Kunst geht in Gärten

Kunst geht in Gärten oder Genießen will geübt sein

Radebeul wirbt vollmundig mit dem Slogan „Radebeul – eine Stadt zum Genießen“. Doch Genießen will geübt sein, besonders wenn die Kunst wie bei „Kunst geht in Gärten“ eben in die Gärten geht. Es ist die Vielfalt der Möglichkeiten, die an diesem Kunstwochenende sowohl fasziniert als auch irritiert. Zwischen 23 Stationen, verteilt über die ganze Stadt, konnten die Besucher am 17. und 18. Juli wählen und über einhundert Künstler in Aktion erleben.

Unter hohen Tannen auf der Gartenbühne „Die Affen“ (Kunsthaus Kötzschenbroda) Foto: K. (Gerhard) Baum

Per Rad von Station zu Station (Vorgarten Kunsthaus Kötzschenbroda) Foto K. U. Baum

Kleine »Molke Open Studios« Party zum Tagesausklang mit weiblichen DJs auf der ehemaligenMilchrampe (Alte Molkerei) Foto: K. (Gerhard) Baum

 

Kunst der anderen Art hinterm „Gartenzaun“ (Alte Molkerei)
Foto: K. (Gerhard) Baum

Der Begriff „Garten“ wiederum wurde vom Veranstalter recht großzügig ausgelegt. Und manch einer konnte es kaum fassen, was man in der Gartenstadt Radebeul so alles unter einem Garten versteht. Zu besichtigen waren nicht nur Barock-, Stein-, Kräuter-, Vor-, Zier-, Wein-, Wild-, Schau-, Obst- und Gemüsegärten. Auch die Städtische Galerie hatte man zum temporären Garten erklärt. Die Kunst wurde auf Höfen, in einer Abfüllanlage, auf Weinterrassen und in einer Kunsthofpassage präsentiert. Selbst ein virtueller Wortgarten besetzte die gedankliche Peripherie. Fantasie und Toleranz hatten Konjunktur. Alles ist eben eine Sache der Interpretation!
Die Idee zu „Kunst geht in Gärten“ entstand im letzten Jahr. Um die Künstler in Zeiten der Pandemie unterstützen zu können, galt es alternative Präsentationsflächen im Außenbereich zu erschließen. Gärten schienen hierfür besonders geeignet. Das Engagement aller Mitwirkenden und die Resonanz waren überwältigend. Eine Fortsetzung bot sich geradezu an.

Freischwebendes mobiles Kunstobjekt von Kay Frommelt (Alte Molkerei) Foto: K. (Gerhard) Baum

Vier weitere private Gärten waren in diesem Jahr erstmals geöffnet. Sogar zwei Unternehmen stellten Bereiche ihres Außengeländes zur Verfügung. Bei Fliesen Ehrlich hinterließen 9 Mitglieder der losen Künstlergruppe „KunstSpuren“ in der Schaugartenanlage ihre künstlerischen Spuren. Initiiert und finanziell unterstützt vom Rotary Club Radebeul beteiligten sich 16 Künstler im Gelände von Schloss Wackerbarth an einem Plein Air. Die Werke, welche hier entstanden sind, sollen später ausgestellt werden. Das soziokulturelle Zentrum „Weißes Haus“ wurde zum Anlaufpunkt nicht nur für das junge Publikum. Bereits zum zweiten Mal dabei war die Alte Molkerei. Zu sehen waren von 18 jungen Künstlern Werke der zeitgenössischen Kunst. Vermutlich zum letzten Mal, denn die Immobilie wird für 590.000 Euro zum Verkauf angeboten. Für die dort wirkenden Künstler ist der Selbsterwerb ihres bisherigen Domizils völlig unrealistisch!

Graffitibild vor Graffitiwand, freigesprühtes Graffiti-Blumen-Bild von Kerstin Dähne (Weißes Haus)
Foto: K. (Gerhard) Baum

Künstler unterschiedlicher Sparten präsentierten Malerei, Grafik, Keramik, Fotografik, Skulpturen, Graffitis, Objekte, Fotografien, Collagen, Schmiede-, Glas- und Textilarbeiten. Verwendung fanden auch Natur- und Recyclematerialien.
An Besuchern herrschte kein Mangel. Die meisten waren begeistert. Bei einigen schien allerdings auf der Stirn die Frage zu stehen: Ist das Kunst oder kann das weg? Was mich als ehemalige Galeristin immer wieder zum Schmunzeln bringt.
In meiner Doppelfunktion als mitwirkende Gartenbesitzerin und als kulturreflektierendes Redaktionsmitglied von „Vorschau und Rückblick“ galt es einen Spagat zu bewältigen. Vorm Öffnen des eigenen Gartens (ab 15 Uhr) blieben knapp zwei Stunden Zeit, um sich bei den anderen, die bereits ab 13 Uhr für die  Besucher zugängig waren, umzusehen. Also,

Dekorative Sitzbank im »Jedermannsgarten« des Lügenmuseums
Foto: K. (Gerhard) Baum

hochkonzentriert auf den Orientierungsplan geschaut, Route markiert, hastig den Fotoapparat geschnappt, einige Stationen ausgewählt. Dort angekommen, kurzer Rundumblick, mit den Künstlern ein paar Worte gewechselt, Eindruck gespeichert, nächste Station. Am Samstagabend dann Glück gehabt, denn in der Alten Molkerei war für die jungen Künstler um 18 Uhr längst nicht Schluss. Also auch dort noch einmal „Ausschau“ nach der „Kunst im Garten“ gehalten.

KunstSpuren mit Bildergalerie im Präsentationsbereich von Fliesen Ehrlich Foto: K. (Gerhard) Baum

Die teilnehmenden Künstler wirkten als Multiplikatoren und hatten Förderer, Galeristen, Kollegen, Angehörige und Freunde eingeladen. Eine überregionale Kettenreaktion kam in Gang. Geschwärmt wurde von der angenehm intimen, aber auch sehr kommunikativen Atmosphäre.
Corona hat wohl erheblich dazu beigetragen, dass wir unserer unmittelbaren Umgebung viel mehr Aufmerksamkeit entgegenbringen.
Flora und Fauna hielten in den hiesigen Gefilden viele Überraschungen bereit. Wer hätte gedacht, dass in einem der Gärten ein 60-jähriges Schildkrötenmännchen mit einem 100-jährigen Schildkrötenweibchen fleißig für Nachwuchs sorgt? Dass in einem Vorgarten zuckersüße Törtchen wachsen? Wer hätte gedacht, dass die Freiluftmalerei eine so starke Renaissance erfährt? Und dass man aus Holzpaletten und Recyclematerialien wunderbare Gartenmöbel gestalten kann?

Musikalische Führung mit Irina von Toll und Anne Rosinski durch die »Freie Kunsthalle Radebeul« Foto: K. (Gerhard) Baum

Gartenbilder von Christiane Latendorf an der Garagentür Foto: K. (Gerhard) Baum

 

Hängung der Leinwandbahnen mit Fotografiken von Bernd Hanke (Kunsthaus Kötzschenbroda) Foto: K. (Gerhard) Baum

Der Open-Air Klassiker: Das Motiv vorm Motiv (Bild mit Belvedere von Renate Winkler, Schloß Wackerbarth) Foto: K. (Gerhard) Baum

 

Mechthild Mansel zeichnet in der Abfüllanlage (Schloß Wackerbarth) Foto: K. (Gerhard) Baum

 

 

Papierkorb stützt Eule, Stencil Graffiti von Kerstin Dähne (Weißes Haus) Foto: K. (Gerhard) Baum

Als mitwirkende Gartenbesitzer konnten wir im Kunsthaus Kötzschenbroda sehr persönliche Erfahrungen mit „unseren“ Künstlern sammeln. Der heimische Küchentisch wurde zur Ideenschmiede. Es folgte ein reger Gedankenaustausch, der auch im Praktischen mündete. Einerseits bekamen wir Zugang zum Schaffensprozess der Künstler und begannen das eigene Grundstück zunehmend mit kreativen Augen zu sehen. Andererseits freuten sich wiederum die Künstler über die Möglichkeit, ohne kommerziellen Zwang mit Themen, Techniken und Materialien experimentieren zu können.
So spannte Bernd Hanke vor unsere Hausfassade zwischen die Sandsteineinfassungen der Fenster vier großformatige Leinwandbahnen. Bedruckt hatte er diese mit Fotografiken, welche den Blick auf bauliche Details mit unterschiedlichen Materialstrukturen lenkte und diese wiederum in neue Zusammenhänge stellte. Die fein nuancierte Farbstaffelung zeugte von einem hohen ästhetischen Anspruch.
Christiane Latendorf wiederum zeigte intuitiv-naive Gartenbilder, darunter erstmals Gärten bei Nacht. Ihre heiteren Keramikobjekte arrangierte sie in verschiedenen Beeten bzw. setzte sie in räumliche Beziehungen zu Pflanzen und Natursteinmauern, ja sogar zum Nachbarhaus.
Matthias Kistmacher arrangierte vor einer in Würde gealterten Vorraumwand zehn kleinformatige Bilder mit verschiedenen Früchten im Zustand der Überreife und des Vergehens. Die symbolbehaftete Serie nannte er „Erntedank“. Vor den einheitlich dunklen Bildhintergründen kamen die vielfältigen Formen und Farben der Früchte sowie deren Durchdringung von der äußeren Hülle zum inneren Kern auf eine bemerkenswert sinnliche Weise zur Geltung.
Zur Bereicherung von „Kunst geht in Gärten“ trugen vor allem auch die spontanen Auftritte der wandernden Musiker bei. Darüber hinaus waren kleine Konzerte, eine Lesung und Tanzdarbietungen sowie eine Pflanzen-Synthesizer-Performance zu erleben. Und wer sich dafür interessierte, konnte den Malern über die Schulter schauen oder war zum Schaudrucken ins Atelier Oberlicht eingeladen. Das interdisziplinäre Kunstwochenende bot Erkenntnis und Inspiration. Es wurden neue Kontakte geknüpft und so manches Kunstwerk wechselte seinen Besitzer.
Wieder einmal hatte sich gezeigt, dass eine kommunale Galerie als koordinierende Leiteinrichtung für ein derartiges Gemeinschaftsprojekt unentbehrlich ist. Und die Chancen stehen nicht schlecht, dass sich in der Lößnitzstadt neben dem Radebeuler Grafikmarkt mit „Kunst geht in Gärten“ eine weitere Veranstaltungsreihe etabliert, die eine starke Eigendynamik entfaltet und selbsterneuernde Energien freisetzt.

Also dann, bis zum Wiedersehen im nächsten Jahr, denn Genießen will geübt sein.

Karin (Gerhardt) Baum

Radebeuler LebensArt 2020 (Von der Kunst mit Kunst in Gärten zu gehen)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Editorial September

Der Sommer scheint so gut wie vorbei zu sein. Jeder erwartete laue Abend führt zur drängenden Frage: Was stellen wir an? So auch für den 21. August.
Im Vordergrund steht nach der langen Durststrecke durch Corona natürlich die Suche nach Veranstaltungen. Für den Abend dieses Tages haben die rührigen örtlichen Kulturmanager im Rahmen des Coswiger Kultursommers die bekannte und beliebte Berliner Band „City“ engagieren können, gestandene Rockmusiker – die Gruppe steht vor dem 50-ten Bühnenjubiläum. Das ist es! Ein Freiluftkonzert nach unserem Geschmack, vor der Haustür, ohne Maske!
Gemeinsam mit rund 300 Besuchern fanden wir uns vor der Bühne auf dem Gelände des ehemaligen Straßenbahnhofs ein. Alles passte, sehr guter Sound, große Titelvielfalt, Toni Krahls Gesang gut verständlich, das Publikum sofort „dabei“.
„City“ hat eine schwere Zeit hinter sich: Tod ihres Schlagzeugers Klaus Selmke, über ein Jahr keine Auftritte. Das Konzert in Coswig gelang erst im dritten Anlauf.
Aber an diesem schönen Sommerabend mit Vollmond waren die Musiker nun bestens aufgelegt. Die Zugabe – wie kann es anders sein „Am Fenster“ – wird mit Elan geboten und enthusiastisch gefeiert. „City“ bleibt angesagt! Wir erinnern uns daran, wie viele Rockgruppen aus der DDR, auch künstlerisch hochrangige, um 1990 vor gering gefüllten
Sälen standen, oder als Vorband von internationalen Größen ausgebuht und ausgepfiffen wurden. Das war hart! Jetzt freuen sich alle wieder, weil Erinnerungen dran hängen, die guten Bands sich weiterentwickelt haben und weil wir gemeinsam mit den Musikern älter werden.

Ilona Rau

Titelbilder Bauernhäuser in Radebeul August 2021

Altwahnsdorf 44

Auf dem unter Denkmalschutz stehenden Vierseithof, über Jahrzehnte in Wahnsdorf als „Türkehof“ bekannt, will ich die Kumthalle, eine Besonderheit am Auszugshaus vorstellen. Nach meinem Kenntnisstand gibt es davon nur noch zwei in Radebeul, die andere befindet sich in Altserkowitz 1. Mit dem Fotografieren musste ich lange auf ein Okay und Sonnenschein warten!

Eine Kumthalle war nur bei mittleren und größeren Bauernhöfen üblich. Zwei Bögen über einer Säule bilden hier einen überdachten aber seitlich offenen Raum, in dem die von der Feldarbeit der Pferde verschwitzten Kumte aufgehangen über einen Zeitraum getrocknet werden konnten. Das Gebäude mit Pferdestall, Kumthalle und Wohnräumen für Mägde und Knechte im OG wurde 1862 errichtet. Von zwei Schlusssteinen in den Bögen zeigte früher einer diese Jahreszahl, der andere ein stilisiertes Pferd. Auf kleineren Höfen nutzte man andere Gegebenheiten, z. B. den Raum unter einer Außentreppe, zur Trocknung der Kumte. Bei Türkes konnten maximal vier Pferde im Stall stehen, die letzten zwei gab es bis Anfang der 60er Jahre als die Traktoren der LPG dann die Feldarbeit übernahmen. Mit dem Tod des letzten Türke-Bauern 1982 endete hier die Landwirtschaft.

Heute wohnen die Gommlichs, Nachkommen der Familie Türke, auf dem Hof. Herr Ralf Gommlich betreibt hier als Elektromeister sein Gewerbe. Frau Gommlich sorgt dafür, dass es auf dem Hof überall sommerlich blüht. Da, wo früher die Pferde standen, steht heute das Moped vom Junior – so ändern sich die Zeiten.

Dietrich Lohse

Bunkeranlagen unterm Schulhof

Am 7.7. berichtete die Sächsische Zeitung in einem großen Beitrag über die „Entdeckung“ einer Bunkeranlage unter dem Schulhof der heutigen Roseggerschule an der Wasastraße. Für einen damals adoleszierenden Zeitzeugen war das natürlich „kalter Kaffee“. Denn als ich die abgedruckten Bilder sah, öffneten sich mit einem Schlag die Fenster in meine Schulzeit an der einstigen „POS German-Titow“. Mitte der 1980er Jahre wurde hinter dem ehrwürdigen Schulgebäude zur Erweiterung der räumlichen Kapazitäten ein zeittypischer Plattenkasten errichtet. Im Zuge dieser Arbeiten musste wohl auch auf ebendiesen Bunker gestoßen worden sein.

Uns Kindern im besten Bengelalter blieb die damalige Entdeckung natürlich nicht verborgen. Bagger hatten an einer Stelle ein überaus einladendes Loch zum Tunnelsystem durchbrochen, welches für viele Wochen einen dankbaren Zugang für allerlei „geheime“ Erkundungen bot. Dieser Spielplatz mit verzweigten Gängen aus „uralten Zeiten“ war natürlich der Clou. In einer teils zugeschütteten Ecke hofften wir bei Grabungen auf verborgene Schätze. Waffen oder gar Gerippe konnten wir zu unserer Enttäuschung allerdings leider nicht finden.

Aber es gab etwas anderes Faszinierendes: Leuchtfarbe an den Wänden! Nachdem sie mit Taschenlampen angestrahlt wurden, boten die Streifen auch bei absoluter Dunkelheit beste Orientierung. Schließlich kamen wir auf die Idee mit Messern die Farbe abzukratzen, um sie, gut verwahrt in Marmeladengläsern, als Trophäe im heimatlichen Kinderzimmer zum Leuchten zu bringen. Ich kann mich noch gut erinnern, wie sich das unterschiedlich beleuchtete Pulver, scheinbar wie glühende Asche, im gedrehten Glas bewegte. Lange Zeit zierte auch eine selbstgemachte Leucht-Maske die Wand über meinem Kopfteil und sorgte in mancher Nacht für gruselige Momente.

Doch Maske und Glas sind heute unauffindbar, wie wohl die recht unbeschwerte Jugendzeit…

Sascha Graedtke

Mit Bernhard Theilmann poetisch durch das Jahr

Radebeuler Miniaturen

Post – scriptum

Ein neuer Morgen ist geworden, und wieder gibt es drei Möglichkeiten:

Nach dem Studium der Tagespresse ist Ulrike entweder depressiv oder wütend (sie liest erstaunlicher Weise immer die politischen Beiträge, obwohl dort nichts weiter steht, als der täglich erneuerte Beweis dafür, welchen Verlust die Menschheit durch das Aussterben der Neandertaler erlitten hat). Heute kommt sie mir euphorisch entgegen: Haste gelesen?! Die alte Post wird Musikschule! Sie lacht. Endlich mal ne gute Nachricht.

Die armen Musikschüler, sage ich, ohne zu bedenken, was das Dämpfen ihrer Begeisterung für mich bedeuten kann. Aber zu spät –raus ist raus.

Erwartungsgemäß ist Ulrike gleich wieder empört: Wieso?! fragt sie aufgebracht. Das ist ein wunderschönes Haus, neugotisch angehaucht, unauffällig zweigeschossig mit ausgebautem Mansarddach und schön gegliederter Fassade. Über dem gewölbten Eingang links liegt sogar ein ovales Fensterchen. Der zentrale Postentwurf stammt schon aus dem Jahr 1914. Leider wurde kriegsbedingt die Fassade vereinfacht – mit Rundbogenfenstern hätte der Bau noch vornehmer ausgesehen. Jedenfalls ist das alles viel besser, als die sogenannten modernen Schulkisten von heute.

Bleib gelassen auf dem Teppich, rufe ich ihr zu, das weiß ich alles, auch daß seit 1915 gebaut und ab 1916 schon der Postbetrieb aufgenommen wurde bei laufendem Bau, der noch bis 1921 dauerte. Das war sicher nicht einfach, unter Kriegsbedingungen anständig zu bauen.

Ja und – fährt Ulrike auf, was faselst du dann von „armen Musikschülern“?

Hast du nie versucht, frage ich zurück, ins Innere eines solchen Postgebäudes zu gelangen? Die ohnehin schweren Türen gingen so schwer auf, daß so manches Mütterchen ratlos davor stand und dachte, die Post sei geschlossen. Und dann die Luft da drin – ein Gemisch aus Ärmelschonern und Stempelkissen – zentrale Post-Amts-Luft, sofort nach Fertigstellung aus Berlin eingeblasen und überall gleich im ganzen Reich – wo du auch warst, Hamburg, Stuttgart, Trier oder eben Radebeul, wenn du mit geschlossenen Augen in ein Gebäude geführt wurdest, wußtest du nach dem ersten Atemzug: Du bist auf der Post.

Und was davon macht die Musikschüler „arm“? Ulrike läßt nicht locker, wenn sie dich einmal hat.

Na, die schwere Tür. Stemm dich da mal gegen, mit nem Instrument auf dem Rücken! Flöte mag ja noch angehn, aber wenn du klein bist, und was Großes schleppst… Und dann die Luft natürlich. Da kannste doch nicht singen? Höchstens Carl Zeller; „Ich bin die Christel von der Post …“ aber ob du damit die Kinderchen von der Konsole weglocken kannst…?

Da ist sie sprachlos, Ulrike, einen ganzen Augenblick lang wirklich sprachlos – das gelingt mir nur ganz selten. Aber dann seh ichs schon wieder blitzen in ihren Augen.

Ich bin immer wieder froh, sagt sie drauf, daß ich nicht deinen Kopf habe. Du solltest den Inhalt post mortem untersuchen lassen. Vielleicht kannste die Wundertüte ja schon zu Lebzeiten an ein Kuriositätenkabinett verkaufen, die ist bestimmt ein Vermögen wert.

Wie wir uns dann zum Kaffee treffen, ist jedoch fast schon wieder alles gut.

(Aber mal ganz ehrlich jetzt: ich finde es wirklich herrlich und beispielgebend, daß im Falle der Post nicht erst gewartet wird, bis das ganze einfällt, wie drüben am Bahnhof – doch das sag ich ihr erst nachm Abendbrot beim Wein…).

Thomas Gerlach

Verkalkuliert?

Fast eine Glosse

Schon mal was von Ambrosio gehört? Im Mai-Heft hatte ich über die Zeit sinniert, die wir nicht haben. Da frage ich mich natürlich automatisch, wo ist sie denn hin, die liebe Zeit? Einfach weg!? Aber warum rennen wird dann wie die Wilden hinter ihr her, brauchen wir sie denn wirklich? Ambrosio jedenfalls braucht sie offensichtlich nicht. Das Leben ist für ihn ohne die Zeit viel angenehmer – behauptet er jedenfalls. Deshalb kam er auch auf die verrückte Idee, die Zeit einfach zu stehlen. Kunststück, Ambrosio soll ja sowas wie unsterblich sein, zumindest suggeriert das der Name. Diese Geschichte trug sich aber schon vor vielen, vielen Tagen zu.

So einfach ist das heute mit der Zeit nicht mehr. Die wird einem zu jeder Sekunde um die Ohren geschlagen, wo man steht und geht, und drückt gewissermaßen dem Alltag ihren Stempel auf. Aber leider ist sie ungleich verteilt. Die einen haben welche und die andere eben nicht. Zeit ist halt, wie man sieht, relativ.

Schon die alten Griechen haben sich mit dem Phänomen der Zeit herumgeschlagen und behaupteten, sie sei immer im Fluss. Ob diese Erkenntnis bei dem gegenwärtigen Wassermangel noch gelten kann, sei dahingestellt. Bis heute aber streiten sich die Philosophen, ob es die Zeit, rein objektiv gesehen, überhaupt gibt. Das käme natürlich Ambrosio sehr entgegen. Das Zeitgefühl entsteht ja eigentlich nur durch unser Denken und damit habe vermutlich nicht nur ich so meine Probleme. Wie oft habe ich mich damit schon verkalkuliert. Mittlerweile weiß ich überhaupt nicht mehr, wie viel Zeit vergangen ist, seit ich erstmals in Radebeul den Namen INSEK gehört habe. Das muss schon eine gefühlte Ewigkeit her sein.

Da ich aber ein neugieriger Mensch bin, habe ich mir das über 300 DINA-4-Seiten umfassende Pamphlet gleich nochmal reingezogen und war reichlich verblüfft. Das mit zahlreichen Tabellen, Karten und Statistiken gefüllte Werk stammte von 2015! Ich hätte schwören können, dass es mindestens zehn Jahre her ist, wenn nicht länger, als ich es letztmals in der Hand hatte! – Was das ist, das INSEK? Richtig, das wird vermutlich kaum einer mehr wissen. Man nennt es „Integriertes Stadtentwicklungskonzept“ und soll so etwas wie eine „Handlungs- und Entscheidungsgrundlage“ für eine langzeitliche Entwicklung der Gemeinde darstellen. Leipzig sieht darin gar die „Zukunftsstrategie zur Entwicklung“ der Messestadt und für Pirna stellt das INSEK „einen mittel- bis langfristigen Orientierungsrahmen“ für die Stadtentwicklung dar. Nun mag man sich darüber streiten, ob das INSEK ein „informelles Instrument der Stadtplanung“ sein soll, wie es im Radebeuler Papier steht. Auf jeden Fall legt es auf allen Gebieten einer Gemeinde Maßnahmen zu deren Entwicklung fest.

Mein etwas gemischter Eindruck vom Radebeuler INSEK mag vielleicht auch daher stammen, dass einige der darin aufgeführten Passagen nicht mehr ganz taufrisch wirken. So stellte diese überarbeitete Ausgabe aus dem Jahr 2015 zwar fest, dass die fernab von allem tosenden Verkehr gemessenen Immissionswerte durch die Station Wahnsdorf im Normbereich liegen, dass aber im „Stadtgebiet von Radebeul keine Messungen vorgenommen“ wurden. Veräppeln kann ich mich selber. Da eignet sich auch meinem Fliederbusch als Standort für die Messung. Auch künftig soll es keine Feststellung der Stickstoffdioxid- und Feinstaubbelastung im Stadtgebiet geben. Zumindest sieht das INSEK von 2015 so etwas nicht vor. Warum eigentlich nicht?

Die Zeiten aber ändern sich mitunter schneller als gedacht. Was in der Überarbeitungsphase noch trübe aussah, hellte sich später auf. Und so hat sich die Attraktivität von Radebeul gesteigert und die Experten gehen für die Lößnitzstadt gar, gegen den allgemeinen Trend in Sachsen, von einem verstärkten Wachstum der Bevölkerung aus. Damals sah das INSEK „bezahlbarer Wohnraum für alle Nutzergruppen, […] für unterschiedliche Haushaltsgrößen, Sozial- und Einkommenssituationen und Eigentumsformen“, aber „vorrangig kleinere Wohnungen“, vor. Schau ich mir aber die gegenwärtige Entwicklung an, so zeichnet sich ein anderes Bild ab. Etwa 78 Prozent der aktuell entstandenen bzw. geplanten Wohneinheiten sind 3-4-Raumwohnungen, mit einer Fläche von 75 bis 166 Quadratmetern. Als gerade KLEIN würde ich das nicht bezeichnen und sozialverträglich auch nicht, wenn die meisten davon als Eigentumswohnungen angeboten werden. Dennoch stellt der Vorsitzende der Wohnungsgenossenschaft „Lößnitz“ Thomas Vetter schon 2019 in der Sanierungszeitung Radebeul macht Dampf fest, dass „mehr 4-Raum-Wohnungen für junge Familien“ benötigt werden. Da haben sich die Autoren von INSEK 2015 offensichtlich etwas verkalkuliert. Die Planung sollte bis 2025 Gültigkeit haben.

„Kommt Zeit, kommt Rat“ meint ein altes Sprichwort. Aber mal ehrlich, wie wir aus dieser Klemme herauskommen wollen ist mir schleierhaft. Das riecht mir mehr nach der Quadratur des Kreises. Vielleicht hat man deshalb so lange nichts vom INSEK gehört, meint

Euer Motzi

Eine Hausgeschichte aus Oberlößnitz

Heute geht’s bei mir nicht um Bäume, Bücher oder Inseln, nein, es sind wieder mal Häuser, also alte Häuser dran. Da ich inzwischen in Niederlößnitz seßhaft geworden bin, ist ein Oberlößnitzer Thema für mich schon fast wie eine Reise.

Eigentlich kennen wir sie alle, die stattliche Villa Eduard-Bilz-Straße 23, neulich war sie bei dem Thema „alte Fahnenstangenhalterungen“ dabei gewesen. Vor allem fällt sie auf, wenn wir durch den mittleren Abschnitt der Bilzstraße gehen, weil sie deutlich anders aussieht als die hier dominierenden Schweizerhäuser aus der Feder der Gebr. Ziller. Hier hatten die Zillers in der 2. Hälfte des 19. Jh. alle Parzellen, zumeist ehemalige, flachere Weinberge, nacheinander in ihren Besitz bekommen. Besagte Villa fällt nicht mehr in die Firmenzeit der Gebr. Ziller, sie entstand erst nach dem Tod von Moritz Ziller (1838-1895) und seinem Bruder Gustav Ziller (1842-1901). Marie Ziller, die Ehefrau von Gustav Ziller, führte dann die Firma Gebr. Ziller zusammen mit Architekt Max Steinmetz noch eine Zeitlang weiter. Und so geht der Entwurf der Villa von 1905 auch auf diesen Architekten zurück. Steinmetz wandte sich stilistisch dem Neobarock und Jugendstil zu, insofern unterscheidet sie sich von den sonstigen Zillerhäusern in der Bilzstraße.

Was mich an dem Standort aber besonders interessierte, war die Tatsache, dass auf diesem Grundstück drei völlig andere Häuser innerhalb von nur 30 Jahren gestanden haben müssen, so etwas findet man kaum an einem anderen Standort in Radebeul. Es begann damit, dass Moritz Ziller 1872 hier ein Grundstück mit einem Winzerhaus an der Sophienstraße (später Eduard-Bilz-Straße) erwarb. Ob sich Ziller mit Weinbau beschäftigt hat, ist aber eher unwahrscheinlich. Die Parzellenkäufe an der damaligen Sophienstraße erfolgten ja zu einer Zeit als der Weinbau schon rückläufig war. Moritz Ziller wird auch in seinem Winzerhaus nicht selbst gewohnt haben, da zu dem Zeitpunkt sein Wohn- und Bürohaus im heutigen Augustusweg 5 bereits bestand. Dieses Winzerhaus gehörte zu einer Reihe von Oberlößnitzer Winzerhäusern, auf die ich später noch eingehen werde, und brannte 1876 ab. Eine Brandursache weiß heute niemand mehr, war das Haus etwa ein Spekulationsobjekt? Noch im gleichen Jahr plante Moritz Ziller (er unterzeichnete den Antrag selbst) und errichtete auf der östlichen Seite des Grundstücks (Flurstück 50, Gemarkung Oberlößnitz) wieder ein Winzerhaus neuen Typs oder war es doch mehr ein kleines Bauerhaus im Stil der Schweizerhäuser. Es sah den Landhäusern der Gebr. Ziller in der Bilzstraße 27, 31, 33, 34 und 35 schon ein bißchen ähnlich, hatte aber nicht die gleiche Bauflucht. Da gab es einen bescheidenen Wohnbereich, einen kleinen Kuh- und Schweinestall, den Schuppenanteil und einen Heuboden. Es lässt sich heute kaum noch nachweisen, welche Wein- oder Ackerflächen zu der Landwirtschaft dazugehört haben könnten und ob das in der Zeit überhaupt so funktioniert hätte. Der Trend für die Zillers in der Gegend und zu der Zeit waren sowohl bescheidenere und als auch luxeriösere Wohnbauten. Auf dem Grundstück stand etwas abseits noch eine Scheune, wohl ein Zubehör zum alten Winzerhaus, das möglicherweise nach dem Dreißigjährigen Krieg, also in der 2. Hälfte des 17. Jh., gebaut worden war.

Zillerhauszeichnung


Nachdem 1905 die nach der Prachtstraße ausgerichtete Villa geplant und bis 1906 fertiggestellt worden war, konnte man die Scheune und das bäuerliche Winzerhaus abreißen. Schließlich erhielt die Villa auf der Südseite noch einen Pavillon, der originellerweise über dem noch erhaltenen Weinkeller des alten Winzerhauses platziert wurde – die wohl einzige Radebeuler Laube mit Keller! Die Lage des Kellers sagt nur bedingt etwas über den genauen Standort des Winzerhauses aus. Wir finden solche Weinkeller bei anderen Winzerhäusern ganz oder teilweise unter dem Haus oder auch völlig daneben liegend.

Ansicht heute, von NW


Üblicherweise füge ich zu meinen Aufsätzen ein paar Bilder hinzu und hier wären Ansichten von den drei Bauten sicher hilfreich. Die Villa kann ich von der Straße aus fotografieren, kein Problem, aber was mache ich mit den anderen Häusern auf dem Grundstück, die wohl niemand fotografiert hat? Zu dem „modernen Winzer- oder Bauernhaus“ habe ich eine Ansicht und einen Grundriss in der Bauakte gefunden, die ich nach Abstimmung mit dem heutigen Eigentümer kopieren und verwenden darf. Kritisch wird es bei dem alten, abgebrannten Winzerhaus. Aber in o.g. Bauakte von M. Ziller ist im Lageplan das alte Winzerhaus mit gestrichelten Linien in den Umrissen eingetragen (Grundfläche Hauptbau =18 x 7m und daran ein nördlicher Anbau =10 x 3m). Das Hauptgebäude habe ich in den Abmessungen mit sechs noch existierenden Winzerhäusern aus dieser Zeit (Haus Breitig, Haus Lorenz, Haus Clauß, Haus Erdmann, Haus Lotter und Haus Baurick) verglichen – im Mittel Länge =16,10m und Breite =7,40m – und so den Typ eines Winzerhauses aus der 2. Hälfte des 17. Jh. bzw. der 1. Hälfte des 18. Jh. näherungsweise bestimmt. Wir wissen, dass eine zweigeschossige Bauart bei Winzerhäusern in der Lößnitz üblich war, dass das OG meist in Fachwerkbauweise erfolgte und dass als oberer Abschluss ein steileres Walmdach vorherrschend war. Der Anbau könnte eingeschossig mit Schleppdach gewesen sein, wie es noch bis in die 80er Jahre am Haus Breitig zu sehen war. Aber ein zweigeschossiger Winkelbau, ähnlich dem Haus Barnewitz, wäre hier auch möglich gewesen. Die Lage des alten Winzerhauses wird auch auf dem „Plan der Lößnitz“ von 1874 dargestellt. Mit der Summe dieser Annahmen habe ich eine grobe Skizze (Ansicht von SW, ohne Fenster und Türen) des abgebrannten Winzerhauses mit Anbau angefertigt, so könnte man sich auch das älteste Haus auf diesem Grundstück in etwa vorstellen, ein Beweis ist es nicht!

Ausschnitt aus altem Lageplan von Oberlößnitz (1881)


Ein Blick auf die städtebauliche Entwicklung dieses Teils von Oberlößnitz soll die Betrachtung abschließen. Zunächst waren da die drei Berggassen, die obere Berggasse, die der heutigen Weinbergstraße entspricht, die mittlere Berggasse heißt heute Augustusweg und schließlich die untere Berggasse im Verlauf von Maxim-Gorki-Straße und Nizzastraße. An diesen alten Fahrwegen reihten sich locker die Winzerhäuser bzw. Weingüter in Ost-West-Richtung auf. An der unteren Berggasse waren dies von Ost nach West u.a. die ehem. Gaststätte „Zum Russen“, Haus Breitig, Lindenhof, Max.-Gorki-Str. 16 (Teile eines Winzerhauses sind noch im EG zu finden), „unser Winzerhaus“, das Moritz Ziller erwarb, Haus Thieme sowie ein Winzerhaus, das für den Hotelneubau in den 90er Jahren abgebrochen worden war. Verbindungswege zwischen den Berggassen hatten zunächst nur den Zweck die Weinflächen und -berge zu erschließen, hier befanden sich keine Häuser. Nachdem die Gebr. Ziller die unrentablen Weinflächen billig aufgekauft hatten, begannen sie in den Jahren ab 1877 die vom Tal aus gesehen rechte Hälfte der heutigen E.-Bilz-Straße mit einer Reihe zum Teil gleicher Schweizerhäuser in Nord-Süd-Richtung zu bebauen. Diesen Bebauungszustand ist auf einer Äquidistantenkarte aus dem Jahr 1881, hier ist auch das neue, oben beschriebene Winzer- bzw. Bauernhaus zu erkennen. Darauf folgte in den 80er Jahren des 19. Jh. die Bebauung der linken Seite der heutigen E.-Bilz-Straße. Um 1880 ließen die Gebr. Ziller auf eigene Kosten am unteren Anfang der Sophienstraße (so hieß die E.-Bilz-Str. früher) noch zwei Bacchantengruppen, plastische Gestaltungen aus der Produktion von E. March & Söhne, Charlottenburg, auf hohen Sandsteinsockeln errichten, womit der Straßenzug aufgewertet wurde. Man versprach sich aber auch, dass sich dadurch der Verkauf der einzelnen Häuser günstigter gestalten würde. Da die meisten der o.g. Winzerhäuser stehen blieben, verdichtete sich von da ab die Bebauung der Oberlößnitz. In der Gründerzeit beteiligten sich am Bau neuer Wohnbauten, dem „Bauboom“, auch andere Baubetriebe außer den Zillers. Eine ähnliche städtebauliche Entwicklung können wir auch im Ortsteil Niederlößnitz erkennen, wobei dort die Fa. Gebr. Ziller besonders in der nach ihnen benannten Zillerstraße tätig geworden ist.

Als nach vielen Jahren des Kampfes gegen die Reblaus unter Carl Pfeiffer dann wieder mit dem Weinbau begonnen werden konnte, waren nur die Steillagen noch verfügbar. Ehemals mit Wein bestockte, flachere Flächen hatte man da schon dicht mit Häusern bebaut und waren damit für den Weinbau verloren. Das mag man bedauern oder auch nicht, man hat es inzwischen so akzeptiert.

Ich bedanke mich beim heutigen Eigentümer, Herrn Lippik und bei dem Mitbewohner Herrn Dr. Petzholtz für Auskünfte und Unterstützungen bei meiner Arbeit.

Dietrich Lohse
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Literaturhinweise:
1, „Die Berliner Familie March … eine Erfolgsstory“, Birgit Jochens u. Doris Hünert, Metropol Verlag Berlin,
2000 (darin das Kapitel „E. March und das sächs. Nizza“ von Gudrun Täubert, Radebeul)
2. „Auf den Spuren der Gebrüder Ziller in Radebeul“, Markus und Thilo Hänsel, Notschriften Verlag,
Radebeul 2008

Kammermusikauftakt in der Hoflößnitz mit den Zwinger Singers

Mit den bekannten Klassikern der Comedian Harmonists »Mein kleiner grüner Kaktus« und »Liebling, mein Herz lässt dich grüßen« begann am 4. Juli die Reihe »Kammermusik in der Hoflößnitz« 2021, wegen Corona diesmal im ausverkauften Winzersaal. Dazwischen brachte Museumsleiter Frank Andert bei der Begrüßung seine Freude darüber zum Ausdruck, dass endlich wieder Konzerte möglich sind, eine Freude, die die Musikliebhaber ganz offensichtlich teilten. Verläuft bald alles wieder in normalen Bahnen? »Wir hoffen darauf, ohne blauäugig sein zu wollen.«

Die »Dresdner Zwinger Singers«, so der Name des Quartetts mit Bernhard Hentrich (Professor für Alte Musik), Götz Hütter (Tenor und Musiktherapeut), Michael Reich (Diplom-Sänger und »Vater der Truppe«) sowie Holger Steinert (Bass an der Semperoper), verführten gekonnt zu einer musikalischen Zeitenreise durch das A-cappela-Repertoire der letzten 300 Jahre. Mit viel Charme wurde Heinrich Werners Vertonung von Goethes »Sah ein Knabe ein Röslein stehen« zelebriert und ein Wiegenlied, dass die Sänger selbst schon ihrem Nachwuchs boten. Volkslieder, die zu hoher Kunst aufgewertet wurden, wie z.B. »Das Wandern ist des Müllers Lust« erfreuten die Zuhörer. Letztlich ist aus dem berufenen Mund des Quartetts zu hören, dass »das Wasser zu wandern beginnt. – Bitte nicht an immer neue Jahrhundert-Hochwasser und die Elbe in Radebeul denken.

Viele klassische Lieder aus dem Repertoire des Quartetts luden auch dank der witzigen Moderation durch Götz Hütter zum Schmunzeln und manche sogar zum Mitsingen ein. Ihre Verbundenheit mit Radebeul und Karl May war den »Zwinger Singers« bei der hochkarätigen Darbietung von dessen »Ave Maria« deutlich anzuhören, ein Höhepunkt des späten Nachmittags.

Das Quartett erreichte, u.a. durch die Aufforderung zum Mitsingen, eine ausgesprochene Gute-Laune-Stimmung beim vorwiegend älteren Publikum. Die Sänger selbst, so war zu erfahren, kennen sich schon seit über 30 Jahren vom gemeinsamen Musikstudium in Dresden.

Alles in allem ein gelungener Auftakt in der Hoflößnitz. Bis Ende Oktober stehen noch sechs weitere erlesene Konzerte auf dem Programm.

Angelika Guetter
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Näheres unter www.hofloessnitz.de.

Kunst der Lüge e.V.

Wie wollen wir unsere Zukunft gestalten?

Mit diesem Artikel möchten wir den Neuen Radebeuler Kunstverein Kunst der Lüge e.V. vorstellen. Zur Ausstellung von Klaus Liebscher zu seinem 80. Jubiläum im Lügenmuseum hatten wir per Mail eingeladen. Da gab es Irritationen, denn es gab einen Kunstverein in Radebeul, der sich vor einigen Jahren aufgelöst hatte.

Der gemeinnützige Verein Kunst der Lüge wurde 2008 in Brandenburg gegründet und verlegte seinen Sitz 2012 nach Radebeul. Der Verein fo?rdert Kunst, Kultur und Denkmalpflege, den Dialog der Kulturen, internationale Kunstprojekte und die Pflege historischer Bauten, es gibt ca. 30 Mitglieder. Mitarbeiter und Ehrenamtliche setzen zahlreiche Kunstprojekte und Ausstellungen im öffentlichen Raum in Sachsen und anderen Bundesländern um. Mit einem langfristig angelegten kreativen Nutzungskonzept setzt er sich für die behutsame Instandsetzung der historischen Bausubstanz des 700-jährigen historischen Gasthofes Serkowitz ein.

Der Radebeuler Kunstverein Kunst der Lüge e.V. ist ein Labor zur Erfindung der Zukunft vor Ort. Er steht für Mut, sich auf Unbekanntes einzulassen und für Offenheit zwischen den Kulturen. Als Träger von Kunstprojekten warb er Förderungen von Land Bund Kulturraum, Landkreis und Stiftungen ein, 2020 in Höhe von 76.000 €. Von der Beantragung, Dokumentation, Mediengestaltung bis zur Abrechnung ist die Vereinsvorsitzende Dorota Zabka ein ganzes Jahr damit ehrenamtlich beschäftigt.

Hinter dem Lügenmuseum stehen KünstlerInnen und engagierte Menschen mit hohen Kompetenzen, die mit künstlerischen, ökologischen und soziokulturellen Initiativen das Haus unterstützen. Es entstanden zahlreiche Kooperationen mit Kinder- und Jugendorganisationen, mit KünstlerInnen aus Radebeul. Es gibt Netzwerke: KünstlerInnen und AktivistInnen der Friedlichen Revolution, die im Lügenmuseum mit Videos, Ausstellungen und Künstlerplakaten eine Stimme erhalten; KünstlerInnen, die eigene Kunstorte und kulturelle Biotope betreiben; KünstlerInnen die im öffentlichen Räum ebenso wie in ihrem Atelier praktizieren können und ein Team von Künstlern, die jährlich den Skulpturengarten auf den Elbwiesen errichten.

Kaum etwas scheinen wir derzeit dringender zu benötigen als Utopien – Ideen, Hoffnungen und Pläne, wie es weitergehen könnte. Obwohl allen bekannt ist, wie alles miteinander zusammen hängt und nur daraus konstruktive Zukunft gestaltet werden kann, folgen wir nicht dieser Erkenntnis. Daraus resultieren vielerorts Pessimismus, Angst und Wut, die sich impulsiv und rückwärtsgewandt mit der Forderung nach dem alten Zustand gegen die gerade unerträglich empfundene Situation entladen. Kunst dagegen weitet unser Blickfeld, öffnet alternative Weltentwürfe und macht Sehnsüchte und Alternativen sichtbar. Sie bieten Anlass zur Entwicklung neuer Lebensweisen und vor allem, kann Energien umformen und vermittelt das Selbstverständnis der Internationalität.

Und wie können wir selbst aktiv unsere Zukunft mitgestalten? Die Freiheitstheorie von Joseph Beuys wuchs aus dem Grundgedanken das „Noch-Nicht“- Erfolgte zu hinterfragen. Mit seiner Utopie Jeder Mensch ist ein Künstler spricht er von einer Gesellschaftsform, dessen Kraft aus dem kreativen Potenzial entwächst. Stets unvollständig, fragmentarisch war er im Austausch mit zahlreichen Mitstreitern. Im Osten vor dem Mauerfall waren intellektuelle Offenheit und Improvisation gleichzeitig Überlebensstrategien der Gegenkultur. Sie stifteten uns zur Rebellion gegen das vorherrschende Klima des moralisch verhärteten Systems an. Die daraus entstehenden Ereignisse von konkreter und vielfältiger Vergegenwärtigung, das ist unsere Erfahrung, können betonierte Identitäten auf brechen. Dahin allerdings führen keine Projekte oder Methoden, Voraussetzung ist eine Grundhaltung des Denkens und Handelns welche der Öffnung und Improvisation folgt. Heute steht eine Ästhetik des Widerstandes gegen eine totale wirtschaftliche Verwertung im Blick, denn bei den öffentlichen Gütern wie Luft, Wasser, Klima, Natur, Insekten, aber auch bei historischen Gebäuden hat die Wirtschaft total versagt.

Das führt uns zu dem Thema Defekte der Demokratie und welche Wege zu ihrer Reparatur beschritten werden können. Die größten „Baustellen“ der strukturimmanenten Demokratiedefekte sind mittlerweile bekannt. Obwohl sich die Mehrheit skeptisch über die praktischen Aussichten der eigenen (sowie anderer) Reformvorschläge zeigte, bleibt die unausgesprochene Zustimmung zur Frage „Wer soll normative Richtungen vorgeben, wenn nicht wir, die Bürger von Radebeul?

Der Verein Kunst der Lüge e.V. richtet sich an die regionale Kulturszene, Kultureinrichtungen und an ein breites Publikum aller Gesellschaftsschichten vom Kleinkind, Schüler/Studenten, bis zu den Senioren. Wichtige Themen der Aktivitäten sind die kulturelle Bildung unterschiedlicher Gesellschaftsschichten, Bewusstsein bilden für eine solidarische Gesellschaft und die Vermittlung der europäischen Idee. Die Besucher erfahren, wie kreative Kraft von Spiel, Konfrontation und Reibung es einem Bildenden Künstler erlaubt, in die Gesellschaft hineinzuwirken.

Hinter dem Namen Kunst der Lüge steht folgende philosophische Idee: die Lüge im Dienst der Wahrheit wäscht den Staub von den Sternen. Es geht also nicht um Lug und Betrug, sondern darum, Künstler und ihre Ideen zu fördern. Das Thema Lüge gehört in den Bereich der Illusionen, wie z.B. das Marketing, welches uns Überflüssiges schmackhaft macht und den Konsumenten Wünsche injiziert. Dagegen wirkt der Künstler mit der Dekonstruktion, um unreflektierte Verhaltensweisen des Alltag vor Augen zu führen und zu entlarven.

Interessenten können sich bei der Kunstvermittlung engagieren, Öffentlichkeitsarbeit, beim Verteilen von Flyern, bei der Renovierung des historischen Gebäudes, Kommunikation mit Kooperationspartnern oder mit Führungen durch die Kunstereignisse in die komplexe künstlerische Zusammenhänge einführen, um die inneren Kräfte der Kunst zu erleben.
Susanne Spillner aus Kaditz lädt jeden Donnerstag einen Künstler zum Mittag ins Lügenmuseum ein. Juliane Vowinckel berät die Antragstellung und ist bei den Projekten kommunikativ vor Ort. Dorota Zabka gestaltet die Medien und Reinhard Zabka steht für die künstlerische Ausrichtung der Vorhaben und viele Künstler engagieren sich.

Im Sommer sind wir mit einer „mobilen Klangreise durch die jüdische Welt“ im Rahmen von 1700 Jahren jüdische Welt auf der Hauptstrasse in Dresden zum Schaubudenspektakel. Dann wird auch eine Kurzfilmreihe Tatort Radebeul rund um den Gasthof entstehen. Auch dieses Jahr kommen wieder lokale und internationale Künstler umsonst und draußen zusammen und vermitteln in Altserkowitz auf unkonventionelle Art eine Vielfalt kultureller Ausdrucksformen. Das Kunstprojekt Freie Kunsthalle Radebeul, eine Freiraum Ausstellung geht noch bis Ende September 2021.

Reinhard Zabka
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Über Termine und weitere Details können Sie sich gern auf unserer Webseite www.luegenmuseum.de infomieren.

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