Schätze, dem Himmel so nah!

Historisch bedeutsame Funde im Turmknopf der Friedenskirche

Foto: S. Graedtke

Schon seit Monaten ragt weit sichtbar der eingerüstete Turm der Friedenskirche ins Land. Umfangreiche und längst überfällige Sanierungen erfolgen derzeit nach jahrelanger Vorbereitung am Außenbau. Ein sprichwörtlicher Höhepunkt in 47m war im Zuge dieser Arbeiten die Abnahme des Turmkreuzes mit der darunter befindlichen Turmkapsel. Nicht selten bergen jene über die Zeiten hinweg ungeahnte Geheimnisse, welche von kirchen- und stadtgeschichtlicher Bedeutung sein können. Die letzte Einsicht liegt mit den Renovierungen von 1962/63 immerhin bereits über ein halbes Jahrhundert zurück.
Was für ein erhebender Moment mag es daher eine Woche vor Pfingsten für die Anwesenden, darunter federführend Pfarrerin Annegret Fischer und Restauratorin Christina Nehrkorn-Stege wohl gewesen sein, der Öffnung von zunächst zwei von insgesamt drei versiegelten Kassetten beizuwohnen. Die Spannung war sicher groß, auch wenn eine Inhaltsliste aus den 1960er Jahren im Kirchenarchiv vorlag.
Wie erwartet traten, insbesondere aus den frühen Zeiten, zahlreiche handschriftliche Dokumente zutage. Sie wurden in enger Zusammenarbeit mit dem Radebeuler Stadtarchiv sachkundig gesichtet und dokumentiert. Aufgrund der in den letzten Jahren gewonnenen technischen Möglichkeiten, konnten dort

Blick in den Luthersaal mit den ausgebreiteten Fundstücken Foto: S. Graedtke

alle relevanten Autographe umfänglich digitalisiert werden, sodass sie der Nachwelt auch in diesem Medium erhalten bleiben. Dies ist insbesondere für die weitere wissenschaftliche Aufarbeitung interessant, da die oft nur schwer lesbaren Originaltexte einer geduldigen Transkription bedürfen. So gesehen bleibt auch uns Zeitgenossen manches schriftlich verfasste Detail zunächst auf Weiteres verschlossen. Immerhin geben die mit Initialen oft reich verzierten Deckblätter der Niederschriften zumeist über Autoren, Inhaltsangaben oder Jahreszahlen hinreichend Auskunft.

Kassette von 1746 Foto: S. Graedtke

Am 18. August wurden schließlich alle aufgefundenen Dokumente im Luthersaal der Friedenskirche der interessierten Öffentlichkeit – gemessen an einem Menschenleben durchaus einmalig! – zugänglich gemacht. Auf mehreren Tischen wurden die Kassetten platziert und ihre jeweiligen Fundstücke nummeriert nach ihrer Einlage aufgereiht. Ausgelegte Inhaltsverzeichnisse machten eine Übersicht und Zuordnung leichter. Die eintägige Ausstellung erlebte nach Öffnung am Vormittag regen Andrang, war über Mittag dann überschaubar, bis schließlich die an diesem Tag von kultureller Station zu Station wandernden Radebeuler vom „Bürgertreff“ kurz vor Toresschluss mit ihrem letzten Programmpunkt den Saal stürmten. Wer den Weg also nicht scheute, konnte sich über ein Schriftkonvolut aus über dreieinhalb Jahrhunderten einen Überblick verschaffen und in sich so in unterschiedlichste Zeitschichten vertiefen.

Älteste Handschrift von 1656 Foto: S. Graedtke

Im Rahmen des Gottesdienstes am 25. August werden die Kassetten vor der Gemeinde präsentiert und neu bestückt, um schließlich am 1. September an seinen angestammten Platz an der Spitze des Turms zurückzukehren.
Im Folgenden lohnt es sich, etwas genauer über den Inhalt der drei Kassetten zu berichten. Insgesamt beherbergen sie etwa einhundert gezählter Posten, auf die an dieser Stelle nur stichpunktartig eingegangen werden kann. Die zeitliche Abfolge aller Schriften steht nicht zuletzt im festen Zusammenhang mit den Arbeiten und Umbauten an Kirche und Turm in den Jahren 1746, 1834, 1885, 1912, und 1962.

Fundstücke aus der mittleren Kassette von 1834 Foto: S. Graedtke

In seiner wechselvollen Geschichte, die bis in die zweite Hälfte des 13. Jahrhundert zurückreicht, war die Zerstörung des Gotteshauses während des Dreißigjährigen Krieges durch schwedische Truppen im Jahr 1637 die letzte dramatische Zäsur. Schon im selben Jahr erfolgte durch Landbaumeister Ezechiel Eckhardt und großzügig gefördert durch Kurfürst Johann Georg I. der Wiederaufbau. Während dieser Zeit, seit 1623, war Augustin Prescher (1593-1675) Pfarrer der Kirche, der schließlich über 50 Jahre dem Ort sein Gepräge geben sollte. Von überregionaler Bedeutung ist, dass Prescher 1645 in Kötzschenbroda Gastgeber für die Friedensverhandlungen zwischen Sachsen und Schweden war. Eine Denkschrift aus seiner Feder, datiert vom 25.9.1656 dokumentiert den 20 Jahre währenden Wiederaufbau der Kirche. Sie zählt zum ältesten und wohl kostbarsten Fundstück. Eine weitere Denkschrift vom 22.9.1699 ist mit der Unterschrift von Georg Friedrich Köhler versehen.
Warum die mit Abstand beiden ältesten Schriftzeugnisse in der dritten Kassette mit den „neuesten“ Unterlagen aus der Zeit zwischen 1884 und 1962 völlig zeitfremd verbracht wurden, muss ein Rätsel bleiben.

Fundstücke aus der großen Kassette von 1886 Foto: S. Graedtke

Auf der ersten und weitaus kleinsten Kassette, kaum größer als eine Postkarte, ist im Deckel die Jahreszahl 1746 eingestanzt. In ihr befanden sich 12 Posten mit Münzen und Handschriften zu unterschiedlichen Themen. So u.a. ein Bericht über den Friedensschluss zwischen Preußen und Ungarn, …, eine Liste über Getreidekosten in Dresden oder Reparationszahlungen. Zudem wird auch das trockene Wetter erwähnt. Erwähnenswert ist ferner eine gebundene Zeitschrift mit dem blumigen Titel: „Genealogisch-historische Nachrichten von den Allerneusten Begebenheiten, welche sich an den Europäischen Höfen zugetragen worinn zugleich Vieler Standes-Personen und anderer Berühmter Leute Lebens-Beschreibungen vorkommen, als eine Fortsetzung des Genealogisch Historischen Archivarii“.
Die zweite Kassette, in der Größe eines schmalen und überhöhten Schuhkartons, mit über 40 Einzelposten aus den Jahren zwischen 1812 und 1834 gefüllt, stammt von Sanierungsarbeiten aus dem Jahr 1834. Als zentrale Gestalt ist hier Pfarrer Johann Gottlob Trautschold (1777-1862) zu nennen, der sich in zahlreichen Denkschriften und im Rahmen anderer Feierlichkeiten umfassend verewigte. Ferner sind u.a. Münzen, Meißner Gemeinüziges Wochenblatt von 1827, Dresdner Anzeigen von 1812, Predigten u.a. zur Taufe und Ernte, Jubelfeiern, „Zum festlichen Empfang der neuen Glocken“ 1834 oder eine Chronik der Stadt Dresden und ihrer Bürger in 15 Heften zu nennen.
Wann die dritte, jüngste und zugleich größte Kassette erstmalig Verwendung fand, ist nicht mit Gewissheit zu sagen. Sie enthält mit etwa 50 Einzelposten von 1862 bis 1962, bis auf die o.g. beiden Ausnahmen, die meisten Dokumente. Der umfassenden Verbreitung drucktechnischer Erzeugnisse im 19. Jahrhundert folgend, waren hier weitgehend publizierte Hefte, Blätter und Fotos in ungeordneter Reihenfolge zu finden. Stellvertretend seien genannt: Adressbuch von Kötzschenbroda 1883, Denkschrift für den Turmknopf zu Kötzschenbroda vom 6. August 1885, Bild vom Turm mit Gerüst/ Umbau des Turmes 1886, Fotopostkarte zum Besuch von König Friedrich August in der Kirche zu Kötzschenbroda am 4. Mai 1908, Programm des Weihnachtsoratoriums von 1960, Leitung Kantor Hoch, Abschrift: Gutachten zur Erneuerung der Kirche, gez. Dr. Magirius.
Und die Geschichte geht weiter. Eine neue, vierte Kassette wird mit lebendigen Grüßen unserer Tage, so von Pfarrern, Gemeindemitgliedern, Bürgern und Broschüren für kommende Generationen befüllt. Wohl wissend um die Inflation des gedruckten Papiers und in Bewahrung der individuellen Handschrift jetzt wieder weitgehend mit persönlich notierten Gedanken.
Die erste Ausgabe vom Mai 1990 und das aktuelle Heft von „Vorschau & Rückblick“ gehen auch auf die Zeit-Reise. Wo wären sie denn auch besser aufgehoben – als dort oben?

Sascha Graedtke

Buchbesprechung:

„Zauberhaftes Radebeul – Silhouetten der Wein-, Villen- und Gartenstadt“

Bereits an anderer Stelle hatte ich meiner Freude Ausdruck verliehen, dass es jetzt, verglichen mit der Zeit vor 1990, so viele Bücher über Radebeul gibt – und nun gibt‘s noch eins! Seit ein paar Wochen ist das im Husum-Verlag erschienene Buch im handlichen Mittelformat (H= 20,5cm, B= 21,5cm, 118 Seiten) vom Radebeuler Autor Jürgen Helfricht da und ich darf mir ein paar Gedanken dazu machen.

Bild: Repro D. Lohse


In Bildern und Texten werden die Schauseiten der Stadt Radebeul, geschichtlicher Ursprung, hiesige Kunst und bauliche Entwicklung sowie ein paar Radebeuler dargestellt – Industrie wird nur ansatzweise erwähnt, Sport in Radebeul gar nicht. Gut, ein Autor muss bei der Überschrift „Zauberhaft“ sein Thema ja abgrenzen. Es handelt sich also um eine weitere Publikation, die sich in erster Linie an Gäste, die Radebeul besuchen und Radebeuler wendet, die für nicht hier lebende Freunde ein kleines Geschenk suchen.

Dieses Ziel wird meines Erachtens erreicht. Besser vielleicht sogar, als das vom selben Autor bereits 2014 herausgegebene Büchlein „Kleines Radebeul – ABC“, besser vor allem deshalb, weil hier ein größeres Format für die Bilder möglich ist. Kurz gesagt, ist das „Zauberhafte Radebeul“ die große Schwester des „Radebeul – ABC“. Da Herr Helfricht rationell arbeitet, erkennen wir, dass in beiden Büchern Bild- und Textteile gleichermaßen wiederverwendet werden. Der Autor nutzt nun aber auch die Gelegenheit, neue Bilder zu zeigen, die 2014 so noch nicht existierten, wie z.B. den neu gestalteten „Bilz-Platz“ (Augustusweg / Eduard-Bilz-Straße).

Kritisch anmerken möchte ich den Bildtext zur Abb. auf Seite 41, wo die Himmelsrichtung verwechselt wurde. Es handelt sich um einen Blick auf den Westen von Radebeul, denn man sieht Teile von Niederlößnitz und Kötzschenbroda und nicht auf den Osten! Auf Seite 60 ist der vor etwa 10 Jahren durch die Stadtverwaltung Radebeul wieder hergerichtete Pavillon in der Pestalozzistraße dargestellt, er gehört heute zur Adresse Pestalozzistr. 3 (Nr. 5 könnte eine frühere Zuordnung gewesen sein). Herr Helfricht zeigt auf Seite 79 das Rathaus von Süden, so wie es die Lichtverhältnisse am leichtesten zulassen. Interessanter wäre aber m.E. die Straßenansicht, also die Schauseite gewesen, da hätte der Fotograf etwas früher aufstehen müssen, ca. 8 Uhr. Die Rücktitelgestaltung finde ich grafisch – ein Bildmosaik mit z.T. schiefen Einzelfotos – nicht so gut, hier wäre eine Straffung, bzw. nur ein Foto sicherlich besser gewesen.

Wenn ich oben feststellte, dass sich das Buch auch an internationale Touristen wenden will, so ist es schade, dass nur deutsche Texte zu finden sind. Zumindest ein dreisprachiger (neben Deutsch eventuell noch Englisch und Französisch) Kurztext als Vorspann wäre da gut gewesen.

Dass der Autor die Kulturdenkmale der Stadt Radebeul in großer Breite dargestellt hat, einschließlich seines Hauses, fand ich aber gut und ich möchte keinesfalls zu viel kritisieren. Dürfen wir von Herrn Helfricht in Zukunft vielleicht noch ein Werk erwarten? Das müsste dann ein großer Bildband über Radebeul werden, größer als das heute vorgestellte Buch zu 17,95 €. Dann könnte er alle Preiskategorien bedienen, doch in Sachen Marktwirtschaft muss ich ihn sicherlich nicht belehren.

Ich kann das Buch „Zauberhaftes Radebeul“ unseren Lesern jedenfalls sehr empfehlen.

Dietrich Lohse

Hobby: Winzer

Aus der Rede zur Ausstellungseröffnung in der Hoflößnitz am 1. Juli

»Wein und Hobby passen nicht zusammen«, stand im April letzten Jahres als große Überschrift in der Sächsischen Zeitung. (…) Dass der seinerzeitige Vorstandsvorsitzende des Sächsischen Weinbauverbandes die Bezeichnung »Hobbywinzer« als nicht mehr zeitgemäß empfand, hatte mit dem sogenannten »Weinskandal« von 2016 zu tun und mit der übertriebenen Sorge davor, dass Hobby zu sehr nach »al gusto« klingt. Dabei meint der Anglizismus doch nichts anderes als, laut Duden, eine »Beschäftigung, der man aus Freude an der Sache und zum Ausgleich für die Berufsarbeit in seiner Freizeit nachgeht«. Der stattdessen präferierte Begriff »Nebenerwerbswinzer« mag besser in unsere Zeit passen, aber ohne Freude an der Sache und ihrem Ergebnis wird sich kaum einer der Kleinwinzer dieser anspruchsvollen Arbeit widmen, die sommers wie winters keinen Aufschub duldet und bei der auch der Amateur in gewissem Sinne Profi sein muss. Nebenerwerb und Hobby gehören also zusammen.

Sylvia Preißler mit Hobbywinzer Dietmar Krause bei der Ausstellungseröffnung
Foto: F. Andert


Für eine große Ausstellung über die Geschichte der Sächsischen Winzergenossenschaft haben wir hier im Museum gegenwärtig weder den Raum noch die Objekte. Außerdem ist gegenwärtig in der Weinerlebniswelt am Bennoweg 9 in Meißen-Zscheila, wo die Genossenschaft seit 1946 ihren Sitz hat, eine entsprechende Schau zu sehen. Zur Frühgeschichte nur einige wenige Fakten: Ihre Gründung fand am 9. Mai 1938 hier in der Hoflößnitz statt. (…) Die Basis war aber schon in den vorangegangenen 25 Jahren gelegt worden, als durch die Rebschul- bzw. Weinbauvereine zunächst in Meißen und der Lößnitz Schritt für Schritt an der Wiederaufrebung vieler infolge des Reblausbefalls brach liegender Weinberge gearbeitet wurde. Dass sich aus den hier geernteten Trauben hervorragende gebietstypische Weine erzeugen ließen, hatte Carl Pfeiffer seit den 20er Jahren demonstriert. Doch wenn man sich die Preislisten der großen Dresdner Weinhandlungen noch aus den 30er Jahren anschaut, sind sächsische Weine dort entweder gar nicht oder nur unter »ferner liefen« zu finden. Der Markt war besetzt und der Traubenverkauf für kleinere Erzeuger ohne eigene Kellerei schwierig und wenig lukrativ. In dieser Situation erschien es nur folgerichtig, auf das in anderen deutschen Anbaugebieten seit langem bewährte Rezept der genossenschaftlichen Organisation eines gemeinsamen Kellereibetriebes zurückzugreifen.

Aus der Presseberichterstattung über die Gründung der Sächsischen Winzergenossenschaft 1938 geht hervor, dass zumindest anfangs die Idee bestand, ihre Kellerei in der Hoflößnitz einzurichten, wo ausreichend große Keller aber noch gar nicht zur Verfügung standen. Mit Carl Pfeiffer als Geschäftsführer und Oberbürgermeister Severit als Aufsichtsratsvorsitzendem waren auch die Führungspositionen der Genossenschaft in den Anfangsjahren von Radebeulern besetzt. Aufgebaut wurde die Genossenschaftskellerei dann in der ehemals Bergeschen Weinhandlung in Radebeul-Zitzschewig. Die ersten Jahre waren neben dem Kriegsausbruch durch schlechte Ernten und zwei hochwasserbedingte Überflutungen der Kellereiräume überschattet, was 1942 zum Umzug nach Meißen führte. (…)

Blick in die aktuelle Fotoausstellung
Foto: F. Andert


Überleben konnte das defizitäre Projekt nur dadurch, dass sich die teils schon seit Jahrzehnten in Meißen, Radebeul, Seußlitz und Weinböhla bestehenden Weinbauvereine im Frühjahr 1943 auflösten und ihre Mitglieder geschlossen der Genossenschaft beitraten. Diese zweite Gründung, aus der genau heute vor 75 Jahren die »Weinbaugenossenschaft Sachsen« hervorging, hatte mit anfangs 345 Mitgliedern eine genügend breite Basis, um die Umbrüche der folgenden Jahre zu überstehen, und passte dann – unter anderen Vorzeichen – auch bestens zu der von der DDR-Führung seit den 50er Jahren propagierten Neuorganisation der gesamten Landwirtschaft nach genossenschaftlichem Modell. (…)

Die Gründergeneration der Genossenschaft bestand in der Tat hauptsächlich aus »Nebenerwerbswinzern«, die in schlechten Zeiten auf die wirtschaftliche Nutzung des ihnen zur Verfügung stehenden Landes angewiesen waren. Die Aktivitäten der vor dem Ersten Weltkrieg in der Lößnitz und in Meißen gegründeten Weinbauvereine und die Winzerlehrgänge, die Carl Pfeiffer seit Anfang der 20er Jahre regelmäßig hier in der Hoflößnitz veranstaltete, zielten ja in erster Linie darauf, dass sich die Mitglieder und Teilnehmer durch den Weinbau ein Zubrot verdienen konnten.

Als die Genossenschaft längst (…) zum größten und schließlich, in Kooperation mit dem Volkseigenen Weingut Radebeul, zum einzigen großen Produzenten von Elbtalwein geworden war, ließ sich der wachsende Durst der Sachsen nach diesem heimischen Kulturgut aber noch immer nicht annähernd stillen. Für Weinfreunde aus der Region, die den als »Bückware« gehandelten Meißner Wein trinken wollten, gab es nur ein sicheres Mittel, um daranzukommen: Sie mussten Feierabend- oder, auf »Neudeutsch«, Hobbywinzer werden und der Genossenschaft beitreten.

Helmer Pardun fasst diese aus der Mangelwirtschaft geborene Entwicklung des neuen Hobbywinzertums in seinem Büchlein »Meißner Wein – Qualität von Anfang an« von 1996 treffend zusammen: »Mitte der 60er Jahre begann im Elbtalweinbau der damaligen DDR aus arbeitstechnischen und wirtschaftlichen Überlegungen heraus die Parzellierung von Anbauflächen und deren Vergabe an Feierabendwinzer. Vor allem die Aufrebung und Bearbeitung von für größere Landmaschinen unzugänglichen Steil-, Hang- und Terrassenlagen wurde nach 1970 an Kleinwinzer übergeben […]. Heute ist der sächsische Weinbau ohne seine rund 2.600 Feierabend-, Freizeit- und Hobbywinzer nicht mehr vorstellbar. Zwar gibt es im bestimmten Anbaugebiet Sachsen noch einige wenige Weinbaubetriebe, die Traubenerzeugung haupt- oder nebenerwerblich als wirtschaftliche Grundlage betreiben, aber der größte Teil der derzeit rund 325 Hektar Weinbaufläche wird von Hobbywinzern bearbeitet. Für sie ist die Traubenerzeugung keine Einnahmequelle. Sie wollen vielmehr mit dem Erlös aus dem Verkauf ihrer Trauben die anfallenden und laufenden Kosten im Weinberg decken […] und mit dem Rückkauf von Wein zu günstigen Bedingungen den eigenen Bestand im Keller bewahren.«

Die Zeiten haben sich geändert. Dass der sächsische Wein hierzulande als besonderes Kulturgut begriffen und geschätzt wird, hat zwar weiter zu einem nicht geringen Teil mit der nach wie vor großen Gruppe der Hobbywinzer zu tun, die aus eigener Erfahrung wissen, welche Arbeit in jeder Flasche steckt. (…) Inzwischen ist der sächsische Weinbau durch die vielen, oft aus dem Hobby geborenen Neugründungen von Weingütern – zumindest theoretisch – aber auch ohne die Hobbywinzer vorstellbar. (…) Dass die Gesamtzahl der sächsischen Winzer in einem Jahr um ein Zehntel schrumpft wie laut amtlicher Statistik von 2016 auf 2017, hat es vermutlich seit der Reblaus nicht mehr gegeben. (…) Passen Weinbau und Hobby heute, wo es Meißner Wein heute überall gibt, freie Zeit dagegen zur Mangelware geworden ist, vielleicht wirklich nicht mehr zusammen?…

Sylvia Preißler, deren Arbeiten wir in den kommenden Wochen hier im Galerieraum des Museums zeigen, (…) hat andere Hobbys: den Umwelt- und Naturschutz und, seit langem schon, die Fotografie. Eines ihrer jüngsten Fotoprojekte war einer bedrohten regionalen Spezies gewidmet: dem gemeinen Hobbywinzer. Mitten im Herzen unserer Weinbaukulturlandschaft hat sie am Hang zwischen dem ehemals Carl Pfeifferschen »Wächterberg« in Radebeul-Naundorf und der Zitzschewiger »Wettinshöhe« ein in vielerlei Hinsicht typisches Exemplar dieser Gattung aufgespürt und über Jahre in dokumentarischer Absicht mit der Kamera begleitet. (…) Der besondere Reiz, die Mühen und Freuden des Hobbywinzertums im Wandel der Jahreszeiten, das Natur- und Kulturerlebnis im Weinberg (…) sind in diesen Bildern überzeugend und mit künstlerischem Blick eingefangen. Vielleicht lässt sich der eine oder andere unserer Besucher, der den sächsischen Wein bisher nur aus der Flasche kennt, ja vom Reiz dieser Fotos anstecken. Die sächsischen Hobbywinzer brauchen dringend Nachwuchs.

Frank Andert

Die Kabinettausstellung »Hobby: Winzer. Ein Jahr im Weinberg« mit Fotos von Sylvia Preißler ist noch bis 26. August im Sächsischen Weinbaumuseum Hoflößnitz, Knohllweg 37, in Radebeul zu sehen, geöffnet dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr.

Radebeuler Begegnungen

Exkursion von der Oberlößnitz nach Kötzschenbroda am 18. August 2018

Nunmehr zum achten Male setzen sich Radebeuler in Bewegung, um Radebeuler kennen zu lernen. Auf den Tag genau vor 17 Jahren, hatte die erste Expedition 2001 von Kötzschenbroda nach Wahnsdorf geführt. Die Bergbewohner bereiteten den Talbewohnern damals einen so herzlichen Empfang, dass die Teilnehmer der Meinung waren, es müsse unbedingt eine Fortsetzung geben. Seitdem wurden in loser Folge alle Radebeuler Ursprungsgemeinden von Radebeulern freudig inspiziert. Gäste aus der näheren und weiteren Umgebung gesellten sich hinzu.

Eine Besonderheit der diesjährigen Begegnung wird die fachkundige Führung in doppelter Besetzung sein. Der Freizeithistoriker Hans-Georg Staudte, welcher die Expeditionen von Anbeginn ortskundig begleitet hat, erhält Unterstützung durch den Historiker Frank Andert, der die Veranstaltungsreihe ab 2020 mit einem jungen Team weiterführen wird.

Bärbel Kuntsche »Auszugshaus in Altkötzschenbroda« 2018, (Heimatstube Radebeul) Tuschezeichnung Repro: Stadtgalerie

Die Expedition beginnt auch diesmal, wo sie zuletzt endete. Treffpunkt ist die Wachsche Villa, heute Geschäftsstelle der Kinderarche Sachsen, Augustusweg 62. Nach der Begrüßung durch die Oberlößnitzer wird ein kleiner Startimbiss gereicht. Unterwegs gibt es vieles mitzuteilen über geschichtliche Ereignisse, heitere Episoden, gelungene Sanierungen, kühne Zukunftspläne und geheimnisvolle Turmkapseln. Die Expeditionsteilnehmer erfahren, wo sich in Kötzschenbroda Galgenberg und Hühnertunnel befunden haben. Auch das Museum im Rucksack wandert wieder mit. Die Route führt vorbei an Villen, Plattenbauten, Bauernhöfen, Kirchen, Museen, Denkmälern, Kunstobjekten, Schmuckplätzen und Parkanlagen. Erinnert wird an Persönlichkeiten wie Friedrich Eduard Bilz, Karl May, die Gebrüder Ziller, Augustin Prescher, Isolde Klemmt und Karl Reiche, die in Radebeul bemerkenswerte Spuren hinterließen.

Beim Überschreiten der Gemeindegrenze zwischen Serkowitz und Kötzschenbroda übergeben die Oberlößnitzer den Staffelstab, und die Ankömmlinge werden traditionell mit Brot und Salz, Wasser und Wein empfangen. Danach ist es nicht mehr allzu weit. An einer reich gedeckten Kaffeetafel im Innenhof der Kulturschmiede, Altkötzschenbroda 21 klingt die Exkursion gesellig aus. Schaulustige und Wissbegierige können sich danach ins Land der Phantasie begeben oder in der Heimatstube Kötzschenbroda Dokumentationen von den vergangenen Radebeuler Begegnungen sowie von der Einweihung des ersten sanierten Gebäudes in Altkötzschenbroda vor 25 Jahren anschauen.

Die komplette Route wird im Programmflyer ausführlich beschrieben, welcher ab August in der Tourist-Information und den Radebeuler Kultureinrichtungen erhältlich ist.

Karin (Gerhardt) Baum

am 18. August 2018 von der Oberlößnitz nach Kötzschenbroda
Strecke: 6 km, Zeitdauer: 6 Stunden

DIE STATIONEN im Überblick
10.00 Uhr Treffpunkt in der Oberlößnitz, Kinderarche (ehem. Wachsche Villa)
>Begrüßung durch die Oberlößnitzer und das Organisationsteam
>Vorstellung der Stadtführer Hans-Georg Staudte und Frank Andert
sowie der Leiterin des Rucksackmuseums Karin Baum
>Kleine Stärkung auf den Weg
10.15 Uhr Aufbruch der Expedition
>unter kundiger Führung während der gesamten Strecke
10.30 Uhr Eduard-Bilz-Platz mit „Nymphe“ und Trinkbrunnen
>Gespräch mit Wolfgang Hentsch und Anwohnern
11.00 Uhr ehem. Alvslebenplatz, Figurengruppe mit „Bacchanten“
>Kurzvortrag von Hans-Georg Staudte und Frank Andert
11.30 Uhr Neues Gemeindehaus der Lutherkirche
>Rundgang mit Christof Heinze
12.00 Uhr Karl-May-Museum
>Rundgang mit Dr. Christian Wacker
12.30 Uhr Karl-May-Hain
>Rundgang mit Heike Funke und Sebastian Fauck
>kleine Erfrischung
13.30 Uhr OS Radebeul-Mitte
>Historisches Schulgebäude, Kurzvortrag von Hans-Georg Staudte
und Frank Andert
>Sanierter Plattenbau, Rundgang mit Monika Hornuf
14.30 Uhr Gemeindegrenze Serkowitz/Kötzschenbroda
>Übergabe des Staffelstabes von den Oberlößnitzern an die Kötzschenbrodaer
>Empfang der Ankömmlinge mit Brot und Salz, Wasser und Wein
15.15 Uhr sogenannter „Galgenberg“ am Gottesacker
> Kurzvortrag von Hans-Georg Staudte und Frank Andert
15.30 Uhr Friedenskirche
>Kirchhof, Sandsteinplastik “Chronos und die Trauernde“,
Kurzvortrag von Hans-Georg Staudte und Frank Andert
>Luthersaal, Ausstellung des Inhaltes der geöffneten Turmkapsel,
Gespräch mit Annegret Fischer
16.00 Uhr Kulturschmiede mit Kulturamt, Stadtgalerie und Heimatstube
>Kaffeetafel auf dem Innenhof
>individueller Besuch der Ausstellungen „Sieben Radebeuler Begegnungen“,
„Indianerland“, „25 Jahre erstes saniertes Gebäude in Altkötzschenbroda“

 

Kommen und Gehen ist jederzeit möglich!
Gemeinden: Oberlößnitz, Radebeul, Serkowitz, Kötzschenbroda

Radebeuler Begegnungen
unter Schirmherrschaft des Radebeuler Bürgermeisters Bert Wendsche

Kontakt: SG Kunst- und Kulturförderung
galerie@radebeul.de, 8311-600, 0160-2357039

Worüber sich nicht zu schreiben lohnt, davon sollte man eigentlich besser schweigen

Über das Sommertreffen des Vereins „Radebeuler Monatshefte e.V.“, das Fragen aufwirft

Vereinsvorsitzende Ilona Rau eröffnet das Sommerfest
Foto: Karin (Gerhardt) Baum

Manch einer, der dabei gewesen ist, behauptet heute, es habe sich so verhalten: Es war ein trüber Februarfreitagabend. Die Jahresversammlung 2018 von „Vorschau & Rückblick“ dämmerte nach etwas mehr als zwei wortreichen Stunden ihrem mitteilungsarmen Ende entgegen. In dem Moment, wo ein letztes Aufbäumen Richtung Käsespieße und Lachsschnittchen die Leiber noch einmal in Bewegung brachte, meldete sich Frau Stiller zu Wort. Ob man sich denn nicht auch einmal im Sommer treffen könnte. Ob es denn immer in der Galerie sein müsste. Ob wohl Interesse bestünde, im Minckwitzschen Weinberghaus in gleicher Runde zusammenzukommen.

Minckwitzsches Weinberghaus
Foto: B. Kazmirowski

Ja, so könnte es gewesen sein. Oder eben auch anders. Gesichert ist jedoch, dank des deutlich geringeren zeitlichen Abstandes, dass sich am längsten Tag dieses Jahres tatsächlich knapp 30 Personen an der Niederlößnitzer Hangkante zusammenfanden, um das einzulösen, was Frau Stiller mutig im Februar angefragt hatte. Können Sie sich, liebe Leserinnern und Leser, vorstellen, wie mühselig es ist, diesen Artikel zu schreiben? Es passierte, wie soll ich sagen, eigentlich nichts. Es wurde geredet, gegessen, getrunken. Dann war Schluss und alle gingen vergnügt nach Hause. Gut, der Blick von dort oben über das Tal war mega toll. Super Lichtspiele dank Sonne und Wolken. Voll krass! Das kann man aber auch anderswo haben. Bismarckturm. Spitzhaus. Sternwarte. Ereignisreich geht anders.

Hausherr von Minckwitz berichtet von der langjährigen Familiengeschichte des Anwesens
Foto: B. Kazmirowski

Ehrlich. Man hätte auch zu Hause Fußball-WM schauen können, wenigstens ein Elfmeter wurde ja praktisch in jedem Spiel gegeben. Oder soll ich etwa von dem vigilanten Gast berichten, der noch vor dem eigentlichen Beginn sich mit breitem Grinsen den Platz direkt am Buffet gesichert hatte und der ihn am Abend auch nicht mehr preisgeben sollte? Fühlte er sich in besonderer Weise dazu legitimiert, weil er zur Vereinsvorsitzenden Ilona Rau gute Beziehungen pflegt? Bedarf es der besonderen Erwähnung, dass die Stadtgaleristin Karin Baum in Begleitung ihres Mannes den Anteil der ganz in Schwarz gekleideten Personen mit einem Schlag um 200% erhöhte? Ist es allen Ernstes mitteilungswürdig, dass die von den Redaktionsmitgliedern der Ü 60-Generation beharrlich als „Jugendredaktion“ betitelten Kollegen Graedtke und Kazmirowski (die beide auch im fünften Lebensjahrzehnt sind….) dem verstimmten Klavier Töne entlockten, die nicht wesentlich störten, weil sie ohnehin kaum gehört wurden?

Gäste und Vereinsmitglieder lauschen den Reden
Foto: Karin (Gerhardt) Baum

Dürfte ich auf Interesse für die Information hoffen, dass die von Ulrike Kunze mitgebrachte Käse-Schinken-Rolle („Geht ganz einfach, du brauchst nur…und dann…weiter…und danach… so etwa 3 Stunden später…am nächsten Tag…“) der Star unter den vielen Buffetsternchen war? Was wäre gewonnen, wenn ich darauf aufmerksam machte, dass Wolfram von Minckwitz, der Eigentümer des Ensembles (und Gatte Frau Stillers), einen lebendigen Eindruck von der langen Geschichte des Berghauses vermittelte und insbesondere auf die Mühen der denkmalgerechten Sanierung in den letzten 30 Jahren zu sprechen kam? Worin könnte der Effekt bestehen, anzumerken, dass sich das auratische Berghaus unterdessen zu einem weithin beliebten Ort für Familienfeiern gemausert hat, sodass jener gut beraten ist sich zu melden, der für 2019 einen Termin für ein Wochenende im Sommerhalbjahr buchen möchte (wolframvonminckwitz@gmail.com)? Besteht Einverständnis aller unmittelbar Beteiligten darüber davon zu sprechen, dass die über die Tische fliegenden Gespräche, die vom kühlen Abendwind lustig bewegten Wortfetzen, dass all die in Wein und Saft und Wasser getränkten Gedanken, dass die durch Beigabe von Brot und Käse und Fleisch hervorgebrachten Ideen insgesamt, rundherum, alles in allem und ganz allgemein einen schönen, geselligen, anregenden Abend ermöglichten, dessen Gewinn und Genuss darin bestand, dass Redaktion und Leserschaft Gemeinschaft pflegten? Was bliebe also, wenn es sich wirklich so verhielte? Der Wunsch nach Wiederholung.

Musikalische Akzente von Redakteur Sascha Graedtke zum Abendausklang
Foto: Karin (Gerhardt) Baum

Danke, liebe Leser, dass Sie gekommen sind. Danke, liebe Frau Stiller, dass wir kommen durften. Danke, lieber Herr von Minckwitz, dass wir alle Ihre Gäste sein durften.

Für die Redaktion
Bertram Kazmirowski

Indianerland für immer

Kinderzeichnungen von Holger John und Claus Weidensdorfer in der Radebeuler Stadtgalerie

Wie es zu diesem ungewöhnlichen Kunstprojekt mit den Kinderbildern von zwei namhaften Malern und Grafikern aus dem Dresdner Raum kam, ist schnell erzählt.

Vor etwa einem Jahr fragte ich Holger John, ob er sich vorstellen könne, als Sommergast in der Stadtgalerie auszustellen. Er sagte zu, suchte aber nach einer zündenden Idee, die sich mit den Besonderheiten der Stadt Radebeul verbinden ließe.

Das Kunstkooperationsteam zur Vernissage in der Stadtgalerie mit Dr. Christian Wacker, Holger John, Ulrike
Weidensdorfer, Karin Baum, Angela Hampel, Christian Schiller
Foto: K. (Gerhardt) Baum


Die fand er in der Jubiläumsausstellung der Städtischen Kunstsammlung. Dort entdeckte ein Kinderbild von Claus Weidensdorfer. Dargestellt war ein mit Buntstiften gezeichneter Indianerkopf, welche zur Initialzündung führte, die schließlich eine Kettenreaktion auslöste. „Wo eine Kinderzeichnung ist, sind bestimmt noch weitere“, hatte sich Holger John gedacht und damit ins Schwarze getroffen. Etwa 50 Blätter aus frühesten Kinder- und Jugendtagen fanden sich bei den Weidensdorfers in einem Pappkarton.

Von sich selbst besaß Holger John über 200 Kinderzeichnungen, denn als Sohn des Malers und Grafikers Joachim John wurde sein Talent frühzeitig erkannt und gefördert. Bereits mit fünf Jahren gewann er den 1. Preis beim Kunstwettbewerb der Ostsee-Anrainerstaaten und als 14jähriger eine Goldmedaille auf der Grafikmesse in Leipzig. Seine Mutter, eine Kunsterzieherin, hatte die Werke des Knaben gesammelt und sorgsam bewahrt.

Zeichenschüler Holger John mit seinem Lehrer Claus Weidensdorfer am 10. Juli um 13.10 Uhr
Foto: Repros K. (Gerhardt) Baum


Wenngleich der Altersunterschied zwischen Claus Weidensdorfer (geboren 1931) und Holger John (geboren 1960) auch knapp drei Jahrzehnte beträgt, hatten sich ihre Wege doch mehrfach gekreuzt. Während Johns Mutter zusammen mit Weidensdorfer studierte, arbeitete John in den 1990er Jahren an der Dresdner Kunstakademie als dessen Assistent. Was beide Künstler verbindet, sind die musisch aufgeschlossenen Elternhäuser, ist die Lust am Figurenerfinden, die Affinität zum Bildträger Papier und das leidenschaftliche Bedürfnis, beständig zu zeichnen, so wie andere reden, singen oder schreiben. Diesen freien Geist, den hintergründigen Humor und einen wachen Blick auf die Welt haben sie sich zeitlebens erhalten.

Von Holger Johns Idee, seine Kinderzeichnungen mit denen von Claus Weidensdorfer gemeinsam in der Stadtgalerie auszustellen, waren sowohl Claus Weidensdorfer als auch dessen Frau Ulrike Weidensdorfer sehr angetan. Aus der Personalausstellung wurde unversehens eine Gemeinschaftsausstellung mit Arbeiten, die bisher noch nie gezeigt worden sind.

Holger John »Indianer am Lagerfeuer« (Detail) 1969,
Wasserfarbe
Bild: Repros K. (Gerhardt) Baum


Der Ausstellungstitel „Indianerland“ steht im weiteren Sinne als Synonym für das „Land der Phantasie“. Zum Komplex der Kinderzeichnungen wurden einige interessante Kontrapunkte gesetzt. So hatte John, der die Ausstellung konzipierte, von beiden Künstlern jeweils zwei Arbeiten aus späterer Zeit eingefügt, zu der sie bereits als freischaffende Maler und Grafiker Anerkennung gefunden hatten. Die Künstlerkollegin Angela Hampel steuerte ebenfalls zwei Kinderzeichnungen bei, gewissermaßen als Beweis, dass Mädchen auch Indianer zeichnen können und wollen. Zu sehen sind u.a. von Claus Weidensdorfer vier alte Schul- und Zeichenhefte, einige Spielzeugindianer aus den 1930er Jahren sowie von ihm geschnitzte und bemalte Holzfiguren aus den 1980er Jahren.

Gedankt sei allen, die sich von Holger Johns Euphorie anstecken ließen und spontan an der Ausstellung „Indianerland“ beteiligt haben.

So steuerte Christian Schiller aus seiner Privatsammlung drei Falschgesichter vom Stamme der Irokesen und die plastische Nachbildung eines Dakota-Häuptlings mit Friedenspfeife bei.

Vom Karl-May-Museum wurden leihweise ein Tipi und vier lebensgroße – von Wind und Wetter arg mittgenommene – Indianerfiguren zur Verfügung gestellt, deren einstiger Daseinszweck das Werben für den Konsum von Tabakerzeugnissen war. In seinem Redebeitrag zur Vernissage betonte der neue Direktor des Karl-May- Museums Dr. Christian Wacker, wie sehr es ihn freut, dass es zwischen dem Karl-May-Museum, der Dresdener Galerie Holger John und der Radebeuler Stadtgalerie zu dieser Kunstkooperation gekommen ist. Für eine weitere Zusammenarbeit zeigte er sich aufgeschlossen. Auch wies er noch einmal darauf hin, dass die positive Einstellung vieler Deutscher gegenüber den indigenen Völkern vor allem auch durch die Bücher von Karl May geprägt worden ist. Selbst wenn sich dieser dabei vieler Klischees bediente, die schon damals mit der Realität weit auseinandergingen.

In Bezug auf seine eigenen Arbeiten äußerte John, dass „aus Beobachtung, Erlebtem und Erdachtem ein phantastisches, skurriles, poetisches und dramatisches Weltbild-Theater“ entstanden sei.

Claus Weidensdorfer »Winzerumzug« (Detail) 1946, Tusche
Bild: Repros K. (Gerhardt) Baum


Und von Coswig aus gesehen – wo Claus Weidensdorfer aufgewachsen ist – wird das Indianerland wohl bereits in Radebeul hinter den blauen Bergen begonnen haben, denn dort befindet sich das Karl-May-Museum. Sicher wird er auch noch Patty Frank erlebt haben, wie er Pfeife rauchend in der Blockhütte am Kaminfeuer saß und von seinen Reisen in ferne Länder abenteuerliche Geschichten erzählte.

Spannend ging es aber nicht nur bei den Indianern zu. Da gab es das Land der Zwerge, die aufregende Zirkuswelt oder unmittelbar vor der Haustür den Winzerumzug mit vielen obskuren Gestalten. Als Jugendlicher begann er sein Umfeld durchaus mit anderen Augen zu sehen. Themen wie Krieg, Zerstörung und Wiederaufbau wurden nun reflektiert.

Ähnliches kann man auch bei John beobachten. Die Helden seiner Kindertage sind Indianer, Cowboys, Ritter, Millionäre oder Friedensfahrer. Detailreich schilderte er eine Schlägerei im Saloon oder was er durch Kinderaugen beim Kneipenbesuch mit dem Vater alles wahrgenommen hat. Er interessierte sich für Timur und seinen Trupp sowie die Kinder in Vietnam. Die Orte des Geschehens führen den Betrachter vom Mittelmeer über die Hölle ins Gruselschloss und von dort in einen Lampenladen. Die Phantasiewelten beider Künstler bieten für Kinder und Erwachsene gleichermaßen Anregung, Genuss und Vergnügen.

Zur heiteren Eröffnungszeremonie am 13. Juli hieß Holger John alle „Träumer, Hochstapler, Veganer, Eingeborene, Frei- und Querdenker willkommen im „Land der Phantasie“, dem Mittelpunkt der Welt“. Als Künstler und Kurator dieser Ausstellung zündete er ein Feuerwerk und löste damit viele Impulse aus, die zum Nachdenken anregen, wie die Potenziale unserer Stadt neu verknüpft werden könnten. Auch hat sich uns allen eine völlig andere Seite von Claus Weidensdorfer offenbart und wir fragen uns, warum sind wir nicht selbst auf die Idee gekommen? Fehlte es etwa an Phantasie?

Eine Botschaft der Ausstellung könnte sein: Lasst den Kindern Raum und Zeit zum Träumen, für Neugier, Abenteuer und zum Geschichtenerzählen. Die kindliche Phantasie ist ein sprudelnder Quell, aus dem wir ein Leben lang schöpfen.

Karin (Gerhardt) Baum

Editorial 8-18

Was für ein Sommer! Der immerblaue Himmel verweigert schon seit Monaten beharrlich die erhofften Regengüsse.

Was des Bauern und Gärtners Leid, beglückt nun geradezu alltäglich die Badefreudigen auch jenseits von fernen Urlaubszielen. Um Radebeul ist es mit Badegelegenheiten ja nicht so reich bestellt. Immerhin, im Umfeld von Moritzburg finden sich in der verzweigten Seenlandschaft für ausgesprochene Naturliebhaber die herrlichsten Stellen.

Hier vor Ort erfreut sich das traditionsreiche Bilzbad mit Wellenspiel bereits seit vielen Generationen größter Beliebtheit. Als elbnahes Pendant lädt seit fast 70 Jahren das Lößnitzbad, hervorgegangen aus einer Naundorfer Kiesgrube, mit großzügigen Wiesenplätzen zum Verweilen ein. Seit letztem Jahr wurde der kleine Teich zur sogenannten offenen Badestelle erklärt, bei freiem Eintritt, aber in Eigenverantwortung ohne Rettungsschwimmer, Sprungbrett und Umkleidekabinen. Wie kaum anders erwartet, hat sich als Ableger der „Leibspeiserei“ hier „Michas Kuchenbude“ zur kulinarischen Freude für Badegäste und Vorbeikommende seit dieser Saison etabliert.

Und auch andernorts in Radebeul gibt es in jüngster Zeit die eine und andere Veränderung.

Der Rosa-Luxemburg-Platz, angelegt im 19. Jahrhundert, ist seit Monaten weiträumig eingezäunt. Wege und Grünflächen werden umfassend neugestaltet. Beim Stadtteilfest am 25. August wird der Niederlößnitzer Schmuckplatz im Zentrum des Geschehens stehen.

Leider ist hingegen die kleine Einkaufshalle „nah & frisch“, unmittelbar hinter dem Platz, auch lange schon von Bauzäunen umstellt. Nicht, wie erhofft, aus Sanierungsgründen, sondern aufgrund einer plötzlichen und dauerhaften Schließung des langjährigen Familienunternehmens. Ihnen sei an dieser Stelle nochmals Danke gesagt! Vielen Anliegern wird das gut geführte Geschäft sehr fehlen.

Sascha Graedtke

BLITZ UND DONNER und deren späte Auswirkungen in Radebeul und Umgebung

Nein, ich arbeite nicht an einem Zweitberuf und habe auch keinen Kurs Meteorologie in der Volkshochschule belegt.

Weinbergstraße 48/48a Foto: D. Lohse Foto: D. Lohse

Die oft erlebte Optik eines Blitzes an einem Sommerabend ist eine Zickzacklinie zwischen Himmel und Erde, also eine meist senkrechte Bewegung. Wenn ein Mensch dieses Phänomen zeichnerisch darstellen wollte, würde er abstrahieren und es käme wohl immer so eine gebrochene Linie heraus, vielleicht ein regelmäßigeres Zickzackband als es die Natur hervorbringt.
Unsere Vorfahren im Mittelalter hielten Blitze noch für eine Strafe des Himmels und verwendeten dieses einer Schlange ähnliche senkrechte Symbol als Schutz an ihren Häusern. Derartige stilisierte Schlangen tauchten früher öfter an Hausgiebeln, bzw. am Firstende in Holz oder auch in mehrfarbigem Schiefer auf. Davon versprach man sich Schutz, heute sind solche nach altem Volksglauben der Blitzabwehr dienende Symbole äußerst selten geworden und kaum noch anzutreffen. Ich kann mich schwach an eine solche Begegnung in meiner Jugend in einem Lausitzer Dorf erinnern, weiß aber den Ort nicht mehr. Aber erst dieser Tage entdeckte ich in Ebersbach/Sa. (Ebersbach-Neugersdorf) ein dreidimensionales Schlangensymbol am oberen Giebeldreieck eines Wohnhauses – dreidimensional insofern, weil die hölzerne Schlange vom Giebel absteht und nur wenige Verankerungen an der Holzverschalung hat.

Detail Torsäule Foto: D. Lohse

Detail Bauschmuck Foto: D. Lohse

Detail Bauschmuck Foto: D. Lohse

Die dahinter steckende mittelalterliche Logik war folgende: wenn ich an meinem Haus ein Blitzsymbol (Schlange) anbringe, wird kein echter Blitz einschlagen, weil er erkennt, da ist ja schon ein solcher, wenn auch künstlicher, bzw. künstlerischer Blitz. Der Logik kann ein aufgeklärter Mensch von heute natürlich nicht folgen. Wir sind in dem Punkt schlauer, aber mittelalterlicher Volksglaube oder Aberglaube ging so. Bauliche Zeugen aus dem Mittelalter gibt es kaum in Radebeul und auch an den ältesten Teilen der Friedenskirche in Kötzschenbroda finden wir keine Blitzschlange.
Doch spätestens seit 1752 nach der wegweisenden Erfindung des Amerikaners Benjamin Franklin (1706 – 1790), dem Erfinder des wirklichen Blitzschutzes, dürfte dann der mittelalterliche Volksglaube ein Ende gefunden haben. Dieses Zeitalter heißt nicht umsonst das Zeitalter der Aufklärung!

Am Brand 4, Friedewald Foto: D. Lohse

Wie aber kann man heutzutage das Auftreten von Blitzschlangen in Radebeul bzw. kurz vor dem Ortsschild von Radebeul im Lößnitzgrund an um 1900 errichteten Wohnhäusern erklären – das Mittelalter ist weit weg. Schauen wir uns die Häuser doch mal näher an. Im Falle der Weinbergstraße 48/48a „Haus Hofmannsberg“ handelt es sich um einen älteren Winzerhof, der nach der Reblaus so nicht mehr genutzt werden konnte und 1903 im Sinne des Jugendstils erweitert und als Mehrfamilienhaus umgebaut wurde. Wir erleben gerade das Ende einer gelungenen Sanierung dieses Gebäudeensembles. Im Jugendstil verwendeten die Baumeister und Architekten, hier ein Leipziger in Radebeul tätiger Architekt, gern bewegte Formen aus der Natur, wie Blätter und Blüten, Schwäne oder auch Fledermäuse und verschiedene andere Schmuckformen. So taucht die Blitzschlange aus dem Mittelalter gleich mehrfach als Schmuck auf, wobei wir ganz sicher sein dürfen, der inhaltliche Hintergrund des Mittelalters, der Aberglaube, spielt hier keine Rolle mehr.

Haus in Ebersbach/Sa. Foto: D. Lohse

An beiden Torsäulen (Sandstein) wurden vereinfachte Schlangenmotive vom Steinmetz etwa 2 cm tief in die scharrierte Steinoberfläche eingeschlagen und in der Tiefe fein gespitzt. Die unterschiedliche Oberflächenbehandlung auf der Straßenseite der Säulen trägt zur besseren Wahrnehmung der Bildmotive bei. Am linken Wohnhaus (Nr. 48) finden wir eine weitere stark stilisierte, senkrechte Schlange auf der Ostseite in Höhe des 1. Obergeschosses neben der Loggia, hier allerdings durch unterschiedliche Putzoberflächen von Glatt- gegen Rauputz dargestellt.
Nach dem gleichen Prinzip in Putz hergestellte stilisierte Schlangen finden wir in den Ecklisenen des kleineren Wohnhauses Am Brand 4 in Friedewald / Moritzburg im Lößnitzgrund. Auch hier, an dem um 1905 errichteten Haus, sind die Schlangen nur Schmuckformen, nichts weiter! Welcher Architekt seinerzeit hier wirkte, ist mir nicht bekannt.
Wie von mir geschildert, haben wir die inhaltlichen Wurzeln dieser Gestaltung im Mittelalter zu suchen und erleben nach einem Zeitsprung die gestalterische Wiederentdeckung im Jugendstil. Vielleicht ließen sich bei genauerer Betrachtung noch weitere Beispiele von Blitzschlangen an Häusern in und um Radebeul entdecken?
Aus denkmalpflegerischer Sicht sind diese Schmuckformen selbstverständlich erhaltenswert.

Dietrich Lohse

Leitbulle voran?

Mag sein, dass dem Menschengeschlecht etwas Animalisches anhängt. Wie das Herdentier scheint auch der Homo sapiens gern einem Alphatier nachzulaufen, noch dazu einem Leitbullen. Dass die Tierwelt auch andere Modelle bereit hält, will sich offensichtlich nicht so recht durchsetzen. So zum Beispiel haben die „Afrikanischen Windhunde“ ein Alpha-Männchen und ein Alpha-Weibchen „eingeführt“. Ob hiervon so manche Partei in diesem Land ihre Doppelspitzen abgeleitet hat, ist allerdings noch nicht bewiesen.
Liegt das Verhalten der Tiere in ihren Genen begründet, so soll sich der erlernte Anteil am Verhalten bei höher entwickelten Lebewesen stark vergrößern, behauptet jedenfalls die Wissenschaft. Schon lange erforscht sie recht ausführlich das Sozialverhalten in der Tierwelt. Und so haben Experten in interessanten Studien herausgefunden, dass Schimpansen in hierarchischen Großfamilien leben, dass Vampirfledermäuse ihren hungernden Koloniemitgliedern eine „Blutspende“ gönnen oder dass bestimmte Arten gemeinsame Brutaufzucht betreiben (Altruistisches Verhalten).
Schau ich mir hingegen das Sozialverhalten meiner Artgenossen an, so scheint ihnen im Laufe der Jahrzehnte einiges abhanden gekommen zu sein – da ändert auch der Anstieg der Geburtenrate auf 1,53 Kinder pro Frau in der Bundesrepublik nichts. Von der gemeinsamen Betreuung des Nachwuchses sind wir noch weit entfernt, auch wenn Radebeul hier seine Hausaufgaben gemacht hat. Jeder kann ein Lied von der Endsozialisierung der Gesellschaft singen. Da bekommt man Schläge angeboten, weil man die Blockierung einer Ausfahrt durch einen PKW anspricht, da werden Fahrzeuge auf Fuß- und Radwegen abgestellt, Müll in die Landschaft gekippt und Entscheidungen über die Köpfe der Betroffenen hinweg getroffen. Vom Dieselskandal, von illegalen Waffenexporten, Investruinen und anderen „Kavaliersdelikten“ ganz zu schweigen. Nein, so selbstlos, so altruistisch, scheint diese Gesellschaft wahrlich nicht zu sein.
Damit das Sozialverhalten zwischen Mitgliedern einer Art gut funktioniert, bedarf es unter ihnen einer intakten Kommunikation. So haben die Gorillas gute Beziehungen aufgebaut und können sehr genau differenzieren. Da gibt es auch gleich mal ein paar hinter die Ohren, wenn einer aus der Reihe tanzt. Sie sind aber auch zu liebevoller Zuneigung und Sex in der Lage. Das kann man von der deutschen Bürokratie nun wiederum nicht erwarten. Da haperts schon an rechtzeitiger Information der Bürger, wenn sich gewisse Zuständigkeiten geändert haben. Oft erfährt davon die Öffentlichkeit erst Monate später. Besonders ausgeprägt ist hingegen das kommunikative System bei den Raben. Es besteht nicht nur aus unterschiedlichen Rufen, sondern auch aus verschiedenartigen Gesten. Klar, wer ein Leben lang zusammenbleiben will, so wie die Kolkrabenpaare, der muss sich verstehen. Das freilich scheint in Politik, Verwaltung und Bevölkerung noch nicht so richtig angekommen zu sein, denn da knirscht es auf diesem Gebiet gewaltig, wie man am Erstarken der AfD sehen kann.
In einer anderen Sache scheinen die Behörden von der Tierwelt bereits viel gelernt zu haben. So können sich manche Lebewesen bis zur Unkenntlichkeit verändern, wie etwa das in Malaysia beheimatete Große Wandelnde Blatt, welches die Gestalt eines Eichenblattes annehmen und unschuldig im Wind schaukeln kann.
Selbst die Wölfe, die so mancher nicht leiden kann, scheinen ihr Sozialverhalten in den Griff bekommen zu haben. Nicht nur das sie ihre Beute im Rudel untereinander aufteilen – freilich bekommt der Stärkste das Meiste –, setzt das Elternpaar autoritäres Verhalten nur in besonderen Situationen ein. Das sei Jenen, die sich allzu gerne über andere erheben, dick ins Stammbuch geschrieben.
KUB

Der „Grundhof“ in Radebeul

eine Nachbetrachtung zur Veranstaltung am 25. Mai 2018

Herrenhaus mit Pavillon Foto: G. Täubert

Es passte wieder einmal alles zusammen, das wundervolle Sommerwetter, das erwartungsfrohe Publikum, der einmalig schöne Ort und die freundlichen Gastgeber, die Familie Dr. Cramer, die das Grundstück seit 1997 besitzen und seitdem umfassend saniert haben. Bei der verheißungsvollen Adresse Paradiesstraße hatte sich jeder schon so seine Gedanken gemacht, aber dass es hinter den hohen Mauern wirklich so paradiesisch ist, konnte man sich kaum vorstellen.
Öffnet man das kleine halbrunde Tor in der hohen Bruchsteinmauer, verstellen zunächst Büsche und Bäume den Blick zum Innenhof und zu den Gebäuden. Nach wenigen Schritten liegen die im Lößnitzgelb (Farbe nach Paul Wilhelms Bildern) gestrichenen herrschaftlichen Gebäude, die den „Grundhof“ bilden, vor einem: zuerst das 1801 im klassizistischen Stil gebaute Turmhaus, das ursprünglich noch einen Gartensaal aufgenommen hatte, dann rechts das 1696 erbaute barocke Herrenhaus mit dem hohen Walmdach, daneben weitere Wohn- und die Wirtschaftsgebäude. Verbunden und akzentuiert werden die Bauten durch zwei weiße Pavillons mit barocken Zeltdächern, die den romantischen Eindruck der Gesamtanlage noch erhöhen und 1980 durch den persönlichen Einsatz von fünf Radebeuler Architekten, den Herren Aust, Kunze, Lohse, Meier-Doberenz und Röhricht, vor dem Verfall gerettet wurden.

Foto: G. Täubert

Einst reichte das hier beschriebene Grundstück bis hinauf zu den Bergen, bis zur ehemaligen „Sängerhöhe“ und hatte schon früh die Blicke von Liebhabern und reichen Dresdner Bürgern auf sich gezogen. Es hieß bis 1906 wohl nicht umsonst „Heiterer Blick“. Von der Heiterkeit der Gegend, dem Licht und der natürlichen Anmut ließen sich nicht nur alle Besitzer, sondern auch viele Künstler betören. Besonders die bildenden Künstler kamen gern hierher, um hier zu leben und zu arbeiten, wie z.B. der aus Breslau stammende, sehr begabte, aber leider in Paris zu früh verstorbene Impressionist Wilhelm Claus (1898- 1932), der aus Thüringen kommende und spätere Professor an der Dresdner Kunstakademie Paul Wilhelm (1886-1965) und der in Zschopau geborene Karl Kröner (1887-1972). Vor allem Kröner malte, trotz seiner schlimmen Erlebnisse in beiden Weltkriegen und mit dem Erlebnis Stalingrad, bis ins hohe Alter immer wieder die mediterrane Radebeuler Landschaft mit ihren Weinbergen, den blumenreichen Gärten und den schönen Anwesen mit ihren hohen Mauern. Seinen inneren Frieden fand er aber auch in seinen Räumlichkeiten, die an ein intimes Museum erinnerten und in denen er auch die benötigte Ruhe und Geborgenheit fand. Eine große Zahl von Künstlern kannte Kröner persönlich, wie z.B. Schmidt-Rottluff, Kokoschka, Hegenbarth, Griebel, Otto Müller etc. und viele kamen in sein Atelier. Er selbst hatte in Dresden bei Gotthard Kühl studiert und sich immer für die Entwicklung des künstlerischen Nachwuchses eingesetzt. So engagiert konnte ich ihn noch im Jahr 1967 persönlich erleben.

Gartensaal Foto: G. Täubert

Die Künstlerfamilie Gunter Herrmann und seine Frau Christiane übernahmen nach Kröners Tod die Wohnung und das Atelier. Mit großer Freundlichkeit öffneten sie für uns an diesem Abend ihre Räume, in denen man noch immer die Spuren der Vergangenheit spüren kann und gaben uns Einblicke in ihr Werk und ihre Art zu leben. Das war sehr liebenswürdig. So vielen Menschen seine privaten Räume zu öffnen, ist nicht jedermanns Sache. Aber auch Herr Dr. Cramer führte uns ganz selbstverständlich durch das privat bewohnte Herrenhaus mit seinen Besonderheiten, dem großen Weinkeller und dem eindrucksvollen Gartensaal, der teils klassizistisch und teils biedermeierlich ausgemalt ist (Restaurierung: Thilo Kempe und Gunter Herrmann). Als wir unseren Rundgang durch den Garten und den Park beendeten, stießen wir noch auf das Wasser der Quelle, die einst von den Wahnsdorfer Bauern für die Bewässerung des Grundstückes gekauft wurde und die noch immer fließt und es erwartete uns ein besonders stimmungsvoller Abendhimmel, zu dem die Beschreibung Kröners, als er über die Malerei von Paul Wilhelm resümierte, passt: „Ein seltsamer Himmel – ein die Dinge verzauberndes Licht“. Damit bin ich mit der Betrachtung dieser Veranstaltung am Ende, die ein Besucher ganz lapidar zusammenfasste: „Schöner gehts nicht!“

Gudrun Täubert

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