Ewiger Zauber

Laudatio zur aktuellen Ausstellung mit Fotografien von André Wirsig

Der Titel verspricht viel. Schon steigen Ahnungen auf, es könnte zu viel sein, was er verspricht: EWIGER Zauber? Es wird ja immer und überall zu viel versprochen in diesen Tagen. Einer solchen Ahnung folgend haben die Vordenker des heutigen Abends, so vermute ich, die lateinische Übersetzung gewählt: eterna magica. Da fällts nicht so auf und klingt trotzdem geheimnisvoll. Eterna hieß übrigens eine DDR-Schallplattenfirma, und zwar die, erinnert Euch mal, die für die gute, also für die klassische Musik zuständig war. Es handelt sich demnach um eine weit zurückliegende Ewigkeit. Und magica – nun, wer täglich oder ab und zu in der Morgenpost oder in den sich ernsthaft und bürgerlich gebenden DNN das Horrorskop genießt, der dürfte inzwischen ohnehin längst gänzlich entzaubert sein: ein ewig entzauberter Zauber also.
Bleiben wir dennoch für einige Augenblicke beim ursprünglichen obersächsisch-meißnischen ewigen Zauber und versuchen wir, ihm etwas von seinem Glanz abzugewinnen. Wir haben nämlich die große Überschrift noch gar nicht richtig gelesen: tausend Jahre Weinfest werden uns versprochen.
Das ist doch mal was! Tausend Jahre Weinfest.
Da steht natürlich sofort der Zauber-Bischof Benno im Blickpunkt, der ja Zeit seines segensreichen Wirkens hier im Elbtal allerhand ver- und vor allem gezaubert hat. Allerdings war er vor tausend Jahren gerade mal zehn geworden in seinem heimischen Hildesheim und demzufolge noch weit davon entfernt, hier im schönen Elbtal einstmals den ersten Weinstock gepflanzt haben zu können. Dennoch hat der Gedanke etwas Zauberhaftes: Ein zehnjähriger Bengel, voller Lebensfreude, voller Energie, der die Gassen der Stadt mit Jubel füllt und noch keine Ahnung hat, dass er irgendwann später im rauen Norden Weinstöcke pflanzen soll oder sich gar mit Kaisern rumärgern muss.
Unsere Zehnjährigen sitzen heute zu Hause wie die Füllen und füllen bestenfalls noch virtuelle Räume mit – ja, womit denn eigentlich?? Leben kann das ja wohl nicht genannt werden… Ob man da mal einst Weinstöcke pflanzt? Wenigstens lehren sie gelegentlich – sehr zu meiner Erheiterung übrigens – sogenannte zuständige Stellen das Fürchten. Sie dringen spielend und wie nebenher in virtuelle Hochsicherheitsräume ein, führen den Kinderglauben an die sogenannte Netzsicherheit ad absurdum und müssen sich dann vorwerfen lassen, auf so einfache Weise das Vertrauen in den Staat zu untergraben. Als ob der Staat virtuell wäre … nebenher stellt sich die Frage, wem hier eigentlich die Medienkompetenz fehlt.
Kindern kann ja wohl kaum angelastet werden, dass sie die Spiele der Nichterwachsenwerdenwollenden nachspielen und deren Bill-Gates-Träume vom unbegrenzten Reichtum nachträumen. Sie sind auch nicht schuld, wenn sich hochbezahlte Sicherheitsingenieure in der virtuellen Welt verirren. Das freilich spielt nachher in der strafrechtlichen Bewertung der Kinderzimmerspiele keine Rolle mehr, im Gegenteil: die das Lächerliche lächerlich machen, das Offensichtliche öffentlich, haben nach wie vor keine Gnade zu erwarten. In Amerika, dem selbsternannten Land der unbegrenzten Möglichkeiten, wurde jüngst einem Teenager die Verurteilung nach Jugendstrafrecht verweigert, weil er die Codes hoher Persönlichkeiten geknackt hatte…
Aber, was geht uns Amerika an – wir sprachen vom Zauber.

All jenen von uns, die Kopfrechnen noch ohne Tasten lernten, dürfte einleuchten, dass eine Kirche ohne Wein ungefähr so viel Wert ist, wie ein Smartphone ohne Netzteil. Der bereits seit 968 in Meißen ansässige Bischof (sozusagen ein Uralt-achtundsechziger) hätte ohne Meßwein einfach keine Verbindung zu seinem Chef bekommen: Kein Netz eben. Aber, wo Menschen sind, gibts immer Netze. Und in diesen Netzen können Bischöfe nicht nur Menschen, sondern auch Weinfässer fischen. Lebhaft stelle ich mir vor, wies lebhaft wurde auf der Burg Meißen, wenn wieder Fässer anrollten: Das war ein Fest! Ein Weinfest! Vor tausend Jahren schon. (Aus jenen fernen Tagen stammt der Ruf, wir sollten auf den Wein achten, weshalb das Fest dann schon recht bald zu Jahresende hin gefeiert wurde und immer noch wird).

Natürlich ließ dann auch – Benno hin, Benno her – der erste hier gepflanzte Weinstock nicht auf sich warten. Das eigentlich Bedeutende ist aber, dass sich am Wein seit tausend Jahren nichts geändert hat. Kaiser hinterließen Spuren. Könige kamen und gingen. Revolutionäre revolutionierten. Deserteure desertierten. Denunzianten denunzierten Onkel und Tanten. Juden verschwanden. Opportunisten bauten Tribünen für Tribune und Tributeure. Denker dachten. Komiker lachten. Winzer aber pflegten Wein. Jahraus, Jahrein. Tausend Jahre lang.
Die letzten dreißig von diesen tausend Jahren haben die meisten von uns hier in Kötzschenbroda miterleben dürfen.
In diesem Jahr nun müssen wir erleben, dass das alles nichts weniger als selbstverständlich ist. Tausend Jahre oder dreißig – jedes einzelne ist einmalig, unbezahlbar und voller Überraschungen. Was nicht einmal die Elbe konnte: Ein Virus kanns: Die Fröhlichkeit in Frage stellen und mit der Fröhlichkeit unseren Lebenswandel. Bei Tönnies kamen drei Mitarbeiter auf ein Bett, bei uns kommt ein Besucher auf vier Quadratmeter. Da ist zwar jeden Menge Luft nach oben, nur in der Fläche reichts nicht für alle… Beim ersten Mal da tuts noch weh – aber Schlager gabs ja bei Eterna nicht – Bisher gingen Jahr für Jahr alle die gigantischen von Richard zusammengenagelten Fantasien mit guten Wünsche und vielen Hoffnungen wie im richtigen Leben auf wunderbare Weise in Flammen auf. Wir haben gejubelt und nie daran gedacht, wie schnell das Feuer übergreifen kann. Und davon und noch von vielem anderen mehr, erzählt diese Ausstellung.
Über all die Jahre und (wer glaubts, wenn er ihn sieht?!) Jahrzehnte hat André Wirsig Tag und Nacht drangesetzt, sich keinen der magischen Momente, nichts von dem ewigen Zauber entgehen zu lassen. Auch diese Bilder – die inzwischen durchaus für tausend Jahre reichen – atmen den Zauber. Es ist ein Zauber, wie er auch von ganz jungem Wein ausgeht. Der nimmt selbst hartgesottenen Netzbetreibern die 3D-Brille von der Nase, denn getrunken wird niemals virtuell, getrunken wird aus realexistierenden Gläsern (oder, so Corona will, aus Plastebechern), wie schon Lessing geraten hat:

Trinket, Brüder, lasst uns trinken,
bis wir berauscht zu Boden sinken.
Ein Hoch auf Bacchus, keine Chance den Viren,
wer Wein im Glas hat, kann gar nicht verlieren!

Thomas Gerlach

Es geht wieder los

Pläne und Ideen der Familieninitiative für die nächste Zeit

In den Heften 3 und 4/2020 konnten wir die dreißig Jahre der Familieninitiative, kurz FAMI, nacherleben. Nun wurde Anfang September eingeladen, die Pläne und Ideen für die kommende Zeit zu erfahren. Mathias Abraham, Geschäftsführer, Anja Schenkel, verantwortlich für die Presse – und Öffentlichkeitsarbeit und Projektleiterin von „Team Radebeul“, sowie Edna Ressel, Koordinatorin „Dritter Ort“ Radebeuler Kultur-Bahnhof,
hatten eingeladen.
Zunächst wurde auf die vergangene „Coronazeit“ eingegangen. Am 13. März hatte sich die FAMI entschieden, ihre Arbeit sofort ein- bzw. umzustellen, da ihre BesucherInnen aus vielen gefährdeten Personen bestand und besteht. So erfolgte z.B. das Umstellen auf telefonische Beratungen, statt persönliche. Gemeinsame Einkäufe mit Bedürftigen mussten entfallen, ein „Bringedienst“ organisiert werden. Um alle Einkaufswünsche erfüllen zu können, war sogar der Einsatz eines zusätzlichen Fahrzeuges notwendig.
Doch viele Kurse, die bis dahin den Alltag der FAMI prägten und auch entsprechende Gelder einbrachten, entfielen ersatzlos. Das bedeutete: bis Juni entstand eine Lücke bei den Eigenmitteln von ca. 65T€ . Kurzarbeitergeld wurde beantragt und bewilligt, Fördermittel ebenso. Eigentlich hätte dann im Juni unter Einhaltung der Abstandsregeln alles wieder anfangen können, aber diese waren in den Räumen der FAMI nicht einzuhalten. Also: Jetzt Neustart! Desinfektionsspender stehen bereit, ebenso
Masken, Kontaktdaten werden bereitwillig hinterlegt, so dass dem nichts mehr entgegen steht. Froh sind die älteren Menschen, wieder einen sozialen Treffpunkt zu haben. Das
Café lädt dank fünfzehn ehrenamtlicher HelferInnen zum Verweilen ein, Mittagessen kann wieder eingenommen werden. Die Kurse begannen wieder. Es übersteigt hier die Möglichkeit, alle aufzuzeigen, da verweise ich auf das Halbjahresprogramm Juli bis Dezember. Nur soviel sei gesagt: Sowohl werdende und seiende Mütter, Familien, alle die Spaß am kreativ sein haben, an Weiterbildung, Sport, Heimatkunde und auch
Menschen, die sich mit Demenz und Pflege beschäftigen müssen, finden in der FAMI AnsprechpartnerInnen. Die 27 fest angestellten MitarbeiterInnen und 120 Ehrenamtliche geben ihr Bestes!
Nun gibt es zu dem bereits funktionierenden Teil der FAMI ein neues Projekt. Edna Fessel ist die Projektmanagerin für eine Idee, die den Kulturbahnhof in Radebeul-Ost mit einbezieht. In Radebeul-Ost entstehen zahlreiche neue Wohnungen, und so ist es nur logisch, auch dort für einen sozialen Treffpunkt einem „dritten Ort“, neben Wohnung und Arbeitsstelle, zu sorgen. Geplant ist, dass es am 16.Oktober mit der Eröffnung eines Cafés, zeitgleich mit dem Wochenmarkt, los gehen soll. Weitere Ideen sind Kurse, beispielsweise zum sinnvollen Umgang mit den neuen Medien. Gemeinsam mit den Einwohnern von Ost sollen weitere Angebotswünsche ermittelt und wenn möglich auch umgesetzt werden. Schon jetzt kann gesagt werden, dass auch hier ehrenamtliche HelferInnen immer gebraucht werden. Wem es also zu Hause langweilig wird, oder wer an einer guten Gemeinschaft Gefallen findet: Die FAMI freut sich auf Sie.
Das dritte Einsatzgebiet, dem sich die FAMI angenommen hat, ist die Vernetzung aller Radebeuler Vereine. Hier gibt es ein Portal im Internet www.team-radebeul.de, auf dem sich bereits 73 Vereine kurz vorstellen. Ebenso sind Fördermöglichkeiten aufgezeigt und eine Stellenbörse fürs Ehrenamt ist enthalten.
Wichtig ist, dass sich Förderinnen und Förderer aus Wirtschaft und Unternehmen, sowie Unterstützerinnen und Unterstützer aus der Verwaltung gemeinsam mit dem Team der FAMI über Fördermöglichkeiten abstimmen. Zur Zeit läuft eine Spendenaktion. Bis zum 20.September konnten sich Vereine für eine Förderung bewerben. Über ein Losverfahren wurde in den Rubriken Soziales, Sport, Kultur und Sonstige jeweils ein Verein ausgelost. In der Zeit vom 1.11. bis 31.1.2021 kann dann für die Gewinnerprojekte gespendet werden. Hinweise finden sie auf o.g. Internetseite und im Amtsblatt von Radebeul.
Sie sehen also, dass im 30. Jahr des Bestehens der Familieninitiative Ideenreichtum und
Enthusiasmus ungebrochen sind. Und da auch wir, das Radebeuler Monatsheft, unseren 30. Geburtstag feiern, können wir uns gegenseitig nur anspornen: Weitermachen, wir schaffen das!

Ilona Rau

Zur Titelbildserie

Die Malerin und Grafikerin Bärbel Kuntsche lebt gern in der Wein- und Gartenstadt Radebeul. An Motiven vor der Haustür gibt es keinen Mangel. Die flotte Pinselzeichnung auf der Titelseite ist speziell für die Septemberausgabe unseres Monatsheftes entstanden und bringt das hiesige Lebensgefühl sehr treffend zum Ausdruck.
Ein bisschen Theater gehört natürlich in Radebeul auch immer dazu. Ein Vorhang öffnet sich. Zu sehen ist im Vordergrund ein Tisch. Eine elegante Obstschale, zwei Weingläser und Früchte sind darauf wie ein Stillleben arrangiert. Von dort aus schweift der Blick über Häuser bis hin zu den terrassierten Weinhängen. All das scheint in einem engen inneren Zusammenhang zu stehen. Sensibel spielt die Künstlerin auf das kulturelle Klima in dem jahrhundertealten Weinbaugebiet an, dessen Bewohner sehr im Einklang mit der Natur leben und denen Geselligkeit vor und hinter den hohen Mauern ein wichtiges Bedürfnis ist.
Sobald der Sommer ausklingt, die letzten Früchte gereift sind und die Lese des Weines beginnt, werden fröhliche Herbst-, Wein- und Erntefeste gefeiert. Das ist seit Generationen eine schöne Tradition. Denn der Mensch lebt nicht vom Brot allein.
Doch in diesem Jahr ist alles anders. Die Corona-Pandemie zwingt zum Innehalten. Feste werden zwar gefeiert – aber mit Abstand und Bedacht.
Wenn sich die ersten Gläser mit frischem Federweißen füllen, sollten wir auf Gesundheit, Lebensfreude und Vernunft anstoßen. Aber auch auf die Künstlerin Bärbel Kuntsche, die Ende August ihren 81. Geburtstag gefeiert hat.

Karin (Gerhardt) Baum

Mit Wolf Biermann poetisch und politisch durch das Jahr

Eiserne, fast verschwundene Details an Häusern in Radebeul

Vorschauleser werden es wissen, von Zeit zu Zeit betrachte ich unsere Häuser hinsichtlich spezieller Details. Viele, die den gleichen Weg durch Radebeul gehen, werden an diesen Details vorübergehen. Die zuletzt behandelten Teile von Häusern waren die zapfenartigen Holzgebilde an Dachkanten von Schweizerhäusern (V&R 05/20).
Aber heute geht es um Eisernes, also Details vorwiegend aus Eisen bzw. Stahl bestehend, um ältere Fahnenstangenhalterungen für schräg auskragende Fahnenstangen an Fassaden, also fast verschwundene Relikte aus einer anderen Zeit. Meine Vorgabe war, nur wenn ich 5 Stück entdeckt hätte, lohnte es sich darüber zu schreiben. Da ich schließlich gar 6 eiserne Fahnenstangenhalter
gefunden habe, kann ich loslegen. Doch zunächst will ich das Thema größere, verzierte Fahnenstangenhalterungen in Radebeul abgrenzen, d.h., ich lasse die kleinen Blechhülsen meist für ganz kleine Fahnen an Fensterrahmen weg, ebenso jene Verankerungen für in Vorgärten oder im öffentlichen Bereich stehende senkrechte Fahnenstangen betrachte ich hier nicht. Natürlich fiel mir auf, dass von den 6 gefundenen Exemplaren sich 5 in Radebeul West befinden und nur eine in Ost. Habe ich in Radebeul-Ost vielleicht nicht gründlich genug gesucht? Oder sollte es eine andere Begründung für die ungleiche Verteilung geben? An welchen Haustypen können wir Fahnen oder Fahnenstangenhalterungen vermuten? Sicherlich eher an Häusern in Gebieten mit städtischer Entwicklung als in den Dörfern, also an öffentlichen Gebäuden wie Rathaus, Bahnhof, Postamt, Schule und Gasthof, auch an Wohn- und Geschäftshäusern und an Villen. Erstaunlicherweise wurde ich bei meiner Recherche gerade bei den öffentlichen Gebäuden überhaupt nicht fündig!
Die meisten Radebeuler Fahnenstangenhalter gehen auf die Zeit des deutschen Kaiserreichs, also die Zeit vor 1918 zurück und weisen eine gewisse künstlerische Gestaltung auf, die die Statik etwas in den Hintergrund schiebt. Ja, Statik muss bei solchen eisernen Konstruktionen auch beachtet werden, wenn man bedenkt, was für Kräfte bei Wind, Sturm und Regen auf die Fahne, die hölzerne Stange und die Halterung aus Eisen wirken und auf die Wand übertragen werden müssen. Die Geometrie eines Dreiecks steht für ein statisch bestimmtes, d.h., „gerade noch unbewegliches“ kräfteübertragendes System, und so können wir bei allen Fahnenstangenhalterungen Dreiecke in räumlicher Anordnung erkennen. Besonders da, wo die Fahnen über Straßen, Plätzen oder Fußwegen wehen muss die Statik stimmen, um darunter laufende oder fahrende Menschen nicht zu gefährden. Welche Arten von Fahnen könnten früher in den alten Halterungen gesteckt haben? Politische Fahnen sicher, wie die schwarz-weiß-rote Reichsflagge oder solche von Parteien, Fahnen von Vereinen oder auch der Werbung für größere Betriebe, z.B. Shell, Odol, oder für Geschäfte dienende Fahnen. Vermutlich gab es in Radebeul auch Fahnenstangen, die eine Seilvorrichtung hatten, um die Fahne zu hissen.
Wenn ich die Radebeuler Postkartenbücher (Schließer, Morzinek, Thiele) durchblättere, komme ich zu dem Schluss, es musste viel, viel mehr gegeben haben als jene 6, die ich heute noch fand. Vielleicht die zehnfache Menge. Ich sehe ein bekanntes Bild des Dresdner Maler Gotthard Kuehl „Blick vom Altmarkt zur Schlossstraße“ (Dresden um 1900) vor mir, wo in der Schlossstraße ein buntes Flaggenmeer zu sehen ist, da muss schon eine Begeisterung, ja Euphorie in der Bevölkerung gewesen sein. So wird einem auch klar, wo die Begeisterung einer Mehrzahl der Deutschen herkam, um 1914, später sprach man vom 1.Weltkrieg, in den Krieg zu ziehen. Wie ist das massenhafte Flaggen im Kaiserreich zu erklären und warum war in allen nachfolgenden deutschen Staatsgebilden diese Lust immer weniger geworden?
Im Land Sachsen zumindest sollte die grün-weiße Fahne zeigen, dass sich der letzte König Friedrich August einer gewissen Beliebtheit im Volke erfreuen durfte. In der DDR soll der ABV (Ortspolizist) Rundgänge gemacht haben, um zu prüfen, wer zum 1. Mai oder 7. Oktober nicht geflaggt hatte. Warum nahm der Bestand an Fahnenstangenhaltern über ca. 150 Jahre in Radebeul derart ab, dass ich heute nur noch 6 Stück davon auffinden konnte? Nach zwei verlorenen Kriegen ist den Deutschen offensichtlich die Lust Flagge zu zeigen vergangen, dann brauchte man auch keine Fahnenstangenhalter mehr. Hinzu kam, dass es oft der Rat von Handwerkern, Putzer und Maler war, das in der glatten Wand störende eiserne Ding doch abzunehmen, dann wäre der Preis etwas günstiger. Und ein paar von diesen Halterungen mögen auch durch Nichtbenutzung und fehlende Instandhaltung verrostet und herabgefallen sein – der Gang der Dinge, wenn man nichts macht. Doch schauen wir uns im Folgenden die verbliebenen 6 Fahnenstangenhalter einmal der Reihe nach (von Ost nach West) etwas genauer an:

1. Eduard-Bilz-Straße 23 (Mietvilla 1906, Fa. Gebr. Ziller)

Foto: D. Lohse

Die auf den ersten Blick einteilig wirkende eiserne Halterung der Fahnenstange unter einem Fenster des 1. OG besteht aus mehreren verschraubten Teilen, die relativ lange, schräge Rohrhülse (ca. 0,75m lang) sitzt am Fußpunkt auf einem senkrechten Grundblech auf und ist oben noch einmal horizontal mit einer Strebe (ca. 0,25m lang) wieder mit dem Grundblech verbunden, so wird ein Dreieck gebildet. Die Hülse ist außerdem nach beiden Seiten mit wellenförmigen Streben gegen das Mauerwerk abgestützt. Das Grundblech ist am oberen und unteren Ende in geschweifte Formen gespreizt und im Dreieck unter der Hülse finden wir noch eine schneckenförmige Metallzier. Diese Halterung erinnert an den Jugendstil und dürfte ursprünglich sein, lediglich die Schraubverbindungen irritieren hier ein wenig. Die Aufarbeitung und Verzinkung veranlasste in den 90er Jahren noch der Alteigentümer. Der jetzige Eigentümer hisst noch gelegentlich eine Fahne, zuletzt die italienische für ein da der Familie geborenes Kind – eine nette Idee!

2. Zillerstraße 10 („Landhaus Käthe“ um 1880, Gebr. Ziller)

Foto: D. Lohse

Am Hauptgiebel befindet sich in der Höhe der Decke des 1. OG eine eiserne, wohl ursprüngliche Fahnenstangen-halterung. Herr Dr. Franke, der heutige Eigentümer, bestätigte das Vorhandensein der Halterung zumindest seit Mitte der 20er Jahre als es seine Familie erwarb. Der obere Teil aus zwei ein Dreieck bildenden Stäben trägt an der Spitze (ca. 0,50m vor der Fassade) eine ringförmige Halterung. Eine Fahnenstange sah ich hier nicht. Auf den Stäben wurden oben und unten jeweils herzförmige, eiserne Zierelemente angebracht. Als Fußpunkt für die Fahnenstange finden wir eine Stahlhülse auf der Fensterverdachung aufsitzend. Die leicht verwitterten Metallteile haben eine dunkelgraue Farbe.

3. Zillerstraße 21 (Mietvilla von 1897)

Foto: D. Lohse

Die alte Fahnenstangenhalterung befindet sich hier zwischen zwei EG-Fenstern in einer vertikalen Achse zu zwei höher gelegenen Stuckrosetten. Nur der obere Teil einer ein Dreieck bildenden Metallkonstruktion, bestehend aus je drei geschweiften Metallbändern ist erhalten. An der Spitze der Konstruktion, ca. 0,60m vor der Wand, sehen wir eine Halbschale zur Aufnahme der ehemals vorhanden gewesenen Fahnenstange. An deren Vorderseite befindet sich eine kleine Metallrosette. Der untere Befestigungspunkt könnte auf dem Gesims in Höhe des EG-Fußbodens gelegen haben, ein entspr. Metallteil fehlt aber. Der Erhalt dieser Halterung war bei der Sanierung denkmalpflegerisch empfohlen worden. Die Metallteile wurden, wie der Zaun, mintgrün gestrichen.

 

4. Thomas-Mann-Straße 4 (Mietvilla 1895)

Foto: D. Lohse

Etwa in der Mittelachse der Schauseite des Hauses finden wir in Höhe zwischen EG und OG eine alte, zweiteilige Fahnenstangenhalterung. Der obere Teil besteht aus zwei ein Dreieck bildenden Stahlstäben mit gebogenen oberen Enden, wo ein Ring zur Aufnahme der Stange sitzt. Der Fußpunkt wird von zwei s-förmigen Bögen zwischen zwei EG-Fenstern gebildet. Offenbar existiert hier keine Fahnenstange mehr. Die Metallteile wurden schwarz gestrichen. Die gegenüber liegende Mietvilla könnte auch einmal eine Fahnenstangenhalterung besessen haben, woran lediglich zwei Metallösen in Höhe des 1. OG erinnern. (Da muss noch mal nachgefragt werden.)

 

 

 

 

5. Altkötzschenbroda 41 (Wohn- und Geschäftshaus 1877)

Foto: D. Lohse

Hier weht immer noch oder wieder eine Fahne über dem Fußweg in Höhe des 1. OG. Die zweiteilige Halterung besteht oben aus zwei ein Dreieck bildenden gedrehten Stahlstäben, auf denen jeweils vier kleine Zierbögen oben und unten, links und rechts aufgesetzt wurden, vorn eine ringförmige Halterung für die Holzstange. Wo die Stahlstäbe im Sandsteingewände zweier benachbarter Fenster verankert sind, wurden zwei rosettenartige Kappen aufgesetzt. Den Fußpunkt bildet eine flache Hülse auf dem Gurtgesims. Alle Metallteile wurden schwarz gestrichen. Die Werbefahne bezieht sich auf das im Hause befindliche Modegeschäft von Frau Fine Reiff.

 

6. Moritzburger Straße 1 (Wohn- und Geschäftshaus „Wettin-Haus“, 1898)

Foto: D. Lohse

 

Eine Werbefahne für die im Hause befindliche Bank befindet sich über dem Fußweg auf der Gebäudeecke am Erker in Höhe des 1. OG, sehr werbewirksam! Eine Postkarte aus den 30er Jahren (darauf auch ein moderner Hechtwagen der Straßenbahn) zeigt hier jedoch keine Fahne, so dass die Konstruktion einer vergleichsweise simplen Fahnenstangenhalterung wohl erst in den 90er Jahren angebracht worden sein kann. Zwei eiserne Zugstangen, deren Enden im Gewände des Erkerfensters verankert sind, bilden ein Dreieck und treffen sich in einem Ring, in dem die hölzerne Stange gehalten wird. Den Fußpunkt bildet eine Metallhülse, die passend in ein kreisrundes, älteres Stuckelement eingesetzt wurde. Hier ist sozusagen „Statik pur“ zu sehen. Verzierungen finden wir an der schwarz gestrichenen Fahnenstangenhalterung keine.

 

Das war wieder mal ein sehr spezielles Kapitel zum Bauwesen mit dem zu häufig vorkommenden Zungenbrecher „Fahnenstangenhalterung“, ließ sich aber kaum vermeiden. Da sind doch die Themen von meinem Redaktionskollegen K.U. Baum, alias Motzi, schon bewegender, wenn auch nicht weltbewegend. Ich kümmere mich eben gern mal um die stilleren Radebeuler Themen, vielleicht interessiert es ein oder zwei Leser? Ich danke Herrn Dr. Richter, einem ehemaligen Assistenten aus Studienzeiten, für ein anregendes Gespräch über Statik.

Dietrich Lohse

Junger Radebeuler komponiert

Justin Pötschke stellt sich vor

Justin Pötschke 2020 beim Komponieren, Foto: Anja Rogge

Klassik – eine Musikrichtung, die mich schon seit meiner frühen Kinderzeit fasziniert. 2006, im Alter von drei Jahren hat alles mit der Musik von André Rieu angefangen, woraufhin ich mit Geige spielen begonnen habe. Von da an fühlte ich mich immer mehr zur klassischen Musik hingezogen, ich hörte Beethoven, Mozart, Schubert und fing vor drei Jahren schließlich mit dem Komponieren klassischer Musik an.
Ausschlaggebend dafür war, dass ich eines Tages die „Moldau“ in der Dresdner Philharmonie hört und ich mich fragte, warum es denn nicht auch eine „Elbe“ gäbe. Zu dieser Zeit konnte ich weder Klavier spielen, noch kannte ich mich in irgendeiner Weise mit den Regeln der Komposition aus. So entschloss ich mich, in die Musikbibliothek nach Dresden zu fahren. Dort hatte ich dann die Möglichkeit, eine Vielzahl von den unterschiedlichsten Partituren zu studieren. Ich war beeindruckt. Zuhause begann ich sofort mit einem kostenlosen Notensatzprogramm die ersten Noten des zukünftigen Stückes „Elbe“ zu komponieren. Zu Beginn war ich durchaus überfordert und war kurz davor aufzugeben. Doch ich konnte es einfach nicht lassen.
Nach einem guten Jahr war das Stück endlich fertig und ich beschloss noch mehr zu komponieren. Dafür legte ich mir ein besseres und kostenpflichtiges Programm zur Komposition zu. Es folgten weitere Musikstücke wie kleinere Streichquartette, Variationen von bekannten Musikstücken und auch meine erste eigene Sinfonie. Ich stellte fest, dass ich, je mehr Zeit ich mit dem Komponieren verbrachte, immer besser und glücklicher wurde. In dieser Phase nahm ich sogar ein halbes Jahr Kompositionsunterricht in Dresden. Eine spannende, abwechslungsreiche Zeit. Und dann: meine erste Oper. Dies ist ein kleines Gemeinschaftswerk, da mir meine komplette Familie behilflich war den Text zu verfassen. Das Stück mit dem Namen „Die Nachtwächterin“, bei dem es sich um eine Liebesgeschichte handelt, würde rund zehn Solo-Sänger*innen und einen Chor mit gut 50 Personen benötigen und eine Spielzeit von ungefähr 100 Minuten umfassen. Leider zu lang, um dieses Projekt an der Semperoper uraufzuführen.
Meinen ersten großen Erfolg erzielte ich mit einer Aufführung von drei selbst komponierten und arrangierten Stücken beim MDR. Das Thema war Beethoven, und ich konnte mich voll in meiner Fantasie ausleben. Ich hoffe, dass ähnliche Projekte folgen werden!
Anfang dieses Jahres entschloss ich mich nun eine neue Oper, mit dem Titel „Die heimliche Ehe“, zu schreiben. Ebenfalls eine Liebesgeschichte. Diese wurde unter anderem in Auszügen auf einer Vernissage in der „Schwarzen Seele“ in Radebeul gespielt. Doch dazu war kein Orchester nötig, da es die modernen Musikprogramme ermöglichen, die geschriebenen Noten in hörbare Musik umzuwandeln. Dies erleichtert sehr das Komponieren. Nichtsdestotrotz schreibe ich die meisten meiner Ideen per Hand auf und überarbeite diese anschließend auf dem Computer. Mein nächster Plan besteht nun darin, die Oper das erste Mal von einem Notenverlag drucken zu lassen.
Eine weitere Leidenschaft von mir ist das Dirigieren. Seit einem guten halben Jahr nehme ich nun Dirigentenunterricht und leite das Schulorchester des Lößnitzgymnasiums. Damit konnten wir sogar schon den ersten Satz meines Klavierkonzertes uraufführen, und auch das Flötenensemble hat schon einige Stücke von mir gespielt.
Leider ist es immer sehr, sehr schwer alte Musik in Opernhäusern uraufzuführen, da das Interesse an neuen, „neuartigen“ Stücken steigt. Natürlich muss ich mir diese Tatsache annehmen, kann es aber ehrlich gesagt doch nicht ganz nachvollziehen, warum nicht auch mal wieder „neue–alte“ Musik in die Bearbeitung genommen wird.
Justin Pötschke

Editorial September 2020

30 Jahre „Vorschau & Rückblick“

Der Herbst naht und wir starten einen zweiten Anlauf, auch wenn im Moment die Corona-Zahlen wieder etwas ansteigen, unseren runden Geburtstag von „Vorschau & Rückblick“ gebührend zu feiern.
Am Freitag, dem 23. Oktober ab 18 Uhr wollen wir gemeinsam mit unseren Mitgliedern und allen geladenen Gästen im Gewölbesaal des Kavalierhauses der Hoflößnitz diesen runden Geburtstag begehen.
Ich hoffe, dass alle, die zum Mai unsere Einladung erhielten, diese wohl verwahrt haben und sich nun mit uns auf diesen Abend freuen. Wir sorgen für Speisen und Getränke und musikalische Umrahmung.
Sie bringen bitte gute Laune mit und Ideen Wir erinnern nochmals daran, auf Blumen zu verzichten. Weinflaschen sind jedoch willkommen.
Zur besseren Planung bitten wir um eine Rückmeldung bis zum 30. September 2020.

Bis dahin wünschen wir Ihnen einen sonnigen Herbst und hoffentlich wieder vermehrt analoge Begegnungen im Rahmen der jahreszeitbedingt anstehenden Herbst- und Weinfeste!

Mit herzlichen Grüßen
im Namen des Vereins

Ilona Rau
Vereinsvorsitzende

 

Ein Wanderer zwischen den Welten

Erinnerungen an Frank Hruschka
(geb. 15.September 1961; verst. 25. Oktober 2019)

Frank Hruschka zwischen 1995 und 1996 aufgenommen, Foto: Michael Lange

Im September wäre Frank Hruschka 59 Jahre alt geworden. Als es im Oktober des vorigen Jahres hieß, der Frank ist tot, war das für viele von uns kaum vorstellbar. Trotz des traurigen Anlasses glich die Feier, welche nach der Beerdigung im „Atelier Oberlicht“ stattfand, einer großen Party und alles schien nur darauf zu warten, dass Frank plötzlich um die Ecke kommt, wie immer, mit vielen neuen Ideen im Kopf.
Von seinem schweren Herzleiden haben nur wenige gewusst.

Schon an diesem Tag gab es erste Überlegungen, dass man die vielen Geschichten, die sich mit Frank verbinden, einmal aufschreiben müsse. Hatte er doch über zwei Jahrzehnte die alternative Kunst- und Kulturszene von Radebeul mitgeprägt. Doch wer sollte das tun? Frank Hruschka war ein Wanderer zwischen den Welten und oftmals mit mehreren Dingen gleichzeitig befasst.

Meine eigenen Erinnerungen an Frank beziehen sich hauptsächlich auf die unmittelbare Nachwendezeit. Er wurde mir durch den Radebeuler Maler Peter PIT Müller vorgestellt. Ich selbst leitete damals die „Kleine Galerie“ in Radebeul-Ost auf der Ernst-Thälmann-Straße (heute Hauptstraße). Da meine Kollegin Petra Clausnitzer wieder in ihrem Beruf als Architektin arbeiten wollte, wurde für sie ein Nachfolger gesucht. Frank war vielseitig ambitioniert und als freischaffender Ausstellungsgestalter, Fotograf und Gebrauchsgrafiker aktiv. Obwohl er keine für die Tätigkeit erforderliche Ausbildung besaß, verlief das Einstellungsprozedere aus heutiger Sicht erstaunlich unkompliziert. Er bewarb sich, wurde für geeignet befunden und im Bildungs- und Kulturamt ab April 1991 als „Sachbearbeiter für Ausstellungen und Gestaltung“ eingestellt. Allrounder wie Frank waren damals gefragt. Improvisation stand auf der Tagesordnung. Die Aufbruchstimmung und der damit verbundene Enthusiasmus ließen wenig Raum für Bürokratie.

Die kleine kommunale Galerie entwickelte sich bei laufendem Ausstellungs- und Veranstaltungsbetrieb nun auch zu einer Art Basislager für Stadtteilkultur. Cornelia Bielig (heute Sachgebietsleiterin für Feste und Märkte), Frank Hruschka und ich waren u.a. für die Konzeption, Organisation und Dokumentation von Großveranstaltungen zuständig. Oft arbeiteten wir bis in die Nacht hinein. Stechuhren sowie Rauch- und Musikverbote in Diensträumen gab es damals noch nicht.

Das erste Herbst- und Weinfest in Altkötzschenbroda, welches vom 27. bis 29. September 1991 stattfand, wurde innerhalb von zwei Monaten auf die Beine gestellt. Auch der erste Nachwende-Weihnachtsmarkt in Radebeul-Ost fiel in unsere Zuständigkeit. Die Dezernentin Frau Dr. Ellen Brink und der Amtsleiter Dr. Dieter Schubert gewährten amtlichen Beistand und hielten ihre schützenden Hände über uns. Als praxiserprobte Eingreiftruppe waren wir nun auf unterschiedliche Weise in mehrere Projekte eingebunden. Das Jahr 1992 hatte es in sich. Auf die ersten Karl-May-Festtage Mitte Mai, folgte bereits Ende Mai die erste Gewerbemesse und im Juni die Eduard-Bilz-Festwoche. Danach fanden im September wieder das Herbst- und Weinfest sowie Anfang November der Grafikmarkt statt. Zahlreiche Flyer, Broschüren, Logos, Plakate, Gestaltungselemente aus jener Zeit tragen Frank Hruschkas Handschrift.

Von Frank Hruschka gestaltetes Logo für das Radebeuler Herbst- und Weinfest

Nachdem ich mit meiner Kollegin Cornelia Bielig unters Dach einer Villa auf dem Körnerweg gezogen war, arbeiteten wir trotz der räumlichen Trennung auch weiterhin mit der Vor-Ort-Besatzung von der Stadtgalerie eng zusammen. Personelle Verstärkung hatte Frank Hruschka inzwischen durch Cornelia Müller erhalten. Beide harmonierten sehr gut miteinander, denn auch sie bewährte sich als kreatives Multitalent.

Bemerkenswert war u.a. die Gemeinschaftsausstellung „Schon mal gesehen“ (1992), vereinte sie doch die Werke der in das ehemalige DDR-Gebiet zurückgekehrten Künstler Cornelia Schleime und Ralf Kerbach sowie der dagebliebenen, nicht minder widerständigen Künstler Peter PIT Müller und Reinhard Sandner. Für kontroverse Diskussionen und mediale Aufmerksamkeit sorgten auch die Ausstellungen mit kommunalpolitischem Bezug wie „Hingerichtet – ist der Blick auf die Jugend“ (1993) oder “Familienfreundliches Radebeul“ (1994).

Das vorläufige Aus für die Galerie kam dann ziemlich abrupt. Der Hausbesitzer hatte die angemieteten Räume per 30. Juni 1995 gekündigt. Das Gute daran war, dass die Sanierung des Dreiseithofes Altkötzschenbroda 21, wo ja ohnehin seit 1990 der künftige Galeriestandort vorgesehen war, endlich wieder Fahrt aufgenommen hatte. Fortan ging die Galerie für zwei Jahre ins Exil. Da Frank ausgesprochen kommunikationsfreudig war, fiel es ihm nicht schwer, zahlreiche temporäre Ausstellungsmöglichkeiten zu erschließen. Selbst die noch unsanierten Räume in der sogenannten „Kulturschmiede“ (zeitweilige Bezeichnung für das Objekt Altkötzschenbroda 21) wurden in ihrem ursprünglichen Zustand für Ausstellungszwecke genutzt.

Unsere Wege begannen sich 1996 zu trennen. Als Geschäftsführer des neu gegründeten Vereins „Kultur im Umland“ wendete sich Frank Hruschka anderen Aufgaben zu. Hin und wieder kam es zur projektbezogenen Zusammenarbeit wie beim Gedenkkatalog für den verstorbenen Künstler Ingo Kuczera (1964-2004).

Von Frank Hruschka gestaltetes Logo für die IG JazzGEFLÜSTER

Die Stadtgalerie wurde schließlich im September 1997 am neuen Standort eröffnet. Franks Kommentar lautete knapp: „Viel zu klein!“. Er dachte eben immer groß. Auf Initiative des Münchner Investors Dr. Christoph Dross, der im Sanierungsgebiet Altkötzschenbroda gern auch Künstler ansiedeln wollte, bot sich die Möglichkeit, zu bezahlbaren Konditionen ein zentral gelegenes Gemeinschaftsatelier anzumieten. Die Künstler Homayon Aatifi, Nikolai Bachmann, Julius Hempel, Frank Hruschka, Ingo Kuczera und Markus Retzlaff ergriffen die Chance und gründeten 1999 die Produzentengalerie „Atelier Oberlicht“. Die ursprüngliche Idee vom gemeinsamen Arbeiten, Reden und Feiern funktionierte mal mehr und mal weniger. Legendär und immer gut besucht, waren die Veranstaltungen der IG Jazz, die sich im Jahr 2005 gegründet hatte. Vom lebhaften „JazzGEFLÜSTER“ wird noch heute geschwärmt. Bei vielen Aktionen war Frank ein wichtiger Motor. Schließlich verließ er nach zehn Jahren das Gemeinschaftsatelier und zog 2009 ins Loschwitzer Künstlerhaus. Damit begann für ihn ein völlig neuer Lebensabschnitt. Den Radebeuler Künstlern – vor allem Markus Retzlaff, der das „Atelier Oberlicht“ bis heute weiterführt – blieb er bis zu seinem frühen Tod freundschaftlich verbunden.

Frank Hruschka 1994 nach getaner Arbeit im Hof des Bildungs- und Kulturamtes auf dem Körnerweg Foto: Privatarchiv

Frank Hruschkas innige Beziehung zur Lößnitzstadt kommt vor allem auch in zahlreichen Fotografien zum Ausdruck. Er hatte einen sicheren Blick für das Besondere im Alltäglichen. Eine Vorliebe galt der schwarz/weiß-Analog-Fotografie. Was nicht ausschloss, dass er auch digital und farbig fotografierte. Sehr stimmungsvolle Aufnahmen existieren aus den Anfangsjahren der Radebeuler Feste. Und immer wieder fotografierte er in Altkötzschenbroda, so zum Beispiel vor der Sanierung, während des Hochwassers oder in den stillen Stunden der Nacht. Ungewöhnliche Momentaufnahmen sind auf Reisen mit Künstlerkollegen nach Frankreich, Kuba und Italien aber auch in der Radebeuler Partnerstadt St. Ingbert entstanden.
Das 30. Radebeuler Herbst- und Weinfest bietet den Anlass, an Frank Hruschka und sein fotografisches Schaffen zu erinnern.

Karin (Gerhardt) Baum

Frischer Wind im Kulturamt Radebeul

Interview mit der Kulturamtsleiterin Gabriele Lorenz

Nach nunmehr einem Jahr und sieben Monaten kann die Position des Kulturamtsleiters ab 1. September dieses Jahre neu besetzt werden. Dazu waren zwei Ausschreibungen nötig, da das erste Auswahlverfahren zu keinem Ergebnis geführt hatte. Auch das zweite Verfahren drohte zu scheitern und musste nochmals an den Stadtrat zur Entscheidung zurückgegeben werden. Schließlich setzte sich nach einer weiteren Abstimmung Frau Dr. Gabriele Lorenz durch.

Mit Frau Dr. Lorenz führten die Redaktionsmitglieder von „Vorschau und Rückblick“ Karin (Gerhardt) Baum und Karl Uwe Baum nachfolgendes Gespräch.

Dr. Gabriele Lorenz, Jahrgang 1961; geboren in Schlema im Erzgebirge, promoviert als Dr. phil. in Romanistik; 1995 bis 2004 Mitarbeiterin in der Kulturabteilung der französischen Botschaft in der Bundesrepublik Deutschland; 2005–2020 Kulturmanagerin in Annaberg-Buchholz; seit 2007 ehrenamtliche Bundesvorsitzende des Erzgebirgsvereins.

Designierte Amtsleiterin Dr. Gabriele Lorenz auf der diesjährigen Radebeuler Kasperiade
Foto: Karl Uwe Baum

K. (G.) Baum Frau Dr. Lorenz, die Redaktion von „Vorschau und Rückblick“ gratuliert ihnen herzlich zur Übernahme des Kulturamtes in Radebeul.

In einem Beitrag der Sächsischen Zeitung vom 17. Juni 2020 war nach ihrer Wahl zur Radebeuler Kulturamtsleiterin der Satz zu lesen: „Radebeul hat alles, was mein Kulturherz höherschlagen lässt.“ – Können sie das genauer benennen?

Dr. Lorenz Ich danke ihnen zunächst für Ihre Glückwünsche und die Möglichkeit, mich in V&R vorstellen zu können.

Radebeul habe ich entdeckt, als ich von 2015 bis 2018 in Dresden wohnte und mit dem Fahrrad die Umgebung erkundete. Ein begeisterndes Erlebnis war dabei für mich das Internationale Wandertheaterfestival verbunden mit dem Weinfest auf dem Anger in Altkötzschenbroda. Zu allen Jahreszeiten bietet Radebeul diese Festformate zu verschiedenen Themen, vom Faszinosum Karl May bis hin zur zauberhaften Kasperiade. Eindrucksvoll ist auch das reiche künstlerische Leben vor Ort, besonders in der Bildenden Kunst. Dass neben den privaten Galerien auch eine Städtische Galerie betrieben wird, finde ich ein wichtiges Zeichen der Wertschätzung für die Künstler. Auch die Nutzung eines Bahnhofsgebäudes für die Kultur verstehe ich als ein starkes Signal. Mit den renommierten Landesbühnen Sachsen verfügt Radebeul über einen weiteren wichtigen Kulturvermittler. Einzigartig finde ich, wie sich Kultur und Landschaft von den Elbauen bis hin zu den Weinhängen miteinander verbinden und gegenseitig inspirieren. Es ist eine große Freude für mich, an einem Ort mit so viel Potential für die Kultur wirken zu können.

K. U. Baum Über ihre bisherigen beruflichen Erfahrungen wurde bereits im Vorfeld in den Medien ausführlich berichtet. Uns interessiert die Frage, wo sie die Unterschiede zwischen Annaberg-Buchholz und Radebeul sehen, doch sicher nicht nur in den 483 Metern Höhenunterschied?

Dr. Lorenz Das haben sie nach Adam Ries gut ausgerechnet! Der größte Unterschied liegt sicherlich zunächst in der Entstehungsgeschichte der beiden Städte. Annaberg und Buchholz begründeten sich vor über 500 Jahren durch wertvolle Erzfunde, die in kurzer Zeit stolze Bergstädte hervorbrachten, wo zuvor nur dichter Wald war. Hier kommt alles vom Bergwerk her, begründet Tradition und Brauchtum. Beides hat bei den Menschen einen hohen Stellenwert. Eine Wein- und Gartenstadt wie Radebeul an einem großen Fluss in unmittelbarer Nähe zur sächsischen Residenz gelegen, ist durch Landschaft und Geschichte ganz anders geprägt. Ein großer Unterschied ist auch die städtebauliche Struktur.

Wie viele Bergstädte hat Annaberg-Buchholz ein historisch gewachsenes Zentrum, um das sich auch die vielfältigen Kulturangebote konzentrieren. Das Stadtgebiet von Radebeul ist als Zusammenschluss mehrerer ehemals autarker Gemeinden weitflächiger verteilt. Neben der Geschichte prägt aber sicher auch das Wetter die Mentalität der Leute. Es ist eben ein großer Unterschied, ob man im rauen Gebirge lebt, wo es bis in den Mai noch schneit oder im fast mediterranen Klima Radebeuls, wo exzellente Weine reifen. Daher versteht sich die Stadt auch als ein Ort zum Genießen, während der Erzgebirger mit dem Genuss doch eher fremdelt.

K. (G.) Baum Woher kommt eigentlich ihre Begeisterung für die kulturelle Arbeit?

Dr. Lorenz Ich bin schon mit Musik und Literatur aufgewachsen. Später dann kamen Theater und Bildende Kunst auch durch die Arbeit verstärkt in mein Leben. Durch meine Tätigkeit an der Französischen Botschaft konnte ich viele Kulturprojekte begleiten und Menschen über die Kultur zusammenbringen. Ich finde es einfach wunderbar, wenn man in Gemeinschaft mit Anderen Musik, eine Aufführung oder eine Lesung erleben und ins Gespräch kommen kann. Die Freude der Besucher nach einer gelungenen Veranstaltung, die neue Horizonte oder Erkenntnisse eröffnete, einen besonderen Genuss für alle Sinne oder befreiendes Lachen über die Absurditäten des Alltags anregte, ist mein schönster Lohn und motiviert mich zu weiteren Taten. Kultur und kreative Beschäftigung machen unser Leben reich und sollen für jeden zugänglich sein. Dies zu vermitteln und zu ermöglichen ist mein Antrieb. Dabei empfinde ich es als beglückend, dass mich meine Arbeit mit so vielen Menschen, Kulturschaffenden und Kulturinteressierten zusammenführt, die mich wiederum inspirieren.

K. (G.) Baum An welchen interessanten kulturellen Unternehmungen haben sie bisher mitgewirkt oder welche haben sie gar selbst initiiert?
Dr. Lorenz In meiner Zeit an der Französischen Botschaft konnte ich u. a. an Internationalen Literatur- und Poesiefesten mitwirken. Ich habe dort bereits auch schon selbst Veranstaltungsformate initiiert, wie eine deutsch-französische Lesereihe mit dem Literarischen Colloquium Berlin oder in Kiel in Zusammenarbeit mit dem dortigen Literaturhaus das Europäische Festival des Debütromans, dass es nun schon seit 18 Jahren gibt. In Annaberg-Buchholz habe ich gleich in meinem ersten Jahr das mediterrane Sommerfest PIAZZA ins Leben gerufen, das auf Anhieb ein Erfolg wurde. Auch die Fête de la musique habe ich ins Erzgebirge geholt und eine Kammermusikreihe initiiert. Die Organisation der Schulmusikbegegnung Sachsen – Baden-Württemberg mit rund 300 Jugendlichen, die gemeinsam musizierten und in der ganzen Stadt Konzerte gaben, bleibt mir unvergessen. Auch am Internationalen Märchenfilmfestival fabulix, das 2017 seine Premiere in Annaberg-Buchholz hatte, konnte ich mitwirken.

Mein letztes und sehr erfolgreiches Projekt war im Bereich der kulturellen Bildung die Gründung der Kinder- und Seniorenuniversität in Zusammenarbeit mit der TU Chemnitz im November 2019.

K. (G.) Baum Vor 30 Jahren hat der 50-jährige promovierte Ingenieur Dr. Dieter Schubert das Radebeuler Kulturamt übernommen. Sie selbst wechseln mit 58 Jahren in eine neue Herausforderung. Was versprechen sie sich davon?

Dr. Lorenz Als Kulturmanagerin in Annaberg-Buchholz habe ich unzählige Veranstaltungen, Lesungen und Ausstellungen organisiert und dabei immer auch über den „Tälerrand“ geschaut. Ich hatte Verantwortung für ein Kulturzentrum, die Städtischen Museen und die Bibliothek. Vieles konnte ich dabei in den letzten 15 Jahren bewegen. In Radebeul eröffnet mir das Kulturamt zu meinen bisherigen Erfahrungen noch einmal neue Betätigungsfelder. Ich denke dabei vor allem an den Bereich der Feste und Märkte. Das hat mich schon immer gelockt und mit der PIAZZA konnte ich erste Erfahrungen sammeln. Gleichzeitig werden in Radebeul kulturell gerade wichtige Weichen gestellt. Die Bibliothek ist auf dem zukunftsweisenden Weg zum „Dritten Ort“, zu Karl May wird ein Museumsneubau geplant. Als Ethnologin verfolge ich dies mit großer Aufmerksamkeit. Es sind spannende Prozesse im Gang und viele Herausforderungen, auf die ich mich freue. Wie schärft man das kulturelle Profil der Stadt in unmittelbarer Nähe zu Dresden, ist dabei auch ein wichtiges Thema, das mich beschäftigt. Das kulturelle Leben in Radebeul ist so erfrischend vielseitig und ich glaube, dass ich mit meinem Erfahrungshintergrund hier genau richtig bin! Auf meinem Lebensweg begleitet mich das Credo: Nie aufhören anzufangen und nie stehenbleiben!

K. U. Baum Ist eventuell ein Umzug nach Radebeul geplant?

Dr. Lorenz Sollte ich mich bewähren, steht der Umzug nach Radebeul auf jeden Fall auf dem Programm. Ich habe für die Übergangszeit bereits eine kleine möblierte Unterkunft in Radebeul gefunden, so dass ich meine ganze Kraft sofort auf die Arbeit konzentrieren kann.

K. (G.) Baum Sie bezeichneten „Kultur als wichtigen Standortfaktor“ für die Stadt. Was bedeutet das für ihre künftige Arbeit als Amtsleiterin?
Dr. Lorenz Die Kulturangebote der Stadt sind das Herzstück für die touristische Anziehungskraft von Radebeul. In Verbindung mit der Weinkultur und kulinarischen Genüssen, mit Architektur und Landschaft bieten sie ein einzigartiges Gesamterlebnis, vermitteln ein besonderes Lebensgefühl. Das heißt für mich als Amtsleiterin, weiter attraktive Veranstaltungsformate zu entwickeln und dabei aktiv die Gastronomen und andere touristische Leistungsträger mit einzubeziehen. Gemeinsam mit dem Tourismusmarketing gilt es, diese Angebote überregional bekannter zu machen und neue Zielgruppen zu erschließen. Dabei ist mir die Kooperation mit den Nachbarstädten im Meißner Land aber auch mit Dresden wichtig. Die Kultur trägt dadurch zur Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen bei. Dies zu unterstützen und zu befördern ist eine meiner wichtigen Aufgaben.

K. U. Baum Eine Aufgabe, so ihre eigenen Worte, sei „Kulturschaffenden eine Bühne zu geben“. Damit allein ist es doch sicherlich nicht getan?

Dr. Lorenz Zunächst einmal werde ich mir einen genauen Überblick über die bestehenden Kulturangebote verschaffen und mit allen Akteuren das Gespräch suchen. Zuhören, Erfahrungen und Erwartungen aufzunehmen, ist der erste Schritt. Ich bin stark beeindruckt vom Engagement der Bürger, die sich in Vereinen zusammenschließen, um die Kulturlandschaft Radebeuls zu erhalten und zu entwickeln. Dabei unterstützen sie auch die Arbeit der städtischen Einrichtungen und des Kulturamts, wie man bei der tollen Veranstaltungsreihe Radebeuler LebensArt sehen kann. Die Landesbühnen sind ein wichtiger Partner mit überregionaler Strahlkraft. Diese Kooperation möchte ich vertiefen. Als Amtsleiterin sehe ich meine Rolle auch darin, den Austausch zwischen den einzelnen Kulturakteuren zu befördern, Angebote besser abzustimmen und zu koordinieren, den Blick über die eigene Einrichtung hinaus auf die gesamte Stadt zu weiten. Ich bin eine leidenschaftliche Netzwerkerin und kann Menschen mit Ideen begeistern und zusammenbringen. Die vielen Künstler und Kulturschaffenden in Radebeul sollen weiter ein Podium bekommen, Auftrittsmöglichkeiten und Räume für Kunst. Nie war das so wichtig, wie in diesen Zeiten. Ich bin ihre Ansprechpartnerin und möchte dabei eines besonders vermitteln: Wertschätzung. Daneben gilt es aber auch, die finanziellen Rahmenbedingungen zu sichern, die das reiche kulturelle Leben der Stadt ermöglichen, über den Haushaltsetat der Stadt, über Förderprogramme und Sponsoring. Das ist sicherlich nicht die kleinste Herausforderung!

K. U. Baum In der Sächsischen Zeitung haben sie sich zu Ihren künftigen Aufgaben geäußert. Die sehen sie u. a. darin, bestehende Angebote konzeptionell und strategisch weiterzuentwickeln. Was verstehen sie darunter?

Dr. Lorenz Radebeul hat ja bereits ein sehr facettenreiches Spektrum kultureller Angebote in den einzelnen Einrichtungen oder in der Festkultur. Aber wichtig ist ein Kulturentwicklungskonzept, das die Richtung für die kommenden Jahre weist. Wo stehen wir und wo wollen wir hin? Welche Formate gilt es zu stärken? Wie tragen wir der Digitalisierung Rechnung und wie wirkt sich das auf unsere Arbeit der Kulturvermittlung aus? Welchen Investitionsbedarf gibt es? Wie stellen wir uns als Stadt strategisch auch im regionalen Umfeld auf? Es ist aus meiner Sicht, wenig sinnvoll, Veranstaltungsformate von Nachbarstädten zu kopieren. Wir müssen in Radebeul unsere eigenen Besonderheiten, unsere Stärken in den Fokus rücken und dabei historisch Gewachsenes und Neues verbinden. Nachhaltigkeit, Originalität und qualitativer Anspruch sind für mich wichtige Kriterien. Durch Corona werden diese Denkprozesse und Debatten beschleunigt: wie wichtig ist uns Kultur und was sind wir bereit, dafür zu geben? Die existentielle Not vieler Künstler ist aktuell groß, gleichzeitig wurde durch den Lockdown bei den Menschen das Bewusstsein geschärft, wie sehr Kultur unser Leben reicher macht. Jetzt müssen auch bewährte Veranstaltungsformate vom Chorkonzert, der Theateraufführung bis hin zu den Großveranstaltungen neu gedacht werden. Also der perfekte Zeitpunkt, um konzeptionell und strategisch die Weichen zu stellen!

K. U. Baum Radebeul veranstaltet u. a. zwei Groß-Feste, die Gäste nicht nur aus dem Landkreis anziehen. Welche Bedeutung hat in diesem Zusammenhang für sie und damit für die künftige Profilierung des Amtes die kulturelle Basisarbeit?

Dr. Lorenz Neben den überregional strahlenden Großveranstaltungen, die von Bedeutung für den Kulturstandort Radebeul sind, ist mir die kulturelle Basisarbeit besonders wichtig. Kultur ist ja zunächst für die Bürger der Stadt eine wichtige Quelle der Identifikation, ein Stück Heimat und Lebensqualität. Kulturelle Teilhabe und Bildung sollen über soziale Unterschiede allen ermöglicht werden und auch die Generationen verbinden. Das fängt mit den Kleinsten an, z. B. bei der Leseförderung in der Bibliothek und verschiedensten Kreativangeboten. Dabei sind mir die ehrenamtlich Tätigen in Vereinen sowie Familienzentren und Schulen wichtige Partner. Auch möchte ich in die einzelnen Stadtteile gehen, die als ehemals selbstständige Gemeinden ein starkes Gemeinschaftsgefühl haben. Niemand soll sich abgehängt fühlen.

K. (G.) Baum Das Radebeuler Kulturamt ist das einzige im Landkreis Meißen. Sehen sie aus diesem Umstand eine besondere Aufgabe und Verantwortung erwachsen?

Dr. Lorenz Das ist wirklich etwas Besonderes, wo andernorts die Kultur nicht einmal mehr ein eigenes Sachgebiet hat. Ich verstehe es als starkes Bekenntnis zur reichen Kulturlandschaft der Stadt und ich bin mir der Verantwortung bewusst. Es liegt nun an mir zu beweisen, dass dieses Amt gebraucht wird und für die Entwicklung und zum Wohl der Stadt wichtige Impulse gibt.

K. U. Baum Sie haben bisher nicht nur im stark traditionell geprägten Annaberg-Buchholz gearbeitet, sondern waren fast 10 Jahre in der französischen Botschaft in der Bundesrepublik Deutschland tätig und haben zuvor mit einer Arbeit über ein spezielles französisches Thema promoviert. Wie glauben sie, diese dabei gewonnenen ganz unterschiedlichen Erfahrungen in Ihr künftiges Arbeitsgebiet einbringen zu können?

Dr. Lorenz Ich glaube, dass meine verschiedenen Erfahrungen mich nicht nur persönlich immer ein Stück weitergebracht haben, sondern in meiner neuen Arbeit auch richtig zum Tragen kommen können. Mein analytisches und logisches Denken konnte ich bereits bei meinem Chemiestudium in Freiberg entwickeln. Nach meiner Ausreise kam ich durch das Studium der Literatur- und Sprachwissenschaft zur Kultur. Meine Dissertation beschäftigte sich mit der Entwicklung des konservativen Denkens in Frankreich im 19. Jahrhundert. Durch dieses Thema vertiefte ich mich in Geschichte, Theologie und Politik. Ich behandelte zwar Frankreich, doch ich gewann Erkenntnisse über gesellschaftliche Zusammenhänge, die ich auch auf Deutschland übertragen kann. An der Französischen Botschaft machte ich wertvolle Erfahrungen bei internationalen Projekten in Kunst und Literatur. Dann kehrte ich bewusst in meine sächsische Heimat zurück, um hier etwas zu bewegen. In Annaberg-Buchholz leitete ich dann selbst ein Kulturzentrum und musste in einem traditionell geprägten Umfeld ein Kulturangebot aller Sparten entwickeln, das sein Publikum findet. Qualität und Anspruch verbunden mit guten Besucherzahlen waren die Herausforderungen an meine Arbeit. Gleichzeitig bekam ich eine hohe Wertschätzung für das Ehrenamt, in dem ich auch selbst tätig wurde. Meine Leidenschaft und Kompetenz in der Kultur bringe ich nun in Radebeul ein und freue mich, dass ich mit dem Institut francais in Dresden auch die Verbindung zu Frankreich wieder aufnehme.

K. (G.) Baum/K. U. Baum Wir bedanken uns für das Interview, wünschen ihnen viel Erfolg im neuen Amt und hoffen auf künftig gute Zusammenarbeit.

Zur Titelbildserie

Nur wenige Spazierminuten vom Wohnatelier der Radebeuler Malerin und Grafikerin Bärbel Kuntsche entfernt, befindet sich das Weingut Schloß Wackerbarth. Namensgeber und Bauherr des einstigen Adels- und Landsitzes, auch „Wackerbarths Ruh“ genannt, war Reichsgraf von Wackerbarth (1662–1734), der die weitläufige Anlage am Fuße der Weinberge durch den Landesbaumeister Knöffel (1686-1752) als Alterssitz errichten ließ. Trotz mehrerer Besitzerwechsel und Umbaumaßnahmen blieb der ursprüngliche Charakter bis heute weitestgehend erhalten. Alle historischen Gebäude und die Gartenanlage stehen unter denkmalpflegerischem Ensembleschutz. Neue Funktionalbauten fügen sich harmonisch ein.

Vom schloßähnlichen Herrenhaus führt eine Treppe als Mittelachse zum höhergelegenen achteckigen Belvedere, welches eine schöne Aussicht bietet. Beidseits säumen Buchsbaumkegel den Weg. Wie eine Kulisse bilden streng terrassierte Weinhänge den Hintergrund. Jahreszeiten, Tagesstimmungen oder Wetterkapriolen verleihen der gestalterischen Inszenierung einen zusätzlichen dramaturgischen Reiz.

Für unser Titelbild begab sich Bärbel Kuntsche vor Ort und fertigte vom Belvedere mehrere Bleistiftskizzen aus unterschiedlichsten Blickwinkeln an. Schließlich entschied sie sich für eine Ansicht, welche die Symmetrie der Anlage besonders betont. Nebensächliches wie Tische, Stühle oder Sonnenschirme wurden weggelassen. Die Tuscheausführung der Zeichnung entstand vor wenigen Tagen im Atelier der Künstlerin. Wie sie meint, befördert die Distanz zum Motiv den künstlerischen Umsetzungsprozess.

Karin (Gerhardt) Baum

Copyright © 2007-2025 Vorschau und Rückblick. Alle Rechte vorbehalten.