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Liebe Leserinnen und Leser,

seit dem Jahr 2001 waren Sie es gewohnt, im Januarheft jeweils ein Register des abgelaufenen Jahrgangs der „Vorschau“ zu finden. Für die Jahre 1990 bis 1999 hatte ich zuvor anlässlich des 10. Geburtstages von „Vorschau & Rückblick“ im Mai 2000 ein mehr als 30 Seiten umfassendes Register erstellt, das die während des ersten Jahrzehnts nach der politischen Wende veröffentlichten Beiträge in der wiederbelebten „Vorschau“ versammelte. Diese dann in jährlicher Regelmäßigkeit wiederkehrende Form der Bestandsaufnahme entwickelte sich für einige von Ihnen – das wissen wir – zu einem brauchbaren Werkzeug, um die nun schon mehr als 20 Jahrgänge seit 1990 im Überblick zu behalten. Aber auch für uns selbst als Redaktion wurde das Register zu einem wichtigen Spiegel, aus dem uns unsere ehrenamtliche Arbeit gebündelt entgegenblickt. Denn: alleiniger Zweck unserer Vereinstätigkeit, innerhalb derer sich die redaktionelle Arbeit abspielt, war und ist die monatliche Herausgabe unseres Heftes für Sie, Radebeul und die Umgebung. Wir sind dankbar und auch ein bisschen stolz, dass wir es auch 2011 geschafft haben, pünktlich zum Monatsanfang die Druckausgabe an den vielen Auslagestellen zu platzieren. Dass wir Grund zur Dankbarkeit haben, ist nicht nur eine Phrase, sondern ist tatsächlich so. Mehr »

Editorial Januarheft

„Pont Neuf“ in Radebeul! Seit dem 12. Dezember sind die Ortsteile Niederwartha und Radebeul-Kötzschenbroda wieder für den Autoverkehr verbunden. Die Elbquerung, die sprichwörtlich am letzten Kriegstag 1945, vor nunmehr 66 Jahren, von deutschen Truppen gesprengt worden war, sollte einst das Unvermeidliche wohl noch verhindern: die Kapitulation. Nach Baubeginn 2006 und ihrer Fertigstellung 2008 fehlte es jahrelang allein an den beidseitigen Anschlussstellen, was in der öffentlichen Wahrnehmung nicht mancher Kritik wie Komik entbehrte. Mehr »

Glossiert: Couragierte Wortakrobaten

Wer sich in Leipzig auskennt, weiß, dass das dortige Waldstraßenviertel mit seinen Gründerzeitpalästen und seinem besonderen Flair zu den beliebtesten und teuersten Wohnlagen der Stadt gehört. Das im Weiterwachsen begriffene Radebeuler Waldstraßenviertel ist bzw. wird für Häuslebauer und Mieter zwar ebenfalls ein teures Pflaster, aber da hören die Parallelen auch schon auf, denn nicht nur Paläste sucht man hier vergebens. Um von vornherein keine falschen Erwartungen zu wecken, hat sich der neuerdings federführende Bauträger deshalb dazu entschlossen, dem größten Neubaugebiet des Landkreises einen neuen, unverfänglichen Namen zu verpassen: »Dichterviertel Oberlößnitz«. Mit der Straßenneubenennung »Am Dichterviertel« hat die Stadt dieser Bezeichnung inzwischen einen offiziellen Status gegeben.

Anders, als man vermuten könnte, ging es bei der Benennung nicht darum, an Oberlößnitzer Dichter zu erinnern, deren es einige gab, wie leider nur Spezialisten wissen. Poeten wie Heinrich August Ossenfelder, Carl Wilhelm Daßdorf, Friedrich Traugott Hase oder Constantin Julius Becker, die einstmals in der Oberlößnitz ihre Weinberge besaßen, bleiben vergessen. »Dichterviertel« bezieht sich vielmehr auf den Charakter der Bebauung: Hier wohnt man, da die durchschnittliche Parzellengröße die der benachbarten Kleingartensparte deutlich unterschreitet, schlicht und einfach dichter beisammen, dichter jedenfalls als in den gründerzeitlichen Villenquartieren Radebeuls und dichter allemal als in Oberlößnitz. Womit wir beim zweiten Namensteil wären.

Über die althergebrachte Rivalität der früheren Gemeinden Radebeul und Oberlößnitz könnte man manche Anekdote erzählen. Die Gründerzeit hatte in den beiden Landgemeinden Ende des 19. Jahrhunderts ganz unterschiedliche Resultate gezeitigt: Während man in Radebeul fleißig Fabriken gründete und damit nolens volens eine Proletarisierung der Gemeinde in Kauf nahm, gründete man in der Oberlößnitz ebenso fleißig die Fundamente herrschaftlicher Villen für reiche Rentiers. Während sich die Gemeinden baulich aufeinander zu bewegten, bewegten sie sich in sozialer Hinsicht voneinander weg. Jahrzehntelang wehrte man sich infolge dessen in der Villenkolonie Oberlößnitz verbissen, aber letztlich erfolglos gegen eine Eingemeindung nach dem Industriedorf Radebeul. Der Stachel dieser schließlich unter brauner Herrschaft erfolgten Landnahme saß in Oberlößnitz tief, und die Bauträger des neuen »Dichterviertels« haben es sich zur Aufgabe gemacht, hier für symbolische Wiedergutmachung zu sorgen. Sie wissen zwar ganz genau, dass sich ihr Bauland in der Gemarkung Radebeul befindet (die Waldstraße markiert von alters her die Flurgrenze). Trotzdem entschieden sie sich ganz bewusst dafür, das Neubaugebiet – zumindest dem Namen nach – nach Oberlößnitz umzufluren und damit eine alte Scharte auszuwetzen.

Da die Schöpfer des Kunstbegriffs »Dichterviertel Oberlößnitz« beim diesjährigen Radebeuler Kunstpreis leider leer ausgegangen sind (um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Die statt dessen Ausgezeichneten haben den Preis meines Erachtens vollauf verdient) und es eher fraglich scheint, ob sich die hier geplanten Neubauten für den erst in zwei Jahren wieder zu vergebenden Bauherrenpreis qualifizieren werden, wäre es aus meiner Sicht überaus wünschenswert, sie in Anerkennung ihrer Ehrlichkeit (Dichterviertel) und ihres Mutes (Oberlößnitz) wenigstens bei der nächsten Couragepreisverleihung in die engere Auswahl zu nehmen.

Frank Andert

[V&R 22(2011)12, S.32f.]

Größe durch Überforderung

Eine literarische Reise durch die Opernprovinz und Erlebnisse vor der Haustür

Sebastian Hennig

Ralph Bollmann: Walküre in Detmold (Cover)

In einem Zeitraum von zwölf Jahren praktizierte der Publizist Ralph Bollmann einen sanften Operntourismus. Am Anfang stand 1997 die Überrumpelung durch eine „Fidelio“-Aufführung im mecklenburgischen Neustrelitz. Darauf folgte eine ausgiebige Suche nach der verlorenen Kunst in den Falten von Kleinstadt und Kleinstaaterei. Die Deutschlandkarte im Vorsatz des Buches verzeichnet alle Standorte einschließlich der sieben inzwischen geschlossenen Musiktheater. Das ergibt schon numerisch eine beachtliche Bilanz: „Rechnet man nur Theater mit festem Ensemble und ganzjährigem Spielbetrieb, besitzt Deutschland ungefähr so viele Opernhäuser wie der gesamte Rest der Welt.“ Der Autor wird immer wieder zum Anwalt der Handelnden seines Buches: „Ein bisschen viel Theaternebel vielleicht, aber ich finde, große Effekte dürfen sein auf der Opernbühne.“ „Aber was ist an gut gemachtem Handwerk schlecht?“ Einmal läuft ihm der Kritiker im Foyer vor die Füße. Die Lektüre von dessen „Opernwelt“-Rezension lässt ihn dann fragen: „…ob ich überhaupt in derselben Vorstellung war. … Was, wenn das Naive zu der Oper sogar passt? Auch ich finde es drollig, wie sich die Meininger Tosca-Sängerin mit ihrem weißen Nerzmäntelchen durch die Aufführung pummelt. Aber ist das nicht gerade die Geschichte? Wie dieses unschuldige Mädchen seinen Liebsten aus Ahnungslosigkeit ans Messer liefert?“ Das Lebensblut der unsterblichen Werke bindet Ensemble und Publikum in einen Kreislauf. Bollmann schildert viele Beispiele gelungener Kunst-Transfusion in Mainz, Ulm, Freiberg und Saarbrücken. Das es daneben auch einige Missgriffe gibt, kann bei einer lebendigen Sache nicht anders sein. Aber in der öffentlichen Wahrnehmung ist das Verhältnis verkehrt: „Was aus der weltweit reichsten Opernlandschaft am lautesten nach außen dringt, sind Klagerufe. Zu dem Bild, das Musiktheater sei ein sterbendes Genre, haben die Theaterleute auf diese Weise selbst beigetragen.“ An den größeren Häusern werden teure Stars eingekauft. An den kleineren Orten dagegen ist die einstige Hochkultur zur spannendsten Subkultur der Republik geworden. Das gefühlsechte Kunstleben findet dort statt, wo das Werk sich im gegenwärtigen Nu auf der Bühne und im Orchestergraben entfaltet und das Publikum ergreift. So wie bei einer Tannhäuser-Aufführung in Eisenach unweit des Wagnerschen Genius loci: „Was ich da höre, klingt so ganz anders als die Aufnahme, die wir unterwegs im Auto hörten. Dünn, kratzig, ungehobelt, weit entfernt vom seidenmatten Glanz der Berliner Staatskapelle. Schon nach wenigen Minuten denke ich: auch spannender. Schlanker, transparenter, kontrastreicher als der füllige Wagnerklang der Großorchester ….“ Der Rezensent darf ein vergleichbares Erweckungserlebnis aus jüngster Zeit anfügen: Über die so unbeholfen wie erfolgreich um die Gunst eines völlig kritiklosen Publikums werbenden Operninszenierungen der Landesbühnen Sachsen haben wir uns schon als Jugendliche im Anrecht „Theater für Dich“ lustig gemacht. Im Vergleich mit dem nahen Dresden wirkte das einfach nur peinlich. Die Erfahrungsberichte älterer Opernfreunde über die glanzvolle Epoche der Landesoper in den sechziger Jahren waren sagenhafte Legenden. Nun aber ist durch Therese Schmidt eine Auferstehung des musikdramatischen Lazarus Landesbühnen geglückt. Ihr „Eugen Onegin“ greift souverän auf die Möglichkeiten des Hauses zu, einschließlich des Balletts, ohne die hier sonst übliche Überfrachtung und Überzeichnung. Selbst der problematische Guido Hackhausen, der als Prinz in Dvoraks „Rusalka“ vor Jahren eher für unfreiwillige Komik sorgte gibt einen durchaus überzeugenden Graf Lenski. Die Hauptpartien sind sowohl sängerisch als auch darstellerisch ergreifend und ohne Misstöne gestaltet. Es gibt nichts Schöneres als sich eine negative Voreingenommenheit zerstreuen zu lassen. Vielleicht führt die gegenwärtige Angstblüte das Theater zu seinen historischen Flor zurück. Der neue Intendant hat in seiner Freiberger Zeit Verdienste um das dortige Musiktheater erworben, die nun ebenfalls Radebeul zugute kommen können.

Sebastian Hennig

Ralph Bollmann, Walküre in Detmold, Eine Entdeckungsreise durch die deutsche Provinz, Klett-Cotta, Stuttgart 2011

Erhalten ist Stillstand

Vom verantwortungsvollen Umgang mit Radebeuls Ressourcen

H. Knoch

Radebeul – die Garten- und Weinbaustadt – eine Stadt zum Genießen für alle Anwohner, Besucher und willkommene Gäste. Geprägt wird dieses unverwechselbare Image vor allem von der großzügig angelegten, meist parkähnlichen Grundstücksgestaltung und -bebauung. Während vor der politischen Wende in der damaligen DDR die meisten denkmalarchitektonischen Kostbarkeiten einen Dornröschenschlaf halten mussten, wurden viele dieser in den letzten 22Jahren vom alten Staub befreit und begannen in neuem Glanz zu erstrahlen. Dabei ist den Bewohnern, die zumeist familiär traditionell und mit dem Herzen mit ihrer Heimatstadt verbunden sind, der behutsame Umgang besonders wichtig. Viele der nun liebevoll und aufwendig restaurierten Häuser und Gebäude entstanden so in privater Eigenregie der Besitzer. Diese sind mitnichten allesamt „Millionärs-Städter“ – wie es die Medien zuweilen propagieren – und sie benötigten dazu Zeit, Ausdauer, Eigenleistung und nicht zuletzt einen langen finanziellen Atem, denn mit einem von Westgeld prall gefülltem Portemonnaie konnten nur die Wenigsten aufwarten.

Neubauten, die vor allem auf Profitmaximierung zielten und zielen, fügen sich meist weniger glücklich in die städtebauliche Harmonie Radebeuls ein. Beispiele dafür gibt es leider zu viele. Selbstverständlich sollen Fortschritt und Modernes auch um unsere Stadt keinen Bogen machen und so gibt es auch dafür glücklicherweise etliche gelungene Beispiele.

Wenn jedoch zu Ungunsten denkmalgeschützter Objekte, deren Restauration aufwendig aber nicht hoffnungslos gewesen wäre, flächen- und gewinnoptimierte Neubauten ohne Charakter entstehen, so liegt die Frage nach dem städtebaulichen Geschick oder Wohlwollen gegenüber den Bauherren aller Verantwortlichen nahe. Im Rahmen ihrer Möglichkeiten haben die von uns gewählten Vertreter der Stadt die unbedingte Pflicht, Einfluss auf das Geschick der die Stadt prägenden Baudenkmale zu nehmen, und das ganz besonders, wenn diese sogar aus dem Fundus der städtischen Besitzgesellschaft veräußert werden.

Weinbergstraße 48a, Herrenhaus

Weinbergstraße 48a, Herrenhaus

Es ist deshalb nur zu verständlich, wenn sich derzeit die Öffentlichkeit extrem große Sorgen und Gedanken zum Verkauf eines der Filetstücke Radebeuls, der Weinbergstraße 48, macht. Dieses historische Weingut mit Herren- und Winzerhaus ist prägend für den Charakter der „Historischen Weinberglandschaft Radebeuls“ an der sächsischen Weinstraße und gehört mit seinem umgebenden Park und den angrenzenden Weinberghängen unabdingbar zu einem Denkmalschutzobjekt oberster Priorität. Aussagen unserer obersten Stadtvertreter, diesbezügliche Entscheidungen anderen Verwaltungsebenen zu überlassen, können und dürfen von einem Vorstand einer solchen Stadt wie der unseren, nicht wirklich geäußert werden! Es gehört zum Wählerauftrag, das lebenswerte Umfeld von Radebeul, der Weinbaustadt, zu erhalten und damit vor allem eben solche Objekte – wie die Weinbergstraße 48 – mit allen Mitteln und vor allem vor pekuniären Entscheidungsprinzipien zu schützen und dieses Juwel zu erhalten!

Die Anwohner wünschen sich daher Transparenz und ein gewissen Grad an Mitspracherecht, wenn Entscheidungen zu Nutzungskonzepten lt. des Vorsitzenden der Besitzgesellschaft, unseres Oberbürgermeisters Herrn Wendsche, ausschlaggebende Vergabekriterien sind und die rechtliche Bindung an den von einer großen Reihe der anwohnenden Bürger aufwendig mitgestalteten B-Plan, aus welchen unverständlichen Gründen auch immer, nicht abgewartet werden kann. Dass dies nicht nur der Wunsch und die Forderung einer kleinen Gruppe potentieller Wähler ist, zeigt die derartig große Medienpräsenz in vielen Zeitungen, etlichen Leserbriefen und Interviews sowie Vorsprachen während der Stadtratssitzungen etc. Unsere Stadt sollte sich eines solchen positiven Engagements ihrer Bürger bewusst sein und diesem wohlwollend und offen gegenüberstehen, um nicht an der Basis vorbei, soziale und kommunale Alleingänge zu veranstalten. Eine ausgewogene Harmonie von Historie und Modernem ist das wohl stimmigste Konzept für eine gesunde, zukunftsorientierte, städtische Radebeuler Perspektive. Dazu muss historisches Gut aber natürlich unbedingt erhalten bleiben, gerade wenn sich diese Möglichkeit bei der Weinbergstraße 48 derart anbietet, das Gesamtobjekt seiner ursprünglichen Nutzung wieder zuzuführen.

Kein Radebeuler mit Herz und Seele möchte in seiner Stadt in zukünftigen Jahren eine Kopie zahlreicher Orte der Altbundesländer wiedererkennen, in der städtebaulicher Profit und pekuniäre Orientierung jegliche Seele und historische Charakteristik genommen haben.

Die Damen und Herren der Stadt, die unsere Mandate innehaben, haben mit ihren Entscheidungen die Pflicht, „Radebeuler Tafelsilber“ sorgsamst zu erhalten und sind dringend durch die Wählerschaft aufgerufen, davon in deren Namen korrekten Gebrauch zu machen und sich somit für das historische Weingut „Weinbergstraße 48“, für Radebeul als historische Weinberglandschaft und für eine lebenswerte Zukunft der Bürger in unserer Heimatstadt einzusetzen!

Mit dem selben Objekt befasst sich der Artikel von Dietrich Lohse, der ebenfalls im Dezemberheft erschienen ist.

Sollten Sie, liebe Leser, eigene Erfahrungen oder Erinnerungen mit dem Ensemble Weinbergstraße 48 / 48a haben, würden wir uns über eine Zuschrift an post@vorschau-rueckblick.de freuen.

Das Weingut »Hofmannsberg«

Der Verkauf und das damit einhergehende Sanierungsvorhaben des markanten Gebäudeensembles „Weinbergstraße 48 / 48a sensibilisiert derzeit einige Bürger unserer Stadt. Lesen Sie hierzu zwei Beiträge aus denkmalpfegerischer Sicht, bzw. aus dem Blickwinkel eines Anwohners.

Jahrzehnte war es eher still um dieses ursprünglich mit dem Weinbau in der Lößnitz verbundene Anwesen, es verblasste und es bröckelte, aber es war immer noch bewohnbar. Und nun ist es sozusagen über Nacht in aller Munde. Grund dafür scheint, entgegen bisheriger Beteuerungen der Radebeuler Besitzgesellschaft, die Absicht zu sein, es jetzt verkaufen zu wollen. Aber was wissen wir eigentlich über die Geschichte dieser Häuser an der Weinbergstraße?

Gebäudeensemble Weinbergstraße 48/48a von Süden

Gebäudeensemble Weinbergstraße 48/48a von Süden

Aus den Geschichtsakten kennen wir einige Namen, die in wechselnder Folge das Grundstück, also den Weinberg in bester Lage, besaßen: Freisleben von Grohlich (1729), Teuffert (1732), Gutkäse / Darßdorf / Wiedemann (1734–1809), Braune / Rudolph (1809), W. L. Hofmann (1826), E. L. und M. L. Hofmann (1886), M. L. Hofmann (1888), A. L. Hofmann (1912). Damit wissen wir aber noch nichts über das Alter der Bebauung, deren früheste Entstehung etwa nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges zu vermuten ist, also in der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts, dh., dass dazu vielleicht noch andere Eigentümernamen gehören. In der Nienborg-Karte von 1714 / 15 scheint das Winzerhaus, d.h., das westlichste Haus des Ensembles, eingetragen zu sein, wofür bauseitig der große Keller mit prächtigem Sandstein-Tonnengewölbe und die Fenstergewände des EG sprechen können. 1729 wird erstmals in der Häuserkartei an dieser Stelle ein Berg- und Winzerhaus geführt. Nördlich an das Winzerhaus dürfte noch im 18. Jahrhundert ein eingeschossiger Wirtschaftsflügel angebaut worden sein – die daran befindliche Sandsteintafel mit „W. L. H. 1836 und Weintraube“ bezieht sich auf den Eigentümer Wilhelm Ludwig Hofmann und ist wohl später (1903) an die heutige Stelle umgesetzt worden. Das Jahr 1836 könnte vielmehr mit der Errichtung des Herrenhauses identisch sein, das vom Typus her einem Haus der Biedermeierzeit entspricht. Ein in Radebeuler Privatbesitz befindliches Gemälde um 1850 zeigt uns das komplette Gebäudeensemble des „Hofmannsberges“ von Süden – Winzerhaus und Flügel eingeschossig, das Herrenhaus zweigeschossig.

Unter dem Eigentümer Max Ludwig Hofmann, der als Bankier in Leipzig arbeitete, wurde 1903 eine deutliche Erweiterung aller Gebäude eingeleitet. Die Pläne zur Aufstockung bzw. Erweiterung im Sinne des Jugendstil zeichnete der bekannte Leipziger Architekt Adalbert Friedrich, wobei der Jugendstilcharakter am deutlichsten am Winzerhaus mit Turm und Loggien hervortritt; das ebenfalls um ein Geschoß aufgestockte Herrenhaus zeigt dagegen den Jugendstil nur in der Behandlung der Fassaden mit unterschiedlichen Putzen und Keramikdekor. Der prägende Umbau von 1903 zu zwei Mietvillen ist vor dem Hintergrund der Reblauskatastrophe zu sehen – das Weingut lag brach und erbrachte keinen Gewinn. Solchen versprach sich M. L. Hofmann aber durch eine größere Zahl von zu vermietenden Wohnungen. Damit hatte er aber die maximale Größe von städtebaulich möglichen Gebäuden an der Weinbergstraße ausgeschöpft!

Michael Hofmann: In der Weinbergstraße (2002)

Michael Hofmann: In der Weinbergstraße (2002)

Die genauen Gründe für eine 1945 erfolgte Enteignung des Privatbesitzes sind zZ. nicht bekannt. Seit dieser Zeit ist die Weinbergstraße 48 (neuerdings geteilt in 48 (Winzerhaus) und 48a (Herrenhaus)) städtisches Eigentum. Unter den Mietern in jüngerer Zeit waren neben Familie Kruschel oft auch Ensemblemitglieder der Landesbühnen Sachsen zu finden. Dass das malerisch wirkende Gebäudeensemble, das seit 1991 unter Denkmalschutz steht, auch von Künstlern als Motiv erkannt wird, möge der Farbholzschnitt von Michael Hofmann (nicht verwandt mit den o.g. Hofmanns) belegen.

Es wäre erforderlich, dass durch eine innere und äußere Bauforschung vor der Sanierung einige meiner Annahmen geprüft und ergänzt werden und damit eine Grundlage für ein Projekt zur Sanierung hergestellt wird. Das den oberen Abschluss der Weinbergstraßenbebauung bildende Ensemble ist gerade wegen seiner bau- und nutzungsgeschichtlichen Zusammenhänge unverzichtbar!

Im Archiv gestöbert

Der Oberlößnitzer Weinbergsverein

Unter den zehn Ursprungsgemeinden der heutigen Stadt Radebeul sind Ober- und Niederlößnitz die jüngsten. Landgemeinden im umfassenden Sinne wurden sie erst 1839. In beiden Fällen ging der eigentlichen Gemeindegründung aber über mehrere Jahre die Existenz »communlicher Verbände« voraus, in denen sich die örtlichen Weinbergsbesitzer auf behördlichen Druck hin organisierten, um gemeinschaftlich bestimmte Verwaltungsaufgaben zu übernehmen. Der erste war der »Oberlößnitzer Weinbergs-Verein«, der sich vor 180 Jahren, am 16. November 1831 konstituierte. Seine 25 Paragraphen umfassende Organisationsurkunde verrät einiges über die sozialen Verhältnisse der damaligen Zeit.

Weinbergverein Oberlößnitz, Organisationsurkunde

In der Präambel wird festgestellt, dass die in der Oberlößnitz gelegenen Weinbergsgrundstücke »von jeher weder unter sich noch mit irgend einer der umliegenden Dorfgemeinden in irgend einem Communal-Verhältnisse gestanden« hätten, »vielmehr von jeher als Singuli betrachtet und behandelt« worden wären. Alle Verwaltungs- und Gerichtsangelegenheiten wurden bis dato direkt zwischen den einzelnen Eigentümern und dem zuständigen Amt Dresden abgemacht.

Das funktionierte gut, solange die Oberlößnitz noch kaum besiedelt war und die zumeist recht großen Weinbergsgrundstücke überwiegend auswärtigen Besitzern gehörten, in der Mehrzahl wohlhabenden Dresdner Bürgern und Hofbeamten. Im 18. Jahrhundert hatte sich das jedoch nach und nach geändert. Einige der »Bergherren« hatten ihren Hauptwohnsitz in die Lößnitz verlegt, zahlreiche Winzerfamilien hatten durch längeren Aufenthalt vor Ort ein Heimatrecht erworben, und so mancher Weinberg, der früher einem Dresdner Beamten gehört hatte, war im ganzen oder nach einer Teilung in den Besitz selbständiger Winzer gelangt. Um 1830 gab es im Gebiet der Oberlößnitz bereits an die 70 bewohnte Hausgrundstücke und über 400 Einwohner, wobei die fiskalischen Weinberge der Hoflößnitz noch nicht einmal mitgezählt sind, mehr also als in den meisten der alten Lößnitzdörfer.
Bei der Unsicherheit der Zeitläufte und der Erträge des Weinbaus konnte es gar nicht ausbleiben, dass der eine oder andere der Einwohner in wirtschaftliche Not geriet, seinen Besitz verkaufen musste und nahrungslos wurde. Auch Krankheit und Alter waren von jeher Armutsrisiken, die Landbewohner, die außerhalb dörflicher Gemeinschaften lebten, besonders schwer treffen konnten, denn das öffentliche Armenwesen der damaligen Zeit war auf kommunaler Ebene organisiert. Sachsen hatte in dieser Hinsicht eine Vorreiterrolle eingenommen. Im verheerenden Hungerjahr 1772 – im Kurfürstentum waren damals über 60.000 Menschen verhungert – war die Armengesetzgebung verbessert und angeordnet worden, dass in jeder Gemeinde eine Armenkasse anzulegen war, der bestimmte regelmäßige Abgaben sowie Strafgelder und freiwillige Spenden zuflossen. Aus diesen Mitteln wurden die örtlichen Armenhäuser unterhalten, wo anspruchsberechtigte Bedürftige im Notfall ein karges Auskommen fanden, das sie vor dem Bettelstab bewahren sollte.

Der Hauptzweck der Gründung des Oberlößnitzer Weinbergs-Vereins war es nun, auch in der Oberlößnitz ein vergleichbares Versorgungssystem für »nahrungslose, verarmte und presshafte [d.i. gebrechliche] Personen« zu etablieren, dessen Kosten von der Gemeinschaft der Vereinsmitglieder getragen wurden. Vordringliches Ziel war der Erwerb bzw. Bau eines Armenhauses, das dann aus Vereinsmitteln unterhalten werden sollte, wofür auch hier eine »Armen-Casse« eingerichtet wurde. Beiträge dazu hatten alle Einwohner zu leisten, nicht nur die Grundstücksbesitzer; diese hafteten jedoch dafür, dass auch ihre »Hausgenossen« (Mieter) ihren Beitragspflichten nachkamen. Einzelpersonen hatten 12 Groschen, Familien einen Taler pro Jahr einzuzahlen. Darüber hinaus flossen der Kasse bestimmte Gebühren bei Grundstücksveräußerungen, Sammlungserträge und alle bei Verletzung der Vereinssatzung fällig werdenden Strafgelder zu. Sollten die Ausgaben der Armenkasse diese Einnahmen übersteigen, mussten die Vereinsmitglieder im Verhältnis der Größe ihrer Weinbergsgrundstücke für einen Ausgleich sorgen.
Versorgungsberechtigt waren entsprechend der in Sachsen allgemein geltenden Gepflogenheiten nur solche verarmten Personen, die für mindestens zwei Jahre im Vereinsbezirk wohnten und nicht durch ihre Familie unterstützt werden konnten. Ausdrücklich keinen Anspruch hatten jedoch nach Paragraph 9 »die Winzer, als solche, in welcher Eigenschaft sie blos als Dienstboten zu betrachten sind«, sprich: wenn sie keinen eigenen Hausstand hatten, sondern am Tisch ihres Dienstherrn aßen. Wurden solche Winzer dienstlos und verarmten, hatten sie die Abschiebung in ihren Heimatbezirk, in der Regel ihren Geburtsort zu gewärtigen.

Überhaupt spricht aus den verklausulierten Bestimmungen der Organisationsurkunde des Weinbergsvereins das Bemühen, die gemeinschaftlich aufzubringenden Ausgaben möglichst gering zu halten und den legalen Zuzug von Menschen mit erhöhtem Armutsrisiko nach Möglichkeit zu unterbinden. Dafür wurde auch das Verfügungsrecht der Mitglieder über ihre Grundstücke eingeschränkt. Die Aufnahme fremder Personen ins eigene Grundstück, und sei es nur zur »Sommer-Miethe«, wurde nicht nur an eine jedesmalige spezielle amtliche Bewilligung geknüpft, deren Nichteinholung eine empfindliche Konventionalstrafe nach sich zog; gegen die Aufnahme von Hausgenossen behielt sich der Verein darüber hinaus ein Widerspruchsrecht vor, und selbst für legal aufgenommene Mieter hatte der Grundstücksbesitzer vor Ablauf der ein Versorgungsrecht begründenden Zwei-Jahres-Frist die ausdrückliche Genehmigung des Vereins zur Aufenthaltsverlängerung einzuholen. Tat er das nicht, hatte er eventuell fällig werdende Versorgungskosten selbst zu tragen.

Auch das Veräußerungsrecht wurde beschnitten. Wollte ein Vereinsmitglied einen Teil seines Weinbergs verkaufen, so musste die neue Parzelle groß genug sein, »daß nach Bebauung derselben mit einem Hause ein zu Ernährung einer Familie hinreichender Raum [dabei] verbleiben würde«. Jede »Dismembration« (Grundstücksteilung) bedurfte fortan der Zustimmung des Vereins. Setzte sich der Verkäufer über einen Widerspruch hinweg, musste er bei einer Verarmung des ansässig gewordenen Käufers dessen Unterhalt übernehmen.

Nicht nur an dieser Stelle wird deutlich, dass der Verein kein Interesse an einer weiteren Be- und Zersiedelung der Weinbergsflur hatte. Außer in Bezug auf das Armenwesen strebte man »die Qualität einer Gemeinde oder Commun« nicht nur nicht an, sondern verwahrte sich »feierlichst« gegen jede weitere Einschränkung der bisherigen Freiheiten. Straßenbaulasten, Militärleistungen, Kosten für gemeinschaftliche Feuerlöschgeräte oder die Anstellung von Tag- und Nachtwächtern etc., wie sie in den Dörfern von der Gemeinde zu tragen waren, wollte man unter allen Umständen vermeiden und sich sogar beim Bau des Armenhauses nach Möglichkeit mit dem in Gründung begriffenen Niederlößnitzer Weinbergsverein zusammentun, um die finanzielle Belastung der Mitglieder gering zu halten.

Vertreten wurde der Verein durch fünf gewählte Repräsentanten, die aus ihrer Mitte einen Direktor bestimmten. Ein Klassensystem sicherte den Besitzern der größeren Grundstücke eine Mehrheit im Convent, dessen Entscheidungen Gesetzeskraft hatten; »Frauenspersonen« waren nicht wählbar. Ein weiteres und sehr verantwortungsvolles Wahlamt war das des »Armen-Cassen-Einnehmers«, der auch die »Obsichtsführung« über das Armenhaus und »die darin aufzunehmenden Hülfsbedürftigen« übernehmen sollte und für seine Mühewaltung als einziger eine Aufwandsentschädigung erhielt. Arbeitsfähige Unterstützungsempfänger waren selbstverständlich zu öffentlichen Arbeiten heranzuziehen.

1836 wurde das gemeinsame Armenhaus von Ober- und Niederlößnitz auf einem fiskalischen Grundstück am Lößnitzbach, heute An der Jägermühle 12, errichtet. Maurermeister Götze, Niederlößnitz, erhielt dafür 484 Taler. Schon drei Jahre später waren die Grundstücksbesitzer der Oberlößnitz durch die neue Landgemeindeordnung gezwungen, allen Vorbehalten zum Trotz doch eine politische Gemeinde zu bilden, auf die die Aufgaben und das Vermögen des Weinbergsvereins übergingen.

Ein Rendezvous mit Puntila, Doolittle, Old Shatterhand und Bacchus

Der Schauspieler Herbert Graedtke schaut auf sein Leben und seine Rollen

Diese eine Stunde Zeit zu finden, in der Herbert Graedtke mal überhaupt nichts zu tun hat, ist eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit. Obwohl man einem Menschen, der gerade sein siebentes Lebensjahrzehnt vollendet, nichts mehr als ein wenig Ruhezeit gönnt. Doch für solcherart Ruhe ist Herbert Graedtke garantiert die falsche Adresse. Zwar hat sich mittlerweile ein Großteil seiner Aktivitäten aufs eigene Grundstück verlagert, doch auch das ist wieder nur die halbe Wahrheit.

Herbert Graedtke

Wie einst der Grieche Alexis Sorbas mit seinem überschäumenden Optimismus selbst noch aus der größten Katastrophe ein Lustspiel machte; genauso trifft man einen Herbert Graedtke immer mit einem Witz auf den Lippen und jeder Menge Schalk in den Augen an. Es gibt wohl nur wenige 70-jährige, die so intensiv im täglichen Geschehen ihrer Stadt mitmischen, wie das Graedtke in Radebeul tut. Auch deswegen trägt er den Kunstpreis der Stadt völlig zu Recht. Geschätzt ist er aber auch wegen seiner großherzigen Hilfsbereitschaft, seiner klugen Ratschläge für alle Lebenslagen und natürlich seiner immer guten Laune. Dabei ist der Mann alles andere als „een gemiedlicher Sachse“. 1941; am 9. Dezember wurde Graedtke im brandenburgischen Altlandsberg geboren. Die Kindheit verbrachte er im dörflich, bäuerlichen Milieu; wovon sich so manches Detail bis heute bei ihm erhalten hat. Wie z.B. die Liebe zu den Tieren oder den großen und sehr natur belassenen Garten hinterm Haus.

Als junger Mann wollte Herbert Graedtke zum Film und hatte das Glück, einen Studienplatz an der Filmhochschule in Babelsberg zu bekommen. Dort erhielt er auch schon bald die erste Rolle angeboten. Von dem Regisseur Richard Groschopp, der damals den erfolgreichen Streifen „Die Glatzkopfbande“ drehte. Graedtke spielte darin das Bandenmitglied mit dem Spitznamen „Warze“ Als Joachim Herz Inszenierung der Wagner-Oper „Der Fliegende Holländer“ verfilmt wurde, spielte Herbert Graedtke darin den Erik. Außerdem; an der Seite von Manfred Krug spielte er in „Auf der Sonnenseite“, im Märchenfilme „Frau Holle“ wurde er ebenfalls besetzt. Doch dann verschlug es ihn zu Dreharbeiten nach Dresden und während dieser Zeit bezog er Quartier in Weinböhla. Täglich fuhr er von dort zu den Dreharbeiten nach Dresden. Und es geschah genau das, was geschehen musste. Stehenden Fußes verliebte sich Herbert Graedtke in die liebliche sanfte Landschaft des Elbtals und fand folgerichtig hier sein neues Zuhause. 1965 sprach er an den Landesbühnen Sachsen in Radebeul vor und wurde engagiert. Die Rollen, die er am Radebeuler Stammhaus, auf der Felsenbühne in Rathen oder in den vielen Abstecherorten des Reisetheaters spielte lassen sich im Rückblick kaum noch zählen. Daneben machte er immer wieder auch Theater mit Amateurgruppen; und tut das heute immer noch. Außerdem wurde er nicht nur als Schauspieler im „sächsischen Nizza“ heimisch; er schaffte sich hier auch Haus und Hof bzw. Garten an, gründete eine Familie und … zeugte natürlich auch Kinder. Das Ergebnis ist ein ganz und gar paritätisches; zwei Mädchen und zwei Jungen wurden es nämlich.

Als er 65 wurde ging der Schauspieler Herbert Graedtke folgerichtig in Rente. Obwohl seine Vitalität ihn noch lange nicht zur Ruhe gezwungen hätte. Deshalb fragt er hintersinnig auch nach, warum eigentlich Berufspolitiker in dieser Republik nicht in Rente geschickt werden, wenn sie das entsprechende Alter haben. Eine Antwort darauf wird er wohl nie bekommen. Ganz vom Schauspielern kam Herbert Graedtke auch mit 65 nie richtig weg. Weil neben dem Theaterspiel noch allerhand andere (und vor allem neue) darstellerische Aufgaben dazukamen. So gehörte er zu den Initiatoren des Sternenritts zu den alljährlichen Karl-May-Festtagen im Lößnitzgrund. So fühlte er sich beim Weinfest in der Hoflößnitz in die Rolle des Johann Paul Knohll hinein. Und so eröffnet er auch alljährlich das Herbst und Weinfest auf dem Altkötzschenbrodaer Anger und ist dann dort für drei Tage Bacchus, der Gott des Weines.

Eine Rolle, die ihm gewissermaßen auf den Leib geschrieben ist. Im Heer der zahlreichen Weingötter, die hierzulande alljährlich von sich reden machen ist er nämlich der einzige, der das Leben, die Liebe und die Politik aus dem Stegreif in Verse verwandeln kann. Gelernt ist eben doch gelernt!

W.Zimmermann

Fünfzehn Jahre Bauherrenpreis

Dr. Jens Baumann, Thomas Gerlach

Am 5. November sind in den Räumen der Sparkasse und des Zweckverbades Abfallwirtschaft Oberes Elbtal (ZVOE) in Radebeul-Mitte zum 15. Mal die Bauherrenpreise der Stadt Radebeul vergeben worden.

Die zugehörige Ausstellung, die wie immer alle eingereichten Objekte vorstellt, schlägt zugleich einen Bogen über alle fünfzehn Jahre, der eine interessante Überschau ermöglicht.

Der Auftakt im Jahre 1997 war vielversprechend: In der Kategorie Denkmalpflege war das v. Minckwitzsche Weinberghaus mit dem ersten Preis ausgezeichnet worden. Das 1729 errichtete Lusthaus hatte in den 1930er Jahren dem Maler Paul Wilhelm als Atelier gedient. Dem bald danach einsetzenden schleichenden Verfall hatte sich Wolfram v. Minckwitz zu Ende der 1980er Jahre mit viel Elan entgegengestemmt. Die politische Wende erleichterte schließlich die Rettung dieses baulichen Kleinods. Die behutsame Sanierung in zurückhaltender gelber Farbgebung entsprach der historischen Vorlage und erzielte eine angenehme Fernwirkung, die es zu einem unverzichtbaren Bestandteil der Stadtsilhouette machte.

Die Entscheidung der Jury sollte richtungsweisenden Charakter tragen: In der Lößnitzstadt werden die leisen Töne bevorzugt.

Gleichwohl hat das über die Jahre in wechselnder Zusammensetzung arbeitende Auswahlgremium speziell mit seinen Entscheidungen zum neuen Bauen immer wieder für heftige Debatten gesorgt. Auch das war gewollt, sollte doch erreicht werden, daß sich die Bauwilligen bewußt in die gewachsene Kulturlandschaft einfühlen. Dies sei, so glaubten wir damals, ohne öffentliche Diskussion nicht zu erreichen.

Wie manch anderer, ist auch der Neubaupreis des Jahres 2009, ein Einfamilienhaus Auf den Ebenbergen, in der Öffentlichkeit nicht nur mit Beifall aufgenommen worden.

Mit dem Entwurf wurden Elemente der Umgebungsbebauung in moderner Formensprache adaptiert. Die architektonische Qualität gerät jedoch allzu leicht mit dem Publikumsgeschmack in Konflikt, wobei selbst Kritiker anerkennen, daß sich ein neugebautes Haus auch als solches zu erkennen geben darf.

In Altkötzschenbroda besteht schon lange keine generelle Sorge mehr um die städtebauliche Fortentwicklung. Dagegen kam und kommt es hier zunehmend auf die Beachtung städtebaulicher Details an. Deshalb wurde im Jahr 1999 die Sanierung des ehemaligen Hirtenhauses am westlichen Ende des alten Dorfangers mit einem Sonderpreis für städtebaulichen Denkmalschutz gewürdigt.

Über zehn Jahre lang hatte damals das bekannte Gebäude dem Verfall preisgegeben leer gestanden. Nach der Rekonstruktion zeigte und zeigt es eine gelungene Symbiose historischer Baukultur mit modernen Bedürfnissen.

Die zusammenfassende Ausstellung belegt das Bemühen den Juroren, mit ihren Entscheidungen der jeweiligen individuellen Situation in städtebaulicher und persönlicher Hinsicht gerecht zu werden. Von Jahr zu Jahr wurde neu versucht, nicht zuletzt über eine Variierung der Ausschreibung, den reichen Bestand an besonderen Einzelleistungen zu würdigen. Besonders schwer wurde das in der für das Erscheinungsbild der Gartenstadt unverzichtbaren Kategorie Garten- und Freiflächengestaltung, weil hier auch die saisonal wechselnden Ansichten die Einschätzung zusätzlich erschweren.

Im Rückblick wird deutlich, daß kategorieunabhängig die Hand des Architekten für die Qualität einer Arbeit steht. Dennoch galt und gilt der Preis der Bauherrschaft. Ihr Wille, ihr Verstand, ihr Risiko – letztlich auch das Risiko bei der Wahl des Architekten – sollen gewürdigt werden. Dabei spielt oft auch der Bauplatz selbst eine entscheidende Rolle. So muß es als außerordentlich mutig und Respekt heischend gelten, wenn etwa in den städtebaulichen Problemzonen, wie z.B. an der Meißner Straße, ein Wohnhaus saniert oder gar errichtet wird.
Ähnlichen Mut bewies in den Jahren 1999/2000 ein Investor, der in Radebeul Ost die Initiative ergriff und die Passage Sidonienstraße 2 errichten ließ.

Bauherr, Genehmigungsbehörde und Jury versprachen sich von diesem Objekt eine Signalwirkung für den Aufbruch in dem gesamten Bereich um Bahnhofsvorplatz, Sidonienstraße und Hauptstraße. Leider ist das Signal über zehn Jahre hinweg weder wahr- noch aufgenommen worden. Darin, aber auch in der Art und Weise, wie nun endlich doch weitergebaut werden soll, zeigt sich, wie begrenzt die Wirksamkeit des Bauherrenpreises, wie wohl anderer Preise auch, oftmals in der Wirklichkeit ist.

Die im Jahr 2011 ausgezeichneten Objekte fügen sich gut in den Reigen der bisherigen Preisträger ein. Mit der Brunnen- und Parkanlage am Professor-Wilhelm-Ring konnte ein Platz ausgezeichnet werden, der auf private Initiative und mit Hilfe bedeutender privater Spenden für die öffentliche Nutzung saniert wurde. Doch auch mit den anderen ausgezeichneten Objekten (und nicht nur mit ihnen), dem Garten der Familie Hentsch in der Eduard-Bilz-Straße 35, dem Neubau am Gymnasium Luisenstift, der sanierten Villa Wettinstraße 9 und dem wundervollen Kleinod Winzerstraße 67 ist die Stadt wiederum reicher geworden.

Künftig wird der Bauherrenpreis in größeren Abständen verliehen werden. Es wird eine Atempause geben. Diese wird auch dazu zu nutzen sein, an Hand der hier dokumentierten Wirkungsgeschichte der letzten fünfzehn Jahre zu überlegen, wie der Preis dem gewünschten Ziel: Förderung der Baukultur noch näher als bisher schon kommen kann. Die interessante Rückschau ist bis zum Jahresende während der Öffnungszeiten der Sparkasse und des Zweckverbandes zu besichtigen.

Alterna(k)tiv oder ewiger Wanderer im Geiste

Ein abschweifendes Gespräch mit Kempin über Kempin

Sich selbst beschreibt der Maler und Grafiker Eckhard Kempin als „Mann der vielen Worte“, welcher trotz ständig sprudelnder Ideen zeitlebens mit den Füßen auf der Erde geblieben ist. Seine künstlerischen Hauptthemen, die er sich immer wieder stellt und von denen er manche auch gleichzeitig bearbeitet, ergeben sich aus der Realität. Um all seine Ideen umsetzen zu können, meint der Siebzigjährige euphorisch, müssten ihm noch 200 Jahre Lebenszeit vergönnt sein.

Eckhard Kempin

Als Ideenspeicher dienen ihm kleine Notizhefte. Davon trägt er stets eins bei sich. Mit dem „Kritzeln“ habe er begonnen, gleich nachdem er aus der Wiege gestiegen ist – so die augenzwinkernde Erinnerung. Als Jüngstes von drei Kindern ahmte er die Älteren nach. Der Vater brachte immer kleine Notizblöcke mit. Die Lust am Kritzeln wuchs. Unter den Geschwistern brach der Wettbewerb aus, wer sein Notizbüchlein zuerst gefüllt hat. Dieses „schnell und viel“ behielt Kempin bis heute bei, was anstrengend und anregend zugleich ist – sowohl für ihn, als auch für seine Mitmenschen. Kreative zehren sich eben häufig von Innen auf.

Nach Vertreibung und Flucht aus Hinterpommern wurde die fünfköpfige Familie – drei Kinder, eine Cousine und die Mutter – in Domsdorf, Kreis Bad Liebenwerda angesiedelt. Den Vater hatte man im Sommer 1945 erschossen, doch das erfuhr die Familie erst Jahrzehnte später.

In jenem Domsdorf also, stand die kleinste Brikettfabrik Europas. Dieser versorgungspolitisch wichtige Betrieb hatte ein Ferienlager und ein Kulturensemble. Alle drei Geschwister musizierten. Kempin spielte Blockflöte. Das „Kulturensemble Domsdorf“ mit seinen über 100 Ensemblemitgliedern wurde durch die Republik gereicht. Das ging soweit, dass die Mutter Angst bekam, die Schule könnte zu kurz kommen. Doch bereits Ende der 60er Jahre brach alles zusammen, der Betrieb wurde zwei größeren Kombinaten zugeschlagen.

Eckhard Kempin: Hochzeit (2009)

Hochzeit (2009)

Obwohl man die Abstammung der Familie über 250 Jahre zurückverfolgt habe, war keiner mit hervorhebenswerten musischen Ambitionen darunter, auch die als Kinder vielversprechend begabten Geschwister orientierten sich anderweitig. Kempin – so Kempin über Kempin – habe als Einziger die künstlerische Laufbahn eingeschlagen. Doch zunächst lernte er im HO-Kreisbetrieb Bad Liebenwerda Gebrauchswerber. Zur Ausbildung gehörten Plakatgestaltung, Schriftmalerei sowie das Dekorieren von Schaufenstern. Aber Eckhard Kempin wollte Kunstmaler werden. Sein sehnlichster Wunsch war, in Dresden an der Kunsthochschule zu studieren. Es folgte ein langer und schwerer Weg. So fehlten zunächst einige Voraussetzungen. Weder war er Mitglied in einem Zeichenzirkel – er fuhr zum Zeichnen lieber allein mit dem Rad in die Natur und in die umliegenden Dörfer – noch hatte er Abitur. Also musste er drei Jahre zur Abendschule, um die Hochschulreife zu erlangen. Schließlich gehörte Kempin zu den Auserwählten, welche die Aufnahmeprüfung bestanden hatten. Die Immatrikulation erfolgte 1968. Seine Lehrer waren u.a. Gerhard Kettner, Hans Mroczinski und Herbert Kunze. Das Studium sah er als Freibrief, um ausschließlich Zeit für die Kunst zu haben. Einmal fuhr er mit dem Rad bis nach Bulgarien. Dort zeichnete er Menschen am Strand. Sein Lehrer Mroczinski gestattete ihm, das Thema fürs Diplom zu übernehmen. Allerdings wurde aus den „Menschen am Strand“ eine „Brigade am Strand“. Denn der werktätige Mensch stand im Mittelpunkt der sozialistischen Realismusauffassung.

Bis heute, so betont Eckhard Kempin, habe er keine eigene „Handschrift“. Das wäre für ihn so etwas wie Serienproduktion. Er will keiner von jenen Künstlern sein, die sich ständig selbst kopieren. Er will experimentieren, will sich nicht festlegen. „Dass er in kein Schubfach passt, darin sieht er keinen Makel. Die Form hängt vom Inhalt ab und nicht alles lässt sich zuordnen.“ Erkenntnisse der Bereiche Malerei, Grafik und Plastik befruchten sich bei Kempin grenzüberschreitend.

Seine geschiedene Frau, Regina Kempin, ist auch Malerin. Er lernte sie während des Studiums kennen. Mit ihr hat er zwei Töchter. Zum Broterwerb arbeitete der Familienvater von 1980 bis 1997 auch als Restaurator u. a. in Dresden, Pillnitz, Moritzburg, Nossen, Weimar und Radebeul.

Zur „Wendezeit“ befand sich sein Hauptwohnsitz in Weimar. Das war die erste ostdeutsche Stadt, die man zur Kulturhauptstadt gekürt hatte. Dort beteiligte er sich an vielen, vor allem baugebundenen Projekten. Seit 1998 lebt Kempin in Radebeul. Wohnung und Atelier hatte er zunächst auf der Burgstraße 2, wo auch Ausstellungen und Veranstaltungen stattfanden. Trotz existenzieller Tiefschläge und starker Einschränkungen, die mit dem Umzug im Jahr 2003 verbunden waren, engagiert er sich bis heute für Kunst und Künstlerkollegen.

„Es fällt heutzutage recht schwer herauszufinden, wer ein Künstler ist … Die Klassen an der Kunsthochschule werden größer, die Qualität lässt nach … Die Studenten sollten die Zeit an der Hochschule nutzen, um solides Handwerk zu erlernen … Die Schere zwischen arm und reich klafft auch bei den Künstlern immer weiter auseinander. Einzelne haben utopische Preise, während die Masse ums Überleben kämpft.“

Obwohl Kempin ein Einzelkämpfer ist, pflegt er freundschaftliche Kontakte zu Radebeuler Künstlern wie Klaus Liebscher, Christiane und Gunter Herrmann, Peter Graf und Dieter Beirich. Sein „KunstKabinettKempin“, nunmehr auf der Meißner Straße 27 , betreibt er, „weil er auf Dauer nicht gut mit sich allein umgehen kann. Er braucht Kommunikation nach Außen.“ Seine Idealvorstellungen münden darin, dass Bildende Künstler, Schriftsteller, Musiker und Filmemacher mittels Improvisation zu einer Einheit verschmelzen.

Der Lebensmittelpunkt von Eckhard Kempin befindet in Radebeul, aber Dresden ist als kulturelles Zentrum ebenfalls wichtig, vor allem die Jazz-Szene hat für ihn Herausragendes zu bieten. An Radebeul schätzt er die Vielfalt der Natur auf engstem Raum, das mediterrane Flair, die Weinberge und das Wasser. Trotzdem macht er sich Sorgen um die Zukunft dieser Stadt. Es werden zu viele Bäume abgeholzt. Manche Fassadenanstriche wirken ordinär. Und nicht jedes neue Gebäude sei eine architektonische Augenweide.

Eckhard Kempin: Vorgabe (2005)

Vorgabe (2005)

Anlässlich des 70. Geburtstages von Eckhard Kempin wird in der Stadtgalerie Radebeul vom 18.11. bis 18.12. eine Personalausstellung mit 25 collageartigen Gemälden und 18 Original-Kunst-Alben gezeigt. Fotodokumente ergänzen die Präsentation. Mit dem doppeldeutigen Ausstellungstitel „Alterna(k)tiv“ spielt Kempin auch auf die spezielle Situation von Künstlern an. Die kennen kein Rentenalter. Er selbst sei erstaunlicherweise mit dem offiziellen Renteneintritt viel aktiver geworden. Ein Viertel der ausgestellten Werke ist 2011 entstanden. Kempin ist sein eigener Poet. Aus Gedankensplittern werden Textsplitter und die sollen nun gebündelt werden. Eine Autobiografie ist geplant. Zur Zeit arbeitet er auch an seinem Werkverzeichnis. Von über 2000 Arbeiten hat er bereits ein Drittel digitalisiert.

Gelegenheiten zur Begegnung mit dem Künstler bieten sich von der Vernissage über die Midissage bis zur Finissage. Den thematischen Schwerpunkt der Ausstellung bilden Metaphern auf das Leben, die sich dem Betrachter Schicht um Schicht aus einem Geflecht von Formen und Strukturen erschließen. Denn: Alles hat seinen Ursprung in der Realität und die Koordinaten hierfür bilden Raum und Zeit.

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