Wie bunt ist Coswig wirklich?

Spaziergang mit Carl Romer durch die Große Kreisstadt Coswig

Teil 5

Bild: I. Rau


Bild: I. Rau


Unlängst spazierte ich in die Stadt, um nach der Umsetzung der Beschlüsse des Stadtrates zu sehen. Ich traute meinen Augen nicht, denn in Höhe der neuen Feuerwache kommt mir Herr Romer entgegen. “Wo wollen Sie denn so ganz allein hin?”, fragte ich ihn. “Ja mein Herr, Sie haben mir schon so viel in meiner Heimatstadt Coswig gezeigt. Aber heute wollte ich mir mal selbst ein Bild machen von der von Ihnen hinterfragten grünen oder bunten Stadt. Ich bin sehr erstaunt, wie sich z.B. der Baumbestand des Bürgerparkes entwickelt hat und wie doch die heutigen Coswiger sich darin tummeln. Überzeugt hat mich auch die neue Feuerwache, denn ich habe mich gleich mal führen lassen durch die Räumlichkeiten. Was können Sie mir nun heute zeigen, wenn Sie mir schon mal über den Weg laufen?” Nun dann nutzen wir doch gleich mal diesen schönen Frühlingstag heute, um uns mal Ihre alte Heimstatt ansehen, da wo Ihre Gewächshäuser und Ihr Pflanzenüberwinterungshaus standen. “Donnerwetter, meine Linden sehen ja prächtig aus, auch eine Lücke wurde bepflanzt. Und dann sind ja auf dem Straßenschild Romerstraße auch meine Geburtsdaten aufgelistet. Ich kann mich noch gut an die Bekanntmachung vom 19. April 1907 erinnern, als dies im Coswiger Tageblatt veröffentlicht wurde, nachdem der Weg ja vorher nur als W.W. bezeichnet war. Na ja, ich habe ja auch einen Teil der Straße finanziert und dafür sogar die Steine ranschaffen lassen.1 Ist die Verwaltung (damals die Amtshauptmannschaft) immer noch so träge, wie es damals bei der Genehmigung war?” “Na ja”, druckste ich rum. “Dies ist nicht ganz so einfach zu beantworten. Heute hängt so viel an Fördermitteln durch den Freistaat oder den Landkreis. Aber lassen wir das!”. “Jedenfalls bin ich erfreut, dass meine Straße einen so guten Eindruck macht”. “Ja, nur die Parksituation ist teilweise katastrophal wie Sie sehen. Da wird gerade am Wochenende rechts und links geparkt und Bürger mit Kinderwagen oder Rollstuhlfahrerhaben ihre Probleme auf den Fußwegen, durchzukommen. Manchmal frage ich mich schon, warum die Anwohner die Tiefgaragenplätze nicht nutzen oder ihre Gäste das Parkverbot so einfach ignorieren! Übrigens hat man 1991 ihre Straße noch erweitert um die damalige Dr. Kurt Fischer-Straße. Wie Sie sehen, sind sehr viele Neubauten errichtet worden!”

Bild: I. Rau


Bild: I. Rau


“Lieber Herr Romer, hätten Sie nun was dagegen, wenn wir jetzt in meine moderne Dieselkutsche einsteigen und zur Villa Teresa fahren. Ich hatte Sie ja schon darauf verwiesen!” “Das freut mich sehr!”, entgegnete er sofort. “Das dürfen Sie auch, denn hier haben der Förderverein und die Stadtverwaltung mit der Kulturbetriebsgesellschaft sehr viel für die Coswiger und ihre Gäste getan und auch den Park toll gestaltet. Unlängst beim Parkfest, das von jungen Musikern und jungen Künstlern des Gymnasiums mit ausgestaltet wurde, hat man den Start für die Gestaltung des noch verwilderten Teils des Gartens (genannt -verlorener Garten-) gestartet, sodass er in Summe eine tolle Begegnungsstätte für alle Parkbesucher sein wird. “Ich bin überwältigt von dieser Anlage! Teresa und Eugen d’Albert würden sich sehr freuen, wenn sie dies alles hier noch sehen könnten!” “Übrigens hat man im Festsaal mit Unterstützung von diversen Sponsoren den Steinwayflügel wieder aufgearbeitet, sodass er bei den diversen Konzerten, die hier stattfinden, die Gäste sehr erfreut an Musik und dem Flair dieser Begegnungsstätte überhaupt”2. “Geniessen wir doch den Park mit seinem Teich, dem Pavillon und dem schönen Baumbestand! Haben Sie nicht auch wieder einen Tropfen Wein dabei?” fragte er hinterlistig. “Aber natürlich, ich kenne doch Ihre Vorlieben für die guten Coswiger Weine!” Während unserer Rast im Park der Villa wollte er auch über Neuigkeiten aus der Stadtpolitik unterrichtet werden. “Momentan ist schon Sommerpause, Ausschüsse fallen aus mangels Beschlussvorlagen. Aber im Hintergrund beschäftigen wir uns schon mit den letzten Infos zur Bebauung des Areals an der Schillerstrasse. Viele Anlieger haben hier ihre Einwände und Bedenken an die Stadtverwaltung gesendet, wobei u.a. die Parksituation auf der Schillerstr. selbst viel Ärger herauf beschwört. Dazu gehört auch die künftige Zufahrt zu der Tiefgarage, denn die sollte nicht in der Schillerstr. liegen, sondern auf die Weinböhlaer Str. raus führen. Hier hat die Kreisstraßenverwaltung ihre Einwände eingelegt. Aber wir bleiben dran!”, versicherte ich ihm. “Das gefällt mir, wenn die Bürger hier Sachargumente vortragen und die auch vom Stadtrat gehört werden!”,meinte er mit verschmitztem Lächeln. Das Grinsen kam natürlich bei mir an. Ob er und die Stadträte sich damals auch mit solchen Problemen rumgeschlagen haben? Nach unserer ausgiebigen Wein- und Diskussionspause setzten wir uns wieder in meine Kutsche und ich chauffierte ihn noch zu unserem Stadtbad in Kötitz mit dem schön angelegten Campingplatz, der momentan sehr ausgebucht war. Herr Romer staunte über die Vielfalt der Kennzeichen der Autos und Wohnwagen aus Deutschland und dem Ausland. Ich erläuterte ihm, dass dieser Platz in der Begutachtung im Internet toll bedacht wird. Von den Coswigern und ihren Gästen wird sowohl die Kiesgrube, u.a. mit einem Teil als FKK-Strand, als auch das Kinderbecken mit Rutsche, die Sport- und Spielflächen daneben und die Gasthausbewirtschaftung sehr gut angenommen. Daneben erwähnte ich noch, dass demnächst das Gelände noch um eine besondere Sondergolfanlage erweitert wird. Herr Romer nahm dies alles mit großem Staunen in sich auf und bekundete seine Hochachtung von all diesen Neuigkeiten aus Coswig. “Nun kutschieren sie mich aber zurück zu meiner Stele im Park neben dem Museum!” forderte er mich auf. Gern kam ich dieser Bitte nach. Ich versprach ihm, unsere Rundfahrt demnächst durch die Ortsteile von Coswig weiter zu führen.

Eberhard Bröhl

1 Petra Hamann, Coswig hat Geschichte , Wissenswertes und Amüsantes aus dem Stadtarchiv, NOT schriften-Verlag, Herausgegeben von der Großen Kreisstadt Coswig, 1. Auflage 2012 ISBN 978-3-94200-82-2
2 Infos zum Förderverein der Villa Teresa im Internet unter https://www.villa-teresa.de

Wie gehen junge Menschen charmant mit Charme um?

An den Landesbühnen über die Schulter geschaut zu Schule und Theater in Sachsen

Wie bitte? Ja richtig, das Rahmenthema für drei Tage Schülertheatertreffen stand unter dem Titel: „Voll getextet“ und bot mit fünf Schülerinszenierungen aus Zwickau, Zschopau, Niesky, Radebeul und Meißen, Theater von feiner humorvoller Machart. Ergänzt wurde Kost von der „geheimen, dramaturgischen Gesellschaft“ mit Studierenden von der Technischen Universität Dresden.

Am dritten Tag der Theaterwerkstatt haben wir Franziska Till und ihrer Schülergruppe (Landesbühnen, Radebeul) über die Schulter geschaut. Die 13 Jugendlichen zwischen 8. und 12. Klasse präsentierten ihre Arbeitsergebnisse auf der großen Bühne des Stammhauses mit viel Humor und Spielfreude.

Ähnlich wie die Stewardessen beim Starten und Landen im Flugzeug, erklärten zu Beginn der Aufführung eine kostümierte Gymnasiastin und ihr Kollege die Funktion eines Tampons, gekonnt Reklame mäßig und keinesfalls schlüpfrig.

Untertexte für die Spieler bei der Theaterwerkstatt waren folgende: Warum sprechen Jungs nicht über Menstruation? Warum ist das erste Treffen mit Partner so ein großes Ding für Eltern? Über welche Themen sollte man lieber nicht sprechen?

Ziemlich authentisch boten die Schüler aus der Theaterwerkstatt Szenen aus ihrem Alltag an: die Klassenfahrt beispielsweise. Gleich nach dem Einstieg ging der Bus kaputt, so dass die geplante Fahrt ihr Ende noch vor Beginn fand. Gespielt mit viel guter Laune, auch auf Seiten des Busfahrers, der gute Mine zum bösen Spiel zelebrierte.

Wie veranschaulicht man Redewendungen, wie z.B. „im Boden versinken,“ oder „um sich eine Mauer bauen,“ „sich verbarrikadieren?“ Wie stellen wir das als Gruppe dar?

Die nächste Szene bot eine Schülerin, die in den Nachbarraum floh, weil sie sich von Mitschülern ungerecht beurteilt fühlte. Eine Klassenkameradin wollte sie zurückholen. „Nein. Ihr kennt mich nicht. Wollt mich aber beurteilen. Ich bin nicht langweilig. Nein. Ich bin nur introvertierter als andere. Das finde ich nicht schlimm. Über vieles mache ich mir Gedanken. Sage nur nicht sofort und auf der Stelle zu allem etwas.“ Die Kollegin lockte die „Introvertierte“ mit einer Schutzscheibe. „Vielleicht hilft dir diese fürs Erste?“

Die nächste Szene könnte aus dem Biologieunterricht stammen. Warum können manche kein Blut sehen? Wie ist der kostbare Stoff „Blut“ aufgebaut? Welche Funktionen haben die weißen und die roten Blutkörperchen? Mit einfachen Mitteln führten die Spieler auf der Bühne schwierige biochemische Prozesse vor. So anschaulich und lehrreich kann Theater sein.

Der Applaus von Lehrern und Mitschülern war am Ende der Darbietungen verdient. Mit Franziska Till von den Landesbühnen in Radebeul hatten sie eine erfahrene „Vollbluttheaterfrau“ an ihrer Seite. Weiter so.

So lässt man sich gern und klug „volltexten“.

Angelika Guetter

Rosegger-Schule

Lichtblicke an die Rückbenennung meiner Schule vor 30 Jahren

Bei einem geführten historischen Rundgang durch die Europäische Beispielstadt Hillesheim in der Vulkaneifel lernte ich eine aus meinem früheren Heimatort Radebeul stammende Urlauberin kennen. Das Staunen und die Freude war von uns Beiden groß, als sich dies herausstellte. Sie schickt mir seitdem freundlicherweise Hefte von VORSCHAU & RÜCKBLICK, was in mir die Idee zu einem Rückblick vor 30 Jahren weckte.

Porträt Peter Rosegger
Bild: Rosegger-Gesellschaft Mürzzuschlag


Familiäre Gründe veranlassten meine Mutter mit uns Kindern 1956 von Radebeul in die Eifel zu ziehen. Vor diesem Umzug ging ich in die Rosegger-Schule auf der Wasastraße und wechselte danach zum Radebeuler Gymnasium Luisenstift. Die Verbindung zu einigen Mitschülern aus der Rosegger-Schule blieb bis heute. Die regelmäßigen Klassentreffen durch die Jahrzehnte waren von schönen Erinnerungen geprägt. Unser Biologielehrer Martin Apelt war ein verständnisvoller Lehrer und vergab Lob und Tadel stets gerecht. Er unternahm mit uns in den Ferien Wanderungen von Dorf zu Dorf, wobei wir auf Strohsäcken in Scheunen übernachteten und dabei viel für unser späteres Leben lernten.

Bei mehreren Besuchen kam ich an der Rosegger-Schule vorbei und stellte Mitte der 1960er Jahre fest, dass ihr Name nun ein anderer war. Wo vorher über der großen Eingangstür Rosegger-Schule stand, befand sich die nach dem sowjetischen Astronauten benannte Aufschrift German-Titow-Schule. Ein 10-jähriger Briefwechsel zwischen Karl May (1842-1912) und Peter Rosegger (1843-1918) war Anlass, der Schule einst den Namen des österreichischen Schriftstellers zu geben. Gemeindeväter befürworteten mehrheitlich die Namensgebung Aufgrund Roseggers Engagements für sozial Schwächere.

Im Jahre 1990 fuhren mein Mann und ich in die Steiermark, um das Mürztal und Peter Roseggers kleinen Heimatort Alpl kennen zu lernen. Bei der Familie Burggraber nahmen wir Quartier und ich erzählte, dass ich in Deutschland in eine Rosegger-Schule gegangen bin. Staunende Gesichter schauten mich an: „Was, soweit her draußen kennt man unseren Peter, unternehmen Sie bitte etwas, bitte, damit die Schule wieder ihren rechtmäßigen Namen erhält, wir versuchen ihnen dabei zu helfen.“

Mein Mann riet mir, nicht von unten, sondern direkt oben bei dem sächsischen Ministerpräsidenten Prof. Kurt Biedenkopf anzufangen. Er antwortete mir sehr freundlich, gab es an das Staatsministerium weiter und empfahl mich an den damaligen Radebeuler Kulturamtsleiter Dr. Schubert. Es folgte in der Vorbereitungszeit ein konstruktives Miteinander mit ihm, 660 km von Radebeul entfernt. Hans Burggraber übermittelte mir Adressen mehrerer Rosegger-Vereine und riet auch, die Landesregierung in Graz von meinem Vorhaben zu unterrichten. Einigen ehemaligen Lehrern und Mitschülern teilte ich meine Idee ebenfalls mit, was zugleich Neugier, Freude und Hilfsbereitschaft hervorrief.

Im Zeichensaal der Schule, April 1993: am Tisch stehend der ehemalige Kulturamtsleiter Dr. Dieter Schubert
Bild: Rosegger-Gesellschaft Mürzzuschlag


Im Januar 1992 kam ein Anruf von Rudolf Glettler, dem Präsidenten der Rosegger-Gesellschaft aus Mürzzuschlag, ich jubelte. Der Anruf klingt heute noch in mir nach. Er meldete sich an, am 4. April 1992, mit Rosegger Freunden aus der Steiermark während einer Rundreise nach Radebeul zu kommen. Im voll besetzten Zeichensaal meiner ehemaligen Schule mit interessierten Radebeulern, den österreichischen Gästen, Vertretern aus Verwaltung und Politik stellte ich meine Idee zur Rückbenennung und Gründung eines Fördervereins vor. Mit der 1. Vorsitzenden Kauffrau Christina Sehm, der Rektorin der Förderschule nebenan Edith Apley und dem aktiven Vorstand gab es erfolgreiche, weitblickende Ansprechpartner und Organisatoren.

Wieder zu Hause in Hillesheim begann eine rege Korrespondenz und viele Fahrten in meine alte Heimat kamen zustande. Vielen Dank an meine Familie, die den Werdegang tatkräftig unterstützte. Dazu boten meine Schulkameradin Johanna und Verwandte stets Unterkunft bei unseren Aufenthalten in Radebeul an. Viele Schriftstücke liegen in Ordnern und Fotoalben vor mir und beinhalten das, was in dreijähriger Vorbereitungszeit erarbeitet und erledigt wurde. Mit großer Unterstützung aus Verwaltung von Radebeul, Dresden, Graz und Wien sowie besonders der Rosegger-Gesellschaft aus Mürzzuschlag kamen wir an unser Ziel. Am 30. August 1993 um 14 Uhr fand von Presse und Bürgerschaft der viel beachtete Festakt zur Rückbenennung im Beisein begeisterter Gäste, ehemaliger Schüler, Politiker, Lehrer und österreichischen Freunden statt.

Der neu gegründete Förderverein der Schule erhielt von Rosegger-Vereinen, Gemeinden, dem Land Steiermark, Bund Krieglach u.a. finanzielle Unterstützung und Subventionen zur Verfügung gestellt. Gratulationen erreichten uns viele, u.a. auch von Prof. Biedenkopf. Ehemalige Schüler reisten aus mehreren deutschen Bundesländern zu diesem Ereignis an. Der Name Peter Rosegger ging getreu seines Ausspruchs „Der Schwächere Teil braucht die größere Unterstützung“ zur Förderschule über, die Jahre später nach Coswig als Förderschulzentrum „Peter Rosegger“ verlegt wurde.

Nach der Sanierung 2005/2006 nahm die Schule die Mittelschule Oberlößnitz auf, die sich seitdem Mittelschule Radebeul-Mitte (im Roseggerhaus) nannte. Zum Schuljahresbeginn 2013/2014 wurden alle sächsischen Mittelschulen zu Oberschulen umbenannt.

Felicitas Schulz

Sommer am Fluß

Die Illustratorin Sylvia Graupner zu Gast im Kulturbahnhof

»Überfahrt« aus dem Zyklus Spurensuche, Mischtechnik, 2017
Repro: S. Graupner

Mehr oder weniger zufällig hatte ich auf der Radebeuler Homepage unter der Rubrik „Aktuelle Meldungen“ eine poetische Zeichnung entdeckt, die mich neugierig machte. Hingewiesen wurde damit auf die Ausstellung „Sommer am Fluß“, welche am 7. Juni im Kulturbahnhof eröffnet werden sollte. Die ausstellende Künstlerin, Sylvia Graupner, war mir bis dahin kein Begriff, was allerdings nicht verwundert, denn sie lebt und arbeitet sowohl in Annaberg-Buchholz als auch in Dresden. Eingeladen hatte sie die Kulturamtsleiterin Frau Dr. Lorenz, welche viele Jahre in Annaberg-Buchholz im Kunst- und Kulturbereich tätig war. Dass Sylvia Graupner bereits im Jahr 2022 auf der vom Notschriftenverlag initiierten Radebeuler Buchmesse im Hof der Stadtgalerie mit einem eigenen Stand vertreten war, hatte ich nur flüchtig wahrgenommen. Dass sie seit vielen Jahren mit dem Verleger Jens Kuhbandner und seiner Frau bekannt und befreundet ist, erfuhr ich erst im Nachhinein. Auch mit den in Radebeul wirkenden Künstlern Sophie Cau und Reinhard Zabka ist sie freundschaftlich verbunden.

Die Bildfolge „Sommer am Fluß“ überrascht durch ihre heitere Farbigkeit und verleiht der Mittelhalle des Kulturbahnhofes nicht zuletzt durch das dominante frische Grün eine sehr schöne Atmosphäre. Detailreich und nicht ohne Augenzwinkern, vermitteln die Arbeiten von Sylvia Graupner Lebensfreude und Zuversicht. Im einführenden Text heißt es „Was gibt es Schöneres als einen Sommertag am Fluß zu verbringen. Die Bilder der Ausstellung laden ein, mit den Augen spazieren zu gehen, sich treiben zu lassen…“ und, so würde ich gern ergänzen wollen, sich in die Ferne zu träumen, um dort wiederum anderen eigenwilligen Träumern zu begegnen. Und wo Sylvia Graupner ausstellt, dürfen natürlich auch ihre, um mutmachende Sprüche nie verlegenen blauen Hunde und die widerborstigen roten Katzen nicht fehlen.

Porträt Sylvia Graupner, Foto: Ulrich Fuchs

Gedanken und Gefühle werden von der Künstlerin auf mitunter recht surreal wirkende Tiere, Fabelwesen oder Phantasiegestalten transformiert. Und so begegnet man in den Werken von Sylvia Graupner nicht nur blauen Hunden und roten Katzen, sondern auch einer Mondfrau, einem schlafenden Karussell, einer famosen Insbettbringmaschine, einem zaubernden Müllmann, einem kleinen Saurier oder träumenden Schafen, an denen Kinder und Erwachsene gleichermaßen ihre Freude haben.

Sylvia Graupner, die 1973 in Annaberg-Buchholz geboren wurde, beherrscht ihr Metier souverän. Sie studierte von 1992 bis 1995 Bühnenbild und Graphikdesign an der Hochschule für Bildende Künste Dresden. Von 1995 bis 1999 besuchte sie die Fachklasse Illustration an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig. Bis 2002 war sie Meisterschülerin beim Grafiker und Bühnenbildner Prof. Volker Pfüller (1939–2020). Von ihm habe sie gelernt, immer genau hinzuschauen und zu hinterfragen. Pfüller war ein kluger und kritischer Beobachter. Sein Credo lautete: Man kann nur zeichnen, was man begriffen hat.

Sie selbst lehrte von 2014 bis 2021 an der Hochschule für Bildende Künste Dresden. Dabei war es ihr wichtig, die Studenten zu ermutigen, eigene Wege zu beschreiten, etwas auszuprobieren, herauszufinden, „was in ihnen drin ist“. Keinesfalls sollten sie sich anpassen oder verbiegen, nur um anderen zu gefallen.

»Frau mit Faltschiffchen« aus dem Zyklus Spurensuche, Mischtechnik, 2017 Repro: S. Graupner

Gegenwärtig arbeitet Sylvia Graupner als freiberufliche Illustratorin für Schul- und Kinderbuchverlage aber auch immer wieder fürs Theater. Mehrere, der von ihr illustrierten Bücher sind in verschiedenen Sprachen weltweit erschienen. Ihr Schaffen umfasst Zeichnungen, Radierungen, Collagen und Bilder in unterschiedlichen Mischtechniken. Neben Illustrationen entwirft sie Bühnenbilder, Plakate, Broschüren und auch Kartenspiele. Dem Erzgebirge und ihrer Geburtsstadt fühlt sie sich bis heute verbunden, was sie in ihren Illustrationen auch zum Ausdruck bringt. Im Jahr 2010 erhielt sie den Stadtpreis von Annaberg-Buchholz u.a. für ihren künstlerischen Beitrag zur Pflege von Brauchtum, Kultur und Tradition.

Sylvia Graupner hat keine Scheu vor schwierigen Themen. In der Zeitschrift „Philosophie und Ethik in der Grundschule“ setzte sie sich auf nachdenkliche und mutmachende Weise mit Themen wie „Natur gibt, Natur nimmt“, „Abschied, Tod und Trauer“ oder „Wie wollen wir leben“ auseinander.

Zurzeit wirkt sie an einem Projekt im Bereich der Onkologie mit. Dabei geht es um den Umgang mit Ängsten, um Hoffnung und Zuversicht.

Die Umsetzung ihres Bilderbuches „Meine erste Hochzeit“ als Zeichentrickfilm hatte 2009 auf der Berlinale Premiere und gewann den Pulcinella Award des Festivals CARTOONS ON THE BAY 09.

Sylvia Graupners Terminkalender ist prall gefüllt mit Ausstellungen, Fachtagungen, Lesungen, Mitmalaktionen … Sie beteiligt sich an Projekten in Bibliotheken, Museen, Galerien, Schulen und Krankenhäusern. Um das Pensum zu bewältigen, muss sie sich sehr strukturieren. Ihr Arbeitstag beginnt in der Regel um 8 Uhr. Ideen hat sie mehr als genug, welche zunächst als Bleistiftskizzen aufs Papier gebracht werden – erst später kommen Aquarellfarben, Tusche sowie andere Materialien zum Einsatz. Natürlich ist es ein Unterschied, ob es sich dabei um freie oder auftragsgebundene Arbeiten handelt. Auch hat sie bereits einige eigene Bücher geschrieben.

Die Bildergeschichten entstehen als freie Arbeiten und sind eine Art gezeichnetes Tagebuch. Wie sie sagt, pflegt sie damit ihren Inneren Garten. Ein Skizzenbuch trägt sie immer bei sich. Ihr selbstironischer Blick aufs Leben, lässt vieles leichter werden.

Illustration und Bühnenbild ergänzen sich, so die Künstlerin, da ein Buch mit einer Inszenierung vergleichbar sei. Dabei wäre bei der Bildfindung das dramaturgische Denken durchaus von Vorteil. Oft arbeitet sie mit verschiedenen Textautoren und Musikern zusammen. Frisch erschienen ist das Kreative Denk-Buch, welches sie gemeinsam mit ihrer Tochter Helene Graupner gestaltete.

Wer mehr über Sylvia Graupner wissen möchte oder ein originelles Geschenk sucht, wird auf ihrer Homepage fündig. Die Gelegenheit zum Ausstellungsbesuch im Kulturbahnhof bietet sich noch bis zum 31. August. Ja und vielleicht gibt es im nächsten Jahr auch wieder eine kleine Radebeuler Buchmesse? Sollte dann Sylvia Graupner mit einem Stand vertreten sein, werde ich bestimmt nicht mehr so gedankenlos daran vorrübergehen.

Karin (Gerhardt) Baum

Editorial August 2023

Wie im vergangenen Jahr waren wir auch 2023 zum Rudolstadtfestival am ersten Juliwochenende.

Auch diesmal standen über hundert Künstlergruppen im Programm. Da war die Auswahl schwer.

Ein Konzertpunkt war das Mandolinenorchester „Wanderlust 1919“ Rudolstadt e.V. auf der Großen Bühne auf dem Markt. Im neuen Programm „Die Zukunft der Tradition“, interpretierte es alte und neue Kompositionen aus aller Welt mit viel Gespür für die jeweiligen Eigenheiten. Die zahlreichen Zuschauer jubelten. Ich wurde an unsere Mandolinengruppe erinnert, die in meiner Schulzeit und danach, in Naundorf existierte, angeleitet von unserer Musik- und Klassenlehrerin, Frau Ilse Sommer. Sie hatte es vermocht, Schülerinnen und Schüler für Mandoline und Mandola zu begeistern, so dass zu vielen Feiern dieses kleine Orchester meistens Volkslieder und Lieder aus dem Erzgebirge spielte. Ich gehörte zwar nicht zur „Mandogruppe“, meine Parts waren Ansagen und Rezitationen. Nicht fehlen durfte bei den Mandolinen der „Zug der Wandervögel“. Auf diesen wartete ich beim Festival leider vergeblich, obwohl Insider aus dem Fan-Publikum sich sicher waren, er kommt immer zum Schluss. Nein, diesmal war eine griechische Komposition die Zugabe.

Es war großartig! Sicher geprägt aus der Schulzeit, fesselt mich der Klang der Mandolinen bis heute, und nicht nur mich! Die Mitglieder des Mandolinenorchesters sind übrigens im Alter von 9 bis 96 Jahren. Von diesem Altersspektrum träumt so mancher Verein in Radebeul.

Die Mandoline ist Instrument des Jahres 2023. Verwundert hat mich im Beitrag „Die Mandoline ist noch da“ von Katrin Mädler in der SZ vom 8./9.4.23 die Aussage von Brunhilde Jacob, einer Mandolinenbauerin: „Aber in der DDR assoziierten wohl einige das Instrument zu sehr mit dem süddeutschen Raum und dem Ausland. Die Verbreitung wurde aus politischen Gründen nicht gefördert. Und es ließ sich schlecht marschieren zur Mandoline.“

Vielleicht war das Instrument einfach eine Zeit lang nur „nicht so in“, die Gitarre machte das Rennen…

Ilona Rau

Radebeuler Miniaturen

1623 – 2023: 400 Jahre Haus Möbius

VII:

Haus und Gemeinde

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts zeigte sich die Niedere Lößnitz (wie die Obere auch), wie Goethe 1813 notierte „… über alle Begriffe cultiviret und mit Häusern bebaut …“. Freilich war das Bild, das sich ihm bot, mit dem heutigen nicht zu vergleichen. Goethe war auf der Poststraße unterwegs gewesen, die seit 1785 am Fuße der Hochterrasse verlief, dort also, wo heute die Straßenbahn fährt. Er blickte auf Hänge voller Weingärten. Der Eindruck mag ähnlich dem gewesen sein, der sich heute im Saaletal Bahnreisenden in der Nähe von Naumburg bietet. (Was der Dichter schriebe, könnte der die Meißner Straße heute erleben, male ich mir lieber nicht aus.) Damals konnte er sehen, wie sich an der Hausgasse größere und kleinere Weingüter, freilich in sicherem Abstand zueinander, aufreihten, wie Perlen auf einer Schnur. Ihre Besitzer fühlten sich, so wird erzählt, den Gemeinden, auf deren Fluren sie lagen, nicht so recht zugehörig. So schlossen sie sich 1832 zum „Niederlößnitzer Weinbergsverein“ zusammen. Zu den Erstunterzeichnern der Gründungsurkunde und zu den ersten Vorständen zählte ein Johann Gottlob Götze aus Zitzschewig. Und es war just dessen Bruder Johann David Götze, der im gleichen Jahr den Weinberg an der Hausgasse mit Haus, Weinpresse und Gewölbekeller erwarb.

Ich halte inne, fülle die Gläser neu und trinke einen Schluck.
Nur ganz am Rande, sage ich dann, sozusagen außerhalb des Protokolls, darf ich anmerken, daß jener Götze, später selbst auch „Repräsentant von Niederlößnitz“ genannt, nachher der Urgroßvater meiner Großmutter wurde.
Nun trinkt Ulrike – trinkt und staunt.
Laut einer – leider etwas lückenhaften – Familienchronik hat er auch irgendwann die Sängerhöhe besessen. Es gibt keine Jahreszahlen dazu, sicher war es lange bevor die Sänger dort in die Wirtschaft zogen. Ich bedaure sehr, diese legendäre Einkehr nicht mehr persönlich erlebt zu haben. Bei aller Wertschätzung für die Gastlichkeit in Altkötzschenbroda (auch wenn ich in einem Leben nicht alle Wirtschaften besuchen kann, möchte ich keine missen), bei aller Freude über die herrlichen Besenwirtschaften am Hang – Friedensburg und Sängerhöhe gehören zu den größten Verlusten an Lößnitzer Gastlichkeit. Und das hat nichts mit lustig zu tun.
Gut. Ich nehme noch einen Schluck, einen großen, und denke weiter.

Dann geht nämlich alles sehr schnell.
1839 fährt die Eisenbahn durch die Lößnitz. Seit 1844 halten Züge auch in Kötzschenbroda und bringen die Welt ins Dorf. (Daß inzwischen nur noch Vorortzüge hier halten, wird schon wieder als Verlust empfunden, als wolle der Wahnsinn ohne uns weitergallopieren. Gleichzeitig lassen wir das einst so prächtige Bahnhofsgebäude – wohl in der Hoffnung, der Denkmalschutz erledige sich von selbst – in aller Öffentlichkeit vor sich hin gammeln).
Jedenfalls kam mit der Bahn die Welt ins Dorf. Sie setzte jene rasanten Veränderungen in Gang, die wir bis heute Aufschwung nennen.
Götze hat das Grundstück an der Hausgasse – sehr zum Ärger der Familie – nicht einem Sohn, dem es „eigentlich“ zugestanden hätte, sondern einer Tochter, einer verheirateten Schertz, vermacht. Infolge des mit dem „Aufschwung“ verbundenen Bebauungsdruckes, dem die „Reblauskatastrophe“ deutlich in die Karten spielte, wurde die Niederlößnitz (seit 1844 eigene Gemeinde) zunehmend parzelliert.
Ernst Ludwig Schertz, seit 1854 als Besitzer registriert, ließ 1858 das Nebenhaus errichten (heute Horst-Viedt-Str. 13). Sein Nachfolger Julius Schertz besaß 1897 „nur noch das Teilstück mit den Gebäuden“.
Seit 1931 ist die Witwe Münch, geb. Schertz, in Gauernitz als Besitzerin verzeichnet.
Vermutlich von ihr hat es Alfred Möbius, der moderne Namensgeber, 1938 erworben. Als seiner Frau und ihm nach knapp vierzig Jahren die Kräfte schwanden, hat er es gegen ein lebenslanges Wohnrecht bei 10 Mark Mietnachlaß pro Monat an die Stadt abgegeben.
Nach 1990 konnten es seine Erben zurückgewinnen.
Die Grafik von Johannes Thaut aus dem Jahr 1979 zeigt die Ansicht von der Winzerstraße.
Thomas Gerlach

Mit den Texten der brachialromantischen Hausapotheker Dieter Beckert und Jürgen B. Wolff durchs Jahr


 

Zum Titelbild Juli 2023

Gohliser Windmühle, Windmühlenweg 17, DD

Hier sprengen wir in unserer Titelbildreihe den Radebeuler Rahmen und betreten Dresdner Gebiet, wenn es auch nur ein paar Meter sind. Im Januar 2015 war die Gohliser Windmühle schon mal Titelbild von V&R gewesen. Die Holländermühle von 1832 ist ein Kulturdenkmal und sah einige wechselvolle Jahre durch Überschwemmungen, Stürme und Leerstand und Vandalismus, sie wurde aber immer wieder, wie 1954 und um 1990 nach dem Vorbild von 1832 aufgebaut, bzw. komplettiert.

Foto: D. Lohse

Insofern kann ich hier keine wesentlichen Unterschiede zwischen einem grafischen Blatt von 1965 und einem aktuellen Foto erkennen. Die Bleistiftzeichnung stammt von dem Dresdner Lehrer Hartmut Klitzsch, der u.a. in der Gohliser Schule Kunsterziehung unterrichtet hatte. Er war Autodidakt und ein begabter Freizeitkünstler. Außer ihm wählten viele, auch gestandene Künstler dieses Motiv – so auch Robert Sterl, Herrmann Glöckner und die Radebeuler Künstler Günter Schmitz und Gunter Herrmann.

Dietrich Lohse

 

Geträumte Glosse

Wünsch dir was!

Für die einen ist Radebeul eine „Traumstadt“, für die anderen eher eine „Schlafstadt“. So dicht liegen die Einschätzungen beieinander und meinen doch ganz Gegensätzliches.
Ja, ich gebe es gern zu, in den 1970er Jahre träumte ich davon, einmal Bürger von Radebeul zu werden. Die Lößnitzstadt mit ihren Gärten, den Weinbergen, der Elbe und dem milden Klima, seiner Kultur und der Nähe zu Dresden wirkte wie das Paradies auf Erden. Dieser Mythos zieht noch immer die Menschen an, wenngleich mit anderem Hintergrund. Heute muss man sich Radebeul leisten können! Damals hatte man hier die gleiche Miete für eine Wohnung zu zahlen, wie in jeder x-beliebigen anderen Stadt der DDR. Jetzt liegen hier die Mieten um ca. 20 Prozent höher als im sächsischen Durchschnitt und für ein Haus zahlt man gar über das Doppelte des Üblichen. Auch ein Grund warum seit 1990 ein so großer Bevölkerungsaustausch von statten gegangen ist. Sei‘s drum. Träumen wird man wohl mal können.
Aber nicht bei allen Zugereisten gehen die Träume in Erfüllung. Und so schimpfte unlängst ein aus einem kleinen westdeutschen Ort zugezogener Bürger über die „laute Stadt“ und hatte tatsächlich nach einem halben Jahr seine Koffer wieder gepackt. Aus dem einst verträumten Anger in Altkötzschenbroda ist eine Kneipenmeile mit 20 (!) gastronomischen Einrichtungen und einigen speziellen Läden geworden. In die Funktionsgebäude der einstigen Dreiseithöfe zogen Neu- und Altbürger ein und sind nicht in jedem Fall glücklich über ihre Entscheidung geworden. Zur Rushhour will dort der Autostrom nicht abreißen und so manche Grundstücksausfahrt ist zum Ärger der Anwohner zugeparkt. Auch hoffe ich, dass die Abgeordneten bei ihrer Entscheidung bezüglich des Serkowitzer Gasthofes einen klaren Kopf behalten und der Stadt nicht ein weiterer kultureller Verlust droht. Die Zeiten ändern sich, dem sollte man Rechnung tragen.
Als es mich nach Radebeul verschlug, hatte ich meine diesbezüglichen Träume längst vergessen. Die Gründe waren eher pragmatischer Natur. Meine romantisierende Auffassung von der Stadt ist einem sachlichen Blick gewichen, da ich bereits einige Jahre an Lebenserfahrungen hinter mich gebracht hatte. Eine schöne Umgebung ist wünschenswert, aber Romantik allein reicht fürs tägliche Leben nicht aus. Erst neulich bin ich an einem Sonntag durch die menschenleeren Straßen des nachmittäglich-abendlichen Radebeul geschlendert. Trotz schöner Gärten und Häuser wirkte die Stadt verlassen. Selbst der Anger bot einen traurigen Anblick, da das Wetter unfreundlich war.
Als sich mein Zuhause einst in einem wirklich schönen Wald befand, habe ich ein Gespür entwickelt, was es braucht, wenn viele Menschen an einem Ort wohnen. Nun will ich jetzt nicht wieder das Gejammer anstimmen, was die Radebeuler in den letzten 30 Jahren alles verloren haben. Sie haben zweifelsohne auch eine Menge dazugewonnen. Und egal wie man dazu steht, auch der sanierte Anger gehört auf die Habenseite. Aber gleichwohl, wie die Erfahrung aus eben jenem Wald lehrt, ist die Sache mitunter komplexer. Was ist denn nun aus der sogenannten „Kulturellen Mitte“ geworden? In wenigen Tagen zieht dort wieder die absolute Tristesse ein, nämlich dann, wenn die Landesbühnen, wie alle Jahre, nach Rathen „auswandern“, mal abgesehen davon, dass ein einzelner Anbieter nicht eine „Kulturelle Mitte“ sein kann. Und hätte man das ehemalige Schulgebäude zwischen Theater und Gymnasium nicht für eine Blümchenwiese abgerissen, bräuchte sich die Stadtverwaltung heute nicht den Kopf zerbrechen, wo das Stadtarchiv und die Kunstsammlung unterzubringen seien, wenn im kommenden Jahr am Wasapark eventuell mit Verkleinerung und Umbau des Gebäudekomplexes begonnen wird. Für das Archiv soll gar ein vorübergehender Standort im Überelbischen gefunden worden sein. Das alles mutet freilich reichlich konzeptionslos oder bestenfalls kleinkrämerisch an.
Meist hat man im Märchen drei Wünsche frei. Und das Schöne daran ist, am Ende gehen sie in der Regel in Erfüllung – nicht immer alle, aber mindestens einer. Mein letzter Wunsch wäre, dass Radebeul nun endlich eine Kulturkonzeption erhält, damit für die kulturelle Entwicklung der Stadt ein planbares Instrument zur Verfügung steht. Es wird auch höchste Zeit, denn seit sieben Jahren warten die Radebeuler Bürger darauf, meint
Euer Motzi.

 

Historisches Typenprojekt – hier ein Moritzburger Beispiel

Aus der jüngeren Vergangenheit ist den Älteren unter uns vielleicht noch das Kürzel EW 65 bekannt, das stand für ein 1965 projektiertes und früher oft gebautes Einfamilienhaus. Das nannte man im DDR-Sprachgebrauch Typenprojekt. Die Baumeister Gebr. Ziller verfuhren seinerzeit ähnlich, sie bauten schon mal ein Haus mit bewährtem Grund- und Aufriss mehrmals. So sparte man Projektierungskosten und steigerte den Gewinn. Betrachten kann man so ein Zillersches Typenprojekt z.B. bei den zwischen 1878-80 erbauten Häusern Eduard-Bilz-Straße 31, 33 und 35.

Jetzt will ich aber zu dem Moritzburger Beispiel überleiten. Es ist in der Schlossallee genannten Straße zu finden und geht ins 18. Jahrhundert zurück. Im Zusammenhang mit dem Umbau des Jagdschlosses von 1723/ 24 regte König Friedrich August II (bekannter als August der Starke 1670-1733) ab 1725 an, nun auch eine neue, auf das Schloss zuführende Straße zu errichten. Die alte Straße wand sich durch das Dorf Eisenberg, eine unbefestigte Dorfstraße eben, und war für August den Starken wenig attraktiv. Es dauerte noch eine Zeit bis 1732 die Idee einer Allee ganz umgesetzt war. Seine Gäste, manchmal auch Staatsbesuche, sollten auf einer schnurgeraden (etwa ab Sonnenland), zweieinhalb Kilometer langen Straße heranrollen, das Schloss sollte schon auf Entfernung zu erkennen sein und größer werden, je näher man kam. So wurden die Gäste auf das Schloss eingestimmt und konnten diese Pracht erleben. An der neuen Straße entstanden Häuser für Beamte und Handwerker, die aber nicht vom Blick auf das Schloss ablenken durften. Um den Effekt zu erreichen, glaubte man mit einheitlichen barocken Häusern den Blick auf das königliche Jagdschloss stärker konzentrieren zu können als mit verschiedenartigen Haustypen; so war hier das vielleicht erste Typenprojekt geboren! Die Allee querte Felder und Wiesen und hatte vor 1725 nahezu keine Bebauung. Ziel war ein barockes Ensemble mit dem Schloss im Mittelpunkt – entsprechend dem Herrscherausspruch „der Staat bin ich“ aus Frankreich – und flankierenden barocken Häusern an der neuen Straße. Die auf königliches Geheiß begonnene Straßenbebauung war eine städteplanerische Aufgabe und muss ab 1725 nach der Schlosserweiterung erfolgt sein und da der Hofarchitekt Matthäus Daniel Pöppelmann wesentlich am Schloss gewirkt hatte, dürfte auch der Entwurf der Alleehäuser ihm zuzuschreiben sein. Auf einer historischen Landkarte, die eine Aussage zur älteren Form und Größe der Teiche ums Schloss zum Hauptthema hatte, erkannte ich fünf gleich große, quadratische Häuser, die erste Gruppe der Typenprojekte.

Schlossallee 11 Foto D. Lohse

Schlossallee 24, Foto D. Lohse

Schlossallee 5, Foto D. Lohse

Die fünf Häuser der ersten Baustufe können den heutigen Adressen Schlossallee 4, 5, 11, 17 und 24 zugeordnet werden. Schlossallee 20, die Apotheke, kann ich, anders als Dr. Andreas Timmler und die Gruppe Ortschronik Moritzburg,

Schlossallee 17, Foto D. Lohse

den Typenhäusern nicht zuordnen. Es handelt sich zwar auch um ein Haus aus dem 18. Jh., jedoch mit anderem Grundriss, keinem Zeltdach und taucht nicht auf dem o.g. Lageplan auf. Offenbar plante man die neue Bebauung nur in dem Abschnitt vom Schlossteich bis zur Kreuzung der Schlossallee mit dem Roßmarkt. Sicherlich hätte August II vorgehabt, diese Bebauung der Allee mit weiteren barocken Typenhäusern noch zu verdichten. Baulücken dafür hätte es ja gegeben. Aber eine 2. Baustufe kam zu Lebzeiten des Königs, er starb 1733, nicht zustande. Warum sein Sohn Friedrich August III, ebenfalls König von Polen und Kurfürst von Sachsen, das Projekt der begonnenen Straßenbebauung mit einheitlichen barocken Häusern nicht fortsetzte, ist mir im Einzelnen nicht bekannt. Man wird wohl nicht fehl gehen, wenn man da zuerst ans fehlende Geld als Grund denkt. Die barocke städtebauliche Idee wurde also nie vollendet, der angedachte Effekt kam hier nicht zum Tragen und ist heute mit den drei original erhalten gebliebenen Typenhäusern und demgegenüber vielen anderen, in drei Jahrhunderten gebauten Häusern kaum noch zu erahnen.
Da der erste Eindruck der entstandenen fünf Typenprojekthäuser – am besten am Haus Schlossallee 5 abzulesen – mit Länge, Breite (ca. 10 x 11m) und Höhe fast gleich waren, könnte man an einen Würfel denken. Insofern möchte ich sie fortan als Würfelhäuser bezeichnen. Was fällt uns an den Würfelhäusern an wiederkehrenden Merkmalen auf? Das zu erkennen ist nicht so leicht, weil die noch verbliebenen Häuser sich über eine Standzeit von fast 300 Jahren natürlich jedes Einzelne anders entwickelt hat. Denkmalschutz für die barocken Würfelhäuser bestand wohl erst seit Mitte des 20. Jh.! Die Hauptmaße Länge, Breite und Höhe sind fast übereinstimmend, sie sind zweigeschossig mit 5 Achsen nach der Straße zu, die mittlere Achse als Eingang, 3 bzw. 2 Achsen nach den Seiten, massive Bauweise (Naturstein / Ziegel, verputzt) kann erkannt werden mit Ausnahme der Schlossallee 24, wo beim Abbruch überraschend Fachwerk im OG zutage trat, darauf ein hohes Zeltdach (Sonderform eines Walmdachs) mit roten Biberschwanzziegeln gedeckt, ob auf allen Dächern Gaupen vorgesehen, bzw. realisiert wurden, muss offen bleiben, im Einzelfall erkennen wir Satteldach- oder Fledermausgaupen, original mittiger Schornstein im Zeltdach, wo der inzwischen fehlt, Abplattung der Spitze, bzw. Verblechung, zur Farbigkeit der Fassaden ist zu sagen, dass ursprünglich im Barock übliche Farben anzunehmen sind, ocker, hellgrau weiß, wie in der Schlossallee 5 wieder zu sehen. Fassaden der Würfelhäuser in grün, rosa oder grau dürften eher Sanierungsmaßnahmen der Neuzeit geschuldet sein. Die Grundrisse und die Raumaufteilung müssen trotz Typenprojekt nicht unbedingt identisch gewesen sein, unterschiedliche Erstbewohner könnten da durchaus individuelle Wünsche eingebracht haben. Ob es von Anfang an schon Anbauten gab – z.B. einen eingeschossigen Wirtschaftsanbau auf der straßenabgewandten Seite mit Satteldach – kann ich nur vermuten. Inzwischen kamen aber z.T. weitere Anbauten dazu wie bei Schlossallee 11 und 24.
Für die Zukunft der drei original erhaltenen Würfelhäuser wäre zu wünschen, dass bei Reparaturen und Werterhaltungsmaßnahmen schrittweise der barocke Charakter (Vorbild Schlossallee 5) wieder erreicht würde.

Übersicht zu den ursprünglich fünf barocken Würfelhäusern:
Schlossstraße 4, heute die Stephanus-Buchhandlung, nach dem älterem Lageplan müsste hier, gegenüber dem „Dreispitz“ eines der Würfelhäuser gestanden haben, ob dieses in das jetzige Haus integriert oder im 19. Jh. abgerissen wurde, wäre nur durch eine innere Untersuchung des Gebäudes zu klären, äußerlich gibt es keinerlei Anzeichen.
Schlosssraße 5, aktuell Gaststätte „Zum Dreispitz“, es ist das am besten erhaltene, bzw. am besten sanierte Würfelhaus, rote Biberschwanzziegel, Putzfarbe hellgelb.
Schlossstraße 11, hier ist seit Jahrzehnten die Gaststätte „Zum Forsthaus“, Fassadengestaltung historisierend, aber kaum barock, dazu Anbauten und Hofbebauung, rote Biberschwanzziegel, grünliche Fassade.
Schlossstraße 17, Wohnhaus mit Optikerladen, Sanierung wohl noch vor 1990 erfolgt, Pappschindeldach, rötliche Fassaden, denkmalpflegerische Überarbeitung wünschenswert.
Schlossstraße 24, heute Gaststätte „Goldene Brezel“, 1995 Abriss trotz Denkmalschutz der alten
Brezel (ein Foto während des Abrisses zeigt Fachwerk im OG), jetzt keine originale Substanz des Würfelhauses mehr da, der Neubau ist eine schlechte Kopie, diverse neue Anbauten, rote Biberschwanzziegel, gelbe Fassaden.

An diese barocken Würfelhäuser hat sich der bekannte Dresdner Architekt Peter Kulka erinnert, als er in den neunziger Jahren den Auftrag erhielt, für das „Haus des Gastes“ in Moritzburg einen Entwurf zu erarbeiten. Das Haus Schlossallee 3b wurde, wie nicht anders zu erwarten, modern entwickelt aber es zeigt doch in Ansätzen die Kubatur der alten Würfelhäuser. Das „Haus des Gastes“ ist aber eine viel bessere, eigenständige architektonische Qualität als der krampfhaft nachgeahmte Neubau der „Brezel“, der jenseits von Denkmalpflege und auch neuer Architektur ist.
Ich grüße die Freunde der Gruppe Ortschronik Moritzburg, die mir mit ihrem Artikel „Zeugnisse namhafter Architekten in Moritzburg“ und Erwähnung der Würfelhäuser, eine Steilvorlage gegeben hatten. Aber abgeschrieben habe ich nicht.

______________________________

Dietrich Lohse

Literatur: 1. „Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler des Königreichs Sachsen“,
Cornelius Gurlitt, Verlag C.C. Meinhold u. Söhne, 1904
2. „Ortschronik Eisenberg-Moritzburg“, H. Neumeister / Dr. A. Timmler, Moritzburg-Information u.
Kulturbund, 1986/88
3. „Moritzburg, Schloß und Umgebung in Geschichte und Gegenwart“, Hans-Günther Hartmann,
Hermann Böhlaus Nachfolger Weimar, 1989
4. „Kulturlandschaft Moritzburg“, Prof. Gerhard Glaser, Sandsteinverl. Dresden, 2010
5. Vorschau & Rückblick Radebeul, Heft 12. 2022, S. 10-13, Gruppe Ortschronik Moritzburg

 

 

Copyright © 2007-2025 Vorschau und Rückblick. Alle Rechte vorbehalten.