Mein Haus – Meine Stadt

Im Jubiläumsjahr 100 Jahre Stadtrecht Radebeul, 100 Jahre Stadtrecht Kötzschenbroda startet die Stadtgalerie im Februar mit einem ungewöhnlichen Projekt. Die Basis bilden Schülerarbeiten des GTA-Kunstunterrichtes an der Oberschule Mitte. Schülerinnen und Schüler formten im Keramikkurs unter der Leitung der Dresdner Künstlerin Roswitha Maul ihre Wohnhäuser. In einem Prozess werden diese durch weitere Schülerarbeiten auf Papier, mit Glas oder bemalten Kartons in Workshops unter der Leitung von Kunstschaffenden u.a. Mechthild Mansel, Roswitha Maul und Maja Nagel ergänzt. Schülerinnen und Schüler setzen sich mit ihrer Stadt, ihrem Umfeld und ihrer Lebenssituation auseinander. Die Galerie wird zum Labor, zur Werkstatt der Fantasie. Dazu sind Grund- und Mittelschülerinnen und -schüler Radebeul herzlich eingeladen.

Vom 27. Februar bis zum 10. März sind die Arbeiten in der Galerie während der üblichen Öffnungszeiten zu besichtigen. Bis dahin wird in den Räumen gearbeitet, denn alle Kunstwerke sollen vor Ort entstehen. Start ist der 6. Februar. Mit einer Finissage am 6. März, 17.00 Uhr wird die Projektarbeit feierlich beendet.

Alexander Lange

Editorial

Die Großbaustelle auf der Meißner Straße stellt für Autofahrer seit vielen Wochen eine große Herausforderung dar. Insbesondere die Anwohner der Goethe-, Freiligrath-, Marien- und oberen Hauptstraße haben mit den Belastungen des völlig überdurchschnittlichen Verkehrsaufkommens zu kämpfen.

An dieser Stelle sei lobend OB Bert Wendsche erwähnt, der im Neujahrsgruß des Amtsblatts den Anwohnern ausdrücklich Respekt zollte und sich für das Verständnis bedankte!

Keine Empathie zeigt hingegen, allen Widrigkeiten zum Trotz, das Ordnungsamt! Damit sei auf ein Ereignis in eigener Sache im Herbst verwiesen: Stellen Sie sich vor, es ist Freitag, Markttag. Da ist selbst für Anwohner vor der Haustür kein Parkplatz zu finden. Nach ergebnislosem Suchen hielt ich, aufgrund der beengten Straße, halb auf dem Gehweg vor der eigenen Tür!, um einige Sachen für eine anstehende Trauerfeier einzuladen. Wenig später prankte ein Strafzettel an der Windschutzscheibe (55€!). Dem Amtsleiter des Ordnungsamtes teilte ich schriftlich unverzüglich den Sachverhalt mit und bat um Verständnis aufgrund der schwierigen Verkehrslage und außerordentlichen Umstände. Doch die Antwort war von praxisfernen, wie wohlfeilen Maßregelungen geprägt und ließ keine Milde walten. Frei nach dem Motto: „Vom sichern Port lässt sichs gemächlich raten!“

Für die von mir eingesandten Bilder von geschädigten parkenden Autos, die von verzweifelten Autofahren an Laternen angebracht wurden, mit der Bitte um Kenntnisnahme, erhielt ich keinerlei Resonanz. Der Amtsleiter macht hier keine gute Figur, die behördliche Bürgerferne ist skandalös! Abkassieren allein reicht nicht!

Zudem ist es nunmehr geboten, den Zustand der beschriebenen Straßen von den verantwortlichen Instanzen unverzüglich in Augenschein zu nehmen! Sie haben durch den immensen Verkehr und Frost sehr gelitten. (hier besonders: Abzweig Haupt-, Goethestraße.)

Wer haftet hier eigentlich bei Fahrzeugschäden?

Sascha Graedtke

Mit Stephan Krawczyk poetisch durch das Jahr



Zur Titelbildserie

Holzschnitte von Michael Hofmann

Für 2024 hat der Radebeuler Maler und Grafiker Michael Hofmann die Gestaltung des Titelbildes übernommen. Mit einer Serie meist eigens dafür geschaffener Holzschnitte führt er durch das Jahr.
Das Blatt „Begegnung“ eröffnet den Reigen.
In den scherenschnittartig ausgestellten Formen lassen sich zunächst fünf Elemente unterscheiden: Hand, Kopf und Vogel, Haus und Mond. Bei genauerem Hinschauen erkennen wir zwischen Hand, Hut und Frisur zwei Gesichter wie in einem. Werden wir hier Zeugen einer besonders innigen Begrüßung, eines berührenden Abschieds oder gar einer plötzlich aufwallenden Gemütsbewegung? Was erzählt uns die erhobene Hand? Zeigt sie Ablehnung? Unterstreicht sie Zuneigung?
Das Blatt steht nicht zufällig am Beginn des Jahres und der Reihe. Janus, der altrömische Gott mit den zwei Gesichtern, gilt in der Überlieferung als Behüter der Tür und allen Anfangs. Der erste Monat des Jahres ist nach ihm benannt. Mit seiner Fähigkeit, zugleich nach vorn und zurück zu blicken, wäre er auch der beste Hüter von „Vorschau & Rückblick“.
Der Holzschnitt ist als Vervielfältigungsdruck die älteste Drucktechnik überhaupt. Das British Museum in London bewahrt mit der „Diamant-sutra“ den ältesten sicher datierten Bildholzschnitt aus dem Jahr 868. In Mitteleuropa kommt diese Technik seit dem 15. Jh. in Gebrauch.
Der in Chemnitz geborene Künstler hat im grafischen Betrieb seines Vaters den Beruf des Reprofotografen erlernt, bevor er in Dresden Malerei und Grafik studierte. Schon in seinen frühesten Arbeiten hat er sich ernsthaft mit dem Holzschnitt auseinandergesetzt. Davon aber später mehr.
Thomas Gerlach

Stephan Krawczyk zu Gast bei uns

2024 setzen wir unsere Reihe mit Liedermachern fort, die bereits zu DDR-Zeiten die Musikszene auf ihre ganz besondere Weise prägten.
Im Frühjahr letzten Jahres las ich beiläufig, dass Stephan Krawczyk in der Kirche Riesa-Gröba ein Konzert gibt. Da er meines Wissens in den letzten Jahren im Dresdner Kulturkalender nicht vertreten war, ergriff ich die Gelegenheit dem Konzert dort beizuwohnen.
Vor dem Konzert war der Künstler im ungewohnt vertrauten Austausch mit zumeist älteren Gästen. Aus gutem Grund, wie ich erfahren durfte. So fand sage und schreibe vor über 35 Jahren, also ein Stück weit vor dem Mauerfall, hier sein letztes Konzert statt, wo er unter Berufsverbot und im Schutze der Kirche auftrat. Viele der Anwesenden waren schon damals dabei und es hatte mit dieser Vorgeschichte selbst heute noch irgendwie den Nimbus des Konspirativen. Es schien, als schlösse sich nun endlich ein bisher unvollendeter Kreis.
Ermutigt durch die offene Atmosphäre habe ich ihn angesprochen und erzählte von der „Vorschau“ und unserer Lyrikseite. Ich rannte offene Türen ein, denn schon wenige Tage später fand ich 12 Texte für das komplette Jahr in meinem Postfach. Ebenso begrüßte er meinen Vorschlag, im kommenden Jahr ein Konzert in Radebeul geben zu wollen. (Die Planungen hierfür laufen bereits.)
Stephan Krawczyk ist insbesondere im Zusammenhang mit seinem unverdrossenen Engagement in der DDR-Bürgerbewegung bekannt geworden.
1981 gewann er den Nationalen Chansonwettbewerb der DDR, die Begegnung mit der Regisseurin und späteren Frau Freya Klier im Jahr 1984 gab seinem künstlerischen Weg ganz neue, kritische Impulse. Seine Lieder wurden schnell zu Hymnen der Protestbewegung. Es folgten Berufsverbot und Haft, bis er schließlich 1988 in den Westen abgeschoben wurde.
Nach der Wende 1989 setzte Krawczyk seine künstlerische Karriere fort. Er veröffentlichte zahlreiche Alben und Bücher, in denen er seine Erfahrungen in der DDR reflektierte. Politisch blieb er stets wachsam und entwickelte ein feines Gespür für die Erfahrungen in den Zeiten des Wandels.
Freuen Sie sich mit uns auf ein lyrisches Jahr mit Texten von Stephan Krawczyk!

Sascha Graedtke

Biographische Notizen

• Silvester 1955 in Weida/ Thüringen geboren.
• Nach Abitur und Studium der Konzertgitarre an der Franz-Liszt-Hochschule in Weimar seit 1980 freiberuflicher Sänger.
• 1981 Gewinner des Nationalen Chansonwettbewerb der DDR.
• 1984 Umzug nach Berlin, Hauptstadt. Im selben Jahr beginnt er zu schreiben, im Jahr darauf wird ein Berufsverbot über ihn verhängt.
• Tritt gemeinsam mit Freya Klier in Kirchen auf, wird zur Symbolfigur der DDR-Bürgerbewegung. 1988 verhaftet die Stasi den oppositionellen Künstler und schiebt ihn 16 Tage später in den Westen ab.
• Im selben Jahr, in Westberlin, gründet Krawczyk die Bürgerinitiative „FCKW Stop! Jeder Tag zählt“.
• Konzerttourneen führen ihn durch den deutschsprachigen westeuropäischen Raum, nach Nordamerika, Frankreich, Spanien, Italien. Er schreibt das Buch „SCHÖNE WUNDE WELT“, das im Jahr der Wiedervereinigung veröffentlicht wird.
• Es erschienen bisher 15 LPs und CDs als Solokünstler und neben einem Opernlibretto und einem Schauspiel ebensoviele Veröffentlichungen in Lyrik und Prosa.
• Krawczyk lebt in Berlin und auf Mallorca.

Auszeichnungen

– 1981: Hauptpreis beim DDR-Chansonwettbewerb
– 1992: Bettina-von-Arnim-Preis
– 2001: Verdienstorden des Landes Berlin
– 2005: „Das unerschrockene Wort“, Auszeichnung des Bundes der Lutherstädte
– 2009: Bundesverdienstkreuz am Bande
– 2023: Mehrfache Auszeichnung beim Deutsch-französischen Chanson- und Liedermacherpreis 2023

Radebeuler Miniaturen

Rechenbeispiel
(für die eine, die gelacht hat)

Das ist das Schöne am Stammplatz, daß du da einfach sein kannst. Je nach Wetter drinnen am Tresen oder draußen am Faß, kannst du reden oder schweigen, ganz, wie dir zu Mute ist – eben: einfach sein. Alle, die darum wissen, denken, ach, da ist er wieder. Und wenn du länger nicht gesehen wurdest, wirst du vermißt. Selbst in der mäßig interessiert klingenden Frage, wo warst du denn so lange, liegt mehr Liebe, als du verdienst zu haben glaubst. Auch das tut gut, zu wissen.
Deine Gänge „ins Dorf“, die mal einfach der Bewegung dienen, aber auch einem höheren Zweck folgen können (heute zum Beispiel warst du im Rechenzentrum zwecks gemeinschaftsfördernden Erwerbs eines neuen Laubbesens), diese Gänge also, die folgerichtig am Stammplatz enden, sind für dich zum Inbegriff von Lebensqualität, Zufriedenheit und Dankbarkeit geworden. Vor allem aber sind sie Quelle der Inspiration:
Plötzlich hörst du da nämlich eine Stimme:
Sag mal, kennst du Al Gore?
Sofort erwacht deine Aufmerksamkeit, die Ohren richten sich nach hinten.
Naja kennen, antwortet eine zweite Stimme, den Namen hab ich schon gehört. War Senator in Tennessee, und zweimal Vize, bei Obama, glaub ich, oder wars Clinton? Warum fragst du?
Ich hab gehört, das wieder die Stimme des ersten, der hat den Rhythmus des Lebens gefunden.
Al Gore?! Quatsch! Präsident wollte er werden, war den meisten seiner Landsleute aber zu grün und also versifft oder umgekehrt.
Doch, doch, das erneut und voller Ernst der erste, ich weiß das genau, der kann dir alles ausrechnen, was du willst.
Freilich, denkst du selbst, die Amerikaner sind berechnend und unberechenbar zugleich – der andere scheint Ähnliches geäußert zu haben:
So meine ich das aber nicht, braust da nämlich der erste auf, der rechnet dir sogar aus, welcher Partner zu dir paßt.
Der Vize?
Genau, Al Gore! Wenn der erst den Rhythmus gefunden hat, weiß er genau, wen du an deiner Seite verträgst. Das spart Umwege.
Ach, sagt der Zweite, ich wäre da vorsichtig, hat der erst dein Geld kassiert, war alles nur wieder eine alternative Wahrheit. Ich kenn doch die Brüder…
Hat der Brüder?
Wer?
Al Gore!
Woher soll ich das wissen?!!
Na, wenn du sie kennst, wie du sagst, – warst du mal drüben?
Nee, nie, hab auch nicht das Bedürfnis dazu. Obwohl – New York könnten wir uns schon noch mal angucken, bevors absäuft … aber sag mal, kannst du dir deine Partnerin nicht selber ausrechnen?
Eben nicht! Dazu fehlt mir der Al-Gore-Rhythmus …

Neugierig geworden verläßt du deinen Hocker in Richtung Toilette, nur um nachher einen unauffälligen Blick auf die Redner werfen zu können. Aber wie du zurückkommst, sind sie verschwunden. Dankbar nimmst du dein zweites Bier in Empfang und überlegst, wieviele und welche Schritte der Algorithmus vorschreiben müßte, um das Gefühl der Dankbarkeit zu errechnen: 101001100011100001121100001110001100101 … in Ewigkeit Amen…

Thomas Gerlach

Glosse

Doppelt hält besser

Gerade ist es vorbei, das Fest der Heimlichkeiten. Es verursacht in mir auch immer so ein gewisses Gruseln, weiß man doch nie, womit man wieder so beschenkt wird. Von der vorletzten Festivität habe ich noch einige verpackte Geschenke herumliegen. Denn nicht immer ist die Freude beidseitig. Und nicht immer will man alles wissen. Dummstellen und abwarten kann allerdings in der Politik gefährlich, ja tödlich, sein.
Wen man auch in Radebeul trifft, die meisten haben keine Ahnung, dass wir 2024 in ein glorreiches Jahr gehen. Was schon soll an diesem Jahr glorreich sein, werden sie fragen: Dass die Wasserpreise gestiegen sind, die Mieten weiter klettern und die Inflationsrate aktuell mit 3,8 Prozent auf einem hohen Niveau liegt? Zumindest für dieses Jahr versprechen die „Wettbuden“ hier einen Rückgang. Da lässt sich dann doch etwas erleichterter auf die Pauke hauen, wenn die Radebeuler im neuen Jahr ihr großes Doppeljubiläum begehen.
Auch Sie wissen nicht wovon ich schreibe? Hat es sich denn wirklich noch nicht herumgesprochen? Dieses Jahr ist das ganze Jahr ein Festjahr: 100 Jahre Stadt Kötzschenbroda – 100 Jahre Stadt Radebeul! Alles klar?!
Und wenn ich „das ganze Jahr“ schreibe, meine ich auch das ganze Jahr. Am 1. Januar 2024 um 00:01 Uhr wird die Fete eingeläutet! Ja, sie lesen richtig! Eine Reihe von Radebeuler Bürgern werden dann die ersten Sätze in ihr Alltagsbuch gekritzelt haben. Wann allerdings der dicke Veranstaltungskalender erscheint, kann ich im Augenblick noch nicht verkünden, aber vermutlich vor dem 31. Dezember. Natürlich sind die Radebeuler aufgefordert, kräftig mitzuwirken. Im Klartext: Wer feiern will, sollte auch etwas dazu beitragen! Und mit ein wenig Glück kommt man dann auch in den dicken Veranstaltungskalender. Beeilen aber muss man sich schon. Die anderen schlafen auch nicht.
Ja, wer feiert nicht gerne? Aber wie? Ehrlich gesagt, so richtig habe ich mir darüber auch noch keine „Platte“ gemacht. Was für so einen Anlass alles für Wörter kursieren, du glaubst es nicht: Party, Gesellschaft, Fete, Sause, Event, Vergnügen, Budenzauber, Festtage, Lustbarkeit, Cercle, Mulatschag… So manchen Begriff führen wir heutzutage überhaupt nicht mehr im Munde!
Was zum Beispiel ist ein „Cercle“? Zugegeben, die Bezeichnung ist etwas aus der Mode gekommen und steht für Vieles. In unserem Fall für „Empfang bei Hofe“, was ja auch recht gut passen würde. Oder nehmen wir „Mulatschag“, was so viel bedeutet, wie „ausgelassenes Fest“ und seinen Ursprung in Ungarn/Österreich haben soll. So richtig empfiehlt es sich aber dann wiederum auch nicht, enden doch derartige Unternehmen, in dem alles Geschirr zerschlagen wird. Das Festjahr soll ja nicht noch in einem Scherbengericht münden.
Der abgelatschte Begriff „Party“ wäre grundsätzlich abzulehnen, auch wenn uns angelsächsische Verwandtschaft nachgesagt wird. Aber wie wäre es beispielsweise mit „Sause“? Würde doch ganz gut zu Radebeul und den Sachsen passen, schließlich nennen wir uns ja auch „Weinstadt“. Es muss ja nicht gleich so ausarten wie zur Erlanger Kärwa. Das liegt dort sicher an den vielen guten fränkischen Brauereinen. Da sehe ich für Radebeul überhaupt keine Gefahr. Und in „Saus und Braus“, da bin ich mir absolut sicher, wird die Radebeuler „Sause“ ohnehin nicht ausarten, wo uns doch seit neulich das Geld nicht mehr so locker sitzt.
Aber, dass die „Sause“ irgendwie mit der Zieselmaus zusammenhängen soll, war mir bisher völlig unbekannt. Vermutlich wegen der zischenden, pfeifenden Geräusche, die beide verursachen. Aber vielleicht könnte dieser Verwandte der Hörnchen demnächst zum Radebeuler Maskottchen aufsteigen? Wie dem auch sei, das Fest aber sollten wir denn auf keinem Fall sausenlassen.
Na dann, auf ein lustiges Festjahr! Feste sollen ja fröhliche, ausgelassene Zusammenkünfte sein. Da hoffen wir mal, meint
Euer Motzi

Buchvorstellung

„In Übigau 1870 / 71 interniert – in Kaditz bestattet“

Foto: D. Lohse

Das vor mir liegende Büchlein (Format A5, 76 Seiten) ist ein Sachbuch zu Ereignissen am Rande des deutsch-französischen Krieges von 1870 / 71, ein Krieg, den Deutschland nicht verloren hatte. Herausgegeben hat dieses Buch 2022 der Verein „Neue Nachbarschaft Kaditz e.V.“ in Eigenregie, d.h. ohne einen Verlag. Wäre das Buch über einen Verlag noch teurer geworden? Verfasser ist der Kaditzer Siegfried Reinhardt, von dem u.a. schon Bücher über die Gohliser Windmühle sowie Dorf und Stadtteil Kaditz erschienen sind. Wenn ich jetzt über das neue Buch berichte, so tue ich das gern, weil die „Nachbarschaft“ und die „Vorschau“ zwei benachbarte und miteinander bekannte Vereine sind, die über die Stadtgrenze Dresden / Radebeul eine gelegentliche Zusammenarbeit pflegen.
Aber ist das jetzt der richtige Zeitpunkt, um über ein älteres Kriegsereignis zu schreiben, jetzt, wo in östlicher und südöstlicher Richtung von uns Kriege toben? Es müsste möglich sein, weil zwischen der Gefangenschaft der Franzosen an der Elbe und den aktuellen Kriegen 150 Jahre liegen und weil das Herangehen an das Thema im Buch nicht kriegsverherrlichend ist.
Das Buch, siehe oben, ist schon durch sein Cover in den Farben der Trikolore (Blau, Weiß, Rot), den Gemeindesiegeln von Übigau und Kaditz sowie dem Titel interessant gestaltet und dadurch eine Aufforderung zuzugreifen! Dem Buch liegt eine umfassende Recherche zugrunde, die Fakten sind in drei Abschnitte gegliedert: das Internierungslager für etwa 7000 gefangene französische Offiziere und Soldaten in Übigau, die Begräbnis-stätte für 117 gestorbene Franzosen in Kaditz und die namentliche Auflistung der Toten. Als Radebeuler hatte man schon mal vom Kaditzer Franzosenfriedhof gehört oder ihn vom Elbradweg aus besucht, aber die größeren Zusammenhänge erfährt man erst aus dem verdienstvollen Büchlein. Von einem geschichtlichen Sachbuch darf man keine lockere, leicht zu lesende Lektüre erwarten, es sind sachliche, gelegentlich etwas trockene Schilderungen der Faktenlage. Aus dem Text erfährt man, dass am 26. August 1870 die ersten Franzosen in Übigau, das damals noch nicht zu Dresden gehörte, eintrafen. Sie waren geschwächt vom Kampf und der langen Zugfahrt (ca. eine Woche) und zum Teil verletzt. Sie wurden ärztlich versorgt und mussten ihr Barackenlager am Elbufer in Übigau selbst aufbauen. Das Kriegsgefangenenlager war primitiv mit Strohlagern statt Betten, es folgte ein kalter Winter und schließlich eine Überschwemmung der Elbe. Die Zahl der 117 toten Gefangenen entstand durch Krankheiten und Entbehrungen, häufig durch Blattern und Lungenkrankheiten. Da damals Übigau nach Kaditz eingepfarrt war und keinen eigenen Friedhof besaß, mussten die verstorbenen Gefangenen auf einem Kaditzer Friedhof begraben werden. Man erfährt aber auch, daß die Franzosen zu bestimmten Zeiten das Lager verlassen durften und so auch Kontakte zu Bauern und Kindern zustande kamen. Das Lager wurde nach Abreise der letzten Franzosen in die Heimat am 25. Juni 1871 geschlossen und im Juli abgebaut. Mit 11 Monaten hatte das Internierungslager Übigau eigentlich nur eine kurze Zeit existiert. An der Stelle befindet sich heute die rechtselbische Rampe der Flügelwegbrücke (erbaut 1929 / 30).

Foto: D. Lohse

Zur Gestaltung der französischen Abteilung im zweiten Kaditzer Friedhof (Serkowitzer Straße) und der Unterhaltung desselben wurde viele Gesuche und Briefe geschrieben worden, die Anlage schien auch zeitweilig in Vergessenheit zu geraten, aber zum 150. Bestehen der Franzosengräber zeigten sie wieder ein würdiges Aussehen. Zu diesem Jubiläum und anderen Terminen treffen sich Franzosen und Deutsche in Kaditz, man kann darin ein völkerverbindendes Zeichen sehen.
Das empfehlenswerte Sachbuch, das für 10,- € angeboten wird, hat nur einen Haken, es ist leider nicht im Buchhandel zu finden, sondern nur in folgenden Einrichtungen und Läden erhältlich:

Friedhofsverwaltung Kaditz, Serkowitzer Str. 39, 01139 Dresden
Mo, Do 10-12, Di 10-12, 15-17
Verkaufsstelle Frühgemüsezentrum Kaditz, Grimmstraße 52, 01139 Dresden
Mo-Fr 9-17, Sa 9-12
Hermes Paketshop motto Agentur, Kaditzer Str. 28, 01139 Dresden
Mo-Do 14-18, Fr 9-15
und ab Jan. 2024:
Autohaus Gommlich, Verkauf, Meißner Str. 140, 01445 Radebeul
Mo-Fr 9-18

Als Geschenktipp für Weihnachten kommt die Buchvorstellung leider zu spät, aber Ostern steht ja bald vor der Tür!
Da fällt mir noch eine Verbindung zum deutsch-französischen Krieg sowie Kaditz und Radebeul ein. Der Heimkehrergedenkstein an der Kaditzer Straße in Radebeul erinnert auf andere Weise an den Krieg von 1870 / 71.
Diesen Stein sollen drei sächsische Kameraden aus Freude über ihre gesunde Heimkehr aus Frankreich aufgestellt haben – wir erkennen zwei Seiten „ein und derselben Medaille

Dietrich Lohse

 

9. Thematischer Filmclubabend

Zum Auftakt unserer Veranstaltungsreihe Film Club Mobil 2024 sind wir am 18. Januar um 19 Uhr in der Heimatstube Naundorf zu Gast. Die liebevoll ausgestalteten Museumsräume bieten den stimmungsvollen Rahmen für den Märchenklassiker „Väterchen Frost“ aus dem Jahr 1964. Darüber hinaus erfahren wir das Neueste aus der Radebeuler Ursprungsgemeinde Naundorf, die vor 880 Jahren ihre erste urkundliche Erwähnung fand. Ein loderndes Kaminfeuer mit Bratäpfeln und würzigen Heißgetränken stimmen auf den winterlichen Filmclubabend ein. 

Tschechische und russische Märchenfilme prägten die Kinderzeit von DDR-Nachkriegsgenerationen. Das diese Filme nicht nur nostalgische Gefühle aufkommen lassen, sondern heute noch so sehenswert sind, resultiert nicht zuletzt aus ihrer künstlerischen Qualität. Auf zahlreichen Festivals wurde „Väterchen Frost“ sowohl für das Drehbuch als auch die Filmmusik ausgezeichnet. Die Drehbuchautoren Nikolai Erdmann (1900 – 1988) und Michail Wolpin (1902 – 1988) hatten Elemente aus der slawischen Mythologie mit Motiven aus russischen und deutschen Märchen zu einer Handlung verwoben. Den Regisseur Alexander Rou (1906 – 1973) verband wiederum eine langjährige produktive Zusammenarbeit mit dem Schauspieler Georgi Milljar (1903 – 1993), welcher in zahlreichen seiner Filme mitwirkte. Milljar hatte sich auf groteske Charaktere spezialisiert. Vor allem die Rolle als Hexe Baba Jaga, die er in mehreren Filmen verkörperte, machte ihn auch international bekannt. Zu dem hochkarätigen Darstellerensemble gehörte die sechzehnjährige Natalja Sedych. Obwohl diese als Schauspielerin bereits in früher Jugend sehr erfolgreich war, absolvierte sie ein Studium an der Ballettschule des Bolschoi-Theaters und stand danach als Tänzerin auf der Bühne. Einen Großteil der mitwirkenden Schauspieler kann man auch in dem Film „Feuer, Wasser und Posaunen“ von 1968 erleben.

Väterchen Frost – Abenteuer im Zauberwald
1964, Sowjetunion, Gorki-Filmstudio, 82 Minuten, FSK 6, DEFA-Synchronisation 1965

Regie: Alexander Rou; Drehbuch: Nikolai Erdmann, Michail Wolpin;
Musik: Nikolai Budaschkin; Kamera: Dimitri Surenski; Besetzung: Alexander Chwylja (Väterchen Frost), Natalja Sedych (Nastjenka), Inna Tschurikowa (Marfuschka), Eduard Isotow (Iwan), Georgi Milljar (Baba Jaga)

Die Erzählerin beginnt mit den Worten: „Es war einmal vor langer, langer Zeit, ein alter Mann und eine alte böse Frau ……“ Beide hatten jeweils eine leibliche Tochter. Die der Frau, Marfuschka, war faul und hässlich, die des Mannes, Nastjenka, war fleißig und schön. Die eine wurde verwöhnt, die andere schikaniert. Eines Tages begegnet Nastjenka im Wald dem jungen eitlen Prahlhans Iwan, der sich sofort in sie verliebte. Doch weil er das Waldmännchen beleidigt hatte und ohne Skrupel eine Bärenmutter töten wollte, nahm das Unglück seinen Lauf und Iwan trug zur Strafe fortan einen Bärenkopf. Schließlich wurde es Winter. Die Hässliche zu verheiraten, wollte und wollte nicht gelingen. Der Stiefmutter war es leid, dass die Freier nur ein Auge für Nastja hatten, und jagte sie in den Wald. Aber Väterchen Frost rettete sie vorm Erfrieren. Allerdings sprach er eine Warnung aus: Wer seinen Zauberstab berührt, wird zu Eis und alles Leben erstirbt… Iwan, der inzwischen seine menschliche Gestalt zurückerhielt, suchte Nastja. Doch im Zauberwald lauerten rauflustige Räuber, im Holzhäuschen mit den Hühnerbeinen wohnte die hinterlistige Hexe Baba Jaga und Nastja lag wie tot im Haus von Väterchen Frost…

Karin Baum und Michael Heuser
Sprecher der Cineastengruppe „Film Club Mobil“ im Radebeuler Kultur e.V.


Anmerkung: unter Verwendung von verschiedenen Filmbegleitmaterialien und Wikipedia-Eintragungen

Reservierungen erbeten unter 0160-1038663

Als die Läden noch den Namen von Leuten trugen

(und die Anekdoten von heute geboren wurden)

In seinem Editorial im Oktoberheft erwähnte Sascha Graedtke die Schließung des Geschäftes von Lars Bellmann auf der Meißner Straße 88, in dem der Inhaber seit Ende der 1990er Jahre überwiegend Tabakwaren, Zeitschriften und Schreibwaren verkauft hatte. Auf dem Schild über dem Laden, das inzwischen entfernt ist, war allerdings auch zu lesen, dass man als Sammler von Münzen und Briefmarken dort auch fündig werden konnte, was in den letzten Jahren allerdings nur noch ein ganz kleines Segment des Umsatzes ausgemacht haben dürfte. Ganz anders war die Situation vor 40 Jahren, als das Ehepaar Eiffler den Laden führte. Daran wurde ich erinnert, als ich von der Schließung des Ladens von Herrn Bellmann las. Und einmal angefangen ließen auch mich die Erinnerungen nicht mehr los… Ich nehme Sie, liebe Leserinnen und Leser, deshalb mit auf einen kleinen Spaziergang entlang meines magischen Kindheitsdreiecks, dessen Ecken vom Briefmarkenladen Eiffler, den Geschäften an den Linden und den Geschäften bzw. Läden an der Ecke Maxim-Gorki-Straße-/Reichsstraße in der Oberlößnitz begrenzt wurde.

 

Meißner Straße 88 Foto: B. Kazmirowski

Mein täglicher Schulweg führte mich frühmorgens an der Bäckerei Werner vorbei, die im Erdgeschoss des Eckhauses Reichsstraße/Maxim-Gorki-Straße ihre Backwaren anbot. Der Verkaufsraum war sehr klein und schon gar nicht barrierefrei, denn eine Treppe führte von zwei Seiten zur Eingangstür. Dumm nur, dass der Laden früh gegen 7 Uhr, als schon der Duft frischer Brötchen aus der Backstube im Keller bei geöffnetem Fenster nach draußen strömte, noch nicht offiziell geöffnet hatte. Wir Schulkinder hatten natürlich alle unsere, nun ja, blechernen Brotdosen (meine war wenigstens zweifarbig, die meisten Mitschüler hatten welche in Silber) im Ranzen, aber was waren die von fürsorglich besorgten Müttern mitgegebenen Pausenbrote gegen frische, warme, duftende Semmeln für 5 „Pfenge“ das Stück oder für einen Groschen, wenn es gleich ein großes, ein „doppeltes“ Brötchen sein sollte? Also schnell hingekniet auf das Gitter, an die Fensterscheibe geklopft und ein erwartungsfrohes „Hallo?“ in den Duft hineingerufen. Alsbald erschien eine freundliche Bäckersfrau und fragte, was es denn sein dürfe. Das bissel Geld, was man so als Zweit- oder Drittklässler bei sich hatte reichte allemal ab und zu für ein oder zwei Semmeln. Hatte man gerade Taschengeld bekommen oder sonst irgendwie etwas mehr bei sich, durfte es auch ein lecker Pfannkuchen für 20 Pfennige sein, der dann durch

Lichtschachtgitter zum Backraum Foto: B. Kazmirowski

die Gitterstäbe nach draußen gereicht wurde. (Erinnern

Eckhaus Maxim-Gorki-Straße-Reichsstraße, ehemals Bäckerei Werner Foto: B. Kazmirowski

Sie sich noch an die mattgoldkupfern glänzenden Zwanzigpfennig-Stücke? Ein solches Exemplar vertelefonierte ich gelegentlich mit Freunden auf dem Rückweg von der Schule in der Telefonzelle, die direkt vor der Bäckerei stand, gleich neben der Litfaßsäule. Irgendwen konnte man immer anrufen, ein zerfleddertes Telefonbuch hing ja mit drin. Beides gibt es längst nicht mehr.) Zurück zum Bäcker: Blöd nur, wenn auch andere Kinder auf die gleiche Idee wie ich kamen und sich so eine hockend-kniende Warteschlange vor dem Kellerfenster bildete. Brav weiterlaufen und pünktlich an der „Kleinen Schule“ auf der Bennostraße ankommen (der Weg war weit!) oder stehen bleiben, warten und dann rennen – das war die Frage, denn die Brötchen musste man ja erst noch langsam und genussvoll verspeisen! Die Bäckerei Werner schloss relativ unvermittelt, wenn ich das richtig nachvollziehe im Frühling 1981 oder 1982 – ein herber Einschnitt im Leben für uns Schulkinder! Nachmittags, auf dem Nachhauseweg, hörte ich vor allem im Sommerhalbjahr manchmal ein vernehmliches Klopfen, Pochen und Hämmern aus einem Flachbau direkt hinter der Bäckerei parallel zur Reichsstraße (1986 wurde sie in Jean-Bertrand-Straße umbenannt, was keiner von uns Kindern kapierte, 1991 erfolgte dann schon die Rückbenennung). Was da pochte, hämmerte und klopfte war der alte Schuhmacher Ahnert, ein kleingewachsener Mann mit grauem Haarkranz, einen runden Kopf mit wachen Augen auf dem zumeist nach vorn gebeugten Nacken tragend. Meister Ahnert betrieb dort seine Werkstatt, er trug immer einen graublauen Kittel. Ich kann mich nicht erinnern, je draußen auf der Maxim-Gorki-Straße (von dort erfolgte der Zugang zum Grundstück) ein Schild gesehen zu haben, das auf diesen Handwerksbetrieb hinwies. Man wusste einfach, dass dort Meister Ahnert nähte, klebte, flickte und eben auch mit dem Hammer kräftig auf die Sohlen pochte. Manches Mal sind ein Freund und ich einfach in die Werkstatt rein und haben ihm zugeschaut, wie er auf seinem Schemel saß und sich an Schäften, Sohlen und Absätzen zu schaffen machte. Einfach gucken und schauen, wie Handwerk geht. Den Klebstoff habe ich heute noch in der Nase. Meine Bekanntschaft mit Herrn Ahnert war einmal von großem Nutzen für mich. Am Vortag einer langen Sommerurlaubsreise sollte ich meine Sachen packen und stellte fest, dass meine Sandalen hinüber waren. Das hatte ich natürlich vorher nicht bemerkt. Meine Mutter schlug die Hände über den Kopf zusammen. „Junge, das bekommen wir in der PGH (= Produktionsgenossenschaft des Handwerks) bis morgen nicht repariert!“. Ich: „Mal sehen.“ Und ab zu Ahnert, rein in die Werkstatt, Problem geschildert, Sandalen noch am gleichen Abend repariert wieder abgeholt. Preis: Vielleicht zwei Mark? Oder vier? Ganz sicher habe ich mich artig bedankt, darauf legten meine Eltern wert. Auf der anderen Seite der Hofeinfahrt schloss sich das Haus an, in dem im Erdgeschoss die Fleischerei Hartmann bis in die 90er residierte. Fleischerei Hartmann war eine Institution im Wohnviertel. Donnerstags ab spätestens 14 Uhr bildete sich eine lange Schlange, denn an diesem Tag nach der Mittagspause gab es immer die besten Sachen, die eine gute kochende Hausfrau (damals gab es tatsächlich sehr wenige kochende Hausmänner) für den Sonntagsbraten brauchte. Allerdings konnten sich donnerstags 14 Uhr nicht viele gut kochende Hausfrauen in die Schlange einreihen, denn manche von ihnen mussten arbeiten, wie meine Mutter etwa. Also hatte ich den wichtigen Auftrag, den Platzhalter bis 15 Uhr zu spielen, wenn der Laden wieder öffnete, immer in der Hoffnung, dass meine Mutter auch rechtzeitig käme. Meistens kam sie pünktlich, und ich bekam drinnen eine Scheibe Wurst oder eine Wiener auf die Hand. Auf die Hand bekamen wir Kinder und Jugendlichen auch fast immer etwas bei der Bäckerei Bär an den Linden. Glücklich waren wir, wenn auf die Frage „Haben Sie Kuchenränder?“ Frau Bär oder einer ihrer Mitarbeiterinnen in dem Raum hinter der Ladentheke verschwand und mit einer Tüte Kuchenränder wieder auftauchte. Als wir zu Hause waren, war die Tüte leer. Besonders Obstkuchen war der Renner, weil am Teigrand auch immer noch Obst hing. Fast genau auf der Linie zwischen dem kulinarischen Zentrum Maxim-Gorki-Straße/Reichsstraße (außer Bäckerei Werner und Fleischerei Hartmann gab es auch damals schon die Gaststätte „Zum Römer“) und den Linden gab es spätestens seit den 1970ern auf der Karl-Marx-Straße eine weitere kleine, versteckt liegende Werkstatt, und zwar die des Sattlermeisters Werner Gallitschke. Auch so eine Legende wie Schuhmachermeister Ahnert! Zu Herrn Gallitschke konnte man alles aus Leder bringen, also vor allem Gürtel, Jacken und Taschen. Schulranzen, Arbeitstaschen und Umhängetaschen gingen halt kaputt bei täglichem Gebrauch, und wer wusste schon, ob es im Taschenladen auf der Wilhelm-Pieck-Straße, direkt neben Eifflers Briefmarkenladen, Ersatz geben würde? Ich weiß nicht, wie oft ich bei Herrn Gallitschke vorstellig wurde, um meinen Schulranzen, später auch meine Arbeitstaschen ausbessern zu lassen. Irgendwann in den 1980ern oder 1990ern zog er in eine Kellerwerkstatt auf die Goethestraße um, wo er bis vor einigen Jahren auch noch ab und an aus alter Verbundenheit etwas reparierte. Und nun schließe ich den Bogen und komme endlich zum Briefmarkenladen H.C. Eiffler. Eifflers führten schon in den 1960ern und 1970ern in Radebeul-West ein Geschäft im Eckhaus Borstraße/Wilhelmstraße. Mein Vater erzählte mir, dass wiederum sein Vater in jener Zeit aus der Brandenburger Provinz angereist gekommen war, um bei Eifflers Briefmarken zu verkaufen und selbst zu kaufen und sich sogenannte „Nachträge“ für seine Klebealben zu besorgen. Zwischenzeitlich wurde das Geschäft nach Radebeul-Ost verlegt. Ich war als Kind in den 1980er Jahren selbst ein leidenschaftlicher Sammler gewesen und drückte mir also bei Eifflers Auslagen von besonderen – heute würde man sagen: „coolen“ oder „krassen“ – Motiven die Nase an der Scheibe platt. Ich erwarb mir dort über mehrere Jahre nach und nach diverse Sätze von Briefmarken aus so exotischen Ländern wie Antigua (sehr schöne Walt Disney-Motive), Laos (Sonderausgabe zu den Olympischen Winterspielen in Sarajevo 1984) und Paraguay (Motive mit Rennautos). Ein Satz, bestehend aus meistens fünf bis sieben Marken, kostete so zwischen 5 und 8 Mark. Auf diese Weise kam die große weite Welt in mein kleines enges Kinderzimmer in Radebeul und bereicherte meine tatsächlich gesammelten Bestände aus überwiegend europäischen Ländern. Jetzt könnte ich meinen Spaziergang beenden, aber ich möchte noch eine Erinnerung anfügen, die sich mit einem Zeitungskiosk auf der anderen Straßenseite der Wilhelm-Pieck-Straße (wie die Meißner Straße bis 1991 hieß), direkt vor der Straßenbahnhaltestelle und neben dem Eingang zur Gaststätte „Vier Jahreszeiten“ verbindet. In diesem Kiosk saß, wann immer ich vorbeikam, hinter der kleinen Scheibe ein bärbeißiger, kräftiger Mann mit dunkler Brille. Wenn ich dort in den späten 80ern auftauchte, dann nur, um eine Ausgabe der einzig begehrenswerten Zeitschrift für Jugendliche in der DDR zu erstehen, „Neues Leben“, kurz „NL“. Fast nie gelang es mir, denn die Hefte waren offenbar regional limitiert, in Berlin nämlich gab es sie allerorten ohne Probleme, wie ich von meinen Cousin wusste. Und also entspann sich allmonatlich zu Monatsbeginn folgender Dialog. Ich: „Ham’se das neue NL?“ Er: „Noch nicht.“ Einen Tag später. Ich: „Ham’se das neue NL?“ Er: „Nicht mehr.“ Irgendwie kam ich dann doch immer mal an ein Exemplar und durfte es mitlesen oder mir ausborgen.
Und damit ist mein Spaziergang beendet. Teilen Sie die eine oder andere Erinnerung? Wie wäre es, wenn Sie mich und andere Leser auf einem Gang durch Ihr Kindheits-Radebeul mitnehmen? Ich würde mich freuen!
Bertram Kazmirowski

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