Priorität. Zahlreiche Künstler prägten das ästhetische Bild der städtischen Feste. Stellvertretend seien hier César Olhagaray, Muriel Cornejo, Bärbel und Stefan Voigt, Reinhard Zabka, Dorothee Kuhbandner, Peter PIT Müller, Frank Hruschka sowie André Wirsig genannt.

In der Westernstadt »Little Tombstone«, Karl-May-Festtage 2014 Foto: K. (Gerhardt) Baum

Für seine Verdienste um die künstlerische Leitung der Karl-May Festtage und des Internationalen Wandertheaterfestivals wurde an Helmut Raeder 2011 der Radebeuler Kunstpreis verliehen. Ihn selbst machte das etwas verlegen, hatte doch hinter ihm über all die Jahre ein innovatives Team gestanden mit Cornelia Bielig an der Spitze. Sie war die Mittlerin zwischen Ämtern, Fördermittelgebern, Politikern, Vereinen, Künstlern, Vertretern unterschiedlicher Kulturen, Händlern, Winzern, Reiseveranstaltern, der Feuerwehr, dem Sicherheitsdienst, den Wiesenbesitzern, Anwohnern, Helfern, Sponsoren, Besuchern …

Zur Verabschiedung stieß ich beim Durchblättern des Erinnerungsbuches auf eine Eintragung des Dresdner Oberbürgermeisters Dirk Hilbert. Dass „Conny“ den Mut hatte, ihn, den damals 22jährigen, als Marktleiter für das Herbst- und Weinfest sowie für die Karl-May-Festtage einzusetzen, erstaunt ihn noch heute. „Das war eine tolle Zeit, in der vieles möglich gewesen ist, was heute kaum denkbar wäre.“

Elisabeth Borsdorf schrieb: „Ich sehe mich als Kind auf diesen bunten Festen umherspringen, als Teenager tanzen, als Erwachsene trinken und feiern.“ Später als Fest-Praktikantin: „Ich höre das geistige Kernteam der Feste, Conny und Helmut, wie sie sich bei jedem Fest derart kreativ in die Haare kriegen, dass mir die Ohren abzufallen drohen. Und jedes Mal erwächst aus diesem Streit ein neues wunderbares Fest. …Und ich höre am Ende eines jeden Festes die Steine, die von den Herzen fallen, weil sich doch wieder alles gefügt hat, die direkte oder indirekte Dankbarkeit, dass eben doch jede und jeder genau am richtigen Platz ist. Und Conny, wer wird nun mit Helmut streiten?“

Puppenbühne auf dem Kirchvorplatz, Weihnachtsmarkt »Lichterglanz und Budenzauber« 2014 Foto: K. (Gerhardt) Baum

Übrigens, ein aus heutiger Sicht anerkanntes Studium hat Cornelia Bielig schließlich von 1998 bis 2003 berufsbegleitend an der Verwaltungsfachschule Meißen absolviert. Danach durfte sie sich Diplom-Kulturmanagerin nennen. Den Praxistest hatte sie da schon längst bestanden.
Und was wird nun anders im Ruhestand? Verändern wird sich vor allem der Rhythmus. Denn über all die Jahre mussten sich das Familienleben und die Urlaubsplanung dem Jahreszyklus der städtischen Feste unterordnen. Für den Ehemann, die Kinder und Enkel ist nun mehr Zeit und mit dem Wohnmobil wird es – hoffentlich schon bald – auf Reisen gehen.

Karin (Gerhardt) Baum

 

 

 

Editorial 5-21

Editorial Mai 2021

Es ist schon auffällig: um mich herum erhöht sich das Konfliktpotential, gefühlt exponentiell.
Streit unter Freunden, Streit im Arbeitsumfeld, Streit im Freizeitteam,Trennungsabsichten bei jungen Familien, Konflikte mit Verwandten u.s.w.
Ist das alles Corona geschuldet? Sicher, bei manchen liegen die Nerven blank, wie durch Homeoffice, wiederholte Schul- und Kindergartenschließungen oder Existenzängste.
Dennoch, mir kommt jetzt häufiger in den Sinn, ob nicht ein gering entwickeltes Vermögen zur Konfliktbewältigung weit mehr verbreitet ist als gedacht.
Ich hatte eine Kollegin, die über viele Jahre bei der Telefonseelsorge ehrenamtlich mitgearbeitet hat. Diese Aufgabe setzte eine ausreichende Schulung durch professionelle Seelsorger voraus. Ich war neugierig genug einiges darüber erfahren zu wollen und meine Kollegin gab mir bereitwillig Auskunft. Sie erklärte mir, warum Ich-Botschaften wichtig sind, der Konfliktpartner durch Schuldzuweisungen nicht in die Enge getrieben werden sollte, klare Ansagen notwendig sind, damit das Gegenüber weiß, was von ihm erwartet wird.
Während meiner Zeit in der Behörde des BStU (Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR) habe ich dann in vielen Gesprächen mit unseren Besuchern auf solche Grundregeln geachtet. Und das ging wirklich sehr gut.
Was will ich damit sagen? Hilfreich ist es für das friedliche Miteinander, mindestens ein paar psychologische Grundkenntnisse und Kenntnisse über eine gute Kommunikation zu haben.Und diese bekommt man nicht automatisch in der Familie oder auf der Arbeit, und auch nicht auf einer Demo. Gut wäre, wenn das bereits Kindern vielleicht mal in den Schulen, wenn sie dann wieder durchweg geöffnet sind, beigebracht wird. Über Lehrplankürzungen macht man sich berechtigt Gedanken, warum nicht auch mal über eine Lehrplanergänzung in Gesellschaftskunde zum Zweck der Konfliktbewältigung!
Das erachte ich als notwendiger denn je. Klare Ansage!

Ilona Rau

Zwölfnullvierneunzehneinundsechzig

in memoriam JURI GAGARIN

In der Erinnerung an dich
bleibt
dein Lächeln.

Am Schluss von einhundertacht Minuten
Utopiebeginn
standen weder Könige noch Generäle,

Bauern brachten Schnaps und Brot,
fern
war das nächste Telefon.

Mutter Erde. – Ewig?
Verletzbar,
sechzig Jahre später mehr denn je

und die Welt krankt an
Menschenverständlichkeiten.
Prometheus auf kerzenshop.de.

Wünsche ich mir ein Lächeln aus der Sterne
Staub?
Gerade heute ist wieder Dienstag.

Tobias Märksch

Mit Bernhard Theilmann poetisch durch das Jahr

Kleine – baugeschichtliche – Ergänzung zum Artikel „Mit Schweiß gedüngt“ im Heft 2/ 21

Bernhard-Voß-Straße 27, März 2021 Foto: D. Lohse

Ich möchte nicht die Diskussion, ob und wie man über Ereignisse aus dem 3. Reich berichten darf, erweitern, nein es geht mir nur um ein Bild, das Foto eines Radebeuler Gebäudes in diesem Artikel auf S. 21. Von mehreren Bekannten sowie Freunden der Vorschau wurde ich nach Erscheinen des Februarheftes gefragt, wo denn das Gebäude an der Eisenbahnstrecke, in dem sich in den 20er Jahren eine Schuhfabrik befunden hätte, nun genau sei. Alle dachten, ich müsse alle Radebeuler Häuser kennen – ein paar sicherlich ja, aber bei diesem konnte ich nur mit den Schultern zucken. Das wurmte mich schon! Inzwischen habe ich mich etwas schlauer gemacht und glaube, in der Bernhard-Voß-Straße 27 im Ortsteil Kötzschenbroda fündig geworden zu sein.

Dieser Gebäudekomplex liegt nördlich der Bahngleise Dresden-Meißen, Dresden-Leipzig. Hier waren zeitgleich oder nacheinander Kleingewerbe, Büros, kulturelle Einrichtungen und Unterkünfte angesiedelt. Da soll es u.a. eine Schuhfabrik gegeben haben, ein Nachweis und ein Name für die Schuhfabrik konnte auch über das Stadtarchiv nicht ermittelt werden. Wenn es hier diese Schuhfabrik gegeben hatte, könnte sie möglicherweise in der Weltwirtschaftskrise 1928 die Produktion einstellt haben. Die private Musikschule von Wilhelm Laudel war auch hier eine Zeit lang tätig. Und schließlich waren in dem Gebäude die jungen Männer vom Reichsarbeitsdienst in der 2. Hälfte der 30er Jahre hier untergebracht. Das würde zur Aussage eines älteren Radebeulers, Herrn Krause aus der Dr.-Külz-Straße, passen, der als Kind die Reichsarbeitsdienstler hier vorbeimarschieren sah. Die heutige Dr.-Külz-Straße ist sozusagen der Verbindungsweg zwischen dem Quartier und den Niederlößnitzer Weinbergen. Ein Fotovergleich des Gebäudes in den 30er Jahren und heute zeigt im Detail ein paar Veränderungen: der Hauseingang ist durch einen raumgroßen Anbau verändert, die Fensterklappläden in den Etagen sind verschwunden und im 2. DG sind neuere Gaupen eingebaut worden – aber das Gebäude selbst ist das gleiche. In den 30er Jahren hieß diese Straße noch Blücherstraße und bei den Hausnummern hat es inzwischen auch Veränderungen gegeben.

Durch die Schilderungen, was Herr Zscheischler sen. beim RAD erlebte, erfuhr ich, dass es nicht nur Kriegsgefangene waren, sondern auch eine Gruppe Deutscher, die die alten Radebeuler Weinberge rekultiviert hatten.

Dietrich Lohse

Ein Kapitel Technikgeschichte in der Niederlößnitz

 

– Der Gießmannsche Tunnel –

Wenn man die Burgstraße, die dann in einen Wanderweg übergeht, aufwärts steigt, nimmt man in der Kurve ein Geräusch wahr, das an die Betätigung einer Wasserspülung eines WC erinnert – aber da ist weit und breit keine Toilette. Was ist das, spukt es hier vielleicht?

Der Tunnel ist fertig, 1878 Foto: Sammlung Teuser

Das Geräusch von fließendem Wasser, was wir bei dem Spaziergang hören können, ist der Rest einer im 19. Jh. sinnvollen Bewässerungsanlage. Als Erbauer gilt Ernst Louis Gießmann, ein Weinbergsbesitzer und Unternehmer in Niederlößnitz, den Weinberg neben der Burgstraße hatte er von seinem Vater, Traugott Leberecht Gießmann geerbt. Ihm gehörten auch Weinberge unterhalb der Friedensburg und die Friedensburg selbst. Sein Bruder Max dagegen war Eigentümer des Badhotels (heute Burgstraße 2), einem Gebäudekomplex in den besten Zeiten mit Badegelegenheiten, Restaurant und Hotel.

Entgegen der verbreiteten Meinung anderer Winzer glaubte E. L. Gießmann, dass er seine Weinstöcke bewässern müsse. Vielleicht wollte er dadurch mehr Ertrag und damit mehr Gewinn aus seinen Weinbergen herausholen, als andere Winzer der Lößnitz. Aber woher sollte Gießmann Wasser bekommen, ein öffentliches Wassernetz gab es in Kötzschenbroda frühestens seit 1889, wie am neben der Burgstraße befindlichen Wasserhochbehälter zu lesen ist. Gießmann fand Wasser etwas entfernter am Geländeeinschnitt längs des Kiesgrubenweges, da wo es kleine Fischteiche und auch Schwarzes Teich gab. Doch das Problem war, dass ein massiver Bergrücken, auf dem später der Wasserturm errichtet werden sollte, dazwischen lag. Er löste das Problem auf elegante, aber nicht ganz billige Art, er ließ durch das Bauunternehmen K. E. Dietrich und Spezialisten aus Italien von 1876-78 einen Tunnel durch das Massiv bauen. Das in der Lößnitz anstehende Gestein ist vorwiegend Syenit und bei der Länge des Tunnels von 368m Länge dürfte viel Geld und Schweiß geflossen sein! Ob beim Tunnelbau auch Bergleute aus Freiberg beschäftigt waren, ist nicht belegt und kann nur vermutet werden. Der Tunneleingang im Waldpark ist etwas schwerer zu finden als der Ausgang, er liegt oberhalb von Schwarzes Teich. Das gemauerte Eingangsbauwerk erinnert ein wenig an die Eisenbahntunnel aus dem 19. Jh., nur ist hier alles etwas kleiner.

Tunnelausgang, im Dezember 2020 Foto: D. Lohse

Die Tunnelstrecke hat leichtes Gefälle (ca. 5m auf 368m Länge) vom Eingang bis zum Ausgang an der Burgstraße und hat eine Höhe von ca. 2m und eine Breite von 1,2m – man könnte darin laufen, aber Gitter versperren den Eingang und Ausgang. Das Ausgangsbauwerk ist ähnlich, aber etwas aufwändiger mit Sandsteinzinnen (die Friedensburg hat ebensolche Zinnen) gestaltet, wohl weil hier mehr Leute vorbeikamen.

Außer dem Oberflächenwasser, was früher in einem nicht mehr sichtbaren, offenen Graben in den Tunneleingang geleitet wurde, kam auf der Strecke des Tunnels noch von der Decke und den Wänden abtropfendes Bergwasser dazu. Was man heute in einem Schacht an der Burgstraße noch fließen hört, dürfte also das Bergwasser sein. Ich vermute, dass im Tunnel das Wasser in einem Gerinne dem Ausgang zu floss, also nicht verrohrt war. Nur so konnten beide Wasserarten zusammen abgeleitet werden.

Tunneleingang, nahe »Schwarzes Teich« im Dezember 2020 Foto: D. Lohse

Ob die von Gießmann gewünschte bessere Weinernte durch die Bewässerung eingetreten ist, ist nicht überliefert. Wenn ja, dann war die Freude aber bald vorbei, denn die Reblaus beendete ab 1885 auch auf Gießmanns Weinbergen Wachstum und Erträge. Ein Strang der Wasserleitung vom Ausgang ab versorgte noch eine Weile das tiefer gelegene Badhotel mit Brauchwasser – eine Trinkwasserqualität des Tunnelwassers dürfte m.E. nie nachgewiesen worden sein. Die durch die Gebr. Ziller 1871 errichtete Friedensburg hatte wegen der Höhendifferenz nie Wasser aus dem Tunnel bekommen. Heute dient der Tunnel als ideales Fledermausquartier noch dem Naturschutz und zeigt im Inneren Tropfsteinausbildungen.

Der Tunnelausgang und sein Umfeld wurde 2009 durch das Gartenamt der Stadt Radebeul in Stand gesetzt und mit einer Infotafel für Wanderer und Interessierte versehen. Neben Fakten zum Tunnel verweist die Tafel auch auf den Froschkönig und einen Herrscher des unterirdischen Reiches. Letzteres erscheint mir etwas zu mystisch, vielleicht sehen Kinder das etwas anders. Ich würde bei dem Bauwerk einfach von einer gelungenen ingenieurtechnischen Leistung des 19. Jh. sprechen, die aber nur die kürzeste Zeit nutzbringend war, Herr E. L. Gießmann hat wohl „Minus“ bei dem Projekt gemacht.

Es wundert mich, dass der Gießmannsche Tunnel m.E. bisher keine Berücksichtigung in der Radebeuler Denkmalliste gefunden hat.

Dietrich Lohse

Ein freiwilliges soziales Jahr im Lügenmuseum

Nach dem Abitur 2020 wollte ich neue Dinge entdecken und dabei etwas Sinnvolles tun. Da stieß ich auf das Lügenmuseum. Es ist das einzige Lügenmuseum weltweit und mehr als nur ein Museum. So begann ich genau am 1. November im Lügenmuseum, gerade als der Lockdown verkündet wurde, ein freiwilliges Jahr hier.

Wenn man von außen auf das unsanierte Gebäude sieht, da kann man sich fragen, was machen die Leute da eigentlich? Der alte Gasthof ruiniert so vor sich hin und was ein Lügenmuseum sein soll, das kann sich auch keiner so richtig vorstellen. Vor Ort habe ich dann mitbekommen, dass die Akteure voll ausgelastet sind, es gibt praktisch keinen Feierabend. Man sieht das von außen gar nicht. Das Haus muss renoviert werden, das Museum aufgebaut und Projekte geplant werden.

Skulpturengarten „Labylysium“ aus einer labyrinthischen Ausstellungsarchitektur des Radebeuler Lügenmuseums anlässlich der Feierlichkeiten der Deutschen Einheit und des Lichterfestes auf dem Burgplatz in Leipzig, fotografiert am 04 Oktober 2020.
Foto: André Wirsig

Als ich das erste Mal durch das Museum spazierte war ich neugierig und begeistert. Lustige Maschinen, komplexe Apparate, Installationen, psychedelische Objekte sowie Lichtkunst lösten in mir wunderbare Emotionen aus. Alles sprengt jegliche Vorstellungskraft. Und was ist das Beste? Alles besteht aus wiederverwendeten Materialien, es ist ein riesengroßes Upcycling Museum. Mit dem Reparieren untersuchen die Künstler*innen die Logik zwischen, Zerstörung und Reparatur. Reparatur ist eine Form des kulturellen Widerstands und ein Mittel der Wiederaneignung der eigenen Geschichte. So lernte ich auch widerständige Künstler*innen Ostdeutschlands kennen. Sie sind das kulturelle Gedächtnis und das Lügenmuseum ein Ort für die Bewahrung und Dokumentation von Zeugnissen der Friedlichen Revolution, eine unabhängig und zukunftsweisend agierende Kultur- und Forschungseinrichtung. So kann ich hier auch meine handwerklichen Fähigkeiten mit dem Bau neuer Objekte verbessern, indem wir altes Material wie Abfallholz, Paletten, Töpfe, Vasen und andere Fundstücke aufarbeiten und sie in neue Kunstwerke verwandeln. Es passiert etwas Wunderbares, die Dinge hier werden mit neuer Energie aufgeladen.

In Leipzig auf dem Burgplatz konnte ich persönlich miterleben, wie das Labylysium, eine künstlerische Intervention im öffentlichen Raum geschaffen und den Austausch von Ideen und Diskussionen ermöglicht hat.

Auch mein Interesse zum Film kommt im Museum nicht zu kurz, endlich habe ich die Möglichkeit mich im Videoschnitt auszuprobieren, ich schneide Aufnahmen von früheren Ausstellungen und Aktionen zu einem schönen Film zusammen. Den kann man sich auf dem YouTube-Kanal vom Lügenmuseum anschauen.

Viele schillernde Kultureinrichtungen, die nach dem Mauerfall und langem Leerstand wieder eine Renaissance erlebten, zeichnen sich aus durch beherztes Handeln für eine regionale Zivilgesellschaft. Und die Stadt Radebeul hat den Künstler*innen das Gebäude überlassen. Ist das nicht cool? Hier kann man lernen wie Ideen und Träume und Probleme gelöst werden. Stück für Stück nehme ich wahr, wie breit das Aufgabenfeld hier ist: hier geht es um Aufbau- und Ablauforganisation, Macht und Verantwortung, Entscheidungsprozesse, Information und Dokumentation, Qualitätsmanagement, (Kultur-)Politik, Führung, nachbarschaftliche Beziehungen, Beziehungen zu Interessengruppen, Zusammenarbeit mit Netzwerken, aber auch um persönliche Entwicklung, Sachverstand, Spiritualität, Ziele und Strategien, Zusammenarbeit im Team, Schnittstellen und Synergien, Rollenerwartungen und Rollenhaltung.

Zuletzt entwarfen wir ein Museum To Go, ein Museumsbesuch für Zuhause, wir steckten den Zauber des Museums in eine Box und daraus entstand ein Museumserlebnis, welches auf die Reise gehen kann. Dafür habe ich eine Crowdfundingaktion realisiert, ein voller Erfolg. Corona war die ideale Gelegenheit für das Lügenmuseum, um sich neu zu erfinden. Zusammen bauen wir diese Idee weiter aus und bald gibt es auch eine Klimabox, eine Osterbox und ein Mauerfall to go.

Das Lügenmuseum ist für mich eine besondere und interessante Alternative zu einem Auslandsjahr, denn hier macht man genauso viele schöne Erfahrungen wie auf Reisen.

Theresa Dietrich

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Bauernhäuser in Radebeul April 2021

Altserkowitz 19

Am Dorfanger Altserkowitz finden wir den Kirchner-Hof auf der westlichen Seite. Dieser Hof weicht vom üblichen Bauprinzip „Wohnhaus, Stall, Scheune um einen Hof“ insofern etwas ab, dass dem großen Wohnhaus (erbaut 1893) gegenüber ein älterer Winkelbau steht, einer Einheit aus Stall und Auszugshaus. Die frühere Scheune existiert nicht mehr. Familie Kirchner (ansässig seit 1882) hat hier bis Anfang der 60er Jahre Land- und Viehwirtschaft betrieben, seit dem dienen die Gebäude dem Wohnen und als Nebenräume.

Das bauhistorisch interessante Gebäude soll wegen seiner Oberlaube etwas näher im Detail betrachtet werden. Oberlauben gab es früher öfter in den Dörfern, heute fällt mir nur noch die ähnliche Konstruktion in Altkötzschenbroda 56 ein. Wahrscheinlich wurde das abgewinkelte Nebengebäude in der 2. Hälfte des 18. Jh. errichtet.

Das Gebäude hat ein massives EG, die Außentüren haben alle Korbbogenabschluss, in das Fachwerk des OG sind sieben nicht abgeschlossene Laubenöffnungen integriert und das Satteldach mit 3 Fledermausgaupen ist mit roten Biberschwanzziegeln gedeckt. Eine im Gebäude liegende Stiege führt hinauf zum luftigen Laubengang, von dem Türen in Kammern führen, in denen früher Knechte, Mägde oder Saisonkräfte wohnten. Als noch Landwirtschaft betrieben wurde, hingen in der Oberlaube im Herbst Mais, Zwiebeln, Tabak oder auch Trockenblumen. Aber auch Wäsche konnte an verregneten Tagen hier trocknen.

Dietrich Lohse

Projekt Mitte-Ost

Basteltüte To Go – Osteredition

Da sich die aktuelle Situation für Familien nicht wirklich entspannt hat und bald wieder Ferien vor der Tür stehen, in denen die Kinder Beschäftigung suchen, gibt es eine Neuauflage der beliebten Basteltüten.

Schon in den Winterferien haben über 200 Familien das Angebot dankbar angenommen. Ab 22.03. stehen wieder kostenfrei zwei verschiedene Basteltüten zur Abholung bereit. Da das Osterfest bevorsteht, finden die Kinder in den Basteltüten thematisch passende Kreativanleitungen: Eine Tüte enthält Materialien für ein Kresse-Ei mit Hasen-Ohren. In der zweiten Tüte wartet ein süßer Hase darauf, endlich gebastelt zu werden. Diesmal können die Tüten sogar an drei Standorten abgeholt werden: In der Bibliothek im Radebeuler Kultur-Bahnhof, in der Bibliothek Radebeul West und im Familienzentrum Radebeul. Für Kinder zwischen 4 und 10 Jahren enthält eine solche Tüte ein wunderbares Beschäftigungs-Angebot. Und man kann gleich wieder losbasteln, denn nahezu alle Bastelmaterialien sind zusätzlich zu den Anleitungen ebenfalls enthalten. Die Anleitungen sind selbsterklärend und leicht umzusetzen. Außerdem gibt es wieder Videoanleitungen unter www.mitteost.de/basteltuete, damit auch jede*r weiß, was genau zu tun ist. Gern können die Familien Fotos der gebastelten Werke per E-Mail an edna@mitteost.de oder über die Nachrichtenfunktion bei Instagram schicken – gern mit dem Vornamen des Künstlers bzw. der Künstlerin. Die Bilder werden dann auf der Projektseite von MitteOst unter https://www.instagram.com/dritter_ort_radebeul veröffentlicht.

Gleichzeitig sind die Radebeulerinnen und Radebeuler aufgerufen, selbst gestaltete Ostereier an die Sträucher vor dem Kultur-Bahnhof zu hängen. So können wir den Vorplatz gemeinsam österlich schmücken. Die Basteltüten können – solange der Vorrat reicht – Montag bis Mittwoch und Freitag von 9 bis 16 Uhr (trotz geschlossener Bibliothek – bitte klingeln) und Donnerstag von 10 bis 19 Uhr in der Bibliothek im Radebeuler Kultur-Bahnhof oder in der Bibliothek Radebeul West sowie Montag bis Freitag von 9-15 Uhr im Café des Familienzentrums abgeholt werden.

Hintergrundinformation: MitteOst ist ein Projekt der Familieninitiative Radebeul e.V. mit Unterstützung der Volkshochschule im Landkreis Meißen e.V. und der Stadt Radebeul mit der Stadtbibliothek. Im Radebeuler Kultur-Bahnhof entsteht ein Dritter Ort, an dem alle Menschen eingeladen sind, sich zu treffen, sich zu begegnen und aufzuhalten. Neben Veranstaltungen und (Ferien-)Angeboten wird es ein Café geben und die Möglichkeit, sich an der Gestaltung des Ortes zu beteiligen.

Radebeuler Miniaturen

Zorn unterm erwachenden Grün

Ulrike also. Im ersten Überschwang hatte ich sie „Persönchen“ tituliert. Das war ein Fehler. Ich kann nur hoffen, daß sie das nie erfährt, denn sie kann sehr schnell sehr zornig werden.

Wir treffen uns an der Hoflößnitz. Ich bin schon etwas eher unter den Kastanien, sie muß nicht gleich beim ersten Mal erleben, wie mir auf der Treppe die Luft wegbleibt. Es ist einer von den ganz frühen Sommertagen. Obwohl die dicken Knospen schon die Blüte ahnen lassen, ist noch alles still hier, denn es darf niemand draußen sitzen mit seinem Weinglas. Schade, denke ich, da fehlt was …

Aber da kommt sie auch schon: wie erwartet zornig:

Vergessen, ruft sie schon von weitem, das Maß, es ist vergessen, verloren gegangen, verspielt, was weiß ich, vergraben womöglich, zur Unkenntlichkeit entstellt, mit voller Absicht natürlich …

Nu mal langsam, versuche ich sie zur Begrüßung vorsichtig in den Arm zu nehmen, vielleicht finden wirs ja gemeinsam wieder…

Ihr Blick nagelt mich an einen der Bäume.

Jetzt hör mir doch erstmal zu, faucht sie, und ihre vibrierende Stimme jagt mir die Gänsehaut über den Rücken. Laß mich ausreden und spare dir deine albernen Kommentare.

Also im Ernst: Über Jahrhunderte war die Hoflößnitz gültiger Maßstab für jegliche Bebauung in den Lößnitzen. Der Kurfürst hatte sein Berg- und Lusthaus im ländlichen Stil und in ländlicher Bauweise gehalten – da stand es weder dem Adel noch sonst wem an, etwa größer und protziger zu bauen. Das Verbindende war das Maß. Das ist nicht meine Idee, das steht alles aufgeschrieben in der wunderbaren Festschrift zum Jubiläum vor zwanzig Jahren. Alles fachlich fundiert von Professor Magirius. Das könnten alle wissen. Das sollten alle wissen. Und den Verantwortungsträgern sollte das Buch* zur Pflichtlektüre gemacht werden…

Aber – und hier holt sie Luft – sieh dich um, wies heute aussieht: Heute ist jeder Kleingärtner König. Keine Spur von Maß, keine Spur von ländlicher Bauweise!

Selbst Bauernhäuser werden aus dem Ganzen in Beton gegossen und gesichtslos und mit dem Hintern zum Betrachter an die Straße gestellt. Früher wurde den Leuten stolz die schöne Seite gezeigt.

Wie schön sie ist in ihrem Zorn, denke ich, sage aber, ich hab Durst. Ist doch schade, daß es keinen Ausschank gibt bei dem Wetter.

Damit aber stoße ich ein neues Tor auf:

Das ist gleich das nächste, fährt sie auf, der Maßstab kann auch unterschritten werden. Über Jahrhunderte hätte es niemand gewagt, solche Allerweltsbuden neben ein „Berg- und Lusthaus“ zu stellen! Das ist einfach unwürdig. Da ist der beste Wein nur ein schwacher Trost. Ja, denke ich, manchmal ists gut mit neuen Augen durch die Landschaft zu gehen. Allein wirst du blind.

Mit der sinkenden Sonne sind wir noch auf einen Schluck zu ihr gegangen. Es gibt ja keine Gelegenheit jetzt, irgendwo zu sitzen. Wir haben dann den Film nochmal gesehen, wie ich – erinnert euch an „VuR“ vom März – in der virtuellen Kneipe nach dem virtuellen Bier versuche zu greifen. Ulrike hat mir extra eine 3-d-Brille gegeben, der Durst ging dennoch nicht weg. Sie hat sich trotzdem köstlich amüsiert. Auf meine Kosten natürlich. Aber wenn sie lacht, ist sie doch am schönsten – da nehme ich das gerne in Kauf.
Und Rotwein gabs auch noch.

Der Zorn ist unter den erwachenden Kronen auf der Terrasse geblieben.

Thomas Gerlach

*Festschrift 600 Jahre Hoflößnitz, 2001

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