Versuch einer Glosse

Das Dilemma

Als ich noch einen richtigen Job hatte – was schreib ich – noch Unternehmer war, hatte sich einmal eine fesche, junge Frau um eine Stelle in meiner Gesellschaft beworben. Die hatte – also die Frau –, wie man unterm Volk so sagt, die Gusche auf dem rechten Fleck. Meine Zweifel, ob sie denn den Herausforderungen der Tätigkeit auch gewachsen sei, konterte sie mit der etwas nassforschen Bemerkung, dass sie genug „bunte Knete im Kopf“ habe. Eigenständige Ideen zu entwickeln aber war geradezu die Voraussetzung für diesen Arbeitsplatz. Ich stellte sie ein und hatte viel Freude an der jungen Frau, auch wenn sie mich nach einiger Zeit wieder verlassen hatte, um sich größeren Aufgaben zuzuwenden.

Aber „bunte Knete“ wird von den meisten Chefs nicht gern gesehen. Offenbart sie doch einerseits die eigenen Schwächen und andererseits verlangt sie eine große Flexibilität des Unternehmens und dessen Leitungen. Und da stecken die Chefs in einem großen Dilemma.

Wenn er Leute mit „bunter Knete“ für sein Unternehmen nutzbringend einsetzen will, muss er sie gewissermaßen „kontrolliert“ frei laufen lassen und offen für jeden neuen Gedanken sein. Das aber ist mit den meisten Chefs nicht zu machen. Warum nicht? Weil sie dann eben nicht Chefs wären. Chef ist man, weil man ein Alpha-Tier ist oder sich dafür hält. Und welches Alpha-Tier lässt sich schon gern in den Schatten stellen?! So ein Exemplar habe ich noch nicht gesehen. Chefs sind ein Leben lang Chefs, auch wenn sie längst keine Chefs mehr sind, also aus der Firma ausgeschieden sind. Aufpassen aber müssen sie dann allerdings, dass sie sich mit ihrem Gehabe nicht lächerlich machen und dem Umfeld nicht auf den Wecker gehen. Ein schwieriges Unterfangen, was nur den wenigsten gelingt.

Aber nichts für ungut, es gibt natürlich auch richtig gute Chefs, die nicht gleich bei jeder Gelegenheit eine hochroten Kopf bekommen, Mitarbeiter feuern und glauben, dass ohne ihr Eingreifen der Laden an keiner Stelle richtig läuft. Wer Dienstbesprechungen nur zum „Abwatschen“ nutzt und keinen freien Meinungsaustausch zulässt, verschenkt die Potenzen seiner Mitarbeiter und schadet letztendlich dem Unternehmen.

Nun muss jetzt der Leser nicht glauben, der Motzi hätte die Fronten gewechselt, auch wenn ich nicht ganz verleugnen kann, dass ich auf beiden Seiten der Barrikade so meine Erfahrungen sammeln konnte. Das schult auf alle Fälle fürs Leben. Aber mal ehrlich, diese Binsenweisheiten gelten doch nicht bloß für Chefs. Der Mensch ist nun mal ein Herdentier, und wo eine Herde ist, da ist auch ein Leitbulle oder eben eine Leitkuh. Das hat halt die Natur so eingerichtet. Ich muss ja jetzt nicht verraten, wer bei mir zu Hause das Sagen hat. Nur bei den Schafen hat das nicht geklappt. Deshalb rennen sie eben wie eine Hammelherde durcheinander, wenn der Wolf durch den Zaun guckt. Aber was habe ich davon, wenn ich meine Mitarbeiter „gefressen“ habe? Die Folge kann doch nur „Dienst nach Vorschrift“ sein und die „bunte Knete“, wenn vorhanden, bleibt dann eben zu Hause.

Sicher, meistens ist Arbeit Brotjob. Aber wenn ich Tag ein, Tag aus mit einer stink Laune meinen Arbeitsplatz aufsuche, steigert das ja auch nicht gerade meine Arbeitswut. Die braucht es aber, damit der Chef und ich etwas davon haben. Denn diese „stink Laune“ macht mich ja kaputt. Und wenn ich kann, bin ich schneller weg, als der Chef denken kann. Ist aber fürs Unternehmen auch keine Lösung, denn mittlerweile sind die Arbeitskräfte rar geworden, auch weil die Chefs gedacht haben, dass davon genug auf der Straße liegen.

Jeder Chef ist somit gut beraten, wenn er auch mal mit seinen Mitarbeitern ein Bier trinken geht oder einfach nur zuhört, was sie so bewegt. Allein Parkplätze für sie bauen oder gelegentlich ein warmer Händedruck, das reicht eben nicht aus. Damit die Wertschätzung des Personals nicht zur bloßen Wortfloskel verkommt, ist mehr nötig, als eine verkorkste Rundmail zum Jahresende. Deshalb wäre mehr Achtung vor den Lebensleistungen der Mitarbeiter und ein kollegiales Miteinander wünschenswert, meint

Euer Motzi

Kunst am Bau –

dargestellt am Beispiel der Sparkasse Kötzschenbroda

 

Foto D. Lohse

Der Begriff „Kunst am Bau“ war ein Schlagwort im Bauwesen der DDR. Er bezog sich vor allem auf öffentliche Bauten wie Kulturhäuser, Rathäuser, Schulen, Bibliotheken und Studentenwohnheime, seltener auf Wohnhäuser. Zu der Zeit war der Fassadenschmuck fast schon ein Politikum und wurde den Architekten mit einer Prozentzahl der Gesamtbausumme (2%, ab 1982 0,5%) vorgegeben. Dadurch wurde aber Künstlern und Spezialisten wie Bildhauern, Putzgestaltern, Stuckateuren, Malern und Glasgestaltern ein Arbeitsfeld geboten. Viele der so hervorgehobenen Beispiele, z.T. auch mit sozialistischer Aussage, wurden inzwischen als Kulturdenkmale – Bauzeugen einer bestimmten Zeit – eingetragen. Der Wunsch, einige Häuser mehr zu schmücken als andere, kann aber als zeitlos erkannt werden. Er trat vor 1945 und auch nach 1990 genauso auf.

Foto D. Lohse

Bei der Spar- und Girokasse in Kötzschenbroda, erbaut 1933/34, finden wir eine Reihe von künstlerischen Zutaten, die das Gebäude in Ecklage (Bahnhofstr. 20 / Herrmann-Ilgen-Str. 28) schmücken. Mir fällt aber kein anderes Gebäude in Radebeul mit zwei Adressen ein. Hier war der Schmuck selbstverständlich und nicht verordnet. Man wollte vielleicht, kurz vor dem letzten Zusammenschluss (1.1.1935) zur Stadt Radebeul, noch mal unterstreichen, dass Kötzschenbroda zu dem Zeitpunkt die größere der beiden Städte war. Die Entscheidung, die neue Stadt Radebeul zu nennen, fiel wohl, weil den Machthabern Kötzschenbroda zu sorbisch klang und deshalb angeblich nicht in die Zeit passte. Vielleicht hätte dieses neue Gebäude sogar das Rathaus von Radebeul werden können, wenn „die Würfel anders gefallen“ wären; einen Ratskeller und den Sitz von ein paar städtischen Gremien hatte es ja schon. Hatte die Gemeinde Kötzschenbroda vorher eigentlich ein Rathaus? Oder wurden im Rathaus Niederlößnitz auch Kötzschenbrodaer Belange mit beschieden?

Foto D. Lohse

Das von den Gebr. Kießling 1933 entworfene, viergeschossige Sparkassengebäude erreicht durch die Lage an einer Straßenkreuzung eine dominante städtebauliche Wirkung, die noch durch die eingezogene Ecke mit Haupteingang und einem niedrigen, zinkgedeckten Turm hervorgehoben wird. Die Dächer sind mit roten Biberschwanzziegeln gedeckte Walmdächer und haben als horizontale Gliederung eine zusätzliche Dachkante aus Zinkblech in Höhe des Fußbodens der vierten Etage. Über einem Haussockel aus Sandstein erheben sich traditionell mit Ziegeln aufgemauerte und verputzte Wände. Die Gebäudeflügel bilden einen Innenhof; der Flügel an der Bahnhofstraße ist der längere, der Ratskellerflügel ist der etwas kürzere. Die Bauzeit betrug nur knapp zwei Jahre. Die Hauptnutzung als Sparkasse blieb über die knapp 90 Jahre bestehen. Gruß und Dank an Frau Novotny, der Leiterin der heutigen Einrichtung – nach längerer Bedenkzeit durfte ich die Innenaufnahmen (Farbglasfenster) dann machen.

Foto D. Lohse

Ein Künstler, der Bildhauer Burkhart Ebe (1891-1949), sh. auch V+R 02/94, war hier stark eingebunden. Er fand in der Zeit nach 1933 ein reiches Betätigungsfeld, allerdings haben seine Arbeiten an der Sparkasse die Zeiten überleben können, weil sie hier eher volkstümlich-erzählerisch, denn politisch erscheinen. Von seiner Hand stammen die vier Halbreliefs an den Mauerschäften zwischen den Ratskellerfenstern im EG. Sie wurden in Kunststein, eine Art besserer Beton, vergleichbar mit der Ebe-Arbeit bei der Hoflößnitz, gefertigt. Die Reliefs mit Figuren wie Musikant oder Nachtwächter sind gut erhalten, die westlichste Arbeit ist signiert. In gleicher Technik fertigte er an der Ecke zur Bahnhofstraße das schöne Kötzschenbrodaer Wappen unter einer Konsole. Die Vermutung, dass auf der Konsole früher etwas gestanden hätte, eine Vase, eine Figur oder etwas ähnliches, kann ich nicht bestätigen – auch auf älteren Fotos ist die Konsole leer. Eine Arbeit Ebes wohl in Holz ist die Supraporte über der ehem. Tür zum Ratskeller (ein Nest zwischen Weintrauben, ein Vogel die Jungen fütternd). Sie liegt etwas versteckt im Schatten. Ob Burkhart Ebe die Entwürfe für die drei bildhaften, nicht signierten Farbglasfenster abgeliefert hat, ist denkbar, lässt sich aber bisher nicht beweisen, auch nicht, welcher Handwerker sie seinerzeit gefertigt hat. Es sind Zecher- und Kochmotive, die gut zu einer Gaststätte passen. Derartige bäuerlich-historische Zechgruppen als Bleiglasfenster innerhalb eines größeren Glasfensters hatte seit 1910 die Münchner Firma F. X. Zettler vielfach und über längere Zeit gefertigt und deutschlandweit vertrieben. Zu erwähnen wären noch kunsthandwerkliche Metallarbeiten an Fenstern und Türen im EG, dem Stil nach Art-Deco-Arbeiten, auch hierfür gibt es leider keinen Nachweis, wer’s gemacht hat.

Foto D. Lohse

Die feierliche Eröffnung fand laut Kötzschenbrodaer Generalanzeiger am 12. Dezember 1934 nach nur reichlich einem Jahr Bauzeit statt. Hauptredner war der Kötzschenbrodaer Bürgermeister Dr. Brunner (NSDAP), der neben politischen Phrasen feststellte, dass das neue Haus im „Lößnitzer Barock“ gestaltet worden sei und dass er stolz sei, außer der Sparkasse auch eine größere Zahl Wohnungen in dem Gebäude anbieten kann. Dem o.g. Barock kann ich mich nicht anschließen, ich sehe eher einen Nachklang zum bereits abgeschlossenen Bauhausstil und Art-Deco. Dagegen war die zweite Rede an dem Tage von Architekt Edmund Kießling wesentlich sachlicher, er nannte die am Bau beteiligten: Baumeister Moritz Alfred Große, Architekt Wolf, die Baumeister Wachter und Jörissen sowie den Künstler Ebe.
Schauen Sie beim nächsten Einkauf oder Spaziergang in der Bahnhofstraße einmal aufmerksamer das Gebäude der Sparkasse an und entdecken Sie die Kunst am Bau!

Ein gelungener Entwurf, der durch künstlerische Zutaten noch in der Wirkung gesteigert wurde, eben durch „Kunst am Bau“!

Dietrich Lohse

Eine stimm(-ungs-)volle Adventszeit

Die hatte der Lößnitzchor Radebeul nach zwei Jahren coronabedingter Pause im Jahr 2022 wieder.

Los ging es bereits am 26.11., dem Samstag vor dem 1. Advent. An diesem Tag fand das Adventskonzert des Chores in der Emmauskirche in Dresden-Kaditz statt, begleitet von Frau Pfarrerin Merkel-Manzer. Alle Sänger und Sängerinnen freuten sich darauf, endlich wieder in der Kirche auftreten und präsentieren zu können, was seit Anfang Oktober intensiv geprobt worden war. Es wurde ein wunderschönes Konzert, geleitet und teils instrumental unterstützt vom Chorleiter Eric Weisheit. Das Programm bot eine bunte Mischung aus traditionellen und modernen, bekannteren und nicht so bekannten, deutschen und fremdsprachlichen Advents- und Weihnachtsliedern. Auch das kleine Ensemble des Chores, die Gruppe „fEinklang“ zeigte ihr Können.

Weihnachtslieder-Singen des Ostsächsischen Chorverbands
in der Dresdner Kreuzkirche
Bild: D. Beckert


Das Publikum war sehr zahlreich erschienen, die Kirche fast bis auf den letzten Platz gefüllt. Einige Zuhörer und Zuhörerinnen mussten daher auf die Empore ausweichen. Doch weder das noch die niedrigen Temperaturen draußen hatten einen Einfluss auf die Stimmung in der Kirche. Das Publikum lauschte andächtig dem Chorgesang, welcher teilweise von Orgel oder Klavier begleitet wurde, und konnte den Applaus nur mühsam zurückhalten. Umso länger fiel dieser dann nach etwa eineinhalb Stunden zum Ende des Konzertes aus. Beim Verlassen der Kirche sah man rundherum nur in glückliche und zufriedene Gesichter, sowohl bei allen Beteiligten als auch beim Publikum. Dieses Konzert war ein sehr stimmungsvoller Auftakt für die Adventszeit.

Eine Woche später, am 3.12., nahm der Lößnitzchor am Weihnachtslieder-Singen des Ostsächsischen Chorverbands teil. Dieses fand in der Kreuzkirche in Dresden statt. Jeder der insgesamt sieben teilnehmenden Chöre konnte in jeweils 25 Minuten eine Auswahl aus seinem Repertoire zeigen. Während andere Chöre mit ihrer Aufstellung die Akustik der Kreuzkirche nicht voll ausnutzen konnten, gelang das dem Lößnitzchor sehr gut. Den Chor begleitende Familienmitglieder und Freunde bescheinigten diesem einen tollen Klang und eine sehr gute Liedauswahl, welche bei einigen – laut eigener Aussage – eine feierliche Stimmung aufkommen ließ. Wenn auch sehr kurz und ohne Instrumentalbegleitung, so war auch dieser Auftritt unter der Leitung von Eric Weisheit ein voller Erfolg.

Adventskonzert in der Emmauskirche in Dresden-Kaditz
Bild: D. Beckert


Nach diesem stimmungsvollen Auftakt verlief der Rest der Weihnachtszeit sehr ruhig. Ein Auftritt in der Passage in Radebeul-Ost musste leider kurzfristig abgesagt werden. So hatte der Chor dann nur noch einen Auftritt im Seniorenwohnpark der Volkssolidarität auf der Thalheimstraße in Radebeul am 4. Advent. Wenn auch nach dem Außenauftritt sehr durchgefroren, waren doch alle Sängerinnen und Sänger glücklich über einen erneut gelungenen und stimmungsvollen Auftritt.

Der Lößnitzchor blickt nun, nach einer kurzen Pause zum Jahreswechsel, schon voller Vorfreude auf das nächste Highlight. Nachdem der Chor im letzten Jahr sein 35jähriges Bestehen feiern konnte, folgt nun in diesem Jahr das Konzert zum Jubiläum. Dieses findet am 15.04.2023 in der Lutherkirche in Radebeul statt. Auch dieser Auftritt wird mit Sicherheit wieder sehr stimm(-ungs-)voll.

Laura Hackeschmidt
Lößnitzchor e.V. Radebeul

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www.loessnitzchor.de

Editorial

Nach nunmehr fast drei Jahrzehnten der Tristesse scheint es in der Causa „Villa Kolbe“ nun endlich einen veritablen Lichtblick zu geben.
Der langjährige Rechtsstreit zwischen den Eigentümern und der Stadt Radebeul wurde nun zugunsten der Stadtverwaltung aufgegeben, sodass das inzwischen stark sanierungsbedürftige Gebäude einem Bieterverfahren zugeführt werden kann.
In der Tat hatte das Objekt schon seit langer Zeit unter der Rubrik lost places im Netz einen bemerkenswerten Kultstatus entwickelt, zählte doch einst die Villa nach dem Entwurf des Berliner Architekten Otto March und von den Baumeistern Gebrüder Ziller im Stil eines deutschen Renaissanceschlosses errichtet, zu den schönsten und prunkvollsten Häusern der Stadt.
Ab 1892 wohnte der Chemiker und Arzneimittelunternehmer Carl Kolbe hier, einige Eigentümerwechsel folgten, und über einem langen Zeitraum wurde die Villa als chirurgische Klinik genutzt.
In den Nachwendejahren führte der Leerstand dann zu all seinen unerfreulichen Folgen. Das verwaiste Haus lockte viele ungebetene Besucher, zum äußeren Verfall gesellte sich Vandalismus an der reichen und kostbaren Innenausstattung.
Schon bald wird sich vielleicht zeigen, welche Nutzung das einstige Kleinod mit dem stattlichen parkähnlichen Garten wieder erfahren kann.
Es bleibt zu hoffen, dass die bedeutsame historische Anlage zukünftig wieder der Öffentlichkeit erhalten bleibt. Ein Ärztehaus ist schon allein aus wirtschaftlichen Gründen gut vorstellbar.
Wünschenswert, wenngleich wohl zu träumerisch, wäre, wenn ein Teil der repräsentativen Räumlichkeiten erlesenen künstlerischen Formaten, ähnlich wie in der „Villa Teresa“ in Coswig, künftig einen würdigen Platz bieten könnten.

Sascha Graedtke

 

Zum Titelbild


Radebeul in historischen Ansichten

Weinbergstraße 10, Meínholdsches Turmhaus

Das Titelbild zeigt einen Ausschnitt aus einer Grafik von Johann Adolph Darnstedt um 1810. Die Anfänge des Weinguts sind schon zu Beginn des 17. Jh. nachweisbar. Der historische Name des Weinguts in der Überschrift bezieht sich auf den Dresdner Hofbuchdrucker und Verleger Carl Christian Meinhold (1740-1327), der 1792 den Weinberg in der Lößnitz mit dem Weingut erwarb. Danach gab es noch verschiedene weitere, hier nicht genannte Eigentümer. Als heutiger Name hat sich neben dem historischen der Namen Weingut Aust eingebürgert. Karl Friedrich Aust setzt die Arbeit zur Erhaltung des Weinguts und der Bewirtschaftung der Weinberge seiner Eltern Ulrich (1942-1992) und Elisabeth Aust fort. Er errichtete 2021/22 ein neues Kellereigebäude, da die alten Weinkeller inzwischen zu klein und zu eng geworden waren. Was für Veränderungen gab es seit Darnstedts bildlicher Darstellung von um 1810 noch? Da hatte der Turm noch zwei Abstufungen nach oben; 1844 taucht dann ein Bild auf mit nur noch einer Abstufung, der Turm war umgebaut worden. So zeigt sich der Turm mit Wetterfahne, einer vergoldeten Fortuna, noch heute. Östlich vom Weingut kam 1853 an Stelle des Nebengebäudes eine Villa in der Art der Schweizerhäuser (Arch. C.E. Johne) hinzu.
Dietrich Lohse

 

Mit Dieter Beckerts Gedichten und Geschichten durch das Jahr

Beckert – der Brachialromantiker

 

Der Mensch ist nicht gern allein. Wer Beckert sagt, muss in diesem Fall nicht nur Jürgen B. Wolff erwähnen, sondern mindestens auch Peter Till anfügen, der sicher nicht nur den Radebeulern als Duo „Herr Beckert & Vergissmeinnicht“ noch bekannt sein dürfte. Vielleicht erinnert sich der eine oder andere an ihren Auftritt zum Künstlerfest 2008 im Rahmen des Sommerprojektes „ArbeitsWelten“, veranstaltet von der Stadtgalerie Radebeul. Aber auch Solo ist Peter Till mit seinem „Universal Druckluft Orchester“ bestens bekannt. Für Tills Geburtstag 1991 verfasste Beckert u. a. diese Zeilen:

Mit übler Rede schlimmster Sorte –
Im Gehirnsaft gut gegart
Lallten druckreif aus ihm Worte –
Wein und Veritas gepaart

Darum freilich geht es in diesem Beitrag nicht, wenngleich hier die Richtung schon etwas angedeutet werden soll. Es geht auch nicht so sehr um das „Duo Sonnenschirm“, deren Protagonisten Dieter Beckert und Jürgen B. Wolff sind, als vielmehr um Dieter Beckert selbst. Wer aber Beckert sagt, kann zumindest die beiden anderen nicht links liegenlassen. Aber der Reihe nach.

Buchcover Rückseite:Ballhornsche VerlagsAnstalt Leipzig/Dresden 1997

Beckert und Wolff sind gewissermaßen ein Paar. Also nicht im herkömmlichen Sinne. Sie sind vielmehr Vollblutmusiker mit vielseitigen Begabungen, die sich bereits 1986 zum „Duo Sonnenschirm“ zusammenfanden, welches sie auch als „brachialromantisches Kabarett“ verstehen. In Daniil Charms (1905–1942), Lene Voigt (1891–1962) und den polnischen Dichter Konstanty Ildefons Ga?czy?ski (1905–1953), der behauptete, ein „Haus ohne Käse ist wie ein Hund ohne Grammophon“, sieht u. a. die Musik-Formation als ihre „Ahnen“. Gemeinsam haben Beckert und Wolff im Laufe der Jahre viele Musikprojekte verwirklicht, für die sie mehrfach mit dem „Preis der deutschen Schallplattenkritik“ ausgezeichnet wurden. Die Wurzeln des Duos liegen in der Folkmusikbewegung der 1970er Jahre in der DDR. Man könnte sie auch als etwas eigenartige „Liedermacher“ bezeichnen.
Aber beide musizieren nicht nur miteinander. Ihre selbstverfasste Musik braucht natürlich auch Texte und die stammen größtenteils von Dieter Beckert. Schade wäre freilich, wenn diese nur zu den Konzerten zu hören wären. Was also tun? Ganz einfach: Man schreibt ein Buch! Und so erschien im TOM VERLAG LEIPZIG 1993 DIE LIEBE IN DEN ZEITEN DER KOHLÄRA. EIN BRETTLBUCH. Die Herausgeber: Dieter Beckert & Jürgen B. Wolff vom „Duo Sonnenschirm“. Es umfasst auf annähernd 200 Seiten Texte, Gedichte, ein kleines Stück, Grafiken (Wolff) sowie zwischen all den Köstlichkeiten auch ein wenig zur Geschichte vom „Duo Sonnenschirm“, angereichert mit Fotos. Der Tagespiegel (Berlin) schätze damals ein: „Da kann man noch so lange suchen – andere Kleinkünstler, die mit vergleichbaren oder ähnlichen Darbietungen wie das Dresdner Duo Sonnenschirm ins Rampenlicht treten, sind derzeit auf der gesamtdeutschen Brettl-Szene nirgends auszumachen.“.
Ganze zwei Jahre später brachten die Beiden mit dem Roman Das Hanebuch von 1984. DIE BRACHIALROMATISCHE URFAUS oder DAS ENDE DER LEBERTRANEN-DYNASTIE heraus, eine hanebüchende Geschichte, die dem Leser in das XXXV. Jahr der Lebertranen-Dynastie führt. Die Illustrationen und Schaubilder stammen wieder von Jürgen B. Wolff.

Buchcover Rückseite: Connewitzer Verlagsbuchhandlung Leipzig 1995 und dem »Igel-Verlag

Das dritte Buch dieser Art kam 1997 unter dem Titel ZuverSicht Ist | Des | Schiffers UferLicht in der Ballhornschen Verlags Anstalt heraus und enthält neben den Texten auch Fotos, Grafiken und Collagen.
Beckert’s Texte folgen nicht dem Tradierten. Vielmehr strotzen sie vor eigenen Wortschöpfungen, Verballhornungen bis ins Obskure gehend, bleiben aber eng am alltäglichen Leben. Man sollte sie nicht bierernst nehmen, sich vielmehr am Fluss des Textes und dessen Wendungen erfreuen.
Für die zwölf Ausgaben von Vorschau & Rückblick des Jahres 2023 werden Geschichten und Gedichte aus allen drei Bänden ausgewählt.

Karl Uwe Baum

Radebeuler Miniaturen

1623-2023: Vierhundert Jahre Haus Möbius

I
Haus und Grund

Wer’s nicht kennt, wird das unscheinbare Putzrelief unterm wuchernden Wein schwer finden: Eine ursprünglich weiße Platte von etwa 17 auf 35 cm, trägt eingeritzt und ehemals schwarz eingefärbt die Jahreszahl 1623: das älteste Baudatum unseres Hauses in der Winzerstraße. Von wohl floral gemeinten Bogenwülsten eingerahmt, krönt es schlußsteinartig das mit drei Putzrillen angedeutete ehemalige Bogenportal.
Vierhundert Jahre! Ulrike staunt immer wieder aufs Neue. Wir wohnen nun schon so lange hier, doch jetzt erst beginnt sich mir die zeitliche Dimension richtig zu erschließen.
Naja, sag ich, vierhundert Jahre, das sind gut und gerne sechzehn Generationen.
Und, fragt sie, du mit deiner Fantasie, hast du Vorstellungen, was sich in der Zeit alles abgespielt hat?
Vorstellungen? Freilich hab ich Vorstellungen – auch wenn nicht viel Greifbares überliefert ist. Es sind ja gerade mal fünfundvierzig Jahre, als ein reichliches Zehntel, was wir überblicken.
Ulrike zündet ein Kerzlein an in der Dämmerung, setzt sich im Großmutterstuhl zurecht, blickt mich erwartungsvoll an und sagt: na los, erzähl schon!
Also: Am Anfang – –

Am Anfang kaufte der „Doktor der Heiligen Schrift Ägidius Strauch“ zwei nebeneinanderliegende Weinberge „im Mittelgebirge von Kötzschenbroda“, den einen von Hans Mehlich aus Wahnsdorf, den anderen von Caspar Schulz und seiner Schwester. Das war im Jahre 1622.
Die Weinberge lagen an der Hausgasse (heute Winzerstraße) und reichten bis zur Hangkante hinauf, dorthin etwa, wo heute die Obere Bergstraße verläuft. Sie umfaßten mindestens das Areal zwischen der heutigen Karlstraße und der Horst-Viedt-Straße. Die aktuelle Parzellierung ist eine relativ junge Erscheinung aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Es gibt Grund zu der Annahme, daß damals zumindest schon ein Pressenhaus auf dem Grundstück vorhanden war. Bald nach Erwerb ließ der neue Besitzer unmittelbar daneben ein neues Haus errichten, das im Jahr 1623 fertiggestellt wurde.
Modernsten Anforderungen entsprechend wurde das Erdgeschoß in massivem Bruchsteinmauerwerk aufgeführt. Ein Fachwerkobergeschoß folgte. Für die Ausfachungen wurden vermutlich von Anfang an Ziegelsteine verwendet. Das Gebäude wurde durch ein einfaches steiles Zeltdach geschützt. Das im Untergrund befindliche Kellergewölbe ist von der östlichen Außenseite her zugänglich.
Hier hast du eine Ansicht von damals, wie sie von Mike Maderer in einer Studienarbeit an der TU Dresden 1997 angefertigt worden ist.

Ich reiche das Bild rüber, und greife nach meinem Weinglas. Darauf dürfen wir schon mal anstoßen …
Thomas Gerlach

Eine Glosse

Gartenstadt kontra Händler

Wie sagte meine Mutter immer: „Man kann nicht gleichzeitig beides haben.“ In heutigen Zeiten hat sich das allerdings etwas gewandelt. Die Leute wollen meist immer alles. Mitunter schiebt man das auf die schwere Kindheit von Einzelkindern. Die mussten ja nie teilen! Ob die Lenker und Leiter in unserer Gesellschaft Einzelkinder sind, entzieht sich meiner Kenntnis, aber teilen wollen sie offensichtlich auch nicht gern – zumindest nicht ihre Meinung mit anderen. Auch der Radebeuler OB hat unlängst verkündet, sich auch künftig nicht ändern zu wollen.
Und so ist es wohl beschlossene Sache, dass auf dem mittleren Teil der Radebeuler Bahnhofstraße künftig eine innerstädtische grüne Oase entstehen soll, denn statt Parkplätze sollen nun Bäume gepflanzt werden. Wenn man dann, die beiden in jüngster Zeit zur Abstimmungen gelangten Sanierungsvarianten für die nun endgültige Verschönerungskur der Bahnhofstraße zusammenrührt, könnte mit den 27 vorgesehenen Bäumen gar ein richtiger kleiner Wald entstehen. Und nun lassen wir mal – nur so zum Spaß – unsere Phantasie schweifen, etwa so wie damals in der Bahnhofshalle die CDU-Granden unserer Stadt – was da noch so alles möglich sein könnte! Neue und vor allem mehr Bänke sollen sowieso aufgestellt werden, obwohl die neu-alten auch erst ca. fünf Jahren auf ihren Lehnen haben. Aber was soll’s, wir haben‘s ja. Wenn schon Oase, dann aber richtig! Auf der Fahrbahn könnte eine Wiese mit schönen Forsythia-Gewächsen und Schmetterlingsfliedern angelegt werden. Da lassen sich gleich noch einige Punkte für den Artenschutz sammeln. Und wenn dann die letzten verbliebenen Händler Nistkästen für die Vögel spenden, entwickelt sich mit der Zeit in der Bahnhofstraße ein richtiges kleines Paradies. Vielleicht wäre auch noch ein niedlicher kleiner plätschernder Bach im Sanierungsbudget drin, womit wir auch gleich noch etwas gegen das aufgeheizte innerstädtische Klima tun könnten. Und eines steht dann felsenfest fest: Die Touristen aus aller Herren Länder werden strömen, das Beherbergungsgeschäft wird blühen und auch die letzten freien Flächen können dann, der Konjunktur und den ewigen Meckerern zum Trotz, nun endlich mit modernen Mehrfamilienhäusern zugebaut werden. Nachahmenswerte Beispiele haben wir ja in unserer Stadt zur Genüge.
Auch mich würde das sehr erfreuen, und an so manchen Tagen würde ich gern in der Bahnhofstraße, die dann von jedem stinkenden Motorverkehr endlich befreit wäre, die Beine baumeln lassen und das eine oder andere öffentliche Nickerchen machen.
Klar, die „Klasse der Radfahrer“ können wir bei diesem Vorschlag nicht so einfach ignorieren. Ein separater, eingegrenzter Schnell-Radweg müsste da doch noch drin sein, und die dazu notwendigen Fußgängerampeln dürften ja auch kein Problem darstellen.
Ehrlich gesagt, fände ich so eine Anlage im Herzen unserer Stadt einfach toll. Und wenn dann noch das ohnehin nur halb belegte SZ-Haus abgerissen wird, kann auch der Apothekerpark wieder zu neuem Leben erweckt werden, der durch die Abtrennung des Spielplatzes jetzt eher ein mickriges Dasein fristet.
Endlich könnte Radebeul-West mit Radebeul-Ost mithalten, wenn auch nicht im Einzelhandel (eine Gedenktafel könnte ja an einstige Zeiten erinnern). Wir hätten dann etwas, was sicher keine Gemeinde in Sachsen aufzuweisen hat und zukunftsweisend für den Umbau der Städte zu klimafreundlichen Zonen sein könnte. Das wäre auf alle Fälle ein Beispiel für eine innovative Stadtsanierung, von der auch die Bürger etwas hätten.
Nun ja, man wird halt mal träumen können. Selbst wenn ich jetzt vielleicht als Pessimist verschrien werde, kann ich nicht glauben, dass es nach der Sanierung zu einer Belebung der Bahnhofstraße kommen wird. Der Bahnhof wird weiter verkommen, der Vorplatz wird zugestellt, die Autofahrer werden sich um die Stellplätze in der Güterhofstraße streiten und die Nummer mit dem Wochenmarkt ist auch vom Tisch. Welch ein Geschrei…! Erst alle Bäume umsägen und nun so viel Bäume pflanzen wollen, wie nur möglich! Ein seltsamer Wandel. Das klingt wie, „wir haben zwar keinen Plan, fangen aber erst mal an“. Meine Mutter hatte schon recht, als sie mich vor Leuten warnte, die immer alles wissen und sich angeblich nie irren, meint
Euer Motzi

 

RADEBEULER FIRMENGESCHICHTE

Arevipharma GmbH
Ehemaliges Arzneimittelwerk  – 25 Jahre TBA

Turm mit der thermischen Behandlungsanlage (TBA) Foto: S. Graedtke

Jährlich im Frühjahr findet man im Radebeuler Amtsblatt den „Öffentlichkeitsbericht der Thermischen Behandlungsanlage [TBA)“. Das ist eine recht unspektakuläre Sache und selbst Interessierte brechen sicher nach dem ersten Satz mit Lesen ab. Der erste Satz vermittelt nämlich stets Stabilität und umweltgerechten Betrieb. Da es diese Anlage seit nunmehr gerade 25 Jahren gibt, hierzu folgenden „historischen“ Hintergrund. Das Arzneimittelwerk Dresden mit seinem Hauptwerk auf der Meißner 35 war nicht nur ein wichtiger hiesiger Arbeitgeber, sondern als Kombinats-Hauptwerk Kern der Arzneimittelproduktion der DDR. Mit den Wurzeln in den 1870igern (von Heyden ) machte es in seiner Entwicklung natürlich alle Umweltsünden weltweiter chemisch-pharmazeutischer Produktion mit. Das waren vor allem die unbehandelte Abwasserentsorgung in die Elbe und der freie Ausstoß von Abluft und Abgas in die Atmosphäre. Mit aufkommendem Umweltbewusstsein begann man in der westlichen in die Welt ab den 60íger Jahren massiv mit der Abstellung solcher Missstände. Man fixierte das auch gesetzgeberisch. Es war ein schlimmes Versäumnis der DDR-Führung, Umweltschäden bis zum Ende 1989 nicht ernst genug zu nehmen. Die Elbe war entsprechend verseucht und Radebeul roch lax gesagt entsprechend herb. Es gab zwar durchaus punktuelle Verbesserungen; mit dem Bau einer großen Mehrzweckanlage (1977-78) auch eine „Abluftentsorgung“ über einen 165m hohen Schornstein aber auch aus Geldmangel keine umweltgerechte Lösung. Folgerichtig kam es dann nach der Wende Ende April 1990 zur Werksbesetzung durch Greenpeace. Vor allem wurde hier das Abwasserproblem thematisiert und eine sofortige Werksschließung gefordert.
Ab diesem Zeitpunkt bekamen Ab-Wasser und -Luft die gebührende Aufmerksamkeit. Mit der nachfolgenden Werksübernahme durch Asta-Medica, Pharmasparte der DEGUSSA, mit höchster Priorität. Im Rahmen der umfassenden Umstrukturierung dieses Konzerns war es damals Zielstellung, Radebeul zum einzigen Wirkstoffhersteller des Konzerns auszubauen. Dabei war unbedingt zu beachten, dass für eine weiter Betriebserlaubnis alle geltenden Umweltgesetze der BRD ab dem 1.1.1995 einzuhalten waren.
Als Sofortmaßnahme wurde daher eine Abwasserleitung, sehr teuer, doppelwandig mit Leckageüberwachung, zum Klärwerk Kaditz gebaut. Hier ließen sich die chemietypischen in Mischung mit den kommunalen Abwässern Dresdens gut und umweltgerecht abbauen.
Mit Abluft und Abgasen war das völlig anders . Bis auf eine gewisse Entsorgung, nicht Behandlung, über den Schornstein, lagen sie völlig konfus vor; an hunderten Stellen in den Produktions- und Technikbereichen des Werkes verteilt. ln Summe handelte es sich um etwa 100.000 m3/ Stunde.
Relativ schnell war klar, dass hier nur eine gebündelte Erfassung und angepasste Verbrennung zielführend war. Der Mehrzweckcharakter der Anlagen sowie der ständige Produktwechsel hätten eine eher populäre biologische Abgasreinigung absolut überfordert. Also Verbrennung, welch Teufelszeug! ln der Bevölkerung gärte es. Im AWD soll eine Abfall-Verbrennungsanlage gebaut werden! Hier musste zum Vorantreiben des Projektes diplomatisch vorgegangen werden. Da in der Flamme, bei hoher Temperatur, alle Schadstoffe unschädlich gemacht werden können, kann man von einer thermischen Behandlung sprechen. Von nun an wurde nur noch von thermischer Behandlung gesprochen. Das verbleibende Kürzel TBA führte letztlich zur nötigen Ruhe bei der Weiterbearbeitung. Zur damals vorliegenden unde?niert großen Abluftmenge muss gesagt werden, dass alle üblichen in großem Maßstab in der pharmazeutischen Produktion eingesetzten Lösemittel mit Luft explosive Gemische bilden. Nur mit großen Luftmengen umging man dauerhaft der Explosionsgefahr. Mit so großen Luftmengen konnte man aber keine wirtschaftliche Entsorgung betreiben.
Die ingenieurtechnische Aufgabe war daher folgendermaßen zu umreißen:
1. Konzeption des Aufbaus und Dimensionierung der Behandlungsanlage
2. Erfassung und Fortleitung sämtlicher Abluft bzw. Abgas
3. Gleichzeitige Lösung des Explosionsproblems
4. Absolute Minimierung Abluft/ Abgas.
Die Leistung derTBA wurde damals, das war ingenieurtechnisch fortschrittlich, mit 1500m3/h Abluft / Abgas und gleichzeitiger Verbrennung von 350 kg/h flüssiger Abfallstoffe der eigenen Produktion festgelegt und bei den zuständigen Behörden beantragt.
Projektierung und Bauausführung erfolgte durch das Ingenieurwesen der DEGUSSA. Dem technischen und verfahrenstechnischen Team AWD verblieben neben der Projektbetreuung und dann parallel zum Anlagenaufbau eine wahre Mammutaufgabe. Das gesamte Werk musste entsorgungsgerecht umgebaut und anschlussbereit gemacht werden. in erfreulicher Zusammenarbeit gab man uns im Rahmen eines sogenannten „Öffentlich rechtlichen Vertrages“ behördenvertraglich dafür Zeit bis Mitte 1997.
Die Bearbeitung erfolgte von diesem Zeitpunkt an durch ein Trio. Zum Umbau des Werkes soll nur soviel gesagt sein, dass es seitdem auf dem Gebiet der Abgasentsorgung ein völlig anderes Werk gibt. Auch die Belegschaft musste an eine neue, geänderte Bedienung herangeführt werden, Der Umbau erfolgte „auf Sicht“ mit täglichen Abstimmungen zwischen Projektteam, Produktion und einer sehr kreativ ?exiblen Rohrbaufirma. Nur so konnte ein „?otter“ Baufortschritt ohne Produktionsstillstand und damit Umsatzausfall gewährleistet werden. Ein Teil der Technik (Reaktoren, Trockner, Trenntechnik, Vakuumtechnik… ) wurden auf entsorgungstechnisch neuen Stand gebracht. So manches wurde ausgesondert und durch neue Apparate ersetzt. Ansonsten erfolgte eine konsequente Kapselung der Ausrüstungen bei gleichzeitiger Dauerinertisierung (Hinzufügung) mit Stickstoff. Die sichere Anwesenheit von Stickstoff verhindert eine explosive Atmosphäre innerhalb der Apparate. Allein schon diese Voraussetzung erforderte den Aufbau einer eigenen Infrastruktur mit weitverzweigten Rohrleitungsnetzen.
Nach von atemloser Spannung begleiteter Zuschaltung des neuen als ASA bezeichnetem Gesamtsystems an die TBA im Juni 1997 konnte folgende erfolgreiche Bilanz gezogen werden:
– restloser Anschluss sämtlicher Abluft und Abgasquellen bei gleichzeitiger Mengenreduzierung auf etwa 1% der früheren Werte
– enorme Einsparungen bei der Beheizung der Produktionsstätten
– drastische Reduzierung der Abwassermenge soweit, dass heute das Werk deutlich abwasserärmer arbeitet (das waren ursprünglich 60-70 m3 pro Stunde)
– Ertüchtigung der TBA zwecks zusätzlicher Entsorgung beladenen Wasserstoffs einschl. spez. Erfassungs- und Fortleitungssystem
– Entschärfung evtl. Sicherheitsentspannungen im Havariefall über Dach; dabei Anschluss einer solchen mit besonderer Brisanz an die TBA mit spez. Anschlusssystem.
Seit Mitte 1997 läuft nun die TBA erfolgreich. In ihr werden in einer Brennkammer bei über 1000″ C Abluft, Abgas und flüssige Abfallstoffe unter Erdgaszufuhr sicher verbrannt. Anschließend werden diese Rauchgase mit Wasser extrem schnell abgeschreckt, nun erst unter Verwendung von verdünnter Natronlauge, dann mit vollentsalztem Wasser gewaschen, erneut erwärmt, mit Ammoniak versetzt über einem Katalysator denoxiert (vgl. Dieselmotoren-Adblue), abgekühlt und nach Messung aller relevanten Emissionskennwerte über Dach ausgestoßen. Die Überwachung erfolgt hinsichtlich evtl. Ausfallzeiten, der Einhaltung der Verbrennungstemperatur, des Ausbrandes , Schwefeldioxid, Stickoxid, Salzsäure und Staubgehalt kontinuierlich. Dioxine sind einer kontinuierlichen Messung nicht zugänglich. Hier erfolgt turnusmäßige Probenahme und Auswertung durch ein unabhängiges Prü?abor. ln der TBA wird Abwärme zur Dampferzeugung genutzt. Allerdings nicht umfassend, da ansonsten mit Dioxinbildung gerechnet werden musste.
Aus heutiger Sicht ist der Betrieb der TBA eine Erfolgsgeschichte. Ohne sie wäre das Werk nicht betriebsfähig. Abweichungen in Verfügbarkeit und Nichteinhaltung von Ernissionsgrenzwerten waren kaum erwähnenswert. Nach der anlagentechnischen Erneuerung des Prozessleitsystems 2021, in die auch die gebündelte Betreibererfahrung zweier Jahrzehnte einfloss, kann fast von einem Idealbetrieb gesprochen werden. Das konzipierte Entsorgungskonzept war gut gewählt. Auch zwischenzeitliche Verschärfungen der Emissionsgesetzgebung waren unproblematisch erreichbar. Jährlich zulässige Schadstofffrachten nach der 17. Bundes-lmmissionsschutzverordnung werden nur zwischen 0 und 34% ausgeschöpft!
Durch Abwanderung der Wirkstoffproduktion im Rahmen der Globalisierung, konnte das Potential der TBA bisher nicht wirksam werden; sie war für eine Erweiterung des Produktionsstandortes vorbereitet. Allerdings ist der hohe Gasbedarf der TBA (einige 100.000 m3 pro Jahr) gerade jetzt Anlass zu großer Sorge denn ohne TBA keine Produktion. Hier kann man nur hoffen und der TBA mit dem traditionsreichen Werk eine weitere erfolgreiche Zukunft wünschen.
Am 2. Januar 1874 nahm der Firmengründer am Standort die „Salicylsäurefabrik F.v.Heyden“ in Betrieb. Also vor fast 150 Jahren! Auch sollte in diesem Zusammenhang erwähnt werden, dass vor 80 Jahren in den Laboren dieses Werkes Epochales entwickelt wurde. Der Chemiker Richard Müller erfand die Grundsynthese der Silikonchemie, bekannt als Müller-Rochow-Synthese was wären wir heute z.B. ohne Mikro-Chips!
Der Autor wagte einen sehr persönlichen Rückblick auf einen wichtigen Teil Werksentwicklung der jetzigen Arevipharma in Radebeul Ost, an dem er im letzten Jahrzehnt seiner Berufstätigkeit teilnahm, Prägend waren dabei Konzipierung und Dimensionierung der TBA und daraus folgernd die Projektverantwortung bei entsorgungsgerechtem, mengenreduziertem Werksumbau. Unbedingt müssen aber dabei die Herren Peter Dethloff, Radebeul sowie Jürgen Müller, Meißen genannt werden.
Peter Gühne

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