Weingut Haus Kynast – das kleinste Haus des Ensembles wurde jetzt in Stand gesetzt

Dieses ehemalige Weingut hat seine freie Lage in der Landschaft weitestgehend beibehalten können, mehr als andere Weingüter in Radebeul und ist allein schon deshalb etwas Besonderes. Die unter Denkmalschutz stehenden Gebäude des Weingutes Haus Kynast, Radebeul-Zitzschewig, Kynastweg 26, wurden nach 1990, nachdem die Eigentumsfrage zugunsten der Familien Klaus und Hans-Peter Muth geklärt war, in Etappen saniert. Da diese Baugruppe recht groß ist, traten zwischen den Bauzeiten der einzelnen Häuser auch Phasen der Bauruhe ein, was in diesem Falle sinnvoll war. Bisher fertiggestellt sind das Fachwerkhaus mit Durchfahrt, das Gärtnerhaus mit ehem. Stall, jetzt Wohnhaus und das Herrenhaus als das größte Gebäude. Entsprechend der verschiedenen Baualter der Gebäude wurden die Fassadenfarben, sofern nicht Originalbefunde da waren, etwas differenziert, jedoch einer Farbgruppe (Gelb, Ocker, Weiß) zugehörig, angewendet. Das Turmhaus und das Badehaus standen mit der Instandsetzung bis 2021 bzw. 2022 auf der Warteliste. Jetzt laufen Voruntersuchungen für die Baumaßnahme Turmhaus (errichtet im 18. und 19. Jh.).

Jan. 1992 (kaputter Zustand)
Bild: D. Lohse


Für mich überraschend (dienstlich bin ich als Rentner in das Geschehen nicht mehr eingebunden) wurde im Herbst vorigen Jahres damit begonnen, das kleinste Gebäude, das sogen. Badehaus, zu sanieren. Ich war aber angenehm überrascht. In den letzten 30 Jahren lag das Badehaus, von einer Notsicherung mit einer Lage Wellbit auf dem Dach mal abgesehen, brach, weil keine neue Nutzung zu finden war. Im Laufe des 20. Jh. war das Badehaus auch als Waschhaus und später nur noch als Abstellraum genutzt worden. Da der Verfall voranschritt, musste offenbar jetzt eine Planung und die Instandsetzung zur Rettung des barocken Badehauses eingeleitet werden. Die Planung der Maßnahme lag wieder in den Händen von Architekt Volker Röhricht, der auch bei den bisherigen Sanierungen im Kynast tätig war. Es ist ein gutes Verhältnis zwischen dem derzeitigen Bauherrn Hans-Peter Muth und dem Radebeuler Architekten ersichtlich.

Bild: V. Röhricht


Bei gelegentlichen Spaziergängen sah ich die verschiedenen Bauzustände an dem kleinen Gebäude: die Erneuerung des Dachstuhls (Fa. Damm / Reichenberg), die Dachdeckung mit roten Biberschwanzziegeln (Fa. Theile / Radebeul), Maurerarbeiten (Herr Bormke / Radebeul), Putzarbeiten (Fa. Hentschel / Ebersbach-Neugersdorf) und Tischlerarbeiten (Fa. Holz u. Glas / DD-Cossebaude).

Okt. 2021 (im Gerüst)
Bild: D. Lohse


Aber woher kam eigentlich der Name Badehaus und welche Stellung nimmt das Haus von 1724 innerhalb des Ensembles ein? Offenbar hatte das Herrenhaus (1. Bau wohl 1578, in der heutigen Form 2. Hälfte 17. Jh.) kein Bad und man wünschte sich zu Beginn des 18. Jh. unter gestiegenen hygienischen Ansprüchen ein solches. Da man aber den Einbau eines Feuchtraums in das Herrenhaus scheute, wurde das Badehaus als kleines, separates Gebäude östlich des Herrenhauses angeordnet. Der damals innerhalb des Ensembles gewählte Standort liegt sozusagen im Schatten des Herrenhauses – es war ein Funktionsbau und er sollte kurze Wege zum Hauptgebäude haben. Das Badehaus wurde früher über eine Rohrwasserleitung von einem eigenen, etwa 200m entfernten Brunnen am Krapenbergweg mit Frischwasser versorgt. Es zeigt sparsame barocke Formen im Dach (Mansarddach), bei den Gaupen sowie an den Wölbungen des Traufgesimses. Unser beschriebenes, eingeschossiges Badehaus sitzt in der das Gelände von Südost nach Nordwest verlaufenden Stützmauer, wie im beigefügten Lageplan von Herrn Röhricht ersichtlich ist. Die lange Syenitstützmauer bildet die funktionelle Trennung der Bereiche Weinberg sowie Wohnen, Hof und Park. Ein paar Veränderungen weist das Projekt auf, sie sind aber wegen des Denkmalcharakters gering: Etwa mittig im Dach war ein Schornstein, der nun wegfiel. Das alte Badehaus brauchte keine Treppe, ins Dachgeschoss kam man über eine Außentreppe innerhalb der Stützmauer. Im EG wird ein Wohnraum mit Miniküche sein und im DG soll der Schlafbereich mit WC und Dusche entstehen. Für eine bescheidene Wohnnutzung kommt jetzt eine hölzerne Innentreppe dazu. Die neue Nutzung – Wohnung für minimale Ansprüche, Ferienwohnung oder eine ähnliche Nutzung – steht jetzt, da die Ausbauarbeiten beginnen, aber noch nicht endgültig fest.

März 2022 (fast fertig)
Bild: D. Lohse


Der Anblick des äußerlich fertiggestellten ehemaligen Badehauses ist erfreulich und wertet das Ensemble auf, viele Jahre war an dieser Stelle nur der Verfall zu sehen. Ich hätte nichts dagegen, wenn die Farbe Weiß, bzw. ein gebrochenes Weiß, so bliebe. So könnte sich das kleinste Haus besser neben dem Hauptgebäude behaupten. Darüber, also über die Instandsetzung, hätte sich sicherlich auch Regine Muth (Ehefrau von Klaus Muth, gestorben am 6. Juni 2012) gefreut, deren Herz sehr am Kynast hing.

Andere Themen zu Haus Kynast wurden von mir bereits in Vorschau & Rückblick, Heft 1/96 und 2/16 vorgestellt.

Dietrich Lohse

Weiterführende Literatur:
„Radebeul, Stadtführer durch Vergangenheit und Gegenwart“, Liselotte Schließer, Edition Reintzsch, 1996
„Denkmaltopographie Stadt Radebeul“, Volker Helas, Michael Müller, Mathis Nitzsche, Sax Verlag, 2006
„Sächsisches Weinland, historische Weingüter im Elbtal, Matthias Donath, Edition Sächsische Zeitung, Redaktions- u. Verlagsgesellschaft Elbland mbh, 2010

Schreibwerkstatt (6. Teil)

Mein winterlicher Schulweg in Radebeul

Es ist kalt draußen. Die Bäume haben kein einziges Blatt mehr und eisiger Wind wirbelt das Laub auf die Straße. Dunkle Wolken sind am tief schwarzen Himmel kaum zu erkennen. Ich ziehe meinen Schal noch etwas tiefer in mein Gesicht und stecke meine Hände weiter in die Taschen meines dicken Mantels. Zum Glück bin ich gleich bei der Haltestelle, um in die Bahn zu steigen. Rechts fahren schnelle Autos an mir vorbei und ihre Lichtkegel streifen meinen Ranzen. In manchen Häusern leuchten noch die Schwibbögen vor den Fenstern oder Christbäume in den Gärten.

Endlich bin ich auf der Bahnhofstraße, beim „Netto“, und gehe den kleinen Weg entlang zur Haltestelle. Da ist auch schon meine Bahn, fast hätte ich sie verpasst. Gerade noch rechtzeitig. Ein wohlig warmes Gefühl beschleicht mich, als ich in die Bahn steige. Ziemlich viele Menschen sitzen in der Bahn.

Ungefähr zehn Minuten später steige ich an der Zillerstraße aus und sehe die andere Straßenbahn aus der anderen Richtung. Aus ihr steigt eine Freundin und wir laufen den kleinen, aber ziemlich steilen Berg hoch.

Links, in einer anderen Straße, ist eine Kirche kaum zu erkennen. Die Lichter in den Fenstern leuchten hell. Wir laufen die Zillerstraße weiter, an den Gärten und Zäunen vorbei. Wenn ich ausatme, schwebt eine kleine Wolke vor meinem Mund. Gleich haben wir es geschafft. Da sind wir auch schon an der Kreuzung bei der Tanzschule Linhart und überqueren die Straße. In der Tanzschule brennt noch kein Licht.

Schnell sind wir im Gymnasium Luisenstift und suchen unseren Klassenraum. ‚Wo haben wir jetzt Unterricht?‘, frage ich mich.

Helena Meißner
Klasse 6 – Luisenstift Radebeul

Aufgetankt

Eindrücke von der Buchmesse in Altkötzschenbroda am 3. Juli 2022

Bertram Kazmirowski lauscht der Rezitation von Uta Hauthal
Bild: S. Graedtke


Die Mittagssonne hatte den Dorfanger in Altkötzschenbroda in ein fahlweißes Licht getaucht, die Menschen schmausten, meist beschattet auf dem Grünstreifen platziert, behaglich in geselliger Runde, kaum ein Geräusch störte den nahezu stillgestellten Moment, kurz: das Leben floss gemächlich dahin an diesem Julisonntag. Wohl auch deswegen erfüllte den Hof der Stadtgalerie nicht gerade ein überbordendes Vibrieren, obwohl es allemal Grund wenigstens zur freudigen Erregung gab, fand doch die zweite Auflage der Radebeuler Buchmesse statt. Ausgerichtet von Jens Kuhbandner, seines Zeichens Kunstpreisträger der Stadt Radebeul (2018) und Inhaber des Notschriftenverlages, sollte diese Messe in Fortsetzung der Premiere des Jahres 2021 einen literarischen Impuls setzen und Buchmenschen zusammen bringen. Wenn schon nicht Leipzig in Groß, dann wenigstens Altkö in Klein. Wir von „Vorschau und Rückblick“ waren uns schnell einig gewesen, dass wir mit einem Stand diese kleine, aber feine Messe bereichern wollten. Einerseits ist jede kulturbezogene Initiative unterstützenswert, andererseits ist auch uns jede Gelegenheit willkommen, unser Monatsheft durch Präsentation in der Öffentlichkeit noch bekannter zu machen. Offenbar hatte ich das Glück, einen besonders lebendigen Tagesabschnitt erleben zu dürfen, denn es ergaben sich mehrere gewinnbringende Gespräche. Kurz nach 13 Uhr rollte ein Rad in den Hof, das sich als „Poesie-Tankstelle“ zu erkennen gab. Wenig darauf schon hatte ich die Dresdner Autorin und Musikerin Uta Hauthal in ein Gespräch verwickelt, in welchem sie mir ihr verblüffend sinnreiches Konzept erläuterte und praktisch vorführte: So, wie Straßenmusiker musizieren, rezitiert Uta Hauthal auf öffentlichen Plätzen im In- und Ausland Gedichte verschiedener Autoren. Ich entschied mich dafür, mir kein bestimmtes Gedicht auszusuchen, sondern den Zufall walten zu lassen, und siehe da: Für mich wurde es Uwe Kolbes „Beim Zeitungslesen“, was insofern stimmig war, als dass ich ein passionierter Zeitungsleser bin. An einem benachbarten Stand bot die Dresdner Grafikdesignerin und Illustratorin Sylvia Graupner diverse Artikel zum Kauf an, nachdem sie zuvor aus ihrem ersten eigenen Kinderbuch gelesen hatte. Gleich daneben waren zwei Verlage vertreten, die mich durch ihr regional ausgerichtetes Sortiment begeisterten. Michael Schmidt mit seinem Sonnenblumenverlag und der bekannte Kulturjournalist und Verleger Holger Oertel mit seinem Dresdner Verlag boten eine Fülle interessanter Bücher, Broschüren, Landkarten und Postkarten an, was die Auswahl schwer machte. Noch weitere kleinere Verkaufsstände mit handgemachten Kunstgegenständen und Papierwerken sowie natürlich auch der Gastgeber selbst verlockten zum fachlichen Gespräch und freundlichen Austausch. Gut, dass es diese Initiative vor Ort gibt, die Bibliophile versammelt, die es Autoren in kleiner Runde gestattet, aus ihren Texten zu lesen, kurz: die es mir und anderen ermöglicht hat, Literatur zu tanken und auch jeweilige „Tankstellen“ zu betreiben, ob nun mobil wie Uta Hauthal oder stationär wie die anderen Aussteller inklusive der „Vorschau“. Ein Dank geht deshalb besonders an Initiator Jens Kuhbandner, aber auch an alle anderen, die zum Gelingen des Tages beitrugen, nicht zuletzt an jene unbekannte Gönnerin, die Sascha Graedtke und mir ein Stück selbst gemachter Obsttorte kredenzen ließ. Auch wenn im kommenden Jahr die Leipziger Buchmesse wieder stattfinden sollte, so wäre es doch wünschenswert, wenn es eine dritte Auflage der Radebeuler Buchmesse gäbe – die im Vorfeld unbedingt stärker beworben werden müsste als es dieses Jahr der Fall war!

Bertram Kazmirowski

Und nochmal in eigener Sache

Bild: S. Graedtke


Da unser zweiter „Jungspund“ Sascha Graedtke im August seinen 50. Geburtstag feiert, gratulieren wir auch ihm ganz herzlich. Ohne seinen beherzten Entschluss, 2011 die „Chefredaktion“ zu übernehmen, wäre die „Vorschau“ heute vielleicht nicht mehr da. Aber, das Wunder geschah, und so können wir Dir, lieber Sascha, für Deine Mühen sehr, sehr danken. Trotz Job, trotz familiärer Pflichten, trotz Wehwechen oder Urlaub: Jeden Monat ab dem 15. hältst Du Dich bereit, für das Gelingen unseres Heftes verantwortlich zu zeichnen. Wir wünschen Gesundheit und weiterhin Lust am Schreiben und Organisieren

sowie gute Einfälle…

Im Namen des Vorstandes und der Redaktion
herzlichst

Ilona Rau

Peter Graf „Stillos“ – eine Ausstellung in der Stadtgalerie Radebeul

Morgens bei Zurbarán, 2016
Bild: Archiv Stadtgalerie


Mit einer Personalausstellung ehrt die Stadtgalerie Radebeul einen der großen Künstler der Stadt zu seinem 85. Geburtstag. Malerei und Zeichnung aus den zurückliegenden Jahrzehnten werden einen kleinen, aber durchaus repräsentativen Überblick über sein umfangreiches Schaffen geben und zum Staunen einladen. Seit 1996 arbeitet Peter Graf in seinem Atelier in der Gartenstraße in Radebeul, hat seit 2002 auch seinen Lebensmittelpunkt in die Lößnitz verlegt und ist mit seiner Frau, Karen Graf in der Radebeuler Kunstszene sehr aktiv.

»Leichtes Training für die Sintflut«, Öl auf LW, 2005 (Ausschnitt)
Bild: Archiv Stadtgalerie


Peter Graf hat seine Ausstellung ganz bewusst keinem Thema zugeordnet, sondern ganz einfach „Stillos“ genannt. Er lehnt es ab, für seine Kunst eine Einordnung zu treffen und er hat Recht. Jedem Stil werden in der Kunstgeschichte stilbildende Merkmale zugeordnet und sicher lassen sich auch manche Eigenschaften seiner Malerei bestimmten Stilen zuordnen, aber eben nicht in ihrer Gesamtheit.

»R4, Bild Nr. 2«, Öl auf Sperrholz, 1993
Bild: Archiv Stadtgalerie


Es ist die Zeichnung, es ist Malerei, es ist Grafik, manchmal eine Kombination der Techniken – und sie ist immer gegenständlich.

»Hektor präsentiert«, Plakat, 1995
Bild: Archiv Stadtgalerie


Peter Graf erzählt Geschichten, oft mit einem hintergründigen Humor. Neben dem Menschen, der den Großteil seines Œvres bestimmt, tummeln sich verschiedenste Tiere und auch Fabelwesen auf der Leinwand. Auch der Betrachter muss arbeiten Bloßes Zuschauen ist keine kreative Tätigkeit. Beteiligtes Sehen ist das Credo des Künstlers. Ein Bild muss beim Betrachten mehr werden und mit dieser Art zu sehen ist Erkenntnis verbunden. Und so wie biblische Weisen Gleichnisse erzählen, entstehen unter der Hand des Künstlers gemalte Gleichnisse. Modisches Experimentieren widerstrebt Peter Graf. Es geht um Qualität. Das Bild hat in sich stimmig zu sein. Das Ganze ist entscheidend. Deshalb ist er eher ein Bildfinder, denn ein Sucher.

»Espresso«, Öl auf Sperrholz, 2020
Bild: Archiv Stadtgalerie


Er nimmt in seiner künstlerischen Arbeit wenig Rücksicht auf Regeln. Unverkrampft und offen geht er mit stilistischen und technischen Mitteln um. Dabei kann er sich seiner kompositorischen Mittel stets sicher sein. Er vermeidet starke Farben und heftige Brüche in der Formgebung. Seine Arbeiten sind von großer Sinnlichkeit. Zugleich bleibt er aber nahe an der Realität, am Menschen und an der Landschaft oder auch nur an einer Lötlampe. Diese Kombination fügt sich im Bild harmonisch zusammen. Er will über das Abbild zum Sinnbild gelangen und benötigt deshalb seine Umgebung als Anregung. Sinnlichkeit drückt sich nicht nur in der Auswahl des Sujets sondern auch in seiner körperhaften, also fast tastbaren Oberfläche aus. Mit gedeckten Farbklängen komponiert er lichtvolle Malerei.

»Schwan gehabt«, Öl auf LW, 2017
Bild: Archiv Stadtgalerie


Der zurückhaltende Ton kommt seinen Intentionen von der lebendigen Darstellung der Dinge sehr entgegen.

»Fenster (Raschufa)«, Öl auf Sperrholz, 2007
Bild: Archiv Stadtgalerie


In einem Satz brachte Erich Fraaß die Arbeit eines Künstlers/einer Künstlerin und die Wirkung seiner/ ihrer Bilder auf den Punkt und dies gilt uneingeschränkt für Peter Graf:

„Der Kunst kann man nicht befehlen. Sie ist da und ist wie sie ist, sie wächst organisch. In sich gebunden mit den Erscheinungen des Lebens und der Welt verbunden, gibt sie immer ihrer Zeit ein Bild.“

Alexander Lange

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Ausstellung vom 31. Juli – 4. September 2022
Künstlergespräch am 04. September 16.00 Uhr

Editorial August 2022

Liebe Leserinnen und Leser,

in dieser mit schlechten Nachrichten bestückten Zeit mal ein kurzer Bericht über ein Ereignis, das uns vier Tage lang, vom 7. bis 10.Juli, fast alles Unangenehme vergessen ließ.
Vier Tage nur freundliche Menschen: Musikerinnen und Musiker, Techniker, Standbetreiber,Servicekräfte, Sicherheitskräfte und natürlich die Flut von Tausenden Zuschauern, die sich mit uns an Musik und Tanz erfreuten.

Ich spreche vom Rudolstadt Festival. Nach 2019 konnten wir uns nun 2022 wieder erfreuen. Das Organisationsteam hatte alles, wie immer, bewundernswert gut vorbereitet. Festivalschwerpunkt war diesmal „Brass und more“. Alle sieben Länder des ehemaligen Jugoslawiens waren mit Musikbeiträgen vertreten. Von Slowenien über Kroatien, Serbien , Bosnien und Herzegowina bis Kosovo, Nordmazedonien und Montenegro. Es faszinierten und begeisterten Vielfalt und Verbindendes. Das serbische Roma- Brass- Orchester von Boban und Marko Markovi? eröffnete am Donnerstag und brachte die Gäste des Heineparks gleich in beste Feierlaune, und am Sonntag krönte Goran Bregovi? mit seiner Band und einer musikalischen Reise durch den Balkan den Abschluss. Dazwischen standen auf den Bühnen auf dem Festgelände im Heinepark, in der Innenstadt und auf der Heidecksburg zahlreiche andere Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt, die von den Zuschauenden gebührend gefeiert wurden, darunter auch die berühmte Theodorakis-Interpretin Maria Farantouri. Man spürte überall die Freude an den Darbietungen, natürlich auch bei den Musikerinnen und Musikern. Endlich wieder vor Zuschauern spielen zu können, ist doch das Schönste für sie. Und dann noch vor dem enthusiastischen Rudolstädter Publikum. Was will man mehr?

Mir fallen da Goethes Worte ein: „ Zufrieden jauchzet Groß und Klein, hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein!“

In diesem Sinne, vielleicht nächstes Jahr beim Festival?

Ilona Rau

Kultiger Musicalknaller mit ein bisschen Grusel

Zur Premiere der „Rocky Horror Show“ am 12. Juni

Karen Müller, Merlin Fagel, Lutz van der Horst Foto: Pawel Sosnowski

Als gleich zu Beginn lustvoll mit Reis geworfen wurde, die Wasserspritzpistolen aus den Fanbags (werden für 8,50€ im Foyer verkauft) hervorgekramt waren und hemmungslos zum Einsatz kamen, sich das Publikum lachend und johlend die mitgelieferte Zeitung zwecks Nässeschutz über den Kopf hielt, da war man schon mittendrin in der Party, auf die sich der Großteil der Zuschauer gut vorbereitet hatte. Doch was heißt hier: „Zuschauer“? Es wurde ja nicht nur zugeschaut, sondern auch zugerufen, zugejubelt, mitgetanzt, mitgesungen. Denn wer sich an diesem sonnigen Frühsommerabend zur jüngsten Musiktheaterpremiere der Landesbühnen Sachsen im Alten Schlachthof Dresden aufgemacht hatte, gehörte nicht zum traditionell graumelierten Stammpublikum des Radebeuler Hauses, das aus guten Gründen (siehe oben) seinen behaglich-gediegenen großen Saal lieber nicht der „Rocky Horror Show“ überlassen wollte. Womit wir beim Thema sind: Mit dieser eigentlich schon für 2020 geplanten Produktion unter Federführung des scheidenden Operndirektors Sebastian Ritschel (Regie, Lichtkonzept und Ausstattung), die aus bekannten Gründen in diese Spielzeit verschoben werden musste, greifen die Landesbühnen weit hinaus in die Mitte der Gesellschaft. Wohl selten sieht man ein so diverses Publikum versammelt, wobei „divers“ tatsächlich in jeder Hinsicht stimmen könnte. Denn wenn es ein Merkmal dieses Kultmusicals gibt, dann jenes, dass es sich klassischen Zuschreibungen, Kategorisierungen und Definitionen entzieht und entsprechend anschlussfähig für alle und alles ist, was sich Mensch nennt und offen ist für einen wilden Stilmix. Und also sieht man in den Zuschauerreihen neben einigen Normalos eben auch muskelbepackte, gleichwohl geschminkte Männer in Lederstrapsen und High Heels, androgyne Erscheinungen in eleganter Robe und Frauen, die auffällig mit Geschlechterkonventionen brechen. Erlaubt ist, was Spaß macht. Manche feiern damit freilich nur ab und spielen für zweieinhalb Stunden mit einer anderen Identität á la Cosplay. Einige wenige sind jedoch an diesem Abend wirklich ganz sie selbst, und das ist gut so, um es mit einem bekannten ehemaligen Berliner Politiker zu sagen.

Ensemble Landesbühnen Sachsen Foto: Pawel Sosnowski

Die eigentliche Handlung der „Rocky Horror Show“ ist recht dünn, wenig plausibel und also auch nicht wirklich der Nacherzählung wert, zumal sie nachgelesen werden kann. Dies mag ein Grund dafür sein, dass sich manch ein Musiktheaterfreund wenig für dieses Stück erwärmen kann, weil es die Suche nach Sinn vordergründig weitgehend ins Leere laufen lässt. Selbst der neuseeländische Autor und Komponist Richard O’Brien gestand ein, dass ihn der seit 50 Jahren anhaltende Erfolg von „Rocky“ überrascht und er sich freuen würde, wenn ihm jemand einmal erklären könne, worum es überhaupt geht. Ganz so ernst sollte man das freilich auch nicht nehmen, denn natürlich stehen hinter all dem Klamauk, Trivialen und erotisch Aufgeladenen auch große Fragen der Menschheit: Was ist Sünde und wie geht man mit ihr um? Wo sind die Grenzen des wissenschaftlich Machbaren? Was ist der Preis der Freiheit? Diese Fragen werden in den Songs verhandelt, die allerdings stets auf Englisch gesungen werden und für die meisten Besucher leider unverstanden bleiben. Interessanter ist also, was die jeweiligen Theater aus der Herausforderung machen, sich dieses Stoffes anzunehmen. Zeitgleich mit den Landesbühnen gibt es z.B. auch eine Open-Air-Show in Senftenberg und eine andere Produktion, die quer durch die Republik tourt. Sebastian Ritschel und sein Team hatten sich dazu entschlossen, die anspruchsvollen Gesangspartien und Choreografien weitgehend mit Gästen zu besetzen. Das Ergebnis lässt sich hören und sehen: Merlin Fargel und Karen Müller als das frisch verheiratete junge Paar Brad und Janet, Jan Rekeszus als Frank N‘ Furter, Martin Mulders (Riff Raff) und Romina Markmann (Platzanweiserin/Columbia) sowie Andrew Chadwick als Kunstwesen Rocky überzeugen durchweg mit klarer Diktion, sicherer Stimmführung, starker Präsenz und nuanciertem Spiel. Gut investiertes Geld, sozusagen. Keineswegs weniger souverän präsentieren sich aber auch Julia Harneit (Platzanweiserin/ Magenta) und Michael Berndt-Cananá als Eddie und Dr. Scott, beide am Radebeuler Haus engagiert, letzterer ja sogar in der Schauspielsparte. Die vier Tänzerinnen und Tänzer (im Stück „Phantoms“ genannt) setzen die von Gabriel Pitoni erdachte Choreografie meisterhaft um. Auch sie sind als Gäste in die Inszenierung eingebunden. Warum Ritschel überwiegend mit Gästen arbeitet, erschließt sich neben künstlerischen Erwägungen auch aus dem Spielplan: Am 24. Juni feierte die „Westside Story“ in Rathen Premiere, überdies haben aktuell auch schon die Proben zum „Fliegenden Holländer“ begonnen, was weitere hauseigene Kräfte des Musiktheaters bindet. Bliebe noch die Figur des Erzählers, der den Abend eröffnet und die Zuschauer durch die Handlung geleitet, denn ohne einen charmant-charismatischen Erzähler, der selbstverständlich vom Publikum fortlaufend unterbrochen und gestört wird („Langweilig“ –„Boring“ – „Sexy!“! etc.), wäre die Horror Show nicht was sie ist. Natürlich ist es ein Coup, mit Lutz van der Horst einen deutschlandweit bekannten Comedy-Autor und Moderator, seines Zeichens auch eines der Gesichter der im ZDF mit Erfolg laufenden „heute-show“, für eine Mitwirkung zu gewinnen. Aber: Hätte das Stück an Qualität eingebüßt, wenn einer der etablierten Kollegen des Schauspiel-Ensembles wenigstens diese Rolle hätte übernommen dürfen? Ein Stück weit sollten, ja müssen sich die Landesbühnen auch als regional verankertes Stadttheater verstehen, schließlich finanziert die Stadt Radebeul die Einrichtung seit 2012 mit einem sechsstelligen Betrag pro Jahr. Fakt ist nämlich, dass die Identifikation mit dem Haus umso höher und nachhaltiger ist, je häufiger man den Darstellern auch in anderen Produktionen begegnet. Das dürfte im vorliegenden Fall also so gut wie nicht der Fall sein.

Karen Müller, Merlin Fargel Foto: Pawel Sosnowski

Das Stück wäre nur die Hälfte wert ohne eine funktionierende Band, die die schmissigen Rock ’n‘ Roll Hymnen (z.B. „Wild and untamed thing“) ebenso beherrscht wie die balladesken Stücke („Once in a while“ u.a.). Gut, dass die Landesbühnen sich da auf Uwe Zimmermann und seine Band (Amadeus Boyde, Alexander Fuchs, Claas Lausen, Jörg Kandl und Christian Stoltz) verlassen können. Bühnentechnisch raffiniert ist sie hinter einer mittigen Wand verborgen, die das Publikum als Toilette mit vier anzüglich geformten Pissoirs wahrnimmt. Nicht minder den guten Geschmack bewusst verletzen vier auf jeder Bühnenseite paarweise angeordnete und lasziv ausgeformte weibliche Hinteransichten, die vor allem als Nebelmaschinen aktiv in das Geschehen hineinwirken, aber auch zu gar nicht so beiläufigen Berührungen einladen. Überhaupt die Bühne: Sie kommt als eine farblich und stofflich leicht überdrehte Spielwiese daher, lediglich die rechts und links angebrachten Fenster verweisen klar auf das unheimliche Schloss des Frank N‘ Furter, in dem die Handlung angesiedelt ist. Wenn es im gut gemachten, gleichwohl recht schmalen Programmheft heißt, dass es Sebastian Ritschel um eine zeitgemäße Ästhetik zu tun war, so ist zu konstatieren, dass seine „Horror Show“ zum Großteil pure Show ist und dabei sogar ein dezentes politisches Signal setzt: Rockys Slip umspielt das Allermännlichste in Regenbogenfarben. Ins Gruselkabinett hingegen wird nur sehr sparsam gegriffen, was angesichts dessen, was uns an wirklichem Horror in der Welt umgibt, eine gute Entscheidung gewesen ist. Nach etwa zweieinhalb Stunden und mehrminütigen Zugaben ergriff der Regisseur dann selbst noch einmal das Wort und dankte den vielen Mitwirkenden vor und hinter der Bühne, was das beglückte Publikum mit langem Beifall begleitete.
Bertram Kazmirowski
Noch einmal zu sehen am 1., 2. und 3. Juli jeweils 19.30 Uhr im Alten Schlachthof, Gothaer Straße 11, 01097 Dresden.

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… von flüchtigen Momenten …

unaufhaltsam ruhend II
Fotografie | 2015

Es ist Sommer. Es ist trocken. Es ist Krieg. Junge Männer, alte – egal welcher Seite – verlieren Arme, Beine, ihr Leben. Frauen verlieren ihre Kinder, Männer, Brüder, Väter. Andernorts – auch hier – scheint das Leben weiterzugehen wie bisher. Blicken wir in der Menschheitsgeschichte zurück, war es nie anders, beide Extreme geschahen, geschehen nebeneinander, zu gleicher Zeit.
Oft in diesen Tagen hadere ich, frage ich nach der Sinnhaftigkeit unser aller, meines Tuns. Aber ich bemerke auch, dass wir dem äußeren Unfrieden nur mit dem eigenen inneren Frieden begegnen können. Eine Möglichkeit, diesen zu finden, ist für mich das Aufsuchen lang vertrauter Orte in der Natur, die mich mit ihrer besonderen Aura immer wieder magisch anziehen. Einer von ihnen ist jener im Titel gezeigte, flussaufwärts am Elbestrom gelegen, wird er von einer markanten Reihung charakterisiert. Mich faszinieren die starken Gegensätze – die ruhenden Stammformen und das bewegte Wasser – die ganz selbstverständlich miteinander zu spielen scheinen und sich vereinen zu einem rhythmisch-harmonischen Ganzen. Während sie sich beständig, wie flüchtige Momente, nur minimal wandeln, spüre ich einen polyphonen Klang in mir sich entfalten, als einen friedvollen, unendlichen Raum …

Constanze Schüttoff

Mit Gerhard Schöne poetisch durch das Jahr

Radebeuler Miniaturen

Fortschritt

Die Biergartensaison ist nicht nur eine Zeit des Durstes, wenn die Eisheiligen mal wieder was falsch verstanden haben, es ist auch eine Zeit der Begegnung. Im Leben treffe ich Wolf eher selten. Nun aber, wie ich auf meinem Stammhocker am Stamm hocke, seh ich ihn angeschlurft kommen. Grad fröhlich sieht er nicht aus. Nach dem üblichen, nicht sonderlich ernst gemeinten „darf ich“ zieht er sich seinerseits einen Hocker heran.

Schön, sagt er, mal wieder draußen sitzen.

Ja, bestätige ich, der erste Fortschritt im Jahr.

Das unterstellt, sagt Wolf ernst, daß Fortschritt was Gutes ist, ist aber bestenfalls neutral. Jedenfalls brauch ich erstmal ein Bier.

Das kenn ich, sage ich, was meinst du, warum ich hier sitze?

Du sitzt hier, weil du hier sitzt, ich aber habe einen Grund, sagt er wichtig. Er bedankt sich für das ihm gereichte Bier, wartet geduldig, bis die Revierwespe ihre Visite mit offenbarer Zufriedenheit beendet hat und abschwirrt, trinkt und schweigt. Ich begreife, daß ich ihn fragen soll, also frage ich: Warum hast du denn am Tag der kalten Sophie son Durst?

Kalte Sophie, Wolf lacht bitter, da hast du blind ins Schwarze getroffen: die kalte Sophie ist fort geschritten.

Aha, sag ich, Sophie – Was ist mit ihr? Sprich …

Fort geschritten ist sie, wiederholt Wolf, weggelaufen, also – nicht mehr da …

Ja, sag ich, hab längst geahnt, daß Fortschritt nicht jedem gut tut. In der Schule – du erinnerst dich vielleicht – haben sie uns erzählt, Fortschritt wäre unwidersprochen immer nur gut. Und das kleine Land im Herzen Europas meinte sogar, den Fortschritt allein zu besitzen. Und jeder, der gegen den Fortschritt war, war gegen den Staat und wer gegen den Staat war, war ein Reaktionär. Dabei heißt Fortschritt nur, wie du ja schon angedeutet hast, daß es anders ist – obs besser wird, steht auf einem anderen Blatt …

Im konkreten Fall, bringt sich Wolf in Erinnerung, ist jetzt erst mal eine große Leere entstanden in diesem Leben. aber das wird mir eine Lehre sein, eine leere Lehre vom Fortschreiten oder weglaufen, nenn es wie du willst.

Die aufmerksam mitfühlenden Kellnerinnen bedenken uns mit ausreichend Flüssigkeit. Wir bedanken uns artig.

Solche fröhlichen Gesichter sind auch mal was Schönes, seufzt Wolf.

Die haben den Vorteil, sag ich, daß sie nicht nur fortschreiten, sondern auch wiederkommen – und wie zufällig immer etwas frisch Gezapftes dabei haben. Meinst du, daß ihr Wiederkommen Rückschritt bedeutet, wenn sie einmal weggegangen sind?

Was die Kellnerinnen angeht, würde ich nicht von Rückschritt sprechen, sondern von positiver Reaktion.

Reaktion – erinnere dich an den Staatsbürgerkundeunterricht – ist immer negativ, und zwar durch und durch. Apropos: Wie reagierst denn du jetzt? Hast du Aussicht, daß Sophie vom Fortschritt zurücktritt und dir wieder dein Heim kehrt? Wenn ja, wäre das Rückschritt?

Noch ein allgegenwärtiger Irrtum, sagt er rasch: Rückschritt führt nie wieder dort hin, von wo der Fortschritt ausgegangen ist. Was solls, ich muß so oder so neu anfangen …

Stell dir vor, sag ich später zu Ulrike, dem Wolf ist die Sophie weggelaufen …

Nu gucke, lacht sie, für so fortschrittlich hätt ich sie gar nicht gehalten…

Thomas Gerlach

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