Bilz-Denkmal

Foto: W. Hentsch

Es ist vollbracht! Nach fast zehnjähriger Denk- und Vorbereitungszeit konnte das Projekt „Bilzplatz – Neugestaltung“ am 11.11.2017 abgeschlossen werden. Die zwei fehlenden Bäume (Ginkgos) wurden gepflanzt. Anwesend waren der Baubürgermeister Dr. Jörg Müller mit Frau Funke vom Gartenamt.

Natürlich waren die Initiatoren, die Bürger der umliegenden Häuser und Vertreter vom Bilz- und vom „verein für denkmalpflege und neues bauen“ dabei. Frau Dr. Heinrich leitete die Aktion.

Noch eine nette Begebenheit: Ein Mitarbeiter von Nehlsen, Herr Andreas Pellmann aus Lindenau spendete aus eigenem Antrieb 300€. Er ist für die Bewässerung vieler Bäume verantwortlich und wollte mit seiner Spende die Begrünung unserer Stadt unterstützen.

Gudrun Täubert

Ein Weihnachtswunsch


Es wird Zeit, dass Schnee kommt.

Es wird Zeit, dass der Schnee den weißen Mantel des Schweigens über vergessene Denkmäler legt, auf dass wenigstens die Augen Ruhe haben eine Zeit. Freilich sind sie nach dem nächsten Tauwetter unschöner denn je alle wieder da, die Villa Kolbe etwa auf der Zinzendorfstraße oder der schöne alte Bahnhof in West.

Es hat also gar keinen Zweck, etwa das Bahnhofgebäude einschneien zu lassen. Vermutlich ist es sogar schädlich, jedenfalls für Dachstuhl und Mauerwerk, wenn zur Nässe auch noch der Frost reinkommt. Der treibt alles so schön auseinander, der Frost, wie Hefeteig. Dabei hoffen wir doch alle, dass im nächsten Sommer wenigstens die Wanderfalken wieder über den Gleisen einziehen…

Es wird wiederholt beklagt, dass es „die Stadt“ – wer auch immer das ist – versäumt habe, den Bahnhof für sich zu reklamieren. Aber die Besitzverhältnisse sind zweitrangig. Entscheidend ist doch, wie die jeweiligen Eigentümer mit dem Besitz umgehen. Auch die öffentliche Hand bietet keine Gewähr für sachgemäßen Umgang. „Bei uns früher“ galt alles als „Volkseigentum“. Aber das Volk war ganz offensichtlich mit dem vielen Eigentum überfordert. In der Folge ist jedoch auch mancher Frevel aus Unvermögen und Un-Vermögen unterblieben.

Altkötzschenbroda blieb aus diesem Grunde – etwas bröckelig zwar, aber sehr charmant – erhalten und konnte wiederbelebt werden. Zwar war „die Stadt“ mit gutem Beispiel vorangegangen, doch das Ganze konnte nur durch den Einsatz vieler gelingen, vieler Vermögen durchaus auch. Es braucht sie also, die privaten Vermögen.

Wo freilich der ungebremste Verfall auch dort fortschreitet, wo ausreichend Vermögen vermutet werden kann, wird, wie im Falle des Großen Unbekannten vom Bahnhof, leicht Absicht unterstellt. Das kann im Einzelfalle ungerecht sein, ist aber folgerichtig: Bald fehlt nicht mehr viel und die Zeit hat ihr Werk getan: Die Erinnerung an das Denkmal kann dann mit dem Besen beiseite gefegt werden. Wem das zu einfach ist, oder zu leise, der nehme einen Staubsauger, denn Arbeit muss ja immer auch ein bißchen laut sein. Danach ist es nämlich möglich, ungebunden „schön neu“ zu bauen, mit Betonung auf preiswert und neu, und ohne lästige Auflagen der ewig gestrigen „Bewahrer“. Vermögen allein machts eben auch nicht. es gehört deutlich mehr dazu.

Wer also zum demnächst anstehenden Weihnachtsfest bei einer guten Fee einen Wunsch offen hat, könnte sich im Sinne der Bürger dieser Stadt wünschen, dass Ver-mögen, Ver-stand und Ver-antwortung an wichtigen Stellen Hand in Hand gehen mögen.

Oder ist das zu viel gewünscht?

Thomas Gerlach

Coswiger Luther-Stein-Verwirrung

Am 31. Oktober jährte sich nun zum 500. Mal die Veröffentlichung der 95 Thesen, die Martin Luther an die Tür der Schlosskirche in Wittenberg geschlagen haben soll.

Ehe das Luther-Jahr 2017 ganz zu Ende ist, möchte ich noch etwas Coswiger Lokalkolorit zum Thema beisteuern.

Die Sächsische Zeitung veröffentlichte in diesem Sommer einen interessanten Artikel zu Luther-Bäumen in Sachsen. Er war für mich sozusagen der Stein des Anstoßes, eine Recherche aus meiner früheren Stadtarchivarbeit zu vollenden und zu veröffentlichen.

Auf den ersten Blick kann Coswig gleich mit zwei Linden aufwarten, die zu Ehren Martin Luthers gepflanzt wurden. Die meisten Luther-Bäume Sachsens (überwiegend Eichen und Linden) wurden aus Anlass des 400. Geburtstages des bedeutenden Reformators gepflanzt, so auch ein Baum auf dem Friedhof an der Brockwitzer Kirche. Eine Marmortafel trägt die Inschrift: Dr. Martin Luther 1483 ? 1883. Außerdem ist sie mit stilisiertem Eichenlaub verziert. Da die Gedenktafel bisher an einer mächtigen Linde stand, die jedoch viel älter erscheint, kommt gleich doppelter Zweifel auf. Gehören Baum und Tafel wirklich zusammen?

Die Luther-Tafel auf dem Brockwitzer Friedhof 2017

Meine Betrachtung soll aber der Linde gelten, die in Sörnewitz vor dem Handwerkerhof in einer kleinen Grünanlage steht. Auf einem großen Gedenkstein ist zu lesen, dass diese Luther-Linde 1917 gepflanzt wurde. Vor 100 Jahren, mitten im Ersten Weltkrieg, erinnerten somit die Sörnewitzer an das 400. Jubiläum der Reformation! Das Denkmal aus Sandstein wurde allerdings erst 1956 anlässlich der 750-Jahr-Feier des Ortes neu gesetzt und feierlich eingeweiht. Und genau damit begann offensichtlich die Coswiger Luther-Stein-Verwirrung.

Einweihung des neuen Gedenksteines in Sörnewitz 1956
Foto: Archiv Museum Coswig

Durch Zufall erfuhr ich, dass vor der Grundschule Mitte bei deren Generalsanierung 2005/2006 ein Stein gefunden wurde, auf dem etwas von Luther und 1917 stand. Für den Stein, der erkennbar nichts mit der Schule zu tun haben konnte, wurde ein neuer Standort gesucht. Respekt vor dem Namen Luther und ein gutes Auge hatten die aufmerksamen Bauarbeiter anscheinend, denn sie bewahrten ihn vorm Bauschuttcontainer. Da Luther ja etwas mit Kirche zu tun hatte, fragte man den damaligen Pfarrer, ob er sich einen Platz für den Luther-Stein vorstellen könne. Er schlug den ehemaligen Friedhof an der Alten Kirche in Coswig vor. Da steht er noch heute – unscheinbar und seiner einstigen Funktion beraubt.

Der Luther-Stein auf dem ehemaligen Friedhof an der Alten Kirche 2008

Wie aber geriet ein Stein von 1917 zu Ehren Martin Luthers an eine erst Ende der 1970er Jahre erbaute ehemals sozialistische Schule, die auch nicht Luthers Namen trug, sondern den des ersten Ministerpräsidenten der DDR Otto Grotewohl? Das interessierte mich schon sehr. Aufklärung darüber konnte der ehemalige Hausmeister der Schule geben, der eine ziemlich abenteuerliche Geschichte zu berichten wusste.

1980 sollte die 8. Oberschule Coswig Grotewohls Namen verliehen bekommen. Der damalige Direktor hatte die Idee, auf einem Stein eine Tafel mit dem neuen Schulnamen anzubringen. Dieser könnte dann feierlich enthüllt werden. Immerhin würde bei der Namensgebung der Sohn Otto Grotewohls anwesend sein. Man beschloss, einen passenden Stein zu organisieren – aber woher nehmen? Die Gedankenkette Stein – Steinbruch – Bosel wurde in die Tat umgesetzt, ein Auto und kräftige Männer organisiert. Bei Dämmerung machte man sich auf, um in besagtem Steinbruch nach einem geeigneten Stein Ausschau zu halten. Nach kurzer Zeit schien er schon gefunden, als brauchbar erachtet und an die Schule transportiert. Bei Tage besehen, entdeckte man jedoch eine dünne Inschrift im Granit: Luther-Linde gepfl. 1917. Nun war guter Rat teuer. Da sich der Stein außerdem als zu klein für den langen Namen des Namengebers erwies, wurde die Stein-Idee ganz verworfen.

Fazit der Aktion: Der mühsam beschaffte Stein wurde, um sich den Rücktransport zu sparen, neben den Haupteingang der Schule gestellt – mit der verräterischen Inschrift nach hinten. Dort blieb er quasi als unfreiwilliges Gestaltungselement unbeachtet bis zur Sanierung der Schule stehen.

Der Luther-Stein vor der damaligen Otto-Grotewohl-Oberschule um 1980
Foto: Archiv Museum Coswig

Blieb nur noch die Frage zu klären, wie der Stein mit solch einer Beschriftung in den Steinbruch gelangte? Die Vermutung liegt nahe, dass er bis zum Jahr 1956 auf die Luther-Linde in Sörnewitz aufmerksam machte. Die Aufstellung des größeren Gedenksteines mit der besser lesbaren Inschrift machte ihn überflüssig. Und so wurde er wohl ganz pragmatisch entsorgt: Stein zu Stein, also in den nahegelegenen Bosel-Steinbruch gebracht. Höchstwahrscheinlich kam er einst auch daher. Dort würde er noch heute vergessen liegen und von Grün überwuchert sein, wenn nicht vor 37 Jahren eine Coswiger Schule einen Namen erhalten sollte …

Eine Frage habe ich dann doch noch: Wäre es nicht schön, den alten Brauch wieder aufzunehmen, und anlässlich des nun 500. Reformationsjubiläums eine Linde in Coswig zu pflanzen? Ein Stein mit Tradition wäre ja bereits da!

Petra Hamann

Ein herzliches Dankeschön an alle, die zur Coswiger Luther-Stein-Entwirrung beitrugen. Besonders sei dem Coswiger Stadtarchiv, dem Karrasburg Museum Coswig und vor allem Herrn Rath mit seinem Insiderwissen gedankt.

Quellen
Sächsische Zeitung vom 8./9. Juli 2017, Schulgeschichte von Coswig, herausgegeben von Karrasburg Museum Coswig, 2005, Coswig in Sachsen, Sutton-Verlag, 2000

Editorial

Der Radebeuler Grafikmarkt hat sich seit seiner Premiere vor 39 Jahren zu einer Institution entwickelt, haben sich Kunstfreunde aus Nähe und Ferne den ersten Sonntag im November in ihrem Kalender dick angestrichen. Stetig steigende Besucherzahlen und eine unverwechselbar entspannte, gleichzeitig aber auch konzentriert die eigentliche Sache – in diesem Fall die grafische Kunst – in den Blick nehmende Atmosphäre zeugen davon, dass wohl nur wenige Termine im Kunstkalender der Stadt und der Region eine solche Bindekraft entfalten und Begegnungen zwischen Ausstellern und Publikum ermöglichen. Auch wir profitierten zum wiederholten Mal davon und bekamen einen lebendigen Eindruck davon, wie vielen Menschen unser Heft etwas bedeutet oder sie sich zu ihm in einer Beziehung sehen. Es kam – ich erkannte ihn wieder – der gutmütig grummelnde Erzgebirgler aus Collmnitz, der wie im letzten Jahr gezielt nach Heften suchte, die er (noch) nicht hatte. Es tauchte eine ältere Dame auf, die sich nach einem Heft aus den 1950er Jahren erkundigte, sie sei damals als Kind auf einem Titelbild abgelichtet gewesen. Es trat Reinhard Zabka alias Richard von Gigantikow vom Lügenmuseum ebenso an unseren Stand wie Gottfried Klitzsch, der auf der Hohen Straße 35 eine Galerie unterhält und eine neue Ausstellung ankündigte, über die er im Februarheft 2018 Näheres verlauten lassen will. Ich wechselte sehr freundliche Worte mit jener Familie, über deren neues Zuhause auf der Meißner Straße 172 Dietrich Lohse und ich zu Beginn des Jahres aus unterschiedlichen Blickwinkeln geschrieben hatten. Es kamen auch zwei junge Männer, die in ihrer naiven Fröhlichkeit Unbefangenheit ausstrahlten und eine Mitgliedschaft in unserem Verein ganz entschieden anstreben, einen entsprechenden Antrag nahmen sie also mit. Ich schüttelte schließlich Hände und tauschte Erinnerungen mit einem Schulfreund, den ich seit 27 Jahren nicht mehr gesehen hatte. Alle diese Begegnungen – und noch viele mehr! – taten gut, machten froh, waren bereichernd. Im Namen der Redaktion von „Vorschau & Rückblick“ wünsche ich allen Lesern eine begegnungsreiche Adventszeit!

Bertram Kazmirowski

„Wie und warum überhaupt Menschen verreisen?“ –

Daniel Kehlmanns Roman „Die Vermessung der Welt“ hatte am Theater Meißen in einer Bühnenfassung der Landesbühnen Sachsen Premiere

Szene mit Michael Berndt-Cananá, Johannes Krobbach und Grian Duesberg Foto: H. König

Es ist schon ein wagemutiger Rückgriff in die Zeitgeschichte, wenn man solch namhafte Wissenschaftler und Forscher – wie es Carl Friedrich Gauß und Alexander von Humboldt zweifelsfrei waren – auf der Theaterbühne wieder auferstehen lässt. Denn immerhin führt uns die Geschichte um diese beiden zeitgeschichtlich ausgesprochen wichtigen Menschen fast zweihundert Jahre in die Vergangenheit zurück. Heute wissen wir von beiden Forschern wesentlich mehr, als es die Menschen jener Zeit wussten. Und wenn damals überhaupt etwas nach außen gelangte, dann erfolgte das über meist unausgegorene und oftmals auch völlig falsche Informationen.
Gauß und Humboldt waren anerkannte Wissenschaftler, die mit ihrer Forschungsarbeit zwar nicht gerade die Welt veränderten, die Menschen aber vor allem neugierig machten. So gesehen schließt Daniel Kehlmanns Buch mit dem neugierig machenden Titel „Die Vermessung der Welt“ durchaus eine Wissenslücke. Und darüber hinaus ist Kehlmann ein ausgesprochen unterhaltender Buchautor. Davon zeugen letztendlich auch die hohen Verkaufszahlen seines Romans. Die vor allem wohl auch die Begehrlichkeiten von Theaterautoren wecken können. Die Bühnenfassung stammt von Dirk Engler. Für die Aufführung der Landesbühnen Sachsen wurde diese Bühnenfassung etwas modifiziert. Der Bautzener Theaterdirektor Lutz Hillmann konnte für die Regie gewonnen werden; die Ausstattung besorgte Miroslaw Nowotny. Premiere war am 14. Oktober 2017 im Theater Meißen.
Man brauchte ein wenig Geduld und auch Zeit, um sich als Zuschauer in das ziemlich komplizierte Geflecht der damaligen gesellschaftlichen Verhältnisse hinein zu denken. Gauß wurde 1777 in Braunschweig geboren; Alexander von Humboldt wurde acht Jahre zuvor – im Jahr 1769 – geboren. Die große Lust am Reisen war bei Humboldt weit intensiver ausgeprägt als bei Gauß. Mit gerade mal 22 Jahren – anno 1799 – kam er dank einer Erbschaft von seiner Mutter in den Besitz einer beachtlichen Summe Geldes. Und machte sich auf nach Südamerika um dort in Venezuela wissenschaftlich zu forschen. Von Humboldt stammt auch die folgende Erkenntnis „Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die Weltanschauung der Leute, welche die Welt nicht angeschaut haben!“ .
Von Carl Friedrich Gauß wiederum stammt die sogenannte „Gauß‘sche Normalverteilung“. Mit der Vermessung der Erde – ergo mit der Geodäsie – beschäftigt sich Gauß erst in seinen letzten Lebensjahren.
Daniel Kehlmanns Roman nun bringt jene beiden wissenschaftlichen Giganten zum gemeinsamen Forschen und Handeln zusammen.
Und nach dem brachialen Erfolg des Romans von Daniel Kehlmann war es wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis der Stoff für die Theaterbühne entdeckt wurde. Dirk Egler schuf die Bühnenfassung. Die Schauspieler Grian Duesberg (Carl Friedrich Gauß) und Michael Berndt Canana (Alexander von Humboldt) dachten sich ganz intensiv in die Welt der Protagonisten von einst hinein. So entstand eine überaus stimmige Inszenierung, die aus der Feder von Dirk Engler stammt. Die Theatermacher Lutz Hillmann und Miroslaw Nowotny mussten darin nur sehr wenig Striche machen; die Inszenierung ging in Meißen so über die Bühne, wie es in der Absicht der Macher lag.

Wolfgang Zimmermann

Markt 1 in Moritzburg – ein interessantes Haus mit vielen Fragezeichen

Ansicht von der Straße, 2009

Ansicht von der Straße, 2009 Foto: D. Lohse

Während meiner Zeit als Artikelschreiber für Vorschau + Rückblick gab es hin und wieder mal ein Thema, das in der Ablage schmorte. Erst hatte ich einen interessanten Ansatz zu einem historischen Gebäude, sammelte ein paar Stichworte, aber fand schließlich, dass es an einer bestimmten Stelle nicht weiterging. Also erst mal in die Ablage!

Alte Eisengussplatte über dem Eingang Foto: D. Lohse

So geschehen im Falle des Hauses in Moritzburg, Markt 1, das mir schon lange im Vorbeigehen trotz oder eben wegen seiner Schlichtheit gefallen hatte. Ich glaubte, alle Quellen außer den elektronischen sowie Personen befragt zu haben, doch es blieben noch allzu viele Fragen offen. Die Stichwortzettel lagen in diesem Fall vier oder fünf Jahre im Stau. Wenn ich mir das etwa dreihundert Jahre alte Gebäude jetzt noch mal vornehme, riskiere ich, dass ich zeigen werde, was ich alles nicht weiß. Zwangsläufig muss ich Zusammenhänge herstellen und meine Phantasie bemühen.
Der Markt (so die Straßenbezeichnung) in der Mitte von Moritzburg ist eine breitere Straße, parallel und westlich von der Schlossallee. Vom Schlossteich den Markt in südlicher Richtung an „Adams Gasthof“ vorbeilaufend und die Auerstraße querend, finden wir auf der rechten Seite das stattliche Anwesen Markt 1. Es unterscheidet sich von den Eisenberger (so hieß Moritzburg früher) Bauernhöfen insofern, dass ein dominantes, zweigeschossiges, von der Straße zurückgesetztes Hauptgebäude, von zwei einen Hof mit Brunnen bildenden, eingeschossigen Nebengebäuden flankiert und durch eine Mauer mit Tor abgeschlossen wird. Das Hinterland ist ein großer Garten, der in weitläufige Weide- und Wiesenflächen überleitet; sozusagen ein unverbauter Sonnenuntergangsblick! Früher war hier anstelle der Wiese der inzwischen trocken gelegte Pressenteich.

Gartenansicht

Gartenansicht Foto: D. Lohse

Über der Haustür finden wir eine Eisengusstafel mit Grafenkrone, verschlungenen sechs Buchstaben und der Jahreszahl 1700. Man möchte glauben, dass diese Kartusche immer schon zum Haus gehört hat und der Schlüssel sein könnte, mit der Krone und den Buchstaben – JHV SGR – den Erbauer des Hauses benennen zu können. Aber da auch die Jahreszahl 1700 geringfügig von der in Akten genannten Jahreszahl 1706 für die Errichtung des Anwesens abweicht, die Buchstaben bisher nicht zuordenbar waren und Kartuschen in der Barockzeit üblicherweise aus Sandstein oder Stuck bestanden, kann die Sache auch ganz anders gewesen sein. Ich biete mal eine Theorie an: könnte es sein, dass es sich vielleicht um eine gusseiserne Ofenplatte handelt, die mit dem Gebäude und seiner Geschichte nichts gemein hat, von einem aufgegebenen Ofen oder gar aus einem anderen Ort stammt und durch einen Liebhaber solch antiker Dinge etwa im 19. Jh. hier als schmückendes Beiwerk (ich glaube, Spolien nennt man das) angebracht wurde? Dann wäre es kein Wunder, dass sich die Geschichte des Hauses mit seinen unterschiedlichen Eigentümern und Nutzungen bisher so schwer entschlüsseln lässt! Die ehem. schwarze Tafel wurde neuerdings farbig gefasst.
Was erkennen wir am Hauptgebäude noch? Es ist massiv zweigeschossig (Naturstein und / oder Ziegel verputzt) mit zwei x sieben Fensterachsen (Süd- und Westseite davon abweichend) und einem Walmdach darüber ausgestattet – ein stattliches, gut proportioniertes Haus; durchaus als Adelssitz denkbar. Als Vergleich ist das etwas kleinere „Goethes Gartenhaus“ in Weimar vielleicht zu weit hergeholt, aber die Kubatur entspricht zB. auch „Adams Gasthof“ in Moritzburg oder dem „Haus Breitig“ in Radebeul, beide 17. Jahrhundert. Durch die Tatsache, dass das Haus teilunterkellert ist und dass knapp 500m südwestlich vom hier vorgestellten Haus es bis ins späte 19. Jh. auf einem Hügel einen Weinberg gab, könnte man noch eine Parallele zur Lößnitz aufzeigen. Gehörte der Weinberg vielleicht zum Haus Markt 1 und war es zeitweilig auch ein Winzerhaus? Wieder eine Theorie, die noch zu beweisen wäre!
Dass es im Laufe der 300-jährigen Geschichte verschiedene Nutzungen in den Gebäuden gegeben hat, sollte uns nicht wundern, das ist anderen Häusern ähnlich ergangen. Die erste Nutzung war sicher der Wohnsitz einer adligen Familie, ein Herren- und Winzerhaus vielleicht. Da werden Beziehungen zu den benachbarten Wettinern, die ja hier in Moritzburg besonders Jagd betrieben und Feste gefeiert hatten, bestanden haben. Daraus könnte sich eine bestimmte Abhängigkeit und Nutzung für das Schloss ergeben haben – die eine Hälfte der in Moritzburg Befragten, meinen, das Haus sei eine Zeit lang Kadettenschule gewesen, die andere Hälfte spricht vom Pagenhaus. Dr. Andreas Timmler, einer der Moritzburger Ortschronisten, zählt zur ersten Gruppe, ich würde mich eher der Gruppe anschließen, die vom Pagenhaus spricht. Kadetten, also Knaben bzw. junge Männer, die eine höhere Militärlaufbahn anstreben, hätten wohl eine Kaserne für diese Ausbildung gebraucht und eine Kaserne sehe ich in besagtem Haus nicht. Bei bestimmter Betrachtung dieses Streites könnte man sogar beiden Parteien ein bisschen Recht geben. Ein belesener Bekannter erklärte mir neulich, dass die beiden „Berufe“ zusammen gehangen haben. An einer Kadettenschule (eine solche steht in der Dresdner Albertstadt) erfolgte die Grundausbildung für alle, je nach Neigung oder Bedarf wurde ein Teil der Kadetten dann Offizier, ein anderer Teil wurde Page. Das Moritzburger Pagenhaus müssen wir uns also als Unterkunft für im Schloss Dienst tuende Pagen und nicht als Schule vorstellen. Und wem gehörte das Haus zu dem Zeitpunkt und wer betreute diese jungen Leute und bis wann genau? Auch das ist zZ. leider nicht bekannt. Im späten 19. Jahrhundert diente es dann normalen Wohnzwecken, möglicherweise mit etwas Landwirtschaft, denn zumindest in einem der Nebengebäude dürfte ein Stall gewesen sein und auf einem Gemälde von Karl Timmler von 1952 erkennen wir hüttenartige Schweineställe im Garten des ehemaligen Pagenhauses. In Notzeiten, wie eben nach 1945, dürfte das Haus auch durch Umsiedler oder Ausgebombte aus Dresden überbelegt gewesen sein. Namen von wechselnden Eigentümern oder Mietern sind Portmann, Schottin, Noack und Künzelmann (hat den südlichen Teil des Grundstücks erworben und bebaut) bis es um 2000 zum Verkauf des gesamten Anwesens an die Familie des Bildhauers Peter Fiedler kam. In jüngerer Zeit wurde nordwestlich ein weiterer Teil des großen Grundstücks abgetrennt und mit einem Neubau an der Auerstraße bebaut.

Historische Ausmalung im Obergeschoss (Reste) Foto: D. Lohse

Das hier ist das richtige Ambiente für eine Künstlerfamilie, aber infolge eines größeren Sanierungsstaus und wegen eigener Wünsche musste erst mal gebaut werden und hat noch nicht aufgehört. Im Zusammenwirken mit dem Denkmalschutz wurden Abrisse von nicht mehr benötigten Anbauten und Zwischenwänden, die im Laufe der Zeit große Räume geteilt hatten, festgelegt. Schwerpunkte der Sanierung waren Dachdeckung mit Biberschwanzziegeln, Freilegen von zugesetzten alten Fensteröffnungen, Aufarbeitung von historischen Fenstern und Neubau von entsprechenden Holzfenstern sowie Abstimmung eines Farbkonzeptes für die Fassaden. Auf besonderen Wunsch von Fiedlers durften die EG-Fenster auf der Gartenseite in der Höhe zu sogenannten französichen Fensten vergrößert werden. Einige Abstimmungspunkte betrafen auch das Innere des Hauses. Im OG wurden Reste einer barocken Ausmalung – Sockelfelder- und Wandfelder mit Girlanden (etwa 1820), auch Deckenstuck und breite

Fiedlers Plastik am Brunnen Foto: D. Lohse

Dielenböden festgestellt, die erhalten werden sollten. Das gleiche traf für wenige überkommene Innentüren zu, verbunden mit dem Wunsch der Denkmalpflege, die festliche Raumfolge der drei großen Räume im OG durch Verbindungstüren (man nennt so eine Abfolge von Räumen „Enfilade“) möglichst wieder erlebbar zu machen. Das Ergebnis dieser Arbeiten am und im Haus ist eine Annäherung an die historische Erscheinung des im Ortsbild des Marktes wichtigen Gebäudes bei gleichzeitigem Erreichen eines neuzeitlichen Komforts für eine junge Familie. Mir scheint, hier wurde ein wirklich passendes Konzept gefunden und baulich umgesetzt, auch für das Ortsbild von Moritzburg sicherlich ein Gewinn!
Und weil oben von mir ein Vergleich zu einem Goethehaus gesucht wurde, hier noch ein zweiter: Im Hof steht ein schöner Ginkgobaum, das hätte auch den „Herrn Rat“ gefreut.
Natürlich würde ich mich freuen, wenn sich Leser fänden, die mir eine oder mehrere mit dem Haus zusammenhängende Fragen oder Theorien beantworten, bestätigen oder widerlegen könnten, ja es sind wirklich viele Fragen offen geblieben.

Dietrich Lohse

Literatur:
„Moritzburg“, H.-G. Hartmann, Hermann Böhlaus Nachfolger, Weimar, 1989
„Landkreis Meißen“, G. Naumann, Kreissparkasse Meißen, 1998
„Ortschronik Moritzburg“, Dr. A. Timmler, Gemeindeverwaltung Moritzburg, 2008

39. Radebeuler Grafikmarkt – gelebte Kreativität vor Ort

Über 100 Künstler zu Gast in der Elbsporthalle Radebeul-West am 5. November 2017 von 10 bis 18 Uhr
Die Tage werden kürzer. Das Wetter treibt Kapriolen. Die Weinfeste sind gefeiert. Theater, Museen und Galerien beginnen sich wieder zu füllen. Aktivitäten verlagern sich von draußen nach drinnen. Der Sonntag am ersten Novemberwochenende ist also genau der richtige Zeitpunkt für den Radebeuler Grafikmarkt. Schwellenangst muss man nicht haben, zumal es in der Elbsporthalle gar keine Schwellen gibt. Der gesamte Präsentationsbereich befindet sich auf einer Ebene und ist barrierefrei mit Rollstuhl und Kinderwagen gut erreichbar. Die Atmosphäre ist hier heiter und ungezwungen.

Foto: K. (Gerhardt) Baum

Werke von über 100 Künstlern werden auf einer Ausstellungsfläche von 900 qm präsentiert. Fast alle Künstler sind zum Grafikmarkt anwesend und verkaufen ihre Werke selbst. Sie kommen aus Radebeul, aus dem näheren Umland, aber auch aus Chemnitz, Berlin und München. Darüber hinaus werden Arbeiten aus den Nachlässen verstorbener Künstler angeboten, damit diese in Erinnerung bleiben. Erhältlich sind Druckgrafiken, Collagen, Zeichnungen, Aquarelle, Scherenschnitte, Fotografien, Plakate, Kalender, Künstlerbücher und Postkarten. Die Preise sind moderat. Gekauft wird, was gefällt. Nicht nur Sammler, vor allem auch Familien gehören seit Generationen zum festen Besucherstamm. Die Künstler freuen sich auf den Austausch mit ihrem Publikum und den Fachkollegen. Bei Schauvorführungen erleben die Besucher wie eine Grafik entsteht oder Bilderrahmen vergoldet werden. In einer Malecke können Kinder oder Erwachsene ihre spontan entstandenen Kunstwerke präsentieren.

Eine interessante Draufsicht auf das Grafikmarktgeschehen bietet sich durch die Panoramafenster des Sportcasinos, wo man auch ganztägig einen kleinen Imbiss zu sich nehmen kann. Zusätzliche Service- und Informationsstände befördern den Dialog über Kunst und Kultur. Die Stadtgalerie und deren Förderverein, das Stadtarchiv, die Redaktion des kulturellen Monatsheftes „Vorschau und Rückblick“, der Radebeuler NOTschriftenverlag und die Meißner Zeitschrift „Das Zündblättchen“ sowie der Förderverein des Internationalen Wandertheaterfestivals sind mit eigenen Ständen vertreten. Das Künstlercafé lädt zum Verweilen ein. Die Radebeuler Malerin und Grafikerin Cornelia Konheiser hat es in diesem Jahr gestaltet und „Kunst-Pause“ genannt. Die Bewirtschaftung erfolgt durch Mitglieder des ehemaligen Kunstvereins sowie des Förderkreises der Stadtgalerie.

Foto: K. (Gerhardt) Baum

Die Stadt Radebeul fördert den Grafikmarkt sowohl personell als auch finanziell und ist den Künstlern ein zuverlässiger Partner. Die organisatorischen Fäden laufen seit 1990 in der Radebeuler Stadtgalerie zusammen. Es herrschen klare Regeln. Voraussetzung für die Teilnahme am Grafikmarkt ist die künstlerische Qualität. Alle teilnehmenden Künstler haben die gleichen Auslage- und Hängeflächen. Über den Standort entscheidet das Los. Die begrenzte Platzkapazität ist für jeden Künstler eine Herausforderung und führt mitunter zu recht erstaunlichen Lösungen. Die Gesamtgestaltung des Grafikmarktes ist übersichtlich. Nichts Überflüssiges soll von der Kunst ablenken.

Foto: K. (Gerhardt) Baum

Kontinuität und Anspruch befruchten sich und tragen zur Entfaltung künstlerischer und kreativer Kräfte bei. Verstärkt haben sich in diesem Jahr zahlreiche junge Künstler um eine Teilnahme am Grafikmarkt beworben. Neben traditionell Bekanntem wird es also auch wieder viele neue Talente zu entdecken geben. Alt- und Neuradebeuler, Kunstfreunde des nahen und fernen Umlandes sind herzlich zu acht Stunden Kunstgenuss mit und ohne Pause eingeladen. Der Grafikmarkt ist gelebte Kreativität vor Ort. Er ist aber auch ein Stück Radebeuler Identität, denn musisch ambitionierte Menschen fühlten sich seit jeher von der Lößnitzstadt angezogen. Kunst macht unseren Alltag reicher. Sie kann froh oder traurig

Foto: K. (Gerhardt) Baum

stimmen. Kunst regt an und auf. Kunst provoziert Fragen, doch die Antworten muss jeder selber finden. In diesem Sinne verspricht der Radebeuler Grafikmarkt einen abwechslungsreichen Sonntag, angefüllt mit vielen neuen Eindrücken, interessanten Begegnungen, guten Gesprächen und großer Freude über den Erwerb eines besonders gelungenen Kunstwerkes.

Die Elbsporthalle ist gut erreichbar mit Fahrrad, S-Bahn, Straßenbahn, Bus und PKW. Parkplätze befinden sich auf der angrenzenden Festwiese unmittelbar vor Ort. Informationsflyer mit einer Übersicht aller Teilnehmer werden in digitaler Form auf der städtischen Homepage sowie als Printerzeugnis in allen Radebeuler Kultureinrichtungen angeboten. Kontakt: (0351) 8311-600, -625, -626, 0160-2357039, galerie@radebeul.de

Karin (Gerhardt) Baum

 

 

Wozu soll Bismarck in die Schule


Indem der Verein das Projekt Bismarckturm betreibt, hat er es sich auch zum Ziel gemacht, über Inhalte und Wirkungen von Turm und Person zu diskutieren. Wir geben daher an dieser Stelle einen redaktionell leicht bearbeiteten Auszug aus der diesjährigen Festrede zum 1. April, Bismarcks Geburtstag, gehalten von Herrn Falk Drechsel, wieder. Er widmete sich als Lehrer an einem Dresdner Gymnasium der praktischen Frage: Was bringt man der Jugend über Bismarck bei – und wozu? (Jens Baumann, Verein für Denkmalpflege und Neues Bauen Radebeul e. V.)

Ohne Anspruch auf Vollständigkeit und Ausgewogenheit habe ich mich in einigen Lehrbüchern umgetan. So fand ich im Realienbuch meines Großvaters von 1911 zu Bismarck – recht wenig. Zwar ist ihm und Moltke unter der Überschrift „Zwei treue Diener ihres Königs“ ein eigener Abschnitt gewidmet, aber allein die Beschreibung der Schlachten von Königgrätz, Langensalza, Weißenburg, Wörth, Spichern, Mars la tour oder erst gar Sedan nehmen jeweils mehr Raum ein. Der Beginn des Abschnitts sei zitiert: Als er am 1. April 1815 zu Schönhausen an der Elbe geboren wurde, hatte in Frankreich eben Napoleons Herrschaft der „hundert Tage“ begonnen, die nach der Schlacht bei Belle Alliance wieder zusammenbrach. Der Wiener Kongreß war noch daran, die Verhältnisse in Europa zu ordnen. Er gab Deutschland weder den verdienten Länderzuwachs noch ein starkes Oberhaupt. Der ohnmächtige Frankfurter „Bundestag“ trat an die Spitze des vielgestaltigen deutschen Staatenbundes. Vor allen Dingen war Preußen für seine gewaltigen Leistungen im Befreiungskriege nicht die ihm zustehende Machtstellung bewilligt worden. So waren, als das Knäblein noch in der Wiege lag, schon die Ziele seines späteren Wirkens gegeben. Nach Vollendung seiner juristischen Studien verwaltete Bismarck zwei Güter seines Vaters in Pommern. Damit ist ein Drittel zu Bismarck geschafft, in ähnlichem Stil folgen die weiteren biografischen Stationen.

Bismarck erscheint also als Kind einer Zeit ungelöster Probleme, der quasi als Säugling die zu klärenden Fragen wie mit der Muttermilch aufnimmt und mit ihnen heranwächst. Aber auch als zielstrebiger Jugendlicher, zunächst ohne sichtbare politische Ambitionen, als selbstverständlich pflichtbewusster Sohn seines Vaters in Preußen. Ob das alles so stimmt, soll an dieser Stelle und auch im Folgenden gar nicht primär hinterfragt werden. Auffällig ist, dass der vielfach Bedenkmalte vermenschlicht wird, in die erfassbare Erlebenswirklichkeit der Schüler herabgeholt wird. Nicht als einer von ihnen, schon herausgehoben, aber greifbar, spürbar. Fast: normal im Sinne von: der Norm entsprechend. Und: wir können erkennen, was ihn als Menschen antreibt, und dass dies relevant ist.

Blicken wir in ein Geschichtsbuch aus Niedersachsen aus dem Jahre 1973. Die Aufmachung und das didaktische Konzept sind natürlich völlig anders, es gibt selbstredend keinen spezifischen Bismarck-Abschnitt, vielmehr wird Bismarck als roter Faden, als leitendes Prinzip einer ganzen Epoche betrachtet. Auch hier beschränke ich mich auf den Anfang der etwa 20 folgenden Seiten. Verlassen von den meisten seiner Minister, dachte der König daran, abzudanken; doch der Kriegsminister wußte Rat. Eilends rief er seinen Jugendfreund Otto von Bismarck herbei, der gerade als Gesandter in Paris weilte. Diesem gelang es, den König zu überzeugen, „daß es sich für ihn … um Königliches Regiment oder Parlamentsherrschaft handle und daß letztere notwendig auch durch eine Periode der Diktatur abzuwenden sei.“ Der König dankte nicht ab, und Bismarck wurde Ministerpräsident. Gegenüber den Abgeordneten vertrat Bismarck uneingeschränkt die Forderungen seines Königs; alle Vermittlungsversuche wies er hochmütig ab. Die folgenden Überschriften lauten z.B. Unter dem Druck der „öffentlichen Meinung“, Gesellschaft und Staat unter Bismarck, Bismarck sichert das Reich, Sicherheit durch Abschreckung, Sicherheit durch Bündnisse.

Bismarck als politisches Phänomen, Bismarck als Vorgang, als Untersuchungsgegenstand theoretischer Erörterungen mit langwierigen Argumentationsketten, schlimmstenfalls vielleicht sogar herhalten müssend als Gaul der Steckenpferdparade eines einer geisteswissenschaftlichen westdeutschen Universitätsfakultät jüngst entschlüpften Jungachtundsechzigers.
Wer einen derartigen Geschichtsunterricht erlebt mit seiner faden Blutleere, bei dem wundert’s mich nicht, dass er sich ein paar Jahre später mit „Ein bisschen Frieden“ zufrieden gibt und „Da Da Da“ als repräsentativ für die verbale Entäußerung von Hedonismus angesehen werden kann. Auf solche Weise sind Resignation und Nihilismus vorprogrammiert, und für Empathie bleibt da wenig Platz.

Lassen Sie mich schließlich noch aus einem DDR-Lehrbuch zitieren. In der spätestens nach 1952 streng zentralisierten DDR gab es nicht nur ein einheitliches sozialistisches Bildungssystem, sondern jeweils auch nur ein landesweites Lehrbuch, welches dann immer für etwa 10, 12, 15 Jahre nahezu unverändert in Gebrauch war. Die Geschichtslehrbücher der 50er Jahre waren die der „Roten Reihe“, benannt nach ihrer Einbandfarbe (und sicherlich auch wegen ihres Inhalts). Um nicht abzuweichen, auch hier wieder der Beginn der Bismarck-Behandlung: Der König berief auf Anraten der Junker und der Militärs Otto von Bismarck an die Macht, von dem Wilhelm I. wußte, daß er nicht davor zurückschrecken würde, auch ohne Parlament zu regieren. Bismarck wurde am 23. September 1862 zum preußischen Ministerpräsidenten ernannt. Otto von Bismarck (1815 bis 1898) entstammt einer altmärkischen Junkerfamilie. Er studierte Rechtswissenschaft. Da ihm die juristische Beamtenlaufbahn nicht zusagte, übernahm er die Verwaltung seines Gutes in Pommern. Bismarck begann seine politische Tätigkeit als Abgeordneter des preußischen Landtages. Hier schon zeigte er sich als der reaktionäre preußische Junker, dem die Demokratie verhaßt war. 1851 vertrat er Preußen auf dem Frankfurter Bundestag als Gesandter. Später ernannte ihn der König zum preußischen Botschafter am Hofe des Zaren in Rußland und am Hofe Napoleons III. in Frankreich. Er war ein eifriger Verteidiger der Interessen der preußischen Junker und der geschworene Feind der Arbeiter und Bauern.

Sicherlich ist Ihnen aufgefallen, dass in diesem Abschnitt (und das setzt sich so auch fort) zwei Worte besonders häufig fallen: Junker und Preußen. Man bezeichnet solches als „Hochworte“, in diesem Falle sind es „Negativ-Hochworte“. Nicht nur durch den die ostdeutsche Bodenreform nach 1945 kennzeichnenden, in den 1950er Jahren noch immer allgegenwärtigen Slogan „Junkerland in Bauernhand“, sondern durch Filme, Zeitungstexte, Agitationsveranstaltungen und vieles mehr war der Begriff des „Junkers“, mit dem die Menschen in Sachsen, Thüringen und Anhalt zudem kaum etwas anfangen konnten, durchweg negativ konnotiert – ebenso wie der Begriff „Preußen“. Formulierungen wie „am Hofe des Zaren“ und gleich danach „am Hofe Napoleons III.“ sowie kontrapunktisch „geschworener Feind der Arbeiter und Bauern“ tun ein übriges, um Bismarck als mächtiges und „eifriges“ Werkzeug der Reaktion zu erfassen, von dem im Fortgang auf alle Fälle nichts Gutes zu erwarten sei. Die Linie ist damit vorgegeben, und alles Weitere ist unter dieser Prämisse zu betrachten. Geschichte als Hure marxistisch-leninistischer Totalitätsideologie.

Es treten uns hier am Beispiel der Betrachtung oder auch Benutzung Bismarcks drei Geschichtsbilder1 entgegen, die wiederum Teil eines jeweiligen Geschichtsbewusstseins sind und dieses maßgeblich mit konstituieren. Geschichtsbewusstsein ist immanenter Bestandteil des gesellschaftlichen Bewusstseins und dieses bedingt tatsächlich gesellschaftliches Handeln.

Betrachte, vermittle ich Bismarck als Vorgang, als Prinzip, entmensche ich ihn. Dann vernachlässige ich, dass Geschichte von Menschen gemacht wird und eben nicht nur ein logischer Ablauf von Kausalitätsprozessen ist, dessen Protagonisten austauschbar wären. Wird Geschichte von Menschen gemacht, dann handeln diese gemäß ihrer menschlichen Natur: vernünftig, pragmatisch, werteorientiert, klug oder weniger klug, charismatisch oder auch nicht, häufig aber eben auch, gottlob, emotional. Das können wir kritisieren im konkreten Falle, dazu können wir Alternativen aufzeigen günstigerweise, das kann uns zu viel werden oder falsch sein in der Wichtung – aber wir sollten es, wir müssen es akzeptieren.

Wenn ich bei Bismarck eben nicht aufhöre nach dem „Wir Deutsche fürchten Gott, aber sonst nichts auf der Welt“, sondern fortsetze mit seinem „und die Gottesfurcht ist es schon, die uns den Frieden lieben und pflegen lässt“, dann bin ich bei Werteorientierung. Wenn ich darstelle, dass zu Otto von Bismarck eben auch seine Frau Johanna gehörte und beide eine wohl sehr innige Liebe verband, werden auch Obrigkeitspolitiker menschlich. Das muss nicht in Voyeurismus, Anekdotismus oder Kitsch ausarten. Handeln erklärt sich so aus Liebe zum Vaterland, persönlichen Veranlagungen, Überzeugungen, Wissen, Respekt, Redlichkeit, Weltgewandheit und dem Wissen, man ist nicht allein – Bismarck z. B. suchte den Ausgleich mit Russland und ist schon daher, wie oft aus in völliger Unkenntnis postuliert, kein Vorläufer nationalsozialistischer Denkweisen.

Und somit hege ich die Hoffnung, dass Bismarck im Geschichtsunterricht nicht nur gut ist, zur Erhellung der Vergangenheit beizutragen, sondern auch unser Verhalten in der Gegenwart ein wenig zum Positiven zu beeinflussen. Und dann hört es vielleicht endlich auf, dass Politiker als „Birne“ bezeichnet oder mit Farbbeuteln beworfen werden, dass ihnen entmenschte Praktiken unterstellt oder verächtlichmachende Sexualattribute zugestanden werden, dass wir ihren Gang durch eine Kunst- und Kulturstadt unter nachgemachte Tiergeräusche stellen oder sie auf Demonstrationsplakaten mal schnell an einen Galgen hängen. Und dass diejenigen, die sich selbst als Hüter und Kontrolleure der sozialen Ordnung akzeptiert sehen wollen, das, je nach eigenem politischen Wahrheitsanspruch, schließlich unter das Postulat „Meinungsfreiheit“, „Kunst“ oder „Satire“, welche vermeintlich alles dürften, stellen.

Unter unserem politisch unstrittigen Grundkonsens der freiheitlich-demokratischen Grundordnung gibt es noch einen. Diesen hat meine Generation von den Eltern oft gehört und vorgelebt bekommen. Er ist ein ganz Einfacher: „Sowas macht man nicht“. Wenn wir diesen Grundsatz bedenken, dann kommen wir immer wieder dazu, den andern, wer es auch sei und was und wie er auch sei, als Menschen zu betrachten.

Jens Baumann

30 Jahre Krapenberg – Ein Grund zum Feiern? (1. Teil)

30 Jahre Krapenberg – Ein Grund zum Feiern?

Vor 30 Jahren fand sich eine Hand voll Enthusiasten zusammen, um eine Karriere als Hobbywinzer zu beginnen. Die Motive waren wohl neben der Liebe zur Natur, die Aussicht auf Meißner Wein als sog. 3. Währung, mit der man in der DDR viel erreichen konnte, sei es ein schneller Termin in der Autowerkstatt oder als begehrtes Tauschobjekt für allerlei „Bückwaren“ einschließlich knapper Baumaterialien.
Hintergrund war auch, dass das damalige VEG Weinbau Radebeul den Krapenberg aufgegeben hatte und über die Winzergenossenschaft Meißen, der wir dann angehörten, Pächter für Weinbergsparzellen gesucht wurden. Die Aufgabe des Krapenberges war übrigens für viele erfahrene Winzer unverständlich, der Berg hat eine gute Lage und Erschließung. Das VEG wollte wohl in größere Flächen, wie in Weinböhla, investieren. Unssollte es recht sein.
Ich glaube, es war im Sommer, als wir das erste Mal einen Rundgang über das Gelände
machten und sich schon Wünsche über die Parzellierung herausstellten. Dann wurde es konkreter, die Parzellen entstanden, wir entschieden uns für ein Stück im oberen Teil.
Gemeinsam waren wir dann ca. 12 Hobbywinzer. Da teilweise noch schöne alte Stöcke vorhanden waren, konnte man diese erst mal in Obhut nehmen oder gleich mit der Rodung beginnen. Es wurde tief mit dem Pflug rigolt und die Fläche für die Pflanzung im Frühjahr vorbereitet. Die Reben konnten über die Weinbaugemeinschaft bestellt werden. Zur Sorten- und Unterlagenwahl wurden wir von Herrn Rühle und Oswald Häntsch beraten, der uns
im Übrigen immer ein treuer Begleiter war und uns auch im Rahmen der Schulungen der Weinbaugemeinschaft sein Fachwissen vermittelt hat.
Da in der 1980er Jahren im Elbtal ein sehr strenger Frost auftrat, welcher zum Totalausfall vieler Reben geführt hat, entschloss man sich in Berlin, wo der Meißner Wein sehr geschätzt wurde, die notwendigen Devisen zum Import von Pfropfreben aus Westdeutschland freizugeben. Für die Koordinierung der Rebenbestellung und –verteilung war meines Wissens Peter Höhne vom VEG zuständig. So erhielten auch wir dieses Pflanzmaterial. Alle Sorten und Unterlagskombinationen konnten nicht berücksichtigt werden. Wir erhielten z. B. neben Müller-Thurgau, Riesling und Scheurebe auch Schwarzriesling, der bei uns eigentlich nicht gepflanzt werden sollte. Aber da seinerzeit alle blauen Trauben in den sog. Seußlitzer Rotwein kamen, hat man das toleriert. Dieser Rotwein hat mir persönlich sehr gut geschmeckt, er war leicht und bekömmlich und noch nicht von der Nachahmung des südlichen Stiles geprägt.
In den ersten Jahren gab es für uns als Berggemeinschaft sehr viel zu tun. Der Zaun wurde in Stand gesetzt und vorher von Bäumen und Geäst befreit, Brombeerhecken mussten weichen usw. Neben den Reben wurden natürlich auch Pflanzstäbe, Drahtrahmen und Stützen benötigt. Jeder half sich so gut er konnte und mit dem, was aufzutreiben war. So standen neben Betonpfählen auch Metallrohre bzw. Walzen aus namhaften Radebeuler Betrieben, die von ihrer Standhaftigkeit wohl eher ins sog. 1000jährige Reich gepasst hätten.
Erdanker wurden selbst gefertigt oder Innenstützen bei den Betonendpfählen verwendet.
Kurz gesagt, wir waren eine fleißige, kreative Gemeinschaft. Heute sagt man Team, also hatten wir auch einen Teamleiter mit hoher sozialer Kompetenz. Dann nahm das Abenteuer seinen Lauf. Es wurde gehackt!, gedüngt, geackert, gegrubbert, gespritzt, geschnitten, gefachsimpelt, gelitten, gehofft und natürlich auch mal gefeiert. Da ich selbst im VEG im Materiallager gearbeitet habe aber von Weinbau keine Ahnung hatte, wurden natürlich die Kollegen von mir regelmäßig nach fachlichen Ratschlägen gelöchert. Als da wären z. B. Klaus Höhne, Inge Probocskai, Rainer Roßberg, Sabine Zimmer, Heike Mitzschke, Roland Schumann, Hans-Georg Uhlmann, Klaus Mehlig, Sabine Flierl, Engelhardt und viele andere. Sehr gefragt war auch Kurt Schrödel, wenn es mal einen Materialengpass gab. Erwähnen möchte ich unbedingt auch die Familie Donath. Sie bewirt-schaften in der Nähe am Zechstein ein Stück Weinberg und sind immer hilfsbereit.
In guter Erinnerung ist mir noch eine Episode mit einem der Lehmanns aus Seußlitz. Er durfte Verwandtschaft im Westen besuchen und erzählte mir, dass man dort Motorsensen zum Grashauen im Weinbau verwendet. Auf meine Frage, wie denn so etwas funktioniert, meinte er, die Pflanzen werden mit einem rotierenden Plastefaden abgeschlagen. Da bei mir der Groschen immer etwas später fällt, konnte ich mit auch mit großer Nachdenklichkeit nicht vorstellen, wie man mit einem Plastefaden Gras abschlagen kann. Bei uns wurde schwere Technik eingesetzt, z. B. die Motorwinde und der Sitzpflug, mit dem man auch die tiefe Winterfurche zog, bei der die Veredlungsstellen der Weinstöcke mit Erde als Winterschutz überdeckt wurden. Bei dem steinigen Untergrund war das nicht ungefährlich. In die Furche konnte man zweckmäßigerweise Humus für das Frühjahr einbringen. Ich habe mir dazu oft Federnabfälle von der Firma Sluka aus Coswig geholt. Standard für einen umtrie-bigen DDR Bürger war also der PKW mit „Hamsterkralle“, damit der Hänger für allerlei Beschaffungen befestigt werden konnte, z. B. auch zum Abtransport der Trauben in den allgegenwärtigen OGS (Obst, Gemüse, Speisekartoffeln) Holzkisten. War seinerzeit noch der „gekehrte Weinberg“ ohne Unterwuchs weit verbreitet, setzte sich später immer mehr die Erkenntis durch, dass eine gewisse Begrünung viele Vorteile hat. Heute sind wir über den Wandel dankbar, die ökologische Vielfalt hat im Weinberg wieder zugenommen. 1989 war es dann soweit, es gab die erste kleine Lese, die sog. Jungferntrauben, sie waren beim Müller-Thurgau prächtig anzusehen. Dafür gab es die ersehnte Lohnware zum Preis von 1,70 M?

Frank Michael

Editorial 11-17

„Was haben wir?“ Ein Satz, den man heute in der sich immer mehr materialisierenden Welt häufiger stellt. Dabei lässt es sich mit diesen Worten vortrefflich spielen. So könnte man auch fragen „Was hatten wir?“, „Was könnten wir haben?“, „Was wollen wir haben?“ oder „Was sollten wir haben?!“
Radebeul-Ost hat einen Bahnhof, der jetzt eine Bibliothek ist. Radebeul-West hat eine Bibliothek, aber keinen Bahnhof. Hat West schon, aber den hat ja ein Anderer. Die Händler in Radebeul-West hatten z. B. in den letzten Jahren ein „Weihnachtsspektakel“. Jetzt hat Radebeul-West einen Stadtteilmanager für das Sanierungsgebiet aber vermutlich kein „Weihnachtsspektakel“. Man kann halt nicht alles haben.
Mit dem Haben ist das so eine Sache. Dazu braucht es in der Regel Geld. Dieses regiert bekanntlich die Welt und eben auch so eine kleine Stadt wie Radebeul. Millionen und Millionäre haben oder nicht, scheint also hier die Frage. Aber nicht immer ist alles Gute auch zusammen. Aus Nichts etwas Machen ist eine große Kunst, die eigentlich im Osten noch gut bekannt sein müsste. Dazu braucht es allerdings Ideen, doch woher nehmen? „Viele Köpfe – viele Ideen“ ist auch so ein Spruch der Urväter, an den man sich erinnern sollte. Wohl deshalb haben bei der Befragung der Bevölkerung zum Sanierungsgebiet Radebeul-West so viele Bürger ihre Ideenzettel in den Briefkasten geworfen. Die liegen jetzt auf dem Schreibtisch des Bauamtes der Stadt. Und alle warten gespannt auf das Ergebnis der Umfrage und wie es nun weiter geht.
Visionen braucht eben nicht nur das Land, sondern auch die Stadt – die Stadt Radebeul. Wo wollen wir hin, wie soll künftig die Stadt aussehen? Wird da noch Platz sein für den kleinen Geldbeutel?
Was wir haben, zumindest auf kulturellem Gebiet, wird sicher in Kürze in der „Kulturkonzeption der Stadt Radebeul“ zusammengefasst und Stadträten wie Bürgern vorgelegt werden. Vielleicht aber wird Manchem da auch bewusst, was wir nicht mehr haben oder noch nicht haben, wie zum Beispiel die Friedensburg…
Ach ja, die Friedensburg… Mit der sollte die Stadt jedenfalls ihren Frieden schließen, findet
Karl Uwe Baum

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