„…dann kommt Leben in die Bude!“

Foto: I. Rau

Wer dies sagt, ist Edith Maria Breuer, in der Region seit sieben Jahren, nun in Radebeul beruflich auf der Bahnhofstraße 19d in Radebeul-West ansässig. Ihre klassische Gesangsausbildung absolvierte sie 1991-1997 in Essen an der Folkwang Hochschule und in Leipzig an der Hochschule für Musik und Theater „ Felix Mendelssohn Bartholdy“.
Zusätzlich zur direkten Arbeit an der Stimme möchte E.M. Breuer Wege zeigen, den eigenen Körper durch die Gesangs- und Sprechstimme zu erleben.
Dabei möchte sie die Frage beantworten: Wie gelingt es einem Menschen, lebendig, authentisch und mit Leichtigkeit zu sprechen und zu singen (zu kommunizieren). Beantwortet ist die Frage dann, wenn alle am Ton Beteiligten, also Körper, Geist und Seele beieinander sind und der Mensch so lebendiger spürt, was er aussenden möchte.
Um es mit Theresa von Avila zu sagen:
„Sei gut zu deinem Körper, damit Deine Stimme (Seele) Lust hat, darin zu wohnen!“
Je bewusster das „System Mensch“ ist, um so leichter gelingt Kommunikation, sprachlich und gesanglich. Ihr dazu entstandenes Logo bildet dieses Prinzip ab. (s.Foto)
Das Entdecken der Wirkung der eigenen Körpersprache ist dabei ein spannendes Erlebnisfeld.
Und hier setzt Edith Maria Breuer an: Sowohl Stimmbildungsarbeit mit Chören oder einzelnen Personen als auch Kommunikationsseminare für sprechende Berufe gehören zu ihren Angeboten.
Als Sängerin liebt sie die Vielfalt: Ihre Liebe zu Oratorien-Konzerten und das Projekt, eine Crossover-Band zu gründen, sind für sie keine Gegensätze, sondern Ergänzung.
All diese Tätigkeitsfelder kann sie nun in ihrem neuen Gesangsstudio auf der Bahnhofstraße anbieten und verwirklichen.
Das erste Konzert in diesen Räumen wird ein „Duftkonzert“ sein und findet am 26. März statt. Dieses soll der Auftakt zu einer Veranstaltungsreihe im Zwei-Monats-Rhythmus sein.
Zudem plant sie eine monatlich stattfindende „Freitagsmusik“, die jeweils am ersten Freitag des Monats von 18–19 Uhr in ihren schönen Räumen stattfinden wird. Beginn ist Freitag, der 2.6.23. All jene, die Lust auf Musik und Gesang (auch dem eigenen..) haben und denen Treppen steigen möglich ist, sind dazu herzlich eingeladen. (Eintritt 10 €)

Ilona Rau

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Alle weiteren Termine und Veranstaltungen finden Sie auf ihrer Webseite unter www.impulssein.com und zukünftig auch im Kultur-Terminkalender von „Vorschau & Rückblick“.
Hauseröffnung gemeinsam mit der „Galerie Gisbert“ wird als TAG DER OFFENEN TÜR am 22.4.2023 von 17 -22 Uhr gefeiert.
Alle Neugierigen sind dazu herzlich eingeladen.

„Lößi lebt !“

Vorspiel
Viel Wasser ist inzwischen die Elbe hinab geflossen, dass ich es erleben durfte! Es sind siebzig Jahre seitdem vergangen. Aber jetzt endlich muss ich es aufleben lassen…
Eigentlich hatten wir beschlossen zu heiraten. Doris, die Radebeulerin und ich, der Harald aus Meißen.
Wir wollten eine Mischehe führen. Unsere Söhne sollten katholisch, die Mädchen jedoch im Sinne von Moshe Rabenu erzogen werden, Moses unserem Vater, wie wir den Begründer unserer Religion nennen.
Sie war das schönste und liebenswerteste Mädchen meines bisherigen Knabendaseins. Alles war fein an ihr, voller Liebreiz, nichts Grobes. Ihre Frisur bestand aus kunstvollen, hochgesteckten Zöpfchen. Das Gesicht zart wie ein Meisterpastell. Ihre Haut ein Farbspiel aus Olivgrün und Haselnussbraun. Die Gestalt anmutig, ihre Bewegungen graziös.
Und! Sie mochte mich auch. Das war für mich ein ganz besonderes Geschenk.
Denn in meiner Schule war ich doch mehr geduldet als gelitten; ein echtes ADHS-Kind. Bin ich ja heute immer noch. Bei den Lehrern war mit mir „kein Blumentopp zu gewinnen“.
Manche Klassenkameraden mochten mich meiner hohen Singstimme wegen, weil ich gern mit ihnen kleine Theaterstücke einübte und unentwegt mir Geschichten ausdachte…
Unser Überleben im Versteck, das meiner Mutter und meines, musste auch nach dem Krieg verschwiegen und wenn möglich verdrängt werden. Kein Mensch wollte davon hören.
Überstandene Pein war kein Thema öffentlichen Interesses.
Für die Auswirkungen, sprich seelischen Schäden, gab es kein Verständnis. Der allgemeine Tenor: Wir haben alle gelitten…
Ja, was macht denn dann so ein halbwüchsiger Judenbengel, wie ich? Der ist immer auf dem Sprung. In allem fühlt er sich verletzt, bedroht immer verfolgt.
Da hilft ihm auch alles Zureden nichts ,keine liebevoll gemeinte Ermahnung…
Und dann dieses wunderbare, kluge, weibliche Geschöpf, das mich so bereitwillig annahm. Das so bereitwillig unseren kleinen Ausflügen in die nahen Weinberge zustimmte.
Da hockten wir uns nieder und tauschten ohne Scham und endlos die liebsten, kindlichen Zärtlichkeiten. Ich denke heute, dass dies die ersten zaghaften und unendlich beglückenden Schritte ins „Frau und Mann werden“ waren…
Im folgenden Sommer, 1954, lag ich mit einer schweren, damals sagte man Volkskrankheit, ein halbes Jahr im Meißner Kinderkrankenhaus. Wir hatten keine Gelegenheit voneinander Abschied zu nehmen. Der Vater von Doris, ein promovierter Chemiker bei „Matthaus“ fand im „Westen“ offensichtlich bessere Arbeitsbedingungen. Es wurde unsere lebenslange Trennung. Die unvergessene Liebste hatte mir ihre Rollschuhe hinterlassen und das Fahrrad ihres Vaters, das ich bis ins fünfzigste Lebensjahr auch benutzte, dann wurde es mir entwendet.
Ihr noch einmal im Leben zu begegnen, war wohl mein Wunsch wenn ich in sehr großen Abständen im Turmhaus an der Weinbergstraße immer wieder nach ihr fragte. Einmal wären wir uns fast begegnet. Wenige Wochen vor meiner Nachfrage erfuhr ich von ihrem Besuch in der Weinbergstraße und dass sie jetzt in Heidelberg lebe. Ich fand Ihre Telefonnummer, rief sie an; ein unverhofft liebes, kurzes Gespräch, das aber keine Wiederholung fand: Hatten doch ereignisreiche Zeiten mildtätig die Patina romantischer Verklärung über unsere Erinnerungen gegossen und gar keinen Neuaufguss, von was eigentlich, zugelassen.
Das feine Sommerkind von damals, Doris, blieb mir im Sinn und die Weinberge von Radebeul: das Spitzhaus, das „Weiße Ross“, Schmalspurbahn und Lößnitzgrund, und eben das Turmhaus in der Weinbergstraße, dem gegenüber das dunkel wettergebräunte Holzhaus noch immer steht, mit seinem Garten, unserem, in der Zeit versunkenem Paradies.
Heute gedenke ich dankbar meinem Leben gegenüber, dass nach einem mehr als holprigen Start, durch die glückreiche Begegnung mit einem ganz besonderen Menschen, einem, der für mich gemacht schien, ein sonniger Zeitraum genügte, an das Leben zu glauben, ihm zu vertrauen um immer genügend Optimismus aufzubringen, die Frage zu stellen und auch zu beantworten: „Was kann ich dem Leben geben?“ Manchmal hieß das nur, meine eigene Würde mir nicht nehmen zu lassen.
Viel Wasser war die Elbe hinabgegangen, als mir dann endlich in einer Frau, meiner Frau, die mich auch heiratete, dann endlich der Mensch begegnete, den ich anhaltend lieben konnte und für den ich auch leben wollte, noch immer leben will.
Zusammen haben wir unseren sechs Kindern in die Welt hineingeholfen. Die beschenkten uns bisher mit sieben Enkeln.
Aus diesem Lebensglück speist sich nun der Wunsch, ein bisschen von allem Lebensgewinn dahin abzugeben, wo mein erfülltes Leben begann – nach Radebeul…
Da haben sich nun ein paar Leute, „mit bunter Knete im Kopf“ ein Projekt ausgedacht zur Ermunterung von Leuten, die das Leben nicht besonders verwöhnt hat.
Und wo soll das realisiert werden?
Unter dem Motto : „Lößi lebt!“ an einem besonders sonnigen Ort Deutschlands, in R A D E B E U L.

Chajim Grosser
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…mehr darüber in der nächsten V&R Ausgabe im April

Ein persönlicher Nachruf

Foto: privat

Hanno Schmidt
* 12.02.1937
† 03.02.2023

Im bedeutungsvollen Jahr 1989 arbeitete Hanno Schmidt als Pfarrer in der Coswiger Gemeinde. Damals lernte ich ihn kennen.
Er gehörte zu den Pfarrern, die nicht unpolitisch sein konnten. So war er Mitbegründer des Neuen Forums im September 1989 in Grünheide bei Berlin. In Coswig legte er in der Peter-Pauls-Kirche eine Liste des Neuen Forums zur Eintragung auf Mitgliedschaft aus. Mit der Kirche als Institution hatte ich nichts zu tun. Der Kirchenraum war allerdings 1989 der einzige Ort in Coswig, in dem sich kurzfristig viele Menschen versammeln konnten – und Pfarrer Schmidt öffnete dessen Tür.
In den folgenden Monaten wurde Hanno Schmidt zusammen mit den Mitgliedern des Kreises für Gerechtigkeit, Umwelt und Frieden (GUF) eine der Leitfiguren für alle Reformwilligen in Coswig. Später erlebte ich ihn immer wieder bei Veranstaltungen, die die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit thematisierten. Unser Verhältnis war offen und herzlich. Ich erinnere mich an gemeinsame Fahrten in die Partnerstadt von Coswig, nach Ravensburg. Wir wurden gebeten, in Schulklassen zum Thema Leben in der DDR als Zeitzeugen zu berichten, was wir gern taten. Das waren spannende Erlebnisse für uns und die Schülerinnen und Schüler vor Ort.
Hanno hielt immer Kontakt, Neuigkeiten und Interessantes wurde ausgetauscht, kein Geburtstag ohne seine Glückwünsche!
Nun mussten wir von ihm nach seiner kurzen, schweren Erkrankung Abschied nehmen.
Noch nie habe ich eine so überwältigende Abschiedsfeier miterleben dürfen. Etwa 500 Trauergäste lauschten in der Striesener Versöhnungskirche den Worten seines Freundes, des Pfarrers i.R. Klaus Vesting. Er brachte uns den kritischen Geist Hanno Schmidt noch einmal nahe, nachdenklich, aber auch Anlässe zum Schmunzeln gebend. Alle, die konnten, sangen gemeinsam die von Hanno ausgewählten Lieder, darunter auch das, welches in der Friedensbewegung oft gesungen wurde.
Das letzte Lied erklang an seinem Grab.
Hanno, Du wirst fehlen!

Ilona Rau

Ein Opernklassiker neu entdeckt

Der aktuelle „Don Giovanni“ an den Landesbühnen bricht gekonnt mit der Tradition

Inszenierungsfoto | mit: Michael König, Franziska Abram, Doheon Kim, Yuliya Pogrebnyak, Marie-Audrey Schatz, Dustin Drosdziok (v.l.) und Paul Gukhoe Song (vorn liegend), Foto: C. Beier

Die Landesbühnen Sachsen als Mehrspartentheater sehen sich, anders als die auf eine bestimmte künstlerische Form spezialisierten Theater, Musiktheater und Orchester, vor die Herausforderung gestellt, aus dem gewaltigen Repertoire jene Stücke auszuwählen, die unter den Bedingungen vor Ort (und auf Reisen) überhaupt möglich sind. Diese Aussage ist keineswegs so trivial, wie sie auf den ersten Blick erscheint. Nicht ohne Grund kommt kein Operndirektor auf die Idee, Wagner-Opern in Radebeul aufzuführen oder mutet sich Bruckner-Sinfonien zu, denn für Teile des Repertoires sind Bühne und Orchestergraben im Radebeuler Stammhaus schlichtweg viel zu klein. Anders sieht es dagegen mit dem Sprechtheater aus: Mir fällt kein kanonisches Werk ein, dass sich nicht entweder im Großen Saal oder auf der Studiobühne umsetzen ließe. Insofern ist die Spielplangestaltung nicht nur künstlerischen und personellen Ressourcen unterworfen, sondern auch räumlich-technischen. Die Landesbühnen in Gestalt von Operndirektion und Intendanz machen seit jeher aus diesen Umständen das Beste, indem sie im Bereich des Musiktheaters diejenigen Stücke auswählen, die zu Ensemble und Elblandphilharmonie passen – und davon gibt es zum Glück eine ganze Menge! Ein besonders glückliches Händchen hat die seit dieser Spielzeit wirkende neue Operndirektorin Kai Anne Schuhmacher dabei mit der Wahl von Mozarts „Don Giovanni“ gehabt, deren Inszenierung sie selbst verantwortete und am 21. Januar als ihre insgesamt zweite Regiearbeit dieser Spielzeit zur Aufführung brachte. In „Don Giovanni“, den die Regisseurin selbst als den „bekanntesten Außenseiter der Operngeschichte“ bezeichnet, wird durch das Libretto von Lorenzo da Ponte ein bereits seit dem Barock in der europäischen Literatur- und Kunstgeschichte stetigen Wandlungen und Erweiterungen unterworfenes Sujet verarbeitet, welches durch die geniale Musik Mozarts eine im wahrsten Sinne des Wortes bis dato un-erhörte Ausdruckskraft gewann. Die Rezeptions- und Aufführungsgeschichte seit der Prager Premiere von 1787 ist kaum zu überschauen, weshalb es mutig ist, dass Kai Anne Schuhmacher einen ganz frischen Blick auf dieses zweiaktige Werk wirft. Denn allzu leicht erliegt man ja der Versuchung, ausgetretene Pfade noch ein bisschen breiter zu machen, womit man sich auf der sicheren Seite wähnt und die Erwartungen des tendenziell konservativen Opernpublikums in der Regel bedient. In der aktuellen Radebeuler Fassung jedoch werden die Zuschauer mit einer vom (Lebens-) Ende her gedachten Interpretation konfrontiert und nehmen an einer Art Lebensbeichte teil, die der altgewordene Don Giovanni (Michael König) sich selbst ableistet. Nur, dass ihm die Absolution versagt bleibt – denn wer sollte sie ihm auch spenden? Die von ihm verführten, verlassenen und betrogenen Frauen? Sie wären vielleicht dazu noch gewillt, würde es nur um sie selbst gehen, denn der junge Don (Johannes Wollrab) ist ja eine reizvolle und galante Gestalt. In einem (w)irren Erinnerungsrausch tauchen vor dem inneren Auge des alten Don all die Figuren aus dem Früher wieder auf und treten in (s)ein halluziniertes Jetzt, wie Anna (Yulia Pogrebniak) und Don Ottavio (Dustin Drosdziok), Elvira (Mary-Audrey Schatz), Zerlina (Franziska Abram) und Massetto (Do-Heon Kim), um nur die wichtigsten zu nennen. Aber Don Giovanni ist eben nicht nur Schwerenöter, sondern auch ein skrupelloser Mörder. Der Mord an Donna Annas Vater liegt wie ein Fluch über seinem Leben. Durch immer dreistere Lügen und Ausreden versucht sich Don Giovanni der Verantwortung gegenüber sich selbst und der Welt zu entziehen, was ihm aber schließlich nicht mehr gelingt. Da hilft auch nicht sein Diener Leporello (Paul Gukhoe Song), der die Affären seines Herrn nolens volens mitträgt. Auf diese neue Lesart muss man sich erst einmal einlassen, weshalb die Pausengespräche am Premierenabend sich auch darum drehten, ob das denn noch die Oper sei, die man zu kennen glaubte. Kai Anne Schuhmachers Inszenierungsidee mit der doppelt besetzten zentralen Figur funktioniert mit der Zeit erstaunlich gut. Nur am Anfang ist es etwas gewöhnungsbedürftig, den alten und den jungen Don Giovanni gemeinsam auf der Bühne zu sehen, ohne dass der alte Mann mit irgendeiner Figur sichtbar interagiert. Er ist, um ein Sprichwort wörtlich zu nehmen, der Schatten seines Selbst.
Die Regie verlegt die zeitlose Handlung – man denke sich statt des barocken Don Juan/Giovanni einfach skandalös-skrupellose Männer der jüngeren Zeitgeschichte wie Harvey Weinstein oder noch ein paar Jahre früher Dominique Strauss-Kahn – in eine unbestimmte Moderne. Modern genug aber für Fahrstuhl und Leuchtreklame in einer Pension, die vom alten Giovanni und seinem lahm gewordenen Diener geführt wird (Ausstattung: Lisa Däßler). Zwar mag es traditionsbewussten Opernfreunden schwer fallen, sich diese Handlung ohne klischeegeschwängerte Ästhetik vorzustellen, aber dafür entschädigt allemal die unsterbliche Musik. Die Elblandphilharmonie unter Ekkehard Klemm begleitet die Akteure mit einem schlanken Orchestersound, der den Erfordernissen einer originär für die Bühne komponierten Musik ebenso gerecht wird wie sie den Gesangssolisten stets stimmliche Entfaltungsräume eröffnet. Viel Schönes ist in italienischer Sprache zu vernehmen, wobei am Premierenabend vor allem Yulia Pogrebniak, Paul Gukhoe Song und Johannes Wollrab aus einem insgesamt sehr gut aufgelegten Ensemble noch herausragten. Für die Zuschauer angenehm ist die eingeblendete Übersetzung in Deutsch, wodurch der gelegentlich durchscheinende sprachliche Witz erfahrbar wird, etwa in der bekannten Registerarie des Leporello, in der er die Eroberungen seines Herrn in verschiedenen Ländern genüsslich aufzählt.
Am Ende des dreieinhalbstündigen Abends gab es langen und begeisterten Beifall des Publikums für alle Akteure. Im März wird diese gelungene Inszenierung insgesamt vier Mal im Radebeuler Haus gezeigt. Eine eindeutige Besuchsempfehlung gleichermaßen für alle Kenner dieser Oper, die sich einer neuen Lesart öffnen wollen, aber ebenso auch für jene, die „Don Giovanni“ bislang noch nicht auf einer Bühne erlebt haben und sich davon überzeugen (lassen) wollen, dass man klassische Opern stimmig als eine heutige Geschichte erzählen kann.
Bertram Kazmirowski
Nächste Aufführungen: 3.März 20 Uhr,  5. März 15 Uhr, 11. März 19.30 Uhr, 31. März 19.30 Uhr

Rückblick auf unsere Jahresversammlung

Unsere diesjährige Jahresmitgliederversammlung fand am 10.2.23 erstmalig im Café der FAMI statt. Turnusgemäß wurde der alte Vorstand von seinen Pflichten entlastet und schließlich in gleicher bewährter Besetzung einstimmig wieder neu gewählt.
In gemütlicher Atmosphäre saßen die Vereinsmitglieder, einschließlich der kompletten Redaktion, bei anregenden Gesprächen bei Schnittchen und Wein zusammen. Ein Wermutstropfen bleibt die bisher fehlende Verjüngung unserer Redaktion.


Die Redaktion

(alle Fotos: Karain (Gerhardt) Baum)

Gelungener Start ins 41. Jahr

oder ein ungewöhnliches Experiment in der Stadtgalerie Radebeul

Der 40. Geburtstag der Stadtgalerie Radebeul bot den Anlass für ein recht ungewöhnliches Experiment. Unter dem Motto „Reflexionen zwischen gestern, heute und morgen“ wurde erstmals ein Konzept mit offenem Workshopcharakter erprobt. Bis zum letzten Tag der Ausstellung kamen immer wieder neue Exponate hinzu.
Als Gastkuratorin war es mir ein großes Vergnügen, an diesem komplexen Projekt mitwirken zu dürfen. Die offene Atmosphäre beförderte die wechselseitige Kreativität und wurde zur spannenden Herausforderung. Werke aus dem reichhaltigen Bestand der städtischen Kunstsammlung sowie Chroniken, Besucherbücher, Fotoserien, Modelle, Entwürfe, Filmaufnahmen, Gestaltungselemente usw. ermöglichten diese lebendige und informative Präsentation. Eine angedeutete Kunstbibliothek mit Katalogen und Spezialliteratur hielt zusätzlichen Lesestoff bereit.

Foto: Karin (Gerhardt) Baum

Von der ersten Idee im Herbst des vergangenen Jahres bis zur letzten Veranstaltung am 6. Februar war es ein intensiver Marathon. Auf den Jubiläumstag genau wurde die Ausstellung am 16. Dezember eröffnet. Ein merkwürdiger Termin, so kurz vor Jahresende! Man wollte wohl, wie auch schon vor 40 Jahren das Plansoll noch rechtzeitig erfüllen. Kamen zur Eröffnung der Jubiläumsausstellung 80 Besucher, waren es am darauffolgenden Sonntag (4. Advent!) gerade mal 7 Personen. So richtig wurde dann am 8. Januar durchgestartet. Obwohl man die Ausstellung auf der Städtischen Homepage, in der Tagespresse und auch in Vorschau und Rückblick beworben hatte, wären zwei Banner in den Kreuzungsbereichen von Radebeul-Ost und -West wohl ganz hilfreich gewesen. Allmählich sprach es sich herum und am letzten Ausstellungssonntag wurden 73 Besucher gezählt. Die Statistik weist exakt 523 Besucher aus. Im Rahmen der relativ kurzen Ausstellung fanden 10 Sonderveranstaltungen statt.

Die reiche Bebilderung vergangener Projekte weckte Erinnerungen und wirkte sich belebend auf die Diskussionsfreudigkeit der Besucher aus. Kunstfreunde, die seit Jahrzehnten zum festen Besucherstamm gehören und der Stadtgalerie von Radebeul-Ost nach Radebeul-West gefolgt sind, waren natürlich über diese Ausstellung besonders erfreut. Plakate, Bild- und Textmaterialien erinnerten an die ehemalige „Kleine Galerie“, an externe Ausstellungsorte, an Projektreihen, verstorbene Künstler, intermediale Gemeinschaftsaktionen, an die Zusammenarbeit mit Vereinen und an herausragende Persönlichkeiten, die die Kunst- und Kulturszene in Radebeul über viele Jahre mitgeprägt haben. Strukturelle Veränderungen brachten auch Verschiebungen von Aufgabenschwerpunkten mit sich. So wechselte die „Kasperiade“ von West nach Ost, fiel die „Kulturbörse“ ganz weg und für die „Radebeuler Begegnungen“ muss sich erst noch ein neues Organisationsteam finden.
Zwischen Vernissage und Finissage waren den Einladungen zu Gruppenführungen der Rotary Club Radebeul, der Dorf- und Schulverein Naundorf, die Redaktion Vorschau und Rückblick, der Förderverein Internationales Wandertheaterfestival, der Radebeuler Fremdenverkehrsverein, der Kulturverein Radebeul, die AG Kötzschenbroda, die Kultur- und Werbegilde Kötzschenbroda sowie kunst- und kulturinteressierte Bürger und Stadträte aller Fraktionen gefolgt. Erstaunen löste die Fülle und Vielfalt der künstlerisch-kulturellen Projekte aus. Angesprochen wurden aber auch Probleme, die einer weiteren Thematisierung dringend bedürfen.

Sehr bedauert wurde, dass keine Verlängerung der vierwöchigen Ausstellung möglich war. Die durchschnittliche Verweildauer der Besucher betrug zirka eine Stunde. Erinnerungen wurden ausgetauscht, neue Ideen geboren und künftige Pläne geschmiedet. Einig war man sich, dass die Kommunikation zwischen Kunst- und Kulturschaffenden intensiviert werden müsste. Veranstaltungen sollten längerfristig angekündigt werden. Menschen, die keinen Internetzugang haben und über keine Tageszeitung verfügen, fühlen sich mitunter kulturell ausgeschlossen. Und nicht alles findet man im Veranstaltungsflyer oder Amtsblatt der Stadt Radebeul.

Das Galerieteam Magdalena Piper und Alexander Lange mit der Gastkuratorin Karin Baum, Foto: Karl Uwe Baum

Vierzig Jahre Stadtgalerie stehen für vierzig Jahre Kontinuität. Selbst wenn es so manche Turbulenzen zu überstehen galt, wurde die Existenz der Galerie von den Entscheidungsträgern nie in Frage gestellt. Jahr um Jahr wurde das notwendige Budget für die Bewirtschaftung der Räume, für Versicherungen, für Personal- und Materialkosten, für Honorare der ausstellenden Künstler, Eröffnungsredner, Musiker usw. in den städtischen Haushalt eingestellt. Ohne die ständige Sorge um die nackte Existenz, können sich die Mitarbeiter der Stadtgalerie viel stärker auf die fachliche Arbeit konzentrieren und öfters mal einen Blick übern kulturellen Tellerrand werfen.

Eine kommunale Galerie ist ja kein Solitär. Sie ist ein Ort der öffentlichen Präsentation, der aktiven Vernetzung, der Kommunikation, der Kunst- und Künstlerförderung, des künstlerischen Experiments und der Entwicklung neuer Präsentations- und Vermittlungsformen. So wurden, bedingt durch die Corona-Pandemie, erstmals virtuelle Ausstellungsrundgänge angeboten und die erfolgreiche Veranstaltungsreihe „Kunst geht in Gärten“ initiiert.

Über 60 Bildende Künstler leben allein in Radebeul. Ihr Interesse, sich in der städtischen Galerie zu präsentieren ist immens. Die Priorisierung erfordert von den Galeristen fachliche Kompetenz und ein hohes Maß an Diplomatie, denn nicht jeder, der vorgibt ein Künstler zu sein oder wie ein solcher aussieht, ist auch einer. Beurteilungskriterium ist deshalb einzig und allein die künstlerische Qualität.

Die Jubiläumsausstellung hat viele Menschen miteinander ins Gespräch gebracht. Anregungen wurden gegeben, Wünsche geäußert und immer wieder viele Fragen zum Gestern, Heute und Morgen gestellt. Darunter: Wann wird der wunderbare Sammlungsbestand endlich auch im Netz zusehen sein? Wohin mit der Städtischen Kunstsammlung, wenn diese ihr Domizil im Wasapark verlassen muss? Wie geht es weiter mit dem dringend erforderlichen Galerieerweiterungsbau?

Selbst wenn es auf diese Fragen zurzeit keine Antworten gibt, wird das den Tatendrang der Künstler und Galeristen nicht bremsen, denn die nächsten Ausstellungsvorhaben mit und ohne Jubiläen sind bereits in Sicht.

Karin (Gerhardt) Baum

 

Editorial

Jegliches hat seine Zeit!
Dieser Ausspruch trifft nach Jahrzehnten der Blüte nun mehr und mehr auch auf die bisher verstreuten Bankhäuser zu. Spätestens seit der Weltwirtschaftskrise von 2008 spricht man gar herzerwärmend von „notleidenden“ Banken.
Ab 1990 und eingeführter neuer harter Währung konnte es zahlreichen Geldinstituten gar nicht schnell genug gehen sich auf dem wohl betuchteren Radebeuler Pflaster häuslich einzurichten.
Nach über dreißig Jahren scheint die Zeit des lohnenden Abfischens nun jedoch vorbei zu sein.
Zumal die um sich greifende Digitalisierung mit all ihren Sparpotentialen die physische Präsenz der Geldhäuser faktisch obsolet macht und die R…, respektive Bänker das sinkende Schiff verlassen, um im Bilde zu bleiben.
In der Tat war das banking wohl noch nie so einfach wie heute und zahlreiche Bankgeschäfte lassen sich online ganz bequem vom häuslichen Schreibtisch oder ganz hip mobil per Smartphone tätigen.
Diese brave new world stößt allerdings nicht bei jeder Altersgruppe auf ungeteilte Gegenliebe. Insbesondere die ältere Generation ist – verständlicherweise – nicht immer willens die Bocksprünge der Technik noch mit zu vollführen. Für sie gibt es eben nicht mehr den gewohnten Schalter und Berater um die Ecke, sodass einfache Bankgeschäfte, sofern die Mobilität auch nicht gegeben, zur fast unüberwindbaren Hürde werden können. Die altbekannte Redewendung „etwas auf die lange Bank schieben“ erhält hier so ganz ungewollt eine völlig neue Lesart!
Heutzutage erlebt nun in Form der aus dem Boden schießenden und allseits prosperierenden Sanitätshäuser eine neue Branche an Aufschwung, die nun ihrerseits und nicht minder geschäftstüchtig für Hilfestellungen ganz anderer Art um ihre Kundschaft buhlt.

Sascha Graedtke

Mit Texten der brachialromantischen Hausapotheker Dieter Beckert und Jürgen B. Wolff durchs Jahr

Zum Titelbild V&R Februar 2023




Wackerbarthstraße 1, Schloß Wackerbarths Ruhe

Alle kennen wir das Schloss im Radebeuler Stadtteil Niederlößnitz, d.h., wir glauben es zu kennen, weil wir es ja oft schon besucht haben. Im Laufe seiner Geschichte hat dieses Schloss aber drei verschiedene Gesichter gehabt. Das erste, längst vergessene Gesicht ist die barocke Schauseite nach dem Entwurf J. C. Knöffels von 1727, zweigeschossig, elfachsig mit 12 Halbsäulen, einem Walmdach mit Dachreiter und Glocke.

Bild: Stadtarchiv Radebeul

Es sollte ab 1729 der Ruhesitz des 1. Staatsdieners von August dem Starken Graf C.A. von Wackerbarth werden – viel Zeit, es zu nutzen, dürfte er aber nicht gehabt haben, er starb 1734. Die künstlerische Darstellung von 1820 von R. Ackermann zeigt es als „Bildungsstätte für junge Herren“. 1875 bekam es unter Freiherr A. von Tümpling durch Umbau das Gesicht einer großen Villa im klassizistischen Stil, zweigeschossig mit dreigeschossigem Mittelteil mit Attika und vier Frauengestalten darauf sowie flachen Walmdächern. Der Eigentümer Dr. jur. A. Tiedemann wollte es 1915 nach Entwurf von Prof Georg von Mayenburg rückumbauen lassen, ohne dass der barocke Zustand vollständig erreicht wurde. Schloß und Park Wackerbarths Ruhe wurden von 1999 bis 2001 vollständig rekonstruiert und ist mit dem gewohnten Gesicht heute Sitz des Sächsischen Staatsweingutes.

Dietrich Lohse

Galerie offen, Eintritt frei

Vierzig Jahre Stadtgalerie Radebeul oder ein wilder Ritt durch die Stadtkultur

Worum es in der Jubiläumsausstellung geht? Es geht um das vierzigjährige Wirken einer kommunalen kulturellen Einrichtung unter verschiedenen gesellschaftlichen Bedingungen. Es geht um wechselseitige Beziehungen zwischen Kunst und Stadtkultur. Es geht um Haltung, Identifikation, Empathie und Leidenschaft.

Eingangsbereich »Kleine Galerie Radebeul«, Hauptstraße 20, Foto  Michael Lange

Wer sich für die Anfangsgeschichte der Radebeuler Stadtgalerie interessiert, wird fündig im ersten Teil der Galerie-Dokumentation, die 2002 herausgegeben wurde. Darin beschreibt der im Jahr 2019 verstorbene Maler und Grafiker Gunter Herrmann die politischen und pragmatischen Bewegründe, welche zur Eröffnung einer „Ausstellungsgalerie mit Möglichkeiten zum freien Verkauf“ geführt hatten.

Von der ersten konzeptionellen Überlegung im Jahr 1977 bis zur praktischen Umsetzung galt es noch viele Hürden zu überwinden. Diese reichten von der Frage nach dem Sinn eines solchen Vorhabens vor den Toren der Kunst- und Kulturmetropole bis hin zur Befürchtung einiger Künstler, als Radebeuler Heimatmaler abgestempelt zu werden.

Gemeinschaftsausstellung »T(R)aumbildung« 1989, Foto Michael Lange

Schließlich bot sich in Radebeul-Ost ein leerstehendes Ladengeschäft auf der belebten Ernst-Thälmann-Straße (heute Hauptstraße) an, welches sich für den Umbau zur Galerie eignete. Die festliche Einweihung der „Kleinen Galerie Radebeul“ fand am 16. Dezember 1982 statt.

An guten Vorsätzen mangelte es der Galerieleitung schon damals nicht. Man wollte die partnerschaftlichen Beziehungen zu den Künstlern pflegen sowie enger mit den Kunsterziehern und den Kulturverantwortlichen der Betriebe zusammenarbeiten. Es sollten Jugendstunden, Galeriegespräche, Atelierbesuche und Verkaufsausstellungen durchgeführt werden. Die Öffnungszeiten wollte man verändern und der Gewinnung des Publikums größte Aufmerksamkeit schenken.

Einladung Gemeinschaftsausstellung »Zwischen-Stationen« 1988, Gestaltung Peter PIT Müller, Repro Karin (Gerhardt) Baum

Zu den Personen, die die Anfänge der Galerie aktiv begleitet haben und sich noch an vieles erinnern können, zählen die Vorsitzende des einstigen Radebeuler Kunstvereins Ingeborg Bielmeier sowie der Maler und Grafiker Gerold Schwenke. Beide waren Mitglieder der Ständigen Kommission Kultur der Stadtverordnetenversammlung. Später dann auch des Galeriebeirates der „Kleinen Galerie“ in Radebeul-Ost.

Zahlreiche Künstler aus den Anfangszeiten der Galerie sind längst verstorben. Seitdem hat ein mehrfacher Generationswechsel sowohl bei den Künstlern, Besuchern, Politikern als auch bei den Galerie-Mitarbeitern stattgefunden. Dominiert wurde die Kunstszene jener Zeit durch Gunter Herrmann, Heinz Drache, Walter Howard, Günter Schmitz, Horst Hille, Dieter Beirich, Gerold Schwenke, Johannes Thaut, Lieselotte Finke-Poser, Ute und Werner Wittig sowie Bärbel und Wolf-Eike Kuntsche. Gussy Hippold lebte sehr zurückgezogen im Haus Sorgenfrei. Claus Weidensdorfer und Fred Walther hatten ihre Ateliers in Dresden. Jüngere Künstler wie Peter PIT Müller, Gabriele und Detlef Reinemer kamen ab Mitte der 1980er Jahre hinzu.

Mandy Herrmann, Kaltnadelradierung »Nichts hören, nichts sehen«, 1988, Repro Karin (Gerhardt) Baum

An der Auftaktausstellung „Das alte und das neue Radebeul“ im Jahr 1982 zur Galerieeröffnung hatten sich elf Künstler beteiligt. Bis heute gehören neben den Personalausstellungen die thematischen Gemeinschaftsausstellungen zum Programm der Galerie. So sperrige Themenvorgaben wie “Sonderausstellung anläßlich des 40. Jahrestages des Sieges über den Hitlerfaschismus und der Befreiung des deutschen Volkes“ wurden später nicht mehr abverlangt. Bereits ab 1986 setzte eine administrative Lockerung ein. Mit der Dokumentation „Neues Leben in alten Mauern“ begann die Hinwendung zu Themen von städtischer Relevanz, was sich bis heute fortsetzt. Die Stadtgalerie entwickelte sich zu einem inspirierenden und kommunikativen Ort.

Angeregt durch Peter PIT Müller, startete 1987 unter dem Motto „Ma(h)lzeit“ das erste Gemeinschaftsprojekt junger Künstler, welches von Mal-, Musik- und Performanceaktionen begleitet wurde. Allerdings schlossen Duldung und Misstrauen einander nicht aus. Politischen Zündstoff bot im gleichen Jahr auch die Ausstellung „Ketzer, Narr und Ruferin“ mit dem Grafiker Karl-Georg Hirsch und dem Bildhauer Detlef Reinemer. Der Titel spielte auf die DDR-Endzeitstimmung an. Die Jahre 1989/1990 waren dann geprägt durch den gesellschaftlichen Umbruch, womit sich die Gemeinschaftsausstellungen „T(R)aumbildung“ und „Enekung“ auseinandersetzten.

Ausstellungsplakat Claus Weidensdorfer »Zeichnungen«, Kleine Galerie Radebeul, 1991, Repro Karin (Gerhardt) Baum

Die 1992 begonnene Ausstellungsreihe „Statt-An-Sichten“ fand ihre Fortsetzung in den themenorientierten Sommerprojekten. Ebenfalls 1992 wurde mit dem systematischen Aufbau der Städtischen Kunstsammlung begonnen, deren 30-jähriges Bestehen soeben eine Würdigung erfuhr.

Nachhaltige Bedeutung sollte im Jahr 1990 auch die Dokumentationsausstellung „Altkötzschenbroda im Abriß?“ erlangen. Erstmals wurden der desolate Zustand von Altkötzschenbroda und auch die beabsichtigte Sanierung öffentlich thematisiert. Dass die Galeristinnen durch diese Ausstellung auf den heutigen Galeriestandort, den Dreiseithof Altkötzschenbroda 21, aufmerksam geworden waren, mag ein glücklicher Nebeneffekt gewesen sein.

Bildhauer Detlef Reinemer beim Aufbau seiner Ausstellung »Sex zu Null«, 2004, Foto Thomas Adler

Mitte April 1990, quasi in letzter Minute, setzte die Stadträtin für Kultur ihre Unterschrift unter ein sehr wichtiges Dokument. Dabei handelte es sich um den Antrag auf Rechtsträgerwechsel für das volkseigene Grundstück Altkötzschenbroda 21, zum Zwecke der künftigen Nutzung als städtische Galerie. Die Zustimmung hierzu wurde durch den damaligen Bürgermeister und die Stadtverordneten erteilt. Das war knapp! Nach den Kommunalwahlen am 7. Mai 1990 erfolgte die Ablösung des amtierenden Bürgermeisters. Etwas später wurden dann auch alle Stadträte (heute Amtsleiter) von ihren Funktionen entbunden.

Doch ein Rechtsträgerwechsel macht noch keine Galerie. Für die Mieter galt es anderen Wohnraum zu beschaffen. Und zum Bauen brauchte man Geld. So verwundert es kaum, dass zunächst das Auszugshaus fertiggestellt wurde und 1993 als das erste sanierte Gebäude von Altkötzschenbroda an seine künftigen Nutzer übergeben werden konnte.

Performance theater anasages zum Künstlerfest, Motto »RAD, RAD, RADebeul«, 2013, Foto Thomas Kube

Unabhängig davon, lief der Galeriebetrieb in Radebeul-Ost bis zur plötzlichen Kündigung des Mietvertrages weiter. Ab Juli 1995 folgten zwei Jahre im Exil. Doch das ist ein anderes Kapitel, welches es noch aufzuarbeiten gilt.

Die zu Beginn der 1990er Jahre ausbleibenden Besucher führten schließlich aus Sorge um den Erhalt der Einrichtung zur Erweiterung des Aufgabenspektrums. In vorausschauender Selbstverpflichtung kam es zur Übernahme anderweitiger kommunaler Aufgaben. So führte die Leiterin der Galerie auch gleichzeitig die Abteilung für Kultur und Tourismus.

Der erste Tourismusflyer, das erste Stadtvideo, das erste Herbst- und Weinfest, die ersten Karl-May-Festtage… Dem Jubiläum von Karl May folgten die Jubiläen von Bilz, Schuch und Ziller. Eine Festwoche wurde 1995 zu „350 Jahre Waffenstillstandsvertrag zwischen Schweden und Sachsen“ und 2010 ein ganzes Festjahr zum 75. Stadtgeburtstag organisiert. Auch als sich 1990 die Ortsgruppe des Kulturbundes auflöste und die Puppentheatersammlung 2003 nach Dresden zog, standen die Fragen im Raum: Wer organisiert den Radebeuler Grafikmarkt? Wer organisiert die Radebeuler Kasperiade?
Die zahlreichen externen Ausstellungsorte und die gewollt vielfältige Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Partnern vollständig aufzuzählen, das ist in diesem Beitrag unmöglich. Erwähnt seien lediglich zwei beispielgebende Veranstaltungsreihen wie die „Radebeuler Kulturbörse“ (1997-2006) oder die „Radebeuler Begegnungen“ (ab 2001). Nach dem Projekt war immer auch vor dem Projekt. Genügend Zeit, um all das Stattgefundene zu reflektieren und in einen größeren Kontext einzuordnen, gab es eigentlich nie.

Eröffnung Gemeinschaftsausstellung »Die andere Seite«, 2017, Foto Sylvia Preißler

Doch zurück zur Stadtgalerie. Als diese schließlich am 25. September 1997 in ihr neues Domizil einziehen konnte, war die Freude groß. Zur Eröffnung erschien auch sehr viel Prominenz. Sogar der Staatsminister für Wissenschaft und Kunst, Prof. Hans-Joachim Meyer war der Einladung gefolgt. Zwischenzeitlich hatten sich zur großen ortsansässigen Künstlerschar viele neue junge Akteure hinzugesellt. Bereits an der Auftaktausstellung „Radebeuler Künstler heute“ wirkten 37 Künstler mit.

Die Arbeit in der Galerie war ebenfalls umfangreicher und anspruchsvoller geworden. Neue Kooperationen wurden erprobt. Die Zusammenarbeit mit der Kunsthochschule Dresden war im Jahr 2018 ein vielversprechender Ansatz. Unter dem Motto „Sprösslinge mit Spass“ zeigten die Schüler der Kerbach-Klasse auf wunderbare Weise, dass sich künstlerische Qualität, inhaltlicher Tiefgang und Humor nicht ausschließen müssen. Auch der Blick auf die Künstler der anderen (Elb)Seite, die Zusammenarbeit mit Galerien und Museen sowie der Grafikmarkt, die Künstlerfeste, die neue Veranstaltungsreihe „Kunst geht in Gärten“ (ab 2020) boten und bieten Möglichkeiten der Präsenz und Kommunikation. Zahlreiche Fotoserien, die in der Jubiläumsausstellung zu sehen sind, vermitteln einen sehenswerten Eindruck von Vielfalt und Potenzial der Radebeuler LebensART.

Dass mit der Jubiläumsausstellung „Reflexionen zwischen gestern, heute und morgen“ ein traditionelles Ritual seine Fortsetzung findet, ist sehr erfreulich. Denn seit Eröffnung der Stadtgalerie im Jahr 1982, wurden zum 5.,10.,20.,25. und zum 30. Geburtstag immer wieder Zwischenbilanzen gezogen. Sei es in Form von Ausstellungen und / oder Festveranstaltungen. Und auch zum 40. Geburtstag gehörte wieder das Ritual im Ritual dazu: Die Übergabe vom „Ziegelstein des Anstoßes“, welcher an den versprochenen und dringend benötigten Galerieerweiterungsbau erinnert.

In ihrer Ansprache zur Eröffnung der Ausstellung meinte die Kulturjournalistin Dr. Ingrid Koch „Kunst ist kein Anhängsel, das man mal haben kann und mal nicht.“ Würde die Kunst im Alltag fehlen, würde den Menschen eine wichtige Dimension verloren gehen. Vor allem das Wirken der Galerie in die Breite sei ein unverzichtbares Element einer demokratischen Gesellschaft.

Besucher in der aktuellen Jubiläumsausstellung »Reflexionen zwischen gestern, heute und morgen«, 2023, Foto Karin (Gerhardt) Baum

Eine nostalgische Nabelschau sollte diese Jubiläumsausstellung jedoch keinesfalls werden. Sie gleicht wohl eher einem wilden Ritt durch die Radebeuler Stadtkultur. Benannt werden Projekte, an denen das Team der Galerie mehr oder weniger konzeptionell, gestalterisch und organisatorisch beteiligt war. Gezeigt werden Plakate, Einladungen, Faltblätter, Logos und Gestaltungselemente, welche die Handschrift von Radebeuler und Dresdner Künstlern tragen.

Bewusst sind in dieser Ausstellung aus dem Bestand der Städtischen Kunstsammlung nur einige wenige themenorientierte Kunstwerke zu sehen, darunter Arbeiten von Gunter Herrmann, Mandy Herrmann, Claus Weidensdorfer, Ingo Kuczera, Horst Hille, Stefan Voigt, Christian Manss, Ute und Werner Wittig. Thematisiert wird u.a. der homogene Zustand des Dorfangers von Altkötzschenbroda Ende der 1950er Jahre, die Zerstörung natürlicher Landschaften, das Warten zwischen Ankommenden und Abreisenden auf Bahnhöfen, das beklemmende Eingezwängtsein hinter hohen Mauern sowie die Brüchigkeit von Karriereleitern.

Eine kommunale Galerie ist ein höchst komplexes Gebilde. Sie lebt von dem, was die Künstler schaffen, sie lebt vom Engagement und Organisationstalent leidenschaftlicher Galeristen, sie lebt von den vielen zumeist unsichtbaren Helfern im kulturellen Ehrenamt und sie lebt vom aufgeschlossenen Publikum, das hin und wieder auch schwerverdauliche Kost erträgt. Kunst entsteht durch Reibung und Widerspruch. Die Zusammenarbeit mit Künstlern ist kein Verwaltungsakt. Obwohl sich die Auffassungen, was Kunst bewirken soll, gewandelt haben, hat die Stadt Radebeul die Existenz der Galerie als kommunale Einrichtung zu keiner Zeit in Frage gestellt.

Auch dem Radebeuler Kunstverein (von 1996 bis 2018) und dem Förderkreis der Stadtgalerie (ab 1999) sei für die vielfältige und zuverlässige Unterstützung noch einmal ausdrücklich gedankt.
Alle, die zum Fortbestand dieses, für jedermann kostenfrei zugängigen Kunstortes, auch künftig beitragen möchten, sind herzlich zur aktiven Mitwirkung eingeladen. Man darf optimistisch gespannt sein, auf das, was noch kommt… Soll es doch nicht nur theoretisch heißen „Galerie offen, Eintritt frei“.

Karin (Gerhardt) Baum

Die zweiteilige Galeriedokumentation ist in der Stadtgalerie erhältlich.

Die Ausstellung ist bis 5. Februar 2023, jeweils DI, MI, DO 14 bis 18 Uhr sowie SO 13 bis 17 Uhr geöffnet.
Sonderveranstaltungen im Rahmen der Ausstellung:
Sonntag, 5. Februar 2023 um 16 Uhr Doppel-Kuratorenführung mit Alexander Lange und Karin Baum
Montag, 6. Februar 2023 um 18 Uhr Finissage
sowie variable Einzel- und Gruppenführungen
(Anmeldungen unter 0351-8311-625, -626, 0160-1038663)

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