„Grusel wohnt an keinem Ort…!“

Szene mit Felix Lydike und Ensemble Foto: Hagen König

Szene mit Felix Lydike und Ensemble Foto: Hagen König

Premiere an den Landesbühnen Sachsen für ein wahrhaftiges Gruselmärchen

Sich vor etwas zu fürchten ist – wie wir wissen – eigentlich eine ganz alltägliche Geschichte. Der eine fürchtet sich vor Spinnen, ein anderer vor Ratten und ein dritter vor dem ums Haus tobenden Sturmwind. Doch es soll auch jene geben, die sich vor gar nichts fürchten. Zu ihnen zählt der Korbmachersohn Karl, ein Junge, der sich nichts sehnlicher wünscht als sich einmal „…so richtig zu gruseln!“ Was hat er diesbezüglich nicht alles schon ausprobiert? Doch es gruselte ihn einfach nicht. Kein noch so scheußliches Gespenst, keine Hexe, kein Riese und kein Ungeheuer schafften es, das ihm sprichwörtlich die Haare zu Berge stehen. Doch Karl gibt nicht auf, er setzt alles daran, das Gruseln zu erlernen. Und eines Tages bietet sich ihm tatsächlich die Chance dazu. An dieser Stelle nun beginnt dieses Grimmsche Märchen real zu werden. Jedenfalls so real, wie es Schauspieler auf der Radebeuler Theaterbühne aufzuzeigen vermögen. Und auch so wunderbar gespenstisch, wie dieses Märchen nun mal erzählt werden will. Landesbühnen-Intendant Manuel Schöbel hat dabei selbst ganz intensiv Hand angelegt, indem er mit seiner Version das „gruselige“ Grimmsche Märchen neu erzählte und es so auch den Verhältnissen der Radebeuler Bühne anpasste. So lässt Regisseur Steffen Pietsch den Haupthelden Karl (Felix Lydike) an vielen Orten nach dem wahren Gruseln suchen. Dabei bietet auch das Bühnenbild (Tilo Staudte) eine wahrhaft gruselige Szenerie. Eben nur nicht für den mutigen Hans, den überhaupt nichts aus der Ruhe zu bringen scheint. Keine düstere Burg, keine tanzenden Knochengerippe und auch keine Gehenkten (Kostüme: Katharina Lorenz). Dafür aber entwickelt Hans Sinn für das Zwischenmenschliche, indem er sich in die äußerst praktisch denkende und handelnde Gänsemagd Suse (Cordula Hanns) verliebt. Was wiederum dem König (Olaf Hörbe) ganz und gar nicht passt. Denn der möchte auch gar zu gern seine eigene Tochter unter die Haube bringen. Am Ende kommt es auch dazu, nur eben ohne sein direktes Zutun.
Für die Kinder im Publikum – die eigentliche Zielgruppe der Inszenierung – sind die eineinhalb Stunden Gruselunterricht ein wahres Highlight. Von Furcht und Gruseln allerdings kann keine Rede sein. Dafür aber von einem wahren Gaudi, das Groß und Klein gleichermaßen ergreift.
„Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen“ dürfte über die Wintermonate hinweg mit ziemlicher Sicherheit als echter Dauerbrenner für allerhand Publikum im Radebeuler Theater sorgen.

Wolfgang Zimmermann

Mit Hans-Eckardt Wenzel poetisch durch das Jahr 2017

 

Liebe Leserinnen und Leser,

Hans-Eckardt Wenzel

Foto: S. Graedtke

im Oktoberheft des letzten Jahres erschien mit „Feinslieb, du lachst dazu“ passend zur Jahreszeit bereits ein erstes Gedicht von Wenzel. Ab Januar werden uns nun zwölf ausgewählte Gedichte und Lieder durch das neue Jahr begleiten. Viele werden sich fragen, wer ist denn dieser Wenzel? Wer nicht gerade ein Liedermacher-Freund der alten Schule ist oder nicht in den letzten Jahren gelegentlich MDR-Figaro, wie es so schön hieß, hört, dem könnte der Poet nach wie vor ein Unbekannter sein.
Hans-Eckardt Wenzel wurde am 31. Juli 1955 in Kropstädt bei Wittenberg geboren. Er studierte von 1976 bis 1981 an der Humboldt-Universität in Berlin Kulturwissenschaften und Ästhetik, fand aber schon während seiner Studienzeit seine Berufung als Autor, Sänger, Schauspieler, Regisseur und Komponist. Zwei Jahrzehnte waren neben seinem musikalischen Schaffen von philosophisch-clownesken Bühnenprogrammen mit Steffen Mensching geprägt. Ein Großteil seiner Texte offenbaren die Sehnsucht nach dem Meer und die verkannte Poetik des Alltags.
Wenzel ist seit weit über dreißig Jahren unterwegs, mit Band oder Solo. Seither sind über 40 CDs,   einige Erzählungen und Gedichtbände erschienen. Musikalische Exkurse haben den ostdeutschen „Provinzhasen“ 2003 gar nach New York geführt, wo er Texte von Woody Guthrie übersetzte und vertonte. 2014 folgten Kuba und Nicaragua mit Klängen und Eindrücken von dieser Reise.
Ein Höhepunkt für Wenzelfans bildet seit vielen Jahren um die Mittsommernacht ein Freiluftkonzert im Fischerdorf Kamp südlich von Usedom mit hundert Liedern und tausend Gästen.
Traditionell ist er einmal im Jahr in Dresden im Club Passage in Gorbitz zu Gast und war nun auch schon dreimal in Radebeul zu erleben.
Geneigte Leserschaft, lassen Sie sich nun einspinnen in Wenzels Gedankenwelt, wenn an dieser Stelle leider ohne Vertonung.

Sascha Graedtke

Lebenslied

Ich plane die Schmerzen mit ein,
Ich atme den Rauch, der mich aufkratzt und nährt,
Ich schwärze die Lungen mir ein.
Weiß: Leben ist nicht Artigsein.
Ich höre die Warnungen, die man spricht,
ABER VERZICHTEN WILL ICH DRAUF NICHT.

Ich plane das Herzweh mit ein,
Ich schmiege mich, Liebste, fest an deinen Leib.
Weiß, das wird nicht für ewig sein.
Ich höre die Zeit ticken in uns zwein.
Die Schwüre auf Treue, die glaub ich nicht,
ABER VERZICHTEN WILL ICH DRAUF NICHT.

Ich plane den Ärger mit ein.
Ich melde mich unaufgefordert zu Wort.
Mein Herz ist nicht rein, bin nicht klein.
Ich will einfach dagewesen sein!
Wird heiser die Stimm mir auch, bis sie bricht,
ABER VERZICHTEN WILL ICH DRAUF NICHT.

Ich plane den Kummer mit ein.
Ich liebe mir Kinder her auf diese Welt.
Verlieb mich in ihr Lachen und Schrein.
Ich will einfach nochmal Lebendigsein.
Und nehmen sie Platz und Zeit mir, so ists.
ABER VERZICHTEN WILL ICH DRAUF NICHT.

Ich plane den Kater mit ein,
Ich trinke den Boden der Gläser ans Licht.
Weiß: Früh werd ich zerschlagen sein.
Ich tanze, ich singe, ich schenk mir ein,
Und rechne nicht aus, was mich würgt, was mich bricht.
ABER VERZICHTEN WILL ICH DRAUF NICHT.

Ich plane die Sorge mit ein.
Ich greife verlockend weit aus meiner Zeit.
Ich träume mir das Anderssein.
Will leben, eh mich Gewöhnung zuschneit.
Mag sein, dass man später ganz anders anders ist,
ABER VERZICHTEN WILL ICH DRAUF NICHT.

Hans- Eckardt Wenzel

Editorialn 01-17

Wiener Walzer
Zum 1. Januar gehört für viele Leute das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker. 50 Millionen Fernsehzuschauer. Sehr feierlich das Ganze, die Lackschuhe blitzen um die Wette. Gegeben wird: Walzer. Einer nach dem anderen. Man lauscht ergriffen.
Warum das? Warum an der Schwelle zum Neuen zwei Stunden volkstümliche Klänge aus den Tagen von Kaiser Franz Joseph?
Vielleicht, weil rückwärts schauen sicherer ist als voraus. Weil die Schwelle zum Neuen nicht allen barrierefrei erscheint. Eher wie ein Startblock, von dem man springen soll, kein Ziel in Sicht. Neues Jahr: Wir wissen nicht, wie es wird. Wer hätte im Januar 2015 an eine Flüchtlingskrise gedacht, im Januar 2007 an eine Finanzkrise, in früheren Januaren an Arbeitslosen-, Atom- oder Ölkrisen. Die Krisen kommen unsortiert. Also erst einmal: Wiener Walzer. Der beruhigt die Nerven, denn offenbar hat die Welt ihre gute Ordnung noch.
Warmer Applaus, Händeschütteln, Zugaben, die Übertragung endet. Und wir müssen springen. Klatsch, 2017. Das Neujahrskonzert ist verklungen. Jetzt müssen wir wieder selber Ziele und Ordnungen suchen.
Haben Sie schon mal bei der Kirche etwas gesucht?
Beistand in Not, Verschwiegenheit für etwas, dass ich loswerden will, oder dass die Pfarrerin für mich betet; wohltuende, hilfreiche oder tröstliche Gedanken am Sonntag in der Predigt?
Sollten Sie es einmal probieren, werden Sie merken: da kann ich etwas finden. Sinn und Orientierung. Ein tröstendes Wort. Das göttliche „Trotz allem“, das den Sprung vom Startblock beflügelt, weil mir mein Ziel klarer wird.
Also, liebe Leserinnen und Leser: Die Welt hat tatsächlich ihre gute Ordnung noch, trotz allem. Da könnte man direkt einen Walzer tanzen.

Pf. Björn Fischer

Relevant oder alles erledigt?

verein für denkmalpflege und neues bauen

Denkmalschutz und Neues Bauen 2017

Der Verein wird 24 Jahre alt, Anfang 2018 werden wir unser 25jähriges Jubiläum feiern. Damit rückt auch langsam der Zeitpunkt heran, wo man sich nicht nur selbst fragt sondern auch gefragt wird: Alles richtig? Noch wichtig? Ehrenvoll aufhören? Mal was Neues oder wenigstens vieles anders machen?

Unser Ziel war und ist es „Die Erhaltung des besonderen Charakters der Stadt Radebeul zu fördern“. Eine Definition des „besonderen Charakters“ haben wir auch nach 24 Jahren nicht, aber auch nicht ernsthaft versucht. Eine Stadt, oder Kommune allgemein, ist ein lebendiger Organismus, der von seinen Einwohnern getragen und gestaltet wird. Somit verändert sich natürlich auch der Charakter der Stadt, ihr Erscheinungsbild, ihre Funktionen und ihr Image, was wiederum sich auf Zuzug oder Wegzug auswirkt. Starres Festhalten an einem imaginären historischen Erscheinungsbild darf nicht der Anspruch sein, wohl aber das beständige Ausloten, was baulich der Stadt entspricht (dazu gehören auch Neubauten, die sich in die Umgebung einfügen ohne sie dominieren zu wollen) und was ihr dauerhaft zuwiderläuft (wie die Anfangsplanungen zum Glasinvestgelände). Wir werfen diese Frage, was tut gut und was stört erheblich, regelmäßig auf wenn sie andere vergessen und wir bringen Bürger der Stadt dazu, über dies Frage, gewollt oder ungewollt, nachzudenken. Beispiele sind die Einreichungen zum Bauherrenpreis wie auch die Platzgestaltungen, wo wir den Willen der dortigen Anlieger bündeln, gegenüber der Verwaltung einbringen und gestaltend mitwirken.

Dank unserer relativ unveränderten Mitgliederzahl von über 100 und ihrem Engagement sind wir auch regelmäßig aufgefordert, im Rahmen von größeren Bauvorhaben auf dem Gebiet unserer Stadt als Träger öffentlicher Belange mitzuwirken. Da doch einige Stadträte auch Mitglied des Vereins sind, gelingt es so oftmals, unsere fachlichen Überlegungen zur Diskussion zu stellen und für wichtige Punkte auch Mehrheiten zu finden – so als es um die Bebauungen auf der Dr. Rudolf-Friedrichs-Straße, der Maxim-Gorki-Straße oder um die Erreichung einer Gestaltungssatzung für Altkötzschenbroda (wenn nicht dort wo dann) ging. Dies ist gerade in einer Zeit wichtig, wo sich die Vorstellung von „Stadtentwicklung“ zu verändern beginnt. Stadtentwicklung kann heute nicht mehr ein Wachsen in den Rändern sein, Stadtentwicklung stößt vielmehr immer öfter auf eine „fertige“ Stadt, die kaum Lücken bietet (und wenn, wo sich alle fragen sollten: sind Lücken, kleine Freiräume nicht auch schön und eine Errungenschaft an sich?), deren Straßen sich nicht verbreitern lassen, und wo jeder Neubau, jede neue infrastrukturelle Planung sofort Nutzungskonflikte auf den Plan ruft, die eben immer weniger in einer Gleichverteilung lösbar sind für Sport, Kultur, ÖPNV, LKW, Autofahrer, Radfahrer, Fußgänger allgemein und unter Beachtung, dass wir immer älter und damit auch langsamer werden, auf Hilfen zur Fortbewegung angewiesen sind, Behinderte usw. usf. Das Moment Rücksicht dürfte immer wichtiger werden … jeder der eine Forderung aufstellt, muss sich zuallererst fragen, ob er bereit ist, diese woanders ebenso zu erfüllen: Fordere ich Tempo 30 bei mir, fahre ich es dann auch in den anderen Zonen? Will ich den Durchgangsverkehr wegbekommen, bin ich dann ebenso bereit, keine Schleichwege durch Wohngebiete woanders zu fahren? Will ich sichere Schulwege, darf ich dann doch im Halteverbot auf der Pestalozzistraße am Rathaus halten (anstelle die eine Minute auf den Parkplatz nebenan zu fahren; gleiches gilt für den Augustusweg, wo auch nur das Ankommen des eigenen Kindes und eben nicht das aller Kinder zählt) um mein Kind sicher in die Schule zu bekommen aber xandere radfahrende Kinder zugleich zu behindern? Lösungen müssen wir zunehmend nicht im Neubau und technischen Normen, die nur scheinbar von persönlicher Verantwortung entlasten, suchen, sondern sie bestehen viel eher im mehrseitigen Verzicht.

In diesem Sinne wird der Verein auch 2017 wirken, und dies wird auch das Thema des dritten Forums Was macht Radebeul aus im September/Oktober sein. Fertige Lösungen und einseitige Forderungen haben wir nicht. Unsere Stärke ist das Zusammenführen und das Angebot einer Plattform. Sie sind gern gebeten, bereits vorab uns ihre Überlegungen zuzusenden (vv@denkmalneuanradebeul.de), weil wir dann gezielt die Veranstaltung mit Themengruppen vorbereiten können, es soll ja nicht nur dabei bleiben, dass sich jeder seines Unmutes über die Zustände entledigen kann.

Ein weiteres zentrales Vereinsthema ist natürlich der Bismarckturm, für den über 1000 Menschen gespendet haben und wo nun der Treppeneinbau, beginnend ab dem 1. April (Geburtstag von Bismarck) und möglichst beendet am 2. September (110 Jahre Bismarckturm in Radebeul), erfolgen wird. Gleichfalls werden wir im Juni, am 16. oder 23., des 175 . Geburtstages von Eduard Bilz gedenken und den Bilzplatz mit der schon angelieferten Statue (finanziert durch die Anwohner; ein vergleichbares Projekt wie der Brunnen auf der Schmincke-Allee) und dem Brunnen einweihen.

Weitere Themen, mit denen sich der Verein in 2017 befassen möchte, sind am 24. Februar „40 Jahre Restaurierungen der Hoflößnitz und Zwingerbaumeister Ulrich Aust“ sowie am 7. März anläßlich des 100. Todestages von Julius Gräbner der Abend „Zwischen Villenkolonie Altfriedstein und Lutherkirche“, während wir uns dann am 20. Oktober der „Lutherkirche und Neues Gemeindehaus“ widmen.

Gegebenenfalls wird es auch möglich sein, die literarischen Führungen durch den Hohenhauspark wieder auf zu nehmen. Die Besitzer, Familie Schmidt, haben mit der Dachsanierung dem Hohenhaus nunmehr einen langen Bestand gewährt und sich leise, aber großartig um ein zentrales Kulturdenkmal der Stadt, welches bis nach Schlesien hin ausstrahlt, verdient gemacht.

Wie der geneigte Leser sieht, bleibt genug zu tun, auch wenn schon viel erreicht wurde. Die Stimme bei der Stadtentwicklung wird von zunehmender Bedeutung sein. Deshalb: Bleiben Sie uns treu oder ziehen Sie doch mit. Und nicht vergessen: Am 20. Januar 2017, 19.30 Uhr, laden wir wieder herzlich zu unserem mittlerweile traditionellen Neujahrsempfang alle Freunde des Vereins in den Kulturbahnhof Radebeul Ost ein.

Dr. Jens Baumann

Ausblick auf die V+R-Titelbilder im Jahr 2017

Zunächst möchte ich im Namen der Redaktion dem Künstlerpaar Friederike Curling-Aust und Brian Curling herzlich danken für die Gestaltung unserer Titelbilder im zu Ende gehenden Jahr – Grafik leicht und locker, ein Hauch von Tönen meist der Natur entlockt, aber auch kontrastreichere Bilder darunter.

In den zurückliegenden Jahren konnte man bei den Titelbildern beobachten, dass einem Jahr mit Malerei und Grafik meist ein Jahr mit fotografischen Motiven folgte. An dem Prinzip wollen wir festhalten und haben zur letzten Redaktionssitzung beschlossen, 2017 Fotos von Gartenlauben und Pavillons (die Grenzen sind oft fließend) aus Radebeul und Umgebung auf die Titelseiten der Vorschau zu bringen. Es war zwar nicht meine Idee, doch ich gebe gern zu, dass dieses Thema eine Steilvorlage für mich ist. Ältere Leser werden sich vielleicht erinnern, dass ich 1995 (Heft 4, 5 u. 7) das Thema schon mal behandelt hatte, da waren es aber Textbeiträge und nun geht es um die Titelbilder. Ich denke, das ergänzt sich ganz gut.

Wenn Sie, liebe Leserinnen und Leser, das Januarheft in den Händen halten, könnte der Gedanke an „Die Gartenlaube“ (ein bekanntes Familien- und Freizeitjournal aus der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts) aufkommen und wir sollten unser Heft gleich so nennen – nein, so weit wollten wir dann doch nicht gehen.

Freuen Sie sich auf eine neue Titelbildserie und bleiben Sie uns gewogen.

Dietrich Lohse

Mit Tom Tagtraum durch das Jahr 2016 – Teil 12

Du musst Träumen ihre Entstehung zulassen, denn nur so kann irgendwann ein Teil davon auch Wirklichkeit werden.

EPILOG – Herr Tagtraum und das allweis(s)e Sternenschiff

Viele, sehr viele Jahre sind vorüber. Stell dir vor, wir schreiben das Jahr, na, sagen wir, Zweitausendännafännuffzig. Aus Kindern sind Eltern, Groß- und sogar Urgroßeltern geworden. Aus Träumen sind neue Träume entstanden, weil, tja, eben nicht alle sich erfüllt haben. Manche sind auch komplett schief gegangen oder von der Wirklichkeit in eine ganz andere Richtung gedrängelt worden. Aus dem Heute heraus weiß keiner so genau, was bis zum Jahr Zweitausendännafännuffzig so alles erfunden sein wird und in welcher Verfassung sich dann unsere gute, alte Erde und die gesamte Menschheit befinden wird, denn, das einzige, auf das Verlass ist, ist, dass sich alles ändert. Gestern – heute – morgen, einen Halt, ein Festhalten gibt es immer nur im Augenblick und in der Hoffnung, der Gewissheit, weiter gehen zu müssen. Aber stellen wir uns mal einen schönen, spätwarmen Herbsttag im Oktober des Jahres Zweitausendännafännuffzig vor. An einem grünen, dreieckigen Haus werden tatsächlich Straßenbahnen vorbeifahren, eine Haltestelle befindet sich unmittelbar vor der Eingangstür. Vielleicht ist die Straßenbahn dann auch noch gelb, quietscht aber kein bisschen mehr, weil sie tatsächlich weder Schienen noch Oberleitung braucht, sondern auf einem Luftkissen angeschwebt kommt. Der Traum, dass eine S-Bahn vom Hauptbahnhof hier stoppt, um als nächste Station das Haus auf dem Weinberg anzusteuern, der hat sich natürlich auch erfüllt, nur nicht hier, sondern in Prag, Paris und Sao Paolo. Leider haben Unwetter, Vulkanausbrüche, Brände und Beben die Erde immer wieder heimgesucht, aber alle großen Kometen und Asteroiden sind immer nur knapp, also einige zehntausend Kilometer entfernt, an der Erde vorbeigesaust, die ganz große Katastrophe ist also ausgeblieben. Trotz allem, was immer wieder „Fortschritt“ genannt wird, ist die Menschheit nicht von Krankheiten verschont geblieben und auch nicht so vernünftig geworden, dass Kriege ausbleiben konnten. Und Wohlstand für alle Menschen? Die Erde hätte schließlich genug Ressourcen dazu, diesen mit dem Vernunftteil des menschlichen Gehirns zu ermöglichen, und es wäre schön zu sagen –

„Stelle dir das einfach mal vor!“ Aber mit dem Teil des Gehirns, in dem Gier, Hass und Neid wohnen…, nein, auch in vielen Jahren scheint das alles nicht so recht vorstellbar.

Ach, würde ich mich nur täuschen! Würde im Jahre Zweitausendännafännuffzig jemand diesen Text lesen und sagen: „Wie konnte der sich bloß so irren!“ Alle Welt lebte friedlich miteinander und die Menschheit hätte einen bleibenden Wohlstandsausgleich geschaffen. Magst du daran glauben oder davon träumen?

Um die Erde kreist ein allweis(s)es Sternenschiff. Das Sternenschiff scheint verlassen und leer, aber das täuscht, denn es ist voller Gedanken, Ideen und Erinnerungen. Seine Fenster geben den Blick auf die Erde frei, auf viele Sonnenauf- und -untergänge in ganz kurzer Zeit. Noch mag es sich von dem faszinierenden Blick auf die Erde nicht lösen. Für einen Weiterflug in die Tiefen des Alls bedürfte es eines gewaltigen Schubes…

An jenem spätwarmen Herbsttag im Oktober Zweitausendännafännuffzig sitzt im kleinen Park beim Theater ein alter Herr mit Hut und Mantel tagträumend auf einer Bank. Mit einer quietschgelben Straßenbahn begannen unsere Geschichten und – wie gesagt – eine Straßenbahn gibt es hier ja wirklich. Der alte Herr aber ist die zwei Haltestellen von seiner Wohnung zum Park gelaufen, sogar über Umwege. All diese Umwege stecken für ihn voller Erinnerungen, denn es sind von ihm oft begangene Wege. Herr Tagtraum beobachtet die Leute von seiner Parkbank aus, freut sich besonders über die Kinder, die jetzt aus der Schule kommen, erinnert sich wieder an den Geruch der Pausenbrote, damals, in einem schweren Schulranzen aus Leder, voller Bücher und Hefte. Mitunter ist Herrn Tagtraum etwas schläfrig und er nickt auf der Bank im kleinen Park ein wenig in den Schlummer. Dann träumt ihm von weiten Wegen, Wiesen, einem Flug über die Alpen, den Wellen am Meer und von einem Sternenschiff, das direkt über der Stadt schwebt und vielleicht sogar ihn und all die Menschen ringsum beobachten kann. Tatsächlich steht in der Zeitung etwas vom Kometen Singflurhallytour, der dieser Tage an der Erde vorbeizieht, leicht mit bloßem Auge zu erkennen. Astronomen haben nicht nur seine Masse und die Länge seines Schweifs berechnet, nein, auch seine Bahn. In genau 3 Millionen Jahren käme er hier an gleicher Stelle wieder vorbei… Es ist schon später Nachmittag geworden. Herr Tagtraum schaut auf seine alte Armbanduhr aus rötlichem Gold. Die hat schon viele Kratzer und auch nicht mehr das richtige, ursprüngliche Armband. Herr Tagtraum hat es durch ein einfaches, praktisches, mit weißen und roten Streifen und vielen Sternen ersetzen lassen. Der Sekundenzeiger der Uhr ist irgendwann hängen geblieben und steht ständig auf „zehn nach“, aber das stört Herrn Tagtraum nicht. Das Besondere an der Uhr ist nämlich das Zifferblatt. Da reichen sich zwei Männer in sehr altmodischen Sternenschifffahreranzügen die Hand. Der eine lächelt geradezu bezaubernd. Er soll der erste Mensch gewesen sein, der vor vielen Jahrzehnten die Erde für einen Flug ins All verlassen hat. Der andere Herr schaut etwas bedächtiger und blickt dabei auf seine Füße. Er soll auch der erste Mensch gewesen sein, jener, der den Mond betrat. Beide haben sich in Wirklichkeit nie getroffen. Nur auf dem Zifferblatt der alten Uhr von Herrn Tagtraum stehen sie sich Hand in Hand und von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Es ist Zeit für den alten Herrn in Hut und Mantel, Herr Tagtraum nimmt seinen Gehstock, stützt sich von der Bank und begibt sich auf den Weg nach Hause. Wiederum nimmt er nicht die Straßenbahn, wieder läuft er Umwege durch seine Erinnerungen. Und: Er wird bald DA sein. Wer ihn beobachtet wird feststellen, dass sein Gesicht, ja seine ganze Gestalt vor Zufriedenheit strahlt. Der Nachhauseweg fällt ihm leicht.

Und für den Autor dieser Geschichten wird es jetzt auch Zeit, nämlich sich an dieser Stelle von dir zu verabschieden. Du weißt ja – was immer geschieht, du darfst nie aufhören zu träumen und zu sagen „stelle dir vor…“. Und vielleicht stellst du dir ja vor, was man in Zukunft so vieles noch berge-, ja weltenversetzend besser machen muss. Deshalb mein inniger Wunsch mit auf DEINEN eigenen und einzigartigen Weg: Viel Glück und gute Begegnungen.

Solltest du Tom treffen, nun, mitunter bedarf es einer praktischen Handreichung aus den Träumen heraus in die Wirklichkeit. Meistens aber reicht schon ein wissendes Augenzwinkern…!

Tobias Märksch

In eigener Sache

Weihnachtswunsch

Liebe Leserinnen und Leser,

nein, um eine Spende bitte ich Sie jetzt nicht, auch wenn wir, wie im Novemberheft berichtet, den sächsischen Bürgerpreis nicht erhielten. Immerhin gab es zur Anerkennung unten gezeigte Urkunde. Wir machen weiter, habe ich versprochen und deshalb möchte ich heute noch einmal auf eine andere naheliegende und beständige Unterstützung für unser Monatsheft hinweisen. Immer zum Monatsende machen sich die Redaktionsmitglieder und deren Freunde auf den Weg, um „Vorschau & Rückblick“ zu verteilen. Viele Stunden, oft über Tage verteilt, laufen und fahren sie durch Radebeul und Umgebung, um pünktlich bis zum Ersten des Monats die Hefte in die Briefkästen bzw. zu den Auslagestellen zu bringen. Viele von Ihnen bekommen auf diesem Weg direkt das Heft, ohne im Verein Mitglied zu sein. Dieser Service hat sich über die Zeit entwickelt und soll auch nicht abgeschafft werden. Dennoch stellen wir die Frage in den Raum, ob es nicht den Vereinsmitgliedern gegenüber fair wäre, dass die bequeme Frei-Haus-Lieferung durch eine formelle Mitgliedschaft gedeckt wird. Die 25 €, die dafür pro Jahr zu entrichten sind, würden uns helfen, das monatliche Erstellen des Heftes auch zukünftig zu sichern. Zusätzlich wollen wir gern die Internetpräsenz durch die Aufnahme zeitloser, interessanter Artikel aus den vergangenen fünfundzwanzig Jahren erhöhen. Dies wäre mit einem hohen Aufwand verbunden. Auch dafür könnte das Geld in Form von kleinen Aufwandsentschädigungen verwendet werden.
9-Saechsischer-Buergerpreis
Sollten also auch Sie zu denen gehören, die diese Dezemberausgabe kostenlos und ohne eigenen Aufwand erhalten haben, dann überlegen Sie doch bitte, ob Sie nicht ab 2017 Vereinsmitglied werden möchten. Einen Aufnahmeantrag finden Sie auf unserer Homepage im Internet unter dem Stichwort „Verein“.

Vielen Dank schon jetzt an alle, die sich dafür entscheiden.

Allen Leserinnen und Lesern wünsche ich nun eine frohe Adventszeit und ein fröhliches, besinnliches Weihnachtsfest – und lassen Sie sich nicht vom Vorweihnachtsstress einfangen!

Ilona Rau
Vereinsvorsitzende

Zeichen und Gestalt

DIE KRAFT DER LINIE
Hermann Glöckner & Helmut Schmidt-Kirstein

Sowohl der Glasperlenspielmeister Hermann Glöckner (1889 – 1987), als auch der sinnliche Helmut Schmidt-Kirstein (1909 –?1985) setzen in ihrem Werk in besonderem Maße auf die Sensation der Linie, die Raum und Welt aus dem Nichts der leeren Fläche ins Leben ruft.

Glöckner, »Formen in der Landschaft«, um 1958 Foto: G. Klitzsch

Glöckner, »Formen in der Landschaft«, um 1958
Foto: G. Klitzsch


Die Zeichnung als die klassische Grundlage aller Darstellung ist zugleich Ausdruck und Ausweis der künstlerischen Meisterschaft beider Künstler. Kohlezeichnungen stehen am Beginn der künstlerischen Entwicklung Hermann Glöckners und nicht zufällig klingt in den »Schwüngen« – vollendet fließenden, farbigen Kurvenlinien – sein Lebenswerk aus. Im Tafelwerk der 30er Jahre erlangt die Linie systemhafte und gestaltschaffende Bedeutung.
Schmidt-Kirstein, »Liegender Herbststrauß«, 1980 Foto: g. Klitzsch

Schmidt-Kirstein, »Liegender Herbststrauß«, 1980
Foto: g. Klitzsch


Helmut Schmidt-Kirstein begleitet nicht nur seine späten, flächigen Gestaltungen mit einem Liniennetz sprechender und raumschaffender Konstruktivität, sondern gibt in den Porträtzeichnungen seinen Frauengestalten mit wenigen Linien körperliche Präsenz. Die Linie gibt bei Schmidt-Kirstein auch in seinen frühen Nachkriegs-Lithographien, den italienischen Mädchen und Frauen und ihren lebensfrohen Arbeiten stets eine unmittelbare Authentizität. In den in der Ausstellung nur mit einem Werk vertretenen »Vergitterten Gärten« aus dem Jahre 1959/1960 bestimmt neben glühenden Farben ein dichtes Liniengeflecht den Bildcharakter.

Glöckner und Kirstein kommen sich Mitte der 50er Jahre in ihrem gegenstandsfreien Arbeiten nahe, auch in Hinblick auf internationale Tendenzen (Hartung) der Kunstentwicklung nach dem Krieg. Die Ausstellung versucht hierfür den Beweis anzutreten.

Es ist eine der stupenden Stärken der Dresdner Kunst, auch in der Abstraktion oder im Informellen stets einen Rückbezug auf die realistische Wahrnehmung der Welt fortzuführen, diese aufzuheben und damit die Gründung der Abstraktion im Gegenstand der Welt zu bewirken. Dies erscheint als eine spürbare, vielleicht aus der Flusslandschaft der Kontinuität des Kunstraumes von Dresden sich nährende Besonderheit.

Lineare Strukturen findet Glöckner in den 20er und 30er Jahren in Schornsteinen und Strommasten, in Flächenteilungen der Felder, an Hausdächern und Giebeln seiner näheren Umgebung. Die Entstehung seines »Konstruktivismus«, auf den er zu Unrecht oft schlagwortartig reduziert wird, schildert er wie folgt:

»Um 1930 sind Bilder wieder hervorgeholt worden, die bis 1927 entstanden sind. Wesentlich war mir vor allem der »Kleine Dampfer«. Es fiel mir auf, dass in dem Bild bestimmte Maßverhältnisse herrschten, die sich gewisser Maßen unbewusst formiert hatten. Ich untersuchte dann auch andere Bilder daraufhin und es stellte sich heraus, dass es auch dort der Fall war. Die Bilder wurden fotografiert und die Fotos von mir mit Maßlinien überzeichnet, so dass entsprechende Teilungen und Unterteilung aufzufinden waren. Es stellte sich heraus, dass immer eine Mittelachse vorhanden war und außerdem sowohl in horizontaler wie in vertikaler Richtung die Halbe-, die Viertel-, die Achtelunterteilungen und so weiter sich deutlich durch Bildelemente akzentuieren, und zwar so scharf, dass ich mir bewusst wurde, dass das nicht zufällig sein konnte. Ich besann mich meiner jugendlichen Erfahrungen und Leidenschaften für die Geometrie. Es war zweifellos so, dass meine damaligen Erfahrungen in meine Arbeiten eingegangen sind, ohne dass ich das bemerkte.«

Helmut Schmidt-Kirstein kehrt nach 1970 zu einer gegenständlichen Darstellung zurück (»Herbststräuße«). Allerdings bleiben die Erfahrungen der vorangegangenen beiden Jahrzehnte lebendig in Gestalt einer flirrenden explosiven Lineatur, die die Früchtestillleben und die Mädchen, die Bischofswerdaer Gartenlandschaften und die italienischen Erinnerungen in einer nervösen Kalligraphie begleiten. Eine kraftvolle Farbigkeit zeichnet die nach den Monotypien allmählich in verstärktem Maße entstehenden Aquarelle aus.

Hermann Glöckner zog 1945 in den ersten Stock des Loschwitzer Künstlerhauses, Helmut Schmidt-Kirstein folgte im Erdgeschoss 1955 und beide behielten diese Ateliers, die zugleich bescheidene Wohnungen waren, bis zu ihrem Tode.

Der Pietzsch-Bau beherbergte mit Glöckner und Schmidt-Kirstein nicht nur sehr unterschiedliche Künstler, die gleichwohl von der Unbedingtheit ihres Schaffens geleitet, zum Freiheitlichsten gehören, was die Dresdner Kunst auch nach dem Krieg als neuen Beitrag zur Moderne dieser hinzugefügt hatte.
Beide Künstler bewegten sich im Spannungsfeld zwischen »Zeichen und Gestalt« und vermögen unserer Wirklichkeitserfahrung andere Weltsichten hinzuzufügen. Sie sind herausragende Beispiele einer Lebenskunst, die nicht den Vorgaben einer normierenden Gesellschaft, sondern den inneren Sternen ihrer eigenen Existenz mit all ihren Zufälligkeiten und Unvorhersehbarkeiten gefolgt sind. Gerade in unseren Tagen von erneut vorgeprägter Gedanken- und Sprachwelten, gewinnt das Lebens-Zeugnis der beiden »Künstlerhäusler« Glöckner und Schmidt-Kirstein eine besondere, heiter stimmende Bedeutung.

Lassen Sie sich von diesem freien Spiel zu einem Augenblick zwischen Lebenslust und Kontemplation herzlich einladen!

Gottfried Klitzsch

Von einem der wegging, um sich einen Namen zu machen

Interview mit Frank-Jürgen Weise anlässlich seines 65. Geburtstags am 8. Oktober 2016

Wenn wir in den zurückliegenden zweieinhalb Jahrzehnten in unserem Heft Persönlichkeiten porträtiert oder interviewt haben, dann handelte es sich fast ausschließlich um Menschen, die als Kunst- und Kulturschaffende unser Leben bereichert und Radebeul seinen unverwechselbaren Charakter als Herz und Sinne anregende Stadt verliehen haben. Oft genug waren diese Personen schon lange Bürger unserer Stadt gewesene, weshalb wir vom Redaktionskollegium – und auch unsere Leserschaft – sie bereits mehr oder weniger gut kannten. Wir hatten sie schon bei Ausstellungen gesehen, in Konzerten und Theatervorführungen erlebt, ihren Reden und Auftritten zu Festen gelauscht, ihre Texte gelesen. Es gibt aber auch die seltenen Momente, wo man ganz unverhofft auf Menschen trifft, deren Biografie zwar mit Radebeul verbunden ist, die aber unsere Stadt schon vor langer Zeit verlassen hatten, weshalb sich heute keiner mehr so recht an sie erinnert bzw. sie mit Radebeul in Verbindung bringt. Mir ist es vor einigen Monaten so mit Frank-Jürgen Weise gegangen. Frank-Jürgen Weise? Vielleicht denken Sie jetzt: „Den Namen habe ich schon einmal gehört.“ Tatsächlich gehört Frank-Jürgen Weise als Vorsitzender des Vorstandes der Bundesagentur für Arbeit und als Leiter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zu den hochrangigsten Verwaltungsmanagern unseres Landes. Vor kurzem erst, am 8. Oktober, beging Weise seinen 65. Geburtstag, denn er wurde 1951 geboren, und zwar in Radebeul. Das war für mich Anlass, mich um einen Interviewtermin mit Herrn Weise zu bemühen. Dankenswerter Weise nahm er sich Zeit, meine Fragen zu beantworten, wobei mich natürlich vor allem seine Erinnerungen an die Radebeuler Kinderjahre und seine noch bestehenden Bindungen an unsere Stadt interessierten.  

Frank-Jürgen Weise Foto: Bundesagentur für Arbeit

Frank-Jürgen Weise
Foto: Bundesagentur für Arbeit


Wo genau haben Sie in Radebeul gewohnt? Wir wohnten im Hausbergweg in Radebeul.

Woher stammt Ihre Familie, wann ist sie nach Radebeul gezogen und warum ist sie dann in die Bundesrepublik umgezogen? Mehrere Generationen von Urgroßeltern, Großeltern und Eltern sowohl von Vater als auch Mutter stammen aus dem Raum Dresden, Radebeul, Zitzschewig, Naundorf und Coswig. Meine Eltern hatte nach dem Krieg Sorge, dass es bei einer Besatzung durch die Sowjetunion bleibt, dass der Druck gegen die selbstbestimmte Lebensweise der Menschen in der DDR größer wird. So kam es zur Entscheidung, Radebeul zu verlassen.

Wo haben Ihre Eltern gearbeitet? Haben Sie Geschwister, die mit Ihnen in Radebeul aufgewachsen sind? Wenn ja, wo gingen Sie zur Schule? Mein Vater war Wirtschaftsprüfer und später Direktor in einer Fabrik für Kunststoffe. Meine Mutter hat uns drei Kinder, meine zwei älteren Schwestern und mich, erzogen.

Wie haben Sie Ihre ersten Lebensjahre in Radebeul verbracht? Die Schwestern waren schon in der Grundschule, ich war noch vor der Schule in der Kinderkrippe. Ich habe sehr schöne Erinnerung vor allem an die Natur, ein wenig auch an Freunde im Nachbarhaus im gleichen Alter.

Was ist Ihnen aus dieser Zeit besonders in Erinnerung geblieben? Ich habe in der Familie eine schöne, behütete Kindheit gehabt. Ich erinnere mich vor allem an Ausflüge, sowohl in die Natur in der Umgebung Radebeuls, aber auch Ausflüge an die Ostsee. Ich erinnere mich an die Tischlerwerkstatt meines Großvaters mütterlicherseits. An Freunde kann ich mich wegen der jungen Jahre leider nur vage, aber sehr positiv erinnern.

Sind Sie in den letzten Jahren besuchsweise nach Radebeul zurückgekommen? Wenn ja: Welchen Eindruck haben Sie von der Stadt gewonnen? Wenn nein: Planen Sie einen Besuch nach Eintritt in den Ruhestand? In der Zeit der DDR konnte ich als späterer Offizier der Bundeswehr in West-Deutschland nicht nach Radebeul fahren. Nach der Wende war ich mehrmals in Radebeul und Dresden. Ich war Mitglied im Aufsichtsrat der Robotron-Werke in Chemnitz und konnte helfen, Firmenteile zu erhalten und Leiterplattenfertigung für die Firma VDO zu produzieren. Die Technologie war sehr fortgeschritten. Beeindruckt war ich auch von den Fähigkeiten der Menschen. Das waren gute Erfahrungen. Ich habe später auch Professor Biedenkopf besucht, meinen Vorgänger als Vorsitzender des Kuratoriums der Hertie School of Governance. Ich war auch dienstlich zu Veranstaltungen mit der Bundesagentur für Arbeit in Dresden, und dann habe ich oft in Radebeul übernachtet. Und ich habe als Vorsitzender der Europäischen Arbeitsmarkt Services der 28 EU Länder Vertreter der Länder nach Meißen in unser Bildungszentrum und zu Besuchen in Dresden und Radebeul eingeladen. Radebeul ist eine sehr schöne Stadt, der ich sehr verbunden bin. Im Ruhestand werde ich sicher nach Radebeul und Dresden fahren, aber eher in Bayern wohnen bleiben.

Vielen Dank für das Interview und alles Gute für die Zeit des Unruhestandes!

Nach Abschluss der Schulzeit in Schweinfurt/Franken begann Frank-Jürgen Weise 1971 seine Karriere bei der Bundeswehr, wo er neben seiner Offiziersausbildung auch ein Studium der Betriebswirtschaftslehre abschloss. Während seiner 12 Jahre als Soldat bekleidete Weise zahlreiche Funktionen, u.a. als Kompaniechef und Jugendoffizier. Daran schlossen sich Stationen in der Wirtschaft an, bevor er 2002 in den Vorstand der Bundesagentur für Arbeit berufen wurde, dessen Vorsitz er im Februar 2004 übernahm. Nach eigenen Aussagen wird er voraussichtlich zum 1. April 2017 dieses Amt niederlegen und an seinen Nachfolger Detlef Scheele übergeben. Im September 2015 kam Weise der Bitte der Bundesregierung nach und übernahm außerdem ehrenamtlich die Leitung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Darüber hinaus ist Weise mit zahlreichen weiteren Ämtern und Funktionen in Wirtschaft und Öffentlichkeit betraut (u.a. Vorsitzender des Vorstands der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung, Frankfurt/Main und Senator der Deutschen Nationalstiftung, Hamburg). Frank-Jürgen Weise ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Frank-Jürgen Weise hat mich ausdrücklich bitten lassen, ihm Exemplare der Dezember-„Vorschau“ nach Nürnberg in die Zentrale der Bundesagentur zu schicken. Dem komme ich natürlich gern nach – vielleicht gewinnen wir so einen neuen Abonnenten?

Bertram Kazmirowski
————————————————————-
Quellen:
Wikipedia-Artikel zu Frank-Jürgen Weise (https://de.wikipedia.org)
Internetauftritt der Bundesagentur für Arbeit (https://www.arbeitsagentur.de)

 

17. Bauherrenpreis der Großen Kreisstadt Radebeul 2016

Am 4. November 2016 wurde durch die Stadt Radebeul und den Verein für Denkmalpflege und Neues Bauen Radebeul e.V. zum nunmehr siebzehnten Mal der Bauherrenpreis der Großen Kreisstadt Radebeul verliehen. Der Drei-Jahres-Rhythmus hat sich wohltuend auf die Einreichungen ausgewirkt. 20 qualitätsvolle Einreichungen in den drei ausgeschriebenen Kategorien Garten- und Freiflächengestaltung, Denkmalpflege und Sanierung sowie Neues Bauen sorgten für die notwendige Spannung und intensive Diskussion in vier Jurysitzungen.

Festzuhalten ist, dass allerdings über die Jahre hinweg immer nur sehr wenig Gärten und Freiflächen eingereicht werden, diesmal nur zwei. Das Selbstbild der Bürger dieser Stadt ist aber gerade (noch??) ein anderes: wir sehen unsere Stadt als Villen- und Gartenstadt; die Villen benötigen geradezu einen angemessenen Garten, sonst wären es keine. Oder wird Radebeul sukzessive eine Stadt der Ein- und Zweifamilienhäuser, der Doppelhaushälften und der sog. Stadtvillen? Auch die Freiflächen, im engeren Sinne die gestalteten Plätze, geben unserer Stadt erst ihr Flair. Hier ist aber erkennbar, dass sich Verwaltung und Bürger gleichermaßen um diese wichtigen Zäsuren bemühen, das öffentliche Bewußtsein dafür sehr ausgeprägt ist – sei es eben der Robert-Werner-Platz, die Anger in Zitzschewig oder Naundorf, der Fontänenplatz, Platanenplatz, Bilzplatz und sicherlich (!) bald der Rosa-Luxemburg- und der Ziller-Platz.

Mit der Kategorie Denkmalpflege und Sanierung, bisher immer Bauen im Bestand, sollte etwas mehr der Denkmalaspekt und fachgerechte Sanierungen betont werden. Dies nahm auch die Jury in ihren Diskussionen auf. Überhaupt greifen die Diskussionen in der Jury naturgemäß immer weiter als nur auf die einzelnen Baulichkeiten. Nicht zuletzt merkt man den Diskussionen ihre Befreiung im Korsett der Jury von den sonstigen rechtlichen Zwängen, die manchmal gleich Denkgrenzen markieren, an. Es wäre ggf. einmal überlegenswert, die inhaltlichen Ideen der Jury für die Stadt bzw. „ihre Baugremien“ nutzbar zu machen.

Auffallend ist zudem, dass diesmal am meisten Neubauten (13) eingereicht wurden. Es ist auch für den Verein unbestritten, dass unsere Stadt sich weiterentwickeln, Neues Bauen auch zu einer Villenstadt gehören muss. Wir tragen diesen Anspruch ja nicht zuletzt auch im Namen. Schwer ist natürlich immer das „richtige“ Maß, für das es auch gar keinen für jedermann gleichermaßen fassbaren Rahmen gibt. Neues Bauen soll nicht Kopie sein. Neues Bauen soll aber auch nicht Selbstzweck sein, sich nicht als alleiniges Maß sehen, sondern sich zwar neu positionieren aber dennoch einfügen, die Umgebung anerkennen und respektieren (nicht zuletzt die Natur und den Nachbarn).

Schwer haben es generell Gebäude in Neubausiedlungen, dies war dieses Jahr nicht anders als zuvor. Positiv war auch der Mut von Firmen, ihre Bauten „in den Ring zu werfen“. Schließlich prägen auch Firmenbauten die Umgebung und die in ihnen arbeitenden Menschen – eigentlich ein uralter Gedanke.

Ein vollständiger Überblick nebst Begründungen über die Gewinner, der dann auch wieder den Sammelordner ergänzen kann, wird erst der Januarausgabe von Vorschau und Rückblick beiliegen.

Zur Preisverleihung konnte der Vorstandsvorsitzende der Sparkasse, Herr Rolf Schlagloth, wieder knapp 100 Besucher in den Räumen der Sparkasse Radebeul West begrüßen. Die Sparkasse hatte darüber hinaus, wie schon in den letzten Jahren, freundlicherweise dafür gesorgt, dass alle Gäste in angenehmer Atmosphäre bei kleinen Snacks und anregenden Getränken zu ebensolchen Gesprächen über Baukultur und mehr verweilen konnten. Ein Grußwort sprach dann Dr. Jörg Müller, 1. Bürgermeister der Großen Kreisstadt Radebeul, der nicht zuletzt darauf aufmerksam machte, dass schon immer Bauen umstritten war und sich Qualität ggf. erst über Jahrzehnte hin zeigt und druchsetzt.

Innerhalb der zwei Ausstellungswochen erst in Ost dann in West bis zur Preisverleihung hatten diesmal über 200 Bürger (!) wieder von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, ihren Publikumsfavoriten zu wählen. Der Entscheidung der Jury (drei Vertreter der Stadtverwaltung, drei Vertreter des Stadtrates und sechs Vertreter des Vereins), die kein reines Fachgremium ist und in einem geheimen Wahlgang entscheidet, wurde damit die öffentliche Meinung gegenüber gestellt.

In der Kategorie „Denkmalpflege und Sanierung“ gab es fünf Vorschläge. Der Bauherrenpreis ging an das Objekt Augustusweg 44 (Bauherr Ursula Amberger-Hagen und Dr. Norbert Hagen), den Publikumspreis hingegen konnte die Weinstube Altnaundorf 20 (Bauherr Familie Handrack) für sich entscheiden.

In der Kategorie „Neues Bauen“ gab es dreizehn Vorschläge. Die große Dichte von qualitätsvollen Einreichungen und mehreren Vorschlägen für Gewerbebauten hatte die Jury von der Möglichkeit Gebrauch machen lassen, in dieser Kategorie zwei erste Preise zu verleihen. Diesen erhielten das Objekt Thomas-Mann-Straße 17 (Bauherr Familie Marcus Namokel) und das Objekt Friedrich-List-Straße 27 (Bauherr LTB Leitungsbau GmbH). Der Publikumspreis ging ebenso an die Friedrich-List-Straße 27.

In der Kategorie „Freiflächengestaltung“ konnte aus diesmal nur zwei Objekten ausgewählt werden, die zudem ganz unterschiedlich in ihrer Ausdehnung und Anspruch (Garten und Platz) sind. Hier entschied sich die Jury für den Robert-Werner-Platz (Bauherr Stadt Radebeul), der ebenso den Publikumspreis erhielt.

An rund 80 Objekten in Radebeul befindet sich nunmehr die Plakette – vielleicht auch einmal eine Anregung für einen Stadtspaziergang. Wir bedanken uns bei allen Mitwirkenden – ob Bauherr, Einreicher, Jurymitglied, Sponsor oder interessierter Bürger; ebenso bei der Druckerei Krause für die Einladungen und beim Grafiker Matthias Kratschmer, der wie gewohnt für die Urkunden, Plakate und Plaketten verantwortlich zeichnete. Wir gratulieren allen Preisträgern und bedanken uns für die großzügige Unterstützung der Sparkasse Meißen.

Dr. Jens Baumann

Copyright © 2007-2025 Vorschau und Rückblick. Alle Rechte vorbehalten.