Braucht Radebeul eine Kulturentwicklungskonzeption?

Oder: Lebhafte Leserdiskussion erwünscht!

Bei der Frage, ob Radebeul eine Kulturentwicklungskonzeption braucht, scheiden sich die Geister. Die einen winken gleich ab und meinen: Die wandert doch sowieso in die Schublade. Schließlich hatte kaum einer mitbekommen, dass ein Integriertes Stadtentwicklungskonzept (2014: INSEK 2) existiert. Doch da sind auch noch die anderen, die Interessierten, die meinen, dass so Manches nicht in die Hose gegangen wäre, wenn es eine langfristige, im öffentlichen Bewusstsein verankerte Planung gegeben hätte. Nun sollen nicht gleich am Anfang dieses Beitrages die Radebeuler Stimmungskiller Erwähnung finden, wie der bedenkliche Zustand des Bahnhofs in Radebeul-West oder die lange Liste von opulenten Gebäuden, die nach 1990 dem Abriss zum Opfer fielen. Also: Schnitt! Was weg ist, ist weg, da hilft auch kein Gejammer mehr!

Soziokulturelles Zentrum »Weißes Haus« mit Graffitifassade (Detail), 2024


Viel sinnvoller ist es doch, man geht die ganze Sache von der positiven Seite an. „Radebeul bekennt sich zur Erhaltung seiner kulturellen Vielfalt“ – zumindest wurde das bereits mehrfach und mit Nachdruck postuliert. Na, wer sagts denn, das ist doch schon ein guter Anfang!

Die Leser seien in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass das INSEK 2 in verknappter Form wichtige Aussagen, Ziele und Handlungshinweise zur Kulturentwicklung von Radebeul enthält. Das umfangreiche Kompendium mal wieder in die Hand zu nehmen, lohnt sich durchaus. Spannend ist: Was wurde im Verlaufe von zehn Jahren umgesetzt? Was wartet noch heute auf seine Realisierung? Was wurde wieder verworfen? Was kam zwischendurch an Neuem hinzu?

Straßentheater zum Internationalen Wandertheaterfestival auf dem Dorfanger Altkötzschenbroda, 2013


Einige Gedanken zur Kultur in Radebeul wurden bereits vom scheidenden Bildungs- und Kulturamtsleiter Dr. Dieter Schubert (1940–2012) im Jahr 2005 fixiert und war mit der Empfehlung verbunden, dass eine Konzeption erforderlich sei. Danach trat eine längere Pause ein. Schließlich stellte die Fraktion der Freien Wähler im März 2017 den Antrag, die Stadtverwaltung damit zu beauftragen, eine Kulturentwicklungskonzeption für die Große Kreisstadt Radebeul zu erarbeiten. Im Juni 2018 einigte man sich im BKSA (Bildungs-, Kultur- und Sozialausschuss) auf die Bildung von Facharbeitsgruppen mit konkreten namentlichen Vorschlägen. Doch nun ging es Schlag auf Schlag – aber in die falsche Richtung. Was folgte waren ein rasanter Generationswechsel, strukturelle Veränderungen, personelle Umbesetzungen sowie die alles in Frage stellende Corona-Pandemie.

Jan Dietl und Uwe Wittig vom Theater Heiterer Blick in »Nosferatu«, Aufführung in der unsanierten Mittelhalle des Bahnhofs Radebeul-Ost, 2010


Im April 2023 wurde erneut Anlauf genommen und die Fraktion der Freien Wähler erinnerte an die ausstehende Kulturkonzeption. Endlich begann man in rasantem Tempo Nägel mit Köpfen zu machen. Unter Federführung der Kulturamtsleiterin Dr. Gabriele Lorenz fanden von Oktober 2023 bis Januar 2024 im Kulturbahnhof fünf themenorientierte Kulturforen statt. Parallel wurden zu unterschiedlichen inhaltlichen Schwerpunktsetzungen Arbeitsgruppen in neuer Personenkonstellation gebildet. Der erste Entwurf stand alsbald im BKSA zu Diskussion und wurde danach mit einigen Ergänzungen zur Beschlussfassung an den Stadtrat weitergeleitet. Das Ganze erfolgte „kurz vor knapp“, denn schon wieder geht eine Legislaturperiode zu Ende. Sollte die Kulturkonzeption also zur letzten Sitzung des alten Stadtrates im Juni 2024 beschlossen werden, wäre eine wichtige Hürde genommen. Nichts ist in Stein gemeiselt und alles kann immer wieder den aktuellen Bedingungen angepasst werden.

Sich als Radebeuler Bürger mit dieser Konzeption auseinanderzusetzen, lohnt sich schon deshalb, weil sie mehr oder weniger die Lebensqualität aller betrifft und weil sie für einen langen Zeitraum, genauer gesagt bis 2030, ausgelegt ist. Der Inhalt einer solchen Konzeption ist sehr komplex. Bereits im Integrierten Stadtentwicklungskonzept wurden Themen wie Bildende, Darstellende und Angewandte Kunst, Heimat- und Traditionspflege, Erinnerungs-, Medien-, Sozio-, Jugend-, Fest- und Weinkultur berührt. Beigefügt war eine Auflistung aller kulturellen Einrichtungen wie Museen, Galerien, Theater, Bibliotheken, Ateliers, Werkstätten, temporär offene Häuser, Spezialschulen, soziokulturelle Zentren, Archive und Sammlungen sowie aller kulturorientierten Vereine, Gruppen und Initiativen. Doch seitdem hat sich vieles verändert, denn die Kulturszene ist in ständiger Bewegung.

Auftritt des Lößnitzchores vor dem Kulturbahnhof zum Vereinstag, 2023


Einen roten Faden zu finden, ist für Zugezogene sicher nicht leicht. Da sind die Neubürgerempfänge im Stammhaus der Landesbühnen doch eine sehr gute Idee. Selbst alteingesessenen Radebeulern fällt es mitunter recht schwer, das aktuelle Kulturgeschehen in der Lößnitzstadt zu überschauen. Wenn boshafte Menschen behaupten, dass Radebeul eine Schlafstadt sei, entspricht das nicht der Realität. Die Fülle der Kultur- und Freizeitangebote ist erstaunlich. Doch das alles wäre nicht möglich ohne jene engagierten Vereine und Bürger, die Radebeul das ganze Jahr über als Stadt voller kreativer Energie und Lebensfreude zeigen.

„Kultur muss man sich leisten können“, ist wohl einer der blödesten Sprüche, der einem immer wieder zu Ohren kommt. Dabei ist das Bedürfnis nach Geselligkeit, kultureller Selbstbetätigung und Bildung im weitesten Sinne doch keine anmaßende Erfindung der Gegenwart. Bereits 1842 wurde in der Niederlößnitzer Schule die erste Jugend- und Gemeindebibliothek eingerichtet. Im Jahr 1844 gründeten in Kötzschenbroda 21 sangesfreudige Gewerbetreibende den Männergesangverein „Liederkranz“. Über das Auf und Ab des stark ausgeprägten Vereinslebens in den Lößnitzortschaften zu schreiben, wäre ein spannendes Kapitel für sich.

Radebeuler Grafikmarkt in der Elbsporthalle, im Vordergrund Universalkünstler Frank-Ole Haake, 2016


Das Bekenntnis von Politik und Verwaltung zum Erhalt der kulturellen Vielfalt ist nicht nur ein Bekenntnis zu den städtischen, sondern vor allem auch zu den nichtstädtischen Kultureinrichtungen wie den Landesbühnen Sachsen, dem Karl-May-Museum, dem Sächsischen Weinbaumuseum Hoflößnitz, der Musikschule und der Traditionsbahn, welchen durch die Dynamisierung der jährlichen Zuschüsse eine sichere Basis geboten wird. Sowohl für die großen Einrichtungen als auch die vielen kleinen Initiativen gilt es, belastbarer Rahmenbedingungen zu schaffen, damit Kultur stattfinden kann und die Akteure eine sinnvolle Unterstützung erfahren. Eine Sonderstellung nimmt Radebeul mit seinen über 60 ortsansässigen Bildenden Künstlern ein. Hinzu kommen zahlreiche freischaffende Einzelkünstler und Künstlergruppen verschiedenster Sparten. Dieser Tatsache sollte auch die Kulturentwicklungskonzeption Rechnung tragen. Mit Unterstützung ist nicht nur die Ausreichung von Fördermitteln gemeint, sondern auch eine zielgerichtete Koordination, Vernetzung und Terminabstimmung. Ebenso wäre eine zentrale Plattform zur Vermittlung von Wohn-, Arbeits-, Ausstellungs- und Veranstaltungsräumen sehr hilfreich.

Allerdings findet Kultur nicht im luftleeren Raum statt. Die Bevölkerungsentwicklung, das Freizeitverhalten und das Fortschreiten der Digitalisierung spielen keine unwesentliche Rolle. Auch die stimulierende Wirkung einer sozial, kulturell und politisch offenen Atmosphäre ist nicht zu unterschätzen. Vieles war nach 1989 möglich. Neue Veranstaltungsreihen wurden in städtischer Regie etabliert wie das Herbst- und Weinfest (1991), die Karl-May-Festtage (1992) und das Wandertheaterfestival (1996). Bereits vor 1990 eingeführte Veranstaltungsreihen wie der Grafikmarkt (1979) und die Kasperiade (1987) wurden ab 1990 bzw. ab 2004 in städtische Regie übernommen. Allerdings war das u. a. auch der Fantasie, Weitsicht und Überzeugungskraft einzelner leidenschaftlicher Kulturakteure zu verdanken. Überlegungen diese kulturellen Großveranstaltungen zu privatisieren oder an Vereine zu übertragen, wurden verworfen. Das Bekenntnis zum Erhalt der kulturellen Vielfalt war über all die Jahre nicht nur ein Lippenbekenntnis. Die Frage, weshalb sich Radebeul ein Kulturamt „leistet“, beantwortet sich eigentlich von selbst.

In der gegenwärtigen kulturellen Praxis wird der öffentliche Stadtraum viel stärker in die Veranstaltungsplanung einbezogen. Neben der traditionellen Festwiese in Radebeul-West sind nun die Kultur-Terrassen in Radebeul-Ost ein häufig genutzter Veranstaltungsort, so wie auch die innerstädtischen Zentrumsbereiche und die Dorfkerne der Ursprungsgemeinden. Neue Open-Air-Veranstaltungsreihen wie „WeinbergKulTour“, „Fête de la Musique“ und „Kunst geht in Gärten“ konnten sich erfolgreich behaupten.

Radebeul schillert viel zu lebendig, als dass es sich in ein Schema pressen ließe. Bezeichnungen wie „Karl-May-Stadt“ oder „Wein- und Gartenstadt“ greifen hier zu kurz. Überregional bekannte Persönlichkeiten wurden nach 1990 wiederentdeckt. Das Wirken des Generalmusikdirektors Ernst Edler von Schuch, des Naturheilkundlers Friedrich Eduard Bilz, der Zirkusfamilie Sarrasani und der Baumeisterfamilie Ziller wird nach und nach aufgearbeitet und öffentlichkeitswirksam herausgestellt. Auch reift die Erkenntnis, das Radebeul nicht nur zu den nördlichsten Weinanbaugebieten gehört, sondern auch ein bedeutender Industriestandort war und ist.

Während die kulturelle Szene in Radebeul erfreulich pulsiert, schreitet der Verfall des historischen Bahnhofsgebäudes in Radebeul-West unerbittlich voran. Und schon bald werden mehr oder weniger melodische Klänge aus der gegenüberliegenden Musikschule den Prozess des Vergehens begleiten. Die Natur holt sich beharrlich den einstigen Bürgerstolz zurück. Dass für die Große Kreisstadt Radebeul nun endlich eine Kulturentwicklungskonzeption auf den Weg gebracht wurde, kommt für den Bahnhof vermutlich zu spät. Ob die Konzeption in einer Schublade verstaubt, liegt auch an jedem von uns selbst. Die stattgefundenen Kulturforen jedenfalls sollten auf mehrfach geäußertem Wunsch unbedingt eine Fortsetzung erfahren.

Karin (Gerhardt) Baum

100 Jahre Museum Hoflößnitz, Teil 6

»Auf, in’s Paradies, nach Oberlößnitz!« Mit dieser Aufforderung schließt der Text eines im Juli 1924 von der örtlichen Kurverwaltung herausgegebenen Faltblattes, das die Attraktionen und Annehmlichkeiten der damals rund 2100 Einwohner zählenden Gemeinde Oberlößnitz und ihrer Umgebung preist. Jüngste Errungenschaft des »sächsischen Nizza« war das wenige Wochen vorher, am Pfingstsonntag, den 8. Juni 1924 eröffnete »Heimathaus Hoflößnitz«, dessen bildliche Darstellung auch die Titelseite des Blättchens zierte. Erstmals hatte die Öffentlichkeit nun die Möglichkeit, die Schätze, die das Lust- und Berghaus in seinem Inneren barg, zu großzügig bemessenen Öffnungszeiten gegen ein kleines Eintrittsgeld in Augenschein zu nehmen. Und so ist es, abgesehen von einigen kriegs- und restaurierungsbedingten Schließzeiten, bis heute geblieben. Die ›Dresdner Nachrichten‹ brachten am 10.06.1924 folgendes über

Die Einweihungsfeier des Heimathauses Hoflößnitz

»Die alte historische ›Hoflößnitz‹, das durch die Weinlesefeste Augusts des Starken bekannt gewordene, zwischen freundliche Rebenhügel unterhalb des ›Spitzhauses‹ idyllisch eingebettete Winzerhaus der Oberlößnitz, hat zu Pfingsten, nachdem es sich jahrelang in Privatbesitz befunden hatte und als heimatliches Kleinod immer mehr vergessen wurde, endlich eine der heutigen Zeit entsprechendere, gemeinnützige Verwendung gefunden. Die Räume des Dachgeschosses dienen jetzt der wanderlustigen Jugend als willkommene Herberge, während die wundervollen, intimen Zimmer des ersten Stockwerkes und des Erdgeschosses, die einst zur Zeit der königlichen Winzerfeste großartige Feierlichkeiten sahen und, wenn sie reden könnten, gar vieles erzählen möchten von gepuderten Perücken und Reifröcken, von Grazie, Galanterie und diskretem Liebesgeflüster — ein durchaus sehenswertes Heimatmuseum geworden sind.

Museumsvorstand Dr. Alfred Tischer spricht zur Eröffnung des »Heimathauses Hoflößnitz« am 8. Juni 1924, Verlag Adam


Um 8 Uhr früh am ersten Pfingstfeiertag versammelten sich die Freunde und Gönner des Unternehmens, um in schlichter Eröffnungsfeier die ›Bleibe‹ des Heimathauses festlich zu weihen. Bürgermeister [Bruno] Hörning übergab die Herberge dem Ortsausschuß für Jugendpflege, Oberlehrer [Paul] Hösel, der seinerseits mit dem Ausdrucke des Dankes eine kurze Skizzierung der Geschichte der Herberge verband und letztere der Jugend zu fleißiger Benützung zur Verfügung stellte. Im Namen des Zweigausschusses Sachsen der Deutschen Jugendherbergen sprach Oberlehrer Richter (Dresden). Er ermahnte die Jugend besonders, das Schatzkästchen dieser einzigartigen Herberge pfleglich zu wahren und immer mit Ehrfurcht der großen Zeiten zu gedenken, die dieses Haus gesehen habe. […]

Um halb 10 Uhr hatten sich dann zu den bereits anwesenden Vertretern der Behörden noch zahlreiche Ehrengäste und ein großes, festlich gekleidetes Pfingstpublikum gesellt, so daß die nun folgende Einweihung des Heimatmuseums einen überaus würdigen, hochfeierlichen Verlauf nahm. Bei köstlichem Pfingstwetter und strahlendem, tiefblauen Himmel umstand die Versammlung, nachdem die Kurkapelle unter Musikdirektor Wagner mehrere klassische Konzertstücke meisterhaft zu Gehör gebracht hatte, die alte, historisch wertvolle Weinpresse, auf deren verwitterten Umfassungsbalken der Festredner des Tages, Dr. [Alfred] Tischer, der unermüdliche Leiter und Förderer des Heimatmuseums, Platz genommen hatte, um in zündender Ansprache einen historischen Rückblick über die ›Hoflößnitz‹ zu geben, Zweck und Ziel des Museums darzulegen und die nicht eben zahlreichen, darum aber kunsthistorisch und heimatkundlich um so wertvolleren Schätze der Sammlung ins gebührende Licht zu stellen. Nach ihm sprach Bürgermeister Hörning, dem es in zäher, jahrzehntelanger Ausdauer endlich gelungen war, das Heimathaus für die Gemeinde zu erwerben. Die Grüße der Behörde überbrachte Amtshauptmann [von Dresden-Neustadt, Dr. Rudolf] de Guehery, im Namen der Brudergemeinde Radebeul sprach Bürgermeister [Robert] Werner. Anschließend erfolgte unter Führung von Dr. Tischer ein Rundgang durch die interessanten Räume mit ihren köstlichen Holzmalereien an den Wänden und Decken, mit den sehr wertvollen Öfen aus Meißner Porzellan [beim Material irrte der Berichterstatter gewaltig, F. A.], der geologischen Sammlung, dem ›Guckkasten‹, und vielen anderen historischen Gegenständen. Es würde hier zu weit führen, auf die vielen Anregungen, die dieses altersgraue Haus dem Sachsen bietet, näher einzugehen — darum, o Wanderer, alt und jung, geh’ hin und sieh’ und lerne alldort glühende Heimatliebe!«

Dem ist kaum etwas hinzuzufügen, außer vielleicht, dass die zu Pfingsten 2024 eröffnete große Jubiläumsausstellung »Paradies« mit Arbeiten der Radebeuler Künstlerin Irene Wieland und Leihgaben aus den Senckenberg Naturhistorischen Sammlungen Dresden auch für intime Kenner der Hoflößnitz spannende neue Eindrücke bereithält. Also: Auf ins Paradies! (Fortsetzung folgt.)

Frank Andert

Editorial 6-24

Liebe Leserinnen und Leser,

in den reichen Radebeuler Festtagsreigen von 2024 reiht sich mit vorliegender Ausgabe – nicht ohne Stolz – unsere „Vorschau“ ein.

Nein, nicht 100 Jahre haben wir zu bieten, aber exakt vor 70 Jahren, im Juni 1954, erschien mitten im Jahr das erste Heft! Trotz ihres großen Erfolges und mehrfachen Auszeichnungen (1960-62 bester Kulturspiegel des Bezirks Dresden), wurde das Blatt wegen wiederholt kritischer Beiträge Ende 1963 eingestellt.

In den Umbruchszeiten von 1989 machte sich insbesondere der einst junge Redakteur Dieter Malschewski um die Neubelebung des traditionsreichen Heftes maßgeblich verdient.

Bereits im Mai 1990 erschien dann die erste Ausgabe von „Vorschau & Rückblick“ und erfreut sich mit unablässiger Kontinuität bis Heute von größter Beliebtheit.

Die Bedeutsamkeit in der Radebeuler und umliegenden Medien- und Kulturlandschaft wurde und wird uns in Wort und Schrift zahlreich bezeugt.

Bleiben Sie uns gewogen!

Sascha Graedtke

Mit Stephan Krawczyk poetisch durch das Jahr

Zum Titelbild Mai

Das Wunderbare am Wunder ist, daß es geschieht, selbstverständlich, wie nebenher und fast unbemerkt. In schöner Ruhe fließt wie eh und je die Elbe im Tal, der jenseitige Hang liegt im Schatten einer langsam untergehenden Sonne. Im Vordergrund aber geschieht es, alles an Größe überragend, das alljährlich wiederkehrende Wunder: Frisches Grün im Arm und „des Frühlings blaues Band“ ausgelassen schwenkend, tanzen Silen und Nymphe den Tanz des Aufbruchs. So feiern sie den „Wonnemond“.
Michael Hofmanns Holzschnitt „Mai“ ist getragen von der Erleichterung darüber, daß es gegen alles Erwarten doch immer wieder grün wird im Lande. Die Erleichterung wird erhöht durch die Hoffnung: Als das Messer ins Holz griff, hatte eine Schneeschicht noch die froststarre Elbaue überzuckert. Seiner optimistischen Grundhaltung gemäß hat es der Künstler dennoch verstanden, aus Hoffnung und Erleichterung Zuversicht und Jubel werden zu lassen. Die einfachen Formen des Holzschnitts kommen ihm da ein weiteres Mal entgegen.
Im asiatischen, speziell japanischen Raum, hatte der Holzschnitt von Anfang an eine ganz eigene Entwicklung genommen. Bei den Weltausstellungen in Paris und London in der zweiten Hälfte des 19. Jhs. kam die europäische Kunstszene damit gelegentlich in Berührung. Begeistert haben Paul Gauguin und nach ihm vor allem die Maler des Expressionismus die für sie neuen Anregungen – hier vor allem den Umgang mit Konturen, Flächen und Farben – aufgenommen und verarbeitet. Es ist die besondere Kunst des Holzschneiders, auch im Schwarz-Weiß-Druck die Illusion von Farbe entstehen lassen zu können.
Thomas Gerlach

Radebeuler Miniaturen

Phoinix
Ein Märchen aus der Zeit, als Wünschen noch half

In leuchtendem Purpur verabschiedet sich die Sonne am Horizont. Mit ihr geht der April.
In der Feuerschale züngeln Flammen auf. Sorgsam und gezielt legt er kleine Ästchen nach bis ein Glutbett entsteht. Dann wird er mutiger, wirft mehr Nahrung ins Feuer, bläst auch mal hinein und wie es richtig prasselt, lächelt er zufrieden: Sieh her, sagt er, es raucht fast gar nicht.
Naja, fast, lacht sie zurück. Dann greift sie Teig aus der großen Schüssel, formt Würste draus und wickelt sie um bereitstehende Haselgerten: Knüppelkuchen gefällig? ruft sie in die Runde. Schon recken sich Hände in die Höhe: ich … ich … Er aber sagt, laß mal, ich hab noch meine Hühnerbeine.
Auch du, gibt sie weiterlachend zurück, immer noch fleischeslustig, was?! Na, mal sehn …
Wie alle gesättigt sind, nur er nagt noch an seinen Knochen, die er einen nach dem anderen ins Feuer wirft, beginnt das Erzählen.
Das Sonnenuntergangsleuchten, sagt sie, erinnerte mich an die uralte Geschichte vom Phoinix aus der Asche:
Irgendwo fern im Osten geboren, weit hinter Indien, wenn da noch „Osten“ ist, hatte der Vogel nach langem Flug in Ägypten eine Heimat gefunden. Heliopolis, Wohnstatt des Sonnengottes, wurde seine Stadt. Hier baute er aus Myrtenzweigen sein Nest. Er hatte sie von Syriens Küste mitgebracht. Eine Zeit lang gab er sogar dem Küstenstreifen seinen Namen: Phönikien, Land des Purpur.
Starke Bilder weiß sie zu malen mit ihren Worten. Vom Flug übers Meer berichtet sie, vom Nestbau auf den Zinnen des Palastes, vom Feuer der untergehenden Sonne, das ihn ergreift und verzehrt mit der Glut seines Herzens. Und von dem goldenen Ei spricht sie, aus dem er selbst wiederersteht. Zu neuem Leben geboren erhebt er sich zum Flug der aufgehenden Sonne entgegen. Nach einem halben Jahrtausend erst kehr er zurück …
Überm Erzählen, überm Lauschen ist Nacht geworden.
Wie ein großes rotes Ei liegt noch ein Glutnest in der Schale.
Geht mal schon, sagt sie, ich hüte noch den Funkenflug. Die Gesellschaft zerstreut sich. Nur einer bleibt zurück.
Ich leiste dir noch etwas Gesellschaft – darf ich?
Miteinander schweigend sehen sie die Glut verlöschen.
Nach kurzer Nacht, noch ist Stille, tritt er auf den Balkon.
Von Osten her naht der neue Tag. Über der Terrasse steigt ein schwarzer Schatten auf. Asche wirbelt auf. Lautlos fliegt ein großer Vogel ins Morgenrot hinein.
Unbemerkt ist sie neben ihn getreten. Sie greift seinen Arm, lehnt die Stirn an seine Schulter: Hast du gesehen?!
Phoinix aus der Asche …
Ganz so schnell wird’s bei uns nicht gehen …
Später wird er verstohlen und unter dem Vorwand, aufräumen zu wollen, die Asche in der Feuerschale nach Knochen durchsuchen – er wird keine finden …
Thomas Gerlach

Eine Glosse

Der Stecker

Kurz vor Weihnachten letzten Jahres widerfuhr mir eine Geschichte, die mir heute noch, wenn ich nur daran denke, die kalten Schauer den Rücken herunterlaufen lässt. Deshalb entschloss ich mich, sie nicht für mich zu behalten:
Gelassen saß ich an meinem Rechner und tat, was ich alltäglich tue: Texte verfassen, korrigieren, Nachrichten versenden, Layouts erstellen, im Netz recherchieren. Dabei ging mir so mancher Gedanke durch den Kopf, der mit dem eigentlichen Tun nichts gemein hatte: „Was, wenn jetzt einer den berühmten Stecker zieht?! Es muss ja nicht gleich der ganz große Stecker sein, der uns zurück in die Höhle jagt. Es reicht schon, wenn es der Stecker von Kerstin, Martin, meiner „Gudsden“ oder mein eigner ist. Genau in diesem Augenblick klingelte das Telefon und Eddi ruft aufgeregt die Hiobs-Botschaft: „Martin kommt nicht ins Internet! Auch das Handy ist tot!“
Die Nachricht löste bei mir Katastrophen-Stimmung aus. Hektisch suchte ich nach Lösungen. Die Gedanken überschlugen sich: „Mit einem Stick ,beladen‘, ins Auto springen und damit zu Martin fahren!“ Das würde mir, aber nicht Kerstin helfen! Wie kommen dann die Daten von Martin zu Kerstin?! Die wohnt doch nicht um die Ecke! Außerdem ist die gerade auf einem Kurztrip in Melbourne. Das ganze Folgegeschehen würde einstürzen wie ein Kartenhaus! Das Unternehmen müsste abgesagt, im günstigsten Falle verschoben werden. Monate lange Arbeit für die Katz, womöglich für immer verloren! Das überlebe ich nicht!
Eine halbe Stunde später, der erlösende Anruf: „Alles gut, bin wieder drin.“ Urplötzlich fällt die Spannung von einem. Noch mal gut gegangen! Nicht auszudenken, was alles hätte passieren können…! Erschöpft sinke ich auf den Stuhl zurück. Die Verkrampfungen lösen sich langsam. Man spürt es körperlich, wie sich die Muskeln entspannen, der Druck von der Brust weicht, das Hirn zur Ruhe kommt. Für einen kurzen Moment breitet sich gar eine Leere aus, die gleich danach von einer gewissen Heiterkeit abgelöst wird, die freilich auch ein wenig gequält klingt, denn alle Zweifel sind noch nicht beseitigt. „Stimmt die Nachricht wirklich?! Was ist, wenn die Verbindung wieder zusammenbricht?!“
Ganz gelassen werde ich nach diesem Vorfall nie mehr an die Arbeit gehen können. Diese eigentlich undenkbare Erfahrung wird künftig immer mitschwingen. Fahrigkeit stellt sich vermutlich ein, Nervosität. Die Neurose wird von mir Besitz ergreifen und ich sehe voraus, wie ein Widerwille gegenüber dem Gerät in mir aufsteigt, der schließlich meine ganze Entschlusskraft blockiert. Arbeitsunfähigkeit werden die Ärzte diagnostizieren – die Ärzte! Ich kann es einfach nicht glauben, dass der kleine, verfluchte Stecker mein bisheriges Leben so total verändert haben soll. Wo ich doch tagein tagaus aus so fröhlich, so gelöst, mich vor diesen schwarzen, unschuldigen Kasten gesetzt habe und mich erst gegen 22 Uhr müden Auges, aber hoch befriedigt, für eine kurze Nachtpause von ihm trennte. Ich werde von Pontius bis Beladest rennen und die immer wiederholte Diagnose nicht akzeptieren wollen. Es kann nicht wahr sein, das passt einfach nicht in mein mühsam zurechtgebasteltes Lebenschema! Man muss doch immer dran sein am Zeitgeist und an der modernen Technik: instagram, whatsapp, TikTok, gegendert und inklusiv! „Welche Weihnachtskugeln müssen dieses Jahr an den Baum?“ „Nein, nicht die roten, die waren doch schon vor zwei Jahren out! Wart mal, ich guck schnell ins Handy!“ „Wenn du es nicht mehr in den zehn Minuten bis Ladenschluss schaffst, kannst du die Kugeln doch im Internet be… Mist, der Stecker!“
Sofort sprang ich auf, rannte zum PC, drückte den silbernen Knopf und wartete ungeduldig, dass die Maschine anläuft. Alles dauerte unendlich lange. Zögerlich leuchteten die Lämpchen auf, der Bildschirm verströmte sein bläuliches Licht und tat ganz unschuldig, der Cursor huschte wie sonst über die Fläche. Ich rief eine x-beliebige Datei auf, drückte auf „Google Chrome“, aktivierte „Outlook“ – alles funktionierte! – Vielleicht sollte man doch mitunter mal eine Pause einlegen, meint

Euer Motzi

Schreibwerkstatt

Wenn das Leben aus den Fugen gerät – Die außergewöhnliche Geschichte einer starken Mutter

Heute soll es einmal nicht um unseren Alltag, die Arbeit oder diverse Entspannungsmethoden gehen. Heute möchten wir über das Abtauchen in andere Welten berichten. Und das Verschwinden von Kindern – und das beides als Kombination in der realen Welt.
Was diese beiden Themen nun im Detail miteinander verbindet, mag sich nicht sofort erschließen, wird sich nach unserem Interview mit Anna, einer betroffenen Mutter, aber klären.
Sie hat mit uns über das eingangs erwähnte Thema gesprochen und engagiert sich inzwischen auch anderweitig in der Öffentlichkeit, um andere Eltern darauf aufmerksam zu machen.
Sie erzählt uns von Angst und Verunsicherung, aber auch von zuversichtlichen Momenten.
„Zuerst war das alles vollkommen surreal“, erinnert sich Anna. „Ich wollte und konnte nicht begreifen, dass meine Tochter eines Tages nicht mehr nach Hause kam. Mein erster Gedanke war natürlich, dass sie bei ihrem besten Freund zum Spielen war und vielleicht spontan übernachten wollte. Das ist ja schon öfters vorgekommen, aber als ich seine Mutter anrief, meinte sie, dass ihr Sohn alleine wäre und er schon gefragt hätte, ob es Luca, also meiner Tochter, gut ginge. Offensichtlich war sie auch nicht in der Schule gewesen. Ab da machte sich in mir mehr und mehr Panik breit.“
Trotzdem macht Anna während des gesamten Interviews einen sehr gefassten Eindruck, obwohl es sich hierbei um ein augenscheinlich sehr belastendes Thema handelt. Wie ihr dies gelingt, eröffnet sich im weiteren Verlauf unseres Gesprächs.
Nach der ersten verstrichenen Woche von Lucas Verschwinden habe sie dann die gesamte Wohnung auf den Kopf gestellt, um jeden brauchbaren Hinweis zu finden.
Tatsächlich sei sie nach langer Sucherei fündig geworden. Im Zimmer ihrer Tochter sei sie auf Unmengen verbotener Fantasy-Literatur gestoßen, erzählt uns Anna weiter. 1

Nachdem sie die beschriebenen Bücher sorgfältig untersucht habe, seien ihr in einem von ihnen Bilder eines Kindes aufgefallen, das eine verblüffend große Ähnlichkeit mit ihrer Tochter aufwies. Beim zweiten Blick auf die Zeichnungen sei sie sich dann absolut sicher gewesen, dass es sich um Luca handele.
„Ich rief also sofort den Beobachtungs- und Überwachungsdienst (kurz: BÜD), weil ich endlich eine verwertbare Spur hatte, mit der ich nun auf Unterstützung des Staates bei meiner Suche hoffte.“ 2

Das betroffene Buch sei daraufhin beschlagnahmt worden.
Eine genauere Untersuchung ergab schockierende Ergebnisse: Bei dem mithilfe von Testpersonen untersuchten Buch handele es sich um eine äußerst seltene und gefährliche Anomalie, heißt es im zugehörigen Gutachten, das wir auf Anfrage beim BÜD erhalten.
Für das Experiment sollten 5 Personen das Buch lesen. Nach dem Lesen des 27. Kapitels waren jedoch alle 5 Versuchspersonen unauffindbar.
Auf den Bildern der Überwachungskamera spielte sich währenddessen eine grausige Szene ab. Sie zeigte, wie das anormale Objekt die Betroffenen regelrecht in sich hineinsaugte und auffraß. Danach fanden sich neue Abbildungen derer im Buch wieder.
Man sei sich sicher, dass das Objekt ähnlich einem Portal funktioniere und sich die verschwundenen Personen in einer Art Parallelwelt befänden. Wie nun jedoch das Zurückholen der Menschen vonstattengehen solle, sei noch nicht hinreichend erforscht. Man sei aber zuversichtlich, das angesprochene Problem in absehbarer Zeit beheben zu können, so das Gutachten weiter.

Bis dahin heißt es für Anna: abwarten. Doch sie zeigt sich recht zuversichtlich, was besonders aus folgenden Worten hervorgeht:
„Ich weiß, dass Luca noch am Leben ist und nachdem, was ich bisher gehört habe, freue ich mich schon sehr darauf, sie in ein paar Wochen oder Monaten wieder in die Arme schließen zu können. Ich dachte, ich würde meine Tochter nie wiedersehen.“
Nach diesen Worten bleibt uns nichts anderes übrig, als auf ein baldiges Wiedersehen von Mutter und Tochter zu hoffen.
Bevor wir jedoch mit diesem Artikel schließen können, möchte Anna noch einmal an alle Eltern appellieren:
„Ich rate Ihnen wirklich dringend, Ihre Kinder bezüglich Literatur strengstens zu kontrollieren. Mir war auch nicht bewusst, wie gefährlich so etwas sein kann, bis Luca verschwunden ist. Mein Tipp: Beobachten Sie immer das Verhalten Ihres Kindes. Wenn es etwas zu verbergen hat, verhalten sich die meisten Kinder ein wenig auffällig. Bei Luca habe ich nicht sonderlich genau darauf geachtet, obwohl sie sich schon sehr verdächtig verhielt. An meinem Beispiel sieht man deutlich, was das für fatale Auswirkungen haben kann.“

Luise Schellenberger – Klasse 11
Lößnitzgymnasium Radebeul

HAUS BREITIG – Maxim-Gorki-Straße 22 (Teil 1)

Breitig mit Pferden, Radierung von Johannes Thaut, 1979, Foto: Fam. Thaut

Einmal über dieses schöne Winzer- und Herrenhaus in der Vorschau zu schreiben, hatte ich schon lange vor. Es liegt mir nahe, das zu tun, nur, es war wohl immer ein anderes Thema scheinbar gerade wichtiger. Auf das Haus und viele andere interessante Radebeuler Häuser hatte mich schon der Lehrer Horst Olschock in der Oberlößnitzer Schule, bzw. in der AG Heimatpflege um 1954 aufmerksam gemacht. Seitdem hatte ich das Haus mit Unterbrechungen immer mal wieder im Blick gehabt.
Räumliche Einordnung des Haus Breitig:

Beginn des Rückbaus und Materiallager, 1983, Foto: Fam. Jäger

Richtfest am 17. 8. 1984 mit Zimmerleuten und dem Bauherren-Ehepaar Jäger (links), Foto: Fam. Jäger

Es liegt im östlichen Teil Radebeuls, in Oberlößnitz, einem Teil der bis etwa 1600 zur Jungen Heide gehörte und bezogen auf die anderen Radebeuler Gemeinden erst sehr spät besiedelt wurde. Ein Vorgängerbau ist an dieser Stelle eher nicht zu vermuten. Das Jahr der Errichtung 1650 klingt etwas zu glatt, taucht aber in den schriftlichen Quellen auf. Eine Errichtung ein paar Jahre früher, hieße, dass der Bau während des Dreißigjährigen Krieges erfolgt sein müsste, was ich mir nicht vorstellen kann. Dr. Jäger hatte 2001 drei Holzproben vom Haus Breitig über das LAfD zur dendrochronologischen Untersuchung gegeben – die Ergebnisse mit Fälldaten von 1596, 1636 und 1654 lassen sich schwer zuordnen, die ersten beiden Jahre sprächen doch für einen eventuellen Vorgängerbau oder für am Breitig 1650 zweitverwendete Hölzer von einer anderen Adresse. Das Winzerhaus mit zweigeschossigem Fachwerk war der Niederen Berggasse (einem Feldweg), später Untere Bergstraße (einschl. Nizzastraße), dann Russenstraße (bezogen auf die ehem. Gaststätte) und ist heute der Maxim-Gorki-Straße zugeordnet. Früher bildeten die Winzerhäuser „Zum Russen“ (Hauptstraße 47), Haus Breitig (M.-Gorki-Str. 22), Lindenhof (M.-Gorki-Str. 18) und Haus Thieme (Nizzastr. 69) ein lockeres städtebauliches Ensemble inmitten von Weinbergen. Heute ist durch die Verdichtung der Bebauung seit dem letzten Viertel des 19. Jh. dieser Zusammenhang kaum noch erkennbar. Zum Haus Breitig gehörten durch Zu- und Verkauf seit dem 17. Jh. unterschiedlich große Weinberge, auf jeden Fall aber der Flurstreifen nördlich des Hauses im flach geneigten Gelände und auch im Steilhang. Das heutige Grundstück ist mit den Flurstücksnummern 46 und 461 der Gemarkung Oberlößnitz ausgewiesen. Der Name Haus Breitig bezieht sich auf die Familie Breitig, die das Anwesen von 1897 bis 1952 besaß. Es wurde im Volk als der „Russenbreitig“ zum Unterschied zum „Eckenbreitig“ (an der A.- Bebel-Str., Ecke Waldstr., abgerissen Mitte der 80er Jahre), genannt. Russenbreitig als im Volk verbreiteter Name, meint die Nähe von Haus Breitig zur ehem. Gaststätte „Zum Russen“, Hauptstr. 47.

Gestalt und Konstruktion des Haus Breitig:
Es ist der Grundtyp eines Winzerhauses der Lößnitz, mit 9 x 14m im Grundriss aber etwas größer als die meisten anderen Winzerhäuser. Nach Haus Hoflößnitz ist es das stattlichste Winzerhaus in Radebeul. Die Besonderheit dieses Hauses darf man im zweigeschossigen Fachwerk und im 6,70m hohen Dachstuhl des Walmdaches sehen. Die frühere Gründung der Außenwände bestand nur aus horizontal verlegten Eichenholzbalken, die über die lange Zeit verschlissen waren – seit 1985 besteht nun die Gründung aus zwei Lagen Sandsteinquadern auf allen vier Seiten. Im mittelsächsischen Raum sind Verzierungen im Fachwerk wie z.B. in Harzstädten nicht üblich, so dass es nur durch den Rhythmus des konstruktiven Fachwerks auf den Betrachter wirkt. Die Eckstiele waren und sind auch wieder Eichenhölzer, das übrige Fachwerk besteht aus Nadelhölzern. Die Fachwerkhölzer wurden z.T. erneuert, während der Dachstuhl insgesamt aus neuen Hölzern besteht. Wolfram Jäger hatte hierfür den Meißner Zimmererbetrieb Roik gewinnen können. Die Hölzer wurden dunkelbraun gestrichen und bilden einen starken Kontrast zu den fast weißen Gefachen. Bei der Rekonstruktion durch Dr. Jäger ab 1984 wurden Fenster und Türen innerhalb des Fachwerks z.T. variiert – die Wohnräume bekamen so etwas mehr Helligkeit. Innere Ausschmückungen des Hauses sind nicht bekannt, bzw. in der Zeit des Gebäudeverfalls möglicherweise verlorengegangen. Reste einer älteren Farbfassung sind in einem Raum inselartig zu erkennen. Ein Anbau auf der Westseite (aus dem 18. Jh.), unter Bezug auf die Bergmannssprache scherzhaft als „Arschleder“ bezeichnet, konnte in Abstimmung mit den Behörden abgebaut werden, sodass das Haus wieder die Form von 1650 erhielt. Es hat damit die Idealform eines Winzerhauses zurückbekommen. Auf der Nordseite des Hauses zeichneten sich Spuren einer älteren Außenerschließung des OG durch Treppe und oberen Laubengang ab. Diese Lösung wurde aber bei der Rekonstruktion nicht zum Ziel gestellt, heute besteht eine Innentreppe. Viele Arbeiten konnte der Bauherr Dr. Wolfram Jäger, gelernter Zimmermann, Bauingenieur und Statiker selbst erledigen. Er hatte aber über die Zeit (der Bau war dann 1990 fertig) auch einige Helfer aus der Familie, von Freunden und Kollegen, darunter das damalige Aktiv für Denkmalpflege mit Dr. Meyer-Doberenz als Leiter.
Das mit roten Biberschwanzziegeln gedeckte Dach war ursprünglich (17. Jh.) mit kleinen Schleppgaupen versehen, wovon aber nur zwei auf der Westseite überkommen waren. Auf den übrigen Seiten bestanden seit der Barockzeit z.T. zweireihige Fledermausgaupen. Die hatten auch ihren Reiz, aber der Bauherr wollte sich auch hier auf den Ursprungsbau (Skizze in der Nienborg-Karte) von 1650 beziehen. So bekam Haus Breitig durch Genehmigung jetzt einheitlich Schleppgaupen. Das Winzerhaus besitzt zwei Weinkeller, einer auf der Westseite (von außen ist ein Stück Kellerhals zu erkennen), der zweite unter dem vermuteten Pressraum gelegene Keller ist durch eine Innentreppe erschlossen. Im 19. Jh. gehörten noch zwei Nebengebäude zum Grundstück, wovon das eine mit einem Streifen Land abgetrennt und verkauft worden war – heute M.-Gorki-Str. 24. Das andere alte Nebengebäude wird jetzt als Garage und Werkstatt von Familie Jäger genutzt.
Einen Vergleich mit dem Trobischgut Baumwiese (vergl. V&R 06/22) braucht unser Haus nicht zu scheuen – beide zwei sehr stattliche Winzerhäuser. Wenn man das Haus Breitig mit etwas Fantasie betrachtet, möchte man auch fast an einen Doppelgänger von Goethes Gartenhaus in Weimar denken, es sind ähnliche Proportionen!

Dietrich Lohse

MUSIK FESTIVAL RADEBEUL 2024

Musikalisches Sommerfeuerwerk in Radebeul geht in die dritte Runde

Das Musikfestival rund um den Radebeuler Geiger Albrecht Menzel lädt in diesem Sommer vom 25.8. bis 8.9.2024 mit fünf Konzerten an historische und ungewöhnliche Spielstätten ein.
Ende August versammelt der Geiger und künstlerische Leiter Albrecht Menzel mit seiner wunderbaren Stradivari Violine und Preisträger zahlreicher internationaler Wettbewerbe, wie dem berühmten Premio Paganini in Italien, wieder junge internationale Künstler wie den Klaviervirtuosen Joseph Moog, den Geiger Sascha Maisky zum gemeinsamen Musizieren in seiner Heimatstadt und auch den internationalen Geigenexperten Rainer Cocron des Auktionshauses Ingles & Hayday. Das junge Festival lädt mit seiner dritten Ausgabe in sommerlich-festlicher Atmosphäre mit einem abwechslungsreichen Musikprogramm, Lesung und Vorträgen herzlich ein.

Eröffnungskonzert in der beliebten Maschinenhalle des ehemaligen VEB Zerma Radebeul
Eröffnet wird das Festival am Sonntag, 25.8. um 16 Uhr in der Zerma-Halle, dem Industriedenkmal und heutigen Matthes Technik Center (Meißner Str. 17/ Straßenbahnhaltestelle Forststraße) mit einem charmanten Konzert. In rustikalem Ambiente erklingt Schuberts berühmtes Forellenquintett, Rachmaninovs Klaviertrio Nr. 1 und Bottesinis Fantasie für Kontrabaß, Violoncello und Klavier, einem humorvoll-virtuosen Zwiegespräch zwischen den beiden großen Baßinstrumenten begleitet von der jungen Pianistin Elisabeth Brauß.

Selten Gehörtes in der Friedenskirche
Nach dem großen Erfolg des Konzertes mit selten gehörten Werken in der Friedenskirche im vergangenen Jahr und dem Wunsch des Publikums nach „mehr davon“, verzaubert das „AMERIKA“ Konzert am Donnerstag, 29.8. um 18 Uhr das Publikum mit romantischen Werken von Philip Glass, dem Klavierquintett von Florence Price und dem „American“ Streichquartett von Antonin Dvo?ák.

Exklusives Violinen-Treffen im Gemeindesaal der Lutherkirche

Albrecht Menzel, Foto: A. Hornemann

Wer im letzten Jahr für das Stradivari-Treffen keine Karten mehr ergattern konnte, hat die Möglichkeit zum Nachmittagskonzert am Samstag, 31.8. um 16 Uhr, Violinen aus drei Jahrhunderten im musikalischen Vergleich zu erleben. Albrecht Menzel spielte als Solist unter Dirigenten wie Kurt Masur und Joanna Mallwitz u.a. mit dem London Philharmonic Orchestra, dem Münchner Rundfunkorchester, wurde von der Geigerin Anne-Sophie Mutter eingeladen, mit ihr als Solist in der Philharmonie Berlin zu spielen und tourte mit der Künstlerin weltweit z.B. in der Carnegie Hall oder den Salzburger Festspielen. Albrecht Menzel spielt auf der Stradivari Lady Hallè / Ernst virtuose Werke von Bach, Paganini, Ernst, Ysaye, Vieuxtemps und moderiert mit unterhaltsamen Anekdoten aus der Geigenwelt.

Paganini zu Gast in Schloß Hoflößnitz
Am Donnerstag, 5.9. um 18 Uhr wird im Schloß Hoflößnitz mit seinen charmanten und kaum gehörten Streichquartetten ein Hauch von Nicolo Paganini durch den Winzersaal wehen und der virtuose Moderator zahlreicher Fernsehgalas und Radiosendungen Axel Brüggemann wird aus seinem Buch „Die Zwei-Klassik-Gesellschaft“ lesen und Lösungen zum aktuellen Thema „Wie wir unsere Musikkultur retten“ vortragen.
Ein besonderer Teil des Musik Festival Radebeul ist der Besuch der Künstler in einer Radebeuler Schule. Dort wird in lockerer Atmosphäre ein Konzert für die Jugend erklingen, die Musiker werden über ihre „coolen alten“ Instrumente sprechen und über ihre Leidenschaft: Musik.

Großes Finale im Historischen Güterboden, TSW neben dem Bahnhof Radebeul Ost
Mit den Vier Jahreszeiten feiert das Musik Festival Radebeul sein großes Finale mit italienischer Musik von Antonio Vivaldi und dem bekannten Filmkomponisten Nino Rota im Historischen Güterboden gespielt vom Festivalorchester mit Solisten und Stipendiaten der Anne-Sophie Mutter Stiftung und der Deutschen Stiftung Musikleben. Im Ambiente historischer Dampf-Lokomotiven wird der internationale Geigenexperte Rainer Cocron von Ingles & Hayday, einem der weltweit renommiertesten Auktionshäuser für erlesene Streichinstrumente, von Geheimnissen über Stradivari erzählen. Das wird ein Festival! Seien Sie neugierig und bringen Sie Ihre Kinder und Enkelkinder mit!

Bärbel Schön
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Karten nur im Vorverkauf per E-Mail unter tickets@musikfestivalradebeul.de oder per Telefon, Whatsapp, Signal +49 174 2836650 www.musikfestivalradebeul.de
Ausführliche Informationen zu den Konzerten finden Sie im Veranstaltungsteil!

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