Paul Wilhelm zum 50. Todestag

Allen Freunden der Lößnitz und ihres Künders Paul Wilhelm ist die facettenreiche Ausstellung einer gelungenen Auswahl seiner Werke in der Stadtgalerie Radebeul 2011 noch in guter Erinnerung.
Nun wurde auch oberhalb der Meißner Straße seiner gedacht und an den 50. Todestag am 23. Oktober 1965 erinnert. In der neu in die Welt getretenen „AUSSTELLUNG DRESDNER KUNST“ wird eine umfängliche Auswahl von Aquarellen an Paul Wilhelm in privaten Räumen auf der Hohen Straße 35 präsentiert.

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Winterabend in Radebeul, Aquarell, 1951                          Foto: G. klitzsch

Seit Werner Schmidts großer Aquarell-Ausstellung aus Anlass des 80. Geburtstages von Paul Wilhelm im Jahre 1966, hat es keinen solchen Blick auf sein Aquarellwerk mehr gegeben. So ist auch vor dem Hintergrund inzwischen eingetretener Kunstentwicklungen der Versuch wichtig, dass auch hier in Radebeul für die Ausprägung der Dresdner Malkultur von Paul Wilhelm Geleistete für eine breitere Öffentlichkeit wieder vernehmbarer ins Gedächtnis zu rufen. Dies auch deshalb, weil von den öffentlichen Museen kaum derartige Impulse ausgehen.
Zunächst noch in der Zeit des ersten Weltkrieges dem große Paul Cézanne verpflichtet, nehmen die Aquarelle, „das Werk der guten Stunde“ (Fritz Löffler) seit Mitte der 20er Jahre auch im Ergebnis seiner Reisen einen zunehmend breiteren Raum im Werk Paul Wilhelms ein. Nach dem zweiten Weltkrieg gewinnen die Aquarelle den Status einer eigenständigen Werkgruppe, die, unabhängig von der Ölmalerei, eigene Geltung beansprucht. Sie sind es auch, die noch einmal beredtes Ausdrucksmittel in seinen letzten Lebensjahren werden, in denen die Anstrengungen der Ölmalerei nicht mehr zu bewältigen sind.

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Winterabend in Radebeul, Aquarell um 1928                          Foto G. Klitzsch

Das Aquarell muss „sitzen“, da ist nachträglich nichts zu beschönigen oder zu korrigieren.
Daher begegnet uns Paul Wilhelm hier daher mit Komposition, Tektonik und Weltsicht, vor allem aber in seiner sublimen Farbsetzung ganz unmittelbar und persönlich. Es sind die Eindrücke des italienischen Lichts südlich der Alpen, die seine expressiven Blätter aus den frühen 20er Jahren bestimmen und denen in der Ausstellung ein eigener Raum gewidmet ist.
Ihnen stehen die flammenden Himmel der Lößnitz mit ihrem Orange und Tief-Violett in nichts nach, wie die Ausstellung ebenfalls nachweist. In der Schilderung seines Gartens und dessen Blumenpracht zwischen Rittersporn, Phlox und chinesischer Wildrose erweist sich das Aquarell in seinen besten Arbeiten als ein Gegenüber äußersten künstlerischen Anspruchs.
Weniger bekannt sind der breiteren Öffentlichkeit bisher die Porträts von Jungen und Mädchen oder jungen Frauen. In der Ausstellung ist diesem Aspekt des Wirkens von Paul Wilhelm breiterer Raum gegeben.
In seinen letzten Lebensjahren fand die lebenslange Zuneigung Paul Wilhelms zur kontemplativen Kunst Japans und seiner meisterlichen Farbholzschnitte, Ausdruck in seinen Aquarellen auf feinstem Japanpapier, die klassische japanische Holzschnitte zitieren. Die besondere Papiertextur reizte ihn auch zu Erinnerungsbildern früherer Reisen, vielfach auf der Basis von Gedächtnisprotokollen in Form von feinen Graphitzeichnungen. Paul Wilhelms späte Aquarellkunst erreicht mit sparsamen graphischen Zeichen ein Höchstmaß an künstlerischer Konzentration, ausgewogener Komposition der Darstellung in der farblichen Realisierung.
Die Ausstellung zum 50. Todestag Paul Wilhelms vereint Arbeiten des Künstlers, die über einen Zeitraum von ca. 50 Lebensjahren entstanden sind. Sie geben Zeugnis von seiner Zeichenkunst ebenso wie von seinem treffsicheren, musikalischen Farbgespür, das auch heikelste Farbkombinationen (z. B. in den Stillleben) sicher meistert.
Paul Wilhelms Aquarelle verführen und wecken in einer glücklichen Stunde in uns die Kräfte einer poetischeren Weltsicht, der sich zu überlassen alle Besucher herzlich eingeladen sind.
Gottfried Klitzsch

Ausstellungsort:

AUSSTELLUNG DRESDNER KUNST
Hohe Straße 35
01445 Radebeul-West

Öffnungszeiten:
07. November bis 19. Dezember 2015
01. Januar bis 28. Februar 2016
jeweils samstags von 11.00 bis 18.00 Uhr

Mit Tom Tagtraum durch das Jahr 2016

Liebe Leserinnen und Leser,
seit vielen Jahren gehört Literatur zu den Themen in „Vorschau und Rückblick“, die unser Heft bereichern und lesenswert machen. War es über lange Zeit einerseits der Kreis der „Schreibenden Senioren“, deren Lyrik und kurze Geschichten aus dem Alltag für Schmunzeln und Nachdenklichkeit sorgten, andererseits Reiner Roßberg, der über viele Jahre uns an den Erlebnissen von Karalambos und dem Winzer teilhaben ließ, so verdanken wir vor allem Thomas Gerlach seit geraumer Zeit monatlich neu aufleuchtende „Radebeuler Miniaturen“. Darüber hinaus stellt uns aber auch schon einige Jahre unser treuer Leser Tobias Märksch (aufgewachsen in Radebeul, inzwischen aber seit zweieinhalb Jahrzehnten in Dresden wohnend) eigene Texte zur Verfügung, meistens Gedichte, gelegentlich aber auch Prosatexte (erinnert sei z.B. an die Weihnachtsgeschichte im Dezember-Heft 2014). Wir haben uns entschlossen, das Angebot von Tobias Märksch anzunehmen, seine bisher noch unveröffentlichten Geschichten um den liebenswerten Tom Tagtraum fortlaufend ab diesem Heft bis zum Jahresende zu publizieren. Zum einen, weil wir von der Qualität der Texte überzeugt sind, zum anderen, weil wir damit auch bislang noch nicht bekannten literarischen Talenten unter unserer Leserschaft Mut machen wollen, uns ihre Texte einzusenden. Zwar verfügt die „Vorschau“ zum Glück über einen festen Stamm an regelmäßigen Schreibern, aber wir sind immer dankbar für Beiträge, die unser Heft vielfältig machen.
Begleiten Sie also Tom Tagtraum über die nächsten 12 Monate hinweg – getreu dem Motto: Du musst Träumen ihre Entstehung zulassen, denn nur so kann irgendwann ein Teil davon auch Wirklichkeit werden.
Bertram Kazmirowski


Na? Neugierig geworden? Ihr glaubt ja nicht, was dem Tom alles passieren wird! In einem dunkelroten Zug fährt Tom einem vergangenen Traum nach; mit dem kleinen hellblauen Flugzeug bringt ihn Thomas, der Pilot, mitten im Schmuddelwetter auf eine Sonneninsel. Ob ein Oldtimer träumen kann, Herr MAY hinterm BACH wird es wissen. Tom wird in den Geschichten etwas reifer, ja erwachsener, besteht eine Aufnahmeprüfung für ein Spezialgymnasium, erfindet selber den unsichtbaren Schlittenlift, findet zu seinem Berg Überall und entdeckt in einem scheinbar wertlosen Stein im Gebirge das Geheimnis der Chemieformeln der Erde (und des Schulunterrichts). Sein kleines hellblaues Flugzeug bringt Tom in den Orient. Wundersame Schals schützen ihn in Zukunft vor Angina, nach einiger Beobachtung in Teppich-Manufakturen erkennt er, welche der Teppiche fliegen könnten und warum andere nie. Schließlich braucht’s in der Ferne eine Zauberformel, um eben den Inhalt des heimischen Sparschweins, praktischer Weise gleich in die Landeswährung „Korinthen“ gewechselt, aus einem orientalischen Geldautomaten klimpern zu lassen. Blieben vielleicht am Ende doch Zeitreisen? Mag Ferdinand, der verrückte Luftgraf, mit Nachnamen Zeppelin heißen; der stumme König Sissis Cousin Ludwig II. sein; Nick, der Astronom (Kopernikus) auf dem Domhügel heute noch zweifeln ob seiner deutsch-polnischen Doppelstaatsbürgerschaft. Nur, das wäre keine Geschichte, gäbe er Tom, der mit einem zinnoberroten Fährboot und signalrotem Flitzefahrrad mit Weitsprungfunktion ans baltische Meer zu ihm hinfuhr, nicht ein ganz verblüffendes Weltbild mit auf dem Weg, dies-zeits. Die Erde ist da gar keine Kugel mehr. Und erst die Graugänse, ist ihr Flügelschlag vielleicht der Endlosgedanke der Welt? Tom Tagtraum findet noch einmal zurück in die Märchen aus seiner Kindheit – in einem viertürmigen Schloss gibt es eine Ausstellung zur Entstehung eines Märchenfilms, der nun schon Generationen bewegt, weil, nun, man hatte damals einem Traum seine Entstehung zugelassen und er ist Wirklichkeit geworden! Das begreift auch Tom. Aus allerhand anderen, wundersamen Verkehrs- und Fortbewegungsmitteln entgleitet er dem Dichter in die Erwachsenenwelt, geradeaus,
auf einem stolzweißen Ozeandampfer.
Bliebe ein Epilog. Ich mag das Jahr ganz genau benennen, klar, wir haben’s Zweitausendännafännuffzig. Herr Tagtraum verweilt spazierstockgestützt im Park vor dem kleinen Theater. Auf dem Zifferblatt seiner Uhr reichen sich Juri Gagarin und Neil Armstrong die Hand, der Sekundenzeiger hängt schon seit Jahren. Und über der Stadt kreist ein allweis(s)es Sternenschiff. Herr Tagtraum ist glücklich auf seinem Weg nach Hause…
Und, immer noch neugierig ? Das Lesealter für diese Geschichten, nun, ich vermute, es verhält sich damit so wie mit der Klaviermusik der KINDERSZENEN op. 15 von Robert Schumann. Sagen wir ab 7 bis 107 Jahre. Aber wer weiß das schon so genau?
Tobias Märksch

Kapitel 1: Die quietschgelbe Straßenbahn
Stell dir vor, durch deine Stadt, dein Dorf oder wo immer du auch lebst, fährt eine quietschgelbe Straßenbahn. „Das gibt es hier alle Tage“, wirst du jetzt denken, lebst du, sagen wir in Ulm, Rostock, Prag, Breslau, Wien, Dresden, Budapest, Lissabon oder Bad Schandau. „Halt mal“, wirst du vielleicht erwidern, in meiner Stadt sind die Farben der Straßenbahnen aber gewitterblau, brombeerrot, pfefferminzgrün oder einfach nur reklamebunt zugeklebt. Ein simples „Kann ich mir lange vorstellen, ich müsste schon nach Görlitz, Berlin, Schwerin oder Amsterdam fahren, Krakau oder Barcelona, Lemberg oder Leipzig, um überhaupt mal Straßenbahn fahren zu können“ ist auch als Antwort zu erwarten. Gut. Alles gut und schön.
Aber unsere quietschgelbe Straßenbahn fährt jetzt gerade mitten durch die Straßen einer Stadt, in der es noch nie eine Straßenbahn gab. Schienen und Oberleitungen tauchen kurz vor der Bahn aus dem Nichts auf und verschwinden gleich nach der Durchfahrt wieder, ohne Spuren zu hinterlassen. Selbst wenn es Hochsommer sein sollte, trägt der Fahrer eine tannenbaumfarbene Pudelmütze zur gelb-silber karierten Uniform und als Krawatte hat er einen Plüschhering umgebunden.
Unsere quietschgelbe Straßenbahn wird nirgendwo halten und es gibt weder Weichen noch eine Endhaltestellenschleife. Einziger Fahrgast ist Tom Tagtraum. Zwei Sitze der Bahn sind noch mit seinem Schulrucksack und der Sportsachentasche belegt, ansonsten ist und bleibt die Bahn leer.
Das ist alles nicht möglich, magst du dem Erzähler jetzt sagen. Ja, sicherlich… Aber unsere Geschichte begann ja auch mit den Worten „Stell dir vor“. Also, stellen wir uns einfach vor, Tom Tagtraum ist auf Entdeckungsreise. Für das Weiterlesen wirst du eine gehörige Portion Fantasie brauchen und musst zulassen, dass Bilder in dir entstehen. Wenn du gern malst, dann nimm Stifte oder Farben zur Hand und mal was auf, wenn nicht, schneide aus alten Zeitschriften oder abgelegten Ansichtskarten etwas aus und klebe es auf einem Blatt Papier neu zusammen.
So werden aus Toms Träumen schon mal reale Vorstellungen in dir. Weißt du, es ist schließlich so, dass wir Träumen und Spinnereien in uns ihre Entstehung zulassen sollten, auch wenn es nur ein Teil sein wird, der sich irgendwann erfüllt und unserem Leben Sinn und Raum gibt. Und übrigens, so ganz nebenbei – dort, wo heute Straßenbahnen fahren, Flugzeuge landen, Züge durch Tunnel flitzen, Brücken kühn ihre Bahn schwingen durchs Meer, das Internet die ganze Welt in den kleinsten Raum bringen kann, Raumfähren starten, um das All zu erkunden, ja selbst da, wo so ganz unscheinbar ein wackeliger Holzsteg über einen Bach im Gebirge führt, gab’s erst mal Menschen, die wie Tom davon träumten. Mitunter teilte sich einer seiner erstaunten Umgebung mit. „Stell dir vor…!“, begann dann sein Satz und nicht selten wurde er ausgelacht und ein Tagträumer genannt. Nun, kannst du dir das vorstellen?

Tobias Märksch

Zum 80. Geburtstag von Prof. Ursula Sax

Ein Beitrag von Uwe Wittig, Radebeul

Im Frühjahr 2008 zeigte die Stadtgalerie des Kulturamtes Radebeul in einer Ausstellung „Fasten-und andere Tücher“ von Ursula Sax. Freilich waren es in erster Linie die berühmten Zittauer Fastentücher, von denen sie sich zu den farbenfrohen Arbeiten, vornehmlich aus Packpapier, inspirieren ließ. Auch überdimensionale mehrere Meter hohe Segel, scheinbar vom Sturm zerrissen, bei denen man in diesem Kontext durchaus an die Arche Noah denken konnte,waren zu sehen. Dass es also möglich ist, auch mit einfachsten Materialien ein so komplexes Thema wie Religion künstlerisch zum Ganzen zu bringen, davon konnte sich in den Wochen der Ausstellung auch ein breites Radebeuler Publikum überzeugen.
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Ein Jahr zuvor waren in der Dresdner Galerie Friesen übrigens auch Arbeiten von ihr zu sehen. „Numen“- also „Wink Gottes“- hieß die Ausstellung, in der auch eine kleine anrührende Arbeit zu sehen war-Christus am Kreuz- aus Packpapier. Später sollte sie noch viele Jahre in ihrem Radebeuler Atelierhaus zu sehen sein.

Nur ein Jahr später wurde in Radebeul der Skulpturenpark eingeweiht und war damit ein klares Bekenntnis von Stadtrat sowie Stadtverantwortlichen zu „Kunst im öffentliche Raum“ auch in der Stadt Radebeul.

Gestaltet wurde das Quintett bekannterweise von Radebeuler Kunstschaffenden entsprechend ihren eigenen künstlerischen Handschriften. Fast wie aus der anfangs genannten Ausstellung herausgenommen, dreht sich seitdem fünf Meter über dem Erdboden und an prominenter Stelle, Ursula Sax Beitrag: Ein großes „Sax- Gelbes“ Segel. Vielleicht kann dieser Beitrag animieren, dem Ensemble wieder einmal mehr Aufmerksamkeit zu schenken.

Einer großen Einzelausstellung in der Berlinischen Galerie 2010 folgt in Dresden ein weiteres großes Projekt: Sie bekommt 2012 das Angebot, für den neu entstandenen und nun überdachten Innenhof des Albertinums eine Plastik zu schaffen. Es entsteht „Raummesser UX 35“eine imposante, fein auf den besonderen Raum abgestimmte Installation. (V&R 07/2012)

Support erhielt sie im übrigen von Prof. Ulrich Eissner, seines Zeichens Dozent.für Theaterplastik an der HfBK Dresden und im übrigen der Schöpfer der herrlichen neuen Tier- Plastiken südwestlich des Robert- Werner Platzes in Radebeul-Ost.

Sicher war es kein Zufall, dass sich im April 2012 Hartwig Fischer in einem Beitrag der Wochenzeitung DIE ZEIT , der seine Ernennung zum neuen Generaldirektor der SKD beinhaltete, genau vor dem „Raummesser“ ablichten ließ.

„Gott und die Welt,- Werke von Ursula Sax für Zittau“ waren zu Beginn dieses Jahres in den Städtischen Museen Zittau zu sehen. Ein umfangreicher Werkblock, welcher wieder einmal mehr auch Themen wie „Glauben“ und „Verhüllen“ zum Inhalt hatte.

Arbeiten von ihr finden sich in privatem und öffentlichem Besitz, so z.B. in der Berlinischen Galerie,den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden und nun auch Zittau. Die Städtischen Museen Zittau haben einige Werke der vielbeachteten Ausstellung erworben und an dieser Stelle schließt sich der Kreis, Fasten-und andere Tücher. Selbstredend finden sich auch im Depot der Städtischen Kunstsammlungen Radebeul Arbeiten von der Künstlerin.

Ursula Sax, einst Meisterschülerin bei keinem geringeren als Hans Uhlmann einem der bedeutendsten Bildhauer im Nachkriegs-Westdeutschland, gelangte nach dem Studium der Bildhauerei in Stuttgart und Berlin, nach vielen Jahren des freischaffenden Arbeitens und Gastprofessuren in Berlin und Braunschweig nach Dresden, wo sie 1993 als Professorin für Bildhauerei an die HfBK in Dresden berufen wurde. Auch nach ihrer Emeritierung im Jahre 2000 arbeitete sie wieder freischaffend.

Im Sommer konnte Ursula Sax ihren 80.Geburtstag feiern. Gesundheit ist ihr zu wünschen, Inspiration und Schaffenskraft. Die besitzt Ursula Sax allemal: Ihre erste Ausstellung im neuen Lebensjahrzehnt „Ursula Sax: Modell & Wirklichkeit/ Realisierte und nicht realisierte Projekte“ war vom 11.September 2015 bis zum 21. November 2015 in der Berliner Galerie Semjon Contemporary zu sehen.

Auch weniger reisefreudige werden die Gelegenheit haben die Ausstellung, zu der übrigens ein umfangreicher Katalog erschien, zu sehen: Vom 2.Dezember an bis zum 26.Februar 2016 im Gebäudeensemble der Deutschen Werkstätten Hellerau.

Die Arbeiten aus einem Zeitraum von 1950 bis 2015 stellen Zeugnisse einer Künstlerin dar, die uns in berührender Art und Weise unermüdlich und stetig zugleich teilhaben lässt, einen nun schon Jahrzehnte andauernden Schaffensprozess zu untersuchen.

„Eines meiner Charakteristika ist die Veränderlichkeit, diese Freiheit nehme ich mir“, sagte sie einmal. In jedem Fall ist dies auf die Fülle der verschiedensten Materialien zu beziehen, mit denen die Künstlerin Zeit ihres Lebens gustierte und arbeitete und so ein mannigfaltiges OEuvre schuf. Zur Vertiefung sei für den interessierten Leser an dieser Stelle auf das erst kürzlich im renommierten Kerber-Verlag erschiene Buch “SAX- Arbeiten 1956-2012“ verwiesen.

Aber auch Orts-Veränderungen sind für sie nichts Unpassendes: Genau neun Jahre hatte Ursula Sax in Radebeul ihr Schaffens-und Lebenszentrum, bis sie zu Beginn 2013 (wieder) nach Berlin ging.

In Radebeuls Mitte jedoch, hat Sie uns ein Souvenir dagelassen und ist doch gerade dadurch immer auch ein bisschen bei uns und wenn der Wind ihr großes Segel bewegt und es sich einem Spielzeug gleich „um sich selber dreht“, denkt sie vielleicht gerade in diesem Augenblick an ihre Schaffenszeit im sächsischen Radebeul.

Radebeul, im Oktober 2015

„Gräfe trifft Kuntsche“

Die nun 3. Ausstellung bei „Gräfe`s Wein & fein“ auf der Hauptstraße in Radebeul-Ost ist diesmal nicht so wortspielsinnig in der Namensgebung, aber nicht minder heiter und hintersinnig in der Auswahl der ausgestellten Werke von wiederum einem Künstler-Ehe-Paar: Bärbel und Wolf-Eike Kuntsche.

Bärbel Kuntsche, »Äpfel in Papier«

Bärbel Kuntsche, »Äpfel in Papier«


Von Bärbel Kuntsche (Kunstpreis der Stadt Radebeul 2005) kennen viele Radebeuler -außer natürlich ihren bildnerischen Werken aus verschiedenen Ausstellungen – die Plakate zur Kasperiade und das Weinetikett für das Wandertheaterfestival 2008. Sie zaubert in leichtem knittrigem Papier saftig leuchtend schier duftende Früchte (Ölmischtechnik auf Pappe) -auch „Flora“ und „Frau mit Fruchtschale“ spiegeln den Überfluss der herbstlichen Natur.
Wolf-Eike Kuntsche, »Variationen zu einem bekannten Thema«

Wolf-Eike Kuntsche, »Variationen zu einem bekannten Thema«


Wolf-Eike Kuntsche(Kunstpreis der Stadt Radebeul 2004) hingegen stellt äußerst reizvolle – im ersten Blick ästhetisch anmutige Objekte aus. Beim genaueren Betrachten entdeckt man allerdings mit zunehmender Heiterkeit, dass es sich eher um Cartoons aus feinstem Porzellan handelt: z.B. „Trinkbecher mit Rotwein verdunstend “ oder „Werkzeug für zarte Hände“.

Mit etwas widerstandsfähigerem Werkzeug wurden seine bekannten Arbeiten im öffentlichen Raum geschaffen – angefangen beim Denkmal Caspar David Friedrich auf der Brühlschen Terrasse über Erich Kästner am Albertplatz bis zu der leider zugewachsenen Weintraube am Weinberggymnasium in Radebeul und eine der 5 (auch leider von Bäumen sehr versteckten) Skulpturen im Park vor den Landesbühnen Sachsen.

Auf jeden Fall die Empfehlung: beim Einkaufen auf der Hauptstraße einfach eine kleine kulturelle Verschnaufpause einplanen (man kann auch den Gaumen kulturvoll verwöhnen!).

Die Ausstellung ist noch bis Ende des Jahres zu sehen, danach ist von Kurator Prof. Detlef Reinemer eine Präsentation von Werken des Holzbildhauers Fritz Peter Schulz geplant.

Anspielen gegen die traurige Realität

Zum Theaterspektakel „Irrtümer II“ an den Landesbühnen Sachsen

Dass wirkmächtiges Theater unmittelbar auf die Zeitgeschichte reagiert und damit zu einem Ort der Konfrontation des Publikums mit den jeweiligen Lebensbedingungen gerät, ist ein so banaler Satz, dass ich ihn mir unter normalen Umständen als Beginn einer Besprechung nicht zu schreiben trauen würde. Allerdings bekam das zweite Theaterspektakel „Irrtümer“ der Landesbühnen Sachsen, das am 13./14./15. November unter dem Leitmotiv Utopien neun Produktionen (darunter fünf Premieren) versammelte, eine bedrückend tragische Aktualität. Denn während im Radebeuler Haus denkbare oder wenigstens mögliche Lebens- und Gesellschaftsentwürfe be- und gesprochen, gesungen, getanzt und gespielt wurden, wurde am Eröffnungsabend zur gleichen Zeit in Paris gehasst, geschossen und gebombt – im Namen einer zerstörerischen Utopie. Gut, dass die Intendanz ab dem zweiten Abend die Betroffenheit des ganzen Hauses mit einem Aushang bekundete, noch besser, dass das Publikum den im Foyer platzierten „Baum der Wünsche“ sofort als Projektionsfläche für Anteilnahme und Mitgefühl nutzte: „#pray for paris“ war dort zu lesen oder auch „Endlich Frieden“. Womit das Zweitgenannte die Utopie schlechthin markiert, an der sich die Menschheit seit Jahrtausenden erfolglos abarbeitet.

»Warten auf Godo«, Szene mit Grian Duisberg und Michael Berndt-Cananá

»Warten auf Godo«, Szene mit Grian Duisberg und Michael Berndt-Cananá


Wie auch schon im Jahr zuvor (damals unter dem Motto Familien-Wahn-Sinn) waren alle Sparten der Landesbühnen an diesem Abend im Einsatz und offerierten eine „Messe für die Gastspielpartner aus der Region“ (Intendant Manuel Schöbel). Damit sind ziemlich präzise Chancen und Risiken eines solchen Kraftaktes umrissen. Denn die Konzeption balanciert auf einem dünnen Seil, weil die schiere Masse an Angeboten (von denen man nur drei zu einem Termin wahrnehmen kann) zwar einerseits für jeden Geschmack etwas bereithält, andererseits in Kauf genommen wird, dass damit der Wert einer jeden Einzelproduktion verringert wird. Denn wo sonst z.B. Warten auf Godot ein Solitär ist und der Besucher nach 90 intensiven Minuten erfüllt nach Hause geht, werden die Eindrücke an diesem Abend nach einer kurzen Pause (ein Dank an das Haus für bereitgestellte Erfrischungen darf nicht fehlen, bedient dieses Angebot doch die Utopie, dass man satt wird, ohne selbst etwas dafür tun zu müssen) durch – wie in meinem Fall – eine nachfolgende Tanzperformance überlagert. Dabei hätten es Grian Duisberg und Michael Berndt-Cananá als Estragon und Vladimir ebenso wie Tom Hantschel und Marcus Staiger als Lucky und Pozzo verdient, dass „ihr“ neuer Beckett in der Regie von Peter Kube ungestört nachhallen kann. Das rätselhafte Meisterwerk des irischen Dramatikers ist nur scheinbar leicht zu bebildern, denn Beckett schreibt als Szenerie lediglich eine Landstraße und einen Baum vor. Genau das und nicht mehr stellt die Bühne (Tom Böhm) auch dar. In dieses trostlose Irgendwo geworfen kreisen die beiden Hauptakteure um sich in ihrem als von den Zuschauern absurd erlebten Dasein jenseits von Zeit und Ziel. Was immer auch der Text sagen soll – Beckett war sich dessen selbst nicht sicher – so ist er doch nach wie vor ein großes Fragezeichen, dem sich jeder Besucher auf eigene Weise nähern muss, ohne daraus je mit Gewissheit einen Punkt oder gar ein Ausrufezeichen machen zu können, eher noch einen Gedankenstrich.

Mit D.A.L.I., was Ballettchef Carlos Matos mit Die Allmacht Lärmender Intuition gleichsetzt, wird dem Publikum in der Probebühne ein bereits im Januar 2015 uraufgeführter Tanzabend präsentiert, der auf assoziative Weise zwei surrealistische Werke Dalis in Tanz übersetzt, ohne plakative Zuschreibungen vorzunehmen. Hier erzählen die Körper der sechs Akteure Geschichten, ohne Erklärungen aufzudrängen oder gar Deutungen vorzuschreiben. Unschärfe verhindert Eindeutigkeit verhindert Deutungshoheit – auch so kann die Utopie einer Welt ohne Meinungsführerschaft aussehen.

Die Premiere des von Peter Hacks entworfenen Dramoletts „Die Höflichkeit der Genies“, mit der ein Großteil des Publikums den Premierenabend beschloss, setzte einen heiteren Akzent, ohne freilich zum Thema Utopien etwas beigetragen zu haben. Eine fiktive Begegnung zwischen dem noch jungen Yehudi Menuhin (Jens Bache) und dem schon altersmilden, aber herrlich verschrobenen Albert Einstein (Matthias Henkel besetzt diese Rolle großartig) im Haus des Geigers in Los Angeles (dazu noch Julia Rani in der Rolle von Menuhins Schwester) mündet in einer Darbietung des berühmten e-moll Violinkonzertes von Felix Mendelssohn-Bartholdy durch Torsten Janicke als Solist, begleitet durch die Elblandphilharmonie unter Jan-Michael Horstmann. Nach etwas schleppendem Start gelang es dem Dirigenten zunehmend besser, sein Orchester an Janickes temperamentvolles und bewegungsfreudiges Spiel anzupassen, sodass insbesondere der 3. Satz zu einem feurigen und schwungvollen Kehraus geriet.

Was bleibt von diesem Abend? Der Eindruck, dass die Landesbühnen sich aktiv um ihr Publikum mühen, denn der betriebene Aufwand nötigt Anerkennung ab. Das Gefühl, dass das Format des „Theaterspektakels“ noch verbesserungsfähig bleibt, denn keines der drei von mir besuchten Aufführungen kann ich mangels entsprechender Angebote im Dezember in Radebeul oder der Region zum Besuch weiterempfehlen. Das Wissen, dass ein friedlich verbrachter Theaterabend keineswegs selbstverständlich ist in diesen Zeiten, denn – – –

Bertram Kazmirowski

Joachim Richter ist tot!

Nachruf auf einen sehr vielseitigen Radebeuler

Er war eigentlich ein sehr zurückhaltender Mensch. Ein unbedingtes Vordrängeln und sich auf Teufel komm heraus in eine Diskussion mischen, das lag Joachim Richter fern. Dabei hatte er eigentlich immer was zu sagen; Fröhliches, Tragisches, Humorvolles und auch Trauriges.
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Joachim Richter gehörte zu den Gründungsmitgliedern der Radebeuler Gruppe der „Schreibenden Senioren“ und war dort einer der produktivsten Schreiber. Seine poetische Stärke waren jene Vierzeiler, die oft mit wenigen Worten über ein ganzes Leben erzählten. Und dabei ließ er auch keinen Zweifel an seinen Vorbildern, wozu u.a. Erich Kästner und/oder Joachim Ringelnatz gehörten. In Anlehnung an den Letztgenannten dichtete er einmal folgenden Vers, den er „Der Reim“ nannte.

„Ich lese meinen Ringelnatz
ans Fenster klopft ein kleiner Spatz
Am nächsten Tag studier ich Brecht.
Wer klopft ans Fenster? Na?
Ein Specht!“

Joachim Richter hatte einst den Beruf eines Druckers gelernt und nahezu sein halbes Leben in und mit dieser Arbeit verbracht. Seine Freizeit aber war von vielen Interessen geprägt. So war er ein beispiellos eifriger Filmfan. Er gründete in Radebeul am damaligen kleinen Kino von Radebeul-Ost (der „Flohkiste“) einen Filmklub und leitet ihn über viele Jahre hinweg. Dass das Kino nach 1989/90 ganz aus Radebeul verschwand konnte er nie begreifen.

1993 entstand die Gruppe der „Schreibenden Senioren“Radebeuls und mitten unter ihnen saß auch Joachim Richter. Bis zu jenem Tag, als seine Frau starb. Sie war immer so etwas wie sein Anker gewesen. Alleinsein aber passte gar nicht zu ihm. Er brauchte Menschen um sich herum.

Am 2. November 2015 verstarb Joachim Richter in seinem 89. Lebensjahr.

Wolfgang Zimmermann

„Auf dem Nil“ und anderswo

Die Radebeuler Malerin und Grafikerin Renate Winkler stellt in der Filiale der Deutschen Bank aus

Eingehüllt in ein farbenprächtiges Gewand gönnt sich eine Frau eine „Ruhepause in der Wüste“. Gleich daneben fällt der Blick auf „Ramadans Enkel“, der alles andere als schläfrig, sondern quicklebendig scheint. Es sind nur zwei Bilder aus der umfangreichen Schau der 1948 in Meißen gebürtigen Malerin und Grafikerin, die aber angesichts der aktuellen Ereignisse hinsichtlich der derzeitig alle Nachrichten beherrschenden Flüchtlingsbewegung ganz besonders die Blicke der Ausstellungsbesucher auf sich ziehen. Beide Bilder widerspiegeln eine ruhige und friedliche Stimmung. Sie sind in kräftigen Ölfarben gemalt und verweisen in der Darstellung einer Idylle den Inhalt der hasserfüllten Kommentare an den Grenzen Europas in das Reich der Legende. Ob es die in Ölfarben gemalten Bilder „Sayds Mutter“ oder „Der Eselkarren“ sind, ob es die Aquatintaarbeit „Auf dem Nil“ oder die in Ölfarben gemalten Kamele mit dem stimmungsvollen Titel „Meine Wüstenfreunde“ sind. Ihre Arbeiten schlagen einen weiten Bogen aus einer fernen Welt zur Heimat und umgekehrt.

»Winterlandschaft«, Tusche

»Winterlandschaft«, Tusche


»Ruhepause in der Wüste,« Öl

»Ruhepause in der Wüste,« Öl


Renate Winkler – die Schöpferin dieser Bilder – bereiste in der Vergangenheit schon mehrfach arabische Länder. Und ihre, unter den Eindrücken jener Welt entstandenen bildkünstlerischen Arbeiten widersprechen mit ihren Botschaften sehr deutlich dem grölenden und geifernden Mob draußen auf der Straße. Die Malerin hat diese Bilder aber nie in der Absicht gemalt, damit ein politisches Statement abgeben zu wollen. In der Ende September 2015 eröffneten Ausstellung in der Filiale der Deutschen Bank in Radebeul verweist Renate Winkler aber nicht nur auf ihre Intentionen aus den arabischstämmigen Ländern. Sie zeigt in einem Holzschnitt auch das „Haus Lotter“ in Radebeul, würdigt in einer Winterlandschaft die landschaftliche Schönheit ihrer sächsischen Heimat und verweist gleich daneben in einer Idylle auf des „Winzers Rastplatz“.
»Ramadans Enkel«, Öl

»Ramadans Enkel«, Öl


Wolfgang Zimmermann

In den kommenden Monaten kann man die Ausstellung in der Filiale der Deutschen Bank in Radebeul-West besichtigen.

Nun also wieder Kriegsweihnacht?

Advent, aber mir ist nicht nach Singen zumute.
Was kommt da auf uns zu? Worauf haben wir uns vorzubereiten?
Nach Umfang und Ausmaß ist der mit dem 13. November postulierte Krieg ein neuer (der dritte!) Weltkrieg.

Zu den guten Nachrichten der letzten Wochen zählt jene vom Fortschreiten der Sicherungsarbeiten am Radebeuler Bismarckturm.

„Mit einer Gesamthöhe von 18 m ist der nach einem Einzelentwurf entstandene (…) Turm größer als die meisten anderen; nach viermonatiger Bauzeit (…) wurde er am 2. 9. 1907 feierlich eingeweiht. (…) der 1913 geplante Einbau einer Treppe scheiterte aus finanziellen Gründen.“ So steht es im Radebeuler Stadtlexikon.

Nun kann, einhundert Jahre später, der Treppenbau beginnen. Parallel soll im Innern mit einer Dokumentation an das Leben Bismarcks erinnert werden. Hoffen wir, daß die Erinnerung nicht zu spät kommt.

„Unsere Politik hat die Aufgabe, den Krieg, wenn möglich, ganz zu verhüten, und geht das nicht, ihn doch zu verschieben…“ schrieb Bismarck u.a. 1879. Seine auf solche Weise nach 1871 gebetsmühlenartig wiederholte Warnung, daß ein Krieg unter heutigen Bedingungen eher schadet als nützt (er wußte, wovon er sprach, hat er doch Kriege geführt, wo er sie für ‚nützlich‘ hielt) scheint heute jedenfalls wieder einmal gründlich vergessen zu sein.

Advent heißt Ankunft.
Was kommt auf uns zu? Worauf dürfen wir uns freuen?
Hoffen wir auf ein gesundes Wiedersehen 2016!

Thomas Gerlach

Editorial

Sie kommen aus einer Kirche in der gerade ein Konzert zu Ende ging. Die Glocken läuten, laut. Aber etwas stört die feierliche Stimmung. Eine grelle Stimme versucht den Glockenklang zu übertreffen: Der „Jens aus Meißen“ erklärt den Mitgliedern und Sympathisanten vom „Meißner Heimatschutz“ auf dem kleinen Marktplatz von Coswig die Welt. Ein Vorschlag ist, alle regierenden Parteien zum Teufel zu jagen, vor allem wegen ihrer Asylpolitik. Wer dann regieren soll, und wie, bleibt offen. Die Kirche mit ihren lauten Glocken wird auch beschimpft. Eigentlich ein für viele lächerlicher Auftritt, wären da nicht etwa 200 Menschen, die teilweise mit lautem Geschrei dem Redner Zustimmung signalisieren. Und wir? Wir entrüsten uns, nicht nur weil dies am Buß- und Bettag stattfindet, gehen dann aber zur anderen Seite, vor die Alte Kirche. Dort soll ein Friedensgebet, organisiert von den örtlichen Kirchgemeinden , unterstützt von „Coswig – Ort der Vielfalt“ und den Stadtratsfraktionen, ein Zeichen setzen für ein friedliches Miteinander. Wir fühlen uns zur Teilnahme verpflichtet. Anschließend dann eine Menschenkette mit und ohne Kerzen und dem Gesang von „Dona Nobis Pacem“, als Entgegnung zum mittlerweile stattfindenden, von Hassparolen angeführten Demonstrationszug. Neben uns steht eine Gruppe junger Leute mit einem Spruchband:
Du kannst gegen Krieg sein. Du kannst gegen Gewalt sein. Du kannst gegen Terror sein. Aber Du kannst nicht gegen die sein, die davor fliehen. Refugees welcome!
Ich freue mich über diese jungen Menschen frage mich aber, ob es reicht, was wir gerade tun, damit Hass und Feindseligkeit nicht in unserem Leben immer stärker werden.

Liebe Leserinnen und Leser, ich wünsche Ihnen eine besinnliche Weihnachtszeit, obwohl ich weiß, dass in vielen Familien auch zu Weihnachten die Probleme der Gegenwart sehr präsent sein werden.

Herzlichst
Ilona Rau

Königin für ein Jahr

Viele kleine Mädchen träumen davon, einmal Königin oder wenigstens Prinzessin zu sein.
War das bei Michaela Tutschke auch so?
Die Sächsische Weinkönigin hat mit mir über ihre Regentschaft geplaudert.

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Weinkönigin Michaela Tutschke und Winzer Steffen Rößler                                                        Foto: D. Busch

Anfang November 2014 war die Dresdnerin in der Coswiger „Börse“ als neue Repräsentantin Sächsischer Weine für ein Jahr gewählt worden. Zu der eingangs gestellten Frage erinnert sie sich, dass sie als Kind gern zugehört hat, wenn ihr die Eltern Märchen vorlasen. Und wenn dabei Königinnen und Prinzessinnen vorkamen, hat ihr das schon gefallen. Sie habe aber damals lieber im Dreck gespielt oder mit Autos. Die Puppenphase blieb sehr kurz.

2010 nahm sie eine Berufsausbildung als Winzerin auf und es dauerte nicht lange, bis sie eine Weinkönigin persönlich kennenlernte – eine anregende Begegnung.
Und als ihr Kolleginnen und Kollegen sowie Weinhoheiten sagten: „Das wäre doch auch etwas für Dich!“ – da begann der Plan zu reifen, sich nach Beendigung der Ausbildung dafür zu bewerben. Ihr frisch-fröhliches und charmantes Auftreten hatten die Unterstützer sicher auch im Blick. Die Bewerbungsunterlagen waren dann rechtzeitig zusammengestellt und beim Weinbauverband eingereicht, mit Lebenslauf und Selbsteinschätzung zur Eignung als Weinkönigin. Es ist so, dass jede Bewerbung angenommen wird und auch kein Vorentscheid stattfindet. Oft ist die Zahl der Bewerberinnen sehr gering. Jeweils Anfang November erfolgt dann die Wahl, auf die sich die Damen ab Mitte bis Ende September gezielt vorbereiten. Der Weinbauverband organisiert zum Kennenlernen untereinander und zur fachlichen Einstimmung Exkursionen, zum Beispiel eine Fahrt entlang der Sächsischen Weinstraße.
Michaela Tutschke und ihre Mitbewerberinnen nahmen an einer Verkostung sächsischer Weine im Schloss Wackerbarth teil, der dazu diente, Unterschiede zwischen den Rebensäften zu erkennen und es wurde die Beschreibung von Weinen trainiert – wer es schon einmal versucht hat, weiß, dass dies schwierig ist. Ein Rhetorikseminar im Weingut Friedrich Aust folgte, bei dem auch eine Schauspielerin der Landesbühnen Sachsen Tipps für die Wahlveranstaltung und den vielleicht folgenden öffentlichen Auftritten gab, beispielsweise für die Akklimatisierung vorher, das Bewegen auf der Bühne, den Umgang mit Lampenfieber. Schließlich gehört Selbststudium und Gedankenaustausch mit Weinkennern dazu.
Dann kam die Wahl. Erstmals gab es 2014 eine Jury, die aus Winzern, Sponsoren des Weinbauverbandes, Besitzern von Prädikatsgaststätten, die sächsische Weine ausschenken sowie Journalisten bestand. Das Publikum wurde ebenfalls mit einbezogen, indem auf den Rückseiten der Eintrittskarten der Name der persönlichen Favoritin eingetragen werden konnte.
Die Kandidatinnen zogen aus einem Topf jeweils vier Fragen zur Beantwortung, die sich vor allem auf den Weinbau und den Tourismus in der Region bezogen. Diese Beschränkung ergab sich aus Zeitgründen. Die Gäste waren aufgefordert, ihre Meinung zu den Antworten zu äußern. So nahm das Prozedere seinen Lauf und Michaela Tutschke konnte jubeln.
Sie ist im Weingut Proschwitz angestellt und hatte die Bewerbung mit ihrem Chef, Prinz zur Lippe, vorsorglich abgestimmt, da ja eine Weinkönigin zahlreiche Verpflichtungen wahrzunehmen hat, die teilweise auch in der Arbeitszeit liegen.
So zum Beispiel die Teilnahme an der Grünen Woche und an der Tourismusbörse in Berlin. Da kommen zusammenhängend auch mal drei Tage Abwesenheit zusammen. Prinz zur Lippe hat großzügig Unterstützung gewährt. Er freut sich sicher, eine Mitarbeiterin als Weinkönigin zu haben und eine Werbeträgerin fürs Weingut ist sie natürlich auch.
Im Verlauf einer Amtszeit sind etwa 100 Veranstaltungen zu besuchen, was in logistischer und konditioneller Hinsicht eine beachtliche Herausforderung darstellt. Gleich nach der Wahl im November standen viele Termine an, im Winter weniger, ab März dann zunehmend mehr. Das ließ sich einigermaßen mit den beruflichen Aufgaben vereinbaren.
Michaela Tutschke hatte sich vorab mit ehemaligen Weinköniginnen unterhalten und wusste daher, was auf sie zukommt. Den Anforderungen konnte sie vor allem deshalb entsprechen, weil ihr das Ganze viel Freude bereitete und sie merkte, wie sie an den Aufgaben wuchs. Die besondere Ausstattung der Weinkönigin besteht aus Krone und Kette, die ihr feierlich von der Vorgängerin übergeben wird und den verschiedenen Kleidern. Hier kann sich der Weinbauverband auf eine Sponsorin stützen. Michaela Tutschke war begeistert, dass sie dort Beratung für entsprechende Kleider fand und diese ausleihen konnte. Ein weiterer Sponsor ist ein Friseur. Bei Terminen im Weinberg waren Jeans und eigener Chic angesagt, da dominierte das Fachliche.
In dem Jahr als Weinkönigin gab es viele interessante und schöne Begegnungen und Ereignisse, aus denen eines besonders herausragt: Die Volks-und Raiffeisenbank unterstützt ebenfalls den Weinbauverband. Sie besitzt einen eigenen Postvertrieb und gibt alljährlich eine Briefmarke mit dem Konterfei der Weinkönigin heraus. Nun ist Manuela Tutschke auf der 55 Cent-Marke vor der Meißner Burg zu sehen. Kommentar ihres Papas: “Sonst sind nur Verstorbene drauf, du schon zu Lebzeiten!” Anlässlich der Wahl bekam sie einen Weinkelch aus Meißner Bleikristall überreicht. Auf diesem ist das „Schwalbennest“ eingraviert. Das ist das Weinberghäuschen am den Weinköniginnen gewidmeten Weinberg “Rote Presse“ im Meißner Spaargebirge. Bewirtschaftet wird er von der Meißner Winzergenossenschaft. Den von den Traminer -Trauben erzeugten Wein erhält die Weinkönigin zu Repräsentationszwecken.
Am Ende ihrer Amtszeit hat sie sich am Wettbewerb zur Wahl der Deutschen Weinkönigin beteiligt. In Neustadt an der Weinstraße fanden am 19. September der Vorentscheid und am 25.September das Finale mit den sechs von zwölf Teilnehmerinnen statt, sogar vom SWR übertragen..
Zu ihrer Teilnahme sagt sie: „Ich musste nicht, aber für mich war es eine Frage der Ehre. Es gibt dreizehn Anbaugebiete in Deutschland. Die sächsischen Winzer haben es verdient, durch mich vertreten zu werden.“
Deutsche Weinkönigin ist Manuela Tutschke zwar nicht geworden, aber allein die Teilnahme wird für sie ein bleibendes Ereignis sein.
Wir wünschen ihr alles Gute und viel Glück für den weiteren Weg.
Vielen Dank, Eure Hoheit, für das Gespräch!

Ilona Rau

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