Gegangen, um in Erinnerung zu bleiben

Ein sehr persönlicher Nachruf auf Herbert Graedtke (*9.12.1941, +18.9.2024)

Foto: B. Kazmirowski

Im Sommer 1994 hatte mich Dietrich Lohse, Vater eines meiner engsten Schulfreunde, angesprochen und mich gefragt, ob ich denn nicht Interesse hätte, für „Vorschau & Rückblick“ zu schreiben. Schließlich sei ich als Student der Germanistik ja prädestiniert dafür. Bei meinem ersten Besuch in der Redaktion im September stellte ich der Runde aus erfahrenen Schreibern – darunter Wolfgang Zimmermann und Dieter Malschewski – die Frage, worüber ich denn überhaupt schreiben sollte? Wie denn ein Thema zum Schreiber käme – oder müsste dieser sich ein Thema etwa suchen? Ich kann den genauen Ablauf natürlich nicht mehr rekapitulieren, aber eines weiß ich: Dieter Malschewski hatte schließlich festgelegt, dass ich im Herbst einmal über eine Premiere an den Landesbühnen Sachsen schreiben sollte, ich möge doch bis zur nächsten Redaktionssitzung mal schauen, was mich anspräche. Mit diesem Auftrag versehen widmete ich mich dem Spielplan und stellte fest, dass im November die Premiere von Arthur Millers „Tod eines Handlungsreisenden“ anstünde. Von diesem Stück hatte ich schon gehört. Ich fand auch heraus, dass die Hauptrolle des Willy Loman Herbert Graedtke spielen würde, was mich sofort elektrisierte, denn dieser Schauspieler war nun wiederum der Vater eines weiteren sehr guten Freundes, Sascha Graedtke (der einige Jahre nach mir auch zur „Vorschau“ stoßen sollte und inzwischen verantwortlicher Redakteur ist). Ich hatte Herbert Graedtke in den Jahren zuvor das eine oder andere Mal getroffen, war als ein Freund seines Sohnes mit ihm bekannt gemacht worden. Manches Mal hatten Sascha, weitere Freunde und ich nach einer Aufführung an den Landesbühnen noch in der Theaterkneipe oder der „Goldenen Weintraube“ gesessen und über das gesehene Stück gesprochen, gelegentlich kam Herbert Graedtke dann zu uns jungen Leuten dazu und bereicherte die Runde mit Anekdoten und Kommentaren. Bei der Redaktionssitzung im Oktober 1994 schlug ich Dieter Malschewski deshalb vor, dass ich begleitend zur Premiere ja auch den Protagonisten interviewen und ein Porträt für das November-Heft 1994 verfassen könnte. Dieser Vorschlag wurde gelobt und so vermittelte mir mein Freund Sascha einen Besuchstermin bei seinem Vater. Am 12. Oktober 1994 betrat ich also aufgeregt das Haus des Schauspielers in der Niederlößnitz, was die Voraussetzung für meinen allerersten Artikel in „Vorschau & Rückblick“ war, der im Heft 11/94 unter dem Titel „Tod eines Handlungsreisenden oder das Leben eines Schauspielers“ erschien. In diesem Beitrag schlug ich einen biografischen Bogen und berichtete von Graedtkes Werdegang von den Anfängen im Berlin der Nachkriegsjahre, seinem Studium an der Filmhochschule Babelsberg ab 1960, seinen ersten Rollen in Zeitz und dann ab 1965/66 in Radebeul, seinen Ausflügen in den Film und wie er sich auf die bevorstehende Premiere vorbereitete.1
Damals, Mitte der 1990er Jahre, war Herbert Graedtke unter allen Schauspielern der Landesbühnen Sachsen derjenige, der am sichtbarsten in die Stadtgesellschaft Radebeuls ausstrahlte und mit seiner Lebens- und Gestaltungsfreude Menschen für Ideen begeisterte. Er war Mitbegründer des Fördervereins des Internationalen Wandertheaterfestival Radebeul und sein langjähriger Vereinsvorsitzender, das seit 1996 mit dem Herbst- und Weinfest in Kötzschenbroda eine harmonische Allianz eingegangen ist und dem Herbert Graedtke mehr als zwei Jahrzehnte als volksnaher Bacchus mit den Weinköniginnen an der Seite seinen Stempel aufdrückte. Einige Jahre zuvor, 1992, hatte er die Karl-May-Festtage mitbegründet und den berühmt gewordenen Sternritt initiiert, wobei ihm seine Verbindungen in die Karl-May-Fanszene zupass kamen, schließlich hatte Graedtke damals schon einige Jahre auf der Felsenbühne Rathen sowohl als Old Shatterhand agiert als auch ab 1987 Regie geführt. Auch das Karl-May-Fest überdauerte die Nachwendeeuphorie und ist inzwischen ein fester Bestandteil des Veranstaltungskalenders in Radebeul und Pflichttermin für die zahlreichen Karl-May-Fans aus Deutschland und darüber hinaus. Kein Wunder, dass Graedtke dann 2006 für sein umfangreiches Engagement mit dem Kunstpreis der Stadt Radebeul geehrt wurde, bevor er im Sommer 2007 aus dem Ensemble der Landesbühnen ausschied und in den nächsten Jahren zahlreiche Engagements in der Theaterlandschaft Dresdens annahm, so u.a. an der Comödie Dresden und als Märchenerzähler in der Yenidze. Das letzte Mal, als ich Herbert Graedtke auf der Bühne erlebte, war im Juni 2019 in einer Inszenierung der „Lustigen Witwe“ an der damals gerade neueröffneten Staatsoperette Dresden im Kraftwerk Mitte. Ich merkte Herbert – längst duzten wir uns – an, dass er körperlich schon nicht mehr ganz der Alte war, ich wusste von gesundheitlichen Beschwerden. Meines Wissens markiert das Engagement als Gast an der Staatsoperette das Ende seiner fast 60 Jahre währenden Bühnenkarriere. Zwei Jahre später, Ende Mai 2021, hatte Herbert seinen wahrscheinlich letzten Auftritt vor großem Publikum, als ihn der Intendant der Landesbühnen, Manuel Schöbel, vor einer Neuinszenierung des „Winnetou“ auf der Interimsspielstätte im Lößnitzgrund für seine Verdienste als Mitwirkender bei Karl-May-Inszenierungen ehrte (siehe dazu auch mein Interview im Heft 7/2021).
Ich weiß nicht, wie ich damals vor 30 Jahren als junger Mann auf den weltgewandten, etablierten und renommierten Schauspieler gewirkt hatte. Danach hatte ich ihn nie befragt. Meinen Artikel musste ich vor Drucklegung Korrektur lesen lassen, das hatten wir so ausgemacht und das war mir als Neuling auch sehr angenehm. Schließlich wollte ich mich ja nicht blamieren! Unserem Treffen sollten noch etliche mehr im Laufe der nächsten 25 Jahre folgen, die allesamt im privaten Raum stattfanden, anlässlich von Familienfeiern oder aber auch zur gemeinsamen Weinlese. Immer erlebte ich Herbert als einen unterhaltsamen Gesprächspartner, der bereitwillig über sich und seine gerade einstudierten Rollen Auskunft gab. Sein leicht schnoddriger, berlinerisch gefärbter Dialekt kam in einem wunderbar weichen Timbre daher, mit seiner Stimme nahm Herbert Zuhörer für sich ein. Herrlich, mit wieviel Liebe er auch über seine Tiere sprach, jahrelang ließ er nahe des Bahndamms der Schmalspurbahn Schafe weiden, hatte er auch Tiere um sich zu Hause. Bewundernswert, wie er sich später im Unruhestand auch politisch engagierte und für die SPD im Stadtrat saß. Gesellschaftlich-politische Missstände wollte er verändern helfen, auch gegen Widerstände.
Herbert Graedtke hat also viele Spuren hinterlassen und unserer Stadt und seinen Bewohnern über Jahrzehnte mit seiner Ausstrahlung gedient und sein Publikum begeistert. Die Trauergemeinde anlässlich seiner Beisetzung am 23. Oktober auf dem Friedhof Radebeul-Ost war deshalb groß und ein Ausdruck des Respektes, den dieser verdienstvolle Mitbürger genießt. Neben ehemaligen Kolleginnen und Kollegen, Lokalpolitikern und Künstlern war auch die Radebeuler Bürgerschaft insgesamt vertreten. Viele davon trugen ihre ganz persönlichen Gedanken an den Schauspieler, engagierten Mitbürger und Freund mit sich und verabschiedeten sich von einem Menschen, an dem man sich nur mit Dankbarkeit und einem Lächeln erinnern kann. Danke, Herbert, für deine Kunst und Menschenfreundlichkeit.
Bertram Kazmirowski

100 Jahre Museum Hoflößnitz, Teil 11

Das »Churfürstliche Weinbergfest« vom 3. bis 6. Oktober hat in diesem Jahr einmal mehr tausende Besucher begeistert, und ein Grund für den besonders großen Andrang am Sonntag war zweifellos der mit 150 kostümierten Teilnehmern (gar nicht so) kleine Winzerzug vom Hörningplatz zur Hoflößnitz, dessen Strecke von einem dichten Spalier schaulustiger Weinfreunde gesäumt war. Im Jubiläumsjahr durfte eine solche Parade nicht fehlen, denn fast auf den Tag genau 100 Jahre vorher, wir hatten es in Teil 7 erwähnt, war, organisiert durch den Vorstand des jungen Museums, der erste große neuzeitliche Winzerzug durch die Straßen der Lößnitz marschiert, beim damals ebenfalls von 3. bis 6. Oktober veranstalteten Winzerfest der Lößnitz 1924, dem hier ein kleiner Exkurs gewidmet sei. Die ›Dresdner Neuesten Nachrichten‹ nannten es tags darauf

»Ein Fest der Hunderttausend«


Wie der edel gestalteten Festschrift zu entnehmen ist, ging die erste Initiative dazu von Ewald Bilz, Mitinhaber des Bilzsanatoriums, aus, den an einem schönen Maienmorgen 1924 beim Rundblick vom anstaltseigenen »Mäuseturm« folgende Vision anwandelte: »Wie Nizza seinen alljährlichen berühmten Karneval hat, zu welchem aus aller Welt die Besucher herbeiströmen, so wird auch unsere Lößnitz in Zukunft ein alljährlich wiederkehrendes großes Heimatfest feiern, in dem die prunkvollen Winzerfeste zur Zeit August des Starken ihre Wiederauferstehung erfahren sollen.« Am 22. Juli trug Bilz die Idee im Oberlößnitzer Kurausschuss vor, der beschloss, »der Lößnitz ein altes sinniges, durchaus bodenständiges Volksfest wiederzugeben, in dessen Mittelpunkt das Heimathaus Hoflößnitz stehen sollte«. Die künstlerische Leitung wurde Museumsvorstand Dr.-Ing. Alfred Tischer übertragen. Die erste Vorbesprechung, zu der alle Vereine der Gegend eingeladen waren, fand am 1. August in der »Goldenen Weintraube« statt. Dr. Tischers Appell, dass gerade der Ernst der von politischer und wirtschaftlicher Not geprägten Zeit erfordere »darüber nachzudenken, mit welchen Mitteln es möglich ist, der Volksseele einige Tage der Erfrischung und Erbauung in dem trüben Grau des Alltags zu bieten«, fand dort breiten Anklang. Gut 60 Vereine erklärten sich zur Mitwirkung bereit, und die Übersicht der für die Festvorbereitung gebildeten Ausschüsse liest sich wie das Who-is-Who der Lößnitz.

Archiv Hoflößnitz

Dass wir uns heute noch ein lebendiges Bild vom Höhepunkt des Festes, dem Winzerzug am 5. Oktober von der Hoflößnitz über Radebeul nach Kötzschenbroda, machen können, liegt daran, dass die Organisatoren die »Heimatfilm-Gesellschaft Dresden« ins Boot holten, um das Ereignis mit dem »Zaubermittel« der Kinematographie zu verewigen. 2015 hat das Stadtarchiv Radebeul dieses Zeitdokument mit einer von Manfred Kugler gestalteten musikalischen Tonspur auf DVD herausgegeben (»Winzerfest der Lössnitz [!], ca. 40 min). Es zeigt, was der DNN-Reporter so schildert:
»Was alte Bilder nur zeigen konnten, was Phantasie des einzelnen sich ausgedacht, das zog mit zahllosen Wagen, Reitern, zu Fuß und in jeder Kostümierung vorüber. Winzer in alten Trachten. Musikkapellen in Uniformen vor 80 Jahren. Ein prächtiger Festwagen des Herbstes, Allegorie aus dem Barock, mit allen Genien und Geistern, die dazu gehören. Bacchus im Siegeswagen, Bacchantinnen und Bacchanten. Ein Amor auf der Tonne mit seinem Gefolge. Nach dem mythologischen ein historischer Teil, Gardisten, Kapellen, Barockuniformen. Kostbare alte Wagen aus kurfürstlicher Zeit. Herren und Damen in alter Tracht, aus den alten Postkutschen grüßend. Der dritte Teil des Festzuges ist dem Weinbau und der Weinbereitung gewidmet. Der Kapelle zu Fuß folgt der Bergvogt und Bergmeister zu Pferde. Der berühmte Winzer des Barock, Paul Knoll, ist mit dabei. Und der älteste Winzer der Lößnitzorte, ein 90jähriger, fährt mit. Biedermeier-Gestalten, Bürger und Bürgerinnen, Winzer und Winzerinnen, allerhand Volk. Weinbutten und Riesentraube. Preßbeilträger und Pritschenleute. Wagen des Weinbaues, der Kelterei, der Böttcherei, auch ein heiteres Weinpantscherbild, die Sektbereitung, der Flaschenabzug, Ausschank und vieles andre. Und zum Schluß Obstbau und Landwirtschaft. Die Üppigkeit der Lößnitz-Früchte und ­Blumen feiert hier Triumphe! Endlos der Zug. Großartig die Zuschauermasse, die seit dem Vormittag mit der Eisenbahn, der Straßenbahn, im Auto, Wagen, zu Rad und zu Fuß hinausgeströmt war in die Lößnitz. Hunderttausend Menschen und mehr haben sich an diesem bunten Zug gefreut.«
Die Presse urteilte einhellig: Das Fest und der 1400 Mitwirkende umfassende Festzug seien »ein gewaltiger Erfolg« (›Dresdner Nachrichten‹) gewesen, und: »Es wird gewiß nicht wieder 84 Jahre [wie seit dem Winzerfest von 1840] dauern, bis das nächste folgt.« (DNN) Tatsächlich sollten bis zu einem vergleichbaren Winzerfestzug durch ganz Radebeul sogar noch ein paar Jährchen mehr vergehen, bis 2015, womit wir wieder bei der jüngeren Geschichte der Hoflößnitz angelangt sind. (Schluss folgt.)
Frank Andert

Editorial

Und schon wieder neigt sich ein überaus ereignisreiches Jahr dem Ende zu!
Die Natur zeigt sich dieser Tage nochmals mit großer Kraft und vollster Farbenpracht, bevor der November im üblich düsteren Grau versinkt.
Was für ein Jahr für Radebeul?! Die Festivitäten und Veranstaltungen zu „3 x 100“, 100 Jahre Stadtrecht Radebeul, Stadtrecht Kötzschenbroda und Weinbaumuseum Hoflößnitz finden ihren Abschluss.
Der traurige Anblick aller Weinberge nach dem verheerenden Spätfrost im Frühjahr wich einem gewissen Trost im Herbst, wo die Winzer in Abhängigkeit ihrer Lagen doch noch den einen oder anderen hoffnungsvollen Tropfen in die Fässer brachten.
Mit den fallenden Blättern schließen nun leider auch die herrlichen Straußwirtschaften, mal versteckt, mal gipfelthronend, immer wieder zu ausgedehnten Spaziergängen zwischen den Weinbergen einladend.
Wer alsbald ein gemütliches Plätzchen mit regional-kulinarischen Freuden sucht, dem sei die in diesem Jahr neueröffnete Lößnitzbar auf dem Gelände des Lößnitzbades empfohlen. Mit Stil und Leidenschaft wurde der einst öde Gastraum zum gern Verweilen hergerichtet, und bietet mit Ausstellungen, Livemusik oder Lesungen ein überaus buntes kulturelles Angebot. Lassen Sie sich überraschen!
Ein anderer Gasthof, seit Jahren in Gestalt des Lügenmuseums erlebbar gewesen, wird wohl hingegen (für immer?) verschlossen bleiben.
Aber vielleicht ist das auch nur eine Lüge…

Sascha Graedtke

 

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Und dann steht alles plötzlich auf Abschied: Die farblich so schön gefaßten Wälder werden nach und nach kahl und über die trostlos stoppelig grauen Felder bläst ein steter rauer Wind und läßt erkennen, daß er bald auch anders kann. Wer jung ist, oder jung geblieben, hat sich in aller Heimlichkeit jedoch schon genau darauf gefreut: endlich wieder Drachen steigen lassen und so ein paar „Himmlische Augenblicke“ ganz eigener Prägung schaffen zu können.

Das Blatt für den Oktobermond stammt – anders als die bisherigen Titelgrafiken – aus dem Jahr 1998. Da war der Künstler selbst noch ein gutes Vierteljahrhundert vom eigenen Herbst entfernt und vielleicht sogar noch nah genug an eigenen „Drachenerlebnissen“.

In der für seine Flächenholzschnitte typischen knappen Zeichnung wird wieder eine ganze Welt lebendig: karge graue Stoppelfelder, eine mit Haus und Turm an den Hang geschmiegte Stadt, ein weiter, von einzelnen Wolkenspielen bevölkerte Himmel und schließlich die beiden Menschenkinder mit ihrem Drachen sind wirkungsvoll in Szene gesetzt.

Noch als Betrachter spüre ich den frischen Wind, und gleich fühle ich mich zurückgesetzt in die Freude an der „Drachenpost“, die wir nicht müde wurden, dem frohen Flieger an der langen Leine zuzusenden.

Lebhaft erinnere ich mich, wie immer einer von uns zum Markt fahren mußte, neue Drachenschnur zu kaufen, denn „Unserer“ wollte, wie wir selber späterauch, immer weiter und weiter weg.

Nun holt Michael Hofmann mit einem Holzschnitt „himmlische Augenblicke“ einer vergessen geglaubten Welt in den Herbst des eigenen Lebens zurück.

Thomas Gerlach

Ein schwarzer Tag!

Lügenmuseum geschlossen

Alle, die noch halbwegs bei Troste waren, haben dem 12. August entgegengefiebert, dem Tag, der über das künftige Wohl und Wehe des Lügenmuseums in Radebeul entscheiden sollte. Man wollte, man konnte sich nicht vorstellen, dass die Verantwortungsträger der Stadt, alle die vielen Bekundungen, die fachlich potenten Einschätzungen und Urteile von anerkannten Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens über die außergewöhnliche kulturelle und künstlerische Einrichtung einfach vom Tisch fegen. Dürfen die vielen Bekundungen nur deshalb nicht recht haben, weil sie nicht ins Kalkül passen und ein Stück Vertragspapier mehr Kraft entfaltet als die gelebte Kultur?

Nach dem Gespräch war dennoch Entspannung angesagt. Man hatte einen Kompromiss gefunden, der zwar nicht zu einem besseren Vertrag führte und damit nicht zur Sicherung des Museums für Radebeul, aber Zeit gewann: Schließung des Museums per 1. September 2024, aber Asyl bis 31. März 2025!

Jetzt war die Möglichkeit gegeben, in Ruhe über eine Lösung im Interesse der Bürger, der Touristen der Pensions- und Hotelbesitzer, der Stadtverwaltung und des Künstlerehepaares Zabka nachzudenken. Ein Verlust des ältesten Gasthofes der Stadt oder gar des Museum selbst, welches der bekannte Schauspieler Martin Brambach als „weltweit einzigartig“ bezeichnet – so denkt man –, kann doch auch der Oberbürgermeister Bert Wendsche nicht wollen.

Das Lügenmuseum – letzte Aufnahme?, Foto: K. (Gerhardt) Baum

Am 16. August wusste die Sächsische Zeitung Online von dieser Übereinkunft zu berichten und von einer nochmaligen Ausschreibung des Objektes in diesem Jahr. Auch ein Interessent sei vorhanden. Bereits für die Septemberausgabe hatte ich deshalb einen hoffnungsfrohen Beitrag zum Lügenmuseum verfasst, den ich aber kurzfristig zurückziehen musste, weil sich erneut die Situation zugespitzt hatte, aber der Redaktionsschluss bereits überschritten war. Nach einigem weiteren Mailverkehr zwischen Stadt und Lügenmuseum war dann offensichtlich die Geduld bei der Stadtverwaltung aufgebraucht. Sie bestand nun auf ein schriftliches Übereinkommen für ein Übergangsmietvertrag und die unbedingte Einhaltung der darin aufgeführten Punkte. Eine geplante Schlüsselübergabe kam nicht zustande.

Die Stadt sieht sich rein formal auf einer rechtlich, juristisch sicheren Position. Selbstverständlich ist es ihre freie Entscheidung, mit ihrem Eigentum nach eigenem Gutdünken umzugehen. Ob sie sich dabei aber auch auf sicheren moralischen Grund bewegt, muss angezweifelt werden. Sie kann natürlich ihre Vorstellungen von der Vertragsgestaltung durchsetzen. Aber handelt sie dann noch im Interesse aller ihrer Bürger und ihrer Aufgabe, alles für eine allseits entwickelte Kultur in ihrer Stadt zu tun, wenn auch dieses Museum den Ort verlassen muss?

Kommt es soweit – und die gegenwärtige Entwicklung lässt dies befürchten – wird Radebeul mit Gewissheit in die Geschichte eingehen, aber als eine Stadt, die sich in kurzer Zeit von einer Stätte der Künste zu einem Ort des Verlustes von Kulturgut entwickelt hat. Diese Einschätzung braucht man nicht ausschließlich am Umgang mit dem Lügenmuseum festzumachen. Die kulturelle Talfahrt ist seit langem sichtbar und hat nicht erst mit der Schließung des Zeitreisemuseums begonnen. Jeder kulturinteressierte Bürger aus Radebeul und Umgebung kann die Verluste selbst an den Fingern abzählen. Zwei Hände reichen nicht! Die Stadt hat alle Chancen in die Negativliste des „Deutschen Zentrums [für] Kulturgutverluste“ aufgenommen zu werden. Von überalterter Künstlerschaft, fehlenden preisgünstigen Atelierräumen, von den verkauften, verpachteten, vermieteten oder abgerissenen Gebäuden, die einer anderweitigen Nutzung hätten zugeführt werden können oder von den Ungereimtheiten der bisherigen kulturellen Entwicklung ganz zu schweigen.

Das Kulturentwicklungskonzept der Stadt Radebeul – kaum beschlossen – hat bereits einige „blinde Flecke“. Mag das Verhalten von Herrn Zabka kritikwürdig sein. Seine künstlerischen, bildenden und kulturpolitischen Leistungen sind unumstritten.

Das Signal, welches die Stadt aussendet, ist jedoch verheerend: Engagement wird scheinbar nicht gebraucht! Denn wir wissen allein, was richtig und wichtig ist. Alternativen wurden nicht diskutiert, die Stadtgesellschaft nicht mit einbezogen. Eine städtische Kultur sollte sich durch Vielseitigkeit auszeichnen und nicht allein durch Tradiertes. Aber dieser 1. September 2024 wird als ein „schwarzer Tag“ für die Bürger eingehen. Stadtverwaltung und Stadtrat bestimmten, was für eine Kultur, für eine Kunst, der Bevölkerung zugemutet werden kann! Wenn das die große Freiheit ist, dann will ich gern verzichten.

Am Anfang jeder Barbarei steht immer auch der Angriff auf die Kultur. Oder mit Peter Hacks gesprochen: „Erst vergammeln die Zwecke, dann die Mittel.“

Karl Uwe Baum

„Wahr-Zeichen. Zeitzeugen der Geschichte“


Unter dieses Motto hat die Deutsche Stiftung Denkmalschutz den Tag des offenen Denkmals im Jahr 2024 gestellt.

Unser Verein präsentierte am 8. September sein neuestes Projekt, den Pavillon am Mohrenhaus an der Moritzburger Str. 51 in Radebeul. Bereits 2022 konnten wir eine „KulturSpur“ hierhin legen.

Nachdem am Tag zuvor zahlreiche Helferinnen und Helfer aus dem Verein den Pavillon und das Umfeld intensiv geputzt hatten, öffneten wir um 10 Uhr den Pavillon.

Kaffeehaussalonkapelle Dresden, Foto: Archiv Verein für Denkmalpflege und Neues Bauen Radebeul

Für die deutlich über 200 Besucher gab es bei Kaiserwetter neben Führungen und Informationen am Pavillon und zur künstlichen Ruine auch Musik und Wein. Den Auftakt machte das Hornquartett der Robert-Schumann-Philharmonie Chemnitz. Dann trat ein Trompeten-Duo der Musikschule Radebeul auf. Am Nachmittag sorgte die Kaffeehaussalonkapelle Dresden für heitere Stimmung bei Kaffee und Kuchen.

An dieser Stelle bedanken wir uns bei allen Beteiligten im Vorfeld und am Tag des offenen Denkmals herzlich für ihr Wirken!

Die zukünftige Nutzung des Pavillons aus dem Jahr 1876, der künstlichen Ruine und des angrenzenden Parkareals, liegt unserem Verein und der Stadt Radebeul sehr am Herzen. Warum sollten dort nicht eines Tages kleine Konzertnachmittage oder Lesungen stattfinden und ein Glas Bussard Sekt gereicht werden? Ein „Musikpavillon“ in der Tradition der „Musik-Salons“ des 19. Jahrhunderts vielleicht? Derartige Abendveranstaltungen haben wohl tatsächlich im Mohrenhaus stattgefunden.

Gefragt sind nun vor allem Ideen zur zukünftigen Nutzung. Hier sprechen wir gern auch die Leserschaft dieses Heftes an und freuen uns auf Ihre Anregungen! Oder wissen Sie vielleicht noch mehr zum Pavillon oder zum Park?

2026 feiert der Pavillon seinen 150. Geburtstag! Wir wollen ihn mit Leben erfüllen!

?Unser Hauptaugenmerk gilt jetzt natürlich der Spendenaktion zur kompletten Sanierung und Rekonstruktion des Pavillons. Unser Ziel ist es, spätestens im Frühjahr 2025 mit den ersten Arbeiten beginnen zu können. Wir setzen wieder auf die Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung und den Behörden des Denkmalschutzes!

Der Hinweis dazu befindet sich im gesonderten Flyer oder unter www.denkmalneuanradebeul.de

Jörg Müller und Robert Bialek

Die St.Lorenzkirche zu Halsbrücke

Foto: M. Donath

Unweit von Freiberg erstreckt sich am Ufer der kraftvoll der Elbe zustrebenden Freiberger Mulde, die hier eine größere Flussschleife beschreibt, die Gemeinde Halsbrücke. Hervorgegangen aus einem als „Inselgut“ im Lehnbuch von Markgraf Friedrich III. von Meißen 1349 bezeichneten Vorwerk und dem Kanzleilehngut „zcu dem Halse“ entwickelte sich der Ort am namensgebenden südlichen „halsförmigen“ Rücken der mit Brücken versehenen großen Muldenschleife. Größere Bedeutung erlangte Halsbrücke erst durch den Bergbau und vor allem die Verhüttung von Erzen. Im Jahr 1612 legten die Erzgruben „St.Lorenz“ und „Rheinischer Wein“ eine eigene gewerkschaftliche Hütte an, aus welcher 1663 die Halsbrücker Schmelzhütte hervorging. Im Jahre 1862 entstand in der Halsbrücker Hütte eine Goldscheideanstalt. Sicher hat jeder schon mal etwas von der Existenz der 140 m „Hohen Esse“ – dem dereinst höchsten gemauerten Schornstein der Welt – gehört. „Grabentour“ entlang von Mulde und Bobritzsch oder „Rothschönberger Stollen“ sind weitere Begriffe, die Halsbrücke mit dem Bergbau im Freiberger Revier eng verbinden. Kurzum: Alles in allem ein geschichtsträchtiger Ort! Aber eine eigene Kirche? Fehlanzeige!

Über Jahrhunderte hinweg gehörte Halsbrücke kirchlich zur Parochie Tuttendorf; erst viel später wurde es nach Krummenhennersdorf eingepfarrt. Nach dem Krieg konnte die kleine Gemeinde eine alte Holzbaracke für Christenlehre und Gottesdienste nutzen, die aber in den 1980er Jahren an ihre bauaufsichtlich gerade noch zulässigen Grenzen gelangt war. Deshalb fasste der Kirchenvorstand 1985 zusammen mit Pfarrer Christoph Lehmann (Krummenhennersdorf), juristisch beraten und begleitet von Steffen Heitmann vom Landeskirchenamt in Dresden (später Staatsminister in Sachsen) den Beschluss, eine eigene Kirche zu bauen. Und das unter den Bedingungen einer maroden Bauwirtschaft der ihrem Ende entgegengehenden DDR! Diesem Problem wollte die Gemeinde durch eine Baudurchführung in Eigenleistung und Feierabendarbeit begegnen. Für den zum Kreis der „Planer“ hinzugezogenen Architekten eine nicht ganz alltägliche Aufgabe! Zunächst musste geklärt werden, ob die Gemeinde „nur“ einen allgemein nutzbaren Mehrzweckbau oder einen ganz individuellen, tatsächlich identitätsstiftenden Kirchenbau errichten möchte, der deutlich signalisiert: Hier sind Christen in einem weitestgehend atheistischen Umfeld und der Kirche feindlich gesonnenem Staat präsent! Mit diesem mutigen Bekenntnis als Grundlage konnten nun weitere Überlegungen angestellt werden, die wichtig waren für die Gestaltfindung des Kirchengebäudes. Klar war, einen Bezug zu den Bauwerken des die Gegend seit dem Mittelalter prägenden Bergbaus zu finden, wie sie in deren Architektur der Schmelzhütten und Waschkauen vorkam. Nach alter Tradition musste auch über ein Patrozinium, d.i. eine Schutzherrschaft eines Heiligen, über die neue Kirche nachgedacht werden, um der Kirche einen Namen geben zu können. Alle alten Kirchen und auch die Gruben des Freiberger Reviers waren ganz selbstverständlich Heiligen gewidmet. Man einigte sich auf den hier immer verehrten und um Hilfe angerufenen Laurentius, auch Lorenz genannt. Ihm war bereits 1518 die Grube St.Lorenz geweiht worden; dazu gibt es den in alten Bergbaukarten kartierten, tief unter Halsbrücke verlaufenden Stollen „St.Lorenz Gegentrum“. Also alles ganz handfeste lokale Bezüge!

Foto: M. Donath

Zentrum des neuen, in traditioneller Ziegelbauweise errichteten Gebäudes war nun der Kirchenraum mit seinen ganz eindeutigen liturgischen Bezügen als Versammlungsort der Gemeinde zur Feier der Gottesdienste. Der bis in die Dachkonstruktion hinaufgeführte Raum kann über Faltwände im Erdgeschoss oder über eine Empore erweitert werden. „Zuschaltbare“ Nebenräume waren für Christenlehre, Chorproben, Treffen der Jungen Gemeinde oder für Gemeindefeste gedacht; hinzu kam eine Vielzahl von kleineren Funktionsräumen wie Garderoben, Heizung oder Toiletten. Krönender Abschluss ist ein kleiner Dachreiter an der talseitigen Giebelseite, in dem eine in Freiberg gegossene Glocke läutet – sie ist die „Stimme“ der Kirche, die zum Gottesdienst ruft, verstorbene Gemeindemitglieder auf ihren letzten Weg begleitet oder hell zur Taufe erklingt. Der Platz für die Kirche war ideal gewählt: sie steht weit oberhalb der Ortschaft Halsbrücke an der Kante eines Hanges, der sich bis hinunter in das Tal der Mulde erstreckt. Der Silhouette des weithin sichtbaren Baukörpers kommt damit eine Signalwirkung zu und der Glockenschall ist weit zu hören. Nach einer Zeit unklarer Finanzierung der Baustelle nach der deutschen Wiedervereinigung konnte der Kirchenbau schließlich durch den Bischof der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsen, Dr. Johannes Hempel, 1993 geweiht und von der Gemeinde in Besitz genommen werden. Feierlich trugen die Gemeindeältesten wichtige Ausstattungsgegenstände wie ein großes Kruzifix aus der alten Baracke in den neuen Kirchenraum. Ein traditionell wieder zu verwendender Altar war nicht vorhanden. Die Idee des Architekten war angesichts dieser gestalterischen Freiräume nun, das gesamte Interieur des Kirchenraumes von einem Künstler entwerfen zu lassen. Die Wahl fiel auf Michael Hofmann (jetzt Radebeul). Eines der Hauptstücke des Kirchenraumes ist der Altar, an dem die Gemeinde zusammen das Abendmahl feiert. Historisch waren Altäre so angeordnet und ausgerichtet, dass der Geistliche mit dem Rücken zur Gemeinde die Liturgie betet. Mit modernen Formen der Gottesdienstfeier ist das nur schwer zu vereinbaren. Michael Hofmann schuf deshalb einen freistehenden Altartisch, hinter dem der Geistliche mit dem Gesicht zur Gemeinde alle geistlichen Handlungen zelebrieren kann. Dahinter in der Giebelwand – gleichsam als Adaption der mittelalterlichen Retabeln bzw. Altarschauwände – dominiert ein nahezu raumhohes Fenster den Raum und legt damit den liturgisch wichtigsten Ort fest. Entworfen und selbst hergestellt hat es Michael Hofmann 1991 aus farbigen, grob zugerichteten Glasbrocken – so wie sie aus den Glasöfen kommen, und diese in Beton eingebettet. Das Licht durchstrahlt die Glasbrocken, bricht sich an deren rauen Kanten und tritt zerstreut wieder aus. Dadurch strahlt das Fenster gleichsam aus sich heraus und erzeugt selbst an trüben Tagen eine unglaublich schöne Lichtwirkung. Eingebettet in Beton ist in Halsbrücke mit diesem Material die Legende des Heiligen Lorenz (Laurentius) dargestellt: Schon in der Frühzeit des Christentums galt Laurentius als bedeutender Heiliger. Neben seinem Grab vor den Stadtmauern Roms wurde zur Zeit Konstantins des Großen eine Basilika erbaut. Der Überlieferung zufolge war er als Archidiakon von Rom für die Verwaltung des örtlichen Kirchenvermögens und seine Verwendung zu sozialen Zwecken zuständig. Nachdem der römische Kaiser Valerian den Papst Sixtus II. hatte enthaupten lassen, wurde Laurentius ausgepeitscht und aufgefordert, den Kirchenschatz innerhalb von drei Tagen herauszugeben. Daraufhin verteilte Laurentius diesen an die Mitglieder der Gemeinde, versammelte eine Schar von Armen und Kranken, Verkrüppelten, Blinden, Leprösen, Witwen und Waisen und präsentierte diese als „den wahren Schatz der Kirche“ dem Kaiser. Der Hauptmann, vor dem Laurentius erschienen war, ließ ihn deswegen mehrfach foltern und dann auf einem glühenden Eisenrost hinrichten. Aus diesem Grund wird der Märtyrer mit dem Rost als Attribut dargestellt. Laurentius ist der Schutzpatron vieler Berufsgruppen, die mit offenem Feuer zu tun haben, so auch im übertragenen Sinn der Hüttenarbeiter und Bergleute von Halsbrücke. Die soziale Komponente seines Martyriums ist auch heute wieder ganz aktuell! Sein Fest- bzw. Gedenktag in der römisch-katholischen, der orthodoxen, der anglikanischen und der evangelischen Kirche ist der 10. August.

Kirchenfenster, gestaltet von Michael Hofmann, Foto: M. Donath

Michael Hofmann hat es bei seinem Halsbrücker Fenster meisterlich verstanden, die in seinem grafischen Schaffen verwendete Technik der verlorenen Form des Holzschnittes und das Gegeneinandersetzen von Farben und Flächen auf die Gestaltung des Glasbetonfensters umzusetzen: Das Rost wird für den Gemarterten zur Himmelsleiter, während die Feuerflammen seine Gestalt umzüngeln. Daraus wachsen ihm sogar Flügel; so von Engeln geleitet strebt er zum Himmel empor, der sich ihm öffnet. Welch eine Hoffnung!

Dem Autor, mit dem er noch weitere Kirchen (-fenster) gestaltet hat, sagte Michael Hofmann kürzlich, dass er eigentlich diese ungewöhnliche Technik der Umsetzung seiner bildkünstlerischen Ideen und Gedanken am meisten liebe. Ad multos annos, Micha – und noch viele Ideen für die Menschen beglückende Kunstwerke!

Günter Donath
Architekt und Meißner Dombaumeister a.D.

Editorial

Heute Morgen, am 19. September, der Tag beginnt im herrlichsten Altweibersommerflair. Ich höre MDR Kultur. Ein Beitrag über das Landratsamt in Pirna lässt fast die Zahnbürste haken. Was ist passiert? Der Landrat hatte entschieden, eine bereits aufgebaute Wanderausstellung unter dem Titel »Es ist nicht leise in meinem Kopf« über das Schicksal von 35 geflüchteten Menschen, die heute in Schwarzenberg und Umgebung leben, wieder abbauen zu lassen. Mit der Begründung, sie »polarisiere«. Noch vor der Eröffnung, also vorrangig durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Landratsamtes, gab es »Aufruhr«, weil Aussagen der Asylsuchenden über ihre Befindlichkeit jetzt in Deutschland den Betrachtenden missfielen. Aussagen wie »Wir sind eingesperrt wie hinter einer Mauer«, »Ich habe kein Leben in Deutschland« oder »Ich weiß nicht, ob ich hier bleiben will« wurden als un- verschämt empfunden, es sollte doch eher Dankbarkeit gezeigt werden. In dieser Situation reagierte der Landrat mit der Anweisung, die Ausstellung wieder abzubauen. In einer Behörde, welche eine wichtige Stütze der Demokratie sein sollte. Das fasst man kaum! Ob man persönlich alles Gezeigte gut findet, ist doch zweitrangig. Schließlich sollte ja so eine Ausstellung zum Diskutieren anregen und nicht nur gefallen. Ich hoffe sehr, dass entsprechender Protest zur Rücknahme der Rücknahme führt. Asylrecht hat nichts mit Dankbarkeit zu tun, es ist eine Pflicht für jedes Land in unserer Staatengemeinschaft. Wie die Integration gestaltet wird, das ist allerdings die Aufgabe von Politik und Verwaltung. Und über gutes oder nicht so gutes Gelingen zu berichten, ist ein Recht der Betroffenen und könnte zu Verbesserungen führen. Ich schließe in der Hoffnung, dass der Vorfall in Pirna eine Ausnahme bleibt, denn wir als Öffentlichkeit haben es nicht verdient, dass man uns Möglichkeiten zur Information, zur Meinungsbildung und Diskussion vorenthält. Das gilt für diesen konkreten Fall in Pirna genauso wie für Sachverhalte im Verbreitungsgebiet unseres Heftes, die wir als Redaktion kritisch begleiten.

Ilona Rau

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Geduckt und scheelen Blickes drückt sich der Fuchs zur Seite weg. Er ist sauer, denn dort, wo er gern säße, sitzen schon Zwei. Und sie tun genau das, was er gern täte: Genüßlich machen sie sich über die sonnenreifen Trauben her. Wie der Fuchs haben sie lange auf diesen Tag gewartet. Unter hämischem Krächzen kreist der Rabe über ihren Köpfen, greift sich von oben eine Beere und bringt sie in Sicherheit.
„Ein fabelhafter Herbst“ kann schöner nicht beginnen: An sonnüberfluteten Hängen reift der Wein in der Stille der Tage zu letzter Vollendung, die Zeit des Genusses ist nahe herbeigekommen. Daran ist dem Künstler gerade sehr gelegen, denn dieser Tage kann er einen runden Geburtstag feiern.
Michael Hofmann ist 1944 in Chemnitz geboren. Fünfundzwanzig Jahre später kam er zum Studium nach Dresden. Seither hat ihn das Elbtal nicht wieder losgelassen. Vor inzwischen abermals fünfundzwanzig Jahren bezog er mit seiner Frau ein eigenes Haus in Radebeul. Aus einem seiner Atelierfenster hat er das Minckwitzsche Weinberghaus im Blick. So sind ihm auch der Wein und die mit ihm verbundenen Träume und Geister ständig vor Augen.
Mit der wohlausgewogenen Komposition des Flächenholzschnittes hat der Grafiker die für den besonderen Tag erhoffte Stimmung vorweggenommen. Dabei ist es ihm erneut gelungen, der Spannung zwischen der äußeren Ruhe des Herbsttags und der inneren Bewegtheit des Augenblicks Ausdruck zu verleihen. Die Öffnung der Szene zum Licht zwischen knorrigen Weinstöcken und prallen Trauben trägt auf ihre Weise zur stillen Heiterkeit eines „fabelhaften Herbstes“ bei.

Thomas Gerlach

Mit Stephan Krawczyk poetisch durch das Jahr

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