Zum 80. Geburtstag des Radebeuler Malers Peter Graf

Eine Tugend, die gibt es, die liebe ich sehr, eine einzige. Sie heißt: Eigensinn. Wer eigensinnig ist, gehorcht einem anderen Gesetz, einem einzigen, unbedingt heiligen, dem Gesetz in sich selbst, dem Sinn des Eigenen.“ (Hermann Hesse)

Lieber Peter Graf,

Peter Graf

Foto: K. Baum

für dich einen ganz großen Geburtstagsblumenstrauß, meinetwegen einen Wiesenstrauß zu deinem 80. Geburtstag im Namen der Redaktion und aller Kunstliebhaber die deine Bilder mögen. Hoffentlich haben dir zu deinem Ehrentag sämtliche Musiker mit dem Schlagzeuger Baby Sommer an der Spitze ein Ständchen gebracht. Und hoffentlich haben für dich alle Radebeuler Maler ein „Hoch soll er leben“ angestimmt.

Dein Freund Ralph, alias A.R. Penck, konnte offenbar die Geburtstage von dir und dem Malerfreund Peter Herrmann nicht abwarten. „Inzwischen sitzt Penck auf einer großen Wolke und wartet geduldig auf seine Freunde, die ihm hoffentlich nicht so bald folgen“, frei zitiert nach Wolf Biermann. Im Albertinum ist für ihn ganz spontan eine Gedächtnisausstellung geschaffen worden. Als ich das erste Mal Ralf, alias A.R.Penck erlebte, war es bei dir im Atelier und zu deinem Geburtstag. War es der 39. Geburtstag von dir?

Peter Graf im Gespräch mit dem Künstlerkollegen Dieter Beirich am 10. Februar 2017 in der Radebeuler Stadtgalerie Foto: K.U. Baum

Penck mochte übrigens Sternbilder und Horoskope. Wenn mich nicht alles täuscht, gehört er zum Sternbild der „Waage“ und du dürftest zum Sternbild „Zwillinge“ gehören. Im Horoskop, einen Tag nach deinem Ehrentag stand: „Sie könnten heute das Gefühl haben, vor einer Entscheidung nicht alle Eventualitäten bedacht zu haben. Gehen Sie die Sache entspannt an.“ Hoffentlich hast du das bedacht. Übrigens: Vielleicht bietet sich an die Welt mit 80. Jahren (sicher schon vorher) nicht nur als Maler sondern auch als Philosoph und Dichter zu betrachten. Zumal, wenn man auf der Christian- Fürchtegott- Gellert Straße in Radebeul wie du wohnt. Ob das verpflichtet? Du winkst in Gedanken ab?

Ja, deine Gemälde hängen in wichtigen Museen in Europa, in Deutschland, z.B. im Albertinum in Dresden oder im Alten Museum Berlin, vielleicht auch in der Schweiz und den USA. Die Liste der Museen dürfte recht lang im Laufe deines Malerlebens geworden sein. Du hast, gemeinsam mit den anderen Künstlern um Strawalde (Jürgen Böttcher) Peter Herrmann und vor allem mit A.R. Penck (Ralf Winkler) Kunstgeschichte geschrieben. Junge Kunststudenten in den 70er Jahren umlagerten dein Atelier in der Fichtenstraße in der Dresdner Neustadt. Selbst Eva Maria Hagen (Schauspielerin) kam aus Berlin und kaufte von dir Bilder. Der Maler Reinhardt Stangl und der Bildhauer Hans Scheib, die in Dresden studierten, konnten sich noch gut an die Alternative, die ihr zur offiziellen Linie geboten habt (Haltungen) erinnern. Die Authentizität von Maler und Werk ist bei dir bis heute geblieben.

Was bleibt noch zu wünschen übrig? Gesundheit vielleicht? Und davon eine große Tüte? Freude an der Familie und noch viel Schaffenskraft plus gute Ideen und freundliche Menschen. Hoch soll er leben.

Angelika Guetter

Editorial 07-17

In einer Diskussion um das Fällen alter Bäume vor Schloss Wackerbarth äußerte ein Radebeuler Stadtrat sinngemäß: 80jährige Bäume haben das Alter erreicht, dass sie gefällt werden können.

Woher rührt nur ein solches Geringschätzen von bestehendem Großgrün in der Stadt? Dieses Thema beschäftigt mich immer wieder. Zur Zeit sind es die drei ausgewählten Gestaltungsvarianten für die Bahnhofstraße im dortigen Sanierungsgebiet. Variante Zwei sieht das Fällen der Linden vor, um mehr Parkplätze zu schaffen. Dafür gibt es tatsächlich Befürworter.

Aber es melden sich zahlreiche Bürgerinnen und Bürger, die die vielfältigen Funktionen und damit den hohen Wert dieser Bäume erkennen. Deshalb fordern sie deren Erhaltung.

Ich halte Variante Zwei für einen nicht zu verantwortenden Vorschlag, da hier zusätzliche Parkplätze und ein gewünschter Wochenmarkt gegen wertvolle Bäume ausgespielt werden. Da müssen andere Lösungen her. Argumente wie: »Da werden doch neue Bäume gepflanzt.«, oder auch das Schielen nach Moritzburg als ››Vorbild«, führen in die lrre. Ich weiß verläss- lich, dass es sich der Gemeinderat in Moritzburg nicht leicht gemacht hat mit der Entscheidung, die herrlichen alten Bäume auf der Schlossallee zu fällen. Nur der unumgängliche grundhafte Ausbau dieser Straße (und das ist ein wesentlicher Unterschied zur Bahnhofstraße in Radebeul-West) führte dann zum AUS für die alten Alleebäume. Dort flanierende Touristen finden jetzt eine schöne Straßenrandbepflanzung vor. Vom Schattenspenden wie die alten, sind die neuen Bäume jedoch noch Jahrzehnte entfernt!

Ilona Rau

Für interessierte Leserinnen und Leser hier ein Link zur Information im Zusammenhang mit einer Petition an den Sächsischen Landtag zum kommunalen Baum- und Gehölzschutz in Sachsen: https://www.openpetition.de/petition/online/baumschutzgesetz-verabschieden-kommunalen-baum-und-gehoelzschutz-in-sachsen-wieder-ermoeglichen

Ein viel fotografiertes, aber dennoch verschwundenes Haus im Lößnitzgrund

Das Haus Lößnitzgrundstraße 38 auf Flurst. 2764 bzw. 2764c war ein älteres, eher bescheidenes Wohnhaus neben dem Lößnitzbach, ob der im Volksmund verankerte Begriff „Malerwinkel“ den malerischen Winkel oder die verschiedenen im Grundhof beheimateten Maler meint, bleibt offen. Von mir zu dem Haus befragte Bekannte konnten sich alle nicht erinnern , bis wann es existiert hatte – die Angaben streuten von 1975 bis 1990, aber alle konnten noch beschreiben, wie es ausgesehen hatte. Doch warum wurde es nun so oft fotografiert, wo es doch eher bescheiden war? War es ein Wohnhaus, ein Bauernhaus oder wurde es früher noch anders genutzt?

Neulich bekam ich eine historische Postkarte (um 1910) geschenkt, da wollte ich diese und weitere Fragen für mich beantwortet haben und begann mal wieder zu recherchieren. Aber, um es vorweg zu nehmen, die Quellenlage zu diesem kleinen Wohnhaus war wieder mal dünn. So war bis jetzt das Jahr der Errichtung nicht genau festzustellen – nach meiner Schätzung vielleicht 1. Hälfte 18. Jh..

Das alte Tor, 1975


Wie kam es nun, dass es, als es noch stand, oft fotografiert wurde und von wem? Grund dafür ist ganz sicher die Lage, außer neben dem Bach und seit 1884 auch neben den Gleisen der Schmalspurbahn und gegenüber der Straßenbrücke. Hier auf der Brücke positionierten sich früher häufig Liebhaber der dampfgetriebenen Eisenbahn mit Foto- oder Filmausrüstung und da war fast immer besagtes Haus als Hintergrund zu sehen, was natürlich auch heute ohne das Haus noch so geschieht.

Ein Eisenbahnbild 1972


Unsere verehrte, ehemalige Stadtarchivarin Liselotte Schließer bezeichnete das Haus als Winzerhaus zum Ensemble Grundhof. Das will ich gern glauben, auch wenn der Standort eines tief im Grund gelegenen Winzerhauses nicht so typisch sein dürfte. Zum Grundhof gehörten schon immer Weinberge und dazu braucht man eben einen Winzer. Da das Herrenhaus andere, repräsentative Funktionen hatte, brauchte man damals ein separates Winzerhaus, das zugleich eine Wohnung für den Winzer war. Die Nutzung unseres betrachteten Hauses dürfte sich mit oder kurz nach der Reblauskatastrophe (1886) geändert haben. Seit dem können wir von einem reinen Wohnhaus sprechen. Noch 1940 nennt das Adressbuch als Eigentümer des Grundhofs einschließlich der Lößnitzgrundstraße 38 Dr. med. Johanna und Dr. jur. Ernst Suppes, die im Herrenhaus (Paradiesstraße 66/68) wohnten. Zu dieser Zeit lebten als Mieter im ehem. Winzerhaus Ernst Müller, Bildhauer, und Werner Klein, bei der Bauaufsicht beschäftigt. Es war also nach wie vor ein zusammenhängender Besitz. Nach 1945 wurde eine Trennung des Grundstücks Lößnitzgrundstraße 38 vom Gesamtgrundstück Grundhof durchgeführt. Das Haus war noch bis zur Mitte der 70-er Jahre des 20. Jh. bewohnt gewesen. Der heutige Eigentümer (Eigentümergemeinschaft) Dr. Stephan Cramer kaufte jedoch 1998 dieses Grundstück zurück, so dass der Grundhof wieder vollständig ist. Während der Zeit des Leerstandes gab es mehrere Brände, sei es durch Funkenflug oder Brandstiftung. Jedenfalls hatte die Feuerwehr öfter an der Adresse zu tun. Warum sich keiner gefunden hat, der einen Wiederaufbau betreiben wollte, hatte sicherlich verschiedene Gründe: da wäre die Lage am Bach (Hochwassergefahr), die Lage an der Bahn (u.a. Lärm), die Tallage (starke Verschattung), eine fehlende Zufahrt, zu hohe Kosten oder eventuell auch ungeklärte Eigentumsfragen. Im Lößnitzgrund stand also für einige Jahre eine Ruine und die Sache stagnierte. Dann kam das Jahr 1984 und das brachte der DDR einen hohen Staatsbesuch aus Nordkorea, der auch Dresden sehen wollte. Kim Il Sung hatte im Vorfeld der Reise einen ganz persönlichen Wunsch geäußert: er war Eisenbahn-Fan und wollte unbedingt mal mit der Schmalspurbahn durch den Lößnitzgrund nach Moritzburg fahren. Nun hatten die Organisatoren (Räte des Bezirkes und Kreises, Bahnverantwortliche und sicher auch die Stasi) auf der Gastgeberseite alle Hände voll zu tun. Alles Technische musste klappen, die Sicherheit längs der Strecke musste gewährleistet sein und schließlich musste der Blick aus den Zugfenstern eine heile DDR-Welt bieten. Und genau zu Letzterem passte unsere Brandruine gar nicht!

Die Ruine verschwand wie von Geisterhand, Kosten spielten keine Rolle und bis auf ein mit Planen abgedecktes Häufchen Steine war während der Reise von Kim Il Sung im Juni 1984 nichts mehr von der Ruine übrig geblieben. Warum den DDR-Oberen der Gast aus Korea so wichtig war, kann man nur vermuten, um Bananen ging es wohl eher nicht.

Doch nun noch rasch ein paar bautechnische Aussagen zu dem ehem. Winzerhaus. Einen Denkmalstatus hatte es meines Wissens nie, und wenn doch, bloß mal angenommen, hätte das den oben geschilderten, politisch motivierten Abriss auch kaum verhindert. Das Haus bestand aus zwei ähnlichen, sich jedoch in der Größe unterscheidenden Bauteilen – einem zweigeschossigen Wohnhaus mit Satteldach und einem in der Längsachse versetzten eingeschossigen Gebäude (möglicherweise das Presshaus gewesen, später auch zum Wohnen umgebaut) mit ebensolchem Dach. Ich vermute, es waren verputzte Fachwerkhäuser, wie sie im 18. Jh. in unserer Gegend verbreitet waren. Das betrachtete Haus hat im Laufe der Jahrhunderte mehrere Umbauten erlebt, so aktenkundig 1907 als ein flacher Anbau auf der Hangseite erfolgte, neue Zwischenwände und neue Schornsteine gebaut wurden. Einen Keller mit Treppe von außen hatte nur das kleinere Haus, der wegen der Nähe zum Bach wohl nicht immer trocken war. Einen großen Weinkeller gibt es unter dem Grundhof-Herrenhaus. Eine ehemalige Kollegin von mir erzählte, dass ihr in dem Haus ein besonders altertümlicher, rauchfangartiger Schornstein in der Küche erinnerlich war, der für ein Baualter um 1700 sprach. Schmuck im eigentlichen Sinne suchen wir an den Gebäuden vergeblich, aber als Besonderheit können grüne Fensterklappläden im EG und dunkelbraune Verbretterungen der Giebeldreiecke neben hellen Putzflächen angesehen werden. In den besten Zeiten gefiel Vorübergehenden das Haus durch interessante Baugliederung und ausgeglichene Farbigkeit.

Ach ja, etwas Schmückendes fällt mir in der Umgebung des Hauses doch noch ein, ein schmiedeeisernes, etwas desolates Gartentor zum Wanderweg im Lößnitzgrund hin, ca. 20m nördlich des größeren Hauses. Es zeigte Stilmerkmale, die in eine Zeit um 1800 wiesen – trotz der Schäden ein romantischer Anblick. Und genau das hatte in den 70-er Jahren (etwa 1980 existierte es nicht mehr) einen namhaften Dresdner Fotografen zum Betätigen seines Kameraauslösers inspiriert. Da ich das Foto mal irgendwo gesehen hatte, aber nicht besaß, bekam ich vom Künstler Ulrich Lindner das Bild für den Artikel zur Verfügung gestellt.

Mein Dank für Unterstützung und Hilfe bei der Recherche gilt Herrn H. C. Günther aus Dinkelsbühl (ehem. Radebeuler), Herrn Ulrich Lindner aus Dresden, Frau Ingrid Zschaler und Herrn Dieter Krause (Eisenbahnexperte) beide aus Radebeul.

Dietrich Lohse

Literatur:
„Radebeul in alten Ansichten“, Liselotte Schließer, Europ. Bibliothek Zaltbommel / NL, 1992
„Kleinbahn live“, Ingrid Berg, Freiberg Eigenverlag, 2007

Weg ins Paradies

Es gibt Wege in Radebeul, die man einfach gern und oft geht, zumal sie mit Erinnerungen aus früherer Zeit verbunden sind.

In diesem Fall handelt es sich um den Weg ins Paradies. Diesen Weg verbinde ich mit Schulzeit und auch Erinnerungen an eine sehr gute Freundin, die seinerzeit auf dem Höhenweg zuhause war. Heute wohnt sie in einer fernen Stadt und ist immer noch eine sehr gute Freundin geblieben.

Paradiesberg 2017


Auch heute noch gehe ich diesen Weg immer noch gern, sicherlich auch aus einer gewissen Sentimentalität und eben: Jugenderinnerung.

Seit ein paar Jahren aber auch unter dem Motto „Von einem, der auszog, das Gruseln zu lernen“. Ich meine das in vielerlei Hinsicht.

Es verbinden sich Erinnerungen an die damalige Jugendkunstschule, so hieß sie wohl früher, an das Winzerhaus, ungefähr nach dem ersten Drittel des Weges und nicht zuletzt an das „Haus an den Barnewitzen“ mit tollem Rodelberg, bevor der Weg dann steil ansteigt zu den ehemaligen Gaststätten „Paradies“ und „Sängerhöhe“.

Barnewitz 1967


Grusel, warum?

Barnewitz 2017


Das Gelände um besagte Schule herum ist planiert und „anspruchsvoller“ Wohnungsbau macht sich breit, die entstandene Brache harrt sicherlich noch auf weitere Zutaten dieser Art. Sollte ich mich täuschen, umso besser. Das genannte Winzerhaus auf dem ersten Drittel, was für eine Kitschoase – ich habe für mich beschlossen, da nie einen Fuß hineinzusetzen. Offensichtlich gefällt es manchen, aber es ist ja kein Muß.

Den Schlusspunkt der Grauslichkeit setzt allerdings das ehemalige Anwesen der Familie Barnewitz.

Es ist nicht wiederzuerkennen. Das Hauptgebäude ist mit den heute realisierten Dachaus- und anbauten total verunstaltet. Vom charakteristischen hohen Walmdach sind fast nur noch die Gratziegel dachbildend. Das ehemals maßvoll hinzugefügte Seitengebäude ist „aufgemöbelt“ und die untergeschobenen Garagen dienen wohl eher dem zukünftigen Wohnen? Von dem umgebenden Gelände ganz zu schweigen: die ehemals sanfte Einbettung des Gebäudes ist wohl passé.

Winzerhaus 1967


Architekten sind Sachwalter ihres Brötchen- oder in diesem Fall Honorargebers.

Aber zur Ehrenrettung unseres Berufsstandes, der architektonische Entwurf ist immer nur so gut, wie der umzusetzende Bauherrenwunsch es zulässt. Das sind nicht nur finanzielle Bandagen, das sind auch räumlich-funktionelle und ästhetische Ansprüche, die umzusetzen sind.

Winzerhaus 2017


In diesem Fall kann man erahnen, was es heißt „Weiterbauen am Denkmal“. Dieses Denkmal ist vor Bedrängnis durch An- und Zubauten gestorben.

Ich gehe im vorliegenden Fall davon aus, dass dieses Haus zumindest seinen Denkmalstatus verloren hat, die massive Verunstaltung von Ort und Raum bleibt – da hilft auch kein noch so üppiger Bewuchs.

Aber das Positive zum Schluss: wenn man den Kopf beim Aufstieg ins Paradies konsequent nach rechts dreht, so erkennt man den Zugang in den Paradiesberg. Dort ist ein Platz, von dem man einen wunderbaren Blick ins Tal genießen, kühlen Wein trinken und kleine Speisen zu sich nehmen kann. Das gab es allerdings früher nicht.

Hierbei ist allerdings beim Abstieg danach Vorsicht geboten. Ich spreche aus Erfahrung.

Dr. Dietmar Kunze

Aus dem Amt scheiden, den Dank mitnehmen

Zur Verabschiedung von KMD Karlheinz Kaiser am 18. Juni 2017

Das Kantoren- und Organistenamt in einer Gemeinde wie der Kötzschenbrodaer Friedenskirchgemeinde wird einem Kirchenmusiker nicht zufällig übertragen, genauso wenig wie eine solche Stelle nur eine berufliche Durchgangsstation ist. Nein, in einer solchen Position, an einer solchen Wirkungsstätte, schafft man (s)ein Lebenswerk, denn seit 250 Jahren hat keiner der seither nur acht Kantoren weniger als 20 Jahre Musik zur Ehre Gottes erklingen lassen. Der aktuell letzte in der verdienstvollen Reihe, die mit Thomas dem Schreiber 1532 beginnt, ist Karlheinz Kaiser, der seit 1994 amtiert und Ende diesen Monats, nach Vollendung des 65. Lebensjahres, offiziell aus dem Amt als Kantor der Friedenskirchgemeinde scheidet. In den 23 Jahren seines Schaffens hat sich Kantor Kaiser einen Namen als fachlich geschätzter, umtriebiger und innovativer Kirchenmusiker weit über die Grenzen Radebeuls erworben, weshalb Vorschau & Rückblick seinen Abschied vom Amt und seinen Geburtstag zum Anlass nahm, sich mit ihm zu einem Gespräch auf der Orgelbank der großen Jehmlich-Orgel der Friedenskirche zu treffen, um mehr über seinen Werdegang, sein Resümee der Radebeuler Jahre und seine Pläne für die Zukunft zu erfahren.

Karlheinz Kaiser an der Orgel der Radebeuler Friedenskirche


Karlheinz Kaiser ist waschechter Vogtländer. Aufgewachsen bei Oelsnitz in einer musikalischen Familie lernte der Junge durch seine Mutter beizeiten Tasteninstrumente spielen und stellte sich darin so geschickt an, dass er bereits als Jugendlicher die Orgel zum Gottesdienst spielen durfte. Heute dagegen interessieren sich Teenager weniger für die „Königin der Instrumente“, denkt Kaiser laut nach, und ergänzt, dass seiner Beobachtung nach Orgelkonzerte inzwischen auch weniger nachgefragt sind als vor 20, 30 oder 40 Jahren. Damals, Mitte der 70er Jahre, pendelte Kaiser jahrelang zwischen Weimar und Dresden. Denn nachdem er 1972 die Dresdner Kirchenmusikschule mit der B-Prüfung (Kantorenstellen werden je nach Ausbildung als A-, B- oder C-Stelle ausgewiesen) abgeschlossen hatte, setzte er seine Studien in Weimar an der dortigen Musikhochschule für weitere fünf Jahre fort und erwarb einen Abschluss, der ihn zur Übernahme einer A-Stelle berechtigte. Weil aber fähige Nachwuchsmusiker immer schon händeringend gesucht wurden, verdingte sich Kaiser bereits als Student von Freitag bis Montag in Dresden-Weißer Hirsch als nebenamtlicher Kantor und war damit in jenen Kreisen unterwegs, die in Uwe Tellkamps großangelegtem Erfolgsroman Der Turm literarisch gezeichnet sind. Weil es ihm auf dem Weißen Hirsch so gut gefiel, blieb er auch nach seinem erfolgreichen Examen für weitere acht Jahre dort, bevor er sich auf eine A-Stelle in Leisnig bewarb und dort auch bald schon zum Kirchenmusikdirektor (KMD) berufen wurde. Obwohl die prächtige spätgotische Hallenkirche St. Matthäi Karlheinz Kaiser ein repräsentatives Arbeitsumfeld bot, so drängte das Herz des Künstlers doch mehr und mehr zurück in das Zentrum der sächsischen Kirchenmusik, weshalb er mit Freuden 1994 die Wahl zum neuen Kantor der Friedenskirchgemeinde als Nachfolger des langjährigen Amtsinhabers KMD Hans-Bernhard Hoch (Er wirkte von 1954-1993 und singt mit seiner Frau noch immer aktiv in der Kantorei!) annahm. Die Nähe Radebeuls zu Dresden erlaubte Kantor Kaiser eben doch die regelmäßige Aufführung großer Werke der barocken, klassischen und romantischen Chorliteratur. Nicht nur, dass die Friedenskirchkantorei von beachtlicher Größe ist, die schnelle Verfügbarkeit hervorragender Musiker (Instrumentalisten wie Gesangssolisten), z. T. sogar aus den Reihen der Kirchgemeinde selbst, war ein Vorteil, den Kaiser gern nutzte. Wer also in den letzten gut zwei Jahrzehnten wollte, der konnte neben Bachs jährlich aufgeführtem Weihnachtsoratorium auch dessen Matthäus- und Johannispassion, Händels Messias und Haydns Schöpfung, die Requien von Mozart, Brahms und Fauré sowie Mendelssohns große Oratorien Paulus und Elias erleben, um nur die wichtigsten Werke zu nennen. Für nicht wenige Mitglieder der Kantorei dürfte die Amtszeit Kaisers untrennbar mit zwei großen Konzertreisen nach Israel und Griechenland in Erinnerung bleiben, ganz sicherlich auch die Aufnahmen für die CD Musik in der Friedenskirche bereits im Jahr 1994. Kaiser initiierte im gleichen Jahr den seither jährlich stattfindenden „Radebeuler Orgelsommer“ mit dem Ziel, die klanglich schöne, dreimanualige Jehmlich-Orgel stärker ins Bewusstsein der musikinteressierten Bevölkerung zu rücken. Nach mehrjähriger Vorbereitung gelang es im Jahr 2000, die Orgel einer Generalüberholung zu unterziehen, um die breiten klanglichen und technischen Anforderungen an eine Orgel im 21. Jahrhundert abzusichern. Kaisers Vorliebe gilt dabei besonders den französischen Romantikern von Vierne über Boëllmann bis Franck.

Was macht ein Kantor eigentlich, wenn er nicht Chorkonzerte dirigiert, Orgelkonzerte gibt und die Kantorei zu Proben anleitet? Kaiser lacht und zählt auf: Für die musikalische Absicherung von Gottesdiensten in insgesamt drei Predigtstätten sorgen (neben der Kötzschenbroader Hauptkirche gehört auch noch die Johanneskappelle in Naundorf und die Wichernkapelle in Lindenau dazu), auf Hochzeiten und Beerdigungen spielen, verschiedene Nachwuchschöre anleiten, mit dem Gospelchor und dem Kammerchor spezielle Repertoires pflegen und aufführen, im engen Kontakt mit dem Kirchenvorstand das kirchenmusikalische Programm bauen, Sänger und Solisten engagieren und nicht zuletzt auch noch selbst üben! Dafür hat er sich in seinem Niederlößnitzer Haus eine elektronische Orgel angeschafft, auf der er sich neue Literatur erarbeitet.

Der Abschied vom Amt fällt Karlheinz Kaiser nicht leicht, wie er mir gesteht. Er fühlt sich gesund und neugierig genug, um weiter arbeiten zu wollen, und tatsächlich steht er dankenswerter Weise auch noch so lange der Gemeinde zur Verfügung, bis der Nachfolger oder die Nachfolgerin ihren Dienst angetreten hat. Aus vier Bewerbern ist Ende Mai der geeignete Kandidat gewählt worden, der an das von Kaiser gestaltete Jahresprogramm 2017 anknüpfen kann. Und worauf freut sich Kaiser, dessen Verabschiedung am 18. Juni im Rahmen eines Gottesdienstes erfolgt, für die Zeit danach? Mit seiner Frau ins Wohnmobil steigen und einfach losfahren – nach England vielleicht, noch einmal an den Gardasee wie zu Ostern, oder auch nur nach Tschechien. Für seine Kinder und Enkelkinder da sein. Den Garten in Schuss halten. Und ja – irgendwo in der Nähe eine nebenamtliche Stelle antreten, damit er mit Lust und Leidenschaft das noch länger tun kann, was seit mehr als 40 Jahren sein Leben bestimmt: Geistliche Musik zur Aufführung bringen und damit dafür zu sorgen, dass möglichst viele Menschen Teil an diesem unermesslich reichen kulturellen Schatz haben. Die Radebeuler sagen „Danke“ und hoffen auf ein Gastspiel zu den Kirchenmusiktagen 2018 oder zum Orgelsommer im gleichen Jahr!

Vorschau und Rückblick gratuliert herzlich zum Geburtstag und wünscht weitere Jahre segensreichen Schaffens!

Bertram Kazmirowski

Zwischen Welten

Grafische Malerei von Anne-K. Pinkert in der Stadtgalerie

„Der Reichtum der Gesellschaften, in welchen kapitalistische Produktionsweise herrscht, erscheint als eine ‚ungeheure Warensammlung‘ …“ (Marx, Das Kapital)

Der Eröffnungssatz des Kapital ist in den hundertfünfzig Jahren seit seinem Erscheinen stets von allen übersehen worden. Es geht nämlich aus ihm hervor, daß andere Gesellschaften, andere Welten ganz anderen Reichtum haben: Reichtum des Geistes etwa, Reichtum des Herzens oder der Seele.

Anne K. Pinkert »Beschwörendes Gespräch«, 2000, Lithographie


Es ist eine Art von Reichtum, wie ihn Anne-Katrin Pinkert in unserer Welt vergeblich sucht. Deshalb findet sie auch, wie sie selbst sagt, kein Zuhause auf dieser Erde, auf der alles, was es gibt, der Boden unter den Füßen, das Licht der Sonne, das Wasser, die Luft und selbst der Platz, auf den ein Menschenkind sein Haupt bettet, längst zur Ware erklärt wurde. Die Welt ist aufgeteilt, ist fortgegeben, wie Schiller es ausdrückte, der Kaufmann nahm, was seine Speicher fassen und für die Künstlerin blieb mal eben noch im Himmel ein gelegentliches Plätzchen frei.

Und dieser Himmel ists, der Annes Seele mit diesem anderen Reichtum füllt, der nun in klaren Farben aus ihr herausdrängt. Es ist, als wolle die Farbfülle das Unbehagen vergessen machen, das Fremdsein auslöschen, das die Malerin für die Welt und in ihr empfindet. Dennoch ist es da, und Anne hat auch nicht vor, es zu verleugnen: zu genau kennt sie aus ihrer therapeutischen Arbeit die Abgründe des Lebens. So froh die Farben scheinen, sie künden keine heile Welt. Nein, es sind Prophetien die zeigen, wie die Welt vielleicht gemeint war, bevor Händler und Diebe sie verhökerten. Es sind Anklänge an Reichtümer von Gesellschaften, die nicht dem Tanz ums Goldene Kalb verfallen waren und die von uns, die wir uns für die Besseren halten, obwohl wir nur die scheinbar Stärkeren sind, von der Erde getilgt wurden.
Anne sucht ihre Bilder nicht, sie findet sie. Wenn sie ins Atelier kommt, sind die Bilder schon da. Still liegen sie auf den Papieren und harren ihrer Entdeckung. Und wenn die Malerin dann mit Kreide oder farbigen Tuschen die Konturen abfragt, die etwa beim Aufkleben oder Befeuchten entstanden sind, da treten sie plötzlich hervor, da zeigen sie sich. Wenn ich die Bilder nicht sehe, sagt Anne, kann ich nicht malen.

Anne K. Pinkert »Zufriedensein«, 2016, Mischtechnik


Da ist dann das leere Blatt nichts als eine weiße Fläche, als trüge es die Ödnis der Welt. Es folgen zähe, bildlose Stunden, bis der erste Vulkan sich wieder zeigt, seine Gluten in den leuchtenden Himmel schleudert und mit seinem Ausbruch erneuten Raum schafft für Noahs gerettete Lebenswelt und Frauen zu tanzen beginnen bevor sie wieder eintauchen in die Vielfalt der Schöpfung.

Anne hat auf der Burg in Halle-Giebichenstein Malerei und Grafik studiert und konnte zwischenzeitlich sogar ein Semester bei Elke Hopfe an der HfBK in Dresden einschieben. Ihrem Diplom in Halle hat Anne dann in Dresden ein Aufbaustudium für Kunsttherapie angeschlossen, das es ihr bis heute ermöglicht, ihren Neigungen entsprechend und unabhängig von der Kunst ihren Alltag zu bestreiten.

In den grafischen Werkstätten hat Anne ihre Liebe zum Steindruck entdeckt. Ihre Lithographien zum finnischen Nationalepos Kalevala waren Bestandteil ihrer im Jahr 2000 angefertigten Diplomarbeit.

In dieser Ausstellung markieren sie den Beginn des Reifeprozesses einer Künstlerin, der auch nach siebzehn Jahren noch nicht abgeschlossen sein kann. Sie sind vom spannungsreichen Geschehen des Mythos geprägt und von der hier artikulierten Sehnsucht nach Aussöhnung der Geschöpfe untereinander und mit der Welt. Diese Sehnsucht ist das eigentliche Thema aller dieser Arbeiten.

Was bedeutet nun aber, hören wir die Besucherin fragen, der Fisch, der die Frau küßt?

Die Antwort ist denkbar einfach: er bedeutet den Fisch, der die Frau küßt in einer Gesellschaft, in der weder Frau noch Fisch Gefahr laufen, zur Ware erklärt zu werden. Für mich ist er Ausdruck der Sehnsucht nach einer Welt, in der mehr und anderes im Mittelpunkt steht, als eine ungeheure Warensammlung.

Thomas Gerlach

Editorial Juni 2017

Liebe Leserinnen und Leser unserer „Vorschau & Rückblick“!

Allmonatlich halten Sie eine neue Ausgabe unserer Kulturzeitschrift in den Händen.

Allmonatlich ist das Heft gefüllt mit unterschiedlichsten Beiträgen von lokaler Kultur und Kunst. Allmonatlich trifft sich unser Redaktionskollegium am ersten Donnerstag des Monats, um den Inhalt des neuen Heftes zu besprechen.

Jede Ausgabe stellt immer wieder eine Herausforderung dar. Immer wieder die bange Frage, ob es genügend Beiträge für das kommende Heft geben wird. Zur Sitzung ist dies, bei aller Zuversicht, zumeist überhaupt noch nicht abzusehen. Immerhin haben wir einige treue Redaktionsmitglieder, die fast in jedem Heft mit interessanten Beiträgen seit vielen Jahren vertreten sind. Kaum auszudenken, wenn sie fehlten. Vor allem, weil sie fachspezifisch verschiedene Felder bedienen.

Und leider mangelt es nach wie vor an Nachwuchsautoren.

Dennoch ist das Heft damit meist noch nicht gefüllt. Und fast wie ein Wunder, dass bis zum Redaktionsschluss dann doch noch Texte externer Autoren regelmäßig den Weg zu uns finden.

Geschätzte Leserinnen und Leser, bereichern Sie unser Heft mit Ihren Geschichten, damit es so spannend bleibt wie es ist.

Sascha Graedtke

Editorial 05-17

Schade, dass zu Ostern Wunschzettel nicht üblich sind, die gehören ja eher zu Weihnachten. Ich hätte nämlich für Radebeul einige Wünsche aufgeschrieben. Angeregt durch meine Tätigkeit im Kommunikationsteam für das Sanierungsgebiet im Bürgerbüro auf der Bahnhofstraße, erfahre ich ja Wünsche und auch Beschwerden der Anwohner. Und ein Wunsch, der immer wieder auftaucht, ist ein Kino für Radebeul-Kötzschenbroda,es muss ja nicht groß sein.

In der SZ vom 6. April war zu lesen, dass es vom Eigentümer des Bahnhofs nun konkrete Vorstellungen gibt, was dort etabliert werden soll. Er möchte anonym bleiben, weshalb, erschließt sich mir nicht. Sonst könnte man ja mal auf ihn zugehen und sagen: „Ein kleines Kino wäre toll.“ Ich denke ja, wenn Sie Wünsche von Einwohnern mit beachten, wäre für den Erfolg schon viel getan. Also, Herr Anonymus, bitte mal diese Option mit ins Kalkül ziehen! Es könnte auch ein Mehrzweckraum sein.

Jetzt kommt gleich noch die nächste Idee, entstanden am Frühstückstisch: Im Lößnitzbad könnte herrliches Sommerkino stattfinden. Ein Spaß, der sicher gern angenommen würde und woanders prima funktioniert, mal schlechtes Wetter ausgenommen. Frisch gebadet zur Filmnacht, wenn das nix wäre. Die Betreiber des Bistros würden sich sicher auch freuen. Ein Bier und ’ne Bratwurst gehören ja schließlich dazu. Statt das Lößnitzbad für Jugendliche noch unattraktiver zu machen, z.B. durch das Entfernen des Pontons, früher „Boje“ mit 3-Meter-Turm, sollten die Gedanken eher an das Aufwerten des Bades gehen, finde ich. Die Beschwerden über die laute Jugend an manchen Stellen, u.a. am Apothekerpark, kommen ja ebenfalls im Bürgerbüro an. Aber ich frage jetzt mal: Wo bitte, außer im Weißen Haus haben die jungen Leute von Radebeul eine Möglichkeit, nach ihren Bedürfnissen Freizeit zu verbringen? Mir fällt da nicht viel ein.

Ilona Rau

Ein ungewöhnlicher Vorgang

Vom Versuch, in Reichenberg ein Putzbild zu retten

und dann passiert es plötzlich: Ein Detail der Hülle erweist sich als wertvoller als der ganze Rest. So geschehen neulich in Reichenberg. Der im Kern mehr als 400 Jahre alte Gasthof hat längst seine Schuldigkeit getan: Es kehrt niemand mehr ein, und im Ort gibt es wohl auch kein Interesse mehr an lautstarken Tanzvergnügen. Häuser aber nehmen das Leerstehen übel und beginnen zu verfallen, wenn keiner nach ihnen schaut. Meist beginnt es mit den Fenstern: eine nach der anderen splittern die Scheiben, weil sie niemand mehr putzt…

Sgraffitto-Putzbild von Hermann Glöckner

Sgraffitto-Putzbild von Hermann Glöckner Foto: Firma Bauhauf

Als sich schließlich doch jemand bereitfand, „noch was draus zu machen“, war das vollständig aus Bruchsteinen aufgeführte Mauerwerk rettungslos verschlissen. So standen die Zeichen auf Abriss – wenn nicht ein namhafter, freilich zu seiner Zeit eher beargwöhnter, Künstler sich gemeinsam mit seiner Frau an der Fassade zu schaffen gemacht hätte: Das Sgraffitto-Putzbild von Hermann Glöckner machte die Außenhaut wertvoll, weshalb es von den Professoren Werner Schmidt und Gerhard Glaser zum bedeutenden zeitgenössischen Kunstwerk erklärt worden war.

Eine Schüssel Klöße, ein Bierglas, eine Trompete, ein Bass, ein Pflug und ein Hahn: Das mehrere Meter hohe Bild zeigt, was der Gast 1947 bei der Einkehr erwarten konnte: gute Böhmische Knödel zum Bier, dafür war die Küche berühmt, Geselligkeit und Tanz – und alles auf der Basis eigener Landwirtschaft: Über Generationen hinweg war das gut gegangen; über Generationen hinweg war das Gut in der Familie geblieben. In den Nachkriegsjahren gab es die Hoffnung, dass es so bleiben würde. Der Künstler hatte das Leben sinnfällig umgesetzt in klaren Bildern und solidem Handwerk. Sowas kann einer nach runden siebzig Jahren nicht einfach wegreißen.

Kann Putz bestehen ohne das Mauerwerk, an dem er klebt, einem Putz zumal, der selbst die beste Zeit hinter sich hat und schon vom bloßen Hinschaun bröckelt?

Als Eigentümerin des Gebäudes ist die Firma BAUHAUF dafür bekannt, Schwierigkeiten nicht aus dem Wege zu gehen. Nach dem Motto „wenn mir einer sagt, wies geht, dann machen wir das!“ setzte sich auch die Chefetage hinter die Bücher, um nach einer Lösung zu suchen.

Sie fanden keine. Putzflächen dieser Dimension lassen sich nicht schadensfrei von der Wand nehmen. Selbst das allheilige Wundermittel „Digitalisierung“ half nicht weiter, war doch die Wirklichkeit hier nichts weniger als virtuell. Experten tagten. Restauratoren tüftelten. Ratlosigkeit machte sich breit, bis einer sagte, „dann nehmen wir eben die Wand vom Putz“.

Geplante Neubebauung

Geplante Neubebauung Foto: Firma Bauhauf

Und schon wurde gesägt und ein Rahmen geschweißt und eine Schutzschicht auf das Bild aufgetragen. Dann kams drauf an: Stein für Stein und natürlich mit der Hand (ja – auch das ist noch möglich im 21. Jahrhundert!) wurde die Wand abgetragen, Lage für Lage die frei stehende Bildträger-Putzschicht gesichert, ein innerer Rahmen mit dem äußeren verschweißt und das Ganze schließlich mit einem Kran zu Boden gebracht – geschafft!

Noch weiß niemand, ob und wie das zu rettende Bild die Prozedur überstanden hat. Immer noch ist ein Scheitern möglich, immer noch ist Hoffnung auf endgültiges Gelingen.

Diese Hoffnung rechtfertigt einen Versuch, der in unserer auf „Effizienz“ getrimmten Zeit alles andere als selbstverständlich ist. Allein dafür hat sich die Firma BAUHAUF ein großes Dankeschön für diesen ungewöhnlichen Vorgang verdient.

Thomas Gerlach

Ausstellung „Geheime Gärten“

Eröffnungsredner Alexander Lange, im Hintergrund  die Textilcollage »Neugierde-beidseitig« von 2012

Eröffnungsredner Alexander Lange, im Hintergrund die Textilcollage »Neugierde-beidseitig« von 2012 Foto: K. Baum

[…] Geheime Gärten gibt es so einige, vielfach in Großbritannien, aber auch hier in Radebeul. Man kann sie z.B. am Tag des offenen Gartens entdecken. Sie sind aber auch Thema in der Literatur: „Der geheime Garten“ ist der Titel eines Kinder- und Jugendromans von Frances Hodgson Burnett. Bekannter in Deutschland ist Hodgson übrigens mit „Der kleine Lord“, welcher so grandios verfilmt wurde.
Mit dem Garten fing laut Bibel das menschliche Leben an – er war ein Paradies (lange Zeit Thema in den Künsten) und in einem Garten endet es in der Regel – was ist ein Friedhof anderes. Aber Gartengestaltung ist dem Menschen seit der Entwicklung von Hochkulturen offensichtlich immanent. Und Kunde davon, dass sie existierten, geben bereits Wandmalereien aus dem alten Ägypten. Im frühen und antiken Griechenland fassten die Menschen die Natur als göttliche Erscheinung auf. Ihnen galt der Garten als ein mit vielen mystisch-symbolischen und religiösen Bedeutungen befrachteter Wald. Im Archäologiemuseum in Athen ist dazu eine wunderbare Wandmalerei von 1500 v.Chr. mit dem Titel „Frühling“ zu bewundern. Bis in die heutige Zeit sind Gärten ein Motiv in der Malerei – von detailreichen Perspektivdarstellungen in der Renaissance oder dem Barock bis zu Paul Klees „Orientalischer Garten“ oder „Garten Vision“.
Antje Schönauer nimmt uns mit ihren Bildern auf den Weg durch ihre geheimen Gärten. Sie bezeichnet sich selbst als dilettierenden Laien. […] Begriffe wie Laie oder Amateur sagen jedoch wenig über die Sachkenntnis der so Bezeichneten aus, die durchaus professionelles Niveau haben können. Dergestalt sind eine Reihe berühmter Künstler Laien, denn sie hatten keine Ausbildung. Berühmt werden will Antje [Schönauer] nicht. Aber immerhin kann sie schon auf einige Ausstellungen und eine Reihe von Verkäufen verweisen. Verkäufe sind für sie allerdings ein Problem, denn sie bezeichnet ihre Arbeiten als ihre Kinder. Doch Kinder gehen auch irgendwann in die Welt und so soll es m.E. auch mit Kunstwerken sein. Im Atelier oder wie in diesem Falle in der Wohnung stehend, erzielen sie keine Wirkung.
Antje [Schönauer] zeigt Arbeiten aus ca. zehn Jahren von 2004 bis 2013. Danach musste sie – vor allem aus Platzgründen eine Auszeit nehmen. Begonnen hat alles mit Applikationen auf Kleidung und mit Gestaltung von Decken für die eigenen Kinder. Das Talent dafür hat sie wohl geerbt, denn ihre Vorfahren waren Tapetenmusterstecher, ein ausgestorbener Beruf.
Bilder auf dem Blatt entstehen aus inneren Bildern aus Archetypen, wie Antje sagt, also aus einer „Ur- oder Grundprägung“. Archetypen sind psychische Strukturdominanten, die als unbewusste Wirkfaktoren das menschliche Verhalten und das Bewusstsein und somit das Schaffen beeinflussen. Vielfach kommen ihre Motive aus der Literatur oder der Musik. Ähnlich, wie in klassischen Werken findet sich die Wiederholung von Elementen, aber nie ganz gleich, ähnlich einem Rondo, welches bestimmte musikalische Teile in Variationen wiederholt. So entstehen keine wirklich konstruktiven Tafeln, sondern lebendige, bewegte Bilder. […] Die Motive erscheinen zum Teil wie von selbst. Florale Formen entwickeln sich aus einem unbewussten Prozess heraus und ordnen sich erst während der Arbeit zu einer Szene. Zu beobachten ist eine Entwicklung vom mehr Gegenständlichen zum Abstrakten. Die vertikale Ausrichtung fast aller Arbeiten ist logisch, denn alles was wächst strebt nach oben. Sie benutzt die Ausrichtung, um Strukturen zu entwickeln einer Rabatte oder einem Dickicht gleich. Deutlich zu erkennen sind in den Mustern Zitate des Barock oder des Jugendstils. Für diese Stilrichtungen hat Antje ein besonderes Faible. Farbe und Linie finden sich oft in einer Einheit, das kommt aus der benannten Vorliebe für den Jugendstil. So entstehen meist Blätter mit ornamentalem aber auch erzählerischem Charakter, den sich der Betrachter erschließen muss. […]

Alexander Lange

Auszüge aus der Rede des Amtsleiters für Kultur und Tourismus zur Eröffnung der Ausstellung „Geheime Gärten“ mit Bildern und Collagen von Antje Schönauer.
Die Ausstellung kann im Bürgertreff Radebeul-West mittwochs von 15 bis 18 Uhr besichtigt werden. Eine Finissage findet in Anwesenheit der Künstlerin am 13. Mai um 17 Uhr statt.

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