Eine Hausgeschichte aus Oberlößnitz

Heute geht’s bei mir nicht um Bäume, Bücher oder Inseln, nein, es sind wieder mal Häuser, also alte Häuser dran. Da ich inzwischen in Niederlößnitz seßhaft geworden bin, ist ein Oberlößnitzer Thema für mich schon fast wie eine Reise.

Eigentlich kennen wir sie alle, die stattliche Villa Eduard-Bilz-Straße 23, neulich war sie bei dem Thema „alte Fahnenstangenhalterungen“ dabei gewesen. Vor allem fällt sie auf, wenn wir durch den mittleren Abschnitt der Bilzstraße gehen, weil sie deutlich anders aussieht als die hier dominierenden Schweizerhäuser aus der Feder der Gebr. Ziller. Hier hatten die Zillers in der 2. Hälfte des 19. Jh. alle Parzellen, zumeist ehemalige, flachere Weinberge, nacheinander in ihren Besitz bekommen. Besagte Villa fällt nicht mehr in die Firmenzeit der Gebr. Ziller, sie entstand erst nach dem Tod von Moritz Ziller (1838-1895) und seinem Bruder Gustav Ziller (1842-1901). Marie Ziller, die Ehefrau von Gustav Ziller, führte dann die Firma Gebr. Ziller zusammen mit Architekt Max Steinmetz noch eine Zeitlang weiter. Und so geht der Entwurf der Villa von 1905 auch auf diesen Architekten zurück. Steinmetz wandte sich stilistisch dem Neobarock und Jugendstil zu, insofern unterscheidet sie sich von den sonstigen Zillerhäusern in der Bilzstraße.

Was mich an dem Standort aber besonders interessierte, war die Tatsache, dass auf diesem Grundstück drei völlig andere Häuser innerhalb von nur 30 Jahren gestanden haben müssen, so etwas findet man kaum an einem anderen Standort in Radebeul. Es begann damit, dass Moritz Ziller 1872 hier ein Grundstück mit einem Winzerhaus an der Sophienstraße (später Eduard-Bilz-Straße) erwarb. Ob sich Ziller mit Weinbau beschäftigt hat, ist aber eher unwahrscheinlich. Die Parzellenkäufe an der damaligen Sophienstraße erfolgten ja zu einer Zeit als der Weinbau schon rückläufig war. Moritz Ziller wird auch in seinem Winzerhaus nicht selbst gewohnt haben, da zu dem Zeitpunkt sein Wohn- und Bürohaus im heutigen Augustusweg 5 bereits bestand. Dieses Winzerhaus gehörte zu einer Reihe von Oberlößnitzer Winzerhäusern, auf die ich später noch eingehen werde, und brannte 1876 ab. Eine Brandursache weiß heute niemand mehr, war das Haus etwa ein Spekulationsobjekt? Noch im gleichen Jahr plante Moritz Ziller (er unterzeichnete den Antrag selbst) und errichtete auf der östlichen Seite des Grundstücks (Flurstück 50, Gemarkung Oberlößnitz) wieder ein Winzerhaus neuen Typs oder war es doch mehr ein kleines Bauerhaus im Stil der Schweizerhäuser. Es sah den Landhäusern der Gebr. Ziller in der Bilzstraße 27, 31, 33, 34 und 35 schon ein bißchen ähnlich, hatte aber nicht die gleiche Bauflucht. Da gab es einen bescheidenen Wohnbereich, einen kleinen Kuh- und Schweinestall, den Schuppenanteil und einen Heuboden. Es lässt sich heute kaum noch nachweisen, welche Wein- oder Ackerflächen zu der Landwirtschaft dazugehört haben könnten und ob das in der Zeit überhaupt so funktioniert hätte. Der Trend für die Zillers in der Gegend und zu der Zeit waren sowohl bescheidenere und als auch luxeriösere Wohnbauten. Auf dem Grundstück stand etwas abseits noch eine Scheune, wohl ein Zubehör zum alten Winzerhaus, das möglicherweise nach dem Dreißigjährigen Krieg, also in der 2. Hälfte des 17. Jh., gebaut worden war.

Zillerhauszeichnung


Nachdem 1905 die nach der Prachtstraße ausgerichtete Villa geplant und bis 1906 fertiggestellt worden war, konnte man die Scheune und das bäuerliche Winzerhaus abreißen. Schließlich erhielt die Villa auf der Südseite noch einen Pavillon, der originellerweise über dem noch erhaltenen Weinkeller des alten Winzerhauses platziert wurde – die wohl einzige Radebeuler Laube mit Keller! Die Lage des Kellers sagt nur bedingt etwas über den genauen Standort des Winzerhauses aus. Wir finden solche Weinkeller bei anderen Winzerhäusern ganz oder teilweise unter dem Haus oder auch völlig daneben liegend.

Ansicht heute, von NW


Üblicherweise füge ich zu meinen Aufsätzen ein paar Bilder hinzu und hier wären Ansichten von den drei Bauten sicher hilfreich. Die Villa kann ich von der Straße aus fotografieren, kein Problem, aber was mache ich mit den anderen Häusern auf dem Grundstück, die wohl niemand fotografiert hat? Zu dem „modernen Winzer- oder Bauernhaus“ habe ich eine Ansicht und einen Grundriss in der Bauakte gefunden, die ich nach Abstimmung mit dem heutigen Eigentümer kopieren und verwenden darf. Kritisch wird es bei dem alten, abgebrannten Winzerhaus. Aber in o.g. Bauakte von M. Ziller ist im Lageplan das alte Winzerhaus mit gestrichelten Linien in den Umrissen eingetragen (Grundfläche Hauptbau =18 x 7m und daran ein nördlicher Anbau =10 x 3m). Das Hauptgebäude habe ich in den Abmessungen mit sechs noch existierenden Winzerhäusern aus dieser Zeit (Haus Breitig, Haus Lorenz, Haus Clauß, Haus Erdmann, Haus Lotter und Haus Baurick) verglichen – im Mittel Länge =16,10m und Breite =7,40m – und so den Typ eines Winzerhauses aus der 2. Hälfte des 17. Jh. bzw. der 1. Hälfte des 18. Jh. näherungsweise bestimmt. Wir wissen, dass eine zweigeschossige Bauart bei Winzerhäusern in der Lößnitz üblich war, dass das OG meist in Fachwerkbauweise erfolgte und dass als oberer Abschluss ein steileres Walmdach vorherrschend war. Der Anbau könnte eingeschossig mit Schleppdach gewesen sein, wie es noch bis in die 80er Jahre am Haus Breitig zu sehen war. Aber ein zweigeschossiger Winkelbau, ähnlich dem Haus Barnewitz, wäre hier auch möglich gewesen. Die Lage des alten Winzerhauses wird auch auf dem „Plan der Lößnitz“ von 1874 dargestellt. Mit der Summe dieser Annahmen habe ich eine grobe Skizze (Ansicht von SW, ohne Fenster und Türen) des abgebrannten Winzerhauses mit Anbau angefertigt, so könnte man sich auch das älteste Haus auf diesem Grundstück in etwa vorstellen, ein Beweis ist es nicht!

Ausschnitt aus altem Lageplan von Oberlößnitz (1881)


Ein Blick auf die städtebauliche Entwicklung dieses Teils von Oberlößnitz soll die Betrachtung abschließen. Zunächst waren da die drei Berggassen, die obere Berggasse, die der heutigen Weinbergstraße entspricht, die mittlere Berggasse heißt heute Augustusweg und schließlich die untere Berggasse im Verlauf von Maxim-Gorki-Straße und Nizzastraße. An diesen alten Fahrwegen reihten sich locker die Winzerhäuser bzw. Weingüter in Ost-West-Richtung auf. An der unteren Berggasse waren dies von Ost nach West u.a. die ehem. Gaststätte „Zum Russen“, Haus Breitig, Lindenhof, Max.-Gorki-Str. 16 (Teile eines Winzerhauses sind noch im EG zu finden), „unser Winzerhaus“, das Moritz Ziller erwarb, Haus Thieme sowie ein Winzerhaus, das für den Hotelneubau in den 90er Jahren abgebrochen worden war. Verbindungswege zwischen den Berggassen hatten zunächst nur den Zweck die Weinflächen und -berge zu erschließen, hier befanden sich keine Häuser. Nachdem die Gebr. Ziller die unrentablen Weinflächen billig aufgekauft hatten, begannen sie in den Jahren ab 1877 die vom Tal aus gesehen rechte Hälfte der heutigen E.-Bilz-Straße mit einer Reihe zum Teil gleicher Schweizerhäuser in Nord-Süd-Richtung zu bebauen. Diesen Bebauungszustand ist auf einer Äquidistantenkarte aus dem Jahr 1881, hier ist auch das neue, oben beschriebene Winzer- bzw. Bauernhaus zu erkennen. Darauf folgte in den 80er Jahren des 19. Jh. die Bebauung der linken Seite der heutigen E.-Bilz-Straße. Um 1880 ließen die Gebr. Ziller auf eigene Kosten am unteren Anfang der Sophienstraße (so hieß die E.-Bilz-Str. früher) noch zwei Bacchantengruppen, plastische Gestaltungen aus der Produktion von E. March & Söhne, Charlottenburg, auf hohen Sandsteinsockeln errichten, womit der Straßenzug aufgewertet wurde. Man versprach sich aber auch, dass sich dadurch der Verkauf der einzelnen Häuser günstigter gestalten würde. Da die meisten der o.g. Winzerhäuser stehen blieben, verdichtete sich von da ab die Bebauung der Oberlößnitz. In der Gründerzeit beteiligten sich am Bau neuer Wohnbauten, dem „Bauboom“, auch andere Baubetriebe außer den Zillers. Eine ähnliche städtebauliche Entwicklung können wir auch im Ortsteil Niederlößnitz erkennen, wobei dort die Fa. Gebr. Ziller besonders in der nach ihnen benannten Zillerstraße tätig geworden ist.

Als nach vielen Jahren des Kampfes gegen die Reblaus unter Carl Pfeiffer dann wieder mit dem Weinbau begonnen werden konnte, waren nur die Steillagen noch verfügbar. Ehemals mit Wein bestockte, flachere Flächen hatte man da schon dicht mit Häusern bebaut und waren damit für den Weinbau verloren. Das mag man bedauern oder auch nicht, man hat es inzwischen so akzeptiert.

Ich bedanke mich beim heutigen Eigentümer, Herrn Lippik und bei dem Mitbewohner Herrn Dr. Petzholtz für Auskünfte und Unterstützungen bei meiner Arbeit.

Dietrich Lohse
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Literaturhinweise:
1, „Die Berliner Familie March … eine Erfolgsstory“, Birgit Jochens u. Doris Hünert, Metropol Verlag Berlin,
2000 (darin das Kapitel „E. March und das sächs. Nizza“ von Gudrun Täubert, Radebeul)
2. „Auf den Spuren der Gebrüder Ziller in Radebeul“, Markus und Thilo Hänsel, Notschriften Verlag,
Radebeul 2008

Kammermusikauftakt in der Hoflößnitz mit den Zwinger Singers

Mit den bekannten Klassikern der Comedian Harmonists »Mein kleiner grüner Kaktus« und »Liebling, mein Herz lässt dich grüßen« begann am 4. Juli die Reihe »Kammermusik in der Hoflößnitz« 2021, wegen Corona diesmal im ausverkauften Winzersaal. Dazwischen brachte Museumsleiter Frank Andert bei der Begrüßung seine Freude darüber zum Ausdruck, dass endlich wieder Konzerte möglich sind, eine Freude, die die Musikliebhaber ganz offensichtlich teilten. Verläuft bald alles wieder in normalen Bahnen? »Wir hoffen darauf, ohne blauäugig sein zu wollen.«

Die »Dresdner Zwinger Singers«, so der Name des Quartetts mit Bernhard Hentrich (Professor für Alte Musik), Götz Hütter (Tenor und Musiktherapeut), Michael Reich (Diplom-Sänger und »Vater der Truppe«) sowie Holger Steinert (Bass an der Semperoper), verführten gekonnt zu einer musikalischen Zeitenreise durch das A-cappela-Repertoire der letzten 300 Jahre. Mit viel Charme wurde Heinrich Werners Vertonung von Goethes »Sah ein Knabe ein Röslein stehen« zelebriert und ein Wiegenlied, dass die Sänger selbst schon ihrem Nachwuchs boten. Volkslieder, die zu hoher Kunst aufgewertet wurden, wie z.B. »Das Wandern ist des Müllers Lust« erfreuten die Zuhörer. Letztlich ist aus dem berufenen Mund des Quartetts zu hören, dass »das Wasser zu wandern beginnt. – Bitte nicht an immer neue Jahrhundert-Hochwasser und die Elbe in Radebeul denken.

Viele klassische Lieder aus dem Repertoire des Quartetts luden auch dank der witzigen Moderation durch Götz Hütter zum Schmunzeln und manche sogar zum Mitsingen ein. Ihre Verbundenheit mit Radebeul und Karl May war den »Zwinger Singers« bei der hochkarätigen Darbietung von dessen »Ave Maria« deutlich anzuhören, ein Höhepunkt des späten Nachmittags.

Das Quartett erreichte, u.a. durch die Aufforderung zum Mitsingen, eine ausgesprochene Gute-Laune-Stimmung beim vorwiegend älteren Publikum. Die Sänger selbst, so war zu erfahren, kennen sich schon seit über 30 Jahren vom gemeinsamen Musikstudium in Dresden.

Alles in allem ein gelungener Auftakt in der Hoflößnitz. Bis Ende Oktober stehen noch sechs weitere erlesene Konzerte auf dem Programm.

Angelika Guetter
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Näheres unter www.hofloessnitz.de.

Kunst der Lüge e.V.

Wie wollen wir unsere Zukunft gestalten?

Mit diesem Artikel möchten wir den Neuen Radebeuler Kunstverein Kunst der Lüge e.V. vorstellen. Zur Ausstellung von Klaus Liebscher zu seinem 80. Jubiläum im Lügenmuseum hatten wir per Mail eingeladen. Da gab es Irritationen, denn es gab einen Kunstverein in Radebeul, der sich vor einigen Jahren aufgelöst hatte.

Der gemeinnützige Verein Kunst der Lüge wurde 2008 in Brandenburg gegründet und verlegte seinen Sitz 2012 nach Radebeul. Der Verein fo?rdert Kunst, Kultur und Denkmalpflege, den Dialog der Kulturen, internationale Kunstprojekte und die Pflege historischer Bauten, es gibt ca. 30 Mitglieder. Mitarbeiter und Ehrenamtliche setzen zahlreiche Kunstprojekte und Ausstellungen im öffentlichen Raum in Sachsen und anderen Bundesländern um. Mit einem langfristig angelegten kreativen Nutzungskonzept setzt er sich für die behutsame Instandsetzung der historischen Bausubstanz des 700-jährigen historischen Gasthofes Serkowitz ein.

Der Radebeuler Kunstverein Kunst der Lüge e.V. ist ein Labor zur Erfindung der Zukunft vor Ort. Er steht für Mut, sich auf Unbekanntes einzulassen und für Offenheit zwischen den Kulturen. Als Träger von Kunstprojekten warb er Förderungen von Land Bund Kulturraum, Landkreis und Stiftungen ein, 2020 in Höhe von 76.000 €. Von der Beantragung, Dokumentation, Mediengestaltung bis zur Abrechnung ist die Vereinsvorsitzende Dorota Zabka ein ganzes Jahr damit ehrenamtlich beschäftigt.

Hinter dem Lügenmuseum stehen KünstlerInnen und engagierte Menschen mit hohen Kompetenzen, die mit künstlerischen, ökologischen und soziokulturellen Initiativen das Haus unterstützen. Es entstanden zahlreiche Kooperationen mit Kinder- und Jugendorganisationen, mit KünstlerInnen aus Radebeul. Es gibt Netzwerke: KünstlerInnen und AktivistInnen der Friedlichen Revolution, die im Lügenmuseum mit Videos, Ausstellungen und Künstlerplakaten eine Stimme erhalten; KünstlerInnen, die eigene Kunstorte und kulturelle Biotope betreiben; KünstlerInnen die im öffentlichen Räum ebenso wie in ihrem Atelier praktizieren können und ein Team von Künstlern, die jährlich den Skulpturengarten auf den Elbwiesen errichten.

Kaum etwas scheinen wir derzeit dringender zu benötigen als Utopien – Ideen, Hoffnungen und Pläne, wie es weitergehen könnte. Obwohl allen bekannt ist, wie alles miteinander zusammen hängt und nur daraus konstruktive Zukunft gestaltet werden kann, folgen wir nicht dieser Erkenntnis. Daraus resultieren vielerorts Pessimismus, Angst und Wut, die sich impulsiv und rückwärtsgewandt mit der Forderung nach dem alten Zustand gegen die gerade unerträglich empfundene Situation entladen. Kunst dagegen weitet unser Blickfeld, öffnet alternative Weltentwürfe und macht Sehnsüchte und Alternativen sichtbar. Sie bieten Anlass zur Entwicklung neuer Lebensweisen und vor allem, kann Energien umformen und vermittelt das Selbstverständnis der Internationalität.

Und wie können wir selbst aktiv unsere Zukunft mitgestalten? Die Freiheitstheorie von Joseph Beuys wuchs aus dem Grundgedanken das „Noch-Nicht“- Erfolgte zu hinterfragen. Mit seiner Utopie Jeder Mensch ist ein Künstler spricht er von einer Gesellschaftsform, dessen Kraft aus dem kreativen Potenzial entwächst. Stets unvollständig, fragmentarisch war er im Austausch mit zahlreichen Mitstreitern. Im Osten vor dem Mauerfall waren intellektuelle Offenheit und Improvisation gleichzeitig Überlebensstrategien der Gegenkultur. Sie stifteten uns zur Rebellion gegen das vorherrschende Klima des moralisch verhärteten Systems an. Die daraus entstehenden Ereignisse von konkreter und vielfältiger Vergegenwärtigung, das ist unsere Erfahrung, können betonierte Identitäten auf brechen. Dahin allerdings führen keine Projekte oder Methoden, Voraussetzung ist eine Grundhaltung des Denkens und Handelns welche der Öffnung und Improvisation folgt. Heute steht eine Ästhetik des Widerstandes gegen eine totale wirtschaftliche Verwertung im Blick, denn bei den öffentlichen Gütern wie Luft, Wasser, Klima, Natur, Insekten, aber auch bei historischen Gebäuden hat die Wirtschaft total versagt.

Das führt uns zu dem Thema Defekte der Demokratie und welche Wege zu ihrer Reparatur beschritten werden können. Die größten „Baustellen“ der strukturimmanenten Demokratiedefekte sind mittlerweile bekannt. Obwohl sich die Mehrheit skeptisch über die praktischen Aussichten der eigenen (sowie anderer) Reformvorschläge zeigte, bleibt die unausgesprochene Zustimmung zur Frage „Wer soll normative Richtungen vorgeben, wenn nicht wir, die Bürger von Radebeul?

Der Verein Kunst der Lüge e.V. richtet sich an die regionale Kulturszene, Kultureinrichtungen und an ein breites Publikum aller Gesellschaftsschichten vom Kleinkind, Schüler/Studenten, bis zu den Senioren. Wichtige Themen der Aktivitäten sind die kulturelle Bildung unterschiedlicher Gesellschaftsschichten, Bewusstsein bilden für eine solidarische Gesellschaft und die Vermittlung der europäischen Idee. Die Besucher erfahren, wie kreative Kraft von Spiel, Konfrontation und Reibung es einem Bildenden Künstler erlaubt, in die Gesellschaft hineinzuwirken.

Hinter dem Namen Kunst der Lüge steht folgende philosophische Idee: die Lüge im Dienst der Wahrheit wäscht den Staub von den Sternen. Es geht also nicht um Lug und Betrug, sondern darum, Künstler und ihre Ideen zu fördern. Das Thema Lüge gehört in den Bereich der Illusionen, wie z.B. das Marketing, welches uns Überflüssiges schmackhaft macht und den Konsumenten Wünsche injiziert. Dagegen wirkt der Künstler mit der Dekonstruktion, um unreflektierte Verhaltensweisen des Alltag vor Augen zu führen und zu entlarven.

Interessenten können sich bei der Kunstvermittlung engagieren, Öffentlichkeitsarbeit, beim Verteilen von Flyern, bei der Renovierung des historischen Gebäudes, Kommunikation mit Kooperationspartnern oder mit Führungen durch die Kunstereignisse in die komplexe künstlerische Zusammenhänge einführen, um die inneren Kräfte der Kunst zu erleben.
Susanne Spillner aus Kaditz lädt jeden Donnerstag einen Künstler zum Mittag ins Lügenmuseum ein. Juliane Vowinckel berät die Antragstellung und ist bei den Projekten kommunikativ vor Ort. Dorota Zabka gestaltet die Medien und Reinhard Zabka steht für die künstlerische Ausrichtung der Vorhaben und viele Künstler engagieren sich.

Im Sommer sind wir mit einer „mobilen Klangreise durch die jüdische Welt“ im Rahmen von 1700 Jahren jüdische Welt auf der Hauptstrasse in Dresden zum Schaubudenspektakel. Dann wird auch eine Kurzfilmreihe Tatort Radebeul rund um den Gasthof entstehen. Auch dieses Jahr kommen wieder lokale und internationale Künstler umsonst und draußen zusammen und vermitteln in Altserkowitz auf unkonventionelle Art eine Vielfalt kultureller Ausdrucksformen. Das Kunstprojekt Freie Kunsthalle Radebeul, eine Freiraum Ausstellung geht noch bis Ende September 2021.

Reinhard Zabka
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Über Termine und weitere Details können Sie sich gern auf unserer Webseite www.luegenmuseum.de infomieren.

Prof. Dr. phil. Dr. h.c. Heinrich Magirius zum Gedenken

Am Ende bleibt die Dankbarkeit.

Heinrich Magirius in seinem Arbeitszimmer, 2009


Mit dem Kunstgeschichtler und Denkmalpfleger Prof. Dr. Heinrich Magirius hat die Stadt Radebeul einen Menschen verloren, der sie immer im Herzen getragen hat. War er als Kind schon häufig Gast bei den Großeltern in der Lößnitzgrundstraße, hat er hier später für sich und seine Familie den Lebensmittelpunkt gefunden. Es wird dieser Tage viel gesprochen über seine schlichte aber unübersehbare Präsenz, die überall dort aufleuchtete, wo es um Wahrheit und Würde ging. Was sachsenweit an überregional bedeutsamen Denkmalen bewahrt und behutsam saniert wurde, trägt weithin seine Handschrift. Er selbst hätte andere Namen genannt: Fritz Löffler, Walter Bachmann, die großen Vorbilder und Vorgänger, Hans Nadler, den langjährigen Chef und Elisabeth Hütter, die Mitstreiterin früher Jahre.

Das Erlebnis der Zerstörung Dresdens hatte schon dem Kruzianer die Augen geöffnet für den Wert des Bestehenden und seinen frühen Willen geformt, dem Erhaltenswerten seine Aufmerksamkeit zu widmen. Mit Pinsel und Farbe begann der Schüler, Gebliebenes zu dokumentieren. Auf diese Weise bekam er ein sicheres Gefühl für Proportion und menschliches Maß beim Bau. Darauf fußte schließlich auch seine lebenslang bewiesene Urteilskraft in Bezug auf Wert und Wirken ebenso wie sein Studium der Archäologie und der Kunstgeschichte.

Seine Leistungen für Sachsen und die Denkmalpflege überhaupt sind deutschlandweit präsent. Hier soll der Blick noch einmal auf die engere Heimat Radebeul gerichtet werden.

Nicht nur bei der nach 1993 beginnenden Neuerfassung des Denkmalbestandes, für die er verantwortlich zeichnete, hat er der Stadt besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Er war lange Jahre stellvertretender Vorsitzender des Kuratoriums der Stiftung Hoflößnitz, war Gründungsmitglied im „verein für denkmalpflege und neues bauen radebeul e.v.“ und hier über all die Jahre Mitglied der Jury für den Bauherrenpreis, wo seine Fachexpertise gebraucht und geschätzt wurde. Eine Veröffentlichung über Radebeuler Kirchen aus seiner Feder erschien 2001. Im Jahr darauf bereitete er der Stadt Radebeul mit der Herausgabe der Festschrift „600 Jahre Hoflößnitz“ ein besonderes Geschenk. Über Jahrzehnte hatte er sich um das Schicksal unseres bedeutendsten Denkmalensembles gesorgt, das in seiner Schlichtheit seinem eigenen Wesen zu entsprechen schien.

Der Satz: „Nachdem sich der Kurfürst in der Hoflößnitz als ‚Weinbauer‘ dargestellt hatte, war es lange Zeit auch für andere Bauherren nicht möglich, sich über dessen Zurückhaltung in der äußeren Gestaltung zu erheben“ habe ich stets als Mahnung an moderne Bauherren empfunden, an dieser Zurückhaltung sich zu orientieren.

Wohl hat der Verein seine Aufforderung, man müsse „definieren“, was unter dem Begriff „besonderer Charakter der Stadt“ zu verstehen sei, ernst genommen (ausgesprochen bei der Satzungsdiskussion zur Vereinsgründung) und immer wieder Gesprächsrunden zum Thema angeschoben. Aber leider ist es auch uns nicht gelungen, dem Gedanken der „fürstlichen Zurückhaltung“ im modernen Bauen die erforderliche Geltung zu verschaffen. Dies bleibt für uns alle eine freilich täglich schwerer werdende Aufgabe auch in Zukunft.

Seine Stimme stiller Höflichkeit und Würde wird in unserer lauten Welt lange fehlen.

Am Ende aber bleibt die Dankbarkeit, sie gehört zu haben.

Thomas Gerlach

26 Jahre im Dienst für Käthe Kollwitz

Zur Eröffnung der Ausstellung „Überblick-Bilder aus fünf Jahrzehnten“ des Malers und Grafikers Peter Pit Müller sah ich auch Sabine Hänisch unter den zahlreich erschienenen Gratulanten.

Erst danach erfuhr ich, dass sie seit dem 1. Juli in den Ruhestand gegangen war. Grund genug, Sie zu einem rückblickenden Gespräch für „Vorschau & Rückblick“ zu bitten, dem Frau Hänisch gern nachkam.

Seit der Eröffnung des Käthe-Kollwitz-Hauses Moritzburg anlässlich des 50. Todestages von Käthe Kollwitz am 22. April 1995, war Sabine Hänisch die Geschäftsführerin. Als Mitarbeiterin in der Tourist-Information Moritzburg begleitete sie schon vor der Eröffnung die Bauphase des Hauses auf dem Rüdenhof.

Bis zu dieser grundlegenden Sanierung hielt hier der Freundeskreis – „Käthe Kollwitz Haus“ in Moritzburg die Erinnerung an diese herausragende Grafikerin, Zeichnerin und Bildhauerin in ehrenamtlicher Arbeit wach.

Im Bewusstsein, dass sich in Moritzburg der einzige erhaltene authentische Aufenthaltsort dieser großartigen Künstlerin befindet, hat nach 1989 die Kreissparkasse Köln als Trägerin des dortigen Käthe Kollwitz Museum Unterstützung angeboten, das Sterbehaus von Käthe Kollwitz als Erinnerungsort für die Öffentlichkeit dauerhaft zugänglich zu machen. Gemeinsam mit den Partnern aus Köln hat dann die Gemeinde Moritzburg eine Stiftung gegründet – eine der ersten in Sachsen.

Sabine Hänisch, die Mitglied im Freundeskreis war und ist, wurde die Geschäftsführerin der Stiftung Käthe Kollwitz Haus Moritzburg. Gemeinsam mit weiteren engagierten Fachleuten, u.a. der Enkelin von Käthe Kollwitz, Frau Dr. Jutta Bohnke-Kollwitz, wurden das inhaltliche und räumliche Konzept erarbeitet.

Pünktlich am 22. April 1995 öffnete dann zum ersten Mal das Käthe Kollwitz Haus offiziell die Türen.

Die Dauerausstellung in den oberen sieben Räumen, von denen nur zwei von Käthe Kollwitz bewohnt worden waren, bilden das Kernstück des Museums. In den unteren Räumen sollen wechselnde Ausstellungen und Veranstaltungen das Haus lebendig halten.

Die Vorstellung, dass Sabine Hänisch das Haus allein betreuen kann, erwies sich sehr schnell als unrealistisch.

Noch im Herbst 1995 wurde mit Margit Kamptner eine zweite Mitarbeiterin in Teilzeit eingestellt, die bis heute sehr engagiert im Haus tätig ist.

Mit der Verabschiedung des Kulturraumgesetzes in Sachsen erfolgte zeitgleich die verbindlich Festlegung, dass Kultur eine Pflichtaufgabe für die Kommunen ist. Gleichzeitig diente es der finanziellen Unterstützung der Kommunen bei der Erfüllung dieser Aufgabe.

In den folgenden Jahren gelang es Sabine Hänisch durch Sonderausstellungen dem Haus ein besonderes Profil zu geben. Drei Schwerpunkte waren der Leitfaden: Käthe-Kollwitz- Preisträger (z.B. Kurt Querner, Arno Mohr, Harald Metzkes) – der Preis wird schon seit 1962 durch die Akademie der Künste Berlin vergeben, Zeitgenossen von Käthe Kollwitz ,(z.B. Heinrich Zille. Ernst Barlach, Edward Munch) und grafisch arbeitende Gegenwartskünstler (z.B. Elke Hopfe, Heike Wadewitz, Angela Hampel). Insgesamt konnten so Werke von über einhundert Künstlern präsentiert werden.

Gefreut hat sich Sabine Hänisch über die Gestaltung des Außenbereiches mit Hilfe zusätzlicher europäischer Fördermittel der LEADER Region Heidebogen in den Jahhren 2011/2012. Dadurch konnten für die Ausstellungsobjekte und die Veranstaltungen im Außenbereich ein ansprechenderes Ambiente geschaffen werden. Die Feuer in der großen Stahlschale des Künstlers Günter Schöttner waren dabei immer ein Höhepunkt. Leider führten dann finanzielle Engpässe dazu, dass diese zwar schönen, aber nicht zum Pflichtprogramm gehörenden Veranstaltungen wegfallen mussten.

Mit der Einrichtung der Grafikwerkstatt 2019 gelang ein wichtiger und zukunftsträchtiger Schritt.

Die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen zusammen mit der Malerin und Grafikerin Maja Nagel war nicht nur Erfüllung einer Satzungsaufgabe, sondern eine besondere Freude und und immer Bestätigung der langjährigen Bemühungen des Museumsteams, das Werk und das humanistische Gedankengut von Käthe Kollwitz zu vermitteln.

Um so schmerzhafter waren die zunehmenden finanziellen Schwierigkeiten, die sich seit 2018 entwickelten. Neue Kriterien der Förderung des Kulturraums führten dazu, dass die Gelder für das Käthe Kollwitz Haus stark reduziert wurden. Nur Dank des großen öffentlichen Drucks, konnte die Existenz zunächst wieder gesichert werden. Es bleibt die Aufgabe der Kollwitz-Stiftung, gemeinsam mit dem Kulturraumes Meißen – Sächsische Schweiz-Osterzgebirge, der Gemeinde Moritzburg und dem Freistaat Sachsen eine langfristige Lösung für die Finanzierung zu finden.

Sabine Hänisch boten die gesellschaftlichen Verhältnisse wenige Jahre nach der Wende die Möglichkeit hier als Quereinsteiger in einen Traumberuf arbeiten zu können. Später hat sie noch ein Studium Kulturmanagement an der Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie Dresden absolviert. Für sie blieben die kreativen Phasen, gemeinsam mit Künstlern Ausstellungen zu konzipieren und zu realisieren, die schönsten und die, die am meisten bereichert haben.

Sie bezeichnet rückblickend ihre Arbeit im Käthe-Kollwitz-Haus als sehr erfüllend. „Sich für das Andenken an eine Künstlerin wie Käthe Kollwitz einzubringen, deren Werk und Gedanken lebendig zu halten, war eine wunderbare Aufgabe. Als Mensch und Künstlerin, als Frau und Mutter beeindruckt mich ihr couragierter Lebensweg. An ihr können wir uns auch heute noch in vielen Lebensfragen orientieren.“

Das ist es, was bleibt – auch für Sabine Hänisch, wenn sie jetzt in den wohlverdienten Ruhestand getreten ist.

Wir wünschen Ihr für die Zukunft viel Zeit, um mit Freude die Vielfalt der Künste zu genießen.

Der Nachfolgerin, Frau Anke Rödel, wünschen wir viel Kraft für die anstehenden Aufgaben.

Ilona Rau

Editorial

Radebeul ist in Richtung Moritzburg von einigen beschaulichen Badeseen umgeben.

Besonders in diesem Jahr aber bemächtigt sich eine geradezu invasorische Sportart der wehrlosen Teichlandschaft. Gemeint ist das sogenannte Stehpaddeln, oder cooler ausgedrückt: Stand-Up-Paddling. Verlangte die Ausübung des Sports vor Jahren noch das beschwerliche Herankarren des überaus sperrigen Stehpaddelbretts, so schaffen dafür heutzutage aufblasbare Modelle im Rucksackformat Abhilfe.

Und so vergeht kein Tag mehr, wo Menschen in Badekleidung »quasi jesusgleich« über die Wasser wandeln.

Dem Treiben schon manches mal durchaus mit Wohlwollen zugeschaut, bleibt mir seine Sinnhaftigkeit jedoch bisher noch weitgehend verborgen. Zwar propagiert die Werbeindustrie gekonnt mit einem Ganzkörpertraining und suggeriert gestählte Muskelgruppen, tatsächlich aber rühren sich die wankenden Probanden im Kampf ums Gleichgewicht nur kaum, um nicht kläglich vom Brett ins kühle Nass zu fallen. Wer nun aber glaubt, dass sich dieser Sport gänzlich geräuschlos für die dahindämmernden Badegäste gestaltet, der irrt. Das nicht selten von mehreren Seiten deutlich zu vernehmende minutenlange Aufpumpen ist im Grunde eine Disziplin für sich und wohl das eigentliche Workout.

Wer es ganz mühelos will, und wie schon mehrfach erlebt, bedient sich gar eines elektrischen Kompressors. Umso schneller geht es später, wenn nach den Strapazen dem prallen Brett der Stöpsel gezogen wird und sich mit einem durchdringenden Zischgeräusch blitzartig der Druck entlädt.

Ja, der Fortschritt fordert halt seinen Tribut und zieht in allen Winkeln ein.

Nun bleibt nur zu hoffen, dass sich in Bälde hier nicht noch ein Kreuzfahrtschiff verirrt. Denn in Venedig dürfen sie ja nicht mehr rein!

Sascha Graedtke

Anhang zu: Ein Stück deutsche Politik im Spiegel einer älteren Buchreihe

Titelbild 21-07

Altzitzschewig 7 und 8

Was für eine sommerliche Idylle, was für ein schönes Dorfbild: Straße und Vorgärten bilden harmonische Übergänge, Fassaden mit Fachwerkobergeschossen sind in Stand gesetzt, es gibt dorftypische Dachdeckungen ohne Gleichmacherei und eine Blumenpracht, nur knapp hinter bayrischen Vorbildern. Ja, hier würde man gern wohnen!
Aber auch an schlechtere Zeiten wird, wenn man genau hinschaut, erinnert – 1836 war alles abgebrannt. Ein Herr Grille hat es mit Gottes Hilfe wieder aufgebaut, wie uns eine Sandsteintafel am Haus Altzitzschewig 8 verrät. Und 1890 hat hier schon wieder eine Scheune gebrannt!
Heute wohnt Familie Schumann hier – ein Rest Landwirtschaft ist für den Eigenbedarf.
Nicht im Bilde zu erkennen sind die Bauerngärten in der Mitte des Rundlings, erfreulich anzuschauen auch für die Besucher, die die paar Schritte von der Meißner Straße hierher gegangen sind. Es ist auch gut, daß von den Gärten ein Stück (war das früher mal der Dorfteich?) abgeteilt und als Kinderspielplatz eingerichtet worden ist.

Dietrich Lohse

Mit Bernhard Theilmann poetisch durch das Jahr

Radebeuler Miniaturen

Fliedermann und Rosenmarie

Nein, lila wäre zu simpel. Es ist ein Blau, das ins Rot hineinspielt, mal dunkler, mal heller, ja, es gibt ihn auch ganz weiß, den Flieder.
Laß nur den April vorübergehn mit seinen Launen, dann wirst du sehen können, wie der Fliedermann durch die Gärten wandert. Er kommt meist gegen Abend. Die Luft ist leichter geworden, und es schwingt etwas in ihr, das du nicht benennen kannst. Da weht noch einmal ein milder Hauch über die Köpfe, streicht dir durchs Haar und du spürst, irgendetwas ist anders geworden. Das war der Fliedermann. Du suchst ihn als Biedermann hinter einem leichten Spazierstock, aber – du wirst ihn nicht finden. Längst ist er viele Gärten weiter und nur die Bäume drehen die Köpfe nach ihm um. Aber wenn du am Morgen aus der Tür trittst, wird dir die Duftglocke die Eile nehmen. Tief atmend stehst du da, staunend über das abermalige Wunder. Nun weißt du genau: er ist da gewesen. Mit seinem Zauberstäbchen hat er all die wahrhaftig süßen Kelche – wer wollte sie zählen?! – erblühen lassen, die nun ihr Aroma in den Morgen senden.
Du wirst dich suchend umblicken, die Straße wird leer sein, aber über allen Zäunen grüßen die blauen Köpfe. So ist er überall und nirgends an diesem Morgen, und der Flieder glänzt in der frühen Sonne, und du weißt, es ist Mai. Mit ihm sind die Bienen unterwegs, solch ein Gewimmel … Sobald sich nur ein Stückchen Sonne zeigt, können sie gar nicht schnell genug von Blüte zu Blüte huschen, vor dem nächsten Regen die süße Fracht einzutragen.
Nicht mehr lang hin, da wird der Weg übersät sein mit all den ehemals blauen, nun aber welken Blütenkelchen, die ihre Zeit gehabt haben, wie du irgendwann deine Zeit gehabt haben wirst. Dann kannst du ihn verändert wiedersehen, den Fliedermann: Er lehnt lässig an der Remise, läßt sein Stöckchen kreisen mit einem Lächeln, wie weiland Johannes Heesters, und wartet auf die Rosenmarie.
So war der Mai.
Inzwischen tanzt Ulrike zwischen Bienen und Faltern durchs hüfthohe Gras der blühenden Wiesen. Wenn wir endlich aufhören, uns mit Rasemähergedöns einzumischen ins Wachstum, könnte es wieder häufiger solche Frühlingstage geben.

Thomas Gerlach, Mai 2021

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