„Zwischen Pitti und Stern Meissen“

Kindheit in Sachsen als szenische Collage von Esther Undisz im Rahmen von 30 Jahre Mauerfall

Szene mit Theresa Winkler, Matthias Avemarg, Felix Lydike, Julia Vincze (v.l.) Foto: R. Jungnickel

Neben mir sitzt eine junge Frau vom Lessing-Gymnasium in Hoyerswerda. Ihre Eltern sagt sie, finden ihre Interviews mit Zeitzeugen aus der ehemaligen DDR gut und wichtig: „Auch, wenn ihre Biografie eine andere ist.“ Beteiligt waren außerdem an den 50 Zeitzeugenberichten, die als Grundlage für die Collage dienten, Schüler aus der Oberschule Schmiedeberg und dem Lößnitzgymnasium in Radebeul.
Die persönlichen Erfahrungen und Erinnerungen in einem „untergegangenen Land“ sind Ausgangspunkt für die Inszenierung von Esther Undisz. Dargeboten von vier Schauspielern der Landesbühnen. Sie reichen von der jungen Frau vom Lande (Julia Vincze), die, wegen zu schwerer Arbeit und weil sie nicht lernen durfte von zu Hause weglief, wiedergebracht wurde und ihre Kindheit im Rückblick bis auf Ausnahmesituationen als belastend empfunden hat.
Erinnert wurde, beinahe malerisch, an die soziale Situation im Neubau der Vorzeigestadt Hoyerswerda. Kindergarten, Schule, Betreuung und viele Spielplätze mit glücklichen Kindern und ausreichend Wohnraum standen nach Zeitzeugenberichten zur Verfügung und Arbeitslosigkeit gehörte zu den Fremdwörtern dieser Generation. (Theresa Winkler)
Kritikpunkt war ebenfalls die Wehrerziehung in den Schulen, die Mitte der 80er Jahre eingeführt wurde. Besonders die Kirchen in der DDR liefen dagegen Sturm. Es vertrug sich in keinem Falle mit dem christlichen Motto: „Schwerter zu Pflugscharen.“ Manch ein Jugendlicher, der das Abzeichen sichtbar trug, wurde von der Stasi (Staatssicherheit) vorgeladen, gespielt von Felix Lydike. Von seinen Eltern, die einen Friseurladen hatten, berichtete Matthias Avemag. Er hatte als Kind und Jugendlicher alles was man zum Leben braucht. Allerdings gab es keine Luxusartikel. Im Lebensmittel-Exquisit gab es Ananas nur an Feiertagen. Die Kehrseite der Medaille: Er bekam jahrelang von seinem Vater Prügel, die er bis heute nicht vergisst. So wollte er seine eigenen Kinder nicht erziehen. Was ist eine „Natoplane“? Ein Traummantel aus Nylon der 70er Jahre, den mancher Mitschüler mit den heiß begehrten Westpaketen bekam. Bei anderen Jugendlichen mussten die Eltern für das gleiche Produkt tief in die Tasche greifen.
Berichtet wurde auch, dass man in der ehemaligen DDR gelernt hat, aus „Stroh Gold zu spinnen.“ Theresa Winkler stellte Erfindungen wie z.B. Ketten aus Tütensuppen und Hagebutten vor, die sie mit ihren Freundinnen bastelte.
Die einzelnen Beiträge sind mit Motiven aus dem Abendgruß getrennt und mit dem damaligen Kultsong von Nina Hagen „Du hast den Farbfilm vergessen“ unterlegt. Ein Stück Kulturgeschichte spiegeln die „Pioniere“ und die Jugend bei der FDJ (Freie Deutsche Jugend) wieder. Die christlichen Kirchen bildeten mit Junger Gemeinde und Konfirmation den oftmals substanzielleren Gegenpol. Schüler, so wurde berichtet, die aus christlichen Elternhäusern kamen, hatten es allerdings nicht immer einfach, die Balance zwischen Kür und Pflicht in der Schule zu finden.
Die Ausstattung zur Produktion „Zwischen Pitti und Stern Meißen“ stammt von Tilo Staudte und als Mitarbeiterin für Textfassung zeichnet Odette Bereska.
Eine gelungene Uraufführung, die vom Publikum mit anhaltendem Beifall bedacht wurde.

Ein Gespräch, zu dem das Regieteam um Ester Undisz im Anschluss der Inszenierung einlud, ermöglichte den Zuschauern ihre eigene Eindrücke zu schildern.

Angelika Guetter

Vor 470 Jahren: Gründung des Amtes Moritzburg

Nähert man sich auf der Allee unserem Moritzburger Schloss, so fällt rechter Hand nach der historischen Anlage des Landgestüts ein langgestrecktes, grau verputztes dreistöckiges Gebäude auf, das zuletzt lange Zeit den Namen „Landhof Moritzburg“ trug. Gegenwärtig trägt es die Bezeichnung „Genusshaus Prinz von Sachsen“ mit der Brennerei „Augustus Rex“ und dem Moritzburger Hofladen. Dieser ursprünglich ein Stockwerk niedrigerer Bau ist eng mit der Moritzburger Verwaltungsgeschichte verbunden. Er war einst der Sitz des Amtes Moritzburg, das ursprünglich um das Jahr 1550 auf Geheiß von Kurfürst Moritz geschaffen worden ist. Worin bestand der Anlass dafür?
Als sich der Sachsenherzog Moritz mit dem Friedewald als einem von ihm bevorzugtes Jagdgebiet entschieden hatte, ließ er auf einer flachen Felskuppe am damaligen Mosebruchteich seit dem Jahre 1542 ein festes Jagdhaus errichten. Dieser Bau wurde vorläufig im Jahre 1546 abgeschlossen und nachweisbar seit 1549 „Moritzburch“ genannt. Ein solcher Jagdsitz mit Bediensteten, Stallungen und anderem mehr bedarf zur Bewirtschaftung und Unterhaltung einer ökonomischen Grundlage. Im seinerzeitigen Feudalstaat waren dazu Natural-, Dienst- sowie zunehmend auch Geldleistungen an den Landesherrn aus dem Umfeld des neu errichteten Jagdhauses erforderlich.
Als Kurfürst griff Moritz deshalb kurzerhand in die bis dahin bestehende Ämterstruktur ein und löste aus dem Bestand des Amtes Großenhain die Dörfer Bärnsdorf, Bärwalde, Geißlitz, Mittel- und Oberebersbach, Naundorf, Steinbach und Volkersdorf sowie aus dem Amt Dresden die Dörfer Coswig, Cunnertswalde, Eisenberg, Kötitz, Kreiern und einen Teil von Rähnitz heraus. Er unterstellte sie – wie auf der dargestellten Kartenskizze ersichtlich ist (1) – dem neu geschaffenen Amt Moritzburg. Unser Nestor der Landes- und Regionalgeschichte, Professor Karlheinz Blaschke, bemerkte hierzu: „Es dürfte kaum an einer anderen Stelle in Sachsen zu Beginn der Neuzeit einen so starken Eingriff in die gewachsene Gliederung der inneren Verwaltung gegeben haben wie an dieser Stelle“(2). Es war also eine „Verwaltungsreform von oben“.
Das Amt Moritzburg war ein verhältnismäßig kleines Amt. Es wurde deshalb aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung in der Regierungszeit von Kurfürst Friedrich August III. (dem „Gerechten“) im Jahre 1770 mit dem Amt Großenhain kombiniert, bestand aber als Amtsbezirk weiter fort.
Diesen Ämtern oblagen außer der Eintreibung der erforderlichen Einnahmen noch die gerichtliche Verhandlung mittelschwerer Straftaten, notarielle Beglaubigungen und die Regelung von Grundstücksangelegenheiten. Geringfügige Vergehen wurden auf dörflicher Ebene geahndet.
Ursprünglich war das Amt Moritzburg im südöstlichen Turm des Schlosses untergebracht. Daher trägt dieser bis heute den Namen „Amtsturm“. Im Jahre 1730 wurde schließlich wegen größeren Raumbedarfs und der Vermeidung von Publikumsverkehr in dem unter August dem Starken umgestalteten Schlossareal das schon erwähnte stattliche Gebäude mit zunächst zwei Geschossen an der heutigen Schlossallee errichtet. Im 19. Jahrhundert (1886) wurde das Amtsgebäude noch um eine Etage aufgestockt. In diesem Gebäude befanden sich auch Räumlichkeiten zur Unterbringung von Untersuchungsgefangenen. Ihre Lage war noch bis in die jüngste Vergangenheit an der Nordseite des Gebäudes durch die vergitterten kleinen Fenster erkennbar.
Nach der Gründung des einheitlichen Deutschen Reiches wurde das Amt Moritzburg im Zuge der Justizreform im Jahre 1873 aufgelöst. Zunächst wurde dieses Gebäude von der Dresdner Blindenanstalt genutzt. Als diese Einrichtung nach Chemnitz verlegt wurde, brachte man darin ein Kranken- und Pflegeheim unter. Später etablierte sich hier die Brüderanstalt unter dem Namen „Friedensort“. Im Rahmen von eigentumsrechtlichen Auseinandersetzungen konnte die Dresdner Blindenanstalt schließlich wieder von diesem Gebäude Besitz ergreifen. Über eine weitere Nutzung als Alters- und Pflegeheim wurde es in Kriegszeiten ein Lazarett für verwundete Soldaten. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges diente es schließlich als „Dr.-Margarethe-Blank-Heim“ bis 1998 wieder der Altenpflege und -betreuung. Namensgeberin war eine verdienstvolle Ärztin. Dr. Margarete Blank wurde am 21. 02. 1901 in Kiew geboren und entstammte aus einer deutsch-baltischen Familie. Nach dem Tod ihrer Mutter während der russischen Februarrevolution 1905 siedelte sie mit ihrer Familie nach Deutschland um. Hier studierte sie in Leipzig Medizin. Nach Abschluss ihres Studiums gründete sie eine eigene Landarztpraxis in Panitzsch bei Leipzig. Während des Zweiten Weltkrieges half sie als Ärztin unter heute nicht mehr vorstellbarer persönlicher Gefährdung Kriegsgefangenen sowie in der Rüstungsindustrie beschäftigten ausländischen Zwangsarbeitern. Im Jahre 1944 wurde sie wegen ihres geäußerten Zweifels am deutschen „Endsieg“ denunziert und daraufhin verhaftet. Der „Volksgerichtshof“ verurteilte sie zum Tode. Am 8. Februar 1945 wurde Dr. Margarete Blank im Dresdner Gefängnis am Münchner Platz hingerichtet.
Nach dem sich ab 1998 anschließenden längeren Leerstand wird das ehemalige Amtsgebäude nun seit einigen Jahren durch gastronomische Einrichtungen genutzt. In ihm finden auch die jährlichen vorweihnachtlichen Dankeschön-Veranstaltungen der Gemeinde für die fleißigen ehrenamtlichen Austräger unseres Moritzburger Gemeindeblattes statt.

Die Gruppe Ortschronik Moritzburg

(1) Blaschke, K.: Die Gründung des Amtes Moritzburg. In: Schriften des Vereins für sächsische Landesgeschichte, Band 8, Beucha 2004, Seite 61
(2) Ebenda, Seite 62

Labylysium

Serkowitzer Gastspiel auf dem Leipziger Burgplatz

Wenn sich Bierschinken und Blutwurst vereinigen, entsteht ein völlig neues Bild der Erde. Niemand hat die Absicht, das zu bezweifeln.

Foto: R. Zabka

Ein „niederschwelliges partizipatives Kunst- und Kommunikationsangebot als alternatives Einheitsdenkmal“ – mit diesem Anspruch bespielte Reinhard Zabka mit seinem Künstlerteam zwischen dem 1. und 11. Oktober den Burgplatz in Leipzig mit einem begehbaren Skulpturengarten. So wie im Herbst `89 die Politik auf der Straße stattfand, sollte der öffentliche Raum geöffnet werden für aktives Erinnern unter Bürgerbeteiligung. Die damals geträumten hoffnungsvollen Träume vom Elysium (spätestens seit Schiller als Mutter der Freude bekannt) am Ende der Diktatur führten zu einem Erwachen im Labyrinth verfehlter Wünsche und enttäuschter Hoffnungen am Rande von Utopia. Labylysium suchte beides zu verbinden. Es erzählte von den Visionen und Hoffnungen der Akteure von `89, von den labyrinthischen Erlebnissen der Vereinigung, ohne bei den Verlusterfahrungen hängen zu bleiben.
Geschult an fünfundzwanzigjähriger Aufbauarbeit immer neuer Labyrinthe zum Radebeuler Herbst- und Weinfest auf den Elbwiesen, gestählt durch die Erlebnisse der WuKaMenta in Dresden wirkten die Künstler in den öffentlichen Raum hinein, zum Mittun und Mitlachen zu ermuntern. So traf zeithistorische Ausstellung auf zeitgenössische Kunst, deren Internationalität auf diese Weise unkonventionell vermittelt wurde. Leider gelang es nur bedingt, die Scheu der Neugierigen zu überwinden, auch der Aufruf, ein eigenes Einheitsdenkmal mitzubringen, fand (noch) keinen Widerhall – die höhere Freiheit der Kunst wird offenbar immer noch zu wenig geübt. Auch fehlt es wohl am Bewusstsein für Systemrelevanz …
Reinhard Zabkas Gastspiel in Leipzig kann nur ein Anfang gewesen sein.
Thomas Gerlach

BAUHAUS in Radebeul, gibt‘s denn das?

Die Antwort ist ein klares „Jein“! Nein, weil keiner der großen Bauhausmeister wie Walter Gropius oder ein Schüler der Bauhausschulen in Weimar, Dessau oder Berlin in Radebeul gewirkt und seine Spuren hinterlassen hat. Nein auch, weil die Stadt Radebeul, bzw. ihre Ursprungsgemeinden Ober- und Niederlößnitz als eher konservativ galten. Diese Gemeinden waren auch etwas überaltert, weil sich hier gern Leute, die ihr Geld in Dresden oder anderen Städten verdient hatten, Land kauften und gefällige Häuser als Altersruhesitz bauen ließen. Ja, weil natürlich die Ideen des Bauhauses auch in Radebeul bekannt waren und z.B. Max Czopka auch in der Richtung experimentiert hat.

Eduard-Bilz-Straße 60, Bauzustand von Südwest, 1997 Foto: D. Lohse

Schade, ich bin mit diesem Thema etwas spät dran – das Bauhaus hatte 2019 seinen hundertsten Geburtstag. Zufällig, nein, ein bisschen geplant war es schon, weilte ich im Herbst 2019 in Weimar, wo sich viele Ereignisse auf das Thema bezogen hatten, u.a. die Eröffnung eines neuen Bauhausmuseums am Schwanenteich.
Woran erkennen wir eigentlich den Bauhausstil? Auf jeden Fall sollte er anders als bisherige Baustile oder Stilrichtungen sein. Die Gründerzeit mit baulichen Zitaten von Gotik, Renaissance und Barock war schon überwunden, der Jugendstil mit bewegten Formen nach Tier- und Pflanzenmotiven sollte endgültig abgelöst werden. Einige Ideen des Deutschen Werkbundes wurden im Bauhaus aufgenommen, man wollte aber

Eduard-Bilz-Straße 60, Straßenansicht 2011 Foto: D. Lohse

konsequenter, strenger im Erscheinungsbild sein und sparsamer, also moderner bauen. Das 1919 in Weimar gegründete Bauhaus betrachtete Handwerk, Kunst und Bauen als eine Einheit, neue Techniken und Materialien wurden gesucht und man wollte nach dem Krieg preiswert für Arbeiter und die Mittelschicht bauen, worin eine soziale Komponente des Bauhauses erkennbar wird. Die Architektur zeigte deutlich eine horizontale Betonung der Geschosse, z.B. mit horizontalen Fensterbändern und neuen Flachdachkonstruktionen. Gleichzeitig gehörte eine helle Farbigkeit der Fassaden in Weiß, gebrochenem Weiß, Beige und Ocker mit wenigen farblichen Akzenten z.B. gelegentlich Stahlblau für Fenster oder Weinrot für Türen dazu. Selbstverständlich hatten die Bauhausmeister auch Vorschläge für die Ausstattung der Häuser; hier ein paar Beispiele: lederbezogene Stahlrohrsessel von Marcel Breuer, moderne Lampen von Marianne Brandt, Keramikgeschirr von Otto Lindig oder Grafik und Gemälde von Lyonel Feininger. Man kann sagen das Bauhaus endete in Deutschland 1933, denn die Nazis erkannten und bekämpften im Bauhaus eine linke Bewegung. Interessanterweise nahmen einige der zur Auswanderung gezwungenen Bauhausmeister wie Gropius und Mies van der Rohe die Bauhausideen mit in die USA oder auch in das spätere Israel, so dass wir auch dort noch Bauhausarchitektur finden können.

Pfeiferweg, 2020 Foto: D. Lohse

Eigentlich war die Radebeuler Kommune (s.o.) von vornherein gegen solche modernen Bauideen eingestellt. Aber in zwei Fällen können wir bei Neubauten mehr oder weniger Bauhausgestaltungen erkennen. Wenn wir das Schaffen der etwa zeitgleich in der Lößnitz tätigen Architekten Albert Patitz, Dr. Alfred Tischer und Max Czopka vergleichen, so erkennen wir zumindest bei letzterem Ansätze von Bauhausarchitektur, wenn auch nur vereinzelt. Es ist nicht allein der Architekt, der etwas Neues zeigen will, es gehört ein aufgeschlossener Bauherr dazu und auch die jeweilige Genehmigungsbehörde kann sich so oder anders entscheiden. 1925 war man im benachbarten Dresden-Trachau jedenfalls mutiger als in

Pfeiferweg, 2020 Foto: D. Lohse

Radebeul, als man eine ganze Siedlung mit Flachdächern nach Plänen von Architekt Hans Richter bauen ließ.
Nun zum ersten Standort einer bauhausähnlichen Villa in der Eduard-Bilz-Straße 60 in Oberlößnitz. Der 1931 noch junge Zahnarzt Dr. dent. Erich Schönherr, ein offenbar aufgeschlossener, zielstrebiger, nicht unvermögender Mensch, erwarb eine größere, vom Haus-Sorgenfrei-Grundstück abgetrennte Fläche als Bauland und bestellte bei Architekt Czopka den Entwurf eines Wohnhauses mit mehreren Etagen, Balkonen und Terrassen und einem Flachdach. Das zur Genehmigung bei der zuständigen Amtshauptmannschaft Dresden eingereichte Projekt wurde abgelehnt, weil der beteiligte Sächsische Heimatschutz eine zu große Verschiedenheit des Neubaus gegenüber dem Haus Sorgenfrei – Bauhaus neben Zopfstil – festgestellt hatte. Ein vom Zahnarzt bei der höheren Behörde, der Kreishauptmannschaft, eingelegter Widerspruch hob die Ablehnung auf und die Amtshauptmannschaft musste dem modernen Entwurf von Czopka nun zustimmen, so dass der Bau 1932 endlich begonnen werden konnte.
Sanitätsrat Dr. Schönherr hatte sich in der DDR als Zahnarzt auf Kieferorthopädie und die entsprechende Behandlung bei Kindern spezialisiert und wurde weit über Radebeul hinaus bekannt. Er verfasste fachliche Artikel und Bücher, die z.T. international veröffentlicht wurden. In seinem Fachgebiet hat er bis ins hohe Alter (über 90!) gearbeitet. Nach seinem Tod besaß eine Immobilienfirma das als Kulturdenkmal eingestufte Haus und hatte in kürzester Zeit den Putz abgeschlagen, Fenster und Türen herausgebrochen und Details entfernt. In dem Zustand erwarb eine Privatperson das Anwesen, die nun entsprechende Vereinbarungen mit der Denkmalpflege traf und beim Aufbau den Bauhauscharakter des Hauses wieder erreichte. Die Farbe – ein sehr helles Blaugrau – war der Wunsch des Bauherrn und kommt der Bauhausfarbpalette zumindest nahe. Das schon immer begrünte Grundstück wurde nach der Sanierung noch dichter bepflanzt, so dass man leider die charakteristischen Formen von der Straße aus kaum noch sehen kann. Heute bewohnt wieder eine Arztfamilie die Villa.
Die zweite Adresse eines privaten Wohnhauses, das dem Bauhausstil recht nahe kommt, ist der Pfeifferweg 46 im Radebeuler Ortsteil Wahnsdorf. Hier haben wir kein Kulturdenkmal vor uns. Vom Jagdweg aus über den Lößnitzgrund geschaut, erkennt man das Haus oberhalb des großen Steinbruchs – eine unverbaubare Lage mit guter Aussicht! Laut Plan von Architekt Conrad Baum sollte es 1936 ein Steildach erhalten. Ausgeführt wurde aber nach zeichnerischer Tektur ein sehr flach geneigtes Dach, im Prinzip ein Flachdach, somit wurde hier spät noch mal mit Bauhausmerkmalen gearbeitet. Größere Fenster auf der Westseite betonen die Horizontale. Die heutige Fassadenfarbe, ein helles Ocker, entspricht auch dem Farbspektrum des Bauhauses. In der Zeit nach 1933 kann es sich nur um Nachwirkungen des Bauhauses handeln, die die Behörde übersehen oder gerade noch hat durchgehen lassen. Wenn man beide Häuser hinsichtlich Bauhaus vergleicht, so ist schon die Eduard-Bilz-Straße 60 näher dran als der Pfeiferweg 46.
Man merke, Bauhaus hatte eine politische Komponente!

Dietrich Lohse

Sieben Jahre im Zeichen der Integration Geflüchteter in Radebeul

Das Bündnis Buntes Radebeul unterstützt seit 2013 das Ankommen in Radebeul

Als sich 2013 ein Gruppe junger und älterer Menschen fand, um vor allem im Wohnheim auf der Kötitzer Straße mit Lern- und Freizeitangeboten für ein Stück Ankommen zu sorgen, hätte wohl keiner der Beteiligten gedacht, dass der Verein, der sich kurze Zeit später aus der Initiative gründete, schon bald zum Bild von Radebeul gehören sollte.

Bei der Gründung des Bündnisses stehen vor allem die Bewohner des Heimes auf der Kötitzer Straße im Fokus aller Bemühungen. Das bleibt auch so, als 2015 viel mehr Flüchtlinge nach Radebeul kommen und in der Hauptsache im dortigen Heim untergebracht werden. Der Bedarf beflügelt, viele neue Mitglieder stoßen in dieser Zeit zum Verein und bringen sich mit großem Engagement in verschiedenste Projekte ein. Viele Ideen werden geboren, um die „neuen“ Radebeuler beim Ankommen zu unterstützen. Von Sprachkursen am Nachmittag, über Nähkurse oder Hausaufgabenbetreuung für die Jüngsten bis zu Plauderrunden im Heim, um den Ankommenden immer wieder Gelegenheit zu geben, die deutsche Sprache zu sprechen, das Angebot ist so breit und umfassend wie nie zuvor. Die Mitglieder und Unterstützer bringen sich ein, wo sie können, um in Radebeul eine Willkommenskultur zu gestalten. Dabei kann sich der Verein immer auch auf ein breites Netzwerk in und um Radebeul verlassen. Gemeinsam mit Partnern werden viele Vorhaben entwickelt und umgesetzt. Eines dieser Beispiele ist das „Kochen kunterbunt“, das durch Mitarbeitende der Landesbühnen Sachsen ins Leben gerufen und hoffentlich nach Corona wieder zum Leben erweckt wird.

Ausflug ins Stadtmuseum Radebeul Foto: Bündnis Radebeul

2014 machte der Verein mit einem ganz besonderen Projekt auf sich aufmerksam. Die beiden Vereinsmitglieder Stephanie Kerkhof und Sophie Ruby geben gemeinsam mit dem Bunten Radebeul das Kochbuch „Mit der Kochkunst ins Herz“ heraus. Als Zeichen der Dankbarkeit waren die beiden schon oft von Flüchtlingen bekocht worden. Es waren immer Momente, in denen sie gemeinsam ins Gespräch gekommen sind oder – wenn die Sprachbarriere doch einmal zu hoch war, einfach ein schönes Beisammensein genossen haben. Beim gemeinsamen Kochen kann man sich oft, ohne viele Worte, näher kennen lernen. Dabei entsteht die Idee, gemeinsam mit den Flüchtlingen am Herd zu stehen und von ihnen zu lernen, wie sie ihre landestypischen Gerichte zubereiten. Und nicht nur das. Sie erzählen über ihre Herkunftsländer. Es entsteht ein Kochbuch gemixt mit Herdgeschichten, die Nachfrage ist so groß, dass es bereits eine 2. Auflage gibt.
Eine vergleichbar große Aufmerksamkeit erfahren die Radebeuler Flüchtlinge 2015 durch das Projekt „Mein unruhiges Herz“ in Kooperation mit dem Stadtmuseum Dresden und der Landeszentrale für Politische Bildung. In einem mehrtägigen Workshop entstehen 18 „Bilder der Migration“, die eindrucksvoll die Gefühlswelt der Geflüchteten wiedergeben. In den Bildern werden Fluchtgeschichten oder auch traumatische Erlebnisse in den Herkunftsländern sichtbar. Die Bilder werden im Anschluss noch ein halbes Jahr im Stadtmuseum Dresden ausgestellt.
Bereits 2015 wurde im Heim eine erste Fahrradwerkstatt aufgebaut, um einerseits die vielen gespendeten Fahrräder gemeinsam mit den Heimbewohnern wieder fahrtüchtig zu machen und ihnen damit ein Stück Mobilität abseits von der Nutzung des ÖPNV zu ermöglichen und ihnen andererseits auch die Möglichkeit zu geben, sich sinnvoll zu beschäftigen, ist doch der Alltag, wenn man keine Arbeitserlaubnis hat, vielfach trist und eintönig. Als im Frühjahr 2016 das Heim aufgrund eines technischen Defektes abbrennt, sucht der Verein nach Ersatz. Gemeinsam mit der Stadt Radebeul wird im Laufe des Jahres 2016 eine Alternative auf dem Rosa-Luxemburg-Platz gefunden. Als Ende 2017 das Heim wiedereröffnet wird, entscheidet man sich, an beiden Standorten weiter zu machen. Gemeinsam mit dem ADFC und vielen Freiwilligen betreibt das Bündnis diese beiden Fahrradwerkstätten. Der Zuspruch an beiden Orten ist ungebrochen. Um diese auch in Zukunft weiter betreiben zu können, ist die Mithilfe von Menschen gefragt, die Lust am Schrauben und Basteln haben. Die Fahrradwerkstatt am Rosa-Luxemburg-Platz öffnet von Frühjahr bis Herbst immer montags und samstags ihre Pforten, die im Heim ist in den wärmeren Monaten immer dienstags geöffnet.
Das Bündnis erfährt im Laufe der Jahre viel Unterstützung durch die Radebeuler. Ein herausragender Höhepunkt ist die Aktion der Friedenskirche, die anlässlich des Weihnachtsfestes 2014 unter dem Motto „Flüchtlinge sind uns willkommen“ zur Spende in Höhe des Begrüßungsgeldes, das DDR-Bürger 1989 erhielten, auffordert. Die Aktion ist ein Riesenerfolg. Das Geld wird vor allem dazu verwendet, Deutsch-Sprachkurse, die in der Anfangszeit weder durch das Bundesamt für Migration und Flüchtling (BAMF) noch durch die Ausländerbehörden finanziert werden, zu unterstützen. Diese Aktion zeigt dem Verein, dass viele Radebeuler die Arbeit und vor allem dem Zweck des Vereins gegenüber sehr positiv aufgeschlossen sind.
Ein Projekt des Vereins, das seit der Gründung läuft, ist das sogenannte „Mitgänger-Projekt“. Mehr als 20 Mitglieder und Nichtmitglieder unterstützen Flüchtlinge und Menschen mit Migration bei Behördengängen und Fragen das Alltags, die für Menschen mit Sprachbarrieren oft eine große Herausforderung darstellen. Der Alltag gestaltet sich vielfach so, dass Anträge gemeinsam angeschaut werden, Behördengänge gemeinsam gemacht werden, beim Verstehen von amtlichen Schreiben geholfen wird, Miet- oder Telefonverträge durchgeschaut werden oder eben einfach beim Alltag unterstützt wird. Das klingt simpel, ist aber in der Regel sehr zeitaufwendig. Denn was für unser einen normal und einfach ist, gestaltet sich für Flüchtlinge aufgrund der Sprache oder verschiedener kulturellerer Gegebenheiten doch vielfach kompliziert. Viele Ehrenamtliche haben vor ihrem Einsatz als Mitgänger selten Berührungspunkte mit den unterschiedlichen Aufenthaltsregelungen gehabt. In der Praxis tauchen aber gerade bei diesen Themen immer wieder Fragen auf.
Die Arbeit des Bündnisses hat sich heute, sieben Jahre nach Gründung, verstetigt. Wie bei allen Vereinen gibt es Höhen und Tiefen. Das Engagement ist in vielen Projekten – von denen hier nur wenige Beispiele genannt sind – ungebrochen. Doch auf lange Sicht, werden mehr helfende Hände gebraucht, um Projekte wie Mitgänger, Deutschnachhilfe, Unterstützung von Auszubildenden oder die Fahrradwerkstätten auch über 2020 hinaus mit ganzer Kraft betreiben zu können. Neben den vielen einzelnen Projekten will sich der Verein in Zukunft noch stärker auf das Thema Willkommenskultur und die Begegnung mit verschiedenen Kulturen fokussieren. Dazu plant der Verein aktuell eine Reihe von Buchlesungen und Begegnungsmöglichkeiten für alle Radebeuler.
Damit der Verein noch besser nach außen wirksam werden kann, wird aktuell die Internetseite neugestaltet. Wer Lust und Zeit hat, sich im Bündnis Buntes Radebeul zu engagieren, ist jederzeit willkommen.

Susanne Herrmann und Angelika Richter
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Kontakt: info@buntes-radebeul.de

Fahnenstangenhalterungen

Ergänzung zum Artikel in V&R Heft 9/20

Foto: D. Lohse

Nach der Veröffentlichung des Artikels ist mir zufällig noch eine aktive Fahnenstangenhalterung, also so eine mit Fahne, in Serkowitz begegnet. Dieser Fund ist auch insofern wichtig, weil dadurch das von mir beklagte Missverhältnis Radebeul Ost, ein gefundenes Beispiel – Radebeul West, fünf Beispiele, ein wenig verbessert werden könnte.

Foto: D. Lohse

Foto: D. Lohse

Am Seitengebäude von Altserkowitz 3 weht seit etwa 2008 eine rote Werbefahne der Fa. Ullbrich, die in der umgebauten Scheune eine Autosattlerei betreibt. Der große Bauernhof, genannt Klotzschehof, hatte an der Stelle keine Fahne, wozu auch. Der jetzige Eigentümer Siegfried Ullbrich hat zunächst das Seitengebäude saniert und ist derzeit dabei, das einsturzgefährdete Haupthaus in Stand zu setzen. Die Scheune war bereits vom Voreigentümer im Sinne einer Werkstatt verändert worden. Vielleicht ist diese Werbeidee mit einer Fahne am Denkmal sogar besser als eine Werbeschrift auf der Fassade oder gar eine Leuchtwerbung. Die Fahnenstangenhalterung aus Stahl ist in historisierender Form gestaltet und durch die Bauaufsicht geprüft worden. Der I-Punkt der Gestaltung ist aber eine kleine Schleife aus Bandstahl am Träger der Fahne, soweit also ein hübsches Detail. Hübsch kommt noch weiter zum Einsatz, wenn der Bauernhof jetzt anderen Zwecken dient und keinen Misthaufen mehr hat, hier nun Wohnen und Arbeiten. Aber wie weit sollte man das „Aufhübschen“ treiben?
Dietrich Lohse

Landschaftsmalerei von Klaus Henker

Eine neue Ausstellung im Rathaus Coswig

Die Stadtverwaltung Coswig nimmt den in diesem Jahr noch zu begehenden 85. Geburtstag des Malers Klaus Henker zum Anlass, die coronabedingte Kulturpause zu beenden und im Rathaus eine neue Ausstellung zu präsentieren. Dazu sei beiden, der Stadt und dem Maler, herzlich gratuliert.
Mit seinen neuen Bildern verfolgt Klaus Henker erklärtermaßen die Absicht, seine Stadt Coswig als das darzustellen, was sie für ihn ist: lebendig, voller Optimismus und positiver Energie. So jedenfalls sieht er sie, wenn er sich mit dem Skizzenblock in der Hand hineinbegibt, wenn er auf Spurensuche geht, sich nach Motiven umschaut. Da sehen wir den Maler sich drehen zwischen Rathaus und Karrasburg, die beiden für die Stadt tragenden Gebäude in eine beziehungsreiche Spannung zu setzen. Da sehen wir ihn den solitären Baum betrachten, der dann in zwei Variationen fast gläsern in Erscheinung tritt. Schließlich sehen wir ihn zum Wochenmarkt schlendern, nicht um Einkäufe zu machen, sondern um Menschen zu sehen. „Menschen gehören nun mal in eine lebendige, fröhliche Stadt“, sagt er.
Klaus Henker ist nämlich keiner, der mit dem Zufall spielt. Mit der ihm eigenen Zähigkeit, die ihn das Leben bis auf den heutigen Tag bestehen ließ, verfolgt er jeden Gedanken bis in tiefste Tiefen. Der tiefste Gedanke, dem er auf der Suche nach seinen Bildern folgt, heißt „Freude“ – was ihn bis heute als den Träumer erweist, der er seit Kindertagen ist.
Schon dann, wenn er vor Ort mit schnellem Stift seine Motive notiert, beginnt die gedankliche Auseinandersetzung. Getreu dem Merksatz Goethes „Das Was bedenke, mehr bedenke das Wie“, entsteht das Bild zunächst im Kopf. Die eigentliche Arbeit erfolgt dann zu Haus in seinem kleinen Atelier. In erinnerndem Betrachten rückt er da Linien und Flächen zu- und gegeneinander, testet Formen, experimentiert mit Farben, um die dem Motiv innewohnende Kraft lebensvoll in Szene setzen zu können. Klaus Henker baut seine Bilder als Kompositionen, als Sinfonien aus Farben, Linien und Flächen, woran sich Gedanken und Empfindungen entzünden. Das Motiv wird, wie er sagt, „zum Medium“, es bleibt aber bei allem, auch das ist dem Maler wichtig, im Untergrund erkennbar.
Noch immer ist der Traum in ihm wach, nach dem er als junger Mensch gerne Musik studiert hätte. Als Erzgebirger – Klaus ist in Freiberg zur Welt gekommen und aufgewachsen – stand ihm allerdings ein Brotberuf zu Gebote. Sein früh erkanntes Zeichentalent wurde durch den Freiberger Porzellanmaler Odrich geformt. Insgesamt 35 Jahre hat er dann der Meißner Porzellanmanufaktur gedient, als Indischmaler, als Zeichenlehrer, als Dekorentwickler, bevor er schließlich 1996 in den Vorruhestand verabschiedet wurde. An der Begeisterung für die Musik hat er festgehalten. Auch seine Kunst ist musikalisch dominiert: Wenn ihn ein bestimmtes Motiv besonders tief bewegt, probiert er unterschiedliche Abstraktionsgrade, wechselt er von runden zu mehr geraden von linearen zu mehr flächigen Formen. Variationsreich spielt er so mit Farben und Formen, wie Beethoven vor zweihundert Jahren mit Tönen und Klängen spielte.
Die Art des Umgangs mit dem Motiv ist neu für den Maler. Vielleicht wird eines Tages von einem Spätwerk gesprochen. Wer das Wirken des Malers verfolgt hat, wird sich an die Experimente mit der Heidelbeere erinnern, an die Kompositionen mit den Flaschenmenschen. Auch wird in Erinnerung sein, dass wir schon mehrfach Gelegenheit hatten, jede einzelne seiner Arbeiten als philosophische Dissertation zu betrachten. Die Bilder atmen bei aller Tiefe eine Fröhlichkeit, der nicht anzumerken ist, wie schwer sie errungen wurde. Als ein Mensch, der die größere Hälfte seines Lebens nun wahrlich hinter sich hat, weiß Klaus Henker zu gut, dass das Leben nicht nur, wie Goethe meinte, „zu kurz ist, schlechten Wein zu trinken“. Es ist auch zu schade, in all den täglichen Misshelligkeiten zu versinken und, wie es heute leider üblich ist, vor lauter Zank und Wutbürgertum die Sonne nicht mehr zu sehen. Dieser Tendenz entgegen malt der Künstler seine Bilder. Und es gelingt ihm auf bemerkenswerte Weise, die positive Energie des Motivs voll augenzwinkernder Heiterkeit in der Balance von Abstraktion und Realität in voller Farbigkeit an die Betrachter heranzutragen.
Denn immer geht es um das Leben, das aus den Bildern atmen soll, ein Leben, das den Namen wert ist und nicht nur aus Coswig einen Ort voller Optimismus und positiver Energie machen kann.
Thomas Gerlach

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Die Ausstellung ist noch bis 30.12.2020 zu sehen.

Editorial November 2020

Heute, am 23.10., erfolgt die Druckfreigabe für unser Novemberheft an die Lößnitz-Druck GmbH. Ein Unternehmen, das uns seit nunmehr drei Jahrzehnten die Treue hält und immer ein verlässlicher Partner war. An dieser Stelle sei all den Mitarbeitern aus-drück-lich ein herzliches Dankeschön entsendet!
Einige Tage werden also noch vergehen bis eine Vielzahl von Kartons mit dem vertrauten Geruch des frisch gedruckten Papiers zur eiligen Verteilung bereitstehen wird.
Heute sollen für unsere „Vorschau“ noch ganz besondere Stunden beschieden sein. Immerhin feiern wir in diesem Jahr unseren 30. Geburtstag! Nur wann fragt man sich in dieser geprügelten Zeit?
Die geplante Feier, korrespondierend mit dem allerersten Heft im Monat Mai, musste bekanntermaßen aufgegeben werden. Unverdrossen verschoben wir den Festakt in den fernen Herbst, gedanklich weit nach der Misere. Und dennoch weit gefehlt.
Die Lage ist nunmehr kaum tröstlicher, aber heute Abend soll es allen Widerständen zum Trotz und nach all den Vorbereitungen im schönen Ensemble von Hoflößnitz stattfinden.
Wir hoffen auf viele Gäste, Sympathisanten und Förderer die uns lange begleiten und unterstützen.
Wie zu erwarten, blieben vereinzelte schmerzliche Absagen nicht aus, aber wir erhielten dafür schriftliche Bekundungen aus der Ferne.
Solch ein Tag, der insbesondere den weit aufgespannten Bogen einer „Rückschau“ bedarf, verleitete mich, die „Vorschau“ vom November 1990 zur Hand zu nehmen. Es ist nahezu erstaunlich und beglückend zugleich, dass wir alle dort bereits schon schreibende Redaktionsmitglieder am heutigen Abend begrüßen dürfen.

Sascha Graedtke

Gesehen. Rom.

Nah und doch so fern
Zwei Ausstellungen reflektieren eine Italienwanderung

Goethe war vielleicht nicht der erste Romreisende, doch sein Beispiel hat Schule gemacht unter Künstlern und Literaten. Über lange Zeit hinweg gibt es keine Künstlerbiografie in der nicht irgendwie auch Rom eine Rolle gespielt hätte. Ludwig Richter hat mehrere Jahre hier verbracht und sich nicht nur die heutige Hauptstadt, sondern auch die Umgebung wandernd erschlossen.

»Zypressen«-2020 Foto: A. Uhlig

In unseren Tagen waren es Jens Kuhbandner und Falk Wenzel, die, den Spuren speziell der Romantiker folgend, mit dem Rucksack auf dem Rücken „durch die römische Campagna“ wanderten. Unter dem Titel „Herz und Sinn jubeln auf“ haben sie ihre Erlebnisse mit detaillierten Reisehinweisen im Jahr 2009 zu einem bemerkenswerten Reiseführer verdichtet und beim Notschriften-Verlag herausgebracht.
Davon nun wieder angeregt haben sich Simona Jurk und André Uhlig gemeinsam mit Sohn Janek auf den Weg gemacht, ihrerseits Rom und die Albaner Berge zu erkunden. Haben erstere Plätze aufgesucht, an denen etwa Ludwig Richter oder Woldemar Hermann zeichneten, freuten sich letztere, Orte zu finden, die Jens Kuhbandner und Falk Wenzel beschrieben und fotografiert haben. Es wird zu erleben sein, ob und wie der jüngste der Familie die Anregungen weitertragen kann.
Aus dieser Reise nun sind zwei Ausstellungen gewachsen, die noch bis zum Jahresende in der Oberschänke in Altkötzschenbroda (Simona Jurk, Gesehen. Rom. Fotografien) und bei „Gräfes Wein und fein“ auf der Hauptstraße (André Uhlig, Nah und doch so fern, Zeichnungen) zu erleben sind.
Simonas Fotos sind an das Polaroid-Format angelehnt. Sie vermitteln, obwohl natürlich doch digital bearbeitet, den Eindruck großer Unmittelbarkeit. Sie zeigen die „ewige“ Stadt in einer bemerkenswerten Stille, die noch nicht dem Virus geschuldet ist, sondern der frühen Jahreszeit (die Reise fand im Februar dieses Jahres statt) und der Morgenstunde verdankt wird, zu der die Familie sich auf die Pirsch begab, die Stadt zu erkunden. Zugleich zeigen sie die Faszination der Reisenden angesichts des Niegesehenen, ein Eindruck, den der Polaroidfilter noch verstärkt. Abermals erweist sich, dass auch Menschen, die bis nach Indien „in der Welt zu Hause“ sind, recht schnell dem besonderen Reiz „der erstaunlichsten Stadt des Universums“ erliegen.
Für Simona stehen dabei nicht die großen historischen Monumente im Fokus, sondern die kleinen Perlen des Alltags, die Mädchen auf dem Geländer, der Fleischer mit der blutigen Schürze, das Spiel von Licht und Schatten. Sie will Rom nicht einfach als „gesehen“ abhaken, sondern zeigen, dass und wie sie jeden einzelnen Augenblick gelebt hat.
„Nah und doch so fern“ sind die Erinnerungen André Uhligs an diese Reise. Mit gewohnt flottem Strich und wohl auch mit dem gewohnten Kaffee hat der Maler Motive aus seinem Reise-Skizzen-Tagebuch im heimischen Atelier ins rechte Format gebracht. Sichtlich beeindruckt zeigt er sich von der kolossalen Wucht des Kolosseums, dessen vielbogige Rundfassade ein ganzes Blatt allein bestimmt.

»Fußball«-2020 Foto: A. Uhlig

Bald aber zog es die Reisenden aus der Stadt hinaus in die Natur. Hier spüren die Betrachter, wie stark sich André von den Zypressen angezogen fühlt, die ihn an die Radebeuler Pappeln erinnern, die nun, wohl in die Jahre gekommen, langsam vor sich hin sterben. Im Fließen der Erinnerungen, im Rausch des Malens hat der Zeichner allerdings das Licht aus der Stadtmitte mit hinaus in die Ebene genommen – hier hätte eine Differenzierung sicher gut getan.
Schließlich stehen die Wanderer, wie vor ihnen Jens Kuhbandner und Falk Wenzel und noch weit früher Julius Cäsar auf der via appia, der berühmtesten aller Straßen, die ja bekanntlich sämtlich nach Rom führen. Gesäumt von antiken Ruinen kündet sie wie kaum eine andere von mehr als zweitausend Jahren römischer und also europäischer Geschichte. Spätestens seit Goethe werden Literaten und Künstler nicht müde, davon zu schwärmen.
Thomas Gerlach

ANSCHLÄGE Plakate aus 5 Jahrzehnten von Jochen Stankowski

Sonderausstellung im Käthe Kollwitz Haus Moritzburg

Unter dem Titel „Anschläge“ zeigt der seit 1998 in Dresden lebende Schriftsetzer, Grafiker, Plakatkünstler, Buchgestalter, Designer, Typograf und freier Künstler Jochen Stankowski seine politisch engagierten Plakate aus 5 Jahrzehnten. Von ihm existieren über 400 Plakate im Offsetdruck aus Stuttgarter und Kölner Zeit bis in die Gegenwart. 40 werden in dieser Ausstellung gezeigt. Dass dies mit einer Auswahl seiner

bedeutendsten Arbeiten in diesem Haus geschieht, ist kein Zufall: Viele hochwertige politische Plakate sind unter den Händen von Käthe Kollwitz in der Zeit großer Umbrüche und Kriege in Deutschland entstanden und belegen den hohen künstlerischen Wert ihres Werkes. Jochen Stankowski, der sich um bildhafte Kommentare zu Zitaten aus dem Tagebuch von Käthe Kollwitz verdient gemacht hat, ist nicht nur ein Freund des Hauses, der seit vielen Jahren für das Museum arbeitet, sondern auch ein nicht wegzudenkender Interpret und Nachfolger der Künstlerin und teilt mit ihr sein soziales und politisches Engagement, das in dem Wort der Kollwitz gipfelt: „Ich bin einverstanden damit, dass meine Kunst Zwecke hat“.
Anschläge sind hier als politischer Appel in Plakatgestalt zu verstehen, Anschläge auf das Denken des an ihm Vorübergehenden: Es ist ein „optischer Schrei“, der blitzartig seine Anliegen im Augen-Blick der Passage an den Betrachter vermittelt. „Plakate gehören an die frische Luft“ sagt Jochen Stankowski, an Häuser, Zäune, Mauern und Wände, überall im öffentlichen Raum.
Jochen Stankowski wurde in Meschede im Sauerland am 25. Mai 1940 geboren, ist also in diesem Jahr 80 Jahre alt geworden. Sein Onkel Anton, ein namhafter Grafiker, gab ihm den Rat, Schriftsetzer zu werden. Erste Station war Stuttgart, wo er ab 1958 seine Gesellenzeit als Typograf in der Dr. Cantz`schen Druckerei und Abendkurse an der Stuttgarter Hochschule sowie der Kunstakademie absolvierte. 1963 erlebte er im Wehrersatzdienst die katastrophalen Zustände und die Zerbrechlichkeit des Menschen in einem psychiatrischen Landeskrankenhaus. Unter dem Titel „Schafft die Irrenhäuser ab“, entstanden daraufhin um 1979 Plakate zur verdeckten Euthanasie und zu medizinischen Experimenten mit geistig und seelisch Behinderten. 1967 wurde er Mitinhaber des grafischen Ateliers Anton und Jochen Stankowski. Umfangreiche Bildungsreisen folgten 1968. Die schwäbische Avantgarde-Landschaft wurde erkundet. 1972 gründeten Jochen Stankowski und sein Bruder Martin (Journalist und Plakatautor) eine selbstverwaltete Druckerei. „Kunden“ waren Bürgerinitiativen und Projekte aus Frauen-und Friedensbewegungen sowie soziale Initiativen. Zahlreiche Plakate über Jugendliche im Knast, zur Abrüstung, den Verhältnissen in der Kirche, zum Paragraph 218, zu Bürgerprotesten- und Bürgerinitiativen sowie zum Wehrersatzdienst wurden gestaltet. 1973 erschien eine eigene Zeitung, das „Kölner Volksblatt“. Daraus ging 1980 bis 1985 die Kölner Plakatzeitung, die als Wandzeitung gedacht war und an Wände und Mauern geklebt wurde hervor. Damals begründete er auch die Raute oder das Merve-Layout für den gleichnamigen Verlag, das über viele Jahre hinweg bis heute praktiziert wird. 1998 zog er vom Rhein an die Elbe, nach Dresden und arbeitete wieder als grafischer Künstler und Plakatgestalter. Zahlreiche aktuelle Plakate entstanden, wie zu den Menschenrechten 2019, ein Plakat der Initiative VIELFALT, eine gesamtstädtische Aktion in Stuttgart, bei der die Visualisierung dem jeweiligen Passus ein Gesicht gibt. Seit 1989 gibt es die „AnStifter“, ein Bürgerprojekt mit Sitz in Stuttgart, für das Stankowski seitdem arbeitet, bekannt vor allem durch den Stuttgarter Friedenspreis, der seit 2003 jährlich verliehen wird. In einem Appell von 2020 an die deutsche Regierung und Öffentlichkeit wurde u. a. gefordert, das „Mahnmal Auschwitz auf Dauer als Erbe der Menschheit zu erhalten“.
Die hier gezeigte Ausstellung begleitet ein Katalog von Jochen und Martin Stankowski, der eine Auswahl des Plakatschaffens der Brüder zusammenfasst und illustriert.

Heinz Weißflog
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(Auszug aus der Eröffnungsrede)

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