Was uns Häusernamen sagen können (Teil 1)

Auf ausgedehnten Spaziergängen habe ich mich im Januar gezielt auf die Suche nach Namensauf- und -inschriften an Radebeuler Häusern gemacht. Diese sicher nicht vollständige Sammlung hat über 60 solcher auf Fassaden von Villen und anderen Häusern befindlichen Namen ergeben. Im Folgenden will ich versuchen, sie in Gruppen einzuteilen und einige Hintergründe zu beleuchten, um anschließend eine Auswahl in Wort und Bild vorzustellen.

Doch grenzen wir zunächst einmal das Thema ein. Es geht hier nicht um im Volksmund verwurzelte Namen (z. B. Haus Breitig), sondern um solche, die sozusagen »schwarz auf weiß« an den Fassaden zu sehen sind bzw. waren. Ausgeklammert bleiben sollen hier Schriften und Werbung mit kommerziellem Hintergrund wie Gaststättennamen etc. Auch reine Schmuckformen, Wappen, Sonnenuhren, Monogramme oder Jahreszahlen und Grüße über Hauseingängen (»Salve«) lassen wir heute außen vor und wenden uns nun »Villa Marie und Co.« zu.

Villa Marie (Foto D. Lohse)

So ein Villenname war und ist kein Muss, das Haus funktioniert auch ohne Namen. Bei Kulturdenkmalen kann der Erhalt einer Fassadeninschrift dann ein Thema sein, wenn der alte Name den heutigen Eigentümern zufällig nicht gefällt. Etwa die Hälfte der betrachteten Häuser sind Denkmale. In Radebeul finden wir solche Namen schwerpunktmäßig an Villen und Wohnhäusern zwischen 1870 und 1915, dann kommt eine längere Zeitspanne fast ohne Namen. Erst nach 1990 scheint wieder ein Gefühl dafür aufgekommen zu sein – man pflegt vorhandene Villennamen und man findet auch hin und wieder neue.

Wo »Villa Soundso« draufsteht, haben wir es streng genommen nicht immer mit einer echten Villa (aufwändiges Einfamilienhaus, meist mit offenem Treppenhaus) zu tun. Die Bezeichnung Villa in Häusernamen begegnet uns oft auch bei Mietvillen (diese haben zwei oder mehr Wohnungen und ein geschlossenes Treppenhaus) und anderen Wohnhäusern.

Villennamen gibt es quer durch das Alphabet von Amely (Paradiesstr. 9a) bis Zucca (Obere Bergstr. 11), wobei natürlich Vornamen und da weibliche (über 90 %) dominieren. Mancher seinerzeit weit verbreitete Vorname (z. B. Marie, Elisabeth, Martha, Clara) fand bzw. findet sich gleich an mehreren Radebeuler Villen, andere wirken heute geradezu exotisch (z. B. Villa Sarolta, Schildenstr. 2). Männliche Vornamen (z. B. Villa Elias, L.-Richter-Allee 15) sind in Radebeul und wohl auch andernorts sehr selten. Meist wollten die Bauherren mit dem Villennamen ihre Ehefrau und manchmal auch die Tochter ehren.

Bei Häusernamen erkennen wir aber auch noch eine andere, Wünsche, Sehnsüchte und Erinnerungen zum Ausdruck bringende Gruppe, hier seien stellvertretend »Heimattreue« (Lößnitzgrundstr. 16) oder »Sorgenfrei« (Augustusweg 48) genannt. Die dritte Gruppe bilden Häusernamen mit geografischen Bezügen, also Länder-, Völker- oder Städtenamen – Villa Sancerre (Rennerbergstr. 11), Villa Bohemia (Dr.-Rud.-Friedrichs-Str. 13) –, die eventuell Rückschlüsse auf die Herkunft des Bauherrn zulassen. Mitunter fließen auch religiöse Inhalte in diese Namen ein wie bei »SOLI DEO GLORIA« (Hauptstr. 41). Gelegentlich lassen uns Bauherren mit der Verwendung von lateinischen Texten wissen, dass sie zum Bildungsbürgertum gehören wollen. Manchmal war der Häusername für mich mit längerem Rätselraten verbunden, aber jetzt weiß ich, was uns der italienische Name »Villa Fenice« (H.-Zille-Str. 57) sagen will, nämlich nichts anderes als Phönix!

Villa Falkenstein (Foto D. Lohse)

Natürlich sind die hier betrachteten Namen fast immer auf der Schauseite der Häuser, also der Straßenseite, angebracht. Ein geeigneter Platz findet sich meist in der Höhe zwischen Erd- und Obergeschoss, oft mittig zur Fassade oder auch an Giebeln oder Türmen, dann auch höher platziert. Der richtige Platz, eine gut proportionierte Schriftgröße und die passende Schrifttype sind insgesamt wichtig für eine gute Gestaltung und Erkennbarkeit.

Bei den Fassadenschriften kamen verschiedene Materialien, Farben und Techniken zum Einsatz – aufgesetzte Metallbuchstaben, auf Putz gemalte Schriften, erhabene Stucktexte, im Putz vertiefte Schriften (Sgraffito) oder auch montierte Schrifttafeln. Unter den verschiedenen Schrifttypen kann die Antiqua mit ihren Spielarten als der Klassiker bezeichnet werden. Daneben finden wir auch gotisierende, groteske und gefällige Jugendstilschriften in unserer Stadt. Leider treffen wir vereinzelt auch auf verkomplizierte Schriften oder solche mit zu geringem farblichem Kontrast, die dann kaum lesbar sind. Bei schlecht platzierten oder handwerklich verstümperten Häusernamen (Hauptstr. 41) wünschte man sich, sie wären nicht angebracht worden oder es gäbe eine Chance, sie noch zu verbessern.

Auf eine kleine Besonderheit sei noch hingewiesen, nämlich den eigentlich überflüssigen Punkt hinter einigen der gesammelten Namen, wie bei »Villa Marie.« Möglicherweise wollte man dadurch der Schriftzeile zusätzlich Gewicht verleihen. Da der Name an der Fassade meist der letzte Akt des Baugeschehens war, kann es aber auch sein, dass man nach den entbehrungsreichen Monaten sprichwörtlich jetzt erst »mal einen Punkt machen« wollte.

Verglichen mit anderen Villengebieten in Dresden wie z. B. Wilder Mann, Klotzsche oder Blasewitz haben Ober- und Niederlößnitz einen beachtlichen Bestand solcher Schriften, im Einzelfalle durchaus auch von vergleichbarer Qualität. Für Spaziergänge lohnen sich etwa die Ludwig-Richter-Allee, die Obere Berg- und die Clara-Zetkin-Straße mit je vier sowie die Moritzburger und die Paradiesstraße mit je drei derartigen Namensschriften.

Bei meinen Recherchen konnte ich stellvertretend für eine sicher viel größere Zahl in Radebeul ehemals vorhanden gewesener Häusernamen auch folgende heute fehlende Namen feststellen: »Villa Agnes« (Lößnitzgrundstr. 2), »Villa Augusta« (Bodelschwinghstr. 2) und »Villa Columbia« (Mohrenstr. 14). Ob diese Namen eine Auferstehung haben, wäre nicht auszuschließen, ist aber z. Z. nicht abzusehen. (Fortsetzung folgt.)

Dietrich Lohse

[V&R 3/2010, S. 2-4]

Auf der Erfolgswelle!?

Franz Wittenbrinks »Sekretärinnen« an den Landesbühnen

Zwischen das ambitionierte und von der Kritik mit einhelligem Beifall aufgenommene »Umbrüche«-Projekt und die im Frühling folgenden dramatischen Schwergewichte Shakespeare und Brecht platzierten die Landesbühnen mit »Sekretärinnen« einen jener szenischen Liederabende, mit denen das musikalische Multitalent Franz Wittenbrink seit nunmehr 15 Jahren landauf, landab die (Samstag­)Abendunterhaltung deutschsprachiger Bühnen bestimmt. Mittlerweile gibt es wohl allein mehr als ein halbes Hundert »Sekretärinnen«-Inszenierungen, wovon die Mehrzahl zur Freude der Intendanten an der Kasse sehr erfolgreich ist (135 ausverkaufte Vorstellungen am Hamburger Schauspielhaus sprechen für sich). Wahrscheinlich ist es auch genau dieser Aspekt, der diesem Wittenbrinkschen »Musical« (der Deutsche Bühnenverein verweigert diesen Produktionen nicht grundlos die Bezeichnung »Stück«) den Weg auf den Spielplan der Landesbühnen ebnete. Denn die auf 75 Minuten beschränkte, intellektuell gleichermaßen unbelastete und unbelastende, vor allem auch pausen-lose Unterhaltung ermöglicht es dem Theaterfreund, nach Heimkehr noch in Ruhe das Programmheft zu studieren und danach seine Gedanken vom Kunsterlebnis weg und bei einem Glas Wein auf etwas anderes zu lenken. Wittenbrink äußerte einmal mit leicht selbstkritischem Unterton, dass sein Tippsenabend »ja eher einfach – mit klaren Frauentypen – und vielleicht deshalb so erfolgreich« sei. Mit fröhlicher Unkompliziertheit lässt sich sicherlich mancher Zeitgenosse, der sonst lieber den Fernseher einschaltet, in den Theatersaal locken. Für den Moment muss man aber noch abwarten, wie der Zuspruch in Radebeul ausfallen wird, denn von einem großen Erfolg beim Premierenpublikum kann keine Rede sein. Nicht nur, dass – ungewöhnlich genug – eine ganze Anzahl von Sitzen von vornherein leer blieb, auch der Beifall am Ende war freundlich, aber nicht begeistert, und schon gar nicht euphorisch.

v.l.n.r.: Wiebke Adam-Schwarz, Julia Vincze, Anke Teickner, Holger Uwe Thews, Ursula Schucht, Sandra Maria Huimann, Franziska Hoffmann (Szenenfoto LBS)

Unter der Regie von Stephan Thiel entfaltet sich auf der als Großraumbüro gestalten Bühne (Ausstattung: Halina Kratochvil) der Arbeitsalltag von sechs Sekretärinnen (Ursula Schucht, Sandra Maria Huimann, Franziska Hoffmann, Wiebke Adam-Schwarz, Anke Teickner, Julia Vincze), deren verschiedene Charaktere erst nach und nach sichtbar werden, was die nüchterne Konformität der Büroarbeit mehr und mehr aufbricht und dieser ein menschliches Antlitz verleiht. Da wird getippt und geflüstert, Kaffee gekocht und genascht, Papier geknüllt und gekeift, gelacht und geraucht. Völlig normal also und eigentlich keiner näheren Betrachtung wert. Eine nacherzählbare Handlung gibt es nicht, stattdessen besteht das Stück in weiten Teilen aus einer Abfolge von 33 mal mehr (z.B. Für mich soll’s rote Rosen regnen, This is a man’s world), mal weniger (z.B. Bei mir bist du scheen, Das Glück ist a Vogerl) bekannter Gassenhauer, die in unterschiedlicher Besetzung (solo, Duett, alle) und souverän von Amadeus Boyde am Klavier begleitet vorgetragen werden. Diese Lieder und Gedichte aber werfen Schlaglichter auf die Eigenarten und Schicksale der Figuren, denen die Ensemblemitglieder ihre Darstellungskunst leihen. Da beweist die eine oder andere Aktrice durchaus bemerkenswerte Stimmqualitäten (Julia Vincze), kann der Regie eine gute Portion inszenatorischer Witz (etwa wenn alle Darstellerinnen zum Shanty »Ein Schiff wird kommen« in einer Art Standbild ein Schiff imitieren, inklusive Möwengeschrei und Wellengeschaukel) bescheinigt werden, vermag auch manches Mal die akustische Choreographie von Büroraumszenen attraktive Akzente zu setzen (so bei der Schreibmaschinensinfonie). Zusammengehalten wird der Büroalltag – und damit gleichermaßen auch der szenische Liederabend – durch die universale Sehnsucht der Frauen nach dem männlichen Prinzip in ihrem Leben, so unterschiedlich dieses für jede einzelne auch ist. Träumt die eine von einem Seemann, legt sich die andere mit Gedanken an Genies von Mozart bis Tolstoi zu Bett. Verzehrt sich die eine nach der großen Liebe, geht die andere mit der ihrigen schon recht routiniert um. Vermag die eine mit glitzerndem Tand die Trennung vom Vater ihres noch ungeborenen Kindes zu kompensieren, scheint die andere viel zu cool, um sich je mit solchen Emotionen überhaupt zu belasten. Herein in den tristen Vollzug der Schreibarbeiten tritt das Maskuline in Gestalt des Büroboten (Holger Uwe Thews mit zwei starken Gesangsnummern), der unter seiner Rolle als Sehnsuchtsobjekt mehr leidet, als dass er sie genießt. Offen bleibt, ob das für die Aussageabsicht des Liederabends eine Rolle spielt oder nicht. Zwar werden einzelne Sekretärinnen durch ein Licht-Ton-Signal für kurze Zeit vom Arbeitsplatz abberufen, aber wer sie ruft und weshalb ist unklar. Diese Leerstelle stört aber nicht sehr, denn der Zuschauer ist sowieso gefragt, sich selbst einen Reim auf die nur angerissenen Biographien der Protagonistinnen zu machen. Und da mag es durchaus ganz unterschiedliche Lesarten geben.

Rein statistisch gesehen hat mehr als jeder Hunderste Deutsche in den letzten 15 Jahren einen Wittenbrink-Abend erlebt, die Gesamtbesucherzahl aller Inszenierungen hat mittlerweile die Millionengrenze überschritten. Den Landesbühnen ist zu wünschen, dass sie an dieser Erfolgsstory teilhaben mögen, wenngleich der Rezensent nicht seine Vorfreude auf die nächsten »richtigen« Theaterpremieren der Spielzeit verhehlen möchte.

Bertram Kazmirowski

[V&R 3/2010, S. 9-11]

Rauchschwalben in Radebeul

Nicht allen wird es bekannt sein: Seit fast sechzig Jahren gibt es in Radebeul eine Gruppe, die sich besonders dem Vogel- und Naturschutz verschrieben hat. In DDR-Zeiten im Kulturbund organisiert, fand sie nach der Wende ihren Platz unter dem Dach des NABU.

Neben manchen anderen Aktivitäten der Gruppe wurde in diesem Jahr erneut ein Projekt aufgelegt, das sich der »Erfassung und Förderung der Rauchschwalben in Radebeul« widmet.

Ein Sprichwort sagt: Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Neben seiner kaum zu bestreitenden Aussage drückt es nebenbei aus, dass diese Vögel fest im Bewusstsein vergangener Generationen verankert waren. Heute gehören sie leider nicht mehr zu den selbstverständlichen Mitbewohnern menschlicher Siedlungen.

Manche werden wissen, dass in unseren Breiten mehrere Arten von Schwalben beheimatet sind. Vielleicht haben Sie schon die vielen Schwalben wahrgenommen, die seit einigen Jahren ihre Nester an das Gebäude vom »Kaufland« auf der Kötzschenbrodaer Straße angeklebt haben. Es sind dies Mehlschwalben, leicht erkennbar an ihrer auffälligen rein-weißen Unterseite und dem relativ kurz gegabelten Schwanz. Viele ordnen auch die pfeilschnellen schwarzen Flieger mit den sichelförmigen Flügeln und den schrillen sriiieh-Rufen den Schwalben zu, was aber falsch ist, denn da handelt es sich um Mauersegler, die mit den Schwalben in keinem Verwandtschaftsverhältnis stehen.

Und dann eben die Rauchschwalben. Sie sind im Ganzen auch dunkel gefärbt, die Unterseite ist weißlich, sie haben aber, im Gegensatz zur Mehlschwalbe, eine rostrote Kehle, und – daran sind sie zu erkennen – extrem lange Schwanzfedern, die wie Spieße weit nach hinten abstehen.

Unterscheiden kann man sie auch leicht nach ihren bevorzugten Brutplätzen. Mehlschwalben heften ihr napfförmiges Nest aus Lehm und Grashalmen außerhalb von Gebäuden und senkrechten Flächen an, Rauchschwalben suchen das Innere auf, nisten in Ställen und Scheunen, knapp unter der Decke. Früher war das für sie kein Problem. Kuh-, Pferde- und Schweineställe gab es im ländlichen Raum in großer Zahl und die damit angelockten Fliegen waren eine schier unerschöpfliche Nahrungsquelle. Auch wenn durch ihren Appetit die Fliegenplage kaum gemindert wurde, sah der Bauer die Schwalben doch gern in seinem Stall. Und dass Fenster und Luken für sie offen standen, war ein gern gewährtes, selbstverständliches Gastrecht.

Dass Rauchschwalben ausgerechnet diese Lebensweise angenommen haben, ist ihnen in unserer Zeit zu einem existenzgefährdenden Problem geworden. Ställe sind rar geworden in unseren Siedlungsgebieten und Dörfern. Und damit hat auch ihr früher unbegrenztes Nahrungsreservoir spürbar abgenommen. Das alles hat dazu geführt, dass die Rauchschwalbe, eben anders als ihre Schwester, die Mehlschwalbe, einen besonders starken Bestandsrückgang zu verzeichnen hat, der alarmierend zu nennen ist. Aus diesem Grund sollen wieder einmal die Radebeuler Rauchschwalben in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt, ihre Zahl erfasst und, so gut es geht, ihre Lebensbedingungen verbessert werden.

Einige Mitarbeiter der NABU-Gruppe werden ab April an die Plätze gehen, wo in den vergangenen Jahren Rauchschwalben beobachtet wurden, werden sehen, wie sich die Lebensbedingungen für diese Vögel vielleicht verändert, verbessert oder verschlechtert haben, werden Altvögel zu zählen versuchen, Nester und darin befindliche Junge, die Ergebnisse auf Karten eintragen und in Tabellen zusammenstellen. So wurden in den Jahren 2005/06 einige Brutpaare in Serkowitz, Zitzschewig, Lindenau, Wahnsdorf, Kötzschenbroda und Naundorf erfasst. Einige wenige Einzelvorkommen wurden sogar in Wohngebieten der Ober- und Niederlößnitz und in abgelegenen Gehöften festgestellt.

Und deswegen nun auch unsere Bitte an Sie: Wenn Sie Rauchschwalben sehen, wie sie immer wieder einen Stall, einen Schuppen oder sonst ein Gebäude anfliegen und nach einem Einflugloch suchen, öffnen Sie ihnen, wenn es nur irgend geht, eine Luke oder ein Fenster zu einem Raum, der für einen Nistplatz in Frage kommen könnte. Ein kleines Brett, etwa 20 cm unterhalb der Decke angebracht, könnte ihnen eine dankbar angenommene Hilfe für den Nestbau bedeuten. Freilich müsste gewährleistet sein, dass diese Ein- und Ausflugöffnung bis etwa September frei zugänglich bliebe.

Und die andere Bitte: Wenn Sie ein- oder ausfliegende Rauchschwalben beobachten, alte oder neue Nester entdecken und Rauchschwalben an Lehmpfützen feststellen, wo sie ihr Nistmaterial holen, teilen Sie es uns bitte mit (Tel. 0351-8486925). Wir würden uns dann gern mit Ihnen in Verbindung setzen, austauschen und beraten, wie die Lebensbedingungen für diese liebenswerten Sommergäste eventuell noch verbessert werden können.

Johannes Woldt

[V&R 3/2010, S. 5f.]

Besuch bei alten Bekannten

Viele bedauern es, aber es ging nicht anders: Sachsens, wahrscheinlich sogar Deutschlands größte Puppentheatersammlung musste das Radebeuler Hohenhaus im Herbst 2003 verlassen. Seither ist die Sammlung von Marionetten, Stab- und Handpuppen sowie Bühnen aus zwei Jahrhunderten, die bekanntlich schon lange zu den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden gehört, in einem Seitenflügel der Garnisonskirche an der Stauffenbergallee im Dresdner Norden untergebracht und zurzeit leider nicht zu besichtigen.

Kasper ruft zur Ausstellung im Jägerhof (Foto K. Funke)
Kasper ruft zur Ausstellung im Jägerhof (Foto K. Funke)

Ein gutes Jahr lang war bis Ende Januar eine kleine Schau daraus im Dresdner Museum für Sächsische Volkskunst zu sehen. Weithin sichtbar saß ein langnasiger wetterfester Kasper vor dem 2. Stock des Jägerhofs, um auf sich bzw. die Ausstellung »Kasper – eine deutsche Karriere« aufmerksam zu machen. Wenn der Konservator der Sammlung, Lars Rebehn, erklärt: »Diese Sonder-Ausstellung zeigt nur ein Prozent des Bestandes«, dann kann man sich vorstellen, wie riesig die Sammlung insgesamt sein muss, etwa 100.000 Exponate, schätzt er. Das Gästebuch des Museums am Carolaplatz zeugt jedenfalls von der Begeisterung von Jung und Alt.

Gleich als erster Blickfang war der »subversive Kasper« in einer Art Blechkastenbühne zu sehen, der Hauptdarsteller der Berliner »Gruppe Zinnober«. Zu DDR-Zeiten brachte die Gruppe – in Anspielung auf den damals aktuellen Abenteuerfilm »Jäger des verlorenen Schatzes« – das Stück »Jäger des verlorenen Verstandes« als aktuelle Polit-Satire auf die Bühne. Ein Amateur-Video von damals belegt anhand der vielen Lacher aus dem Publikum, wie gut die Anspielungen verstanden wurden.

Blickfang Blechkasten (Foto K. Funke)

Auf Veranlassung des Dichters und Gelehrten Gottsched ließ die Theaterdirektorin von Leipzig, Caroline Neuber, 1737 die Harlekinfigur symbolisch auf der Bühne verbrennen, um deutlich zu machen: mit ihr ist es vorbei. Um diesen Skandal nachzuspielen, gestaltete Tilla Schmidt-Ziegler genau 200 Jahre später Handpuppen in Kostümen jener Zeit und ließ die Geschichte nachspielen unter dem trotzigen Titel: »Kasper stirbt nicht!«, was zumindest für die Puppenbühne gelten sollte und wohl nach wie vor gilt.

Marionetten Kasper der Familie Ritscher (Foto K. Funke)

Kasper und Co. gibt es in allen erdenklichen Materialien: Holz, Stoff, PVC und Pappmaché. Im 19. Jahrhundert war Holz vorherrschend, vor allem aus dem leicht zu bearbeitenden Lindenholz wurden die Köpfe geschnitzt. Der hierzulande berühmte »Hohnsteiner Kasper« – auch das erklärte die Ausstellung – entstammt der Wandervogel-Bewegung. Deshalb trat der Hohnsteiner Kasper ohne Knüppel auf und überzeugte den Gegner lieber mit Klugheit und moralischen Argumenten. Auch Seppel war dabei, der seinen Freund Kasper immer wieder in heikle Situationen brachte.

Gewöhnlich wird eine Marionette an sieben Fäden geführt, um alle wichtigen Bewegungen zu erzeugen. Beim Kasper waren es aber oft mehr, so dass man ihn auch die Augen rollen und die Kinnlade herunterklappen lassen konnte. Er war damit beweglicher als Prinzesssinnen und Räuber. »Die Führung von Marionetten ist eine Kunst für sich, denn sie sind schwer wie ein Eimer Wasser«, sagte die Museumsmitarbeiterin Frau Friedrich. Im Elbtal war neben Heinrich Apel vor allem die Familie Ritscher bekannt, die um 1930 zu den fleißigsten Gestaltern von Marionetten und Kaspern für Komödien gehörte.

Die Ausstellung ist vorbei (leider), nun wird im Jägerhof umgebaut. Ab Ende November 2010 soll aber die Kasper-Schau hier wieder zu sehen sein. Derweil wird in der Garnisonskirche gezählt, geschrieben, erfasst. Eine Art Volkszählung ist angesagt. Unter dem Namen »Daphne« läuft das Projekt. Alle Puppen und Bühnen werden fotografiert und im Computer registriert. Alle Kollegen helfen mit, auch die Restauratorin Ines Handel. Sie prüft den Zustand der wertvollen alten Puppen und beseitigt nach Möglichkeit die behebbaren Schäden, bevor die Objekte wieder eingewickelt und einsortiert werden. »Zu jeder Figur gibt es eine Geschichte«, erklärt Lars Rebehn. Wenn die bekannt ist, muss sie natürlich mit erfasst werden. Die älteste Puppe ist 220 Jahre alt. Ihr damaliger Besitzer, Franz-Anton Lorgis, soll sie dabei gehabt haben, als er anno 1798 im Schloss Pillnitz vor der königlichen Familie aufspielte.

»Es gibt in Deutschland noch fünf weitere große Puppentheatersammlungen«, sagt Museumsleiter Rebehn, »aber unsere Dokumentation wird einzigartig sein.« Das macht die Dresdner Sammlung so wertvoll. Leider kann sie derzeit nicht von jedermann besichtigt werden, was in Radebeul noch möglich war. Ab und zu gibt es aber auch öffentliche Depot-Vorführungen, so wahrscheinlich zur Dresdner Museumsnacht am 10. Juli und dann noch einmal im Herbst 2010 im Rahmen der Veranstaltungsreihe »Puppenspiel in der Garnisonskirche«. Auf Anfrage werden zwar auch Führungen gemacht, jedoch momentan nur für Fachpublikum, Archivare, Studenten und Wissenschaftler.

Karin Funke

[V&R 3/2010, S. 13-15]

Ein Schauspieler der leisen Töne

Horst Mendelsohn feierte seinen 80. Geburtstag

Fast zehn Jahre ist es nun schon wieder her, dass Horst Mendelsohn seine Abschiedsvorstellung an den Landesbühnen Sachsen gab, jenem Theater, wo er über vier Jahrzehnte in unzähligen Rollen auf der Bühne gestanden und für die langjährigen Radebeuler Theatergänger immer »irgendwie dazu gehört« hatte. Gegeben wurde Michael Frayns Komödie »Der nackte Wahnsinn«; Horst Mendelsohn war darin in der Rolle eines 70-jährigen Schauspielers zu erleben. Zufall oder nicht – jedenfalls feierte Mendelsohn zwei Tage nach der Premiere am 6. Februar 2000 seinen eigenen 70. Geburtstag. Und längst schon stand für ihn fest: Es wird ultimativ die letzte Spielzeit sein. Mit der ihm eigenen Konsequenz begründete er damals seine Entscheidung: »Ich möchte nicht irgendwann mal hilfsbedürftig auf der Bühne stehen wie manch anderer, der glaubt, nicht aufhören zu können.«

Denen, die ihn in zahlreichen Inszenierungen am Radebeuler Theater und auf der Felsenbühne Rathen erleben konnten, bleiben die Erinnerungen an einen Mimen, der stets mit Akribie an die Erarbeitung seiner Rollen ging. An einen, der noch jenem – mittlerweile längst ausgestorbenen – Schauspielertyp angehörte, der jede neue Rolle als die wichtigste Aufgabe betrachtete.

1960 – ganz am Anfang seines Radebeuler Engagements – war es vor allem die Rolle des Raimund in der »Jungfrau von Orleans« und 1963 die des Mephistopheles im »Urfaust«, in denen der gebürtige Berliner das Publikum von seiner Kunst überzeugen konnte. Der Peachum in der »Dreigroschenoper« kam dazu, der Oberon im »Sommernachtstraum«, Napoleon in »Krieg und Frieden« und zahllose weiter Rollen, nicht zu vergessen natürlich die Figur des Prof. Grey in der unverwüstlichen »Feuerzangenbowle«. Auf seine Laufbahn zurückblickend, sagte Mendelsohn einmal: »Ein Brüller war ich nie!« Ihm lagen die stilleren Charaktere mehr als die lauten.

Einer ganz anderen und viel Engagement fordernden Aufgabe widmete sich Horst Mendelsohn im Herbst 1989. Damals stellte er sich – gemeinsam mit dem heutigen Intendanten Christian Schmidt und dem damaligen Kapellmeister Matthias Liebich – zur Verfügung, als es darum ging, das Theater in einer schwierigen politischen Situation nicht kopflos zu lassen.

Sechs Intendanten erlebte Mendelsohn in seiner aktiven Zeit allein in Radebeul. Sie kamen und gingen wieder, Horst Mendelsohn aber blieb. Die Stadt Radebeul ehrte den Schauspieler am 9. September 2000 mit der Verleihung des städtischen Kunstpreises, unter anderem dafür, dass »er stets seine ganze Kraft und seine Persönlichkeit in den Dienst des Theaters gestellt hat«.

Am 8. Februar feierte Horst Mendelsohn seinen 80. Geburtstag. Dazu im Nachhinein unseren herzlichen Glückwunsch!

W. Zimmermann

[V&R 3/2010, S. 12]

Exkursion zu den Kaditzer Torbögen

In mittelsächsischen Dörfern finden wir bei Zwei- oder Dreiseithöfen gelegentlich noch große, in die Schildmauern zum Anger hin eingelassene Torbögen, meist mit einer kleineren Pforte daneben. Seit wann es diese wehrhaft wirkenden Anlagen gibt, ist nicht genau zu sagen. Man wird kaum fehl gehen, sie schon im Mittelalter als vorhanden anzusehen. Gerade in unsicheren Zeiten kam es für die Bauern darauf an, ihre Familie, Hab und Gut und auch das Vieh zu schützen; Mauern und Tore trugen dazu bei.

Wenn man heute in den Radebeuler Dorfkernen Bilanz zieht hinsichtlich solcher Toranlagen, sieht es sehr unterschiedlich aus. So gibt es am Anger der größten Dorfgemeinde Kötzschenbroda keine alten Torbögen mehr – der Bogen von Altkötzschenbroa 26 (etwa 3 Jahre alt) ist nicht einmal eine Kopie, eher schon die Karikatur eines solchen Bogens. Jedoch hat sich in der Neuen Straße noch ein solcher Bogen erhalten. Um 1900 erkennen wir auf alten Postkarten im Kötzschenbrodaer Oberdorf noch etwa acht Torbögen. Altwahnsdorf hat einen, Altzitzschewig zwei und Altnaundorf drei derartige Bögen (einer davon allerdings in anderer Form, mit Holzdach und geradlinigem Abschluss) – Altradebeul, Serkowitz, Fürstenhain und Lindenau haben dagegen keine (mehr).

Torbögen im Ortsbild von Altkaditz (Foto D. Lohse)

So gesehen ist das südöstlich von Radebeul gelegene Dorf Kaditz (heute Stadtteil von Dresden) mit vier Torbögen reich bestückt. Drei haben Tor und Pforte, einer nur einen Torbogen. Alle Torbögen und eine Pforte sind als Korbbögen ausgebildet, zwei der Pforten haben allerdings Segmentbögen. Während für die Pforten der Mensch als das Maß der Dinge gilt, muss der Torbogen so ein lichtes Maß haben, dass voll beladene Erntewagen passieren können – ca. 3,40 m breit und ca. 3,80 m hoch. Selbstverständlich wird bei solcher Breite nur ein zweiflügliges Tor funktionieren.

Auch für Kaditz kann vermutet werden, dass es früher mehr als die vier Torbögen gegeben hat, leider liegen mir dafür keine entsprechenden Belege vor. Sogar das ansonsten gut recherchierte Sachbuch »Typisch Kaditz«, 2002 herausgegeben vom Verein »Neue Nachbarschaft Kaditz e.V.«, geht auf dieses Thema nicht näher ein. Zumindest bei Altkaditz ist anzunehmen, dass es hier mal einen Torbogen gegeben hat. In die Flankenmauer wurde der Schlussstein – MFE 1751 – eines wohl abgebrochenen Tores als Zitat eingefügt. Auch bei Altkaditz 7 kann neben der Pforte ein Torbogen gewesen sein. Es liegt auch nahe, dass vor allem die Höfe von Großbauern solche Tore hatten. Ein gewisses Repräsentationsbedürfnis kann hier auch eine Rolle gespielt haben. Aufgrund der sparsamen Gestaltung der Torbögen ist die Zuordnung zu Baustilen schwer – das Motiv Korbbogen weist ins 18. Jahrhundert, also in die Barockzeit.

Für Abbrüche von Torbögen sind verschiedene Gründe denkbar, so das Aufkommen landwirtschaftlicher Großtechnik im 20. Jahrhundert, für die die Bögen zu eng waren, die allmählichen Verstädterung der Dörfer und der Rückgang dörflicher Traditionen oder die Tatsache, dass Reparaturen an Torbögen in wirtschaftlich schlechter Zeit schwierig waren. Anderseits könnten zu leicht gebaute Bögen, wo zu wenig seitliches Mauerwiderlager dem Schub des Bogens auf Dauer nicht standhielt, zu Rissbildungen und Schäden geführt haben. Das Entstehen von Rissen im Bogenbereich (ansatzweise ist ein solcher am Torbogen von Altkaditz 14 zu erkennen) kann speziell in Kaditz auch an der Elbnähe – schwankender Grundwasserstand und/oder nicht homogener Baugrund (Schwemmland) – liegen. Umso beachtlicher ist die Tatsache, dass 2010 noch vier Torbögen vorhanden sind!

Ein paar Stichworte zu den einzelnen Bögen:

Altkaditz 4-6 (Foto D. Lohse)

Altkaditz 4/6: wohl nach 1990 neu errichteter, massiver Torbogen, Mauerwerk glatt verputzt, Sockel und Prellsteine aus Sandsteinquadern, Gewände und Schlussstein (JBF 1899) jedoch in Sandsteinfarbe aufgemalt, Abdeckung der Mauer hier in Zink, Torflügel aus braunen, senkrecht gefügten Brettern, oberer Abschluss derselben leicht geschweift, dadurch zwischen Tor und Torbogen etwas Luft lassend. – Im Vergleich ein eher schlechtes Beispiel ohne Originalsubstanz und historisches Flair; die Kopie einer Toranlage ist als Raumabschluss für den doppelt großen Hof dennoch sinnvoll.

Altkaditz 10 (Foto D. Lohse)

Altkaditz 10: massive Wand in zwei verschiedenen Höhen, verputzt außer der Bogenfassung und Randbereichen der Mauer, hier Sandsteinquader, Bogen mit Schlussstein (JGP 1799), Pforte mit Segmentbogen, hier Putzfaschen, Wand oben mit Dachziegeln als Pultdach abgeschlossen, Holztor und Tür senkrecht verbrettert (graugrün) mit Deckleisten (weiß), Öffnung ganz durch Torflügel geschlossen. – Gutes Beispiel der Erhaltung einschließlich der farblichen Behandlung, jedoch zu spielerischer Umgang bei der Sandsteinfreilegung.

Altkaditz 14 (Foto D. Lohse)

Altkaditz 14: gestaffelte Mauerhöhen, Mauern beidseitig in der Tiefe des Grundstücks fortgeführt, völlig verputzt und gestrichen (Hauptfarbe Altweiß, Teile rosa), Sandstein-Schlusssteine (Tor JAP Nr. 28, 1803, Pforte CGF 32), beidseitig Prellsteine vorhanden, Mauer mit Biberschwanzziegeln als Satteldach gedeckt, Tor und Pforte mit senkrecht verbretterten Flügeln (Braun), Oberteil der Torflügel in Lattenwerk aufgelöst. – Sehr gutes Beispiel, jedoch Farbe Rosa untypisch. Sollte die Farbe an den rötlich-braunen Porphyr erinnern, wäre es farblich auch daneben.

Altkaditz 15 (Foto D. Lohse)

Altkaditz 15: auch hier gestaffelte Mauerhöhen, Mauer bis auf charakteristische Sandsteinteile glatt verputzt, Tor und Pforte mit steinmetzmäßig bearbeiteten Sandsteingewänden, die seitlichen Gewände schließen am oberen Ende mit plastischen, kapitellartigen Ziergliedern ab, beide Öffnungen mit bemalten Schlusssteinen (Grund weiß, Rahmung und Schrift blau; Tor JCC 1816, Symbole Dreschflegel und Gabel, Pforte Nr. 11, Symbole Sichel und Messer (?)), Tor mit Prellsteinen, Verdachung mit »Bibern« in Satteldachform, grüne, senkrecht verbretterte Tür und Tor, wobei die Torflügel am Ansatz des Bogens horizontal enden und so der Bogen frei bleibt. – Ebenfalls ein sehr gutes Beispiel, jedoch wirkt die Mauerverlängerung mit inselartig freigelegten Sandsteinen etwas manieristisch. Interessant zu wissen wäre, ob für die Farben der Schlusssteine restauratorische Befunde vorlagen.

Wenn ich mich z.T. auch kritisch zum gegenwärtigen Zustand der Bögen äußere, soll das keineswegs eine Missachtung der bisher von Privatpersonen, Betrieben oder Denkmalpflegern ausgeführten Arbeiten an Mauern und Toren sein. Diese haben auf jeden Fall zum Erhalt dieser dörflichen Anlagen beigetragen und verdienen auch meine Anerkennung. Es sind persönliche Feststellungen eines Denkmalpflegers i.R., Anregungen, dass Gutes ggf. noch besser werden kann.

Dietrich Lohse

[V&R 2/2010, S. 3-6]

Von der Metamorphose einer »Rinnsteinpflanze«

Zur »My Fair Lady«-Premiere an den Landesbühnen

Am Ende – als Ergebnis der turbulenten Ereignisse in London am Beginn des 20. Jahrhunderts – haben sich nicht nur Eliza und ihr Vater Alfred P. Doolittle, sondern auch der Phonetik-Professor Henry Higgins in ihrem jeweiligen Wesen gründlich gewandelt. Glaubt man zumindest auf den ersten Blick. Wenn es denn wirklich so wäre, dann hätte der Dichter und Dramatiker George Bernhard Shaw allerdings seinem Ruf, schärfster Kritiker eben jener Gesellschaft gewesen zu sein, nicht gerecht werden können. Denn das Vorbild für jenen experimentierfreudigen Professor im Musical »My Fair Lady« ist die Figur des Königs »Pygmalion« aus der griechischen Sagenwelt, der aus vielerlei Gründen Frauen nun mal nicht mag, sich aber dann doch in ein Mädchen verliebt, das allerdings nur als elfenbeinerne Statuette existiert. Der Pygmalion des Musicals nun ist jener Professor Henry Higgins. Und der bleibt im Grunde der überhebliche und menschenverachtende Wissenschaftler, der er vor seinem Experiment mit dem Blumenmädchen Eliza schon war. Auch wenn er – als ihm ihre Abwesenheit bewusst wird – fast flehend singt »Ich bin gewöhnt an ihr Gesicht«. Sogar an Elizas versoffenem Vater hat Higgins gefehlt; denn der ist mit seinem gesellschaftlichen Aufstieg zum brillanten Rhetoriker alles andere als glücklich geworden. Higgins selbst vermisst Eliza zwar, doch weniger als die junge liebenswerte Frau, sondern mehr als willfährigen und geduldigen Blitzableiter für seine maskulinen Wutausbrüche. Er nennt sie nun zwar nicht mehr »Drecksstück« und »Rinnsteinpflanze« wie am Anfang seines Unterrichts, dennoch ist sie nach seinem überheblichen Selbstverständnis immer noch ein »unverschämtes Insekt«.

My Fair Lady (Szenenfoto LBS)

Alles in allem ein grandioser Stoff, der seinerzeit geradezu nach einer Vertonung schrie. Zuvor aber kam ein erster Film, 1938 von Gabriel Pascal produziert. Danach erst folgte das Musical, dessen Skript Alan Jay Lerner verfasste und dessen mitreißende Musik Frederick Loewe komponierte. 1956 dann wurde der Film zum Musical »My Fair Lady« fertig mit einer wunderbaren Audrey Hepburn in der Rolle der Eliza Doolittle und einem ebenso trefflichen Rex Harrison als Henry Higgins.

An den Landesbühnen Sachsen in Radebeul erlebte die »Lady« nun am 16./17. Januar 2010 in einer Inszenierung von Horst O. Kupich eine Neuauflage. Antje Kahn konnte dabei in der Titelpartie stimmlich und spielerisch genauso überzeugen wie Michael König in der Rolle des Professor Higgins. Eine ebenfalls ideale Besetzung wurde mit Dietmar Fiedler gefunden, der den trinkfesten und schlitzohrig argumentierenden Alfred P. Doolittle sang und spielte. Falk Hoffmanns Part des in Eliza verliebten jungen Freddy Eynsford-Hill dagegen bleibt blass, was man aber nicht dem Sänger, sondern der Rolle anlasten muss. Und die Figur von Higgins Wettkumpel Oberst Pickering (Jussi Järvenpää) degradierte die Regie leider zu einer Karikatur. Völlig unmotiviert musste er ständig die Hacken zusammenschlagen, Haltung annehmen und salutieren. Dabei ist doch an Dienstgrad und Uniform für jeden ablesbar, dass Pickering vom Militär kommt.

Das Bühnenbild (Stefan Wiel) erweist sich als ausgesprochen variabel. Die jeweilige Szenerie (beispielsweise der Blumenmarkt am Covent Garden) formiert sich hinter einem durchsichtigen Zwischenvorhang. Die Auftritte erfolgen aus einer Art überdimensioniertem Grammophontrichter heraus; links und rechts wird die Bühne dabei von den wuchtigen Schriften Higgins’ (»Higgins Universal Alphabet«) und Pickerings (»Das gesprochenen Sanskrit«) gesäumt. Der recht intensive Einsatz des Balletts (Choreographie: Reiner Feistel) in den Massenszenen rundete das Bühnengeschehen auf erfrischende Weise ab, und das Orchester unter Stabführung von Hans-Peter Preu widmete sich mit Hingabe und Spiellaune all den berühmten Ohrwürmern.

W. Zimmermann

[V&R 2/2010, S. 9f.]

ZEIT-Geist-Fragen 1

Im Magazin der Ausgabe Nr. 51 der Wochenzeitung »Die Zeit« vom 10. 12. 2009 erschien ein fünfseitiger Artikel von Jana Simon unter dem Titel: »Über den Dächern von Radebeul – Die Stadt bei Dresden ist das Nizza Sachsens. Der Villen wegen leben viele Wohlhabende aus dem Westen hier. Doch die schönen Häuser spalten die Stadt: In Arm und Reich, in Einheimische und Zugezogene.« Die Reportage (nachzulesen unter www.zeit.de/2009/51/Radebeul) ist sicher nicht schlechter als das, was immer wieder in allerhand Blättern und Blättchen über unsere Stadt zu lesen war, seit die Radebeuler Millionäre nicht mehr bis nach England fahren müssen, um sich mal eben einen neuen Rolls-Royce zu holen – besser übrigens, wie schon die, mit Verlaub, reichlich dämlich Überschrift ahnen lässt, auch nicht. Trotzdem scheint das gefühlte Maß des Erträglichen durch diesen jüngsten Beitrag zum immer gleichen Thema voll geworden zu sein. Jedenfalls sahen sich diesmal gleich mehrere Redaktionsmitglieder zu Kommentaren veranlasst:

Radebeul im Brennglas des Maklers

Im Grunde sollte es einer Stadt zur Ehre gereichen, in einer der renommiertesten Wochenzeitungen Deutschlands einen so umfangreichen Rahmen zu erhalten. Als langjähriger Leser des von mir durchaus geschätzten Blattes war ich indes über die ausufernden Plattitüden so peinlich berührt, dass ich mich fragte, wie diese journalistische Schwarzweißmalerei im 20. Jahr der Einheit in dieser Fassung und an dieser Stelle in Druck gelangen konnte. Rückt er doch zum wiederholten Male die Kaste einer überschätzten Schickeria ins Zentrum der Betrachtung, die nach Meinung einiger voneinander abschreibender überregionaler Blätter nunmehr den Geist der Stadt nahezu vollständig beherrschen sollen.

Auch wenn der Beitrag streckenweise um ein differenzierteres Bild der Radebeuler Bürgerschaft bemüht ist, bereiten manche Stellen bloß Kopfschütteln. So ist u.a. zu lesen: »Die Villen von Radebeul – nichts beschäftigt die Einheimischen mehr. Die Villen beherrschen die Gespräche der Stadt« oder: »Radebeul teilt sich nicht nur in oberhalb und unterhalb der Meißner Straße, sondern auch in die Klasse der Hausbesitzer und die Klasse der Nichthausbesitzer. Die Villen sind die Währung der Stadt. Wer kein Haus hat, kann auch nicht richtig mitreden.« Unkritisch wird von jenen gesprochen, die es im materiellen Sinne geschafft haben, und jenen, die es wohl bestenfalls zu einem Mietverhältnis brachten. Ein derartiger Klienteljournalismus unter der Ägide von Millionen, Villen und Luxuslimousinen evoziert in unerträglicher Weise eine klischeehafte »Rosamunde-Pilcher-Idylle«, die der breiten Lebenswirklichkeit am Ort wohl kaum entspricht. Der stolze, wie redundant im Artikel zu lesen ist, Audi A6-fahrende Makler erhofft sich medienwirksam wohl eine neuerliche Taxierung seines Jagdreviers. Ob er sich hingegen als zugezogener Bürger damit einen sympathieträchtigen Dienst erwiesen hat, bleibt zu bezweifeln.

Sascha Graedtke

[V&R 2/2010, S. 11f.]

ZEIT-Geist-Fragen 2

Millionärsstädtchen von Villenbesitzern inspiriert?

Wohl selten hat ein Beitrag so stark die Gemüter der Radebeuler erregt wie dieser. Und selten wurde so deutlich benannt, was West von Ost auch 20 Jahre nach dem Fall der Mauer zu unterscheiden scheint. Wie im Märchen (frei nach Aschenbrödel) werden die Reichen ins Töpfchen und in die Armen in Kröpfchen sortiert. Das Leben kann so einfach sein in Radebeul. Denn die Stadt hat etwas, was Deutschland seit langem nicht mehr hat: Eine Mauer, die entlang einer »Demarkationslinie« verläuft und sich Meißner Straße nennt. Sie trennt in unten und oben, in arm und reich, in Ost und West, in alt und neu. Das Leben kann so einfach sein, betrachtet man es von oben herab. Wäre da nicht dieses große Missverständnis: Die reichen Zugezogenen erwarten Dankbarkeit und die armen Eingesessenen verweigern diese. Die Zugezogenen definieren sich über ihren Besitz, die Eingesessenen über ihr maßloses Anspruchsdenken.

Geschrieben in schönster Eroberungsmanier, bedient der Artikel verstaubte Klischees aus der gutbürgerlichen Mottenkiste. Die dünkelhaft überzuckerten Parolen sind derart zugespitzt, dass sie nur als parodistisch polarisierende Kunststückchen begriffen werden können. Der Irrwitz findet sich nicht nur zwischen den Zeilen. Nein, man kann ihn auch schwarz auf weiß nach Hause (pardon, in die eigene Villa) tragen. Da wird behauptet »Die Villen sind das höchste Gut Radebeuls. Sie sind die stillen Herrscher der Stadt.« oder »Wer kein Haus hat, kann auch nicht mitreden.« Aber wer will schon mitreden, wenn das Gespräch keinen Inhalt hat? Und wer will sich schon gern von einem Immobilienmakler als Werbegag bei einer medienwirksamen Verkaufsaktion verwursten lassen?

Doch auch ein Immobilienmakler hat ein weiches Herz und ein feines Gespür für Kultur, was die Saga belegt. »Als er das erste Mal in die Stadt kam, im Winter 1990, war Beck von den Villen bezaubert. […] In seiner Heimat Hamburg war alles schon verteilt. Radebeul, der Osten, lag vor Jens Beck wie eine riesige leere Bühne. Er musste sie nur noch bespielen. […] Wenn sich die alten Eigentümer nur schwer von ihrem Heim lösen können, lässt Beck die Villen für sie malen.« Auch Gussy Hippold, eine Dix-Schülerin, zu deren 100. Geburtstag die Stadt Radebeul im März eine Ausstellung zeigen wird, hätte wohl ihre Freude daran gehabt zu lesen, dass sich in der Villa »Sorgenfrei«, wo sie mit ihrem Mann Jahrzehnte künstlerisch tätig war, die neue Radebeuler Elite zur »Pullerparty« trifft.

»Jens Beck hat zurzeit nur ein Problem: Die Häuser werden knapp. Der Kampf um die letzten Villen von Radebeul hat begonnen.« Und weiter heißt es im Text: »Die schönsten, größten Villen gehören fast alle Zugezogenen aus dem Westen.« Die Antwort der Bürger lautet: Na und? Die Villen wurden aufwendig saniert. Sie prägen das Bild der Stadt. Die Radebeuler – ob Einheimische oder Zugezogene – erfreuen sich beim sonntäglichen Spaziergang daran. Die kulturelle Szene lebt in und außerhalb der Villen, mit und ohne Hausmusik. Und sollte es eine »Demarkationslinie« geben, dann verläuft diese wohl eher in den Köpfen einiger Weniger. Nur gut, das sie nicht sichtbar ist!

Karin Gerhardt

[V&R 2/2010, S. 12f.]

ZEIT-Geist-Fragen 3

Die da oben und die da unten…

Schachspieler wissen am ehesten, was eine Demarkationslinie ist. Unter den vier Siegermächten, die Deutschland nach dem 2. Weltkrieg aufteilten, erreichte der Begriff eine ähnliche strategische Bedeutung, doch eine weit größere und langwierigere Dimension.

Wann allerdings die Radebeuler »Demarkationslinie« entstanden sein soll, bleibt im Dunklen verborgen. Und selbst die unzähligen bisherigen Namenspatrone der einstigen und heutigen Meißner Straße sind heute nicht mehr zu befragen. Nicht jener uniformierte Diktator und selbsternannte »Führer«, nicht »Väterchen Stalin« und auch nicht der greise 1. Präsident der DDR, Wilhelm Pieck, dessen Namen die Straße bis 1989 trug.

Glaubt man aber nun den beiden forschen ZEIT-Journalisten, dann wohnt das Radebeuler Bettelpack unterhalb dieser Straße und der Radebeuler Geldadel oberhalb. Das zu wissen scheint zweifellos unverzichtbar, will man ein Radebeuler Lebensgefühl richtig beschreiben. Glaubt zumindest die ZEIT! Ob deren Mitbegründerin Gräfin von Dönhoff oder Altkanzler Helmut Schmidt die gewählte Herangehensweise wirklich toleriert hätten bzw. haben, sei dahingestellt. Ebenso die Hoffnung der Schreiber, dass ihrem Glauben auch die Radebeuler folgen werden. Normalerweise müsste nach Veröffentlichung dieses Artikels längst das große Umziehen im Gange sein. Denn welcher Manager, Banker oder Immobilienmakler lässt sich schon gern in die eine Kategorie einordnen, wo er doch glaubt, längst zur anderen zu gehören.

Erstaunlicherweise aber rollen noch immer keine Umzugs-LKW. Daher muss zur Ehrenrettung vieler wohlhabender Neuradebeuler wohl gesagt werden, dass es ihnen vollkommen schnuppe ist, ob sie nun direkt unterhalb der Weinberge oder in der Nähe des Elbufers leben. Beides hat sowohl Vor- wie Nachteile. Und daran kann die Bezeichnung »Demarkationslinie« rein gar nichts ändern. Es sei denn, die oben ziehen irgendwann mal entlang der »Meißner« einen Stacheldrahtzaun und hängen daran Schilder auf mit Mahnungen wie »Zutritt nur mit Einkommensnachweis bzw. Kontoauszug ab 1 Million € aufwärts!«. Dann wäre der soziale Friede endlich fest zementiert, der Begriff »Demarkationslinie« rechtens und Ausreden zählten ab sofort nicht mehr.

Um solche Missverständnisse von vornherein auszuschließen, haben sich die ZEIT-Journalisten in ihrem Beitrag selbstverständlich auf die »üblichen Verdächtigen« konzentriert: einen Luxusimmobilienhändler, einen cleveren Schlossbesitzer als Vermieter und eine Autohausbesitzerin, deren unterste Preisklasse bei ca. 150.000,– € liegt. Sehr ausführlich kommen also vor allem jene zu Wort, deren Wege zum Wohlstand meist ziemlich unangenehm duften. Nicht hinein in die weitere Aufzählung gehört der jetzige Besitzer von Hohenhaus, weil der in Radebeul längst heimisch geworden ist und sich auch entsprechend einbringt. Dass die Kommunalpolitik durch den amtierenden OB zu Wort kommt, entspricht sozusagen einem ganz normalen Akt der Höflichkeit. Zum echten Härtefall aber wird das beschriebene Leid einer zugunsten einer Luxussanierung aus ihrer Wohnung vertriebenen Altradebeulerin. Wo aber bleibt die Recherche der ZEIT-Journalisten beim und über den Vertreibenden, jenen Luxussanierer nämlich. Weil gerade darauf die Antwort fehlt, wirkt die beschriebene Tragik wie ein ziemlich hilfloser Versuch, die eigentliche Tendenz dieser Radebeul-Beschreibung zwanzig Jahre nach Mauerfall und Wiedervereinigung zu verschleiern. Eine Tendenz, die den Neid fördert und damit dem sozialen Unfrieden Tür und Tor öffnet. Im Übrigen suchte das Journalistenteam auch einen Radebeuler Kunstpreisträger und engagierten Denkmalschützer auf. Der stellte vor seine Antwort die Gegenfrage: »Wie sind Sie auf Radebeul gekommen?« Worauf man einen Moment herumdruckste, um dann in aller Schlichtheit zu erwidern: »Der FOCUS hat über Radebeul geschrieben, da wollten wir das auch mal tun!« Das jedenfalls war wirklich eine ehrliche Antwort.

W. Z.

[V&R 2/2010, S. 13f.]

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