Sommerlicher Musikgenuss in Radebeul auf höchstem Niveau

Ein neues Kammermusikfestival rund um den Radebeuler Geiger Albrecht Menzel lädt in diesem Sommer vom 26.08. bis 04.09.2022 mit vier Konzerten erstmals an historische und ungewöhnliche Spielstätten in seiner Heimatstadt ein.

Geiger Albrecht Menzel Foto: A. Horneman

Ende August versammelt der Radebeuler Geiger und künstlerische Leiter Albrecht Menzel mit seiner wunderbaren Stradivari Violine und Preisträger zahlreicher internationaler Wettbewerbe, wie dem berühmten Paganini Wettbewerb in Genua, junge herausragende Musiker und Musikfreunde, um in seiner Heimatstadt Radebeul gemeinsam zu musizieren. Ein Sommerkonzert 2021 in Radebeul wurde so gut angenommen, dass daraus ein kleines Musikfestival entstanden ist. Mit dabei sind die besten Musiker*innen ihrer Zunft, wie die Pianistin Lily Maisky, der Geiger Sascha Maisky oder der Cellist Andrei Ionita, Gewinner des Tschaikowski Wettbewerbes. In sommerlich-festlicher Atmosphäre präsentieren sie ein erlesenes Kammermusikprogramm. Mit der „Eröffnung“ beginnt das Festival am Freitag, den 26. August um 17.00 Uhr in der Friedenskirche. Mit den volkstümlichen Klängen von Dvoraks Klavierquintett op. 81 wird das Publikum willkommen geheißen. Die wunderbare Kulisse, die herrliche Natur der Radebeuler Weinberge und die Musik bilden eine Symbiose, die zum Verweilen einlädt. Ebenfalls im Programm des ersten Konzertes steht Schumanns Klavierquintett op. 44. Beim zweiten Konzert im Weingut Schloss Hoflößnitz am Montag, den 29.08. um 16.00 Uhr erklingt Dvoraks bekanntes Amerikanisches Streichquartett und anschließend berichtet der Dresdner Maler Christoph Wetzel über sein Lebenswerk: Die Ausmalung der Frauenkirche Dresden.
Stipendiaten der Anne-Sophie Mutter Stiftung in Radebeul
Albrecht Menzel spielte als Solist nicht nur unter Dirigenten wie Kurt Masur, Vasily Petrenko oder Joanna Mallwitz mit dem London Philharmonic Orchestra oder dem Münchner Rundfunkorchester u.a. in der Elbphilharmonie oder dem Gasteig München. Er wurde auch von der Geigerin Anne-Sophie Mutter eingeladen mit ihr gemeinsam als Solist u.a. in der Philharmonie Berlin, der Philharmonie Luxemburg und dem Grand Theatre in Aix-en-Provonce zu spielen. Außerdem tourte Menzel mit der Künstlerin in den USA, Kanada und Europa, in der Carnegie Hall, beim Grafenegg-Festival oder den Salzburger Festspielen. Daher ist es nicht von ungefähr, dass Albrecht Menzel zum dritten Konzert am Donnerstag, den 01.09. um 18.00 Uhr in der Lutherkirche Stipendiaten der Anne-Sophie Mutter Stiftung mit Werken vom Mozart und Beethoven nach Radebeul eingeladen hat.

Internationale junge Musiker und das Sozialprojekt
Junge Musiker*innen möchten sich sozial engagieren. Ein besonderer Teil des Musik Festival Radebeul wird der Besuch der jungen Künstler in einer Radebeuler Schule bilden. Dort wird nicht nur ein kleines Konzert für die Kinder in der Turnhalle erklingen, die Musiker werden über ihre „coolen alten“ Instrumente sprechen und über ihre Leidenschaft: die Musik.
Großes Finale in der Maschinenhalle des ehemaligen VEB Zerma Radbeul
Zum großen Finale geben sich die Meister der Kammermusik die Klinke in die Hand und bilden den Abschluss des Festivals mit dem Nachmittagskonzert am Sonntag, den 04.09. um 16.00 Uhr im Industriedenkmal – der Maschinenhalle des ehemaligen VEB Zerma Radebeul (Meißner Str. 17/Straßenbahnhaltestelle Forststraße) mit tänzerischen Klavierquartetten von Dvorak und Brahms. Alles in allem ein Kammermusik-Feuerwerk, bei dem keine Wünsche offenbleiben. Seien Sie neugierig und bringen Sie Ihre Kinder und Enkelkinder mit!
Bärbel Schön

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Detaillierte Angaben zu den Konzerten entnehmen Sie bitte dem Veranstaltungsteil!

Radebeul – die einstige Großbaustelle

Das erste bewohnte Haus der Friedlandstraße (Nr. 5) – Es musste leider, wie derzeit zu oft in Radebeul, einem Neubau weichen. (abgerissen 2019)
Quelle: Stadtarchiv Radebeul, StBA Bauakten abgerissener Gebäude, Friedlandstraße 5

Wenn man über die Historie der Lößnitz redet, kommt man an der Reblaus-Katastrophe nicht vorbei. Oftmals wird sie als Grund für die historische Parzellierung genannt: stillgelegte Weinbergfla?chen lockten Spekulanten an, die wertlose Grundstücke aufkauften und mit Häusern bebauten. Doch eigentlich war die Reblaus-Katastrophe nur das Tüpfelchen auf dem „i“, denn die Siedlungsent-wicklung begann schon einige Jahre früher. Die zunehmende Industrialisierung und der Anschluss an die Dresden-Leipzig-Eisenbahn hatten auch in den Lößnitzortschaften zu einer regen Bautätigkeit geführt. Fabrikbesitzer, Militärs, Beamte, Rentiers – wer ein bisschen Geld sein Eigen nannte, konnte sich hier seinen Wohntraum zu moderaten Preisen in landschaftlich reizvoller Lage erfüllen.
Im Stadtarchiv kann man seit einiger Zeit die alten Bilanzbücher der Baufirma Gebr. Ziller einsehen, in denen sich diese Entwicklung perfekt nachvollziehen lässt. In den Büchern notierten die Baumeister akribisch alle Ausgaben und Einnahmen. Mitte der 1860er Jahre waren das noch recht wenige – der Bauboom hatte noch nicht begonnen. Beim Lesen schmunzelt man über manch private Ausgabe, die sich zwischen Löhnen, Baumaterialaufwendungen oder den Kosten für Fuhren findet. „Mama Ziller“ bekam wöchentlich 10 Taler Wirtschaftsgeld, ein „Service für Ottos Geburtstag“ kostete etwas mehr als

Lößnitzwarenhaus von Otto Ziller (Augustusweg 11; Foto 1900-1920)
Quelle: Stadtarchiv Radebeul, F – 989

3 Taler, ein Boule-Ball für 3 Taler und 15 Groschen wurde angeschafft und der Bruder in Wien mit 40 Talern unterstützt. Auch in den 1870er Jahren ging es bei Zillers noch gemächlich zu. Die Auftragslage war gut, das ist unbestreitbar, aber noch immer wurden nur einzelne Bauplätze in den Büchern benannt. Erst ab Ende 1870 weitete sich das Ziller‘sche Baugeschehen extrem aus. Im Bilanzbuch ist nun von „Baukomplexen“ die Rede, z. B. vom „Baukomplex Sophienstraße“ oder „Baukomplex Nizzastraße“. Moritz (1838-1895) und Gustav Ziller (1842-1901) erwarben Grundstücke im großen Stil und begannen diese in eigenem Auftrag zu bebauen. Ganze Straßenzüge entstanden unter ihrem Wirken. Das war ein neues Geschäftsgebaren, welches sich nicht nur die Zillers zu eigen machten. Auch andere Baufirmen, wie „Schilling & Gräbner“ mit der „Villenkolonie Altfriedstein“ oder die „Baufirma F. W. Eisold“ aus Serkowitz, waren mit dieser Art des Bauens in der Lößnitz aktiv. Selbst Privatpersonen versuchten, mit Bauspekulation das große Geld zu machen. So hatte beispielsweise der Berliner Kunstgärtner Otto Teske (1847-1904) Familien-Landbesitz im Berliner Umland zu solch hohen Preisen verkauft, dass er sich 31jährig als Rentier in Niederlößnitz niederlassen konnte. Wahrscheinlich ging er davon aus, dass sich Dresden in naher Zukunft ähnlich wie Berlin ausdehnen würde und er die Grundstücke mit Gewinn verkaufen konnte. 1872 erwarb er die Moritzburger Str. 12 mit viel Bau- und Feldland. 1890 zog er in die Schulstr. 22 (heute Ledenweg 30) um. Sein dortiger Grundbesitz war riesig. Er projektierte und erschloss u.a. 1891/92 die untere Thomas-Mann-Straße, die damals inoffiziell „Teskestraße“ genannt wurde, ließ zwei große Mietvillen bauen (Nr. 1 und Nr. 2) und errichtete an der Kreuzung zur Karl-Liebknecht-Str. ein Kaiser-Wilhelm-Denkmal. Nicht immer gingen die Spekulationen gut, manch einer brachte sich damit um Kopf und Kragen. Beim einstigen Kötzschenbrodaer Gemeindevorstand Woldemar Vogel endete es 1889 gar im Suizid. Aber zurück zu den Zillers. Wie lief die Bebauung nun tatsächlich ab?

Baukomplex Sophienstraße 1877 (heute E.-Bilz-Straße)
Quelle: Stadtarchiv Radebeul, Nachlass Ziller, N – 86/13

„Baukomplex Friedlandstraße“
Das Baugeschehen der kleinen Straße steht exemplarisch für viele Straßen zur damaligen Zeit. 1880 erwarb die Baufirma Gebr. Ziller von Pauline Marie Haase ein Feldgrundstück für 6.900 Mark. Die Parzelle 632 des Flurbuches Serkowitz gehörte ursprünglich zur Villa Friedland (heute Bennostr. 11), welche im Besitz der Witwe von Prof. Carl Friedrich Haase war, einem bekannten Mediziner der Medizinischen Akademie zu Dresden, der 1846 den jungen Karl May wegen seines Augenleidens behandelt hatte. Das erworbene Land hatte eine Größe von 1 Hektar und 10,9 Ar (11.090 m2). Nach Steuern und Gebühren wiesen die Zillers für diese Parzelle einen Bodenrichtwert von 68,11 M/Ar aus, was heute unglaublichen 4,56 Euro/m2 entspricht.* Auch für damalige Verhältnisse war dieser Bodenpreis äußerst günstig und regte Spekulationsgeschäfte an. Allerdings muss man auch sagen, dass man mit dem sandigen Boden kaum etwas anderes anfangen konnte.

Auf ihrem neu erworbenen Land legten die Zillers zuerst den Verlauf der neuen Straße fest. Das durfte nicht einfach willkürlich geschehen. Die Neuanlage von Straßen und Plätzen und die Errichtung von Wohngebäuden regelte die Lokalbauordnung der Gemeinde. Im öffentlich einsehbaren Bebauungsplan mussten die Straßen vor dem Bau als „neu anzulegende Straße“ oder zumindest als Weg enthalten sein. Ein verpflichteter, neutraler Geometer (in der Lößnitz war dies oft der Dresdner Geometer Emil Überall) bestimmte Richtung, Breite und Einmündung in die anschließenden Straßen, das Straßenniveau zur Entwässerungsregelung sowie der Baufluchtlinie der geplanten Hauptgebäude. Die hierdurch entstehenden Kosten trug selbstverständlich der Bauunternehmer.

Angebot der Zillerschen Villen und Häuser (Hauptstraße 2/3 ist heute Augustusweg 3 und 5?)
Quelle: Stadtarchiv Radebeul, Nachlass Ziller, N – 86/13

Am 29. September 1880 ersuchten die Gebr. Ziller bei der Gemeinde Serkowitz um die Genehmigung einer neuen Straße, die den Namen „Friedlandstraße“ erhalten sollte. Am 20. Oktober 1880 erteilte die Gemeinde die Erlaubnis, der Bau konnte beginnen. Wie in der Lokalbauordnung gefordert, bepflanzte Gustav Ziller die 175 m lange und 8m breite Straße „mit Schatten gebenden Bäumen“. Fußwege wurden angelegt: auf einer Seite der Fahrbahn ein 1,50m breiter Gehsteig, auf der anderen ein Weg von 50 cm. Die Erstellung der Straße kontrollierte die Baudeputation der Gemeindevertreter. Hatte sie nichts zu beanstanden, ging die Straße nach Fertigstellung in den Besitz der Gemeinde über, die fortan für deren Unterhaltung zuständig war. Die Kosten des Straßenbaus wurden auf die Grundstücke umgelegt.

Nun wurden die Grundstücke parzelliert. Im westlichen Teil der Friedlandstraße entstanden fünf Parzellen mit einer Fläche von 7,1 bis 18,6 Ar (heute Nr. 1-9). Das Bauland auf der östlichen Straßenseite ließ man vorerst liegen. Baugenehmigungen wurden eingeholt und mit der Errichtung der ersten drei Häuser begonnen (Nr. 1, Nr. 3, Nr. 5). Bis in die 1880er Jahre hinein bauten die Zillers vor allem zwei Haustypen, die auch in der Friedlandstraße zur Anwendung kamen: das „italienische Landhaus“ und das „Schweizerhaus“. Lt. Lokalbauordnung waren sämtliche Hauptgebäude von der Straßeneinfriedung 4,5 m abzurücken und von allen Seiten freistehend (mind. 4,5m zum Nachbarn) zu errichten. Die Bilanzbücher 1881 zeugen von einem regen Baugeschehen: Ausgaben für Mauer- und Dachziegel, Bruchsteine, Sandsteintafeln, Dachpappe, Eisenbahnschienen (!), Bauholz, Bretter, Pfosten, Nägel, Stifte, Farben, Lehm, Kies, Steinmetz- und Zimmerarbeiten, Falltür und Bodentreppe, Tischler- und Glasarbeiten, aber auch Kosten für Tapezierer sowieso Gartenkies, Bäume und Sträucher sind verzeichnet. 1882 waren die Häuser Nr. 3 und 5 bezugsfähig. Am Gebäude Nr. 1 wurde fleißig gebaut. Keines der drei Häuser hatten die Zillers bisher verkauft.

Nizzastraße 11 (links – bis 1904 Nizzastr. 1c; 1880 von Gebr. Ziller erbaut) und Lößnitzgrundstr. 2 (rechts) auf Oberlößnitzer Flur
Quelle: Stadtarchiv Radebeul, F – 1024

Hier half Otto Ziller (1840-1914), der einzige Kaufmann der Baumeisterfamilie. In seinem „Lößnitzwarenhaus“ (Augustusweg 11), einem Geschäft für Kolonialwaren, Delikatessen und Sämereien gab es für Interessierte einen „Nachweis für Mietwohnungen und verkäuflichen Haus- und Grundbesitz“. Neben dem Ladeneingang hingen Schaukästen, in welchen per Zeichnungen und Fotos die neuesten Zillerschen Häuser und Villen angeboten wurden. In Zeitungen und Adressbüchern erschienen Anzeigen. Interessenten konnten natürlich auch direkt im „Bau-Bureau“ der Zillers vorsprechen. Die Baufirma bot hier „… stets zum Verkauf eine Auswahl von complet eingerichteten Villen zu den verschiedensten Preisen und Größen, als auch Bauplätze in den angenehmsten Lagen der Ober- und Niederlößnitz“ an.
Die Werbung zahlte sich aus. Haus und Grundstück in der Friedlandstr. 5 fand zuerst seinen neuen Besitzer oder besser gesagt, eine Besitzerin. Frau Burghardt zahlte dafür am 27. August 1883 den Preis von 12.000 Mark. War die Gewinnmarge hoch? Das Bilanzbuch verrät, dass die Baufirma für Boden-, Gerichts-, Baukosten, die anteiligen Wasserwerks- (600 M) und Straßenbau-Kosten insgesamt 11.270,03 M aufgewendet hatte. Die Zillers erzielten demnach einen Gewinn von 729,97 M (heute etwa 4.900 Euro*). Nicht wirklich ein Knaller, das dachten sich wohl auch die Zillers, denn beim nächsten verkauften Haus lag die Gewinnmarge deutlich höher. Ende September 1883, erwarb Kommissionsrat Ludwig Grundstück und Haus Nr. 3 (ausgewiesener Gewinn: 2.006,67 M – heute ca. 13.500 Euro*).
Die neuen Bewohner hatten sich das Leben in der schönen Lößnitz sicher anders ausgemalt, als die Realität war: Ihre Häuser standen wie zwei Trutzburgen an einer von neu gepflanzten Platanen gesäumten Straße. Um sie herum Feldgrundstücke, auf denen das Unkraut wuchs. Auf dem Grundstück Nr. 1 eine aktive Baustelle mit Dreck und Lärm, denn jetzt arbeiteten die Zillers an diesem Haus mit Hochdruck weiter. Im Frühjahr 1885 wurde es endlich an den Kgl. Pr. Ökonomie-Kommissionsrat Kombst verkauft, der mit der Familie aus Ratibor hergezogen war.
Doch auch jetzt ließ sich das Leben in der „Sommerfrische“ nicht genießen, denn der Ausbau der östlichen Straßenseite (Nr. 2 – Nr. 12) begann. Auf den parzellierten Grundstücken wurden Baustellen eingerichtet. Mittlerweile hatte sich herumgesprochen, dass hier eine neue kleine Straße entstand. Nicht immer errichtete die Zillers zuerst die Häuser, bevor sich Käufer fanden. Die Grundstücke Nr. 4, Nr. 6 und Nr. 10 wurden als Bauplätze verkauft. Es war keine Frage, dass die Zillers den Bau der Wohnhäuser für die neuen Grundstücksbesitzer übernahmen. Die Parzelle am Anfang der Straße reservierte sich Otto Ziller, vis à vis zu seinem Laden. Die Häuser Friedlandstraße Nr. 8 und Nr. 12 errichtete die Baufirma wieder in eigenem Auftrag und veräußerte sie anschließend. Alle Häuser der östlichen Straßenseite entstanden zwischen 1885 und 1888. Allein die Feldgrund-stücke am oberen westlichen Teil der Straße blieben unbebaut und fanden erst viele Jahre später ihre Besitzer und Baumeister.
Über fünf Jahre hatten die ersten Bewohner die „Dauer-Baustelle Friedlandstraße“ ertragen. Dreck, Baulärm, Materialfuhren – ausgiebiges Lüften oder ein gemütliches Kaffeetrinken im Garten waren sicher nicht immer möglich gewesen. Die Idylle wurde aber nicht nur von dem Baugeschehen in der Friedlandstraße getrübt. Überall in Serkowitz, Oberlößnitz, Niederlößnitz entstanden fast zur selben Zeit Villen und Landhäuser. Das heutige Radebeul muss eine Großbaustelle gewesen sein!

Wohnqualität im Fokus
Die Schönheit der Villen-und Gartenstadt zeigte sich erst wenige Jahre später, denn die Baumeister von damals hatten das Areal als Ganzes im Blick behalten. Neben den unterschiedlichsten Villen und Landhäusern, legten sie Schmuckplätze und eine Vielzahl kleinerer Grünflächen an, wie den Fon- tainenplatz Dr.-Schmincke-Allee. Der „Verschönerungsverein für die Lößnitz und Umgebung“, dessen Gründungsvorsitzender Moritz Ziller war, tat alles, um die landschaftlichen Reize der Lößnitz zu erhalten und besser zugänglich zu machen.
Aber auch die Gemeinden übernahmen Verantwortung. So berichtete der bereits oben erwähnte Geometer Emil Überall, der 1884 mit der Erstellung des Bebauungsplanes für Oberlößnitz beauftragt war, dass die Gemeinde noch „… zu rechter Zeit für planmäßige Correktion und Verbreiterung öffentlicher Wege innerhalb der Flur Sorge tragen…“, die „zukünftigen Verkehrsverhältnisse nach menschlichem Ermessen“ im Blick. Oberlößnitz war die letzte der Lößnitzortschaften, die einen Bebauungsplan einführte. Mit den Lokalbauordnungen wurden Industriebauten in Wohngebieten abgewehrt und für eine geringe Überbauung der Grundstücke gesorgt, was deren Wert systematisch steigen ließ. Die alten Bebauungspläne sind noch heute Grundlage für Planungen, die durch den 1. und 2. Weltkrieg völlig zum Erliegen gekommen sind und erst in der Gegenwart sukzessive aufgegriffen werden.

Anja Hellfritzsch

* Mittels der früher veröffentlichten langen Reihe des Statistischen Bundesamtes und dem aktuellen Verbraucherpreisindex kann für die Mark folgende Kaufkraft berechnet werden: 1 Mark (1873) entspricht 6,70 Euro. (Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_W%C3%A4hrungsgeschichte#Die_Mark_des_neuen_Deutschen_Kaiserreichs )

 

Offene Alte Kirche

Alte Kirche zu Coswig Foto: M. Hartig

Die ALTE KIRCHE in Coswig gilt als eine der schönsten und interessantesten Dorfkirchen Sachsens. Sie kann mit zahlreichen Besonderheiten aufwarten, die in diesem Maße ihren Vergleich sucht. Der Altar sowie der Taufstein sind seit der Weihung dieser Kirche im Jahre 1497 zu sehen.
1611 wurde das Gotteshaus erweitert und erhielt in dem Zusammenhang eine bewundernswerte Innenausstattung, die heute noch fast unverändert so zu sehen ist. Der umfangreiche Bildschmuck betrifft zum einen die Deckenbemalung mit ihrem jüngsten Gericht, den Aposteln sowie den zahlreichen musizierenden Engeln. Zum andern lädt ein Kreuzweg an der Emporenbrüstung dazu ein, Jesu Leiden in der Folge von sehr gut erhaltenen Bildern mitzuerleben. Ein großes Wappen über dem Eingangsportal erzählt von der bewegten Geschichte der Alten Kirche.
Die Orgel, deren Ursprung bis ins Jahr 1624 nachweisbar ist, steht seit ihrer Restaurierung für vielfältige musikalische Einsätze bereit. Ihre mitteltönige Stimmung lockt Organisten sogar aus dem Ausland herbei. Während der Sommerzeit finden mehrere Konzerte statt.
Kunstliebhaber, geschichtlich Interessierte oder einfach Neugierige sind eingeladen, diese schöne Gotteshaus zu erleben. Es ist zugleich ein Ort, an dem man Stille finden kann im Getriebe des Alltags. Vielleicht ist es auch eine gute Rast auf einer Radtour. Vom 13. Juni an ist die Alte Kirche auf dem Ravensburger Platz in Coswig wieder für ihre Besucher geöffnet. Von Montag bis Freitag sind dafür ehrenamtliche Helfer von 11 bis 15 Uhr im Einsatz. Samstags kann man von 16 bis 18 Uhr die Kirche besichtigen. In den Monaten Juli und August beendet der SonnAbendKlang um 17.30 Uhr Uhr den Tag. Mit Orgelmusik und Meditation werden die Hörer auf den Sonntag eingestimmt.
Die ehrwürdige Alte Kirche ist gespannt und in Vorfreude auf ihre zahlreichen Besucher.
M. und H. Hartig

In eigener Sache

Foto: Karin Baum

Aus Anlass des 50. Geburtstages unseres sehr geschätzen Vorstands- und Redaktionsmitglieds Bertram Kazmirowski Anfang Juli gratulieren wir ganz herzlich.
Wir wünschen Dir nach diesen anstrengenden zwei Corona- Jahren – und überhaupt: Gesundheit und Kraft und Lust für die vielen Aufgaben, die weiterhin auf Erfüllung durch Dich warten, wie immer souverän.
Sowohl als Rezensent für kommende Theateraufführungen und Autor anderer interessanter Beiträge, als auch als Schlichter für eventuelle Krisensituationen mögst Du noch vielen, viele Jahre der Vorschau treu bleiben.
Mit diesen Wünschen stoßen wir auf Dich an!

Im Namen des Vorstandes und der Redaktion
herzlichst

Ilona Rau

Gegründet, um Gutes zu tun

Über die (vergessenen?) Anfänge der Bilzbad-Feste

Wenn sich am zweiten Juliwochenende das Gelände des Bilzbades bei hoffentlich warmen Temperaturen anlässlich des Bilzbad-Festes mit vielen Besuchern füllt und sich ein reges Treiben rund um das Thema Fitness und Gesundheit entfaltet, wird sicherlich an der einen oder anderen Stelle auch auf das in diesem Jahr begangene Jubiläum des Namensgebers Friedrich Eduard Bilz, seinen 180. Geburtstag, hingewiesen werden. Nachdem das Fest 2020 und 2021 aus bekannten Gründen ausfallen musste, liegt es nahe, dass die Veranstalter der Radebeuler Stadtbäder und Freizeitanlagen GmbH ein ganzes Festwochenende ansetzen, bei dem nebenbei auch noch der zweite Radebeuler Säulenheilige – Karl May – angemessen bedacht wird (Programm des Festwochenendes: https://www.bilzbad-radebeul.de/bilzbad-events.html). Ich vermute allerdings, dass sich weder die Veranstalter noch die Besucher vergegenwärtigen, dass dieses Fest selbst auch einen runden Geburtstag feiert, seinen immerhin 30. Und noch viel weniger wird sich einer der Akteure und Gäste darauf besinnen, wo die Ursprünge des Bilzbad-Festes liegen und welcher Anstrengungen vieler Beteiligter es bedurfte, im Juni 1992 ein solches Event – damals sagte man noch „Veranstaltung“ – erstmalig zu organisieren. Daran soll mit diesem Beitrag erinnert werden, denn ohne die Verantwortlichen aus der unmittelbaren Nachwendezeit wäre die Tradition der Bilzbad-Feste möglicherweise gar nicht entstanden.
Schon zu Jahresbeginn 1991 gab es im Gesundheitsamt des Landkreises Dresden erste Überlegungen, verschiedene lokale Einrichtungen und Behörden, die sich im weitesten Sinne dem Gesundheitsschutz verpflichtet fühlten, an einen Tisch zu bringen und zu überlegen, wie unter den veränderten politischen und gesellschaftlichen Bedingungen Gesundheitsförderung öffentlichkeitswirksam gestaltet werden könnte. Der schließlich im Juni 1991 gegründete „Regionale Arbeitskreis Gesundheitsförderung Radebeul“ vereinte u.a. Mitarbeiter des Gesundheitsamtes, Vertreter von Krankenkassen, Apotheker und Gewerbetreibende. Ein erstes Achtungszeichen setzte der Arbeitskreis mit „Tagen der Gesundheit“ im Oktober gleichen Jahres. Insgeheim mag dann auch schon Ende 1991 der Gedanke gereift sein, dass man das große Bilz-Jubiläum im Folgejahr, nämlich dessen 150. Geburtstag und 70. Todestag, als Aufhänger nutzen und das Anliegen des Arbeitskreises in diesem Zusammenhang verbreiten könnte. Und so findet sich im Sitzungsprotokoll des Arbeitskreises vom 10. Februar 1992 schon recht konkret, was schließlich als die ersten Friedrich-Eduard-Bilz-Festtage am 12./13. Juni Wirklichkeit werden sollte. Die Stadtverwaltung Radebeul, namentlich der Amtsleiter für Kultur und Bildung, Dr. Schubert, war unterdessen mit ins Boot geholt worden. Ein Programm wurde in gemeinschaftlicher Arbeit zwischen Arbeitskreis und Stadt entworfen, das sowohl Leben, Werk und Bedeutung von Bilz angemessen würdigen als auch in die Stadtgesellschaft hineinreichen sollte. In den folgenden Wochen wurden seitens des Arbeitskreises Sponsoren gewonnen, Werbetrommeln gerührt und Pressemitteilungen verfasst. Was sich aus heutiger Sicht so einfach liest, muss aus der Perspektive der damals erst seit kurzer Zeit „im Westen“ lebenden Mitwirkenden ein aufregendes Unterfangen gewesen sein. Wie gelingt es einen Sponsor zu finden und zu überzeugen, sich zu engagieren? Die Getränkefirma Sinalco war bereit, 12000 DM zur Verfügung zu stellen, eine damals stattliche Summe, für die man fast schon einen Kleinwagen kaufen konnte. Dieser Sponsor mutet auf den ersten Blick insofern ein wenig kurios an, als dass Sinalco damals wie heute Softdrinks (Cola, zuckerhaltige Brausen) vertreibt, die nun alles andere als gesundheitsfördernd sind. Allerdings gehört zur Wahrheit auch, dass die Vorläufer der heutigen Sinalco AG schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit der Genehmigung von F.E. Bilz ein „Bilz‘ Brause“ benanntes Getränk erfolgreich vertrieben hatte. Dieses Getränk hatte ein Fruchtkonzentrat aus sieben Früchten zur Grundlage, das sogar als „Bilz-Seele“ vermarktet wurde. Doch kehren wir zurück zur Vorbereitung des ersten Bilz-Festes 1992. Die kurze Zeitschiene, die entlang der Planung des Festes angelegt wurde, mutet waghalsig an. Das offizielle Konzept für die Festtage wurde seitens Dr. Schubert erst am 23. März, also mit weniger als einem Vierteljahr Vorlauf veröffentlicht und um einen Druckkostenzuschuss für Handzettel und Plakate bat der Arbeitskreis erst Ende April (!) bei der übergeordneten Behörde, der Sächsischen Landesvereinigung für Gesundheitsförderung. Nicht zu vergessen ist die verdienstvolle Mitwirkung des Radebeuler Journalisten Jürgen Helfricht, der in Vorbereitung des Festwochenendes eine sorgfältig recherchierte und thematisch weitgespannte Broschüre („Friedrich Eduard Bilz. Altmeister der Naturheilkunde in Sachsen“) redaktionell verantwortete, die pünktlich zum Fest erscheinen konnte. Das eigentliche Festwochenende teilte sich in mehrere miteinander verzahnte Programmpunkte: Ehrung durch die Stadtverwaltung am Grab von Bilz in Anwesenheit von Nachfahren am Freitagnachmittag, anschließend ein musikalisch umrahmter Festakt im Festsaal von Schloss Hoflößnitz mit Vorträgen und einem nachfolgenden Rundgang durch eine Bilz-Ausstellung. Am Folgetag wurden die zahlreichen Besucher mit einem breitgefächerten Angebot an Mitmach- und Vergnügungsstationen ab 10 Uhr bis in die Nacht im Badgelände erfreut. Welche Bedeutung diesem Fest damals auch von offizieller Seite beigemessen wurde zeigt sich daran, dass der Staatsminister für Gesundheit und Soziales, Hans Geisler, die Veranstaltung eröffnete und sogar an einem 2,7km langen Bilz-Gedenklauf teilnahm. Geisler äußerte in einem SZ-Interview auch die Hoffnung, dass „hier eine Wiederherstellung des einstigen Sanatoriums möglich ist, vielleicht durch einen privaten Betreiber.“ Das erste Bilzfest war gemessen am Echo in der Bevölkerung als auch in den Medien also ein Erfolg gewesen, weshalb der Arbeitskreis Gesundheitsförderung in seiner Sitzung am 31.8.92 beschloss, dass es auch im Folgejahr ein Bilzfest geben sollte, der Termin wurde auf den 3. Juli fixiert. Man hatte erkannt: Mit dem Zugpferd Bilz ließ sich nicht nur die Bevölkerung motivieren, sondern auch überregional Aufmerksamkeit erzielen. Deshalb fand nicht nur 1993, sondern auch in den nächsten Jahren jedes Jahr am letzten Sonnabend im Schuljahr das Bilzfest statt. Die Verantwortlichen des Arbeitskreises gewannen stetig an Sicherheit und Professionalität, sie vernetzten sich klug mit am Thema interessierten Fachleuten, Gewerbetreibenden und Firmen und verschafften sich Anerkennung bei städtischen und staatlichen Behörden. Schon 1994 konstatierte das Radebeuler Tageblatt unter der Überschrift „Bilzfest mit überregionaler Bedeutung“, dass im Vergleich zu den Jahren zuvor eine „Steigerung“ zu beobachten gewesen sei. Der qualitative Zugewinn lag neben den angebotenen Attraktionen auch daran, dass sich die Verantwortlichen entschlossen hatten, dem Fest für die Bevölkerung erneut eine Fachtagung für Experten an die Seite zu stellen. Bei eben jener im Sommer 1994 stellte übrigens die langjährige Friedewalder Hausärztin Dr. Heidelore Geistlinger erstmals ihre Pläne zum Aufbau des Bilz-Zentrums vor, das seit 1995 im Lößnitzgrund Patienten begrüßt. Als Folge dieser Fachtagung wurde eine Broschüre mit dem verheißungsvollen Titel „Ein Bilz-Zentrum entsteht in Radebeul“ produziert, die sich vom Layout nahtlos an jene von 1992 anschloss. Die Mitglieder des Arbeitskreises Gesundheitsförderung hatten noch mehr Grund zufrieden zu sein, als sich im August 1995 der „Bilz-Bund für Naturheilkunde e.V.“ gründete und damit endlich ein Verein existierte, der im Sinne der Verantwortlichen Fördermittel abschöpfen bzw. Spenden einwerben konnte. Man liegt also nicht falsch, wenn man einschätzt, dass Mitte der 1990er Jahre Bilz „in“ geworden war und sich viele haupt- und ehrenamtlich dafür stark machten, dass Radebeul dieses Thema von verschiedenen Seiten weiter verfolgt und damit auch seine überregionale Ausstrahlung stärkt. Bis 1999 gab es fortan jedes Jahr im Sommer ein Bilzfest, allerdings dauerte es bis 1999, bis die nunmehr dritte Fachtagung unter Federführung des Arbeitskreises Gesundheitsförderung stattfinden konnte. Mit fortschreitender Zeit scheint sich jedoch ein wenig Ermüdung breit gemacht zu haben, nahm der Elan des Anfangs ab. Entscheidungswege wurden länger, finanzielle Vorgaben strikter, Sponsoren zurückhaltender. Die Sächsische Zeitung vermeldete denn auch im Bericht zum Bilzfest 1999 unter der Überschrift „Keine Lobby für Naturheilkunde“, dass die fehlende Anerkennung naturheilkundlicher Behandlungsmethoden durch weite Teile der Ärzteschaft und der Krankenkassen ihrer Verbreitung und damit gesellschaftlichen Durchsetzung im Wege stünden. Sicherlich nicht nur aufgrund dieser Sachlage, sondern auch verursacht durch das näher rückende altersbedingte Ausscheiden zweier verdienter Gründungsmitglieder (Amtszahnärztin Dr. Renate Grummt und Jugendärztin Dr. Marianne Kazmirowski) löste sich der Regionale Arbeitskreis für Gesundheitsförderung Radebeul nach mehr als acht Jahren engagierter Tätigkeit am 25.11.1999 auf. Im letzten Protokoll wurde allerdings noch festgehalten, dass die Verantwortung für die Organisation des Bilzfestes 2000 in den Händen des Bilz-Bundes und der Stadtverwaltung liegen sollte. Bilzbad-Feste gab es seither immer wieder – aber es dauerte bis 2020, dass das nunmehr dritte „Bilz-Heft“ im traditionsreichen Format und in den bekannten Farben Rot-Grün im Radebeuler Notschriftenverlag erscheinen konnte. Anlass war eine Festveranstaltung zum 20-jährigen Jubiläum der Ausbildung von Ärzten für die Zusatzbezeichnung „Naturheilverfahren“, die durch den Bilz-Bund für Naturheilkunde schon im November 2018 abgehalten worden war. Es ist erfreulich zu konstatieren, dass der Bilz-Bund also den Staffelstab des früheren Arbeitskreises für Gesundheitsförderung aufgenommen und dessen Anliegen in Bezug auf die Förderung und Verbreitung Bilz’scher Erkenntnisse bis in die Gegenwart getragen und professionalisiert hat. Immerhin ist der Radebeuler Bilz-Bund der mitgliederstärkste Bilz-Verein in Sachsen und in der Weiterbildung von Ärzten sehr aktiv.
Wer auf den Spuren von F.E. Bilz wandeln will, hat dazu also vom 8.-10. Juli Gelegenheit. Vielleicht macht sich sogar die eine oder der andere aus unserer Leserschaft, der schon in den 1990er Jahren die Bilzfeste erlebt hat, zum Bilzbadfest auf. Ab 14 Uhr ist der Eintritt am Sonnabend sogar frei. Und das hätte auch F.E. Bilz gefreut, da bin ich mir sicher.
Bertram Kazmirowski

 

Festschrift mit Fachvorträgen 2020, herausgegeben vom Bilz-Bund für Naturheilkunde e.V., Broschüre, 44 Seiten, 21 x 19 cm, mit zahlreichen Fotos z.T. in Farbe
Aus der Jubiläumsveranstaltung 20 Jahre erfolgreiches Bestehen der Ausbildung von Ärzten für die Zusatzbezeichnung „Naturheilverfahren“ durch den Bilz-Bund für Naturheilkunde e.V. am 20. November 2018

Editorial 7-22

Derzeit fallen die letzten Gerüste an der größten Baustelle des Landkreises auf dem Gelände des ehemaligen Glasinvest-Areals in Radebeul-Ost und die gesamte Wucht des Komplexes drängt sich unausweichbar den Passanten auf.
Unser Heft hat das ehrgeizige Projekt von der Baugrube an begleitet, welches unter dem euphemistischen Namen „Villenpark Altradebeul“ firmiert.
Als nahegelegener Anwohner waren die sich über Jahre hinziehenden Bauarbeiten mit all den Baufahrzeugen nicht selten strapaziös. Gleichwohl muss man der Projektleitung aus organisatorischer Sicht höchsten Respekt zollen, die Verzahnung der Bauabschnitte waren vorbildhaft.
Die jahrzehntelange Brache ist Geschichte und ist – für Radebeuler Verhältnisse – einer veritablen Steinwüste gewichen. Dem geschulten Auge kann das Gesamtergebnis keinesfalls froh stimmen. Sicher können bei Nutzbauten nicht immer architektonische Meisterleistungen erwartet werden. Weshalb aber die Fassaden-Ästhetik dem Stil der übereilten Baukultur der 1990er Jahre verhaftet blieb und eine derartige Ödnis den Blick für die kommenden Jahrzehnte sprichwörtlich zementiert, sollte für künftige Vorhaben kritisch hinterfragt bleiben.
Der untere Teil der geschundenen Freiligrathstraße wird nun zum Abschluss grundständig saniert. Es bleibt zu wünschen, dass das Einbahnstraßenschild an der Mündung zur stark befahrenen Meißnerstraße endlich wieder seinen Platz findet, damit das darüber gelegene Viertel wieder seine ursprüngliche wohltuende Verkehrsberuhigung erfährt.

Sascha Graedtke

Zum Titelbild



… von flüchtigen Momenten …

Hommage an den Wald
Performance | Radebeul | 2020


der Wald ist
wie er ist
er ist immer

kraftvoll wogend
gibt er mir Ruhe
behütet mich sanft
und
still rauschend
Aromen aussendend
formt er meine Ideen
beschattet mich zart
und
langsam wachsend
das Licht geleitend
dehnt er meine Zeit

der Wald birst
unter, über, neben mir
fragil und kraftlos
des Holzes spröde Fasern
ein letztes Erblühen von kleinem Grün

sacht trete ich ein
in diesen vertrauten Ort
bewege mich achtsam durch der Stämme Raum
dankbar und demütig
ihm etwas
seiner einst geschenkten Energie
zurückzugeben

der Wald ist
wie wir sind
ist der Wald immer?

Constanze Schüttoff  

Lügenmuseum bald obdachlos?

Keine Kulturkonzeption für Radebeul in Sicht

Wann, wenn nicht jetzt, sollte man die Programme der drei Radebeuler Oberbürgermeisterkandidaten Bert Wendsche, Oliver von Gregory und Jörg Hüsken gründlich studieren? Bei Freiherren von Gregory ist mir folgender Satz besonders aufgefallen: „Ich möchte, dass die Kultur Stoff für unsere Träume ist und der Kitt für unser Zusammenleben.“ Das klingt doch gut! Aber wer, so frage ich mich, hat nun eigentlich die Deutungshoheit über das „uns“, über den „Kitt“, über die „Kultur“ und besonders über die „Träume“?

Hatte zum Beispiel das Lügenmuseum den Museumsstatus in Brandenburg erhalten, so wurde dieser dem selbigen in Sachsen verweigert. Wohlwissend, dass die Folgen für die Einrichtung gravierend sind und sich diejenigen bestätigt sehen, die schon immer gewusst haben, was ein „richtiges“ Museum ist und es total unmöglich finden, den Begriff „Lüge“ mit dem Begriff „Museum“ zu verbinden.
Über den Spruch „Ist das Kunst, oder kann das weg?“ habe ich zugegebenermaßen auch schon gelacht, doch so lustig ist das mitunter gar nicht gemeint. In Bezug auf das Lügenmuseum finde ich die Bemerkung kulturlos und gefährlich. Bedeutet das nicht, dass all das, was man nicht sofort versteht, eliminiert werden müsste?

Es sollen hier weder die Landesbühnen Sachsen, das Karl-May-Museum, das Sächsische Weinbaumuseum, die Radebeuler Stadtgalerie oder das Lügenmuseum gegeneinander ausgespielt werden. Das wäre nicht fair und völlig kontraproduktiv. Jede dieser Einrichtungen hat ein spezielles Profil und spricht damit einen speziellen Besucherkreis an. Trotzdem sollte man auch einmal analysieren, unter welchen speziellen Bedingungen diese Einrichtungen arbeiten. Damit meine ich u. a. das Budget, das Personal, das Angebotsspektrum, die Besucherstatistik, die Raumsituation sowie mögliche Synergien, die sich aus einer partiellen Zusammenarbeit ergeben könnten.

Zweifellos scheiden sich beim Lügenmuseum die Geister und die Reaktionen reichen von Unverständnis bis Euphorie. Doch ein Blick in das Besucherbuch offenbart Erstaunliches. Selten habe ich bei Besuchern so ein ausgeprägtes Bedürfnis erlebt, Gefühle, Gedanken und Eindrücke derart phantasie- und wortreich mitzuteilen. Die Inspiration dieses heiteren Ortes mit seinem ganzheitlichen (nahezu philosophischen) Ansatz, mit den begehbaren Rauminstallationen, den bizarren Objekten, Bildern und Collagen, den vielfältigen Klängen und Lichteffekten, bereichert durch Filmsequenzen und Sprüche, entfaltet seine Wirkung bei denen, die hierfür offen und aufgeschlossen sind. Stoff zum Träumen fände sich reichlich, aber vermutlich haben die maßgeblichen Entscheidungsträger völlig andere Vorstellungen von der Kultur, die zum Träumen anregen soll.

Aber, wo lassen sich denn nun auf der Wichtigkeitsscala zwischen „Hoch- und Basiskultur“ die Abenteuerromane eines Karl May oder die Kunstwerke von Zabkas Kunst- und Dissidentenmuseum einordnen? Ist ein Sinfoniekonzert kulturell höher einzustufen als ein Jazzkonzert, eine Ballettaufführung höher als eine Performanceaktion, die Ernste höher als die Heitere Muse?

Wäre es nicht sinnvoller, wenn wir uns als menschliche Gemeinschaft solidarisch und unvoreingenommen zeigen, gegenüber denen, die unser Leben durch Kunst und Kultur bereichern, wovon wir doch letztlich alle profitieren? Aber halt – ist das nicht gestriges Denken? Liegen nicht Effizienz und Selbstoptimierung im Trend? Also jagt den letzten Dadaisten aus der Stadt! Der stört nur und rechnet sich nicht!

Der Immobilienwert des ehemaligen Gasthofes wird gegenwärtig auf 310.000 Euro geschätzt. Der Betrag sei bereits, laut SZ vom 4.4.2022, im städtischen Haushalt für 2023 als Einnahme geplant. Aber warum wissen wir als Bürger nichts davon? Was passiert da hinter verschlossenen Türen? Eigentlich ist das doch ganz klever: Als Stadt 10 Jahre mit einem Museum geworben. Dabei 10 Jahre Personal- und Betriebskosten gespart. Ersteigert für 10.000 Euro. Beim Verkauf voraussichtlich 300.000 Euro gutgemacht. Dachdeckung und Überputzelektrik sollten fairerweise gegengerechnet werden. Selbst schuld, wer sich so etwas antut und privat ein Museum betreibt!

Auch Hans-Joachim Stephan vom ehemaligen DDR-Zeitreisemuseum, welches jährlich zwischen 40.000 bis 60.000 Besucher anzog, musste die Suppe, die er sich privat eingebrockt hatte, privat auslöffeln. Wie war das doch gleich mit dem „uns“, mit dem „Kitt“, mit den „Träumen“ und mit der „Kultur“? Eine Stadt wie Radebeul als Konzern führen zu wollen, sollte zu denken geben.

In einem Schreiben vom 11. Januar 2022 teilte der amtierende Oberbürgermeister Bert Wendsche Reinhard Zabka u.a. Folgendes mit: „Die zuständigen Gremien des Stadtrates haben vor kurzem nochmals bekräftigt, dass wir als Stadt den Gasthof auch weiterhin nicht im eigenen Bestand halten wollen, da die dafür notwendigen Investitionen angesichts der sonstigen finanziellen Herausforderungen unsere Leistungsfähigkeit übersteigen. Auf dieser Grundlage bereiten wir als Verwaltung derzeit eine erneute Ausschreibung in steter Rückkopplung mit den Stadtratsgremien inhaltlich vor. An dieser können Sie sich natürlich dann jederzeit beteiligen. Einem Direktverkauf an Sie als Mieter ohne Ausschreibung sind die Gremien jedoch nicht näher getreten. Wir werden Sie als unserem Mieter nach Abschluss der internen Beratungen umgehend über das weitere Vorgehen in Kenntnis setzen und den weiteren Prozess soweit möglich und vertretbar mit Ihnen abstimmen.“

Dieser „Neujahrsgruß“ aus dem Rathaus hatte es in sich und fand schnelle Verbreitung. Also wann, wenn nicht jetzt, muss Klartext gesprochen werden. Das Lügenmuseum als Ort der Inspiration, der Kreativität und Vielfalt mit überregionaler Ausstrahlung und Anerkennung soll durch den Verkauf der Immobilie obdachlos werden und der Künstler Reinhard Zabka verlöre seine Wirkungs- und Arbeitsstätte, die gleichermaßen für viele Künstler eine zentrale Anlaufstelle bildet, wo künstlerische Gemeinschaftsprojekte ihre Konzipierung und Umsetzung erfahren.

Will denn wirklich niemand dem Lügenmuseum und dessen Betreiber in der Not beiseitestehen? Handelte es sich bei der Verleihung des Radebeuler Kunstpreises an Reinhard Zabka etwa nur um ein Versehen? Wurde die Vermietung der Immobilie seitens der Politik und Verwaltung immer nur als eine Zwischenlösung für deren Erhalt und Wertsteigerung angesehen?

Natürlich sind Straßen, Kindereinrichtungen, Schulen, Spielplätze, Sportstätten, Gewerbe- und Wohngebiete wichtig. Aber betrifft das nicht alle Kommunen? Warum spricht in Radebeul keiner darüber, was es für eine Stadt mit 34.000 Einwohnern bedeutet, wenn der Stadtgesellschaft leise und gleitend drei Kinos, sechs Kulturhäuser und fünf Museen (Heimatmuseum, Puppentheatersammlung, Zeitreisemuseum, Schmalspurbahnmuseum und Lügenmuseum) verloren gehen?

Eine öffentliche Diskussion in der selbsternannten Kunst- und Kulturstadt Radebeul hat es über diese Prozesse nie gegeben. Eine Kulturkonzeption wird seit Jahren angemahnt. Angebote daran mitzuwirken, wurden ausgeschlagen. Auf der einen Seite tagen Politiker hinter verschlossenen Türen, auf der anderen Seite schreiben Bürger Offene Briefe und starten Petitionen. Soll das so weitergehen in der Großen Kreisstadt Radebeul?

Circa 250 Bürger haben bereits den Offenen Brief des Radebeuler Kultur e.V. vom 29. März 2022 zur Situation des ehemaligen „Gasthof Serkowitz“ und des Lügenmuseums unterzeichnet. Außerdem wurde am 9. März 2022 eine Petition unter dem Motto „Das Lügenmuseum soll im Gasthof Serkowitz ein zu Hause finden“ eingereicht, welche noch 3 Monate läuft. Statt immer wieder zu argumentieren, warum etwas nicht funktionieren kann, sollten endlich alle Möglichkeiten geprüft werden, wie etwas funktionieren könnte!

Sich vorzustellen, was geschieht, wenn der Künstler Reinhard Zabka als Mieter des ehemaligen „Gasthof Serkowitz“ das Kündigungsschreiben von der Radebeuler Stadtverwaltung erhält, dazu braucht es nicht allzu viel Fantasie. Knapp kommentiert: Verwaltungstechnisch korrekt, finanziell ein schneller Gewinn, aber kulturpolitisch ein immenser und dauerhafter Schaden!

Wer sich hierzu eine eigene Meinung bilden will, der ist herzlich eingeladen zum Schauen und Diskutieren. Von 15 bis 20 Uhr werden am 2. Juni 2022 die Türen des Lügenmuseums geöffnet sein. Der Eintritt ist an diesem Tag frei. Ehrenamtliche „Kunsterklärer“ stehen als „Dolmetscher“ bereit. Und natürlich werden Reinhard Zabka alias Richard von Gigantikow und Sixtina von Güterfelde jeden Gast persönlich mit einem frisch gebrühten Lügentee willkommen heißen.

Karin (Gerhardt) Baum

Das kulturelle Monatsheft „Vorschau und Rückblick“ wird das weitere Geschehen rund um das Lügenmuseum sowie das allseitige Bemühen um eine praktikable und zukunftsorientierte Lösung redaktionell begleiten. Red.

 

EINLADUNG
Der Vorstand und die Redaktion des kulturellen Monatsheftes „Vorschau und Rückblick“ laden, wie in der Mitgliederversammlung beschlossen, für den 2. Juni alle Vereinsmitglieder und Leser herzlich ins Lügenmuseum ein, um vor Ort miteinander ins Gespräch zu kommen. Anwesend sein werden voraussichtlich auch Vertreter des Radebeuler Kultur e.V., des Radebeuler Fremdenverkehrsvereins sowie zahlreiche Künstler, Kunstfreunde und Kulturorganisatoren.

Mit Gerhard Schöne poetisch durch das Jahr

Glosse

Senf, mittelscharf

„Herzblut ist das Kostbarste, was ein Mensch besitzt“, meinte immer meine Oma. Und wo sie recht hatte, da hatte sie eben recht. Deshalb sollte man in Sachen Herzblut keine vorschnellen Versprechungen abgeben. Da verhält es sich mit einer Niere schon ganz anders. Gibt man sie weg, kann einem so manches nicht mehr „auf die Nieren gehen“, was in heutiger Zeit ja auch nicht ganz so verkehrt ist. Denn, es läuft so vieles in dieser Welt nicht so wie es sollte. Klug handelt deshalb, wer sich in schweren Zeiten zurück hält.

Einfacher gesagt als getan, auch weil einem die Zeiten oder doch wohl die vermeintlichen Zwänge nicht in Ruhe lassen wollen. Dann fühlt man sich verpflichtet, zu jeder Sache „seinen Senf dazugeben zu müssen“, wie mein Berliner Freund hier schmunzelnd einwerfen würde. Dabei aber hat der Schelm natürlich immer nur den „Bautz‘ner Senf, mittelscharf“ im Hinterkopf. Nicht so bei jenen, die sich gern an der vorderen Kante der Rampe sehen. Denen löckt da mitunter schon mal der Stachel und sie setzen noch einen obendrauf, wollen vermutlich hoch hinaus. Superlative werden dann bemüht, himmelschreienden Begriffe ausgedacht, etwa wie megagalaktisch oder auch Premiumsegment, nur um zu suggerieren, was man für ein toller Hecht sei und warum man bei ihm kaufen sollte.

Und wie rein zufällig tröpfeln diese Begriffe in alle „Segmente“ des täglichen Lebens. Irgendwann können wir uns vor lauter Premiumsegmenten nicht mehr retten und sind am Ende selber eins. Da will ich jetzt überhaupt nicht auf aktuelle Ereignisse anspielen. Der Leser (Es sei mir gestattet, hier das generische Maskulinum zu verwenden.) ist meiner Ansicht nach pfiffig genug, die Verbindungen selbst herzustellen. Da habe ich vollstes Vertrauen.

Manchmal frag ich mich aber, wo all diese Begriffe herkommen, die vorgeben, unsere Sprache verbessern, schöner und reicher machen zu wollen. Premium kommt zwar aus dem Lateinischen, trat aber zunächst im Englischen auf. Die Wirtschaft und besonders die Werbebranche hatte das Wort gekapert. Auch auf bundesdeutschen Straßen war der „Renaut Premium“, ein französischer Lastkraftwagen, unterwegs. Das Wort selber steht für eine „besondere“ oder gar „beste“ Qualität eines Erzeugnisses, was an sich ja schon ein Witz für sich ist. Denn, wenn es tatsächlich so wäre mit der Qualität, die sich nicht mehr steigern ließe, würden wir ja am Ende unserer Entwicklung stehen und der französische Lastwagen, der 2000 von den schwedischen Volvo Group übernommen wurde, würde immer noch in Saint-Priest bei Lyon aus den Werkhallen rollen. Ist aber nicht so, da die Produktion 2013 eingestellt wurde. Also, doch nicht „beste Qualität“?

Erhellend sind auch die Synonyme, die man für das schöne Modewort Premium einsetzen kann wie zum Beispiel exquisit – hochwertig – qualitätsvoll – exzellent – erste Wahl, um nur einige zu nennen. Natürlich würde ich niemals im Traum daran zweifeln, dass ich nicht die „erste Wahl“ für meine Gattin bin. Aber sonst…? Zu diesem Sachverhalt fallen mir gleich mehrere Sprüche meiner Frau Mutter ein, mit denen ich aber jetzt nicht langweilen will. Fakt ist, dass die Sache mit den Superlativen eben eine relative ist und wohl sehr stark vom Blickwinkel des Betrachters abhängt. Diesen Superlativen klebt ja auch der unangenehme Geruch des Selbstlobes an. Das wiederum ist kein Modewort, war zu allen Zeiten gang und gäbe und ist gegenwärtig wieder unheimlich in Mode gekommen. „Wenn mich schon keiner lobt, muss ich es halt selber tun!“ Hier sollte man aber aufpassen, dass man nicht abhebt. Immer schön auf dem Boden bleiben!

Wie sagt man wenn‘s genug ist?: „Aller guten Dinge sind drei.“ Das hatte offensichtlich der populäre Liedermacher Reinhard Mey schon 1988 erkannt. Damals brachte Mey das gleichnamige Lied von einem überforderten Mann heraus. Es schloss mit eben diesem Spruch und der Erkenntnis, dass es auf keinem Fall mehr sein sollten, meint auch

Euer Motzi

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