Nicht tot zu kriegen!

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Klubhaus »Heiterer Blick« nach Umbau, Veranstaltungssaal mit Bühne Foto: K.U. Baum

Das Theater „Heiterer Blick“ wird 70

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Gisela und Klaus Kunick im Klubhaus »Heiterer Blick« Foto: K.U. Baum

Man sagt, die Radebeuler sind stolz auf ihre Stadt. Warum nicht?! Und man sagt auch, sie hätten sich nur deshalb dem Landkreis Meißen angeschlossen, um nicht von Dresden „geschluckt“ zu werden. Kann sein.
Es gibt aber auch viel Schönes in der Stadt: der Blick von den Weinbergen, die beschaulichen Siedlungsgebiete mit den schmucken Häusern und ihren Gärten, die Elbe mit den Streuobstwiesen…
Freilich, ein ordentliches Zentrum sucht man vergebens und mit dem Einkaufen hapert es auch ein wenig. Was soll‘s, fahren wir halt nach Dresden. Aber Kultur, Kultur haben wir reichlich. Wackerbarth, Hoflößnitz, Indianer-Museum, Karl-May-Fest, Weinfest, Wandertheaterfestival, DDR-Museum, Kulturbahnhof, Stadtbibliothek, Stadtgalerie, jede Menge Künstler… und natürlich die Landesbühnen Sachsen, gerade für eine große Stange Geld auf Vordermann gebracht. Der „Kultur-Dampfer“ kostet. Obwohl das Theater nicht der Stadt gehört, zahlen die Radebeuler Bürger 400.000 Euro im Jahr Zuschuss. Mächtig gewaltig! Da haben es freilich die kleinen Kulturanbieter schwer. Sicher kommen sie mit weniger Geld aus. Aber etwas mehr als gegenwärtig wäre schon angebracht für alle Kulturvereine. Sagen wir, 5 Prozent? Abgemacht!
So ein kleiner unscheinbarer Verein ist das Theater „Heiterer Blick“. Schon jahrelang ein zuverlässiger Partner in der Stadt. Immer zur Stelle, wenn er gebraucht wird. Mit dabei u. a. bei Stadtfesten und auch beim diesjährigen Frühjahrsspektakel der Händler auf der Bahnhofsstraße. Nicht immer führte der Verein so ein bescheidenes Dasein wie heute. Damals, vor 30/40 Jahren, herrschten allerdings auch andere Zeiten. Da gab es noch Kulturhäuser, die gehörten meist den Betrieben. Aber das ist schon wieder eine neue Geschichte.
Für das Theater „Heiterer Blick“, seit 1969 Jugendtheater des VEB Druckmaschinenwerk „Planeta“, baute das Kombinat 1972 in ihrem Kulturhaus einen ganzen Theatersaal aus. Die Architekten Klaus Kaufmann und Günter Fischer fertigten die Entwürfe an. Die Radebeulerin Ulrike Kunze entwarf 1976 für die spektakuläre Inszenierung Die Antigone des Sophokles nach Brecht die Kostüme, damals noch Studentin an der Kunsthochschule in Dresden, Abteilung Bühnenbild, und der Maler und Grafiker Günter Schmitz gestaltete Plakat und Programmheft. Diese Produktion erhielt zu den 16. Arbeiterfestspielen 1976 in Dresden eine Goldmedaille. „Die Inszenierung beeindruckte die Zuschauer durch eine schlichte und sehr intensive Spielweise“, schrieb später Michael Hametner, ehemals Mitglied der Zentralen Beratergruppe in der DDR.

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Roswitha Schubert (†) als Amme und Axel Poike als Romeo in der Shakespeare-Inszenierung Romeo und Julia von 1980 Foto: K.U. Baum

Die Truppe unter der Leitung von Klaus Kunick, Theaterwissenschaftler, Regisseur und Schauspieler, war so potent, dass sie ein Theateranrecht für ihr Publikum einrichteten konnte, trotz den Landesbühnen Sachsen, die sich drei Kilometer weiter befanden.
Das bereits 1945 als „Theatergruppe Hoflößnitz“ der Antifa-Jugend gegründete Jugendtheater entwickelte sich über mehrere Stationen hinweg schließlich unter dem Dach des Druckmaschinenwerkes zum wahren Leistungsträger. Bis 1976 wurden „ungefähr 70 Stücke und geschlossene Programme zur Aufführung“ gebracht. Von 1965 bis 1976 gaben die rund 60 Mitglieder jährlich 30 bis 50 Vorstellungen! Rechnet man die Sommerpause ab, war das mindestens eine Aufführung pro Woche!
Ich habe das Jugendtheater 1977 im Klubhaus der Sachsenwerker zum Bezirksleistungsvergleich kennengelernt. Sie zeigten die Aufführung Die feuerrote Blume, die mir so gar nicht gefallen wollte. Romeo und Julia, drei Jahre später, war schon eher nach meinem Geschmack. Nicht so sehr wegen des ollen Klassikers. Es war die jugendliche, frische, fast unbekümmerte Spielweise, die mir gefiel. In der Gruppe herrschte offensichtlich eine arbeitsame Atmosphäre, in der sich viele Persönlichkeiten und Talente entwickeln konnten. Da wurde aber nicht nur geprobt und Vorstellungen „gefahren“. Gemeinsame Ausflüge und Feiern standen ebenso auf den Plan wie Weiterbildungen. In etwa 1.500 freiwilligen Stunden wurde 1966 eine Freilichtbühne in der Oberlößnitz errichtet und auch beim Umbau des Theatersaales 1972 waren die Mitglieder wieder zur Stelle. Wenn ich mich heute in der professionellen Theaterlandschaft umsehe, erkenne ich viele ehemalige Mitglieder dieser Gruppe wieder. Manuel Schöbel, gegenwärtig Intendant an den Landesbühnen Sachsen, Hasko Weber, z. Z. Generalintendant am Nationaltheater Weimar, Jürgen Stegmann, freier Schauspieler oder Axel Richter, em. Prof. der Kunstuniversität Graz, um nur einige zu nennen. Mit allen hatte ich auf die eine oder andere Weise zu tun, einzig deshalb, weil es mich Anfang der 1970er Jahre nach Dresden verschlug und ich mich der Amateurtheaterszene zugewandt hatte. In Kunick?s Gruppe wollte ich allerdings nicht eintreten, das war mir zu stressig. Mit dem Trägerbetrieb hatte er sich schließlich 1980 überworfen und die Truppe sich selbst überlassen. Das fand ich damals ziemlich mies. Die großen Zeiten waren damit für das Jugendtheater vorbei.
In den wilden Tagen 1989/1990 retteten ein paar Enthusiasten, unter ihnen Jan Dietl, die Truppe. Die Planeta musste selbst die eigene Haut in Sicherheit bringen. Folglich wurden 1989 erst die Kulturgruppen abgestoßen und danach das Klubhaus. Der Veranstaltungsort wurde später geschliffen. Die Theatergruppe mauserte sich zum Verein. Unterschlupf fand man mehr schlecht als recht im Radebeuler Vereinshaus. Die Technik und Requisiten sollten ja nicht auf den Müll. Da standen sie nun ohne künstlerischen Leiter und ohne Spielort. Ein kurzzeitiger Zusammenschluss mit der Radebeuler Neugründung „Grüne Gans“ unter dessen künstlerischen Leiter Friedemann Nawroth brachte gute Inszenierungen aber nur

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Birgitte Heizel (heute Putzker) von der Laienspiel-gruppe Hoflößnitz in der Komödie Diener zweier Herren von Carlo Coldoni als Rosaura im Juli 1948 Foto: K.U. Baum

vorübergehend Entspannung. Jan Dietl nahm dann selbst das Zepter in die Hand, schrieb Stücke, führte Regie und leitete die Gruppe. Es schien wieder aufwärts zu gehen. Man wurde Mitglied im Landesverband Amateurtheater. Gastspiele im Westen waren angesagt. Zu den Internationalen Amateurtheatertage in Hanau zog es die Gruppe immer wieder. Langsam aber ging dann doch die Luft raus. Die Mitgliederzahl schwand, häufig befand man sich kurz vor der Auflösung. Heute hält ein kleiner Trupp von Unentwegten das Fähnlein aufrecht, unterstützt von einigen Jüngeren. Man ist wieder am Ball, spielt Märchen, Programme und auch größere Stücke. Wen es wirklich erwischt hat, der lässt eben nicht so schnell wieder los.

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Jan Dietl als Hutter und Uwe Wittig als Graf Orlok in einer Szene aus Nosferatu – Harmonie des Grauens, Kulturbahn-hof Radebeul 2010 Foto: K.U. Baum

Zum 30. Jahrestag des Jugendtheaters mit dem Kunstpreis des FDGB geehrt, winken vielleicht zum 70. Gründungsjahr ein paar Euro, aber auch nur, wenn sie Uwe Wittig, das jetzige „Mädchen für alles“, beim Kulturamt der Stadt Radebeul beantragt. Dann könnte die geplante Fete in Oktober im Kulturbahnhof in Radebeul-Ost doch noch eine richtige Sause werden.
Federico García Lorca, der große spanische Lyriker und Dramatiker schrieb im 20. Jahrhundert dem Volk und damit auch der Politik ins Stammbuch: „Ein Volk, das seinem Theater nicht hilft und es nicht fördert, ist, wenn nicht tot, so doch todkrank.“ Es sei dem Theater „Heiterer Blick“ zu wünschen, dass es nicht so endet, wie der Dichter selbst.
Karl Uwe Baum

Mit Tom Tagtraum durch das Jahr 2016 – Teil 8

Du musst Träumen ihre Entstehung zulassen, denn nur so kann irgendwann ein Teil davon auch Wirklichkeit werden.

Für Geld nicht zu kaufen

Wie sehr hatte sich Tom damals auf den Besuch im märchenhaften Schloss gefreut, dem weißen Türmchenschloss vor den mächtigen Bergen. Ein Poster hatte er in seinem Zimmerchen an die Wand gepinnt, das Schloss sogar aus Puzzleteilen zusammengesetzt, viel darüber gelesen. Aber am Ende saß Tom traurig in dem kleinen Ort unterhalb des Schlosses, schaute immer wieder und immer trauriger in dessen Richtung, hatte den Reiseführer und das Große-Tom-Abenteuer-Notizbuch neben sich liegen und wusste nicht so recht weiter. Die ganze lange Reise, 3 Stunden anstehen am Schloss, nur langsam kam der Strom der Besucher aus aller Welt dem Schlosseingang näher. Das teure Eintrittsgeld, schließlich die Führung in einer dicht gedrängten Gruppe von Menschen, keine Möglichkeit zum Verweilen, zum Zeichnen und Geschichten vor Ort spinnen. Nach 20 Minuten war der Traum vom Märchenschloss saure Wirklichkeit und schlichtweg vorüber. Schloss ade. Andernfalls wieder hinten anstellen, wieder warten, Eintrittsgeld, 20 Minuten…. Halt. Das eben war so gar nicht Toms Traum gewesen… Da erhob sich Wind von den mächtigen Bergen und blätterte schließlich vor und zurück durch die Seiten des Großen-Tom-Abenteuer-Notizbuches und Tom begann, bald anders zu träumen.

Das handgewebte Tuch

Alles Quatsch. So was gibt es heute nicht mehr. Kein Mensch macht sich die Mühe, ein Küchentuch, also solch eines zum Tisch abwischen und Gläser polieren, auf einem alten, ja 200 Jahre alten Webstuhl in Handbedienung zu weben. Und selbst wenn, wer wollte solch ein handgewebtes Küchentuch kaufen? Es müsste doch genau so viel kosten wie – nun vielleicht wie ein Notebook mittleren Preises. Und doch besitzt Tom so ein Tuch. Er musste es nicht einmal bezahlen, sondern hat es von einer älteren, würdigen, grauhaarigen Dame geschenkt bekommen. Und das kam so. Tom ist ins Land der Umgebindehäuser aufgebrochen. Teils auf schmalen und etwas verwunschenen Wegen nähert er sich der Gegend in seinen federnd-leichtfüßigen, fröhlichfarbenen Wanderstiefeln Stück für Stück. Kurz vor dem Ziel sieht man ihn in seinem schilfgrünen Paddelboot auf einem kleinen Bach, der vor einer Brücke mit losen Steinen aufgestaut ist. Und nicht weit von der Brücke befindet sich das größte Umgebindehaus weit und breit. Darin ist ein Museum, schon lange wollte Tom es besuchen. Nun ist er da, vertäut sein Boot an einem Brückenpfeiler und tritt ein. Tom ist der einzige Besucher heute. Die ältere, würdige, grauhaarige Dame im Museum begrüßt Tom herzlich mit Handschlag und führt ihn durch die Räume. Mitunter kämen ja ganze Schulklassen oder Reisebusgesellschaften. Heute aber ist Montag und das Museum normalerweise geschlossen. Aber Tom hatte sich schon vor Tagen per E-Mail angemeldet und noch mal per Telefon nachgefragt. „Ja, dann komm doch einfach vorbei, wenn du es nur so einrichten kannst, Tom. Das klappt dann schon.“, war die verbindliche Antwort. Die wohltuend warme Stimme der älteren Dame klang Tom die ganze Zeit im Ohr. Jetzt ist er hier im Museum, mit vielen Fragen, denn er hat vorher viel darüber gelesen und interessiert sich für das Leben und die Arbeit der Tuchweber in alter Zeit. Es stellt sich heraus, dass die ältere, würdige, grauhaarige Dame im kleinen Umgebindehausdorf sonst noch den Chor dirigiert, sonntags in der urigen Kirche die Orgel spielt, mittwochs und freitags bei sich zu Hause Klavier- und Blockflötenunterricht gibt und sich mit anderen Umgebindehausdorfbewohnern die Betreuung des Museums teilt. Schließlich, fast am Ende der Führung, stehen beide, die ältere Dame und Tom, vor dem riesigen, 200 Jahre alten Webstuhl. Der ist liebevoll rekonstruiert worden von wieder ganz anderen Umgebindehausdorfbewohnern, denen das Leben ihrer Vorfahren immer am Herzen gelegen hat. Nicht nur, dass das Holz glänzt und Leinenfäden im Webrahmen gespannt sind, nein, der Webstuhl funktioniert exakt wie vor 200 Jahren. Jedem Besucher wird er vorgeführt. Den Schulklassen und den Individualisten. Ein Tuch ist im Entstehen, das Webstuhlschiffchen schießt einen weiteren Faden hindurch. Mehr ist in einem Museum nicht möglich. Die Weber vor 200 Jahren saßen zwölf, vierzehn, ja sechzehn Stunden an ihren Webstühlen, um Tücher herzustellen, das Webschiffchen flog nur so hin und her. Heute fliegt ein Faden pro Besucher und mitunter dauert es ein oder sogar zwei Jahre, bevor ein Tuch entstanden ist. Für Geld nicht zu kaufen. Aber der Zufall will es, Tom, eben einziger Besucher, erlebt den Moment, als der letzte horizontale Faden das Tuch im Webstuhl vollendet. „Tja Tom, das ist immer ein ganz besonderer Moment.“ Die ältere, grauhaarige, würdige Dame mit der wunderwarmen Stimme hält einen Moment inne und lädt Tom schließlich zu Hagebuttentee und Streuselkuchen ins kleine Museumscafé ein. „Weißt du, Tom, das Tuch wird jetzt noch umsäumt und verpackt. Wir verkaufen diese Tücher nie, welchen Preis soll man dafür berechnen, keiner weiß das so richtig. Aber so selten wie solch ein Tuch fertig wird, so selten haben wir auch Besucher wie dich, die nicht nur Eintritt bezahlen und durch die Räume laufen, nein, die sich wirklich für alles interessieren, Fragen stellen, Notizen machen, ja sogar den Webstuhl abzeichnen. Beim Teeaufbrühen habe ich mit dem Museumsvorstand telefoniert – Tom, dieses Tuch gehört dir. Über ein Jahr hat es gedauert, bevor es fertig wurde. Nimm es mit nach Hause und du wirst dich an alles hier immer genau erinnern…“

Die ältere, grauhaarige, würdige Dame mit der wunderwarmen Stimme stand noch lange auf der Brücke, als Tom mit seinem schilfgrünen Paddelboot den kleinen, hier mit losen Steinen angestauten Bach nun hinauf fuhr. Bald würde er bei den schmalen, etwas verwunschenen Wegen anlegen und seine federnd- leichtfüßigen, fröhlichfarbenen Wanderstiefel wieder anziehen. Unter seinem bunt karierten Hemd aber trägt er, sorgsam behütet, einen Schatz unschätzbaren Wertes mit sich nach Hause.

Tobias Märksch

Schmetterlinge im Weinberg

Unsere Wanderung beginnt in den Weinbergen an der Mosel bei Cochem. Sonnenverwöhnte Steilhänge und Heimat vieler wärme liebender Tier- und Pflanzenarten, eine Kulturlandschaft berühmt für seine edlen Tropfen: Riesling, Elbling – aus der Steillage.
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Hoch über dem Fluss laufen wir einen Weg durch den Weinberg, gesäumt von einer farbigen Wildblumenpracht, unterbrochen von kleinen Taleinschnitten mit feuchten Stellen und erfrischendem Schatten. Verbuschte Brachstellen wechseln mit felsigen Abschnitten. Die Weinreben ziehen sich den Berg entlang bis in scheinbar völlig unzugängliche Stellen. Die Sonne brennt. Wir laufen zielstrebig, wie jedes Jahr zu einer bestimmten Zeit im Juni diesen Weg zu einer bestimmten Stelle. Uns kommen zwei Wanderer entgegen, mustern uns, registrieren die Fotoausrüstung und fragen nach einem kurzen Hallo: Haben Sie schon einen gesehen? – Noch nicht. Wir versuchen es weiter vorn. – Viel Glück! Wir steigen zum oberen Teil des Weges auf.
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Gestern abend in unserer Pension am Fuße des Weinbergs mit Moselblick versicherte der Wirt einem Anrufer, dass es sich dieses Wochenende bestimmt lohnen würde. Die Wetterprognose wäre gut. Er hätte vor Tagen schon einige am Berg gesehen. Die Zeit sei günstig. Sie können kommen. Das Zimmer ist reserviert.

Um wen oder was geht es?

Es geht um einen Schmetterling – den Namensgeber der Pension und des Wanderwegs. Sein Name prangt auf Weinflaschen und spielt im Tourismusbetrieb der Gegend keine unbedeutende Rolle. Sein Name ist Apollo (lat. Parnassius apollo), benannt nach dem griechischen Gott Apoll, dem Gott des Lichts und Inbegriff der Vollkommenheit. Dieser sehr seltene Schmetterling bildet hier an der Mosel eine der wenigen Populationen nördlich der Alpen. Besonders geschützt durch das Washingtoner Artenabkommen nimmt er eine Sonderstellung unter den heimischen Schmetterlingen ein. Früher von Sammlern mit Käscher bejagt, war er immer eine Rarität. Heute ist er durch die Zerstörung seines Lebensraumes bedroht und war in den 70er Jahren fast verschwunden. Durch die Initiative einiger Schmetterlingsfreunde entstand hier an der Mosel eine Sensibilisierung für diese flatternde Naturschönheit, die ein Zeichen intakter Natur verkörpert. Es fanden sich Menschen zusammen, unter ihnen Naturschützer, Wissenschaftler, Vertreter von Organisationen für Landschaftspflege und Weinbau, die auf kommunaler Ebene Maßnamen zum Schutz des schönen Apollofalters anregten, wie z.B. Verzicht von Insektizideinsatz im Weinberg über Hubschrauber, ökologischen Weinbau, Freistellung von verbuschten Weinbergsflächen in den Steillagen, um die Nahrungspflanzen der Raupen und Falter zu sichern. Maßnahmen, die nicht nur dem Falter zu gute kommen sollten. Ein kleines Insekt beflügelt Menschen. Naturfreunde und Winzer hatten Erfolg. Die Population konnte stabilisiert werden. Der Lebensraum wurde erhalten.

Am nächsten Tag laufen wir wieder den Apollowanderweg durch die Weinberge über Valwig. An einem Felsvorsprung vor der Brauselay hoch über dem Fluß sehen wir einige Wanderer mit Fotoapparaten gebannt nach oben schauen. Da fliegen einige der wunderschönen Falter. Sie gleiten den Berg herab. Mit einer Flügelspannweite von 6-8 Zentimetern sind sie leicht auszumachen. Wenn sie sich am Wegesrand auf den Blüten der Flockenblumen und Disteln niederlassen, kann man ihre Schönheit bewundern. Weiße Flügel, außen transparent, mit schwarzen Flecken und auf den Hinterflügeln zwei große rote Augenflecke, meist weiß gekernt und schwarz umringt. „ … ein Märchenschmetterling nach dem Motiv: weiß wie Schnee, rot wie Blut, schwarz wie Ebenholz.“ (Friedrich Schnack, 1928) Alljährlich fahren Menschen auch aus diesem Grund in die Gegend, erfreuen sich am Anblick des schönen Falters. Hobbyfotografen aus allen Regionen treffen sich hier, gejagt wird heute mit dem Fotoapparat. Abends beim Wein werden die ersten Bilder gezeigt und man tauscht sich über Beobachtungsstellen aus.

Schmetterlinge übten seit jeher eine Anziehungskraft und Faszination auf uns Menschen aus. Die fliegenden Edelsteine ergänzen das Bild einer blütenreichen natürlichen Landschaft. Sie sind neben den Bienen als wichtiger Bestäuber von Bedeutung. Wo Schmetterlinge zahlreich fliegen, ist die Natur noch in Ordnung, denn ihr Lebenszyklus Ei-Raupe-Puppe-Falter wird von vielen ineinandergreifenden Faktoren bestimmt. Die Biotopansprüche der unterschiedlichsten Arten sind ebenso verschieden, wie anspruchsvoll. Fehlt ein kleiner Baustein, kann die Art an dieser Stelle nicht überleben. Deshalb sind sie auch ein wichtiger Indikator und geben uns Auskunft über den Zustand der Natur.

In der heutigen Zeit sind immer weniger bunte Falter zu beobachten. Ältere Generationen berichten noch von vielen Schmetterlingen im Garten, wo heute nur vereinzelt welche auftauchen. Vielleicht noch eine Beobachtung, die zu denken geben sollte: Fuhr man vor Jahren längere Strecken mit dem Auto, war die Windschutzscheibe und der Kühlergrill voller Insekten, in der Dämmerung voll mit Motten, kleinen grauen Nachtfaltern. Heute kann es passieren, dass die Scheibe oft sauber bleibt.

Zurück in die Weinberge, nun in die heimischen, in die sächsische Kulturlandschaft entlang der Elbe. Auch hier haben einige seltene Falterarten überlebt. Wer mit offenen Augen durch die Weinberge spaziert, kann sie fliegen sehen.

Die Schmetterlingszeit in den Weinbergen beginnt mit den ersten warmen Sonnentagen. Das kann schon im Februar oder März sein. Es erscheinen die Überwinterer – die Schmetterlinge, die als Falter den Winter in Kellern, auf Dachböden, in Mauerritzen oder geschlossener Vegetation schlafend verbrachten. Der Zitronenfalter, der Kleine Fuchs, der C-Falter und das Tagpfauenauge sind die ersten Boten. Ein erneuter Wintereinbruch lässt sie wieder verschwinden. Sieht man den Aurorafalter, zuerst die männlichen Tiere mit den orangen Flügelspitzen, wird es bald Frühling. Dieser Falter hat den Winter im Puppenstadium verbracht, wie auch der ihm folgende Segelfalter. Schlüpfen sie aus der Puppe, ist der Sommer nicht mehr weit.

April, Mai – die ersten warmen Tage. Wir nehmen den Weg über Schloß Wackerbarth zum Jacobstein. Mit viel Glück können wir den Segelfalter beobachten. Diese wärmebedürftige Art lebt hier in einem seiner nördlichsten Verbreitungsgebiete an den sonnigen Hängen mit Trockenmauern und Brachen mit wilder Schlehe, der Futterpflanze der Raupe. Der Wärmeanspruch und das Verschwinden geeigneter Biotope macht ihn in Deutschland zu einer sehr seltenen Schmetterlingsart. In der Roten Liste der Tagfalter Sachsens steht er als „stark gefährdet“ und „besonders geschützt“. Der Segelfalter – hellgelb mit schwarzen Streifen, einer Flügelspannweite von 5 bis 8 Zentimetern, an den Hinterflügeln je einen halbmondförmigen blauschwarzen Augenfleck mit orangeroter Randung und den auffälligen langen Schwanzfortsätzen, die ihn vom ähnlichen Schwalbenschwanz unterscheiden – fällt durch seinen elegant gleitenden Flug auf. Wir sehen ihn hier unterhalb des Jacobsteins durch den Weinberg segeln, unter Ausnutzung der Thermik zeitweise ohne Flügelschlag. Dann ein kurzes Flattern an einer Distelblüte und am Natternkopf, von einem Artgenossen aufgescheucht geht es senkrecht nach oben. Zwei Falter schrauben sich in den Himmel. Wir verlieren sie aus den Augen. Dieses Balzverhalten bezeichnet man als Hilltopping, zu beobachten meist an exponierten Stellen, einer Bergkuppe, wie hier am Jacobstein, oder auch am Bismarckturm in den Weinbergen der Oberlößnitz. Der imposante Falter fällt auch in den Gärten unterhalb der Weinberge auf. Dort locken ihn die Blüten zum Nektar tanken. Die Raupen fressen an wilder Schlehe, die zwischen den bewirtschafteten Weinbergflächen wächst. Im südlichen Europa kommt der Segelfalter häufiger vor, bringt im Jahr bis zu vier Generationen hervor. Nördlich der Alpen spricht man von meist nur einer Frühjahrsgeneration. Ich konnte aber in den letzten Jahren immer eine zweite Generation im Juli beobachten. Ein gutes Zeichen. Als ich einmal in der Webergasse mit meinem Teleobjektiv am Zaun stand und versuchte Segelfalter zu fotografieren, die dort um ein Blumenbeet flogen, erweckte ich die Aufmerksamkeit einiger Spaziergänger. Sie entdeckten das Objekt im Ziel meiner Linse und staunten nicht schlecht. So große Falter, wo sind die denn entflogen? Einer wusste ihn zu bestimmen: ein Schwalbenschwanz. Vor Jahren hätte er mal einen gesehen. Ich erklärte ihnen die Besonderheit. Eine Verwechslung mit seinem nächsten Artverwandten dem Schwalbenschwanz liegt nahe, da man beide Falter sehr selten zu Gesicht bekommt.

Der Segelfalter hat eine offensichtliche Beziehung zum Weinbau, dessen Anbaumethoden sich in letzter Zeit hin zum ökologischen geändert haben. Sein Lebensraum wird nicht mehr bedroht
Juni, Juli – kleine Bläulinge sind nun an den Wildblumen zwischen den Weinreben und am Wegesrand zu beobachten. Kohlweißlinge vervollständigen das Bild, noch sind sie relativ zahlreich vertreten. Hat der Sommer die Oberhand bekommen, fliegen die Gäste aus dem Süden ein, die sogenannten Wanderfalter wie Admiral, Distelfalter oder Taubenschwänzchen. Das Taubenschwänzchen ist ein kleiner Schwärmer und erinnert an einen Kolibri, wenn es in der Luft an einer Blüte verweilt und mit seinem langen Rüssel Nektar trinkt. Diese Vertreter haben einen weiten Weg hinter sich – über die Alpen bis zu uns in den Weinberg. Hier pflanzen sie sich fort, fliegen weiter nördlich oder sind bis in den Spätsommer bei uns zu Gast.

Noch eine Seltenheit. Der Russische Bär oder auch Spanische Flagge genannt, ist eigentlich ein Nachtfalter. Er fliegt aber auch tagsüber im Weinberg. Man nimmt etwas orangerotes Flatterndes war. Sitzt der Falter an einer Mauer oder auf einem Blatt, sind die Flügel geschlossen. Braun mit weißen Streifen, bilden sie eine dreieckige Form. Die orangeroten Hinterflügel sind verdeckt.

Bekannt ist der Falter als Touristenattraktion auf der Insel Rhodos. Dort sammeln sich alljährlich tausende Falter im Tal der Schmetterlinge (Petaloudes). An Felsen und Stämmen sitzen die Falter dicht gedrängt. In den sächsischen Weinbergen und nahen Taleinschnitten ist der schöne Falter von Mitte Juli bis Ende August zu beobachten. Etwas Glück gehört aber immer dazu und man kann froh sein, wenn man einen einzelnen zu Gesicht bekommt. In der Roten Liste Sachsens ist die Art in die Kategorie „stark gefährdet“ eingestuft.

Zum Schluss etwas Statistik. Schmetterlinge sind die zahlenmäßig zweitstärkste Gruppe an Arten unter den Insekten nach den Käfern. In Deutschland sind ca. 3700 Arten beschrieben, davon entfallen 190 Arten auf die Tagfalter. In Sachsen sind 114 Tagfalterarten nachgewiesen. Davon gelten 66 Arten als gefährdet bzw. ausgestorben. 16 Arten sind bereits ausgestorben, 20 weitere sind vom Aussterben bedroht. (Quelle: Rote Liste Tagfalter Sachsens, Landesamt für Umwelt und Geologie, Juli 2007)

Ausgeräumte und intensiv genutzte Landschaften sind eine Ursache für das Verschwinden vieler Schmetterlingsarten. Den Futterpflanzen der Raupen und Schmetterlinge wird die Wachstumsgrundlage entzogen. Es bleiben nur wenige Refugien und Nischen, die Rückzugsorte für viele bedrohte Tiere und Pflanzen darstellen. Diese sollten wir schützen und erhalten.
Einer dieser wertvollen Lebensräume für Schmetterlinge ist der Weinberg. Wir sind auf einem guten Weg.

So könnte auch bei uns, wie an der Mosel der Apollofalter, ein Vertreter der fliegenden Gaukler der Lüfte symbolhaft auf dem Etikett einer Weinflasche von einer lebenswerten Kulturlandschaft erzählen. Der heimische Segelfalter wäre ein würdiger Botschafter.

Jörg Kuhbandner

Rudi ist gegangen

Zum Tod des Schauspielers Rudolf Donath

Das Unvermeidliche, schon länger Erwartete, ist eingetreten: Der Schauspieler Rudolf Donath „weilt nicht mehr unter uns“. Was heißt hier „weilt nicht mehr unter uns“, ist „gegangen“? Ja, er ist am 3. Juli verstorben. Aber ist er wirklich „gegangen“? Wir werden ihm nicht mehr die Hand schütteln können, seine unverwechselbare Stimme vernehmen, die so ganz in seinem Inneren ruhte und oft lange brauchte, bis sie hervorkam. Er war kein Mann der schnellen Worte. Als Schauspieler kannte er deren Gewicht. Dem Wort fühlte er sich verpflichtet. Worte können erschlagen, wohl deshalb wählte er sie mit Bedacht.

Es steht mir nicht zu, eine Einschätzung über Donath abzugeben, weder über seine künstlerische Leistung noch über ihn als Mensch. Ich kann nur skizzieren, welche Eindrücke er in mir hinterlassen hat bei unseren direkten wie indirekten Begegnungen und dabei eine Seite aufschlagen, die allgemein wenig beachtet wird. Donath freilich war sie Zeit seines Lebens wichtig. Es waren gewissermaßen seine Wurzeln, die er nie verleugnete, auch nicht in seinen Betrachtungen über seinen Weg als Schauspieler in der Publikation „Staatsschauspiel Dresden. 100 Jahre Schauspielhaus“.

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Rudolf Donath, nach einer Aufführung seiner Inszenierung »Das Schaf« von Stanislaw Stratiew vom Arbeitertheater des Grafischen Großbetriebes »Völker- freundschaft« im Volkskunstpodium Dresden, 1985 Foto :Privatarchiv L. Wittber;

Donath wollte immer ein kreativer Mensch sein. Beizeiten erkannte er, dass er als erlernter Porzellanmaler nicht weit kommen würde. So mag es kein Zufall gewesen sein, dass er sich der Laienspielgruppe der Manufaktur in Meißen anschloss und 1952 in den gerade gegründeten Dramatischen Zirkel des Plattenwerkes eintrat. Damit war sein Weg „vorausbestimmt“. Schauspielstudium in Weimar, drei Jahre Engagement in Meißen und ab 1960 am Staatsschauspiel in Dresden. Soweit, so gut – soweit, normal. In der Regel ist dann bei den jungen Schauspielern die Liaison mit dem Laientheater beendet. Nicht so bei Donath. Er kehrte 1959 zum Dramatischen Zirkel des Plattenwerkes zurück und gab seine gewonnenen neuen Erfahrungen weiter. Donath übernahm die künstlerische Leitung. In den 17 Jahren seiner Arbeit in der Gruppe führte er das Ensemble zu Höchstleistungen. Mit den Inszenierungen „Kater Lampe“ von Emil Rosenow (1965), „Die Mutter“ von Bertolt Brecht (1966) oder „Urfaust“ von Johann Wolfgang von Goethe unter seiner Leitung hat das nunmehrige Arbeitertheater Geschichte geschrieben. Zahlreiche Ehrungen und Auszeichnungen, allein drei Goldmedaillen zu den Arbeiterfestspielen, waren der „Lohn“. Als ihn die stärkeren Verpflichtungen am Staatsschauspiel Dresden enger an die Bezirksstadt banden – u. a. die intensive Zusammenarbeit mit dem Dresdner Regisseur Klaus Dieter Kirst – mochte er den Kontakt zum Amateurtheater dennoch nicht aufgeben. Er suchte und fand den VEB Grafischen Großbetrieb „Völkerfreundschaft“. Und so wurde 1977 in Dresden ein neuer Dramatische Zirkel geboren, dessen künstlerische Leitung Rudolf Donath übernahm. Das war jene Zeit, in der ich erstmals mit Donath zusammentraf. Die Gruppe bereitete ihre ersten kleinen Szenen aus Brechts „Die Mutter“ vor, ein Beitrag für ein Programm zu irgendeinem Jahrestag, welches die Volkskünstler der Stadt im Hygienemuseum aufführten. Mein erster öffentlicher Auftritt in Dresden. Noch Jahre später habe ich mich gelegentlich geärgert, dass ich die Gruppe vorschnell gegen das Arbeitertheater des Baukombinates eingetauscht hatte. Donath war für mich damals kein Begriff. Seine Meißner Vorgeschichte kannte ich nicht und als Theatermann war er für mich ein unbeschriebenes Blatt.

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Rudolf Donath nach einer Aufführung seiner Inszenierung »Das Schaf« von Stanislaw Stratiew vom Arbeitertheater des Grafischen Großbetrieb »Völkerfreundschaft« im Volkskunstpodium Dresden, 1985, Foto: K.U. Baum

Im Jahr 1979 entstand in der „Straße der Befreiung“ im Zentrum der Stadt eine kleine Zimmerspielstätte, das „Volkskunstpodium“. Die von der Stadt verwaltete Einrichtung wurde Auftrittsort für Dresdner Amateurtheater und für die Donath-Truppe Heimbühne und Probenstätte. Das nächste Achtungszeichen setzte Donath gleich zur Eröffnung mit der Premiere des Songspiels von Kurt Bartsch „Der Bauch“. Bartsch studierte ab 1964 am Institut für Literatur in Leipzig, brach das Studium aus Protest gegen das XI. Plenum der SED („Kahlschlag-Plenum“) ab und wurde 1979 nach einer Protestnote an Erich Honecker (1976–1989 Vorsitzender des Staatsrates der DDR) aus dem Schriftstellerverband ausgeschlossen. Bartsch lebte ab 1980 in West-Berlin. Die Inszenierung verursachte in der Szene Aufsehen, wurde aber zu den Arbeiterfestspielen delegiert und erhielt dort sogar eine Goldmedaille. So widersprüchlich konnte die DDR sein. Die revueartige Aufführung war durchaus etwas Neues, und Donath hatte die Potenzen der Spieler gut ausgelotet. Da wurde mir klar, die Gruppe würde künftig noch mehr von sich „Reden machen“.
Auch wenn sich Donath mit den folgenden Inszenierungen scheinbar wiederholte („Urfaust“ – 1981, „Kater Lampe“ – 1983), so stellten sowohl die neue Gruppe, wie auch die aktuellen Gegebenheiten (12 bzw. 18 Jahre später) grundsätzlich andere Herausforderungen. Auch für diese Inszenierungen wurde das Theater mit Goldmedaillen zu den Arbeiterfestspielen ausgezeichnet. Elke Tasche, eine Berliner Dramaturgin, urteilte 1984 über die Kater-Lampe-Aufführung: „Diese Aufführung lebt mit der beeindruckenden Ensembleleistung aller Darsteller von einer Grundabsicht, die mit der Komik die Sozialkritik des Stückes betont. Darum ist sie poetisches, niveauvolles Volkstheater und von spannender Aktualität.“ Donath arbeitete genau, zeigte für die Gruppe Verantwortung und verlangte das aber auch von den Mitgliedern. Das war Amateurtheater, wie ich es verstand und mir wünschte. Dennoch wechselte ich nicht, sondern blieb bei den Bauarbeitern, eben auch wegen der „Verantwortung“. Weitere sehenswerte Inszenierungen folgten.

Selbst in der kritischen Zeit des politischen Umschwungs 1989/1990 stand Donath zu „seiner Gruppe“. Mit „Der Besuch der alten Dame“ (2000) sowie „Nachtasyl & Abendrot“ (Spielzeit 2002–2004, Donaths letzter Arbeit mit der Gruppe) schuf er mit dem nunmehrigen H.O. Theater e. V. nochmals „großes Theater“, immer hart am Alltag. Danach gingen die Kräfte langsam zu Ende. Zum 30. Jahrestag des Amateurtheaters, veranstaltet 2007, ehrte ihn die Gruppe mit der Plastik „Der Goldene Rudi“.

Im Jahr 2010 zog er sich endgültig von der Bühne zurück. Nach langer Krankheit ist er nun verstorben. Aber ist er deshalb wirklich nicht mehr gegenwärtig? Mir geblieben, und sicher vielen anderen auch, sind die Sicht auf das Theater, der Wille, um ein künstlerisches Ergebnis zu ringen und die Verantwortung vor der Gruppe, dem Publikum und einem selbst. Donath war sicher hart und unnachgiebig in der Sache aber eben doch oder gerade deswegen liebenswert.

Karl Uwe Baum

Klima – Geschichte der Messungen

Die Wetterwarte in Wahnsdorf feiert ihren 100. Geburtstag

Auch nach der Verlegung des Königlich Sächsischen meteorologischen Instituts nach Dresden im Jahre 1905 und der auf Empfehlung des mächtigen Landeskulturrates erfolgten Umbenennung in Königlich Sächsische Landeswetterwarte im Jahre 1907, hatte deren Direktor Paul Schreiber größere Schwierigkeiten, eine an die Zentrale gebundene, geeignete und langfristig gesicherte Beobachtungs- und Forschungsstation zu etablieren. An einer solchen sollte es z.B. möglich sein, die Prüfung neuer Geräte und Methoden oder Gerätevergleichungen vornehmen zu können. Die räumlichen und lokalklimatischen Gelegenheiten auf dem Gelände der Landeswetterwarte in der Großen Meißner Straße 15 in Dresden Neustadt waren hierfür nicht geeignet. Dem gegenüber wurde im Sächsischen Landtag und in dem als Lobby für die Landwirtschaft agierenden Landeskulturrat die Notwendigkeit von Klimamessungen- und Wetterbeobachtungen auf dem Fichtelberg durchaus anerkannt und befürwortet. Beispielsweise wurde nach den gescheiterten Versuchen, diese Aufgaben durch die ehrenamtlich fungierenden Bergwirte bewerkstelligen zu lassen, bereits 1912 eine Beamtenstelle hierfür bewilligt. So nutzte SCHREIBER die sich 1912 bietende Gelegenheit, als im Finanzausschuss die Errichtung einer Wetterwarte auf dem Fichtelberg diskutiert wird, zu einem erneuten Vorstoß. In der Diskussion um den geeigneten Standort erwies sich schließlich aus verschiedenen Gründen die Wahnsdorfer Kuppe als die geeignete. Die notwendigen Flächen waren gekauft und zur Verfügung gestellt, die Projekte für die Gebäude und die gesamte Ausgestaltung von SCHREIBER selbst entworfen und genehmigt, so dass die Wetterwarten Fichtelberg am 1.1. und Wahnsdorf am 1.8. des Jahres 1916 ihre Tätigkeit aufnehmen konnten. Weitsichtig hatte er die Gebäude und Anlagen so konstruiert, dass sie sowohl die Belange einer Wetterwarte, als auch einer Forschungsstation in äußerst exponierter Lage, wie auf dem Fichtelberg, als auch in der Stadtrandlage in Wahnsdorf sicher und zukunftsträchtig gewährleisteten.
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Als 1934 die Landeswetterwarte in den Reichswetterdienst (RWD) aufging und aus ihr 1935 mit dem Standort der Wetterwarte Wahnsdorf das Observatorium Wahnsdorf hervorging, wurde die Verantwortung für die routinemäßige Datengewinnung der Abteilung Klimadienst des RWD übertragen. Die am Observatorium gewonnen Daten, wozu auch die Stundenwerte der meisten meteorologischen Größen (auch der Globalstrahlung und der Sonnenscheindauer) hinzu kamen, wurden mit den Daten der anderen Observatorien im Deutschen Meteorologischen Jahrbuch Teil IV, als Heft 2 veröffentlicht. Nach 1945 wurde auf Befehl der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland das sächsische meteorologische Netz wieder aufgebaut bzw. fortgeführt. Das Observatorium wurde zum Sammelpunkt aller sächsischen Wetterbeobachter, Techniker und Meteorologen, die die Hoffnung hegten, hier überleben zu können. Die Mitarbeiter rückten im wörtlichen wie im übertragenen Sinne eng zusammen. Im Gebäude waren die neu gegründete sächsische Landeswetterwarte mit den Abteilungen Wetter-, Klima- und Radiosondendienst untergebracht. Im Jahre 1974 entschied man, wegen der räumlichen Nähe zur Wetterstation Dresden-Klotzsche und weil sich das Aufgabenprofil des Observatoriums geändert hatte, die Klimamessungen hier am 30.06. einzustellen und ab 01.07.1974 nach Dresden-Klotzsche zu verlagern. Zur Interpretation der Luftmesswerte wurden und werden aber weiter meteorologische Messungen durchgeführt (Auszug aus: Ergebnisse aus 100 Jahren Klima- und Umweltbeobachtung in Radebeul-Wahnsdorf).
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Wenn wir in diesem Jahr an die einhundertste Wiederkehr der beiden Wetterwarten auf dem Fichtelberg und auf der Wahnsdorfer Kuppe bei Dresden erinnern, können wir uns auch auf viele Details von Festschriften berufen, die aus Anlass ihrer Eröffnung sowie der 50. und 75. Wiederkehr dieses für die Meteorologie Sachsens und Deutschlands bedeutsamen Ereignisses herausgegeben wurden. Als Fortführung wird am 3.9.2016 von 13 bis 16 Uhr stattfindenden „Tag der offenen Tür“ in der Staatlichen Betriebsgesellschaft für Umwelt und Landwirtschaft (BfUL), Altwahnsdorf 12, 01445 Radebeul, eine weitere Veröffentlichung herausgegeben. (Auszug aus Kapitel 2.7 „Ergebnisse aus 100 Jahren Klima- und Umweltbeobachtung in Radebeul-Wahnsdorf“, aus dem Tagungsband der „10. Annaberger Klimatage 2016“)

Johannes Franke

Informationen über die Arbeit der BfUL erhalten Sie unter dem Link www.smul.sachsen.de/bful

Die Krapenburg

verein für denkmalpflege und neues bauen

„ ein außerordentlich malerisch bewegter Bau mit einer langen Geschichte“

So beschreibt Volker Helas das Eckgrundstück zwischen Krapenberg- und Kynastweg auf der Mittleren Bergstraße 44 in seiner Radebeuler Denkmaltopographie.

Außerordentlich ist neben der langen Baugeschichte auch die Größe und die Formung des Grundstückes. Es gibt ein großes Wohngebäude, ein altes Press- bzw. Winzerhaus, ein Backhaus, Stallungen und einen Wirtschaftshof. Umschlossen wird alles von einer alten Mauer und überschattet von einem Park mit seltenen Bäumen und Büschen.
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Zum Grundstück gehört aber auch ein fast 4 ha großer Weinberg mit einem denkmalgeschützten Talutmauernsystem von 1862. Nach Aussage von Experten soll diese Anlage jetzt europa- bzw. weltweit einmalig sein. Sie diente, wie einst frühere Anlagen auch, zur Frühaufzucht von Tafeltrauben und Edelobstsorten.
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Mit malerisch bewegt hat Helas bei seiner Beschreibung sicher nur das Hauptgebäude gemeint, das sich zur Mittleren Bergstraße zu mit seinen Türmen, Fenstern, Giebeln, Hauben, Ornamentfeldern, Putzstrukturen und dem Zierfachwerk deutlich von den Häusern der Umgebung abhebt und sich in seiner Bauform wirklich um einige Ecken bewegt. Vieles an diesem besonderen Haus wäre darstellens- oder malenswert. Auf alle Fälle sollte man bei der Betrachtung stehenbleiben, um alle Details auch gut erfassen zu können und um die schöne Inschrift „Krapenburg“ am Eckerker zu entdecken.
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Interessanter wird es aber, wenn man durch das große schmiedeeiserne Tor gehen und das Grundstück betreten darf. Wir durften das als Mitglieder des Vereins für Denkmalpflege und das an einem der schönsten Abende im Monat Juni. Der Besitzer, Herr Peter Ackermann, hatte seine Zustimmung zu unserer Veranstaltung „Häuser und ihre Besitzer“ gegeben und die Bewohner Frau Wollrad, Herr Häntsch und die Familie Bennewitz sagten uns ihre Unterstützung zu.
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Alle Sitzmöglichkeiten des Grundstückes waren durch Frau Wollrad am ehemaligen Teepavillon zusammengetragen worden und der große Tisch bot Platz für alle und für alles: für Bücher, Bilder, alte Fotos und verschiedene Dokumente, die Herr Schröder, Herr Ackermann und Frau Wollrad zur Erklärung der Familien- und Hausgeschichte gefunden hatten. Ein paar Flaschen Wein gab es im ehemaligen Weingut natürlich auch auf diesem Tisch.

Wir hätten sitzenbleiben können, aber uns lockte der Teil des Hauses, der von der Straße nicht einsehbar ist und der den Namen Burg rechtfertigte. Hier gab es:

einen achteckigen Turm mit einer steinernen Wendeltreppe, gebogte Eingänge und verzierte Türen, dunkle Wandtäfelungen und schöne Holzfußböden, dekorative Öfen und interessante Lampen und als Höhepunkt ein gestuftes farbiges Kunstglasfenster, das das gesamte Treppenhaus einnimmt und in ein wunderbares warmes Licht tauchte.

Es ist erstaunlich, dass der Kernbau dieses Hausteiles bis auf ein paar Kleinigkeiten noch so erhalten ist, wie er 1899 durch den damaligen Besitzer, dem Handelsgärtner Reinhold Ackermann, im Stil der Neorenaissance erbaut wurde. Seine Initialen RA sahen wir im oberen Teil des Kunstglasfensters. Sie waren eingebettet in ein figurativ – ornamentales System, das auf Leben und Vergänglichkeit, aber auch auf Fruchtbarkeit und Schönheit hinweist. Eine junge Frau mit einem Kind symbolisierten diese Idee ebenfalls. Ganz besonders auffällig waren als Motiv die große Anzahl von rosa und roten Rosen, die als Symbol auf eine Freimaurerzugehörigkeit hinweisen könnten und die Akanthusblätter, ein vor allem in der Renaissance vielfach verwendetes Ornament.

Der burgähnliche Charakter der Renaissancezeit setzte sich auch in den Wohnräumen mit den massiven und bemalten Holzdecken und den dekorativen Kachelöfen fort. Die Familie Bennewitz öffnete uns freundlicherweise alle ihre Türen zu den Haupträumen. Man spürte beim Betrachten noch immer den Hauch einer anderen Zeit und bewunderte den Einfallsreichtum und die ordnende Hand des Dresdner Architekten Oscar Wend, der mit seinem Partner Paul Eger das Haus entworfen hatte. Beide entsprachen mit ihrer Bauweise genau den Vorstellungen ihres Auftraggebers, seinem Bedürfnis nach Romantik und Geborgenheit, aber auch nach Originalität und Repräsentation.

Und repräsentieren wollte und musste Reinhold Ackermann. Er war wahrscheinlich durch den Weinhandel in Leipzig und Dresden reich geworden. Sein großes, auch im Adressbuch ausgewiesenes Weinlager im Dresdner Schloss, könnte diese Vermutung bestätigen.
Die „hohen Berge“ der Zitzschewiger Flur brachten schon lange gute Erträge. Sie waren bereits über 400 Jahre im Besitz von wohlhabenden Dresdner und Leipziger Bürgern, aber auch von Sächsischen Adligen, wie z.B. der Familie Christoph Vitzthum v. Eckstädt (1633-1711).

Noch heute weisen die Initialen CWE am Preß- und Winzerhaus, dessen große Gewölbekeller uns an diesem Abend auch durch den Verwalter, Herrn Häntsch, gezeigt wurden, auf diese Besitzer hin.

Nach dem Sohn, Friedrich Vitzthum v. Eckstädt (1675-1726), einem Kammerherrn von August dem Starken, wechseln die Besitzer vielfach. 1830 kaufte Georg Christian Fischer, der schon eine Reben-, Forst-und Obstbaumschule betrieb, das Grundstück.

1857 erstand Karl Albert Herrmann und wenige Jahre nach ihm,1865, der Leipziger Apotheker Ludwig August Neubert das Anwesen. Dieser Besitzer errichtete auch die Talutanlage zum Anbau von Tafeltrauben. Zur gleichen Zeit betrieb Reinhold Ackermann auf diesem Grundstück eine Gärtnerei. 1899 erwarb Reinhold das gesamte Anwesen und baute auf dem Fundament des um 1710 gebauten Wohnhauses die neue Krapenburg.

Über sein Leben ist wenig bekannt. Seine Tochter Frida Ackermann erbte das Grundstück. Sie erlebte hier auf der Krapenburg gute und schlechte Zeiten: Krieg und die Vernichtung der Weinberge durch die Reblaus, aber auch die Umstellung auf die Züchtung von seltenen Obst- und Beerensorten. Da Frida kinderlos blieb, übereignete sie nach ihrem Tod im Jahre 1956 einem Verwandten aus der Ackermannschen Linie das Grundstück.

1957 richtete das Sortenamt beim Landwirtschaftsrat der DDR die Rebenversuchsstation Radebeul auf diesem Grundstück ein, die nach der Wende vom Bundessortenamt und später von der Sächsischen Landesanstalt für Landwirtschaft übernommen wurde. Heute wird der Weinberg vom Sächsischen Staatsweingut bewirtschaftet.

Der schon 1590 bei dem Besitzer Asmus Müller erwähnte „Krap“ hat also eine lange Geschichte. Vieles ist nachvollziehbar, einiges bleibt im Dunklen. So ist auch der Name „Krap“ nicht ganz geklärt. Zwei Vorschläge gibt es: „Hainbuche“ oder „Weinbeere“. Vielleicht kennen Sie, verehrte Leser, noch eine andere Möglichkeit.

Gudrun Täubert

Editorial 8-16

Seit einigen Jahren ist die Reihe „Kammermusik in der Hoflößnitz“ zum festen Bestandteil eines exquisiten sommerlichen Kulturprogramms im Herzen von Radebeul geworden. Der reich ausgeschmückte Festsaal des Lust- und Berghauses, eine Pretiose des sächsischen Frühbarocks, bietet für Aufführungen in kleiner Besetzung hier geradezu idealtypische Voraussetzungen, wenngleich aufgrund der „trockenen Akustik“ für das geschulte Ohr einige gern zu verschmerzende Kompromisse hinzunehmen sind.

In loser Folge finden hier zwischen April und September an ausgewählten Sonntagen jeweils um 17 Uhr etwa 10 Konzerte statt.

Bernhard Hentrich, dem als künstlerischer Leiter maßgeblich für die Zusammenstellung und Durchführung der vielseitigen Jahresprogramme zu danken ist, führt mit außerordentlicher Sachkenntnis in die jeweiligen Aufführungen ein. Und nicht nur das macht das Konzerterlebnis persönlicher. Oft sind es die Musiker selbst, die zwischen den Sätzen oder wechselnden Komponisten dem interessierten Publikum ungezwungen an geschichtlichen oder musikwissenschaftlichen Vertiefungen teilhaben lassen. Stellvertretend seien namhafte Persönlichkeiten wie der Dirigent und Pianist Ludger Rémy oder Matthias Jung als Leiter des Sächsischen Vokalensembles genannt. Jedes Konzert bietet so seinen ganz eigenen Exkurs in das umfängliche Erbe europäischer Musik- und Kulturgeschichte.

In diesem Jahr sind mit dem Konzert am 31. Juli noch insgesamt vier Konzerte zu erleben, die Sie in unserem Veranstaltungsteil des betreffenden Monats beworben finden.

Sascha Graedtke

Mit Tom Tagtraum durch das Jahr 2016 – Teil 7

Du musst Träumen ihre Entstehung zulassen, denn nur so kann irgendwann ein Teil davon auch Wirklichkeit werden.

Zwei wundersame Geschichten im Orient
Wieder ging’s los mit dem kleinen, hellblauen Flugzeug. Thomas, der Pilot, flog Tom gleich zu Beginn der Matscheschneekältewetter-Winterferien in kurzer Zeit in eine palmenwedelnd-frühlingsduftende Gegend, wo der Honig besonders lecker schmeckt und Orangen einfach so als Fallobst, kaum beachtet, unter Straßenbäumen liegen. Hier gibt es statt Glockengeläut von Kirchtürmen schwelgende Gesänge von Moscheeminaretten und zum Frühstück frisch gepressten Granatapfelsaft. Alle Pflanzen duften mitten im Februar schon viel stärker als zu Hause im wohligsten Sommer, das Meer rauscht leise. Nur die fernen Berge tragen auf ihren höchsten, sehr geschwungenen Gipfeln Kappen aus Schnee. Hier oder vielleicht doch noch woanders, aber schon fast in der Nähe müssen die „Märchen aus tausendundeiner Nacht“ gespielt haben. Tom ist sich fast sicher, denn als ihm seine Großmutter Selma früher daraus vorlas, hatte er genau solche Bilder in sich drin entstehen sehen, wie er sie jetzt hier, nur etwas gegenwärtiger eben, vor sich sieht.

Wundersame Teppiche, die nie fliegen werden
Obwohl es schon Mittagszeit ist, spürt Tom keinen großen Hunger, nur etwas Müdigkeit vom Erlebten in der orientalischen Altstadt. Ein bisschen Ausruhen ist dran, Tom holt sich einen frisch gepressten Orangensaft, nimmt den Rucksack ab und lässt sich mit kurzem Seufzer auf einem Mauersims nieder. So, jetzt noch die Beine ausstrecken und…mmmhhh, wie der Orangensaft duftet und schmeckt! Erst nach dem nächsten Schluck blickt Tom auf und schaut auf zwei Läden, nicht weit gegenüber. In beiden gibt es Teppiche unterschiedlicher Größe und Muster, die auch dort hergestellt werden, um sie an Touristen aus aller Welt zu verkaufen. Kennst du die Märchen, in denen fliegende Teppiche vorkommen?
Tom erinnert sich der gehörten, vor- und längst selber gelesenen und jetzt schaut er hier in Ruhe zu, wie Teppiche gewebt werden. Das geht bei dem einen Händler, halb links quer der Straße, recht flott. Der hat dafür eine computergesteuerte Webmaschine, und ist solch ein Teppich ratzebatze fertig, so zieht ihn der Händler (Tom kann es deutlich durch eine spaltbreit offene Tür beobachten) durch eine Wanne mit einer gelbgrüngrau schäumenden, bis draußen übel riechenden Flüssigkeit und dutzenden, sehr kantigen Steinen. Die Touristen bezahlen schließlich viel Geld für „alte“, also „historische“ Teppiche, und nach solch einer Prozedur ist jeder Teppich in wenigen Minuten um viele hundert Jahre gealtert, scheinbar. Freilich ist nicht mal die Zeit bis zum nächsten Schluck Orangensaft vergangen…
Der Händler längs der Straße jedoch bietet nur wenige fertige Teppiche an. Seine Frau und die beiden Töchter sitzen an großen Webrahmen bei der Arbeit. Dabei erzählen sie einander Geschichten und trinken Tee, beginnen zu singen, legen bald eine Pause ein, weben weiter, haben einen freundlichen Blick für Tom übrig, um dann wieder miteinander zu scherzen. Tom entdeckt, dass jeder der wenigen Teppiche, die auf Käufer warten, ganz anders aussieht, so, als ob er selber eine eigene und ganz unverwechselbare Geschichte erzählen könnte. Na ja, für denjenigen jedenfalls, der aus einem Teppich Geschichten lesen kann. Nein, Tom braucht keinen Teppich. Und ein fliegender Teppich wird jetzt auch nicht durch die Tom-Tagtraum-Geschichten schweben. In denen gibt es schon genug wundersame Transportmittel, lassen wir die Flugteppiche also in den Märchen, in denen sie zu Hause sind. Darum soll es hier nicht gehen, hat doch Tom für sich ganz allein etwas klären können. Als er vom Mauersims aufsteht und den letzten Schluck frisch gepressten Orangensaft austrinkt, ist ihm das Geheimnis aller fliegenden Teppiche plötzlich ganz klar geworden. Wie – Was – Warum – Wieso… fragst du jetzt? Nun, noch bevor Tom den ersten Schritt weiter gelaufen ist, weiß er genau, welche Teppiche auch in den fantastischsten Märchen n i e fliegen werden können.

Mehmet der Zuckerbäcker und der wundersame Geldautomat
Nein, so etwas aber auch. Immer noch ist Tom in diesem fernen Land und Mehmet, der Zuckerbäcker, hatte ihn eben von diesen köstlichen Törtchen und Küchelchen kosten lassen. Genau das ist es! Einen großen Karton voll von diesen Leckereien mit nach Hause nehmen, für Mutter Bruni, Vater Gerd, Oma Selma, vielleicht würde sich Herr May auch freuen oder die Kinderärztin Frau Doktor Haferkorn. Aber zu dumm. Es ist der letzte Urlaubstag und, nun ja, wer kennt das nicht, Toms Taschengeld für diese Reise ist restlos alle. Am Anfang hatte er seine Euro in diese fremde Währung, nennen wir sie mal einfach Korinthen, getauscht, aber jetzt ist bis auf eine kleine, abgegriffene Münze nichts mehr übrig. Und billig sind die handgemachten Küchelchen auch nicht. Die und guter Rat sind jetzt also beide teuer. Tom kann nicht mal mehr Thomas, den Piloten, fragen, ob der ihm was leihen könnte, denn der tankt schon am Flugplatz vor der Stadt das kleine, hellblaue Flugzeug auf. In einer Stunde kommt der mintgrüne Reisebus, um Tom zur Rollbahn zu bringen. Nun geschieht auch in vermeintlich märchenhaften Wunderländern nicht ständig in aller Gegenwartsalltag ein Wunder und Tom ist auch noch zu jung für eine eigene Kreditkarte, mit der an allen Geldautomaten auf der Welt hätte etwas abheben können. Sein Sparschwein, das steht zu Hause auf dem Klavier. Der Gedanke, dass es ganz gut gefüllt ist, hilft hier jedoch auch nicht weiter… Aber je intensiver Tom an sein Sparschwein zu Hause auf dem Klavier dachte, desto schummeriger erschien ihm nach und nach ringsum die Welt und er selbst fühlte sich ein bisschen benebelt. Wer Tom jetzt beobachtete, erschrak vielleicht, sah er ihn doch zu einem Geldautomaten taumeln, sah, wie Tom einige Tasten drückte und dabei einige Male merkwürdige Laute vor sich her murmelte. Es klang aus weiter Ferne etwa wie „Himbraautomata, Sparschwein komm nach dada, himbrabrumbra letztlich, schütt mein Geld hier aus jetzt plötzlich…“ Tom taumelte immer noch und sah Farben aus Rosa und Grün, als vom Geldautomaten ein langes Klimpern zu vernehmen war. Toms gesamtes Sparschweingeld kam nämlich eben dort an, zweckmäßiger Weise gleich in der Landeswährung Korinthen gewechselt. Ein Wachmann der Bank schaute noch mit finsterem Blick um die Ecke, aber Münzen aus Geldautomaten, das gab es nicht, das war nicht vorgesehen. Also hatte ihm seine Wahrnehmung in der Mittagssonne nur einen Streich gespielt. Es würde Zeit, in Ruhe einen Tee zu trinken… Tom fühlt die Münzen in seiner Jackentasche und läuft eilig zu Mehmet, den Zuckerbäcker. Der hat bereits Toms Bestellung an Törtchen und Honigküchelchen transportsicher in einen großen Karton verpackt. Mehmet weiß Bescheid, jeden Tag kommen Touristen kurz vor der Abreise bei ihm vorbei. „Tschüss Tom, gute Reise nach Hause, lass es dir und deinen Freunden dort schmecken und wenn du mal wieder hier bist…“ – Aber da ist es längst Zeit für Tom. Er bekommt von Mehmet noch eine kleine Köstlichkeit auf die Hand, als der mintgrüne Reisebus schon hupt. Ab zum kleinen, hellblauen Flugzeug, das pünktlich startet. Tanja, die Stewardess, bringt Tom Apfeltee und Baklavar. Ab nach Hause. Übermorgen sind die Matscheschneekältewetter-Winterferien schon zu Ende, die Schule fängt wieder an.
Tobias Märksch

Der Radebeuler „NOTschriftenverlag“ feierte 20-jähriges Jubiläum

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Jens Kuhbandner im Gespräch mit Gästen Foto: W. Zimmermann

Man kennt das ja zur Genüge, die Lust daran sich selbstständig zu machen. Von niemandem außer von seiner Kundschaft abhängig zu sein. Und bei all dem die Möglichkeit zu haben, eigene Ideen zu verwirklichen. Einer, der sich diesen Traum erfüllte ist der Radebeuler Jens Kuhbandner. Ein Bücherfan? Natürlich, denn sonst gingen Wunschträume dieser Art gar nicht erst auf. Jens Kuhbandner gründete im Jahr 1996 in Radebeul seinen eigenen Verlag und gab ihm den skurrilen Namen „NOTschriften“. Die ersten Bücher des Verlages entsprachen tatsächlich diesem Verlagsnamen. Es waren Prosatexte und Lyrik, deren gedruckter Inhalt von einem schlichten Wellpappeneinband zusammengehalten wurde. Dafür fanden sich natürlich auch die ersten Autoren; ein Lyrikband von Edward Güldner erschien bspw. in dieser Aufmachung. Und auch der Rückblick eines Kulturmachers der 1980-iger Jahre, der in seiner STASI-Akte sehr viel erzählenswerte Geschichten entdeckte. Außerdem, der Schauspieler Wolfgang Dehler (leider schon verstorben), der Anekdoten aus seinem langen Schauspielerleben zusammensuchte und dieser Sammlung den schlichten Namen „…einfach absurd“ gab. Vielleicht war es gerade das Cover seines Buches, das den Verlag von den Wellpappenbüchern abrücken ließ. Fortan nämlich verwiesen die Einbände, wie es im Buchverlagswesen nun mal Standard ist, ganz klar auf den Inhalt des Buches.

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Querschnitt aus dem Verlagsprogramm Foto: W. Zimmermann

Das Verlagsprogramm ist in den 20 Jahren ziemlich umfangreich geworden. Und es sind längst nicht nur Neulinge, die bei NOTschriften gelistet sind. Die Hauptarbeit (Texte sichten, Gespräche mit den Autoren führen etc.) macht der Verlagschef immer noch nahezu allein. Und immer noch findet man ihn in seinem kleinen Büro im Erdgeschoss vom Pfarrhaus der Radebeuler Friedenskirche. Inmitten von Büchern natürlich, für die inzwischen der Platz recht knapp geworden ist. Der 20-jährige Verlagsgeburtstag wäre vielleicht eine Möglichkeit, sich auch in den Räumlichkeiten etwas auszuweiten.

Wolfgang Zimmermann

Auf ein Neues im nächsten Jahr!

Zum XJAZZ-Festival am 27./28. Mai in Radebeul

Kristina Amparo mit ihrer Band

Kristina Amparo mit ihrer Band                Foto: B. Kazmirowski

im Mai-Heft der „Vorschau“ kündigte Jazzlegende Günter Baby Sommer ein für Ende des Wonnemonats (27./28.) in Radebeul geplantes Jazzfestival unter dem Titel XJAZZ an und warb um breite Akzeptanz unter Musikfans der Region, damit es zu einer Tradition werden möge. XJAZZ ist, das sollte man wissen, ein seit einigen Jahren sich von Berlin aus über das Land und seit diesem Jahr auch in Europa (Tel Aviv, Istanbul und Reykjavik) verbreitendes Konzertkonzept, das den Begriff Jazz absichtsvoll weit fasst und stilistische Ausflüge zum Soul und Funk, ja selbst zum Gospel und zur Klassik ermöglicht. Es geht also nicht um die reine Lehre (Kann es die in der Kunst überhaupt geben?), sondern um ein atmosphärisch stimmiges Musikerlebnis, weshalb sich die Organisatoren für die Radebeuler Premiere auch drei sehr unterschiedliche, gleichwohl geeignete Locations (wie man Neudeutsch sagt) ausgesucht und eine ganze Palette an Musikern aus dem In- und Ausland eingeladen hatten. Ein großes Plus, so sollte sich erweisen, war die Verwurzelung der jungen Konzertveranstalter von „Dynamite Konzerte“ um Björn Reinemer in unserer Region (Firmensitz im „White House“ auf der Kötzschenbrodaer Straße), was sich im unermüdlichen Engagement im Umfeld des Festivals und zu den Veranstaltungen selbst zeigte. Die insgesamt neun Konzerte fanden zwischen Freitagabend und Samstagabend in der Lutherkirche, im Foyer der Landesbühnen Sachsen und im Areal des Weingutes Aust statt, wobei der Verfasser sich für jene im Weinberg am Sonnabend entschieden hatte. Ich gebe zu, dass ich nicht zu den Kennern der Materie gehöre, sondern mich eher nach dem von Sommer in seinem Artikel ausgerufenen Motto „Viel Vergnügen bei offenen Ohren“ richten und also unvoreingenommen auf die Musik einlassen wollte. Mit mir zusammen fanden sich dann zu spätnachmittäglicher Stunde schon geschätzte 60 entspannt wirkende Menschen im Weingut ein, wo an diesem Tag zwei Bühnen aufgebaut waren, auf denen die vier Acts – Three Fall, Kristin Amparo, Baby Sommer mit Michael Winkler sowie Tabitha Xavier mit Steffen Roth – spielten. Ungewöhnlich, aber in jedem Fall gelungen fand ich die Entscheidung, nicht auf einen großen Namen zu setzen, sondern über insgesamt fünf Stunden die Künstler kürzer, dafür manche auch mehrfach auftreten zu lassen. Nicht nur meiner Meinung nach waren die beiden Auftritte der schwedischen Sängerin Kristina Amparo besondere Höhepunkte, und dies nicht nur deshalb, weil sie sowohl den Beginn als auch das Ende des Konzertabends markierte.

DCIM100MEDIA

Foto: B. Kazmirowski

Mit selbst komponierten, stimmgewaltig und doch feinsinnig interpretierten, eher zum Soul tendierenden Stücken verlockte sie die auf Bänken sitzenden, im Gras liegenden und mit Weinglas am Rande stehenden Zuhörer zu gedankenverlorener Versunkenheit in der Musik, besonders in der abendlichen Dämmerung. Wie angenehm, wenn Zeit einmal so zu einem langen sinnlichen Moment gerinnt und inmitten der Natur still zu stehen scheint. Baby Sommer ließ es sich natürlich nicht nehmen, als Schirmherr des Festivals mit seiner Band auch selbst in Erscheinung zu treten und mit dem Saxophonisten Michael Winkler einen seiner facettenreichen Auftritte hinzulegen, bei denen vor allem seine Schlagzeugimprovisationen und die Soloparts Winklers die Aufführung zu einem volltönenden Erlebnis werden ließen.
Dem Vernehmen nach planen die Veranstalter nach der erfolgreichen Premiere auch für 2017 mit einer XJAZZ Edition Radebeul. Die ca. 400 Besucher in den Konzerten machen Mut und Lust auf mehr Jazzmusik zwischen Elbufer und Hangkante, wobei sicherlich die meisten Fans darauf hoffen, dass das unverkrampfte und natürliche Miteinander zwischen ihnen und den Veranstaltern einerseits sowie den Künstlern andererseits, wie ich es exemplarisch im Weingut Aust erleben durfte, erhalten bleibt. Eine Besonderheit dieses Konzertabends bei Winzer Aust war ganz gewiss der terminliche Zusammenfall mit der Eröffnung des Pressenhauses in der nahe gelegenen Hoflößnitz (siehe auch den Beitrag dazu im Heft), von wo gegen Abend einige Besucher des Bürgerfestes unverhofft noch den Weg zum Jazz fanden – und so einen kulturvollen Tag in kulturträchtigem Ambiente ausklingen lassen konnten.

Bertram Kazmirowski

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