Mit Bernhard Theilmann poetisch durch das Jahr

Kleine – baugeschichtliche – Ergänzung zum Artikel „Mit Schweiß gedüngt“ im Heft 2/ 21

Bernhard-Voß-Straße 27, März 2021 Foto: D. Lohse

Ich möchte nicht die Diskussion, ob und wie man über Ereignisse aus dem 3. Reich berichten darf, erweitern, nein es geht mir nur um ein Bild, das Foto eines Radebeuler Gebäudes in diesem Artikel auf S. 21. Von mehreren Bekannten sowie Freunden der Vorschau wurde ich nach Erscheinen des Februarheftes gefragt, wo denn das Gebäude an der Eisenbahnstrecke, in dem sich in den 20er Jahren eine Schuhfabrik befunden hätte, nun genau sei. Alle dachten, ich müsse alle Radebeuler Häuser kennen – ein paar sicherlich ja, aber bei diesem konnte ich nur mit den Schultern zucken. Das wurmte mich schon! Inzwischen habe ich mich etwas schlauer gemacht und glaube, in der Bernhard-Voß-Straße 27 im Ortsteil Kötzschenbroda fündig geworden zu sein.

Dieser Gebäudekomplex liegt nördlich der Bahngleise Dresden-Meißen, Dresden-Leipzig. Hier waren zeitgleich oder nacheinander Kleingewerbe, Büros, kulturelle Einrichtungen und Unterkünfte angesiedelt. Da soll es u.a. eine Schuhfabrik gegeben haben, ein Nachweis und ein Name für die Schuhfabrik konnte auch über das Stadtarchiv nicht ermittelt werden. Wenn es hier diese Schuhfabrik gegeben hatte, könnte sie möglicherweise in der Weltwirtschaftskrise 1928 die Produktion einstellt haben. Die private Musikschule von Wilhelm Laudel war auch hier eine Zeit lang tätig. Und schließlich waren in dem Gebäude die jungen Männer vom Reichsarbeitsdienst in der 2. Hälfte der 30er Jahre hier untergebracht. Das würde zur Aussage eines älteren Radebeulers, Herrn Krause aus der Dr.-Külz-Straße, passen, der als Kind die Reichsarbeitsdienstler hier vorbeimarschieren sah. Die heutige Dr.-Külz-Straße ist sozusagen der Verbindungsweg zwischen dem Quartier und den Niederlößnitzer Weinbergen. Ein Fotovergleich des Gebäudes in den 30er Jahren und heute zeigt im Detail ein paar Veränderungen: der Hauseingang ist durch einen raumgroßen Anbau verändert, die Fensterklappläden in den Etagen sind verschwunden und im 2. DG sind neuere Gaupen eingebaut worden – aber das Gebäude selbst ist das gleiche. In den 30er Jahren hieß diese Straße noch Blücherstraße und bei den Hausnummern hat es inzwischen auch Veränderungen gegeben.

Durch die Schilderungen, was Herr Zscheischler sen. beim RAD erlebte, erfuhr ich, dass es nicht nur Kriegsgefangene waren, sondern auch eine Gruppe Deutscher, die die alten Radebeuler Weinberge rekultiviert hatten.

Dietrich Lohse

Ein Kapitel Technikgeschichte in der Niederlößnitz

 

– Der Gießmannsche Tunnel –

Wenn man die Burgstraße, die dann in einen Wanderweg übergeht, aufwärts steigt, nimmt man in der Kurve ein Geräusch wahr, das an die Betätigung einer Wasserspülung eines WC erinnert – aber da ist weit und breit keine Toilette. Was ist das, spukt es hier vielleicht?

Der Tunnel ist fertig, 1878 Foto: Sammlung Teuser

Das Geräusch von fließendem Wasser, was wir bei dem Spaziergang hören können, ist der Rest einer im 19. Jh. sinnvollen Bewässerungsanlage. Als Erbauer gilt Ernst Louis Gießmann, ein Weinbergsbesitzer und Unternehmer in Niederlößnitz, den Weinberg neben der Burgstraße hatte er von seinem Vater, Traugott Leberecht Gießmann geerbt. Ihm gehörten auch Weinberge unterhalb der Friedensburg und die Friedensburg selbst. Sein Bruder Max dagegen war Eigentümer des Badhotels (heute Burgstraße 2), einem Gebäudekomplex in den besten Zeiten mit Badegelegenheiten, Restaurant und Hotel.

Entgegen der verbreiteten Meinung anderer Winzer glaubte E. L. Gießmann, dass er seine Weinstöcke bewässern müsse. Vielleicht wollte er dadurch mehr Ertrag und damit mehr Gewinn aus seinen Weinbergen herausholen, als andere Winzer der Lößnitz. Aber woher sollte Gießmann Wasser bekommen, ein öffentliches Wassernetz gab es in Kötzschenbroda frühestens seit 1889, wie am neben der Burgstraße befindlichen Wasserhochbehälter zu lesen ist. Gießmann fand Wasser etwas entfernter am Geländeeinschnitt längs des Kiesgrubenweges, da wo es kleine Fischteiche und auch Schwarzes Teich gab. Doch das Problem war, dass ein massiver Bergrücken, auf dem später der Wasserturm errichtet werden sollte, dazwischen lag. Er löste das Problem auf elegante, aber nicht ganz billige Art, er ließ durch das Bauunternehmen K. E. Dietrich und Spezialisten aus Italien von 1876-78 einen Tunnel durch das Massiv bauen. Das in der Lößnitz anstehende Gestein ist vorwiegend Syenit und bei der Länge des Tunnels von 368m Länge dürfte viel Geld und Schweiß geflossen sein! Ob beim Tunnelbau auch Bergleute aus Freiberg beschäftigt waren, ist nicht belegt und kann nur vermutet werden. Der Tunneleingang im Waldpark ist etwas schwerer zu finden als der Ausgang, er liegt oberhalb von Schwarzes Teich. Das gemauerte Eingangsbauwerk erinnert ein wenig an die Eisenbahntunnel aus dem 19. Jh., nur ist hier alles etwas kleiner.

Tunnelausgang, im Dezember 2020 Foto: D. Lohse

Die Tunnelstrecke hat leichtes Gefälle (ca. 5m auf 368m Länge) vom Eingang bis zum Ausgang an der Burgstraße und hat eine Höhe von ca. 2m und eine Breite von 1,2m – man könnte darin laufen, aber Gitter versperren den Eingang und Ausgang. Das Ausgangsbauwerk ist ähnlich, aber etwas aufwändiger mit Sandsteinzinnen (die Friedensburg hat ebensolche Zinnen) gestaltet, wohl weil hier mehr Leute vorbeikamen.

Außer dem Oberflächenwasser, was früher in einem nicht mehr sichtbaren, offenen Graben in den Tunneleingang geleitet wurde, kam auf der Strecke des Tunnels noch von der Decke und den Wänden abtropfendes Bergwasser dazu. Was man heute in einem Schacht an der Burgstraße noch fließen hört, dürfte also das Bergwasser sein. Ich vermute, dass im Tunnel das Wasser in einem Gerinne dem Ausgang zu floss, also nicht verrohrt war. Nur so konnten beide Wasserarten zusammen abgeleitet werden.

Tunneleingang, nahe »Schwarzes Teich« im Dezember 2020 Foto: D. Lohse

Ob die von Gießmann gewünschte bessere Weinernte durch die Bewässerung eingetreten ist, ist nicht überliefert. Wenn ja, dann war die Freude aber bald vorbei, denn die Reblaus beendete ab 1885 auch auf Gießmanns Weinbergen Wachstum und Erträge. Ein Strang der Wasserleitung vom Ausgang ab versorgte noch eine Weile das tiefer gelegene Badhotel mit Brauchwasser – eine Trinkwasserqualität des Tunnelwassers dürfte m.E. nie nachgewiesen worden sein. Die durch die Gebr. Ziller 1871 errichtete Friedensburg hatte wegen der Höhendifferenz nie Wasser aus dem Tunnel bekommen. Heute dient der Tunnel als ideales Fledermausquartier noch dem Naturschutz und zeigt im Inneren Tropfsteinausbildungen.

Der Tunnelausgang und sein Umfeld wurde 2009 durch das Gartenamt der Stadt Radebeul in Stand gesetzt und mit einer Infotafel für Wanderer und Interessierte versehen. Neben Fakten zum Tunnel verweist die Tafel auch auf den Froschkönig und einen Herrscher des unterirdischen Reiches. Letzteres erscheint mir etwas zu mystisch, vielleicht sehen Kinder das etwas anders. Ich würde bei dem Bauwerk einfach von einer gelungenen ingenieurtechnischen Leistung des 19. Jh. sprechen, die aber nur die kürzeste Zeit nutzbringend war, Herr E. L. Gießmann hat wohl „Minus“ bei dem Projekt gemacht.

Es wundert mich, dass der Gießmannsche Tunnel m.E. bisher keine Berücksichtigung in der Radebeuler Denkmalliste gefunden hat.

Dietrich Lohse

Ein freiwilliges soziales Jahr im Lügenmuseum

Nach dem Abitur 2020 wollte ich neue Dinge entdecken und dabei etwas Sinnvolles tun. Da stieß ich auf das Lügenmuseum. Es ist das einzige Lügenmuseum weltweit und mehr als nur ein Museum. So begann ich genau am 1. November im Lügenmuseum, gerade als der Lockdown verkündet wurde, ein freiwilliges Jahr hier.

Wenn man von außen auf das unsanierte Gebäude sieht, da kann man sich fragen, was machen die Leute da eigentlich? Der alte Gasthof ruiniert so vor sich hin und was ein Lügenmuseum sein soll, das kann sich auch keiner so richtig vorstellen. Vor Ort habe ich dann mitbekommen, dass die Akteure voll ausgelastet sind, es gibt praktisch keinen Feierabend. Man sieht das von außen gar nicht. Das Haus muss renoviert werden, das Museum aufgebaut und Projekte geplant werden.

Skulpturengarten „Labylysium“ aus einer labyrinthischen Ausstellungsarchitektur des Radebeuler Lügenmuseums anlässlich der Feierlichkeiten der Deutschen Einheit und des Lichterfestes auf dem Burgplatz in Leipzig, fotografiert am 04 Oktober 2020.
Foto: André Wirsig

Als ich das erste Mal durch das Museum spazierte war ich neugierig und begeistert. Lustige Maschinen, komplexe Apparate, Installationen, psychedelische Objekte sowie Lichtkunst lösten in mir wunderbare Emotionen aus. Alles sprengt jegliche Vorstellungskraft. Und was ist das Beste? Alles besteht aus wiederverwendeten Materialien, es ist ein riesengroßes Upcycling Museum. Mit dem Reparieren untersuchen die Künstler*innen die Logik zwischen, Zerstörung und Reparatur. Reparatur ist eine Form des kulturellen Widerstands und ein Mittel der Wiederaneignung der eigenen Geschichte. So lernte ich auch widerständige Künstler*innen Ostdeutschlands kennen. Sie sind das kulturelle Gedächtnis und das Lügenmuseum ein Ort für die Bewahrung und Dokumentation von Zeugnissen der Friedlichen Revolution, eine unabhängig und zukunftsweisend agierende Kultur- und Forschungseinrichtung. So kann ich hier auch meine handwerklichen Fähigkeiten mit dem Bau neuer Objekte verbessern, indem wir altes Material wie Abfallholz, Paletten, Töpfe, Vasen und andere Fundstücke aufarbeiten und sie in neue Kunstwerke verwandeln. Es passiert etwas Wunderbares, die Dinge hier werden mit neuer Energie aufgeladen.

In Leipzig auf dem Burgplatz konnte ich persönlich miterleben, wie das Labylysium, eine künstlerische Intervention im öffentlichen Raum geschaffen und den Austausch von Ideen und Diskussionen ermöglicht hat.

Auch mein Interesse zum Film kommt im Museum nicht zu kurz, endlich habe ich die Möglichkeit mich im Videoschnitt auszuprobieren, ich schneide Aufnahmen von früheren Ausstellungen und Aktionen zu einem schönen Film zusammen. Den kann man sich auf dem YouTube-Kanal vom Lügenmuseum anschauen.

Viele schillernde Kultureinrichtungen, die nach dem Mauerfall und langem Leerstand wieder eine Renaissance erlebten, zeichnen sich aus durch beherztes Handeln für eine regionale Zivilgesellschaft. Und die Stadt Radebeul hat den Künstler*innen das Gebäude überlassen. Ist das nicht cool? Hier kann man lernen wie Ideen und Träume und Probleme gelöst werden. Stück für Stück nehme ich wahr, wie breit das Aufgabenfeld hier ist: hier geht es um Aufbau- und Ablauforganisation, Macht und Verantwortung, Entscheidungsprozesse, Information und Dokumentation, Qualitätsmanagement, (Kultur-)Politik, Führung, nachbarschaftliche Beziehungen, Beziehungen zu Interessengruppen, Zusammenarbeit mit Netzwerken, aber auch um persönliche Entwicklung, Sachverstand, Spiritualität, Ziele und Strategien, Zusammenarbeit im Team, Schnittstellen und Synergien, Rollenerwartungen und Rollenhaltung.

Zuletzt entwarfen wir ein Museum To Go, ein Museumsbesuch für Zuhause, wir steckten den Zauber des Museums in eine Box und daraus entstand ein Museumserlebnis, welches auf die Reise gehen kann. Dafür habe ich eine Crowdfundingaktion realisiert, ein voller Erfolg. Corona war die ideale Gelegenheit für das Lügenmuseum, um sich neu zu erfinden. Zusammen bauen wir diese Idee weiter aus und bald gibt es auch eine Klimabox, eine Osterbox und ein Mauerfall to go.

Das Lügenmuseum ist für mich eine besondere und interessante Alternative zu einem Auslandsjahr, denn hier macht man genauso viele schöne Erfahrungen wie auf Reisen.

Theresa Dietrich

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Bauernhäuser in Radebeul April 2021

Altserkowitz 19

Am Dorfanger Altserkowitz finden wir den Kirchner-Hof auf der westlichen Seite. Dieser Hof weicht vom üblichen Bauprinzip „Wohnhaus, Stall, Scheune um einen Hof“ insofern etwas ab, dass dem großen Wohnhaus (erbaut 1893) gegenüber ein älterer Winkelbau steht, einer Einheit aus Stall und Auszugshaus. Die frühere Scheune existiert nicht mehr. Familie Kirchner (ansässig seit 1882) hat hier bis Anfang der 60er Jahre Land- und Viehwirtschaft betrieben, seit dem dienen die Gebäude dem Wohnen und als Nebenräume.

Das bauhistorisch interessante Gebäude soll wegen seiner Oberlaube etwas näher im Detail betrachtet werden. Oberlauben gab es früher öfter in den Dörfern, heute fällt mir nur noch die ähnliche Konstruktion in Altkötzschenbroda 56 ein. Wahrscheinlich wurde das abgewinkelte Nebengebäude in der 2. Hälfte des 18. Jh. errichtet.

Das Gebäude hat ein massives EG, die Außentüren haben alle Korbbogenabschluss, in das Fachwerk des OG sind sieben nicht abgeschlossene Laubenöffnungen integriert und das Satteldach mit 3 Fledermausgaupen ist mit roten Biberschwanzziegeln gedeckt. Eine im Gebäude liegende Stiege führt hinauf zum luftigen Laubengang, von dem Türen in Kammern führen, in denen früher Knechte, Mägde oder Saisonkräfte wohnten. Als noch Landwirtschaft betrieben wurde, hingen in der Oberlaube im Herbst Mais, Zwiebeln, Tabak oder auch Trockenblumen. Aber auch Wäsche konnte an verregneten Tagen hier trocknen.

Dietrich Lohse

Projekt Mitte-Ost

Basteltüte To Go – Osteredition

Da sich die aktuelle Situation für Familien nicht wirklich entspannt hat und bald wieder Ferien vor der Tür stehen, in denen die Kinder Beschäftigung suchen, gibt es eine Neuauflage der beliebten Basteltüten.

Schon in den Winterferien haben über 200 Familien das Angebot dankbar angenommen. Ab 22.03. stehen wieder kostenfrei zwei verschiedene Basteltüten zur Abholung bereit. Da das Osterfest bevorsteht, finden die Kinder in den Basteltüten thematisch passende Kreativanleitungen: Eine Tüte enthält Materialien für ein Kresse-Ei mit Hasen-Ohren. In der zweiten Tüte wartet ein süßer Hase darauf, endlich gebastelt zu werden. Diesmal können die Tüten sogar an drei Standorten abgeholt werden: In der Bibliothek im Radebeuler Kultur-Bahnhof, in der Bibliothek Radebeul West und im Familienzentrum Radebeul. Für Kinder zwischen 4 und 10 Jahren enthält eine solche Tüte ein wunderbares Beschäftigungs-Angebot. Und man kann gleich wieder losbasteln, denn nahezu alle Bastelmaterialien sind zusätzlich zu den Anleitungen ebenfalls enthalten. Die Anleitungen sind selbsterklärend und leicht umzusetzen. Außerdem gibt es wieder Videoanleitungen unter www.mitteost.de/basteltuete, damit auch jede*r weiß, was genau zu tun ist. Gern können die Familien Fotos der gebastelten Werke per E-Mail an edna@mitteost.de oder über die Nachrichtenfunktion bei Instagram schicken – gern mit dem Vornamen des Künstlers bzw. der Künstlerin. Die Bilder werden dann auf der Projektseite von MitteOst unter https://www.instagram.com/dritter_ort_radebeul veröffentlicht.

Gleichzeitig sind die Radebeulerinnen und Radebeuler aufgerufen, selbst gestaltete Ostereier an die Sträucher vor dem Kultur-Bahnhof zu hängen. So können wir den Vorplatz gemeinsam österlich schmücken. Die Basteltüten können – solange der Vorrat reicht – Montag bis Mittwoch und Freitag von 9 bis 16 Uhr (trotz geschlossener Bibliothek – bitte klingeln) und Donnerstag von 10 bis 19 Uhr in der Bibliothek im Radebeuler Kultur-Bahnhof oder in der Bibliothek Radebeul West sowie Montag bis Freitag von 9-15 Uhr im Café des Familienzentrums abgeholt werden.

Hintergrundinformation: MitteOst ist ein Projekt der Familieninitiative Radebeul e.V. mit Unterstützung der Volkshochschule im Landkreis Meißen e.V. und der Stadt Radebeul mit der Stadtbibliothek. Im Radebeuler Kultur-Bahnhof entsteht ein Dritter Ort, an dem alle Menschen eingeladen sind, sich zu treffen, sich zu begegnen und aufzuhalten. Neben Veranstaltungen und (Ferien-)Angeboten wird es ein Café geben und die Möglichkeit, sich an der Gestaltung des Ortes zu beteiligen.

Radebeuler Miniaturen

Zorn unterm erwachenden Grün

Ulrike also. Im ersten Überschwang hatte ich sie „Persönchen“ tituliert. Das war ein Fehler. Ich kann nur hoffen, daß sie das nie erfährt, denn sie kann sehr schnell sehr zornig werden.

Wir treffen uns an der Hoflößnitz. Ich bin schon etwas eher unter den Kastanien, sie muß nicht gleich beim ersten Mal erleben, wie mir auf der Treppe die Luft wegbleibt. Es ist einer von den ganz frühen Sommertagen. Obwohl die dicken Knospen schon die Blüte ahnen lassen, ist noch alles still hier, denn es darf niemand draußen sitzen mit seinem Weinglas. Schade, denke ich, da fehlt was …

Aber da kommt sie auch schon: wie erwartet zornig:

Vergessen, ruft sie schon von weitem, das Maß, es ist vergessen, verloren gegangen, verspielt, was weiß ich, vergraben womöglich, zur Unkenntlichkeit entstellt, mit voller Absicht natürlich …

Nu mal langsam, versuche ich sie zur Begrüßung vorsichtig in den Arm zu nehmen, vielleicht finden wirs ja gemeinsam wieder…

Ihr Blick nagelt mich an einen der Bäume.

Jetzt hör mir doch erstmal zu, faucht sie, und ihre vibrierende Stimme jagt mir die Gänsehaut über den Rücken. Laß mich ausreden und spare dir deine albernen Kommentare.

Also im Ernst: Über Jahrhunderte war die Hoflößnitz gültiger Maßstab für jegliche Bebauung in den Lößnitzen. Der Kurfürst hatte sein Berg- und Lusthaus im ländlichen Stil und in ländlicher Bauweise gehalten – da stand es weder dem Adel noch sonst wem an, etwa größer und protziger zu bauen. Das Verbindende war das Maß. Das ist nicht meine Idee, das steht alles aufgeschrieben in der wunderbaren Festschrift zum Jubiläum vor zwanzig Jahren. Alles fachlich fundiert von Professor Magirius. Das könnten alle wissen. Das sollten alle wissen. Und den Verantwortungsträgern sollte das Buch* zur Pflichtlektüre gemacht werden…

Aber – und hier holt sie Luft – sieh dich um, wies heute aussieht: Heute ist jeder Kleingärtner König. Keine Spur von Maß, keine Spur von ländlicher Bauweise!

Selbst Bauernhäuser werden aus dem Ganzen in Beton gegossen und gesichtslos und mit dem Hintern zum Betrachter an die Straße gestellt. Früher wurde den Leuten stolz die schöne Seite gezeigt.

Wie schön sie ist in ihrem Zorn, denke ich, sage aber, ich hab Durst. Ist doch schade, daß es keinen Ausschank gibt bei dem Wetter.

Damit aber stoße ich ein neues Tor auf:

Das ist gleich das nächste, fährt sie auf, der Maßstab kann auch unterschritten werden. Über Jahrhunderte hätte es niemand gewagt, solche Allerweltsbuden neben ein „Berg- und Lusthaus“ zu stellen! Das ist einfach unwürdig. Da ist der beste Wein nur ein schwacher Trost. Ja, denke ich, manchmal ists gut mit neuen Augen durch die Landschaft zu gehen. Allein wirst du blind.

Mit der sinkenden Sonne sind wir noch auf einen Schluck zu ihr gegangen. Es gibt ja keine Gelegenheit jetzt, irgendwo zu sitzen. Wir haben dann den Film nochmal gesehen, wie ich – erinnert euch an „VuR“ vom März – in der virtuellen Kneipe nach dem virtuellen Bier versuche zu greifen. Ulrike hat mir extra eine 3-d-Brille gegeben, der Durst ging dennoch nicht weg. Sie hat sich trotzdem köstlich amüsiert. Auf meine Kosten natürlich. Aber wenn sie lacht, ist sie doch am schönsten – da nehme ich das gerne in Kauf.
Und Rotwein gabs auch noch.

Der Zorn ist unter den erwachenden Kronen auf der Terrasse geblieben.

Thomas Gerlach

*Festschrift 600 Jahre Hoflößnitz, 2001

Glosse

Elbaugemeinde

Neulich habe ich mal meinen Wohnort verlassen. Ich weiß, das ist jetzt schwierig. Aber die 15-Kilometer-Sperrzone ist ja aufgehoben. Außerdem muss man heutzutage keinen Fuß mehr vor die Tür setzen, wenn man sich in der Welt umschauen will.

Also, ich war im „schönen Vogtland“ in einer Kleinstadt, die ich noch aus meiner Jugendzeit kenne. Da bin ich aus dem Staunen nicht herausgekommen. Die Stadt wächst und wächst und wächst – nicht so sehr an Bauten, denn da gibt es aktuell viele Lücken, wohl mehr in der Fläche. Seit 1990 nahm diese um ca. 37 Prozent zu. Da hat so manches Dorf seine Selbständigkeit eingebüßt. Trotzdem verlor die Stadt über 20 Prozent an Einwohnern in der Zeit. Wie man sieht, reicht es nicht, wenn man sich immer mehr ausbreitet. Radebeul kann sich nicht weiter ausdehnen, höchstens aufplustern. Aber mehr Fläche braucht es ja auch gar nicht. Die Stadt wächst auch so – an Einwohnern und an Bauten sowieso. Freilich wollen die neuen Häuschen nicht allen gefallen. Aber da sollte man nicht so kleinlich sein, und wenn in 20 Jahren die heute noch kleinen Bäumchen groß sind, wirkt die Sache schon viel freundlicher, wie man in Gorbitz sehen kann. Bei den modernen Bauten mit einem Sehschlitz vorn und einem hinten, weiß man ohnehin nicht wo sich die Schauseite befindet. Meine Vermutung ist, dass die überhaupt keine haben, weil sie von innen nach außen entworfen wurden. Auch scheint das Geheimnis des Wachsens eher darin zu liegen, etwas abzugeben, wie zum Beispiel die Denkmalpflege, die Jugendbetreuung, den Bürgertreff, die Immobilien und dafür lieber etwas anzumieten oder anderes gar nicht erst erwerben zu wollen. Wer erinnert sich nicht noch an den „Ziehauf“ mit den Bahnhöfen. Schwamm drüber!

Da hatte es mich schon gewundert, dass diese vogtländische Kleinstadt früher gleich zwei Bahnhöfe hatte, die ganz verschiedene Strecken bedienten. Radebeul hingegen hat zwar vier „Milchrampen“, wie der Vogtländer sagen würde, aber die Fernzüge rauschen halt durch. Wer in die „Welt“ will, muss schon nach Coswig. Die haben zwar über 10.000 Einwohner weniger, aber hatten offensichtlich bei der Verteilung der Fernzughaltepunkte die Nase vorn. Überhaupt ist zu beobachten, dass sich die Stadt Radebeul immer mehr an Coswig kuschelt. Das scheint mir nicht nur am alten Reflex wegen der einstigen Dresdner Annexionsgelüste zu liegen. Vielmehr hat man nun begriffen, dass die Sonne seit geraumer Zeit eben doch im Westen aufgeht. Selbst die Gleichstellungsbeauftragte teilen wir uns mit der Nachbarstadt. Bekommt das die Stadtverwaltung nicht selber hin oder sind wir so gut, dass dafür eine halbe Stelle ausreicht? „Wer viel fragt, geht viel irre“, sagt ein altes Sprichwort. Aber in dieser Angelegenheit gibt es sowieso keinen Stillstand. Und wenn erst einmal die Hirne der Beamten in Bewegung geraten sind, gibt es kein Halten mehr.

Jetzt kursiert sogar gegenwärtig die Idee, ein gemeinsames Hallenbad bauen zu wollen und das alte wegzureißen. Um den Synergieeffekt zu steigern, schlage ich deshalb vor, dass das Bad unbedingt in Coswig errichtet werden sollte, da könnte man gleich noch Weinböhla mit ins Wasser holen. Das würde die Haushaltskasse von Radebeul enorm entlasten. Vielleicht hat Coswig auch einen pfiffigen Stadtmanager zu bieten, der wird, wie ich hörte, ja auch gesucht. Wer könnte in heutigen Zeiten nicht ein Zubrot vertragen? Und was ist eigentlich aus den Abrissplänen für die Ballspielhalle in Altkö geworden? Das wäre doch auch ein wunderbares Kooperationsprojekt.

Als ich mir die ganze Sache so recht durch den Kopf gehen ließ, kam mir zwangsläufig ein nahezu genialer Gedanke. Radebeul sollte, auch um den imaginären Eingemeindungswünschen von Dresden zu entgehen, möglichst schnell gleich mit Coswig fusionieren. Alle unnötigen Verhandlungen und Verträge würden entfallen. Viele Ämter könnten ersatzlos gestrichen werden, denn wir brauchen ja nicht von allem das Doppelte. Der Name des so entstandenen Gebildes könnte evtl. „Gemeinde Coswig-Radebeul“ oder „Elbaugemeinde“ lauten. Bitte nicht „Elbgaugemeinde“, denn da könnte man etwas in den falschen Hals bekommen. Aber für die Namensfindung sollte unbedingt ein Wettbewerb ausgeschrieben werden. Da hätten wir dann auch gleich noch die Bürgerbeteiligung untergebracht, die ja immer irgendwie dabei sein sollte.

Ende gut alles gut, wieder was gespart, meint

Euer Motzi

4.356

Leserzuschriften

1. Zum Thema: „Mohrenstraße/ Mohrenhaus Debatte“

Von den Beiträgen im Märzheft haben die „Mohren“- Artikel wirklich das Zeug zum Aufreger. Das Thema entspricht dem gegenwärtigen Zeitgeist und hat in Deutschland bei einer Minderheit ein solches Echo gefunden, dass man nur staunen kann.

In der Thüringer Landeshauptstadt Erfurt gibt es ebenfalls seit etwa zwei Jahren eine Initiativgruppe, die sich gegen den Straßennamen „Nettelbeckufer“ mit verschiedenen Aktionen wendet. Joachim Nettelbeck (1738-1824) war ein deutscher Seefahrer, der mit seiner Biografie heute als Sklavenhändler bezeichnet wird und eine neue Bewertung erfährt. Deshalb soll diese Straße umbenannt werden, nach einem deutschen Bürger, der einen farbigen, afrikanischen Vater hat, der aber sein gesamtes Leben in Deutschland verbrachte. — Diese Sache ist noch nicht entschieden, da die Stadtpolitiker dazu eine differenzierte Meinung haben.

Gern wird hier in Thüringen auf den Beispielfall Martin Luther verwiesen, der in seinen späteren Lebensjahren bösartige, antisemitische Standpunkte vertreten und veröffentlicht hat. Bewertet man diese Luther – Äußerungen nach dem Kenntnisstand unserer Generation, müssten alle Luther – Kirchen, Straßen – und Institutionen, wie auch meine Radebeuler Taufkirche, umbenannt werden. Hieran wird die Problematik sehr deutlich und, ich denke, wir brauchen dazu einfach etwas mehr Geduld und Stehvermögen, um dem gesunden Menschenverstand wieder zum guten Normativ in unserem Leben zu verhelfen.

Und so kann ich Ihren beiden Autoren Dietrich Lohse und Thomas Gerlach nur zustimmen, deren Argumenten ist nichts mehr hinzuzufügen.

Übrigens gibt es in meinem Wohnort Neudietendorf ein traditionsreiches Gymnasium, das auf die Evangelische Brüdergemeine zurück geht. Diese Schule führt seit 1997 den Namen der Schwestern Frieda und Margarethe von Bülow, welche vor rund 150 Jahren lebten und dieses Gymnasium ebenfalls besuchten. Margarethe von Bülow gilt als die Begründerin des deutschen Kolonialromans. Gegenwärtig untersucht ein Germanistikstudent, ob dieser Name noch verantwortbar ist. Da ich eine dieser Studentenarbeiten beurteilen durfte, erlebte ich ein großes Erstaunen, als ich erklärte, diese Zielstellung nicht zu teilen.

Dieses Gymnasium wurde auch von den drei „reichen“ Thienemann – Schwestern, Töchter eines Bankers und Unternehmers, besucht, die später die drei „armen“ Hauptmann – Brüder heirateten, wovon Gerhard der bekannteste wurde. Dadurch entstand eine witzige Verbindung vom Thüringer Pietisten — Neudieten – Dorf zur Kultur – und Wein — Stadt Radebeul. Aber das ist schon wieder eine andere Geschichte.

Abschließend mein Wunsch an Ihre großartige Truppe von Vorschau & Rückblick, von denen die Mehrzahl doch sicher ehrenamtlich jeden Monat Zeit finden muss, um das Heft zur Welt zu bringen: Lassen Sie sich nicht klein kriegen, solch ein Kulturverein wird dringend gebraucht !!!

Arndt Dietmar Schumann (v.d. Red. gekürzt)

2. Zum Thema: Holzbildhauer Reinhold Langner in den Heften 1-3, 2018

Sehr geehrter Herr Lohse,

Weinhandlung in Dresden Foto: Fam. Duckwitz

Sie können sich meine Freude nicht vorstellen als ich Ihren Artikel im Internet fand über einen Fassboden des Weinhändlers Valentin Franz, der sich in Radebeul in der Hoflößnitz befindet.

Ich bin die Tochter, und dieser Fassboden ist ein Teil meiner Jugend und unserer Familie. Meine Mutter ist Dresdnerin, mein Vater gebürtig aus Gau-Algesheim in der Nähe von Bingen am Rhein. Er kam als Weinfachmann nach Dresden und die beiden haben 1934 geheiratet. Das Ladengeschäft in der Grunaer Strasse 32 haben sie am 1. April 1936 eröffnet und sich zu diesem Anlass von Reinhold Langner diesen Fassboden mit dem Motiv „Die Geschichte des Weines nach der persischen Sage von König Darius“ schnitzen lassen. Beim heraussuchen der alten Photos (es gibt nur 4 als „Heiligtum“ in der Familie gehütete Photos) bemerke ich mit Erstaunen, dass zu diesem Zeitpunkt dieser noch ohne den Namen meines Vaters war.

Innenausstattung mit Fassboden Foto: Fam. Duckwitz

Der Fassboden hatte einen Ehrenplatz im neuen Zuhause meiner Eltern in Rüdesheim und wurde viel bewundert. Leider mussten wir ihn verkaufen und es macht mich unendlich glücklich, zu wissen, dass er nun genau dort ist, wo er hingehört, in Radebeul.

Diese und noch ein paar sehr wenige „Heiligtümer“ konnten nur gerettet werden, weil meine Eltern sie im Erzgebirge ausgelagert hatten. Sie haben alles, wirklich alles an diesem 13./14. Februar verloren, aber meine Mutter hat mit ihren beiden Kindern wie durch ein Wunder überlebt.

Evelyn Duckwitz geb. Franz (v.d. Red. gekürzt)

Ein Leben für den Tanz

Ein persönlicher Abschied für die Tänzerin, Choreographin und Regisseurin Ute Raab

Es war eine schöne, wie beiläufige Begegnung die ich mit Ute zwischen den Gemüsezeilen eines Ladens vor langen Monaten hatte. Nach schwerer Erkrankung war sie wieder auf dem Weg der Besserung und hatte mit ihrer gefeierten Regiearbeit von „Der gestiefelte Kater“ an den Landesbühnen Sachsen wieder hoffnungsvoll ins Leben zurückgefunden. Sie fragte mich noch, ob ich nicht von einer kleinen schönen Wohnung wüsste, sie wolle umziehen. Mit diesen Worten gingen wir mit einem freundlichen Lächeln auseinander – ein letztes Mal.

Mit nur 56 Jahren hat sie Anfang März ihren langen Kampf gegen die tückische Krankheit schließlich doch verloren.

Es ist hier leider nicht der Raum um ihr umfängliches Wirken an den zahlreichen Bühnen deutschlandweit detailreich wiedergeben zu können, daher nur skizzenhafte Stationen ihres Lebensweges. 1964 in Halle geboren, studierte sie 1982-87 Choreographie an der Theaterhochschule „Hans Otto“ in Leipzig. Ihr erstes Engagement führte sie als Ballettmeisterin an das Theater Plauen, wo sie einige Jahre später Chefchoreographin wurde und die Plauener Tanztage gründete. Schon während dieser Zeit und insbesondere seit ihrer freiberuflichen Tätigkeit ab 1998 hinterließ sie an vielen Theatern und Stücken ihre tänzerische Handschrift.

Über viele Jahre war ihr Lebensmittelpunkt in Radebeul am Fuße der Weinberge, kein Wunder also, dass sie u.a. viele Inszenierungen am Staatsschauspiel in Dresden, am Theater Junge Generation und schließlich an den Landesbühnen Sachsen mitprägte. Sie arbeitete sprichwörtlich spartenübergreifend, mit Oper und Chor, Schauspielern und ambitionierten Laien.

In letzterer Rolle habe ich sie als langjähriger Komparse und Kleindarsteller bei verschiedenen Theaterstücken als Mensch und Künstlerin schätzen gelernt. Die schweißtreibendste Zusammenarbeit war 2008: für das Musical „Sugar – Manche mögen’s heiß“ wurden sechs „Tänzer“ für fünf durchaus anspruchsvolle Choreographien in wechselnden Rollen gesucht. Mit meiner Zusage war mir damals nicht im Mindesten klar, wie viele Stunden und Wochen ich im Ballettsaal zubringen würde. Denn naturgemäß waren die Fortschritte nicht immer so zügig wie von professioneller Hand, respektive Bein geplant. Mit Dankbarkeit blicke ich auf ihre Engelsgeduld zurück, die gleichzeitig vom nicht ablassenden Willen geprägt war. Und das Ergebnis hat sich durchaus gelohnt, wie ich kürzlich, fast ungläubig einem vorhandenen Videomitschnitt der Premiere entnehmen konnte. Ihre große Gabe war es, ihre Schützlinge bis zur Premiere „auf den Punkt“ zu bringen.

In Erinnerung bleibt eine aparte Frau mit einer liebenswerten, kumpelhaften Art. Eine Künstlerin, die ohne Attitüden mit zauberhaften tänzerischen Momenten das Theater beseelte und eine tiefe Lücke reißt.

Sascha Graedtke

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