Meine Jahre in der Heimburg

von Ursula Martin

Meine Bekanntschaft mit diesem Haus, Borstasse 15, erfolgte völlig unerwartet und abrupt. Bis zum Mai 1947 hatten wir, mit Ausnahme von sechs Wochen unmittelbar nach Kriegsende, zusammen mit Angehörigen der Sowjetarmee in unserem Haus in der Rennerbergstraße wohnen können. Obwohl es in einem Gebiet lag das die Sieger beschlagnahmt hatten, wurde doch in einigen Häusern ein Zusammenleben geduldet. Im Mai 1947 kam plötzlich der Befehl, das ganze Viertel innerhalb von zwei Tagen von allen Deutschen zu räumen und diesen anderen Wohnraum zuzuweisen. Von uns wurde darüber hinaus verlangt, alle Möbel im Haus zurückzulassen. Wir bekamen deshalb im Haus Heimburg drei Zimmer sowie eine sogenannte An­richte zugewiesen, die zum Teil möbliert, jedoch ohne Betten waren. Mit einem Tafelwagen transportierten die Eltern deshalb die Einrichtung ihres Schlafzimmers zur Borstraße, hatten die Rechnung allerdings ohne die neuen Mieter gemacht. Sie mussten alles wieder zurückbringen, er­reichten aber, dass sie die Einrichtung unseres sogenannten Fremdenzimmers mit­nehmen konnten. Die zugewiesenen Zimmer, die im Erdgeschoss lagen, waren sehr groß und sehr hoch, die Höhe betrug 3.85 m, das größte Zimmer war 36 Quadratmeter groß. Eigentlich sehr komfortabel für diese Zeit, aber die ganze Pracht war, mit Ausnahme eines kleinen Zimmers, in dem sich ein Kachelofen befand, nicht heizbar. Zum Glück lag der Sommer vor uns und damit die warme Jahreszeit.

Heimburg, Borstr. 15

Die Villa "Heimburg", Borstr. 15

Das Haus war damals von Frau Rosenmüller gepachtet, in meiner Erinnerung war sie Kriegerwitwe und lebte mit ihrem Sohn von etwa acht Jahren und ihrer etwas älteren Tochter in der ersten Etage. Nach uns zog in die noch verbliebenen zwei Zimmer des Erdgeschosses Familie Jünger mit zwei Söhnen ein, im Souterrain lebte Familie Müller mit einem Sohn. Herr Müller betrieb in Radebeul-Ost eine Fahrradwerkstatt. Im Souterrain befand sich die Küche des Hauses und die Zentralheizung. Beides war nicht in Betrieb, die Küche war sehr groß und lag weitab von den Wohnräumen, für die Benutzung der Heizung fehlte der Brennstoff. Vor dem Krieg waren die Speisen in der Küche zubereitet worden, in die Wohnräume gelangten sie mittels eines Aufzugs, der in einer sogenannten Anrichte mündete. Dieser kleine Raum besaß einen großen Kohleherd sowie einen Gas- und einen Wasseranschluss. Für uns war das ein glücklicher Umstand, da dort gekocht werden konnte und wir eine Wasserstelle in der Wohnung hatten. Die Toilette lag außerhalb der Wohnung, besaß aber auch ein Waschbecken.

Das kleinste Zimmer war 18 qm groß, hatte vier Türen und ein großes Fenster. Sein wertvollstes Einrichtungsstück war der Kachelofen. Neben ihm konnte noch ein Kohleherd aufgestellt werden. So hatten wir im Winter ein warmes Zimmer und Mutter musste nicht in der eiskalten An­richte kochen. Das dritte Zimmer war das Musikzimmer der Villa gewesen. Es war zum Teil mit Holz getäfelt und besaß eine sogenannte Weinnische, die etwas erhöht lag. Dieser Raum diente uns als Schlafzimmer. Zum Waschen mussten wir uns mit einem Waschtisch mit Porzellanschüsseln und Wasserkannen behelfen. Das einzige Bad der Villa lag in der ersten Etage und gehörte unserer Vermieterin. Ab und zu durften wir es benutzen. Jedoch zeigte sich Frau Rosenmüller so wenig erfreut darüber, dass wir es später vorzogen, ein öffentliches Wannenbad aufzusuchen. Die Möbel, die in der Wohnung vorhanden waren, waren sehr massiv und voller Schnörkel. Familie Rosenmüller hatte vor dem Krieg in Dresden ein Pfandleihgeschäft betrieben, wahrscheinlich stammten sie aus dieser Quelle. Eine Besonderheit der Erdgeschossräume bestand darin, dass die Fenster alle mit sogenannten Scherengittern versehen waren. Man musste sich davor hüten, sie zuzumachen, da die Schlösser, waren sie einmal zugeschnappt, nur schwer wieder aufzubringen waren. Das Waschhaus und die Abstellräume waren in einem Nebengebäude untergebracht. Zu unserer Wohnung gehörten noch eine Veranda und eine Terrasse. Von dieser führten Stufen in den Garten, der damals noch fast bis an die Meißner Straße ging und der große Bäume, vor allem Buchen, enthielt. Die Wege waren mit kleinen Buchsbaumhecken begrenzt. Ein Teil des Gartens war natürlich dem Mangel an Gemüse und Obst zum Opfer gebracht und in Beete umgewandelt worden. Auch an einen Hühnerstall kann ich mich erinnern.

Was mich an dem Anwesen besonders faszinierte war die Tatsache, dass es einer Schriftstellerin gehörte. Ich hatte mit meinen neun Jahren noch keinen richtigen Begriff von der Bedeutung einer solchen, geschweige, dass ich Werke von Wilhelmine Heimburg gelesen hatte. Viele Jahre später habe ich dann in Erinnerung an den Aufenthalt in ihrem Haus, »Lumpenmüllers Lieschen« und »Kloster Wendhusen« gelesen.

In unser Haus auf der Rennerbergstraße war nun Familie Adalchanjan eingezogen. Herr Adalchanjan war Oberst und stammte aus der damaligen armenischen Unionsrepublik, seine Frau kam aus Moskau. Als sie 1947 einzogen, brachten sie einen kleinen Sohn, Wowa, mit, der zweite Sohn, Igor, wurde in Radebeul geboren. Um wenigstens immer mal nach unserem Haus und den Möbeln sehen zu können, besorgte meine Mutter ein- oder zweimal pro Woche für diese Familie den Haushalt und kümmerte sich um die Kinder. Adalchanjans erwiesen sich als recht zugänglich und wir durften, was damals eine wichtige Ernährungsgrundlage war, unseren Garten weiter bebauen und abernten. Das Viertel, es lag zwischen Meißner und Paradiesstraße, Schweizer- und Schuchstraße, war durch Barrieren abgeriegelt. An der Schuchstraße stand ein Posten, der einen Ausweis, »Propusk« sehen wollte. Konnte man ihn nicht vorweisen, hatte man in gehörigem Abstand um das Viertel herumzulaufen oder mit der Straßenbahn zu fahren. Zum Glück war diese Prozedur auch den Russen zu umständlich und es dauerte nicht lange und vor den Barrieren lagen große Steine, die das Übersteigen erleichterten. Für unsere Besuche hatte Familie Adalchanjan dafür gesorgt, dass wir einen »Propusk« bekamen. Meine Schule auf dem Augustusweg erreichte ich mit der Straßenbahn, fuhr diese nicht, so musste ich am Posten vorbei etwa 45 Mi­nuten laufen.

Heimburg

Heimburg

Zweimal in dieser Zeit durften wir wieder für sechs Wochen in unserem Haus schlafen. Obwohl sie von ihren Landsleuten umgeben waren, fürchtete sich Glawa Adalchanjan davor mit den Kindern allein im Haus zu bleiben, während ihr Mann längere Zeit abwesend war. So zogen wir abends, mit Nachthemd und Zahnbürste bewaffnet, wieder in die Rennerbergstraße. Wir unterhielten uns mit Glawa, die gegenseitigen Sprachkenntnisse hatten sich im Lauf der Zeit beträchtlich erweitert, Mutti brachte ihr das Nähen mit der Maschine bei und allerlei Kochkünste, sogar Karten haben wir abends zusammen gespielt. Wowa war häufig bei uns, wir gingen mit ihm in den Zoo, fuhren mit dem Dampfer und brachten ihm deutsche Volkslieder bei. So pendelte unser Leben einige Jahre zwischen der Heimburg und der Rennerbergstraße hin und her, immer in der Hoffnung, dass wir bald wieder in unser Haus zurückziehen könnten.

Am Silvesterabend 1949 hatten wir Wowa und Igor bei uns, da deren Eltern mit Freunden das Jahresende feiern wollten. Gegen Mitternacht brachte Mutter sie wieder nach Hause und wartete bis ihre Eltern heimkehrten. Sie kamen, leicht angeheitert und luden sie noch zu einem Glas Sekt ein. Dabei eröffneten sie ihr, dass sie noch im Januar alle nach Dresden in das sogenannte Waldschlösschenviertel ziehen würden und wir alle wieder in unsere Häuser kommen könnten. Da sie nicht wollten, dass das Haus leer stünde, sollten wir ab sofort nachts wieder darin schlafen. Die Eltern hatten am Neujahrstag nichts Eiligeres zu tun, als allen Nachbarn die freudige Nachricht zu überbringen. Um den 20. Januar 1950 wurde das Viertel wieder an die Deutschen zurückgegeben. Wir haben Familie Adalchanjan noch einmal auf der Jägerstraße in Dresden besucht, dann war sie in Richtung Sowjetunion verschwunden und wir haben nie wieder etwas von ihnen gehört. Auch bei späteren Aufenthalten in Moskau konnte ich sie nicht ausfindig ma­chen.

Und das Haus Heimburg? Es steht seit vielen Jahren leer und bietet einen traurigen Anblick. Jedes Mal, wenn ich daran vorübergehe, hängt die Dachrinne über der Haustür etwas weiter herunter. Es ist ein Jammer, die einst so prächtige Villa in diesem Zustand zu sehen.

Zwanzig Jahre Baarß + Löschner FREIE ARCHITEKTEN

Ein Grund zum Feiern

Drei Häuser stehn im Rietzschkegrund,
wer wohnt darinnen nur?
Viel liebenswerte Menschen und
Die Architektur –

Ab 1995, seit die Architekten Jörg Baarß und Dr. Klaus Löschner ihr Büro dort haben, ist der Rietzschkegrund mehr und mehr ein Grund zum Feiern geworden. Am 1. Juni gab es nun einen ganz besonderen Anlaß: das 20jährige Bestehen der GbR Baarß + Löschner FREIE ARCHITEKTEN.

Manchmal tut es in solchen Zusammenhängen gut, sich seiner Herkunft zu versichern:

Gleich nach seinem Machtantritt 1973 hatte Honecker ein Gesetz erlassen lassen, das Architekten und Ingenieuren die freie Berufsausübung untersagte. Dies mußte – mit Erstaunen zwar, aber zunächst ziemlich hilflos – auch Jörg Baarß zur Kenntnis nehmen, als er es zu Beginn der 1980iger Jahre nach erfolgreichem Abschluss des Studiums auf eine selbstständige Tätigkeit abgesehen hatte. Umso schneller ging es dann ein paar Jahre später: Gemeinsam mit dem bis dahin bei der HO (erinnert Euch: HO hieß Handelsorganisation und war alles, was nicht Konsum war und hatte keine Rabattmarken zu vertei-
len) unter Vertrag stehenden Dr. Klaus Löschner konnte er die Bürogemeinschaft Baarß + Löschner FREIE ARCHITEKTEN am 1. Juni 1991 aus der Taufe heben.

Wie groß die Erleichterung war, endlich richtig arbeiten zu können, ist schon an dem winzigen Detail zu erkennen, dass sie bei den Worten FREIE ARCHITEKTEN bis heute jeden einzelnen Buchstaben groß schreiben.

Die Euphorie jener Aufbruchsjahre trägt sie noch heute. Sie erinnern sich gern und inzwischen ein wenig wehmütig, wie einfach damals der Umgang mit der Bürokratie war. Ein paar Jahre lang gings wirklich nur um Architektur.

Architektur, höre ich sie sagen, muß funktionieren und schön aussehen. Dann macht sie auch Spaß. Diesen Spaß hatten sie sich in den Gesellschaftsvertrag geschrieben, denn wie es ausgeht, wenn die Lebensumwelt blutleer und lustlos einfach nur administriert wird, hatten sie erlebt. In ihren Häusern, so hatten sie sich vorgenommen, sollten Menschen gerne leben und arbeiten können. Ihre eigenen Häuser in der Rietzschke sind dafür exemplarisch. Trotz großer Baumassen wirken sie heiter und leicht. Es fasziniert immer wieder, wie es hier gelungen ist, die Gliederung des Hangs mit seinen Terrassenmauern in die Ar­chitektur einfließen zu lassen. Nicht umsonst konnte das Ensemble mit dem Bauherrenpreis ausgezeichnet werden, und der Festredner durfte zu Recht betonen, dass dort die Architektur selbst nicht nur wohnt, sondern auch zu Hause ist.

Wenn es gut geht, sagt Klaus Löschner, entsteht ein Bauwerk mit dem Bauherrn im Dialog. Für das eigene Haus muß der Architekt ein Selbstgespräch führen. Und: er ist ihm ausgeliefert, wie keinem Zweiten, denn er muß jeden Tag dahin zurückkehren, und er muß dies gern tun können, betont Jörg Baarß.

Auf die Frage hin, was sie gern noch bauen möchten, kamen Brücken zur Sprache, oder noch ein richtig schöner großer Neubau. Der dürfte nur nicht am Dresdner Neumarkt entstehen, dort glauben zu viele Leute, reinreden zu müssen. Aber sonst lieben sie dieses Eintauchen in historische Tiefen, wie sie das beim Rathaus in Meißen konnten oder auf Schloss Siebeneichen. Denn natürlich ist ihre Architektur immer eigen und heutig…

Dass es im Verlaufe der 20 Jahre auch Durststrecken für die Gemeinschaft gab, davon spürten die über hundert Jubiläumsgäste, Geschäftspartner, Bauherrn, Freunde allesamt, nur ganz zu An–fang etwas, als sie bis nach der Begrüßung aufs erste Bier warten mussten. Doch dann wurden sie von den beiden eigens aus Jena angereisten Musikern Gunnar Nilson und Josa, dem Radebeuler Publikum nicht zuletzt durch die Hoffeste der SCHMIEDE bestens bekannt, so stimmungsvoll unterhalten, dass die Kühle des Frühsommerabends weitgehend unbemerkt blieb.

Unter den Gratulanten war auch der Baubürgermeister Dr. Jörg Müller zu finden, der damit zeigte, dass die Stadt Radebeul durchaus zu schätzen weiß, wen sie mit Baarß + Löschner zu ihren Einwohnern zählen darf.

Schließlich bleibt müßig zu betonen, dass mit Bettina Löschner, die zugleich Mitarbeiterin ist, und Dr. Angelika Baarß die Ehefrauen im Mittelpunkt des Festes und der vergangenen zwanzig Jahre gestanden haben.

Thomas Gerlach

»Die Ausbreitung des Glücks«

Das Künstlerduo Doreen Wolff und Thomas Reichstein stellt in der Bilderrahmenwerkstatt Kruschel aus

Einer Faunin, einer Nixe, einer Mondfrau und selbst einer Venus kann man unter den Plastiken von Thomas Reichstein begegnen. In Kombination mit den in ihrer Farbgebung sehr intensiven Ölbildern von Doreen Wolff offenbart sich so ein nahezu unendlich scheinender Kosmos der Bildenden Kunst, den zu ergründen es nicht nur Zeit, sondern auch jede Menge sinnlicher Gefühle bedarf. Seit dem 21. Mai ist eine Auswahl von insgesamt 49 Arbeiten des Dresdner Künstlerduos in der Radebeuler Bilderrahmenwerkstatt von Martina und An­dreas Kruschel zu sehen. Es ist eine Ausstellung, die – hat man sich erst einmal mit den Bildern und Plastiken angefreundet – geradezu süchtig machen kann. Sowohl, was die großen und kleinen Fa­belwesen in der Plastik als auch die ausgesprochen ungewöhnliche Art der Malerei in den Ölbildern betrifft. Betrachtet man diese Bilder nämlich aus der Ferne, glaubt man, Perlenstickerei o.ä. zu sehen. Erst aus der Nähe of­fenbart sich das Geheimnis um diese be­sondere Art des Malens. Doreen Wolff nimmt auf die Spitze eines feinen Pinsels einen einzigen Tropfen Farbe. Den drückt sie auf das Blatt und zieht den Pinsel dann nach oben ab. Auf dem Papier bleiben winzige Erhöhungen zurück. Diese summieren sich und am Ende des Prozesses ist aus all diesen Punkten ein Bild entstanden. Eines mit einer faszinierenden optischen Wirkung.

Doreen Wolff: Ausbreitung des Glücks

Ausbreitung des Glücks

Thomas Reichstein dagegen hat die Motive für seine plastischen Arbeiten meist auf seinen zahlreichen Reisen (vor allem) nach Asien gefunden. Seine Hauptthemen sind zum einen die Frauen und zum anderen verschiedene Fabelwesen, die oftmals der Mythenwelt asiatischer Länder entstammen.

Die Ausstellung ist noch bis zum 9. Juli zu besichtigen. Und auch diesmal wird es wieder »des Künstlers Lieblingsessen« geben. Konkret am 3. Juli um 11 Uhr.

Editorial Juliheft 2011

Eine Ära geht zu Ende – zumindest für das Redaktionskollegium unseres Heftes. Denn seit 1997 hatten wir jeden ersten Donnerstag des Monats Punkt 18 Uhr unseren „Lokaltermin“ in den Räumen der Gaststätte »Goldene Weintraube«. Im Sommer endet nun das langjährige Pachtverhältnis der Familie Heike und Detlef Jacob, sodass auch wir -zunächst- den bewährten Sitzungsort in der Mitte Radebeuls verlassen müssen.

Zugebenermaßen waren die Runden nur selten vollständig, manches Mal saß gar nur ein kleines Häufchen am separierten Stammtisch. Doch in der Regel gab und gibt es schon einen recht treuen Redaktionsstamm. Von außen betrachtet gäbe die allmonatliche Zusammenkunft  sicher genügend Stoff für Anekdoten. Da gibt es die Überpünktlichen, die Verspäteten, die Gehetzten, die Freunde von Quittenschorle, Tee, heißer Zitrone oder eines kleinen Biers. Ja seltsam, Wein wurde in der »Weintraube« selten nachgefragt. Ohnehin war es immer wieder spannend, wer alles hinter der Schwingtür in Erscheinung trat. Bis die eigentlichen Themen der »Vorschau« zum Tragen kamen, verging meist ein gerüttelt Maß an Zeit von der die alte Standuhr kündete.

Nun werden hier die Stühle sprichwörtlich hochgestellt. Familie Jacob, die in all den Jahren auch die Theaterkantine betrieb und Veranstalter kultureller Programme war, möchte nun mit Catering einen Neuanfang wagen. Bekannt und begehrt ist ihre Entengrütze die es in diversen Feinkostläden gibt. Wie sich die Wirtsleute nun ihrerseits bei ihren Gästen bedanken wollen, so ist es auch uns ein großes Bedürfnis für die treue Bewirtung am vertrauten Platz unseren herzlichen Dank auszusprechen. Wir wünschen ihnen für ihre Pläne alles Gute.

Notiz zur Jahresversammlung

Am 01. April fand in bewährter Weise die Jahresversammlung unseres Vereins „Radebeuler Monatshefte e.V.“ in den Räumen der Stadtgalerie statt. Neben Mitgliedern und Freunden hatten sich erfreulicherweise wieder auch neue interessierte Gesichter in die Runde gemischt.

Der Tagesordnung folgend, wurde der Vorstand aus seinen Pflichten entlassen und, in diesmal geheimer Wahl, neu gewählt. Durch eine kleine Panne musste die mühselige „zettelfaltende Prozedur“ gar wiederholt werden. Dennoch gelang uns damit ein kleiner Vorsprung in Hinblick auf die Wahl des derzeitigen Bundespräsidenten. Der aus drei Mitgliedern bestehende Vorstand wurde mit Ilona Rau als Vereinsvorsitzende, Bertram Kazmirowski als Stellvertreter und Wolfgang Zimmermann als Schatzmeister wieder bestätigt. Frank Andert wurde nochmals für seine Arbeit als Redakteur in den vorangegangen zwei Jahren gedankt und Sascha Graedtke als neuer Redakteur in der Runde vorgestellt.

Hörspiel im sakralen Raum

Premiere von »Nathan der Weise«

Radebeul ist nicht gerade als ein Ort bekannt, in dem sich weise Weltläufigkeit und religiöse Toleranz im Alltag zu bewähren bräuchten. Dazu sind die Menschen, die in Radebeul wohnen – bei aller individuellen Verschiedenheit – viel zu ho­mogen. Zwar gibt es einige christliche Ge­meinden und Gemeinschaften, die im Ganzen wohl eine respektable vierstellige Mitgliederzahl auf sich vereinen. Aber anders als in vielen (vor allem westdeutschen) Großstädten fehlen in Radebeul sichtbare Zeichen religiösen Lebens anderer Be­kenntnisse, was nicht nur an der Größe unserer Stadt liegt. Denn die meisten Ra­debeuler werden beim Zensus angegeben haben, dass sie konfessionslos sind. Vor diesem Hintergrund ist die jüngste und mit ungewöhnlichen Partnern initiierte Schauspielproduktion der Landesbühnen ein mu­tiger Schritt aus der Enge des Elbtals: Lessings »Nathan der Weise« wird als ein Beitrag zum Evangelischen Kirchentag (Aufführung am 2. Juni um 20 Uhr in der Himmelfahrtskirche Dresden-Leuben) auf ein gesamtdeutsches Publikum treffen und im September anlässlich der Feierlichkeiten zum zehnjährigen Bestehen der Neuen Synagoge Dresden auch Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde zu Dresden in deren Räumlichkeiten zugänglich ge­macht. Konsequenterweise hatte sich das Theater frühzeitig entschieden, auch die Radebeuler Premiere (Inszenierung: Arne Retzlaff) in einem sakralen Raum (Lutherkirche) zur Aufführung zu bringen und mit einer weiteren Tradition zu brechen, indem die Premiere an einem Freitag und nicht wie sonst an einem Sonnabend stattfand.

Nathan der Weise (Szenenfoto)

Lessings bekanntes und manchem durch Schullektüre verleidetes Stück in einer Kirche aufzuführen ist keine neue Idee, sondern wurde vor Jahren beispielsweise in Koserow auf Usedom (mit Jürgen Zartmann als Nathan) sehr erfolgreich über mehrere Sommer hinweg praktiziert. Allerdings erfordert die Entscheidung, das Stück nicht auf einer theatergerechten Bühne, sondern in einem auch für gottesdienstliche Zwecke genutzten Altarraum aufzuführen, einen grundsätzlichen Verzicht auf Regietheaterkonzepte und Entertainment à la Klassik light. Vielmehr als sonst muss sich nämlich die Aufmerksamkeit des Zuschauers auf das gesprochene Wort und auch darauf konzentrieren, ob und wie die Akteure auf der kleinen spartanischen Bühne (Ausstattung: Stefan Wiel) körpersprachliche Signale senden und miteinander ohne die Hilfe von Requisiten umgehen können. Wenn man sich in dieser Weise auf die Darbietung einlässt, dann kann man spüren, dass der Radebeuler »Nathan« ein Eigenleben als Hörspiel zu entwickeln vermag, denn das Erlebnis wird nicht kleiner, wenn man mit geschlossenen Augen nur zuhört und sich ablen­­kungsfrei der Qualität des berühmten Textes hingibt. Retzlaff verdichtet das Schauspiel auf zwei Stunden ohne Pause und kann es dadurch auf einen zutiefst menschlichen Grundkonflikt zuspitzen, der überraschend viel Spannung hervorbringt. Liebendes Begehren (eine Spur zu aggressiv und wild: Marc Schützenhofer als junger Tempelherr; Franziska Hoffmann als Recha) droht erst an religiösen Mauern
zu scheitern, schließlich aber wird durch wundersam zu nennende Fügungen familiäre Eintracht hergestellt und erweist sich Nathan (Matthias Henkel stattet seine Figur mit großer Herzenswärme und sprachlicher Überzeugungskraft aus) als eine gemeinsame Vaterfigur für Recha, Sitta (Sandra Maria Huimann) und den Tempelherrn. Befragte man Lessings Text auf die Plausibilität der Figurenkonstellation, dann stünde es um seine Be-
deutung vermutlich weit weniger gut. Zu unglaublich sind die Biografien von Figuren wie der Daja (Anke Teickner liegt der Kirchenraum weniger, ihre oftmals in starken Am­plituden ausschlagende Stimme trägt nicht gut) und des Klosterbruders (Olaf Hörbe entledigt sich seiner Aufgabe souverän). Aber weil es Lessing nicht um Plausibilität, sondern um »Aufklärung« eines anscheinend unlösbaren Falles ging (Welche Religion ist die wahre?), bedurfte es eines Szenarios, welches dieses Problem auf eine menschliche und damit fassbare Ebene bringt. Die beiden hohen Vertreter des Christentums (Tom Hantschel ist für meinen Geschmack ein wenig zuviel Ideologe und zu wenig Geistlicher) bzw. des Islam (Michael Heuser als Saladin) sind im unterschiedlichen Maße sympathische Fi­guren, verkörpern aber das grundsätzliche Dilemma im Dialog der Religionen: An der Basis ist die gegenseitige Verständigung oft schon viel weiter als es die hohen Repräsentanten wahr haben wollen.

Der Charakter der Inszenierung als Hörspiel wird noch dadurch verstärkt, weil drei Musiker (André Obermüller ist Christ, Gennadiy Nepomnyashchiy Jude und Amir Kalhor Moslem) auf einem Podest hinter der Bühne auf je kulturspezifischen Instrumenten die einzelnen Szenen in Intermezzi illustrieren. Sie tun dies am Anfang zaghaft, am Ende kraftvoller, was sinnreich das Näherrücken und Ineinanderaufgehen der Religionen im Stück illustriert. Dagegen verblassen die Bildeinblendungen von Gesichtern und Landschaften auf einer Leinwand hinter den Musikern und senden missverständliche Botschaften, weshalb auch hier das visuelle Erleben hinter dem akustischen zurückbleibt. Ob die Inszenierung in dieser Form zu einem Publikumserfolg wird, bleibt abzuwarten. Dass sie Radebeul zur Ehre gereicht, daran dürfte allerdings kein Zweifel bestehen. Diese Einschätzung teilte wohl auch das Publikum am Premierenabend, welches anerkennenden Beifall spendete, der angesichts des Ortes etwas weniger euphorisch ausfiel als im Stammhaus zu erwarten gewesen wäre.

Radebeuler Landschaften in warmen Tönen

Der Maler und Grafiker André Uhlig stellt im »Weinmosaik« aus

Am 06. Mai lud der im November 2010 eröffnete Weinladen »Weinmosaik« (Meißner Str. 112) in seinen Räumen zur Vernissage seiner nunmehr zweiten Ausstellung ein. Zum Geschäftskonzept des Inhabers Ronald Schlüter gehören neben dem Weinverkauf von vorwiegend einheimischen Winzern die Präsentation regionaler Künst­ler in einem separaten Ausstellungsraum. Blickt man hier hinaus, so fällt der unverstellte Blick un­weigerlich auf die sanften Lößnitzhänge. Ein guter Ort also, um die Arbeiten des 1973 geborenen Radebeuler Künstlers zu zeigen. Denn für André Uhlig sind es nicht selten auch die heimatlichen Landschaften und eher unscheinbaren Blickfänge, die er in seinen Bildern einzufangen sucht. Neben seiner Heimatverbundenheit sind zahlreiche Arbeiten u.a. auf Reisen nach Indien, Italien und im Böhmi­schen entstanden. Sein langjähriger »Künstlervater« Dieter Beirich hielt eine warmherzige Laudatio in der er seine künstlerischen Phasen, aber auch eigenwilligen, wohl produktiven Widerstände eindrucksvoll umschrieb. Als gelernter Drucker arbeitete er jahrelang als Druckinstrukteur bei der Planeta und betrieb seine Malleidenschaft nebenberuflich, bis ihn schließlich seine gefühlte Berufung 2010 zur offiziellen Selbständigkeit führte.

Ein Werk von André Uhlig

Seit letztem Herbst hat er in Ateliergemeinschaft mit der Theatermalerin Birgit Köhler im »Atelier Köhler« (Neue Str. 18) eine wichtige Wirkungsstätte ge­funden. Dort steht auch seine raumgreifende Druckpresse, welche die Grundlage vieler seiner druckgraphischen Arbeiten bildet. Zu seinen be­vorzugten Techniken gehören u.a. Farbaquatinta, Sandreservage, Kaltnadelradierung, Strichätzung, Aquarell, Öl und Kohle. Als Spezialität kann sicher die maltechnische Verwendung von Kaffee angeführt werden, den er zuweilen als farbliches Ausdrucksmittel verwendet. Er gibt den Bildern Wärme und Tiefe. Ohnehin sind es zumeist die irdenen Töne die seine Bilderlandschaften beherrschen. Die ausgestellten Arbeiten, die mit ihrer ruhigen Ausstrahlung einen romantischen Anstrich nicht verbergen können, scheinen so oft wie ein Fenster in eine vergangene Welt. Bis zum 07. August lädt das »Weinmosaik« dazu in seine Räume ein.

Zwischen Miniatur und Monument

Werke des Radebeuler Bildhauers Wolf-Eike Kuntsche aus fünf Jahrzehnten künstlerischen Schaffens in der Stadtgalerie

»Beobachte die Form genau, die kleine wie die große, und trenne nicht das Kleine vom Großen, wohl aber vom Ganzen das Kleinliche.« Caspar David Friedrich (1774-1840)

Wer kennt sie nicht, die stadtbildprägenden Plastiken und Denkmale im öffentlichen Raum von Wolf-Eike Kuntsche? In Dresden sind es die Stahlplastik »Völkerfreundschaft« (1986) auf der Prager Straße, die Bronzeplastik »Die Familie Körner und ihr Kreis« (1985-87) am Hotel Bellevue, das Kästner-Denkmal (1987) am Al­bertplatz oder die Installation für Caspar David Friedrich (1988-90) im Brühlschen Garten und in Radebeul die Stahlplastik »Weintraube« (1987) im Hof des Gymnasiums Luisenstift sowie das weithin sichtbare plastische Ensemble »Quintett« (2009) im Bürgerpark neben den Landesbühnen Sachsen, welches als Gemeinschaftsprojekt in Zusammenarbeit mit weiteren vier Ra­debeuler Bildhauern entstand.

Wolf-Eike Kuntsche (2011)

Wohl weniger bekannt ist die andere Seite des künstlerischen Schaffens von Wolf-Eike Kuntsche, der in diesem Jahr seinen 70. Geburtstag begeht. In einer Ausstellung der Stadtgalerie Radebeul werden bis zum 26. Juni Werkgruppen in Holz, Zement, Bronze und Porzellan aus fünf Jahrzehnten gezeigt. Zeichnungen, Fotografien, Entwürfe und Dokumente er­gänzen die Präsentation.

Wolf-Eike Kuntsche wurde 1941 in Berlin geboren. Ausgebombt zog die Mutter mit ihm und seinem Bruder zu Verwandten nach Seifhennersdorf in die Lausitz. 1949 siedelten sie nach Dresden über. Sehr spät kam der Vater, ein Bauingenieur, aus der Gefangenschaft zurück – da war Wolf-Eike Kuntsche bereits zehn Jahre alt. Den Ambitionen des Sohnes standen die Eltern recht aufgeschlossen gegenüber. Und so fragte schließlich die Mutter den schmächtigen 14jährigen, ob er nicht Lust hätte, im Zwinger Steinbildhauer zu lernen. Einige Jahre arbeitete Wolf-Eike Kuntsche in diesem Beruf bis er 1961 mit einem Studium an der Kunsthochschule Dresden in der Sektion Plastik begann. Unter den Lehrern befanden sich so be­kannte Bildhauer wie Walter Arnold, Hans Steger und Gerd Jaeger. Ausschlaggebend für die weitere künstlerische Entwicklung wurde jedoch der Einfluss von Herbert Naumann, der in Wolf-Eike Kuntsche die Begeisterung fürs plastische Gestalten weckte und von diesem als skurril, belesen und sehr menschlich be­schrieben wird. An der Kunsthochschule hatte er seine spätere Frau kennen gelernt. Mit ihr, der Malerin und Grafikerin Bärbel Kuntsche, kam der junge Bildhauer 1976 nach Radebeul, wo beide bis heute als freischaffende Künstler tätig sind.

In Radebeul befindet sich auch eines der fünf Male, die er in den 80er Jahren als Auftragswerke für den öf­fentlichen Raum gestaltete. Er hatte es für den Schulhof der damals neu erbauten Weinbergschule konzipiert. Seitdem sind 25 Jahre vergangen. Trotz stark veränderter Umgebungsbebauung hält die abstrahierte Stahlplastik »Weintraube« (runde Scheiben punktgeschweißt mit einem realistischen Blatt) künstlerisch stand, ebenso wie all die anderen Werke von Wolf-Eike Kuntsche, die bis heute nichts von ihrer Aussagekraft verloren haben.

Stahlplastik »Weintraube« (1987)

Die laufende Ausstellung spannt sowohl zeitlich als auch inhaltlich ei­nen weiten Bogen. Zu sehen sind erste künstlerische Versuche aus Kindertagen sowie Köpfe und figürliche Darstellungen, die in den 60er und 70er Jahren entstanden sind – darunter die Halbfigur »Junges Mädchen« mit dem Titelzusatz »Prager Frühling« aus dem Jahr 1968. Aufbruch und Scheitern sind in diesem Werk auf anrührende Weise vereint.

Die Gestaltung von Medaillen ge­hört zu Wolf-Eike Kuntsches Spezialgebiet. Seine erste Medaille mit dem Porträtkopf von Carl Maria von Weber schuf er 1972. Allerdings be­findet sich diese derzeit in einer an­deren Ausstellung. Fast alle kleinplastischen Objekte und Reliefs aus Bronze entstanden ab 1980 auf Symposien. Man hatte dort internationale Kontakte und an Material herrschte kein Mangel. Das war besonders für Bildhauer wichtig, gab es doch in der DDR lange Wartelisten, um einen Bronzeguss ausführen zu können.

Bronzeplastik »Großes Finale« (1984)

Auf dem internationalen Symposium für Medaillenkunst und Kleinkunst in Ungarn lernte Wolf-Eike Kuntsche das Wachsausschmelzverfahren kennen, welches feinste Modellierungen, Zeichnungen, Gravuren und Abdrücke zulässt. Diese Technik eröffnete ihm völlig neue Möglichkeiten. Mit poetisch hintergründigem Humor arrangierte er stilllebenhaft reale Dinge und ließ diese ins Surreale übergleiten. Dabei arbeitete er häufig mit Symbolen wie Schneckenhaus und Uhr. Zyklen und Reihungen betonten diese angestrebte Prozesshaftigkeit. Besonders ab Mitte der 80er Jahre spielte Wolf-Eike Kuntsche in seinem künstlerischen Schaffen zunehmend auf die politischen Verhältnisse an. Beispielgebend hierfür sind die Objekte »Großes Finale« 1984 und »Ende der Vorstellung« 1989 (Ein Schelm, der da­bei an die Landesbühnen Sachsen denkt!). Anstelle von Menschen agieren bei Wolf-Eike Kuntsche meuchelnde Puppen, die wie Marionetten an Fäden hängen, was die Bosheit etwas mildern soll, aber letztlich das Geschehen noch unheimlicher wirken lässt. Verschnürungen, Abdrücke, Masken, Verhüllungen wecken Bilder im Kopf, die heute wieder erschreckend aktuell sind, wie die Maske »Tschernobyl« aus dem Jahr 1986.

Maske »Tschernobyl« (1986)

Doch Wolf-Eike Kuntsche entlässt die Besucher der Ausstellung in heiterer Zuversicht, denn ein bisschen Spaß muss sein. Alle Arbeiten aus Porzellan sind im Jahr 2002 während eines zweiwöchigen Symposiums unter dem Motto »Arkadien liegt in Potschappel« in der Porzellan-Manufaktur Freital-Potschappel entstanden. Sie tragen Titel wie »Die Köcher des Amor«, »Werkzeug für zarte Hände«, »Gestrandetes Flugobjekt« oder »Tablett De Corsage«. Im projektbegleitenden Katalog heißt es erklärend: »Arkadien ist ein paradiesischer Ort voller Harmonie, dessen Bewohner im Einklang mit den Göttern und der Natur ihrer Beschäftigung nachgingen und musische Wettstreite austrugen.« Bleibt nur noch hinzuzufügen, wie schade es ist, dass Arkadien in Potschappel liegt und nicht in Radebeul.

Die Ausstellung ist bis zum 26. Juni zu sehen.

Die »Kaffeemühle« in Zitzschewig

Ein Nachruf von Katja Leiteritz

Als meine Eltern vor 22 Jahren begannen, ein Teil des Steilhanges am Paulsberg aufzu­reben, begegnete mir die »Kaffeemühle« erstmalig. Wie so oft bei Namens­gebungen aus dem Volks­mund hatte man den Nagel sehr liebevoll auf den Kopf getroffen.

Späterhin zog ich nach Zitzschewig und jeden meiner Gäste legte ich nicht nur das Hohenhaus und den Zechstein ans Herz, sondern auch die Kaffeemühle. Als Land­marke weithin sichtbar, diente sie uns zur Orientierung vom Linkselbischen aus. Denn im Gegensatz zu Hohenhaus oder Krapenburg war die Kaffeemühle ob ihrer einsamen Lage im Wein­berg und ihrer prägnanten Form immer leicht zu finden. Wenn wir im Zug sitzend die Kaffeemühle entdeckten – und das gelang den Kindern bereits in sehr jungen Jahren – hieß es: »Sachen einpacken, wir sind zu Hause!«.

Im April dieses Jahres wurde die Kaffeemühle durch die »Weingut und Weinstube Hoflössnitz Betriebsgesellschaft mbH« abgerissen, wohl um den umliegenden Weinberg besser bewirt­schaften zu können und erforderliche Sanierungskosten zu sparen.

Für mich war dies Anlass, in Gedenken an den liebgewonnen »Weggefährten« die Bauakte zu sichten.

Begonnen hat alles 1927, als Regierungsrat a. D. Dr. jur. Adolph Gleitsmann, damaliger Besitzer des Weinguts Paulsberg, die Errichtung einer Feldscheune auf seinem Weinberg beantragte. Der Bau war für ihn äußerst dringlich, »um sein Heu trocken lagern zu können«. Ob­wohl der damalige Stadtrat von Kötzschenbroda keine Bedenken gegen das Vorhaben erkennen konnte, wandte er sich doch an den Landesverein Sächsischer Heimatschutz zur Begutachtung. Am 24. 11. 1927 antwortet Dr. Gerhardt, Re­gierungsbaurat, in einem Schreiben: »Die Form des Stall- und Scheunengebäudes ist interessant und auf die ländliche Umgebung gestimmt.«

Südansicht der Feldscheune, Planung 1927

Als Gegenleistung für die Genehmigung wurde Dr. Gleitsmann seitens des Stadtrates allerdings verpflichtet, beim geplanten Ausbau des Talkenberger ­Weges kostenfrei Land abzutreten. Der Straßenbau erfolgte jedoch nie.

1934 unternahm Dr. Gleitsmann dann bereits den ersten Versuch zum Ausbau der Scheune mit Wohnungen. Dieser wurde abgelehnt, da »die notwendigen Fenster und Anbauten dem Gebäude seinen Charakter als Scheune nehmen und ein architektonisch unver­ständliches und da­her unbefriedigendes wohnhausartiges Gebilde entstehen« würde.

Im Januar 1938 untermauert Dr. Gleitsmann sein Vorhaben mittels »Zeichnungen zum Einbau zweier Kleinwohnungen in die Feldscheune des Gutes Paulsberg« durch den Architekten und Baumeisters E. Wendt aus Coswig.

Erster Entwurf zum Einbau zweier Kleinwohnungen in die Feldscheune des Guts "Paulsberg" vom 30. 12. 1937, Südansicht

Auch dieses Mal wird der Landesverein Sächsischer Heimatschutz in das Verfahren einge­schaltet. Am 29. 01. 1938, so ist zu lesen, fand ein »Beratungsgespräch zur Gestaltung von Türen und Fenstern« statt. Während des Gespräches wird auch die Ausbildung des Zeltdaches angemahnt.

Trotz der darauf folgenden Befürwortung durch den Sächsischen Heimatschutz lehnte das Stadtbauamt Radebeul am 8. 2. 1938 das Vorhaben aus guten Gründen ab. Alles in allem sollte es überarbeitet und neue Pläne eingereicht werden.

Den genannten Forderungen kam der Bauherr recht zügig nach und legte die Planung »der Kaffeemühle« vor.

Endgültiger Entwurf der „Kaffeemühle“ vom 4. 3. 1938, links: Südansicht, rechts: Nordansicht

Die Baugenehmigung wird am 4. 3. 1938 unter den »baurechtlichen Verpflichtungen a) innerhalb von zwei Jahren das Zeltdach zu errichten und b) weiterhin kostenfrei Land beim Ausbau des Talkenbergerweges abzutreten«, erteilt.

Am 24. 3. 1938 erhob Dr. Gleitsmann jedoch, aus mir noch nicht ersichtlichen Gründen Rekurs, was zu einem Baustopp führte. Dieser wurde am 21. 4. 1938 un­ter weiteren Auf­lagen aufgehoben. Die Fassade des Erdgeschosses sollte nun verputzt und nur das Obergeschoss mit einer Holz­schalung ausgebildet werden.

Auch darüber konnte man sich schnell einig werden, denn bereits am 8. 9. 1938 erfolgt die »Ingebrauchnahme«. Allerdings gab es immer noch offene Forderungen – »der Abort im Erdgeschoss war noch aufzustellen, Planzeichnungen zum Dachgeschoss nachzureichen, die Treppe zur Bodenkammer mit feuerhemmenden Material zu verkleiden und die Sammelgrube zu errichten«.

Der letzte Eintrag in der Bauakte er­folgte am 11. 10. 1940 – das versprochene Zeltdach war fertig gestellt, welch Glück!

Worin die wirkliche Notwendigkeit für den Bau einer Feldscheune 1927 bestand, bleibt für mich unklar. Ob der Weinberg damals eine Heuwiese war, konnte ich den Akten nicht entnehmen. Der Preis für die Genehmigung der Scheune, das kostenfreie Abtreten von Land, erscheint mir aus heutiger Sicht jedoch unverhältnismäßig. Das nach nur sieben Jahren ei-
ne Umnutzung beantragt wurde, lässt Vorsatz oder aber Turbulenzen erahnen. Sicher ist, dass in dieser Zeit
große Wohnungsnot herrschte und Zwangs­zuweisungen an der Tagesordnung standen.

Der durch den Abriss entstandene Verlust von Vertrautem geht für mich über das »Bauwerk« mit seiner markanten Lage und Erscheinung, seinen ausgewogenen Proportionen und seines Kosenamen hinaus. Es gibt diese Dinge im Leben, die eine wahre Ketten­reaktion von Erinnerungen hervorrufen. Da ich einer Generation angehöre, die Kaffeemühlen bei den Großeltern noch in Ge­brauch sahen und verwendeten, drängen sich mir mit dem Be­griff weitere Erinnerungen auf – der Duft von frisch gemahlenem Kaffee, Eierkuchen und Zucker & Zimt, die Kü­che meiner Großmutter mit Ausziehs­püle, der ko­chende Wassertopf auf dem Ofen, das schluckweise Aufgießen des Kaffees…

Ob der wirtschaftliche Aufschwung für den in den letzten 10 Jahren recht unge­pflegten Weinberg nun zügiger vor­anschreiten wird, bleibt abzuwarten.

Quelle:
Stadtarchiv Radebeul/ Bauarchiv, Gohliser Straße 1, Bauakte Talkenberger Weg 6 (1927-51)

Man müsste wieder einmal… Ballon fahren

Es ist ein alter Menschheitstraum: in die Lüfte gehen (nicht: in die Luft gehen). Leicht werden, dem Himmel nahe sein, fliegen können. Jeden Morgen bei Sonnenaufgang, wenn geringer Wind dies zulässt und der Himmel klar ist, schweben sie wieder über das Elbtal: die majestätischen Ballons, große Heißluftballons, oft mehrere hintereinander, ein farbenfrohes Bild. Und jedes Mal, wenn ich sie sehe, entfährt mir ein Seufzer – »ach, man müsste mal wieder da mitfahren…«

Das ist abends nicht anders. Wenn ich beispielsweise am Wochenende an der Elbe entlang heimwärts radle, steigen sie auf in die Abendsonne: ein Bild des Friedens und der Schönheit. Gedanklich bin ich dann im Korb und somit über den Dingen, nicht nur über der Landschaft, sondern erhaben über Probleme, einfach: frei.

Vor einigen Jahren bekam ich zwei Tickets für eine Ballonfahrt geschenkt. Weil derjenige, der diese Karten auf einer Tombola gewonnen hatte, sich nicht traute. Klar, muss man beim ersten Mal etwas Mut aufbringen. Ja, man steht die ganze Zeit in einem Weidenkorb und hat für 90 Minuten keine Toilette und keinen Sitzplatz. Sicher, man weiß nicht, wo man landen wird. Aber was ist das Leben ohne Abenteuer?
Als die Brüder Montgolfiere vor über 220 Jahren ihren papierbespannten Ballon starteten, war das noch ein lebensgefährliches Abenteuer. Auch die Nachfolger dieser französischen Ballonpioniere stürzten nicht selten ab oder verbrannten, denn anfangs feuerte man noch mit Stroh. Doch heute sind die Risiken gering, sie sind gasbetrieben. Es gibt Piloten die schon 20 Jahre Erfahrung haben und auch die unsportlichen Mitfahrer keinen unnötigen Gefahren aussetzen (wollen). Immerhin geben sie zu, dass sie beim Start noch nicht wissen, wo man landen wird – das Gefährt ist ja von Wind und Wetter abhängig und muss sich treiben lassen. Nur bei Windgeschwindigkeiten von 10-20 km/h, also geringer Windstärke, ist der Ballon händelbar, bei Windstille kann er nicht vorwärts kommen und bei starken Winden geriete er außer Kontrolle. Deshalb wird auch nur morgens und abends, bei Sonnenauf- und untergang gefahren. Da sind die Luftmassen stabil geschichtet. Die Höhe kann der Pilot durch Nachfeuern oder Drosseln der Flamme selbst bestimmen. Verlangt wird bei der Anmeldung nur, dass man zumindest die Kraft hat, notfalls aus dem Korb zu springen, aus maximal zwei Metern Höhe. Und dann gibt es da noch das »Verfolgerfahrzeug«, das mit dem Piloten in Funkkontakt steht und die Menschen nach der Landung wieder abholt und den Ballon einsammelt.

Schloss Moritzburg aus der Luft

Sinnvoll finde ich auch, dass die Mitfahrer einbezogen werden in die Vorbereitungen und nicht am Startplatz dumm herumstehen bevor es losgeht. So be¬kommt man auch mehr Verständnis für die Technik. Der Ballon muss zunächst aufgerüstet werden; das machen Mannschaft und Passagiere grundsätzlich gemeinsam. Propangasflaschen und Brenner müssen zusammengebaut, Bordgeräte und Funk überprüft werden. Dann wird heiße Luft in den noch flach am Boden liegenden Stoffsack geblasen, der erst nach und nach als Ballon erkennbar wird.

Beim Einsteigen muss der Helfer manchmal den Korb gen Boden pressen, weil der angefeuerte Ballon schon abheben will. Einsteigen und Türchen schließen und Leinen los! Kaum steht man zu fünft oder zu sechst in dem eckigen Weidenkorb, hebt er auch schon ab und spätestens beim Anblick der sich blau (oder grau) dahin schlängelnden Elbe kommen die ersten »Wow« oder »Wahnsinn!« Rufe. Der Ausblick auf unsere schöne Landschaft ist einfach grandios! Bei meiner ersten Ballonfahrt hat der Pilot es fertig gebracht, das schwerfällige Ding sogar über unser Wohnhaus zu steuern (oder war es Zufall?) – Erinnerungsfotos waren die Folge. Dann ging es über die Weinbergsterrassen und das Spitzhaus Richtung Moritzburg. Wie eine Spielzeuglandschaft: die kleinen Häuschen, die winzigen Gässchen und die Spielzeugautos – entzückend! Die Landung erfolgte dann auf einer Kuhweide bei Bärnsdorf. Natürlich gehört auch eine Abschluss-Zeremonie zu einer zünftigen Ballonfahrt. Da dieser Sport früher den Adeligen vorbehalten war, ist es wohl nötig, die Passagiere nach ihrer Jungfernfahrt in den Adelsstand zu erheben und ihnen einen neuen Namen zu geben. Nach der Taufe ist man zum Beispiel »Anne vom Weinberg – Prinzessin der Lüfte« und be¬kommt diese handgeschriebene Urkunde feierlich kniend auf einem Teppich überreicht – mit einem Fläschchen Sekt dazu. Alles in allem ein wunderschönes und nicht ganz billiges Erlebnis. Für 150 bis 180 Euro an Werktagen oder 180 bis 200 Euro an Wochenenden kann man nach vorheriger Anmeldung teilnehmen. Die Startplätze in unserer Nähe sind: die große Grünfläche am Ostragehege, das Königsufer in Dresden und die Elbbrücke in Meißen (Altstadtufer). Kinder kosten etwas weniger, sollten aber deutlich über 1,20 Meter groß sein, um über den Korbrand gucken zu können.

Startplatz am Ostragehege

Es gibt immer mehr Firmen, die hier Ballonfahrten anbieten: Von der »Ballon-Crew Sachsen« über »Ballonfahrten Sachsen«, »Sky Travel 24« bis zum »Sachsen Ballooning«. Das Internet gibt Aufschluss.

Wichtig ist nur die Lust, in die Lüfte zu gehen und dass man sich nicht verplappert: Wer im Zusammenhang mit Ballons von fliegen spricht, ist bei den Profis gleich unten durch. Es heißt fahren: Ballonfahren. Und wer immer noch behauptet »Nur fliegen ist schöner…« dem sage ich ganz deutlich: nein. Denn beim Fliegen (außer beim Segelflug, aber auch da, beim Start) ist ein Motor mit am Werke. Hier aber erlebt man noch ein echtes Abenteuer ohne Schutzhülle. Man weiß nicht, wo man landen wird, dazu muss man Vertrauen haben, man ist – wie auf See – in Gottes Hand.

Moritzburg aus der Luft


Oberlößnitz vom Ballon aus

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