Ein Wanderer zwischen den Welten

Erinnerungen an Frank Hruschka
(geb. 15.September 1961; verst. 25. Oktober 2019)

Frank Hruschka zwischen 1995 und 1996 aufgenommen, Foto: Michael Lange

Im September wäre Frank Hruschka 59 Jahre alt geworden. Als es im Oktober des vorigen Jahres hieß, der Frank ist tot, war das für viele von uns kaum vorstellbar. Trotz des traurigen Anlasses glich die Feier, welche nach der Beerdigung im „Atelier Oberlicht“ stattfand, einer großen Party und alles schien nur darauf zu warten, dass Frank plötzlich um die Ecke kommt, wie immer, mit vielen neuen Ideen im Kopf.
Von seinem schweren Herzleiden haben nur wenige gewusst.

Schon an diesem Tag gab es erste Überlegungen, dass man die vielen Geschichten, die sich mit Frank verbinden, einmal aufschreiben müsse. Hatte er doch über zwei Jahrzehnte die alternative Kunst- und Kulturszene von Radebeul mitgeprägt. Doch wer sollte das tun? Frank Hruschka war ein Wanderer zwischen den Welten und oftmals mit mehreren Dingen gleichzeitig befasst.

Meine eigenen Erinnerungen an Frank beziehen sich hauptsächlich auf die unmittelbare Nachwendezeit. Er wurde mir durch den Radebeuler Maler Peter PIT Müller vorgestellt. Ich selbst leitete damals die „Kleine Galerie“ in Radebeul-Ost auf der Ernst-Thälmann-Straße (heute Hauptstraße). Da meine Kollegin Petra Clausnitzer wieder in ihrem Beruf als Architektin arbeiten wollte, wurde für sie ein Nachfolger gesucht. Frank war vielseitig ambitioniert und als freischaffender Ausstellungsgestalter, Fotograf und Gebrauchsgrafiker aktiv. Obwohl er keine für die Tätigkeit erforderliche Ausbildung besaß, verlief das Einstellungsprozedere aus heutiger Sicht erstaunlich unkompliziert. Er bewarb sich, wurde für geeignet befunden und im Bildungs- und Kulturamt ab April 1991 als „Sachbearbeiter für Ausstellungen und Gestaltung“ eingestellt. Allrounder wie Frank waren damals gefragt. Improvisation stand auf der Tagesordnung. Die Aufbruchstimmung und der damit verbundene Enthusiasmus ließen wenig Raum für Bürokratie.

Die kleine kommunale Galerie entwickelte sich bei laufendem Ausstellungs- und Veranstaltungsbetrieb nun auch zu einer Art Basislager für Stadtteilkultur. Cornelia Bielig (heute Sachgebietsleiterin für Feste und Märkte), Frank Hruschka und ich waren u.a. für die Konzeption, Organisation und Dokumentation von Großveranstaltungen zuständig. Oft arbeiteten wir bis in die Nacht hinein. Stechuhren sowie Rauch- und Musikverbote in Diensträumen gab es damals noch nicht.

Das erste Herbst- und Weinfest in Altkötzschenbroda, welches vom 27. bis 29. September 1991 stattfand, wurde innerhalb von zwei Monaten auf die Beine gestellt. Auch der erste Nachwende-Weihnachtsmarkt in Radebeul-Ost fiel in unsere Zuständigkeit. Die Dezernentin Frau Dr. Ellen Brink und der Amtsleiter Dr. Dieter Schubert gewährten amtlichen Beistand und hielten ihre schützenden Hände über uns. Als praxiserprobte Eingreiftruppe waren wir nun auf unterschiedliche Weise in mehrere Projekte eingebunden. Das Jahr 1992 hatte es in sich. Auf die ersten Karl-May-Festtage Mitte Mai, folgte bereits Ende Mai die erste Gewerbemesse und im Juni die Eduard-Bilz-Festwoche. Danach fanden im September wieder das Herbst- und Weinfest sowie Anfang November der Grafikmarkt statt. Zahlreiche Flyer, Broschüren, Logos, Plakate, Gestaltungselemente aus jener Zeit tragen Frank Hruschkas Handschrift.

Von Frank Hruschka gestaltetes Logo für das Radebeuler Herbst- und Weinfest

Nachdem ich mit meiner Kollegin Cornelia Bielig unters Dach einer Villa auf dem Körnerweg gezogen war, arbeiteten wir trotz der räumlichen Trennung auch weiterhin mit der Vor-Ort-Besatzung von der Stadtgalerie eng zusammen. Personelle Verstärkung hatte Frank Hruschka inzwischen durch Cornelia Müller erhalten. Beide harmonierten sehr gut miteinander, denn auch sie bewährte sich als kreatives Multitalent.

Bemerkenswert war u.a. die Gemeinschaftsausstellung „Schon mal gesehen“ (1992), vereinte sie doch die Werke der in das ehemalige DDR-Gebiet zurückgekehrten Künstler Cornelia Schleime und Ralf Kerbach sowie der dagebliebenen, nicht minder widerständigen Künstler Peter PIT Müller und Reinhard Sandner. Für kontroverse Diskussionen und mediale Aufmerksamkeit sorgten auch die Ausstellungen mit kommunalpolitischem Bezug wie „Hingerichtet – ist der Blick auf die Jugend“ (1993) oder “Familienfreundliches Radebeul“ (1994).

Das vorläufige Aus für die Galerie kam dann ziemlich abrupt. Der Hausbesitzer hatte die angemieteten Räume per 30. Juni 1995 gekündigt. Das Gute daran war, dass die Sanierung des Dreiseithofes Altkötzschenbroda 21, wo ja ohnehin seit 1990 der künftige Galeriestandort vorgesehen war, endlich wieder Fahrt aufgenommen hatte. Fortan ging die Galerie für zwei Jahre ins Exil. Da Frank ausgesprochen kommunikationsfreudig war, fiel es ihm nicht schwer, zahlreiche temporäre Ausstellungsmöglichkeiten zu erschließen. Selbst die noch unsanierten Räume in der sogenannten „Kulturschmiede“ (zeitweilige Bezeichnung für das Objekt Altkötzschenbroda 21) wurden in ihrem ursprünglichen Zustand für Ausstellungszwecke genutzt.

Unsere Wege begannen sich 1996 zu trennen. Als Geschäftsführer des neu gegründeten Vereins „Kultur im Umland“ wendete sich Frank Hruschka anderen Aufgaben zu. Hin und wieder kam es zur projektbezogenen Zusammenarbeit wie beim Gedenkkatalog für den verstorbenen Künstler Ingo Kuczera (1964-2004).

Von Frank Hruschka gestaltetes Logo für die IG JazzGEFLÜSTER

Die Stadtgalerie wurde schließlich im September 1997 am neuen Standort eröffnet. Franks Kommentar lautete knapp: „Viel zu klein!“. Er dachte eben immer groß. Auf Initiative des Münchner Investors Dr. Christoph Dross, der im Sanierungsgebiet Altkötzschenbroda gern auch Künstler ansiedeln wollte, bot sich die Möglichkeit, zu bezahlbaren Konditionen ein zentral gelegenes Gemeinschaftsatelier anzumieten. Die Künstler Homayon Aatifi, Nikolai Bachmann, Julius Hempel, Frank Hruschka, Ingo Kuczera und Markus Retzlaff ergriffen die Chance und gründeten 1999 die Produzentengalerie „Atelier Oberlicht“. Die ursprüngliche Idee vom gemeinsamen Arbeiten, Reden und Feiern funktionierte mal mehr und mal weniger. Legendär und immer gut besucht, waren die Veranstaltungen der IG Jazz, die sich im Jahr 2005 gegründet hatte. Vom lebhaften „JazzGEFLÜSTER“ wird noch heute geschwärmt. Bei vielen Aktionen war Frank ein wichtiger Motor. Schließlich verließ er nach zehn Jahren das Gemeinschaftsatelier und zog 2009 ins Loschwitzer Künstlerhaus. Damit begann für ihn ein völlig neuer Lebensabschnitt. Den Radebeuler Künstlern – vor allem Markus Retzlaff, der das „Atelier Oberlicht“ bis heute weiterführt – blieb er bis zu seinem frühen Tod freundschaftlich verbunden.

Frank Hruschka 1994 nach getaner Arbeit im Hof des Bildungs- und Kulturamtes auf dem Körnerweg Foto: Privatarchiv

Frank Hruschkas innige Beziehung zur Lößnitzstadt kommt vor allem auch in zahlreichen Fotografien zum Ausdruck. Er hatte einen sicheren Blick für das Besondere im Alltäglichen. Eine Vorliebe galt der schwarz/weiß-Analog-Fotografie. Was nicht ausschloss, dass er auch digital und farbig fotografierte. Sehr stimmungsvolle Aufnahmen existieren aus den Anfangsjahren der Radebeuler Feste. Und immer wieder fotografierte er in Altkötzschenbroda, so zum Beispiel vor der Sanierung, während des Hochwassers oder in den stillen Stunden der Nacht. Ungewöhnliche Momentaufnahmen sind auf Reisen mit Künstlerkollegen nach Frankreich, Kuba und Italien aber auch in der Radebeuler Partnerstadt St. Ingbert entstanden.
Das 30. Radebeuler Herbst- und Weinfest bietet den Anlass, an Frank Hruschka und sein fotografisches Schaffen zu erinnern.

Karin (Gerhardt) Baum

Frischer Wind im Kulturamt Radebeul

Interview mit der Kulturamtsleiterin Gabriele Lorenz

Nach nunmehr einem Jahr und sieben Monaten kann die Position des Kulturamtsleiters ab 1. September dieses Jahre neu besetzt werden. Dazu waren zwei Ausschreibungen nötig, da das erste Auswahlverfahren zu keinem Ergebnis geführt hatte. Auch das zweite Verfahren drohte zu scheitern und musste nochmals an den Stadtrat zur Entscheidung zurückgegeben werden. Schließlich setzte sich nach einer weiteren Abstimmung Frau Dr. Gabriele Lorenz durch.

Mit Frau Dr. Lorenz führten die Redaktionsmitglieder von „Vorschau und Rückblick“ Karin (Gerhardt) Baum und Karl Uwe Baum nachfolgendes Gespräch.

Dr. Gabriele Lorenz, Jahrgang 1961; geboren in Schlema im Erzgebirge, promoviert als Dr. phil. in Romanistik; 1995 bis 2004 Mitarbeiterin in der Kulturabteilung der französischen Botschaft in der Bundesrepublik Deutschland; 2005–2020 Kulturmanagerin in Annaberg-Buchholz; seit 2007 ehrenamtliche Bundesvorsitzende des Erzgebirgsvereins.

Designierte Amtsleiterin Dr. Gabriele Lorenz auf der diesjährigen Radebeuler Kasperiade
Foto: Karl Uwe Baum

K. (G.) Baum Frau Dr. Lorenz, die Redaktion von „Vorschau und Rückblick“ gratuliert ihnen herzlich zur Übernahme des Kulturamtes in Radebeul.

In einem Beitrag der Sächsischen Zeitung vom 17. Juni 2020 war nach ihrer Wahl zur Radebeuler Kulturamtsleiterin der Satz zu lesen: „Radebeul hat alles, was mein Kulturherz höherschlagen lässt.“ – Können sie das genauer benennen?

Dr. Lorenz Ich danke ihnen zunächst für Ihre Glückwünsche und die Möglichkeit, mich in V&R vorstellen zu können.

Radebeul habe ich entdeckt, als ich von 2015 bis 2018 in Dresden wohnte und mit dem Fahrrad die Umgebung erkundete. Ein begeisterndes Erlebnis war dabei für mich das Internationale Wandertheaterfestival verbunden mit dem Weinfest auf dem Anger in Altkötzschenbroda. Zu allen Jahreszeiten bietet Radebeul diese Festformate zu verschiedenen Themen, vom Faszinosum Karl May bis hin zur zauberhaften Kasperiade. Eindrucksvoll ist auch das reiche künstlerische Leben vor Ort, besonders in der Bildenden Kunst. Dass neben den privaten Galerien auch eine Städtische Galerie betrieben wird, finde ich ein wichtiges Zeichen der Wertschätzung für die Künstler. Auch die Nutzung eines Bahnhofsgebäudes für die Kultur verstehe ich als ein starkes Signal. Mit den renommierten Landesbühnen Sachsen verfügt Radebeul über einen weiteren wichtigen Kulturvermittler. Einzigartig finde ich, wie sich Kultur und Landschaft von den Elbauen bis hin zu den Weinhängen miteinander verbinden und gegenseitig inspirieren. Es ist eine große Freude für mich, an einem Ort mit so viel Potential für die Kultur wirken zu können.

K. U. Baum Über ihre bisherigen beruflichen Erfahrungen wurde bereits im Vorfeld in den Medien ausführlich berichtet. Uns interessiert die Frage, wo sie die Unterschiede zwischen Annaberg-Buchholz und Radebeul sehen, doch sicher nicht nur in den 483 Metern Höhenunterschied?

Dr. Lorenz Das haben sie nach Adam Ries gut ausgerechnet! Der größte Unterschied liegt sicherlich zunächst in der Entstehungsgeschichte der beiden Städte. Annaberg und Buchholz begründeten sich vor über 500 Jahren durch wertvolle Erzfunde, die in kurzer Zeit stolze Bergstädte hervorbrachten, wo zuvor nur dichter Wald war. Hier kommt alles vom Bergwerk her, begründet Tradition und Brauchtum. Beides hat bei den Menschen einen hohen Stellenwert. Eine Wein- und Gartenstadt wie Radebeul an einem großen Fluss in unmittelbarer Nähe zur sächsischen Residenz gelegen, ist durch Landschaft und Geschichte ganz anders geprägt. Ein großer Unterschied ist auch die städtebauliche Struktur.

Wie viele Bergstädte hat Annaberg-Buchholz ein historisch gewachsenes Zentrum, um das sich auch die vielfältigen Kulturangebote konzentrieren. Das Stadtgebiet von Radebeul ist als Zusammenschluss mehrerer ehemals autarker Gemeinden weitflächiger verteilt. Neben der Geschichte prägt aber sicher auch das Wetter die Mentalität der Leute. Es ist eben ein großer Unterschied, ob man im rauen Gebirge lebt, wo es bis in den Mai noch schneit oder im fast mediterranen Klima Radebeuls, wo exzellente Weine reifen. Daher versteht sich die Stadt auch als ein Ort zum Genießen, während der Erzgebirger mit dem Genuss doch eher fremdelt.

K. (G.) Baum Woher kommt eigentlich ihre Begeisterung für die kulturelle Arbeit?

Dr. Lorenz Ich bin schon mit Musik und Literatur aufgewachsen. Später dann kamen Theater und Bildende Kunst auch durch die Arbeit verstärkt in mein Leben. Durch meine Tätigkeit an der Französischen Botschaft konnte ich viele Kulturprojekte begleiten und Menschen über die Kultur zusammenbringen. Ich finde es einfach wunderbar, wenn man in Gemeinschaft mit Anderen Musik, eine Aufführung oder eine Lesung erleben und ins Gespräch kommen kann. Die Freude der Besucher nach einer gelungenen Veranstaltung, die neue Horizonte oder Erkenntnisse eröffnete, einen besonderen Genuss für alle Sinne oder befreiendes Lachen über die Absurditäten des Alltags anregte, ist mein schönster Lohn und motiviert mich zu weiteren Taten. Kultur und kreative Beschäftigung machen unser Leben reich und sollen für jeden zugänglich sein. Dies zu vermitteln und zu ermöglichen ist mein Antrieb. Dabei empfinde ich es als beglückend, dass mich meine Arbeit mit so vielen Menschen, Kulturschaffenden und Kulturinteressierten zusammenführt, die mich wiederum inspirieren.

K. (G.) Baum An welchen interessanten kulturellen Unternehmungen haben sie bisher mitgewirkt oder welche haben sie gar selbst initiiert?
Dr. Lorenz In meiner Zeit an der Französischen Botschaft konnte ich u. a. an Internationalen Literatur- und Poesiefesten mitwirken. Ich habe dort bereits auch schon selbst Veranstaltungsformate initiiert, wie eine deutsch-französische Lesereihe mit dem Literarischen Colloquium Berlin oder in Kiel in Zusammenarbeit mit dem dortigen Literaturhaus das Europäische Festival des Debütromans, dass es nun schon seit 18 Jahren gibt. In Annaberg-Buchholz habe ich gleich in meinem ersten Jahr das mediterrane Sommerfest PIAZZA ins Leben gerufen, das auf Anhieb ein Erfolg wurde. Auch die Fête de la musique habe ich ins Erzgebirge geholt und eine Kammermusikreihe initiiert. Die Organisation der Schulmusikbegegnung Sachsen – Baden-Württemberg mit rund 300 Jugendlichen, die gemeinsam musizierten und in der ganzen Stadt Konzerte gaben, bleibt mir unvergessen. Auch am Internationalen Märchenfilmfestival fabulix, das 2017 seine Premiere in Annaberg-Buchholz hatte, konnte ich mitwirken.

Mein letztes und sehr erfolgreiches Projekt war im Bereich der kulturellen Bildung die Gründung der Kinder- und Seniorenuniversität in Zusammenarbeit mit der TU Chemnitz im November 2019.

K. (G.) Baum Vor 30 Jahren hat der 50-jährige promovierte Ingenieur Dr. Dieter Schubert das Radebeuler Kulturamt übernommen. Sie selbst wechseln mit 58 Jahren in eine neue Herausforderung. Was versprechen sie sich davon?

Dr. Lorenz Als Kulturmanagerin in Annaberg-Buchholz habe ich unzählige Veranstaltungen, Lesungen und Ausstellungen organisiert und dabei immer auch über den „Tälerrand“ geschaut. Ich hatte Verantwortung für ein Kulturzentrum, die Städtischen Museen und die Bibliothek. Vieles konnte ich dabei in den letzten 15 Jahren bewegen. In Radebeul eröffnet mir das Kulturamt zu meinen bisherigen Erfahrungen noch einmal neue Betätigungsfelder. Ich denke dabei vor allem an den Bereich der Feste und Märkte. Das hat mich schon immer gelockt und mit der PIAZZA konnte ich erste Erfahrungen sammeln. Gleichzeitig werden in Radebeul kulturell gerade wichtige Weichen gestellt. Die Bibliothek ist auf dem zukunftsweisenden Weg zum „Dritten Ort“, zu Karl May wird ein Museumsneubau geplant. Als Ethnologin verfolge ich dies mit großer Aufmerksamkeit. Es sind spannende Prozesse im Gang und viele Herausforderungen, auf die ich mich freue. Wie schärft man das kulturelle Profil der Stadt in unmittelbarer Nähe zu Dresden, ist dabei auch ein wichtiges Thema, das mich beschäftigt. Das kulturelle Leben in Radebeul ist so erfrischend vielseitig und ich glaube, dass ich mit meinem Erfahrungshintergrund hier genau richtig bin! Auf meinem Lebensweg begleitet mich das Credo: Nie aufhören anzufangen und nie stehenbleiben!

K. U. Baum Ist eventuell ein Umzug nach Radebeul geplant?

Dr. Lorenz Sollte ich mich bewähren, steht der Umzug nach Radebeul auf jeden Fall auf dem Programm. Ich habe für die Übergangszeit bereits eine kleine möblierte Unterkunft in Radebeul gefunden, so dass ich meine ganze Kraft sofort auf die Arbeit konzentrieren kann.

K. (G.) Baum Sie bezeichneten „Kultur als wichtigen Standortfaktor“ für die Stadt. Was bedeutet das für ihre künftige Arbeit als Amtsleiterin?
Dr. Lorenz Die Kulturangebote der Stadt sind das Herzstück für die touristische Anziehungskraft von Radebeul. In Verbindung mit der Weinkultur und kulinarischen Genüssen, mit Architektur und Landschaft bieten sie ein einzigartiges Gesamterlebnis, vermitteln ein besonderes Lebensgefühl. Das heißt für mich als Amtsleiterin, weiter attraktive Veranstaltungsformate zu entwickeln und dabei aktiv die Gastronomen und andere touristische Leistungsträger mit einzubeziehen. Gemeinsam mit dem Tourismusmarketing gilt es, diese Angebote überregional bekannter zu machen und neue Zielgruppen zu erschließen. Dabei ist mir die Kooperation mit den Nachbarstädten im Meißner Land aber auch mit Dresden wichtig. Die Kultur trägt dadurch zur Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen bei. Dies zu unterstützen und zu befördern ist eine meiner wichtigen Aufgaben.

K. U. Baum Eine Aufgabe, so ihre eigenen Worte, sei „Kulturschaffenden eine Bühne zu geben“. Damit allein ist es doch sicherlich nicht getan?

Dr. Lorenz Zunächst einmal werde ich mir einen genauen Überblick über die bestehenden Kulturangebote verschaffen und mit allen Akteuren das Gespräch suchen. Zuhören, Erfahrungen und Erwartungen aufzunehmen, ist der erste Schritt. Ich bin stark beeindruckt vom Engagement der Bürger, die sich in Vereinen zusammenschließen, um die Kulturlandschaft Radebeuls zu erhalten und zu entwickeln. Dabei unterstützen sie auch die Arbeit der städtischen Einrichtungen und des Kulturamts, wie man bei der tollen Veranstaltungsreihe Radebeuler LebensArt sehen kann. Die Landesbühnen sind ein wichtiger Partner mit überregionaler Strahlkraft. Diese Kooperation möchte ich vertiefen. Als Amtsleiterin sehe ich meine Rolle auch darin, den Austausch zwischen den einzelnen Kulturakteuren zu befördern, Angebote besser abzustimmen und zu koordinieren, den Blick über die eigene Einrichtung hinaus auf die gesamte Stadt zu weiten. Ich bin eine leidenschaftliche Netzwerkerin und kann Menschen mit Ideen begeistern und zusammenbringen. Die vielen Künstler und Kulturschaffenden in Radebeul sollen weiter ein Podium bekommen, Auftrittsmöglichkeiten und Räume für Kunst. Nie war das so wichtig, wie in diesen Zeiten. Ich bin ihre Ansprechpartnerin und möchte dabei eines besonders vermitteln: Wertschätzung. Daneben gilt es aber auch, die finanziellen Rahmenbedingungen zu sichern, die das reiche kulturelle Leben der Stadt ermöglichen, über den Haushaltsetat der Stadt, über Förderprogramme und Sponsoring. Das ist sicherlich nicht die kleinste Herausforderung!

K. U. Baum In der Sächsischen Zeitung haben sie sich zu Ihren künftigen Aufgaben geäußert. Die sehen sie u. a. darin, bestehende Angebote konzeptionell und strategisch weiterzuentwickeln. Was verstehen sie darunter?

Dr. Lorenz Radebeul hat ja bereits ein sehr facettenreiches Spektrum kultureller Angebote in den einzelnen Einrichtungen oder in der Festkultur. Aber wichtig ist ein Kulturentwicklungskonzept, das die Richtung für die kommenden Jahre weist. Wo stehen wir und wo wollen wir hin? Welche Formate gilt es zu stärken? Wie tragen wir der Digitalisierung Rechnung und wie wirkt sich das auf unsere Arbeit der Kulturvermittlung aus? Welchen Investitionsbedarf gibt es? Wie stellen wir uns als Stadt strategisch auch im regionalen Umfeld auf? Es ist aus meiner Sicht, wenig sinnvoll, Veranstaltungsformate von Nachbarstädten zu kopieren. Wir müssen in Radebeul unsere eigenen Besonderheiten, unsere Stärken in den Fokus rücken und dabei historisch Gewachsenes und Neues verbinden. Nachhaltigkeit, Originalität und qualitativer Anspruch sind für mich wichtige Kriterien. Durch Corona werden diese Denkprozesse und Debatten beschleunigt: wie wichtig ist uns Kultur und was sind wir bereit, dafür zu geben? Die existentielle Not vieler Künstler ist aktuell groß, gleichzeitig wurde durch den Lockdown bei den Menschen das Bewusstsein geschärft, wie sehr Kultur unser Leben reicher macht. Jetzt müssen auch bewährte Veranstaltungsformate vom Chorkonzert, der Theateraufführung bis hin zu den Großveranstaltungen neu gedacht werden. Also der perfekte Zeitpunkt, um konzeptionell und strategisch die Weichen zu stellen!

K. U. Baum Radebeul veranstaltet u. a. zwei Groß-Feste, die Gäste nicht nur aus dem Landkreis anziehen. Welche Bedeutung hat in diesem Zusammenhang für sie und damit für die künftige Profilierung des Amtes die kulturelle Basisarbeit?

Dr. Lorenz Neben den überregional strahlenden Großveranstaltungen, die von Bedeutung für den Kulturstandort Radebeul sind, ist mir die kulturelle Basisarbeit besonders wichtig. Kultur ist ja zunächst für die Bürger der Stadt eine wichtige Quelle der Identifikation, ein Stück Heimat und Lebensqualität. Kulturelle Teilhabe und Bildung sollen über soziale Unterschiede allen ermöglicht werden und auch die Generationen verbinden. Das fängt mit den Kleinsten an, z. B. bei der Leseförderung in der Bibliothek und verschiedensten Kreativangeboten. Dabei sind mir die ehrenamtlich Tätigen in Vereinen sowie Familienzentren und Schulen wichtige Partner. Auch möchte ich in die einzelnen Stadtteile gehen, die als ehemals selbstständige Gemeinden ein starkes Gemeinschaftsgefühl haben. Niemand soll sich abgehängt fühlen.

K. (G.) Baum Das Radebeuler Kulturamt ist das einzige im Landkreis Meißen. Sehen sie aus diesem Umstand eine besondere Aufgabe und Verantwortung erwachsen?

Dr. Lorenz Das ist wirklich etwas Besonderes, wo andernorts die Kultur nicht einmal mehr ein eigenes Sachgebiet hat. Ich verstehe es als starkes Bekenntnis zur reichen Kulturlandschaft der Stadt und ich bin mir der Verantwortung bewusst. Es liegt nun an mir zu beweisen, dass dieses Amt gebraucht wird und für die Entwicklung und zum Wohl der Stadt wichtige Impulse gibt.

K. U. Baum Sie haben bisher nicht nur im stark traditionell geprägten Annaberg-Buchholz gearbeitet, sondern waren fast 10 Jahre in der französischen Botschaft in der Bundesrepublik Deutschland tätig und haben zuvor mit einer Arbeit über ein spezielles französisches Thema promoviert. Wie glauben sie, diese dabei gewonnenen ganz unterschiedlichen Erfahrungen in Ihr künftiges Arbeitsgebiet einbringen zu können?

Dr. Lorenz Ich glaube, dass meine verschiedenen Erfahrungen mich nicht nur persönlich immer ein Stück weitergebracht haben, sondern in meiner neuen Arbeit auch richtig zum Tragen kommen können. Mein analytisches und logisches Denken konnte ich bereits bei meinem Chemiestudium in Freiberg entwickeln. Nach meiner Ausreise kam ich durch das Studium der Literatur- und Sprachwissenschaft zur Kultur. Meine Dissertation beschäftigte sich mit der Entwicklung des konservativen Denkens in Frankreich im 19. Jahrhundert. Durch dieses Thema vertiefte ich mich in Geschichte, Theologie und Politik. Ich behandelte zwar Frankreich, doch ich gewann Erkenntnisse über gesellschaftliche Zusammenhänge, die ich auch auf Deutschland übertragen kann. An der Französischen Botschaft machte ich wertvolle Erfahrungen bei internationalen Projekten in Kunst und Literatur. Dann kehrte ich bewusst in meine sächsische Heimat zurück, um hier etwas zu bewegen. In Annaberg-Buchholz leitete ich dann selbst ein Kulturzentrum und musste in einem traditionell geprägten Umfeld ein Kulturangebot aller Sparten entwickeln, das sein Publikum findet. Qualität und Anspruch verbunden mit guten Besucherzahlen waren die Herausforderungen an meine Arbeit. Gleichzeitig bekam ich eine hohe Wertschätzung für das Ehrenamt, in dem ich auch selbst tätig wurde. Meine Leidenschaft und Kompetenz in der Kultur bringe ich nun in Radebeul ein und freue mich, dass ich mit dem Institut francais in Dresden auch die Verbindung zu Frankreich wieder aufnehme.

K. (G.) Baum/K. U. Baum Wir bedanken uns für das Interview, wünschen ihnen viel Erfolg im neuen Amt und hoffen auf künftig gute Zusammenarbeit.

Zur Titelbildserie

Nur wenige Spazierminuten vom Wohnatelier der Radebeuler Malerin und Grafikerin Bärbel Kuntsche entfernt, befindet sich das Weingut Schloß Wackerbarth. Namensgeber und Bauherr des einstigen Adels- und Landsitzes, auch „Wackerbarths Ruh“ genannt, war Reichsgraf von Wackerbarth (1662–1734), der die weitläufige Anlage am Fuße der Weinberge durch den Landesbaumeister Knöffel (1686-1752) als Alterssitz errichten ließ. Trotz mehrerer Besitzerwechsel und Umbaumaßnahmen blieb der ursprüngliche Charakter bis heute weitestgehend erhalten. Alle historischen Gebäude und die Gartenanlage stehen unter denkmalpflegerischem Ensembleschutz. Neue Funktionalbauten fügen sich harmonisch ein.

Vom schloßähnlichen Herrenhaus führt eine Treppe als Mittelachse zum höhergelegenen achteckigen Belvedere, welches eine schöne Aussicht bietet. Beidseits säumen Buchsbaumkegel den Weg. Wie eine Kulisse bilden streng terrassierte Weinhänge den Hintergrund. Jahreszeiten, Tagesstimmungen oder Wetterkapriolen verleihen der gestalterischen Inszenierung einen zusätzlichen dramaturgischen Reiz.

Für unser Titelbild begab sich Bärbel Kuntsche vor Ort und fertigte vom Belvedere mehrere Bleistiftskizzen aus unterschiedlichsten Blickwinkeln an. Schließlich entschied sie sich für eine Ansicht, welche die Symmetrie der Anlage besonders betont. Nebensächliches wie Tische, Stühle oder Sonnenschirme wurden weggelassen. Die Tuscheausführung der Zeichnung entstand vor wenigen Tagen im Atelier der Künstlerin. Wie sie meint, befördert die Distanz zum Motiv den künstlerischen Umsetzungsprozess.

Karin (Gerhardt) Baum

Mit Wolf Biermann poetisch und politisch durch das Jahr

Vom Einhorn (für S)

Das Einhorn wirft einen Schatten auf die Uhr. Die Welt riecht nach Frühstück.

Ohne weiter auf die Blicke der Neugierigen zu achten, steigt Susanna aus dem Bade, aufrecht, stolz und schön. Sie streift ihr Kleid über, schlingt sich, etwas verfrüht, das herbstfarbene Seidentuch um den Hals und schwingt sich aufs Fahrrad. Es ist eins von den elektrischen, ihr Fahrrad, mit dem sie ohne Mühe jeden Anstieg meistert, vor allem den kleinen Hügel vor ihrem Haus. Bergab aber rollt es von allein.

Der Morgen ist wie von Seide: Ein Sonnabend ohne Verpflichtung, die Sonne strahlt, die Luft ist sanft. In den Apfelbäumen beschäftigt sich ein Meisenpaar mit der Erziehung seiner zweiten Brut. Der gewissenhafte Ernst, mit dem die kleinen Wesen ihr Geschäft betreiben, hat etwas Rührendes. Susanna vertreibt die Wolke Melancholie, die sich auf ihre Seele setzen will und wirft den eifrigen Eltern ein paar fröhliche Grüße zu.

Die Straße führt durch erntereife Felder, ein paar späte Kornblumen leuchten blau, und wenn Susanna jetzt einen Hut hätte, sie würfe ihn in die Luft. Es gibt solche Tage. Sie sind selten genug.

Nach einem heiteren Plausch mit der Bäckersfrau nennt sie einen Beutel Semmeln ihr Eigen und macht sich auf den Heimweg. Obwohl sie sich auf den Honig freut, den Elvira, wie sie vermutet, in genau diesem Moment auf den Tisch stellt, hat sie zu Eile keinen Anlaß. Mit weit geöffneten Nasenflügeln saugt sie die herrliche Ernteluft ein. Gemütlich rollt sie mitten auf der Straße ihrem Heim zu, bis sie den großen schwarzen Wagen hinter sich bemerkt. Sie rückt brav zur Seite und winkt den Großen fröhlich vorüber. Der Fahrer tritt aufs Gaspedal und ist mit einem Satz an ihr vorbei. Benommen blinzelt sie in seine Staubwolke.

Wie sie um die Kurve rollt, steht das schwarze Dings vor ihrer Einfahrt. Sie steigt ab, zwängt sich an dem Koloß vorbei. Da bemerkt sie den Fahrer, der sich am Tor zum Nachbargarten zu schaffen macht.

Ach, guten Morgen, Herr Einhorn, ruft sie fröhlich, ist das nicht ein herrlicher Tag heute!

Eisborn, knurrt der Angesprochene zurück.

Oh, Entschuldigung! Guten Morgen, Herr Eisborn, ist das nicht ein herrlicher Tag heute?

Frauen, antwortet der Nachbar und richtet sich zu ganzer Größe auf, Frauen machen ja ohnehin alles falsch, aber im Straßenverkehr sind sie unerträglich. Besonders auf Fahrrädern!

Susanna stutzt einen Moment. Recht haben Sie, Herr Einhorn, sagt sie dann. Wissen Sie, ich sage immer, Frauen sollte die Teilnahme am Straßenverkehr gesetzlich verboten werden. Sie können ja mal ein Gesetz einbringen, Sie sind doch Fraktionär, oder?

Sie schwingt sich in den Sattel und nimmt spielend den kleinen Anstieg zum Haus hinauf, ohne sich weiter umzublicken.

Leute gibt’s, sagt Susanna, und steigt, ohne sich um die Blicke der Neugierigen zu kümmern, ins Bad, während Elvira auf der Terrasse den Tisch fertig deckt. Das Einhorn knabbert inzwischen an der neuen Rose …

Thomas Gerlach

Ehrendes Gedenken an den europäischen Gartenkünstler Carl Eduard Adolph Petzold

Zu den vier bedeutendsten Vertretern der Periode des Landschaftsgartens in der europäischen Gartenkunst neben Friedrich Ludwig von Sckell ( 1750 – 1823 ), Hermann Ludwig Heinrich Fürst Pückler von Muskau ( 1785 – 1871 ) und Peter Joseph Lenne‘ ( 1789 – 1866 ) zählt Carl Eduard Adolph Petzold ( 1815 – 1891 ). Somit ist er einer der renommiertesten deutschen Gartenkünstler des 19. Jahrhunderts. Petzold schuf rund 170 Park- und Gartenanlagen in Polen, in Holland, in Deutschland, in Tschechien, in Österreich, in Bulgarien und in der Türkei. Von ihm erschienen mehr als 30 Publikationen. Petzold wurde am 14.01.1815 in Königswalde ( poln. Lubniewice ) als vierter Sohn in erster Ehe des Pfarrers Carl Friedrich Petzold ( 1783 – 1866 ) und seiner Frau Christiane ( 1789 – 1815 ) geboren. Am 10.08.1891 starb er in Dresden – Blasewitz und wurde neben seiner zweiten Frau Mathilde Friederike Amalie Petzold geb. Eiserhardt ( 1825 – 1881 ) auf dem Tolkewitzer Johannisfriedhof beigesetzt. Zehn Jahre vorher starben bereits am 08. September sein langjähriger Dienstherr ab 1852 Prinz Friedrich der Niederlande ( 1797 – 1881 ) und am 25. Oktober seine Frau. Nachdem der Prinz Petzold am 01.09.1852 als königlich niederländischen Garteninspektor in seiner freien Standesherrschaft Muskau ernannt hatte, wurde er 1854 erstmalig in die Niederlande zur Überplanung der 2.000 Hektar umfassendem Besitzungen bei De Paauw gerufen. Am 10. Juli 1872 berief der Prinz ihn zum Königlichen Park- und Gartendirektor der Niederlande und ihm damit als ersten deutschen Gartenkünstler dieses Amt in den Niederlanden übertrug. Daneben durfte Petzold als selbständiger Landschaftsgärtner tätig sein. Im Juli 1878 schied er aus den Diensten des Prinzen Friedrich der Niederlande. 1982 zog Petzold mit seinem Sohn Walter nach Dresden und erwarb im Oktober 1883 ein Grundstück in Blasewitz in der damaligen Friedrich – August – Strasse der heutigen Prellerstrasse neben seinem Freund Friedrich Preller d. J. zum Bau eines Hauses. Dieses war im Juli 1884 bereits bezugsfertig. Später vermutlich kriegszerstört.
Als europaweit sehr angesehener Gartenkünstler trat Petzold nur gutachterlich 1885 zum Waldpark Blasewitz in Erscheinung. Dazu sind keine Unterlagen erhalten geblieben. Vermutlich ging es dabei um einen Sichtachsenfächer zu markanten Geländepunkten auf den Loschwitzer Höhen.

Eduard Petzold, um 1890
Foto: Archiv Walter Gresky, Baden-Baden


Zu seinem 129. Todestag gibt es am 9. August bereits ab 17 Uhr eine Gedenkvortrags- und Benefizveranstaltung im „ Luisenhof „ zu seinem Wirken in Niederschlesien und in Sachsen als Fachvortrag des Petzoldexperten und wissenschaftlichen Referenten für Gartenkunst Dipl. Ing. Volker A. W. Wittich. Tags darauf dann um 14 Uhr ein ehrendes Gedenken an seiner europäisch bedeutsamen Gedenk- und Doppelgrabstätte auf dem Johannisfriedhof unweit vom Gedenkhain in Dresden – Tolkewitz.

(Noch) unsaniertes Grab- und Gedenkkreuz
Foto: V. Wittich


Foto: V. Wittich


Herzlich Willkommen zu beiden Gedenkveranstaltungen für diesen großartigen europäischen Gartenkünstler C. E. A. Petzold!

Volker A.W. Wittich

Die große Treppe – auch als Spitzhaustreppe bekannt

Im Aprilheft von V&R 2019 hatte Herr Axel Fricke – wir kennen uns nicht – begeistert über die Treppe geschrieben, jedoch weniger über das Kulturdenkmal, sondern mehr über den Sport, der da betrieben wird. Er ist offensichtlich jung, treibt selbst Sport und spricht vom sächsischen Mt. Everest Treppenmarathon, aus seinem Blickwinkel ist das völlig okay. Wenn er aber August den Starken und dessen Baumeister Pöppelmann direkt mit dieser Treppe in Verbindung bringt, sollte man das, wie ich glaube, ein wenig genauer betrachten. Da ich schon etwas länger hier wohne, möchte ich Herrn Fricke als einem eventuell Zugezogenen und allen anderen Freunden der Vorschau die lange Geschichte der Spitzhaustreppe in kürzer Form darlegen.

Die ehemals churfürstlichen Besitztümer in der Lößnitz, Haus Hoflößnitz und Spitzhaus, existierten bereits, als man in den 20er Jahren des 18. Jh. auf die Idee kam, beide Objekte durch eine möglichst bequeme Treppe zu verbinden. Der steile, mit Wein bestockte Hang ließ damals eine Wege- oder Straßenverbindung nicht zu. In eine erste Skizze zu einer Treppe soll August der Starke eigenhändig eine Korrektur eingetragen haben. Zu Lebzeiten, er starb 1733, konnte er aber noch kein Baugeschehen an dieser Treppe gesehen haben. Sicherlich war der Hofarchitekt Matthäus Daniel Pöppelmann (1662-1736) in die Vorgespräche und Skizzen einbezogen gewesen, aber es war nicht sein Projekt für eine große Treppe, das dann endlich von 1747-1750 realisiert worden war. Das Projekt für die barocke Treppe wird viel mehr dem Architekten Johann Christoph Knöffel (1686-1752) zugeschrieben. Die Geschichte bis dahin ist nicht restlos gesichert, so viel steht aber fest, es war nicht August des Starken Treppe, allenfalls die seines Sohnes und er kann diese nicht begangen haben. Wie die fertiggestellte barocke Treppe im Detail ausgesehen hat, ist heute kaum noch nachzuvollziehen, jedenfalls hatte sie unregelmäßig lange Treppenabschnitte. 1751 erhielt die Treppe mit dem Muschelpavillon einen oberen Abschluß, einen Zielpunkt für die Aufsteigenden.

Nach knapp hundert Jahren Benutzung der Spitzhaustreppe muß sie aber sehr schlecht beschaffen gewesen sein, denn der Landbaumeister Carl Moritz Haenel (1809-1880) erhielt 1845 den Auftrag, diese in Stand zu setzen. Daraus wurde aber ein neues Projekt mit geänderten Treppenabschnitten und Absätzen – erst zum Zeitpunkt 1845/46 konnte also von der sogenannten Jahrestreppe mit Abschnitten von je sieben Stufen gesprochen werden! Wenn man weiß, wo man zu zählen beginnen muß, bekommt man mit 52×7=364 ein ideales Jahr heraus. Haenels neue Treppe wirkte nun strenger und regelmäßiger als die alte Treppe, sie trug klassizistische Merkmale. Zum Ensemble der großen Treppe kam 1923 dann noch der gestaltete Torbogen zum Weinberg „Goldener Wagen“ dazu. Wenn man den Muschelpavillon als Endpunkt der Treppe betrachtet, müssen wir beim Torbogen vom Anfangspunkt sprechen.

Seit 1846 gingen reichlich 100 Jahre ins Land, in denen die große Treppe genutzt wurde aber immer nur kleinere Reparaturen ausgeführt worden waren. Ich erinnere mich, dass um 1970 die Spitzhaustreppe in einem fast unbegehbaren Zustand war, es bestand akute Unfallgefahr. Die Ursachen sind wohl im Baugrund, in der Wirkung von Oberflächenwasser und auch unterirdischen Wasseradern zu suchen – natürlich war es kühn gewesen, diese Treppe so in den Steilhang zu setzen. 1971 schließlich rief der Rat der Stadt Radebeul die Bevölkerung zu einer Masseninitiative zur Rettung der Treppe auf. Und ich war auch dabei: Unkraut jäten und Büsche roden, einzelne Sandsteinstufen geraderücken und ein paar Fugen zuputzen. Zu einer grundhaften Instandsetzung aber taugte diese Initiative natürlich nicht.

Nach der politischen Wende 1989 kam bald der Wunsch auf, die für Gäste unserer Stadt aber auch für die Einwohner Radebeuls selbst wichtige Treppe bald in einen besseren Zustand zu versetzen. Schließlich war sie ein touristischer Höhepunkt und ein Kulturdenkmal und es bestanden nun technische und wirtschaftliche Möglichkeiten so eine Aufgabe anzugehen. Die Baumaßnahme erstreckte sich über die Jahre 1991/92. Zunächst wurden die wenigen noch intakten Sandsteinstufen von 1845 geborgen und unterhalb der Hoflößnitz als Ergänzung einer anderen Treppe eingebaut. Dann sah das Projekt den Abbruch der Treppenreste und den Bau einer Seilbahn für Materialtransporte vor. Es folgten Drainagen, Baugrundverfestigung und Fundamente und schließlich der Einbau neuer Treppenstufen, Podeste und Ruhebänke aus festem Postaer Sandstein. Komplettiert wurde die neue Treppe mit beidseitigen eisernen Geländern und einer modernen elektrischen Beleuchtung. Das alles konnte die Stadt Radebeul nicht allein stemmen, sie bekam auch staatliche Fördermittel bewilligt. Zu dem Zeitpunkt ahnte hier keiner, dass die Treppe eines Tages für Sportwettkämpfe genutzt werden würde und es gab keine Fördermittel in dieser Richtung. Ob Fördermittel der Denkmalpflege eine Rolle gespielt haben, kann ich zZ. nicht beurteilen. Eine denkmalpflegerische Instandsetzung der vorgefundenen Treppe schied leider aus, weil deren Zustand so desolat war, dass sich die Beteiligten einig waren, dass hier nur ein Neubau nach altem Vorbild in Frage kam. Ja, die Freude über die neue alte Treppe zum Spitzhaus war damals überall in Radebeul zu spüren. Architekt Wolfram Sammler, im Ingenieurbüro Gütler Radebeul zuständig für die Gestaltung, hatte eine nette Idee als Zugabe beigesteuert. Ein von ihm gereimter Text zum Sinn der Jahrestreppe wurde als Bronzetafel(?) im unteren Abschnitt der Treppe angebracht.

Damit der Volksmund Recht behält,
wird künftig erst ab hier gezählt.
Von hier an ist es wirklich wahr,
bis oben hin ergibt‘s ein Jahr.

Aber es dauerte nicht lange, da war sie gestohlen – Souvenirjäger oder Buntmetalldiebe? Gleichwohl verabscheuenswürdig, wie auch andere Zerstörungen an Sandsteinteilen oder an der Beleuchtung. Inzwischen wurde eine neue Messingtafel mit gleichem Text angebracht, hoffen wir, dass sie länger erhalten bleibt. Mit der Zeit hat der helle Sandstein etwas Patina bekommen, heller wirken nur die bei steinmetzmäßigen Reparaturen eingesetzten Paßstücke an den Stufenkanten.

Dann aber, Herr Fricke sprach von 2005, hatten die Laufsportler die Treppe als Trainingsstrecke entdeckt. Aus Training wurde, logisch, ein Wettkampf auf der Treppe, meist im April jeden Jahres. Der Wettkampf wurde bald international als 24-Stunden-Lauf bekannt und entwickelte sich so zum Extremsport. Am Anfang schien das auch der Stadtverwaltung zu gefallen, trug es doch zur größeren Popularität Radebeuls bei. Wenn sich dieses Event dynamisch weiter entwickeln sollte, und das wünschen sich sicherlich die Veranstalter, droht in der sensiblen Lage von Landschafts- und Denkmalschutzgebiet etwas aus dem Ruder zu laufen. Unvorstellbar der Gedanke, es könnten einmal Zuschauertribünen seitlich der Treppe in den Weinberg gebaut werden und kurz darauf würde das Ganze vielleicht noch eine statisch geniale Überdachung erhalten und, und, und so weiter. Irgendwie ist das wie mit der alten Geschichte mit dem Geist in der Flasche, einmal herausgerufen kriegt man ihn nicht wieder in die Flasche. Wie mir kürzlich ein Anlieger an der Treppe erzählte, üben auf der Spitzhaustreppe nun gelegentlich auch „uniformierte Organe“, also Feuerwehr und Polizei, um im Ernstfall genug Kraft und Kondition zu haben. Wo trainiert eigentlich die Feuerwehr in den vielen Orten, die keine Spitzhaustreppe haben? Ganz sicher bin ich mir, dass August der Starke, als er hier von so einer Treppe träumte, nicht an ein Sportevent gedacht hatte.

Als „älteres Semester“ gönne ich es all denen, die mit Sport auf der Treppe Spaß und Ehrgeiz haben, Kampf und Sieg erleben wollen, darunter ein paar, die vielleicht Radebeul sonst nie kennen gelernt hätten, doch bei der Stadt sehe ich die Aufgabe, für diesen Treppensport das richtige Maß zu finden, keine bei anderen Sportarten üblichen Steigerungsraten (höher, schneller, weiter …) in dieser sensiblen Gegend zuzulassen und immer das Wohl der Stadt jederzeit im Auge zu behalten.

Dietrich Lohse

Fotos: D. Lohse

Verwendete Literatur:
„600 Jahre Hoflößnitz“, H. Magirius u. Autorenkollektiv, Michel Sandstein Verlag 2001

„Stadtlexikon Radebeul“, F. Andert u. Autorenkollektiv, Stadtarchiv Radebeul, 2005

„Denkmaltopografie Radebeul“, V. Helas, M. Müller, M. Nitzsche, Sax Verlag 2007

Radebeuler LebensArt

Von der Kunst mit Kunst in Gärten zu gehen

Man kann es nicht sehen, riechen oder schmecken. Und doch ist das Corona-Virus gefährlich präsent. Es kam plötzlich und unerwartet, fast wie ein Blitz aus mehr oder weniger heiterem Himmel – nicht nur für Deutschland, nein, weltweit.

Die Ausnahmesituation wurde zur Herausforderung und setzte neue, bisher ungeahnte kreative Kräfte frei. Die Kultur, von engstirnigen Menschen oftmals als Sahnehäubchen verlacht, bekam wieder einen größeren Stellenwert zugemessen. So Manches wird eben erst vermisst, wenn man es nicht mehr hat. Museen, Galerien, Theater, Kinos, Bibliotheken und Clubs wurden geschlossen, Feste und Tanzveranstaltungen untersagt. Öffentlicher Kulturentzug total!

Schon bald war auch klar: Gestreamte Kultur ist kein vollwertiger Ersatz. Doch was ist während einer Pandemie möglich und was nicht? Mit welcher Art von Veranstaltungen könnte eine Wiederbelebung der öffentlichen Räume erfolgen?

Das Radebeuler Kulturamt (das einzige im ganzen Landkreis Meißen) mutierte in Zusammenarbeit mit dem neu gegründeten Radebeuler Kulturverein e. V. zur Ideenfabrik und Schaltzentrale. Man begann ein dichtes kulturelles Netz zu spannen und gemeinsam nach alternativen Lösungen zu suchen. Vieles wurde neu gedacht. Fast so, wie vor drei Jahrzehnten, in den Zeiten des gesellschaftlichen Um- und Aufbruchs.

Immer wieder eingeschlossen in jene kulturellen Nachwende-Erinnerungen, ist der viel zu früh verstorbene Dr. Dieter Schubert (1940-2012), der am 31. August 2020 achtzig Jahre alt geworden wäre und im Januar 1991 im Alter von fünfzig Jahren, quasi als Seiteneinsteiger, die Funktion des Amtsleiters für Bildung und Kultur übernommen hatte. In seinen tagebuchartigen Aufzeichnungen vermerkte er: „Mein Verständnis von meinem neuen Amt ist ein wenig das eines Gärtners: Wachsen muss alles selbst, wir können von der Stadtverwaltung nur dafür sorgen, dass Licht, Luft und Sonne an die Pflanzen kommt, und der Boden ist zu düngen, manchmal auch umzugraben. Mit Unkraut- und Schädlingsbekämpfungsmitteln werden wir uns zurückhalten. (s. „Vorschau und Rückblick“ 2012/06)

In Anbetracht der außergewöhnlichen Situation reagierten Stadtverwaltung und Fördermittelgeber schnell und unbürokratisch. Kulturelle Zuschüsse wurden umgewidmet und für zahlreiche kleinere Alternativangebote freigegeben, welche die in ihrer ursprünglichen Form ausfallenden Großveranstaltungen wie Karl-May-Festtage, Kasperiade und Wandertheaterfestival kompensieren sollten. Unter der inhaltlichen Klammer „Radebeuler LebensArt“ erfolgte eine „zeitliche und räumliche Entzerrung“. Kunst- und Kulturangebote wurden von Juni bis September über das ganze Stadtgebiet verteilt.

Auch die Radebeuler Stadtgalerie brachte sich ein und startete die Aktion „Kunst geht in Gärten“. Die Vorbereitungszeit war äußerst knapp. Am 12. Mai machte ein erster Aufruf die Runde, in dem es darum ging, sich an einem Projekt zur Unterstützung regionaler Kunst und Künstler zu beteiligen. Angefragt wurde, ob man sich vorstellen könne, den eigenen Garten am 11. und 12. Juli für Besucher als eine Art erweiterten Ausstellungsbereich unter freiem Himmel zu öffnen. Die Resonanz übertraf die Erwartungen der Initiatoren. Schließlich konnten 19 mitwirkungswillige Stationen registriert werden. Über 80 Künstler engagierten sich. Das Galerieteam war für die Leitung des Projektes und die Klärung der Rahmenbedingungen zuständig.

Für die meisten, der teilnehmenden Grundstückseigentümer, war so eine Aktion völliges Neuland. Hinzu kamen die notwendigen Hygiene- und Sicherheitsanforderungen. Aber vor allem galt es zu überlegen, wie und wo sich Kunst in einem Garten stehend, liegend oder hängend präsentieren lässt. Lauben, Veranden, Terrassen, Sandkästen, Gartenberge, Vorgärten, Hecken, Bäume, Mauern, Zäune oder Brunnen wurden dafür hergerichtet. Eimer, Gießkannen, Sack- und Schubkarren sowie sonstige Gartengerätschaften aber auch Ziegelsteine, Gehwegplatten und verrostete Kleinschrott-Überbleibsel erlebten die wundersame Veredlung zu Kunst. Der Fantasie waren keine Grenzen gesetzt.

Zwei-Tages-Kunstaktion mit Tobias Wolf am Elbufer
Foto: Karin (Gerhardt) Baum

Besucher im Garten von Cornelia Konheiser
Foto: Karin (Gerhardt) Baum

Action Painting mit Klaus Liebscher auf der Wilhelmshöhe
Foto: Sophie Cau

Besucherin mit Goldenem Ei im St.-Nimmerleins-Garten des Lügenmuseums Foto: Reinhard Zabka

„Auferstehung“ (Detail) von Christiane Latendorf im Kunsthaus Kötzschenbroda Foto: Karin (Gerhardt) Baum

 

„Vino, Virus, Veritas“ (Detail) von Matthias Kratschmer Foto: Karin (Gerhardt) Baum

 

 

 

 

 

Sowohl Einzelkünstler als auch Künstlergruppen wie die Ateliergemeinschaft „Alte Molkerei“, die Künstlergruppe „Spurensuche“, die Ateliergemeinschaft „Oberlicht“ und die Künstler von der „Alten Schuhfabrik“ beteiligten sich an dem Projekt. Mit von der Partie waren die Stadtgalerie Radebeul, die Galerie mit Weitblick, das Kunsthaus Kötzschenbroda, das Café Grünlich, das Café am Spitzhaus, das Sächsische Weinbaumuseum Hoflößnitz, das Lügenmuseum, das Weingut „Drei Herren“ und die Kunstscheune Naundorf. Ihre Gärten öffneten die Künstlerinnen und Künstler Johanna Mittag, Cornelia Konheiser, Annerose und Fritz Peter Schulze, Katharina und Günter „Baby“ Sommer, Ralf Uhlig, Irene Wieland, Gabriele und Detlef Reinemer. Neben den zahlreich mitwirkenden Radebeuler Künstlern erhielten auch einige Künstler des Umlandes die Möglichkeit, sich an dem Projekt zu beteiligen. Wandernde Musiker zogen von Garten zu Garten und erfreuten das Publikum in stimmungsvoller Atmosphäre mit spontanen Darbietungen. Darüber hinaus fanden Mal-, Näh- und sonstige Performanceaktionen statt.

 

Licht-Installation „Garten“ in der Alten Molkerei

 

Aktion der Gruppe Kunstspuren mit Quintravers Foto: Irene Wieland

 

Die Bildhauer Detlef und Gabriele Reinemer mit Besuchern in ihrem Garten Foto:Heidi Tyroff

Der räumliche Bogen wurde von West nach Ost sowie vom Elbtal bis hinauf in die Weinberge gespannt. Im größten Garten der Lößnitzstadt, dort wo die Elbe als Quell aller Fruchtbarkeit fließt, erfolgte der Auftakt des zweitägigen Kunstwochenendes. Selbst wenn es dem Performer nicht vollständig gelang, die Elbe an zwei Tagen leer zu schöpfen, schätzte er seine dabei gemachten Erfahrungen und die vielen Gespräche als sehr interessant und erfrischend ein.

Dass sich die Gartentore endlich öffnen, konnten die Besucher kaum erwarten. Viele kamen zu Fuß oder per Rad. Der Flyer mit dem Orientierungsplan bot reichlich Information. Offene Fragen wurden kundig, gern und freundlich von den anwesenden Mitwirkenden beantwortet. Die Besucher zeigten sich aufgeschlossen und kommunikativ. Selbst zu abseitigen Stationen drang man entdeckerfreudig vor.

Wenngleich inmitten des Industriegebietes von Radebeul-West in großen Buchstaben kurzzeitig das Wort „GARTEN“ zu lesen war, hätte die „Alte Molkerei“ wohl eher die Bezeichnung „Anti-Garten“. verdient. Dem in diesem Umfeld paradox wirkenden Auftritt des Gnadenchores auf der Milchrampe mit dem Repertoire aus heimatlichen Volksliedgut lauschte eine sichtlich begeisterte Zuhörerschaft. Allerdings schien sich auch ein etwas kunstfernes Publikum in die Werkstatträume der jungen Künstler (mit Mundschutz) verirrt zu haben, so dass die Reaktionen auf die plastischen Objekte, Installationen und Fotografien im Arbeitsambiente mitunter recht widersprüchlich waren. Man nahm es gelassen, zumal sich zahlreiche Studien- und Künstlerkollegen eingefunden hatten. Sehen will eben gelernt sein und Humor hat man oder hat man nicht. Denn zahlreiche Arbeiten besaßen ein reiches Maß an hintergründigem Witz wie z. B. die temporäre Großplakat-Imitation vorm Zaun auf der gegenüberliegenden Straßenseite. In einer Selbstinszenierung zeigte sich der Künstler unter fiktivem Namen in der Rolle eines Aussteigers als ganzkörperbemalter Naturvolk-Konvertit. Wie schade, dass die Alte Molkerei zum Verkauf steht und eine räumliche Ersatzlösung in Radebeul bisher nicht in Sicht ist.

Aber auch die klassischen Kunst- und Gartenfreunde sind reichlich auf ihre Kosten gekommen. Kunstwerke wechselten ihre Besitzer und gärtnerische Geheimtipps gab es gratis dazu. Allerdings ließen einige Bilder in ihrer leuchtenden Farbigkeit, so manche Blumenrabatte vor Neid erblassen. Auch Nähmaschinen ratterten für Quintravers im Farbenrausch. Zu den floral und wild gewandeten Flötistinnen gesellte sich überraschend eine Tänzerin. Die Lust am kreativen Gestalten war allerorts zu spüren und steckte an. Während Kunst und Kuchen in einem Brunnen genossen werden konnten, fiel im „St.-Nimmerleins-Garten“ ein goldenes Ei vom Himmel. In einem etwas morbiden Vorhaus lauerten wiederum riesige Insektenköpfe den Besuchern auf. Ein allzeitvergnügter Gartenzwerg warb unter dem Motto „Vino, Virus, Veritas“ mit einem genmanipulierten Corona-Virus für die Lösung aller Pandemie-Probleme. Die Kunst wartete als Larve in einer Badewanne auf ihre Wieder-Auferstehung und von Künstlerhand geschriebene Monatssprüche vermittelten an einer hölzernen Wand aus Kellertüren Zuversicht. Im Atelier Oberlicht hingegen war allerlei frisch Gedrucktes im Angebot und der vorgelagerte Kunstpassagenhof wurde zum kleinen Bilder- und Keramikmarkt in kontrastierender Kombination mit einer gebeamten Videoshow.

Hoch über der Elbe zeigten „Boote der Hoffnung“ ins weite Tal. Hier schloss sich der Kreis. Die zweitägige Aktion „Kunst geht in Gärten“ klang in abendlicher Stimmung auf der Terrasse der Wilhelmshöhe aus. Das Kunst-Wochenende, dessen Reiz in einer wohldosierten Mischung aus praktizierter Lebensfreude, Spontanität, Zugewandtheit und Intimität bestand, war ein großer Erfolg und verschmolz für alle, die dabei waren zu einem einzigartigen Fest.

Karin (Gerhardt) Baum

Alle Stationen und mitwirkenden Künstler unter www.vorschau-ruechblick.de, Juli 2020, „Kunst geht in Gärten“

Bernd Hanke Räume & Dinge

Fotografik in der Radebeuler Stadtgalerie

Mit dieser Ausstellung beginnt eine neue Reihe in der Stadtgalerie, mit der unter dem Motto „In Radebeul geboren“ > verlorene Söhne und Töchter < aus Radebeul mit ihren Arbeiten zurückkehren.

Der Grafikdesigner, Plakatgestalter und Fotografiker erblickte 1947 in Radebeul das Licht der Welt und wurde mit 4 ½ Jahren, wie er sagt „aus der schönen Lößnitz von den Eltern nach Radeberg entführt“, das heißt die Familie musste umziehen – ein Trauma. Seine Verbundenheit mit Radebeul ist auf zwei Bildern zu sehen. Das Kinderbild in der Biografietafel entstand noch in Radebeul (übrigens mit einem skeptischen Blick auf die Polizistenhandpuppe, der bereits die Skepsis auf die Obrigkeit zeigt, welche sich bis heut hält). Eine weitere Hommage an die Geburtsstadt heißt „Radebeul ist schön“, eine Arbeit, welche einen weiteren Charakterzug darbietet – feine Ironie. Aber in Radeberg gab es zum Glück den Zeichenzirkel von Rosso Majores, wo der 13jährige sein zeichnerischen Fähigkeiten erkannte, auch wenn er gefühlt wochenlang seine linke Hand zeichnen musste. Er absolvierte eine Ausbildung als technischer Zeichner und Werkzeugmacher, erlernte Genauigkeit und ein Handwerk durchaus im wahren Sinne des Wortes. Bis heute muss alles perfekt gearbeitet sein, ob mit dem Stift, am Computer oder mit der Kamera. Nach weiterer Ausbildung zum Werbeökonom und Tätigkeit bei der DEWAG sowie drei Jahren Anstellung als Grafiker bei Elbenaturstein, arbeitet er als Grafiker seit 1982 freiberuflich in Dresden.

Erdgeschoss
Foto: Archiv Stadtgalerie


Bekannt geworden ist Bernd Hanke vor allem durch die Gestaltung von Plakaten in den achtziger Jahren. In der DDR waren Plakate neben den üblichen Propaganda(mach)werken in der Regel mit Kunst verbunden. Man kannte noch keine schreiende Werbung – wofür denn auch. Das Plakat war politisch oder es warb für Veranstaltungen – dann oft auf hohem Niveau künstlerisch gestaltet. Das Dresdner Staatsschauspiel leistete sich eine eigene Theaterplakatgruppe. Werke dieser Gruppe sind bis heute im Gedächtnis der Dresdner geblieben. „Eine Vereinigung von Künstlern solchen Formats, die ob ihrer selbstlosen Zielsetzung und ansteckenden Neugier auf das andere Medium Theater inspirierend wirkte, sucht heute ihresgleichen und war wohl nur in einer bestimmten zeitlichen und personellen Konstellation möglich …“ kennzeichnete Heike Müller-Merten die Gruppe. Bernd Hanke war Mitglied dieser Gruppe. Aber das wohl bekannteste und prägnanteste Plakat „Denkmal nach“ ist bereits ein Klassiker der Dresdner Plakatkunst.

Neben der Plakatkunst ist die Entwicklung von Logos ein Hauptarbeitsgebiet. Bernd Hanke spricht im Übrigen lieber von Signets oder Zeichen. Einigen kann man in Dresden begegnen z. Bsp. bei der Sächsischen Wohnungsgenossenschaft Dresden. Aber auch Zeichen des Radebeuler Lößnitzgymnasiums stammt von ihm. Die Zeichenentwicklung ist aufwendig. Er erkundet zuerst die Hintergründe, sammelt Informationen. Ihn interessiert, was hinter einer Firma, einem Verein, einem Orchester, steckt. Was ist die Philosophie, wer soll erreicht werden? Dann wandert die Idee über das Papier in den Computer. Außerdem nimmt die Künstlerkataloggestaltung viel Raum ein.

Bernd Hanke ärgert sich über schlampige Logos, über lieblosen Schriftsatz, unpassende Schriftarten und er kämpft um jeden Buchstabenabstand. Irgendwann stimmt es und ist letztlich stimmig.

Die Ausstellung in der Stadtgalerie beschränkt sich nun ausschließlich auf das Gebiet der Fotografik. Den Begriff der Fotografik gibt es noch nicht sehr lange. In den einschlägigen Kunstlexika findet man ihn nicht, er wird subsummiert unter die künstlerische Fotografie. Treffend wird die Fotografik von Wikipedia beschrieben als „fotografisch erzeugte Bilder, deren Bildgestaltung und Bildwirkung vorwiegend auf grafischen Elementen beruht.“

Obergeschoss
Foto: Archiv Stadtgalerie


Der erste Eindruck suggeriert, dass viele Arbeiten anscheinend während der laufenden Corona-Epidemie entstanden sind. Leere Räume, leere Stühle, leere Tische. Aber was hier als Zufall erscheint, ist Prinzip. Für das Bild im Treppenhaus des Vatikanmuseums musste er ewig warten, denn in der Regel stürmen Menschenmassen aufwärts zur Michelangelos Sixtinischer Kapelle oder zu den Stanzen des Raffael. Diese sind für den Betrachter Bernd Hanke sehr wichtig, nicht für den Fotografiker. Leere Räume kann man mit Gedanken, gar mit Geschichten füllen – was passiert, wer kommt hier gleich um die Ecke oder die Treppe hinunter. Was verbirgt sich hinter einer Wand, wer setzt sich in den leer stehenden Sessel?
Auf die Spitze getrieben hat er die Leere in Verbindung mit dem Warten, ein Symbol für Zeit und Raum. Natürlich kommt einem Godot in den Sinn. Das Bild mit den zwei Stühlen neben einem Tisch mit Kerze, entstand, als er auf seinen Sohn ewig warten musste. Es ist das einzige mit einem malerischen Charakter. Sonst dominieren Klarheit und Struktur.
Bernd Hanke ist auf der Suche nach dem Außergewöhnlichen, dem speziellen Detail, oder einer ungewöhnlichen Bildfindung, wie beim Putto, der nach dem Kreuz auf der Frauenkirche zu greifen scheint. Das Gesamtkonzept der Casa Battlo von Gaudi begreift am auch mit einem Ausschnitt aus dem Treppenhaus.

So lenkt er den Blick des Betrachters zum einen auf das Wesentliche, zum anderen auf Zusammenhänge. Wie verändert die Zeit einen bestimmten Stadtcharakter, z.B. eine Dachlandschaft in Bamberg oder wieder farbige Wände in Barcelona.
Das grafische Element findet sich explizit sich im Obergeschoss auf einer kleinen Tafel – man kann sie durchaus so nennen. Ein unentdeckter Gerhard Richter sollte man meinen, aber es ist nur die Wand eines Cafés in Venedig aus farbigen Leisten. Streng grafische Bilder entstanden auch in Museen. Eines der wieder aufgebauten Meisterhäuser in Dessau zeigt, wie unterschiedlich man an Rekonstruktionen gehen kann. Man muss nicht steingenau aufbauen. Genau an diesem Haus und in diesem Bild erkennt man die markante Formensprache des Bauhauses.

Markante Details lassen sich auf unterschiedliche Art in zahlreichen Bildern entdecken – ob es ein ramponierter Cafétisch in Rom, ein Gullydeckel in Paris mit Farbkreis oder ein Türbeschlag neben einer gelben Wand in Berlin ist. Der Ästhet entdeckt die Kunst im scheinbar Belanglosen.

Humor und Ironie, durchaus auch Selbstironie, niemals Sarkasmus kennzeichnen Bernd Hanke. „langweilig“ – ein Graffito aus der Neustadt heißt das Bild welches am Eingang den Besucher begrüßt. Es ist eine Provokation. Bernd Hanke provozierte schon zu DDR-Zeiten, hatte mit der Stasi nicht nur einmal zu tun und präsentiert im Pseudo-Stuckrahmen das „verlassene“ Klo des (wirklich üblen) Genossen Generalmajor Böhm. Er war höchster Stasioffizier des Bezirkes Dresden und so besessen, Feinde des Sozialismus zu bespitzeln und zu diffamieren, dass sich selbst seine Mitarbeiter beklagten.
Mit seiner Kunst mischt er sich politisch bis heute ein. Seine Plakate sprechen manchmal eine deutliche Sprache, manches muss man jedoch entdecken. Ein Beispiel hängt im Lichtraum der Galerie mit einer Ober und einer Unterseite. Hier gilt es nachzudenken – ein Hinweis ist die Farbe Blau.

Nach der Wende konnten wir endlich reisen. Und was musste das getrübte Auge erblicken? Auch auf Sylt sieht eine Eigenheimwohnanlage aus, wie der Block des FDGB-Heimes „Frohe Zukunft“ oder halt wie Prohlis. Ein Schild „Buhne“ versperrt den Blick. Buhnen dienen ja dem Küsten- oder Flussschutz und viele kümmern sich darum. Aber wer kümmert sich um den Schutz des dahinterliegenden Landes?

Gegensätze sind ein weiteres Thema. Neben dem wohlgeordneten Regal mit T-Shirts in Wien ist ein Grabbeltisch in Essen zu sehen. Verkaufskultur ist eben auch Kultur und wird in verschiedenen Ländern offenbar verschieden aufgefasst. Ebenso wie die vermeintliche oder die ernsthafte Kultur der Graffitis, beispielhaft dargestellt in Rom und in der Dresdner Neustadt.

Bilder entstehen nicht nur im Kopf. Viele Eindrücke und Motive sammelt der Künstler auf Reisen. Denn kein Land ist wie das andere. Licht, Gerüche, das Leben auf der Straße spielen eine große Rolle.

Das Reisen, welches Bernd Hanke liebt, ist z. Zt. nur eingeschränkt möglich. Vielleicht sieht man sich aber wieder auf der nächsten Biennale 2021 in Venedig – zusammen mit seinem Freund Klaus Liebscher.

Alexander Lange

Editorial August 2020

NEIN!- an die „Maus“, wie sie mein geschätzter Redaktionskollege Dietrich Lohse in seinem Artikel im Januarheft bezeichnet, kann ich mich nicht gewöhnen.So oft ich auch daran vorbeifahre: Das wird nix! Ich spreche vom Gymnasiumsanbau „Luisenstift“, in“Graubraun“. Eine gute Bekannte, von Beruf Museumspädagogin, sprach mich an: „Schreib‘ doch mal in „Vorschau & Rückblick“ etwas über diesen … Anbau. In meiner Tätigkeit spielen ja Farben in der Ausstellungsgestaltung, und besonders bei denen für Kinder eine große Rolle. Nicht dunkle, düstere Farben, sondern helle, freundliche sollen Motivation unterstützen und auf bestimmte Themen einstimmen, oder, wie bei einer Schule, Freude auf das gemeinsame Lernen verstärken“ Nun frage ich Sie, liebe Leserinnen und Leser: Würden Sie durch den Anblick dieser Fassade freudig eingestimmt in das Haus gehen? – Um nicht falsch verstanden zu werden, Farbgestaltung von Gebäuden ist ein weites Feld. Aber „Bunker ähnlichen Anstrich“ für ein Schulgebäude?… Möglicherweise greift bei manchen Architekten gerade eine „Mode“ um sich. Ich habe schon in Dresden im Neubaugebiet an der Stauffenbergallee ein weiteres so gefärbtes Gebäude entdeckt. Im Zusammenspiel mit zwei helleren Nachbargebäuden erscheint dies dort einfach nur traurig, genauso wie der Gymmnasiumsanbau.

Nicht nur meiner Meinung nach ist am „Luisenstift“ eine Chance vertan worden, einen „Hingucker.“ zu gestalten. Dass es innen freundlicher ist, tröstet kaum darüber hinweg, dass es von außen eher ein „Weggucker“ wurde. Sehr schade!

Was nun? Zum Farbbeutel werfen rufe ich natürlich nicht auf. Vielleicht mal die Schülerinnen und Schüler fragen, wie die das Ganze sehen – eventuell anders?

Wenn nicht, Ideen sind immer gut!

Ilona Rau

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