Der kirchenmusikalische Höhepunkt des Jahres 2015 in Radebeul

– Zur Aufführung der „Matthäuspassion“ am 3. April 2015 –

Radebeul kann sich seit Jahrzehnten an einer für eine Stadt dieser Größe überaus vielfältigen und beständig in die Öffentlichkeit hineinwirkenden Kirchenmusik erfreuen. Bestimmt haben viele von Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, im Laufe der Zeit das eine oder andere Mal die Lutherkirche oder Friedenskirche anlässlich eines Konzertes besucht, vielleicht vor wenigen Monaten erst zu einer Aufführung des Weihnachtsoratoriums. Es ist ein schöner Brauch, dass sich die Kantoreien in Radebeul-Ost und Radebeul-West dabei nicht gegenseitig Konkurrenz machen, sondern sich sinnvoll ergänzen. So erklangen die Kantaten 1-3 in der Kirche an der Meißner Straße, die Kantaten 4-6 in Kötzschenbroda.
Vielleicht sind Ihnen in den letzten Wochen auf Ihren Wegen durch Radebeul die Plakate aufgefallen, welche auf die am Karfreitag stattfindende Aufführung der Bachschen „Matthäuspassion“ hinweisen. Wer näher herantritt kann erfahren, dass dazu beide Kantoreien gemeinsam unter der Gesamtleitung von KMD (Kirchenmusikdirektor) Gottfried Trepte und noch verstärkt um den Chor der Johanneskapelle Radebeul-Naundorf (üblicherweise geleitet von Kantorin Angelika Werner) sowie der Kurrende der Lutherkantorei auftreten werden. Man ist auf den ersten Blick geneigt, diese Information einfach so zur Kenntnis zu nehmen. Möglicherweise aber ahnen auch Sie, dass sich dahinter ein Vorhaben verbirgt, das die insgesamt gut 140 (!) Sängerinnen und Sänger an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit führt und für Radebeul den kirchenmusikalischen Höhepunkt in diesem Jahr darstellt. Diese Tatsache hat mich dazu bewogen, mich bei den beiden Kantoren Gottfried Trepte (Lutherkantorei) und Karlheinz Kaiser (Kantorei der Friedenskirche) nach dem Zustandekommen des Projektes und dessen näheren Umständen zu erkundigen.

Die Wirkung auf die Zuhörer, die von der „Matthäuspassion“ von J.S. Bach ausgeht, beruht ganz wesentlich auf seiner Anlage als doppelchörig komponiertes Werk, d.h., dass Bach zwei jeweils vierstimmige Chöre vorgesehen hat, die auch von zwei getrennt agierenden Orchestern begleitet werden. Diese Vorgabe erklärt, warum sich weder die eine noch die andere Kantorei dieses Werk alleine zumuten kann: es würde schlicht an sängerischer Kraft in den einzelnen Stimmgruppen fehlen. Eine Zusammenarbeit allerdings erfordert ein großes Maß an Abstimmung zwischen den Beteiligten und führt(e) im konkreten Fall dazu, dass nicht nur beide Kantoreien und der Chor der Johanneskapelle seit Anfang Januar für sich prob(t)en, sondern es im Februar und März auch drei gemeinsame Sonderproben gab. Die Kantoren Trepte und Kaiser können sich allerdings auf eine große Zahl erfahrener Choristen stützen, die bereits 2005 dabei waren, als letztmalig beide Kantoreien sich vereint an Bachs opus magnum gewagt hatten. (Dass es darüber hinaus in jüngerer Vergangenheit zwei weitere Kooperationen in Sachen Matthäuspassion gab – die Lutherkantorei führte sie mit der Meißner Domkantorei auf, die Kantorei der Friedenskirche mit dem Chor der Himmelfahrtskirche Dresden-Leuben – sei der Vollständigkeit halber erwähnt.) Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass zu Bachs Zeiten die Matthäuspassion vermutlich weit weniger Mitwirkende band als heutzutage. Bach hatte die Passion 1727/29 als Thomaskantor in Leipzig geschrieben und konnte damals auf ca. 60 Knaben- bzw. Männerstimmen zurückgreifen. Man geht davon aus, dass auch die Zahl der Musiker 20 nicht überschritten hatte, während die aktuelle Produktion auf die Unterstützung von etwa 40 Musikerinnen und Musiker (Elblandphilharmonie Sachsen sowie eine Gambistin und einen Organisten) baut. Wie andere Werke Bachs auch geriet die Matthäuspassion nach dessen Tod 1750 in Vergessenheit und wurde – ebenso wie z.B. das Weihnachtsoratorium – erst von Felix Mendelssohn-Bartholdy wieder entdeckt. Dieser führte sie 1829 in Berlin zum ersten Mal wieder auf, allerdings in einer gekürzten Fassung, weil eine Gesamtaufführung (noch) als undurchführbar galt. Befördert durch die von Carl Friedrich Zelter begründete sog. „Singebewegung“ um 1810 mit der Gründung von zahlreichen weltlichen Chören („Singakademien“/ „Liedertafeln“) wurde die Matthäuspassion im Laufe des 19. Jahrhunderts zunehmend einem breiteren Publikum bekannt und gehört spätestens seit Mitte des 20. Jahrhunderts trotz ihrer außergewöhnlich langen Dauer von ca. zweieinhalb Stunden (in der Radebeuler Aufführung wird es allerdings eine kleine Pause geben) zum festen Bestandteil insbesondere der ost- und mitteldeutschen musica sacra.
Wenn Gottfried Trepte am Karfreitag kurz nach 15 Uhr den Taktstock hebt und den Einsatz für den monumentalen und doch tief berührenden Eingangschor „Kommt, Ihr Töchter, helft mir klagen“ in e-moll gibt, wird die Lutherkirche hoffentlich gut gefüllt sein. Bis zu 600 Besucher erwarten Trepte und Kaiser, nicht zuletzt, um die erheblichen Kosten des Projektes von ca. 7000€ wieder einspielen zu können. Denn abgesehen von der Elblandphilharmonie Sachsen, die als das traditionell mit dem Kulturraum Meißen – Sächsische Schweiz – Osterzgebirge verwachsene Orchester durch ihre Mitwirkung auch ihrem satzungsgemäßen Auftrag gerecht wird und deshalb relativ preiswert „zu haben“ ist, müssen immerhin auch noch sechs Solistinnen und Solisten bezahlt und die Nebenkosten gedeckt werden. Eine weitere Aufführung ist nicht vorgesehen, denn als originäre Passionsmusik ist der Matthäuspassion nur ein kurzer Zeitraum beschieden, zu dem sie aufgeführt werden kann. Auch wenn Sie, liebe Leserinnen und Leser, vielleicht eine CD oder Schallplatte mit einer Aufnahme zu Hause haben: Wie wäre es, wenn Sie die seltene Chance nutzten, sich dieses großartige Werk live durch Radebeuler Chöre darbieten zu lassen? Dieses ambitionierte Projekt hat eine gut besuchte Aufführung verdient, nicht zuletzt darum, damit die Verantwortlichen eine Bestätigung dafür erfahren, dass sich gemeindeübergreifende Zusammenarbeit im besten Sinne des Wortes für alle lohnt.

Bertram Kazmirowski

„Einblicke“

Ausstellung der Malgemeinschaft der Stadtgalerie in der Stadtbibliothek vom 11. April – 10. Juli

Ausstellungen sind immer Höhepunkte im Leben eines Künstlers. Auch für die Mitglieder der Malgemeinschaft der Stadtgalerie wird am 11. April um 17 Uhr solch ein Höhepunkt sein. An diesem Tag eröffnet sie ihre 6. Ausstellung, diesmal in den Räumen der Stadtbibliothek Radebeul-Ost.

»Radebeuler Landschaft«, Heidrun Lohse, Collage, 2014 Foto: S. Wagner

»Radebeuler Landschaft«, Heidrun Lohse, Collage, 2014
Foto: S. Wagner


Hier hat der Kulturverein der Stadtbibliothek seit vielen Jahren eine Möglichkeit geschaffen auch Bildwerke zu präsentieren. Dafür wollen wir diesem Verein vorab schon einmal herzlich Danke sagen. Das Besondere unserer Ausstellung ist, dass nicht nur ein Künstler seine Bilder zeigt, sondern eine ganze Gruppe.

Das sind : Dr.Christiane Engelmann, Lothar Haupt, Gisela Kötz, Helga Kutzsche, Heidrun Lohse, Monika Nabielek, Erika Metzner, Gisela Reich, Hannelore Scheerbaum, Dr.Karl Stich und Edith Thelemann.

Alle eben Genannten sind seit vielen Jahren durch ihre gemeinsame künstlerische Arbeit eng miteinander verbunden. Sie treffen sich regelmäßig: meist in den Ausstellungsräumen der Stadtgalerie oder auch draußen in der wunderbaren Radebeuler Landschaft. Dass sich bei solchem Tun auch eine freundschaftlich anregende und produktive Atmosphäre entwickelt, kann man wohl nachempfinden. Und das ist etwas Schönes.

Viele Bilder in der geplanten Ausstellung zeigen etwas von dieser Art Schönheit, Schönheit, die ganz harmonisch, poetisch, heiter und zart, aber auch dramatisch, temperamentvoll und expressiv daherkommen kann. Einige Akteure lieben die leisen verhaltenen Töne, andere „spielen“ lauter, dramatischer.

Man kann von dieser Spezifik der einzelnen Persönlichkeiten nicht alles über das Wort verdeutlichen, man kann nur ein paar Einblicke in die Art und Weise des Schaffens geben. „Einblicke“, so heißt auch diese Ausstellung.

Wer die Räumlichkeiten unserer Stadtbibliothek kennt, weiß, dass für elf Aussteller der Platz im eigentlichen „Galerieraum“ nicht reicht. Wir nutzen deshalb auch die Wände des Kulturbahnhofes für die großen, farbstarken und dekorativen Arbeiten, für Bilder, die eine Fernwirkung und einen Abstand brauchen. Sie sollen zudem den Besucher einladen, auch die Ausstellung in den oberen Bibliotheksräumen wahrzunehmen.

Hier, in diesen kleineren Räumen, werden wir die Bilder sehr dicht hängen müssen, um jedem Mitglied der Malgemeinschaft gerecht zu werden. Elf unterschiedliche Persönlichkeiten gut zu präsentieren ist nicht einfach. Schon eine Auswahl zu treffen war schwer. Weit über 100 Malereien, Grafiken und Collagen in unterschiedlichen Größen und Intensitäten standen zur Diskussion. Es waren frei erfundene Motive und solche, die einen direkten Bezug zur Stadt Radebeul haben, deren 80. Geburtstag auch durch uns gewürdigt werden soll.

Vielleicht konnte ich Sie, verehrte Leser, für unsere Arbeit interessieren. Sie sind aber auch herzlich zur Eröffnung unserer Ausstellung oder zum Betrachten der Bilder eingeladen.

Gudrun Täubert
Leiterin der Malgemeinschaft

Die Heidelbeere, die Preiselbeere und die Mistel

Der Coswiger Porzellanmaler Klaus Henker feiert seinen 80 Geburtstag mit einer Ausstellung im Museum Karrasburg

»Figürliche Studie«, Bleistift/Aquarell, 1973 Foto: W. Zimmermann

»Figürliche Studie«, Bleistift/Aquarell, 1973
Foto: W. Zimmermann


„Im Blickpunkt“ ist die aktuelle Ausstellung im Coswiger Museum Karrasburg überschrieben. Ein solcher Titel suggeriert dem Besucher zunächst die Notwendigkeit zu höchster Aufmerksamkeit. In zweiter Linie aber verweist er natürlich auf die ganz bestimmte Person, die mit dieser (Personal-) Ausstellung gewürdigt wird. Und damit leitet die Aufmerksamkeit über auf den in Freiberg gebürtigen und seit langem schon in Coswig lebenden Maler und Grafiker Klaus Henker. Ein solch gewichtiger Geburtstag wie der 80. aber rückt nicht nur den Maler selbst, sondern vor allem auch sein Werk in den Fokus des Betrachters. So zeigt dann auch die Geburtstagsausstellung einen nicht nur umfangreichen, sondern auch sehr detailliert geordneten Querschnitt eines immensen Lebenswerks. Das sich eben nicht nur in dem umfangreichen Ergebnis seiner langjährigen Arbeit für die Porzellanmanufaktur Meißen erschöpft, sondern auch den Grübler, den Sucher und den Perfektionisten Klaus Henker zeigt. Gleichzeitig wird mit dieser Ausstellung auch ein Künstler geehrt, der immer bereit war, sein spezifisches Wissen und Können an andere weiterzugeben. Wie bspw. an die Mitglieder seines Coswiger Mal- und Zeichenzirkels, denen er eine stattliche Anzahl von Jahren nicht nur Lehrer, sondern auch Freund war.
»Flaschen«, aus dem Zyklus »Begegnungen«, Tusche, 2001 Foto: W. Zimmermann

»Flaschen«, aus dem Zyklus »Begegnungen«, Tusche, 2001
Foto: W. Zimmermann


Unbedingt erwähenswert aber ist die Akribie in der Arbeit wie auch die Forscherlust, die Klaus Henker über die Jahrzehnte hinweg im Griff hatte.
»Preiselbeere«, Tusche/Aquarell, 1981 Foto: W. Zimmermann

»Preiselbeere«, Tusche/Aquarell, 1981
Foto: W. Zimmermann


Er ließ kaum eine Gelegenheit aus, sein Wissen um die Dinge zu erweitern. Forschte immer wieder in neuen Ausdrucksmöglichkeiten und Formen seines Metiers. Und wagte sich begeistert an immer neue Herausforderungen. Die Ausstellung weist sehr übersichtlich auch darauf hin, mit welcher Akribie Klaus Henker neue Ideen in der Porzellanmalerei verfolgte. Wie er sich nicht nur dem Motiv „Heidelbeere“ widmete, sondern auch durch die Beschäftigung mit der Preiselbeere, der Mistel etc. das eigene Wissen vervollkommnete. Und er ist auch mit 80 Jahren keinen Deut ruhiger gworden. Doch das ist dem schöpferischen Menschen wahrscheinlich stets immanent. Die Ausstellung in der Karrasburg blickt sozusagen auf ein komplettes Künstlerleben.

Wolfgang Zimmermann

Bis zum 12. April 2015 ist die Ausstellung zu besichtigen.

Fotos (Zi)
1.    „Figürliche Studie“ (Bleistift/Aquarell/1973)
2.    „Flaschen“ (aus dem Zyklus „Begegnungen“/Tusche: 2001)
3.    „Preiselbeere“ (Tusche Aquarell 1981)        

Radebeul-Ost macht Dampf und Radebeul-West macht mobil

Ein Beitrag zur städtischen Alltagskultur

Wer kennt ihn nicht, den Spruch der Alten „Früher-war-alles-besser“, welchen die genervten Jungen mit „Na und? Heute ist es doch auch ganz schön!“ kontern.

Der 80. Stadtgeburtstag von Radebeul bietet Anlass, um einmal etwas intensiver über das Gestern, Heute und Morgen der innerstädtischen Alltagskultur nachzudenken. Als zu Beginn des Jahres 1935 die Zwangsehe zwischen den Städten Radebeul und Kötzschenbroda vollzogen wurde, war zunächst einiges doppelt vorhanden: Rathäuser, Hauptstraßen, Stadtzentren… Während das Niederlößnitzer Rathaus mehrere Nutzungsänderungen wie Verwaltungsstandort, Kinderkrippe, Standesamt und Musikschul-Außenstelle erfuhr, blieb das Radebeuler Rathaus immer das, was es war, aber nunmehr für alle Alt- und Neuradebeuler. Ähnlich verhielt es sich mit den Hauptstraßen. So wurde die Kötzschenbrodaer Hauptstraße, welche rund um den alten Dorfanger führte, 1935 in Altkötzschenbroda umbenannt. Die Radebeuler Hauptstraße, ein ursprünglicher Viehweg, hieß ab 1933 Hindenburgstraße und ab 1945 Ernst-Thälmann-Straße bis schließlich 1991 die Rückbenennung in Hauptstraße erfolgte. Die innerstädtischen Zentren haben sich jedoch bis heute als Doppelpack erhalten, was bei einer so lang gestreckten Stadt wie Radebeul durchaus sinnvoll erscheint. Beide Zentren verfügen nach wie vor über eine kleinteilige und vielfältige Einzelhandels- und Dienstleistungsstruktur, was analog der Weinbergsmauern zum erhaltenswerten Kulturgut erklärt werden sollte.

Radebeul-Ost im Jahr 2015: Kulturterrassen und altersgerechtes Wohnen im Zentrum Foto: K.Baum

Radebeul-Ost im Jahr 2015: Kulturterrassen und altersgerechtes Wohnen im Zentrum
Foto: K.Baum


Hoch spannend wäre es nun zu vergleichen, wie sich beide Zentren in den letzten acht Jahrzehnten entwickelt haben. Die Leser mögen Verständnis dafür zeigen, dass es sich bei diesem Beitrag um keine fachlich fundierte Analyse handeln kann. Ein paar Gedankenspielereien seien dennoch erlaubt. Für eine Große Kreisstadt mit nahezu 34.000 Einwohnern nehmen sich sowohl das eine als auch das andere Einkaufszentrum ein wenig bescheiden aus. Glaubt man der Presse, so leben in Radebeul über 200 Millionäre. Lässt man diese einmal außer acht, ist die Kaufkraft des Durchschnitts-Radebeulers immer noch recht beträchtlich. Die wenigen Einzelhändler könnten sich also glücklich preisen.
Blick in die Bahnhofstraße um 1900 Foto: Stadtarchiv

Blick in die Bahnhofstraße um 1900
Foto: Stadtarchiv


Aber mit dem Glück ist das so eine Sache. Die älteren Radebeuler werden sich an Zeiten erinnern, da pulsierte das Leben in beiden städtischen Zentren. Die Fahrt nach Dresden war ein seltener Höhepunkt. Die Waren des täglichen Bedarfs kaufte man vor Ort im Wohngebiet. Gekauft wurde, was das Angebot hergab und immer nur so viel, was man aus eigener Kraft im Dederonbeutel oder Einkaufsnetz nach Hause tragen konnte bzw. was an den Fahrradlenker und auf den Gepäckträger passte.
Begriffe wie „Discounter“ oder „Supermarkt“ waren bis 1990 weitgehend unbekannt. Im Vergleich dazu verfügten selbst die Kaufhäuser und Kaufhallen von HO und Konsum nur über einen Bruchteil an Fläche. Eine Zäsur für den Handel brachte auf dem Terrain der Neuen Bundesländer der gesellschaftspolitische Umbruch. Die meisten Betriebe, welche sich im unmittelbaren Umfeld der innerstädtischen Zentren befanden, gab es plötzlich nicht mehr und damit brach auch ein Großteil der potentiellen Kundschaft weg, die in schöner Regelmäßigkeit nach Arbeitsschluss in die Geschäftsstraßen strömten. Die Ableger von Handelsketten aus den Alten Bundesländern schossen auf der „grünen Wiese“ wie Pilze aus dem Boden und lockten mit vielfältigsten Warensortimenten, niedrigen Preisen und kostenlosen Parkplätzen die nunmehr motorisierte Kundschaft in ihre Einkaufstempel.
Einkaufserlebnis in der DDR, Obst- und Gemüsestand auf der Moritzburger Straße Foto: Stadtarchiv

Einkaufserlebnis in der DDR, Obst- und Gemüsestand auf der Moritzburger Straße
Foto: Stadtarchiv


Doch all diese Erkenntnisse haben zu keiner Veränderung der Situation in den städtischen Zentren geführt. Mit dem Schlachtruf „Radebeul-Ost macht Dampf“ ließ man den kontroversen Diskussionen Taten folgen. Dank Sanierungsgebiet wurden die Voraussetzungen geschaffen, um das Zentrum von Radebeul-Ost und den historischen Dorfkern städtebaulich und funktional aufzuwerten. Das ist den Machern gut gelungen. Kein Geschäft steht leer. Nahezu jede Baulücke ist gefüllt. Die Fassaden strahlen farbenfroh. Die Verwaltung wurde konzentriert, der Boulevard mit Einkaufspassagen, REWE-Markt und Parkhaus erweitert. Gaststätten und Cafés laden zum Verweilen ein. Das ehemalige Bahnhofsgebäude wurde zum Kultur-Bahnhof mit Erlebnisbibliothek, Volkshochschule und Veranstaltungshalle ausgebaut. Die vorgelagerten Kulturterrassen, der Bürgerpark im Rathausareal und der preisgekrönte Spielplatz im alten Dorfkern sind als erholsame Treffpunkte für Alt und Jung geeignet. An Kindergärten, Schulen, Museen, altenbetreuten Wohnungen, medizinischen Einrichtungen, öffentlichen Nahverkehrsmitteln und Toiletten (alles barrierefrei zugängig) herrscht kein Mangel. Baulich gibt es nicht mehr viel zu tun. Fazit: Radebeul-Ost präsentiert sich im Jahr 2015 modern, sauber und aufgeräumt.
Radebeul-West im Jahr 2015: Wo einst die Fisch-Regina residierte... Foto: K. Baum

Radebeul-West im Jahr 2015: Wo einst die Fisch-Regina residierte…
Foto: K. Baum


Radebeul-West hingegen wirkt ein wenig morbid, so als wäre die Zeit stehen geblieben. Zahlreiche Geschäfte stehen leer. Freie Flächen sind mit Plakaten zugeklebt. Die Haupt-Einkaufsachse wird mehrfach vom Schwerlastverkehr durchschnitten. Plätze zum Verweilen sind rar. Nicht nur das einstige Bahnhofsgebäude verfällt. Die Stimmung ist durchwachsen. Noch ist es aber nicht zu spät. Die Händlergemeinschaft und das Bürgeraktiv von Radebeul-West nehmen die Herausforderung an und wollen ab sofort aktiv Einfluss nehmen auf die künftige Entwicklung ihres Stadtgebietes. Mit Humor, Pragmatismus und alternativen Ideen soll versucht werden, für den innerstädtischen Zentrumsbereich wieder Interesse zu wecken.
Hörgeräte werden immer wichtiger Foto: K. Baum

Hörgeräte werden immer wichtiger
Foto: K. Baum


Erstmals will man sich unter dem Motto „Radebeul-West macht mobil“ zum Frühlingsspektakel am 11. April im Stadtteilzentrum Radebeul-West gemeinsam auf eine ungewöhnliche Entdeckungsreise begeben und auf die Vielfalt des Vorhandenen aufmerksam machen. Über 40 Geschäfte werden von 10 bis 16 Uhr auf der Bahnhofstraße, Moritzburger Straße und Meißner Straße an diesem Tag geöffnet sein und die Veranstaltung mit eigenen Sonderaktionen bereichern. Leer stehende Räume erfahren eine temporäre Belebung. Darüber hinaus wird ein abwechslungsreiches Programm mit Stadtteilführungen, Straßenmusik, Ausstellungen, Film und Theater geboten.

In besonders gekennzeichneten Geschäften befinden sich Wunschbriefkästen. Hier können die Bürger ihre Wünsche bezüglich Öffnungszeiten, Sortimentserweiterung, Service, Kreativpatenschaften, Parksituation, Stadtmöbilierung, öffentliche Toiletten, Anschlagtafel, Begrünung usw. äußern. Dabei gilt es herauszufinden, was kurz-, mittel- und langfristig getan werden muss, damit dieser traditionsreiche Zentrumsbereich trotz schwieriger Rahmenbedingungen mit all seinen wichtigen Funktionen für die Bürger von Radebeul erhalten bleibt.

Bereits in der Vor-Oster-Woche erfolgt durch die Stadtverwaltung eine „Frühlings-Blumen-Pflanz-Aktion“. Zusätzlich werden Sitzbänke aufgestellt und Schüler der Kötzschenbrodaer Oberschule schmücken ihre Stadt.
Alle Radebeuler sind also herzlich zum Frühlingsspektakel eingeladen. Flyer mit dem kompletten Programm sind ab Anfang April im Rathaus, im Kulturamt, in der Stadtgalerie, in den Bibliotheken, im Familienzentrum, in der Tourist-Information und bei allen Mitwirkenden in Radebeul-West erhältlich.

Parallel zum Frühlingsspektakel finden in Altkötzschenbroda vom 10. bis 11. April die 15. Langen Kultur- und Kneipennächte unter dem Motto „Kneipen, Kunst und Kocktails“ statt. Gestartet wird am Freitag um 18 Uhr vor der Heimatstube. An beiden Tagen haben einige Läden in Altkötzschenbroda bis 20 Uhr geöffnet. Ab 20 Uhr werden dann in den Kneipen verschiedene Bands spielen. Der Dorfanger verwandelt sich am Samstagabend in den längsten Laufsteg von Radebeul mit Modepräsentationen von Profis und Laien. Das schrägste Kocktail-Outfit kann eine Kocktail-Flatrate gewinnen.

Dass beide Aktionen an einem Wochenende stattfinden, ist kein Zufall. Die Händlergemeinschaft Radebeul-West und die Kultur- und Werbegilde Altkötzschenbroda wollen künftig enger zusammenarbeiten und ihre jeweiligen Veranstaltungshöhepunkte gegenseitig bewerben. Angestrebt wird auch eine bessere Kommunikation zwischen allen Radebeuler Ursprungsgemeinen, denn Radebeul besteht nicht nur aus den Zentren Ost und West. Die Redaktion des kulturellen Monatsheftes „Vorschau und Rückblick“ wird dieses identitätsstiftende Anliegen unterstützen.

Karin Baum

Editorial 4-15

Frühlingserwachen in Radebeul!
Mit dem steigenden Sonnenstand zeigt sich allerorten nun zaghaft keimendes Grün. Nun endlich zieht es auch wieder die Menschen allmählich aus ihren Behausungen. Die Gärten werden bestellt und auch kulturelle Ereignisse suchen nach Platz und Pflege unterm freien Himmelszelt. Dieses Jahr gibt es wohl mehr zu bieten als gewöhnlich, denn der 80. Geburtstag der Stadt Radebeul steht bei vielen Veranstaltungen im Mittelpunkt der Ereignisse.
Am 10. und 11. April finden wieder die beliebten und traditionsreichen “Langen Kultur- und Kneipennächte” unter dem Motto „Kneipen, Kunst und Kocktails“ in Altkötzschenbroda statt. Kneipen, Cafés, Open-Air-Kocktail-Bars, Geschäfte, Galerien, Ateliers, Werkstätten und die Heimatstube sind wieder bis in die Nacht geöffnet und laden zum Verweilen und Genießen ein.
Am 11. April bildet das Frühlingsspektakel „Radebeul-West macht mobil“ zwischen 10 und 16 Uhr einen abwechslungsreichen Saisonauftakt. Über 40 Geschäfte starten zahlreiche Sonderaktionen. Stadtteilführungen, Straßenmusik, Ausstellungen, Weltcafé, Schau-Fenster-Gewinnspiel, Schüler-Kunst-Installation, Wunschbriefkästen, Film und Theater beleben das Programm.
Verfolgen Sie auch das vielfältige Angebot im gesamten Jahreskreis!
Bevor jedoch der Frühling mit seiner innewohnenden Opulenz bei Natur und Mensch seinen Reigen vollführt, lädt der kirchenmusikalische Höhepunkt des Jahres zum Karfreitag nochmals zu innerer Einkehr. Unter gemeinsamer Anstrengung beider Radebeuler Kantoreien, Chöre und der Elblandphilharmonie kommt die “Matthäuspassion” von Johann Sebastian Bach unter der Leitung von Kirchenmusikdirektor Gottfried Trepte in der Lutherkirche am 3. April um 15 Uhr zur Aufführung.

Unseren Leserinnen und Lesern ein frohes Osterfest!

Sascha Graedtke

Titelbild März 2015

An der Elbe liegt unserer Nachbarstadt Coswig gegenüber die Gemeinde Gauernitz. Hier ist das Schloss nicht zu übersehen, die B6 trennt Schloss- und Gutshof. Was man von der großen Schlossanlage mit verschiedenen Flügeln, Höfen und Giebeln sehen kann, ist das Ergebnis einer größeren Umbaumaßnahme von 1862-1870 (Architekten B. Schreiber und E. Giese) unter Karl Ernst von Waldenburg-Schönburg – wir müssen also von Neorenaissance sprechen. Es herrscht Leerstand im Schloss vor, nur wenige Teile scheinen bewohnt, der Zustand beginnt kritisch zu werden, doch Gerüste an einem Flügel lassen etwas Hoffnung aufkommen (Bauarbeiter waren nicht zu sehen). Bereits seit dem 12. Jahrhundert hat es an dieser Stelle einen Herrschaftssitz gegeben. Unter den wechselnden Eigentümern befinden sich in Sachsen klangvolle Namen wie Ziegler von Klipphausen, von Pflugk, von Miltitz und von Zinzendorf. Und immer wieder veränderte sich der Umfang von Schloss- und Gutsanlage – als ältester Teil gilt der Nordflügel (Hohes Haus), in der Barockzeit bestand eine Dreiflügelanlage, im derzeitigen Bauvolumen gingen auch ältere Teile auf. Über Jahrhunderte war der Obstanbau die wirtschaftliche Säule des Gutes. Zum Schloss gehörten prächtige Parkanlagen, zeitweilig sogar auf der Elbinsel, doch davon ist fast nichts mehr zu finden. Nach 1945 dienten die Räume des Schlosses als Sitz der Gemeindeverwaltung, als Kindergarten und zu verschiedenen Wohnungen. Es gibt einen Eigentümer, aber zZ. keine Hoffnung auf Besserung oder gar Fertigstellung.

Dietrich Lohse

Betrachtung einer künstlichen Ruine in Radebeul

Am Ende meines Berichts in V+R 01/14 über die obere Turmruine im ehemaligen Bilzgrundstück Augustusweg 110 hatte ich nicht ausgeschlossen, auch einmal über die künstliche Ruine, also einen zweiten Turm, im gleichen Grundstück „Jägerberg“ zu schreiben. Mehr »

Viktor Timtschenko im Kultur-Bahnhof in Radebeul

„Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen, als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei, wenn hinten weit in der Türkei die Völker aufeinander schlagen.“, so lässt Goethe im „Faust“ die biederen Bürger während ihres Osterspaziergangs sprechen. Das Aufeinanderschlagen der Völker ist uns inzwischen beängstigend nahe gerückt. Die Berichte aus der Ukraine sind verwirrend und wecken widerstreitende Empfindungen. Die pathetische Beschwörung des Heimatbodens ist aus dem Mund der Regierung in Kiew ebenso zu vernehmen wie von den russischen Separatisten im Osten. Ein grundsätzliches Unbehagen an der Entwicklung in der Region wird für die Radebeuler erweitert um die konkrete Sorge für das Wohlergehen der Partner und Freunde in der ukrainischen Partnerstadt. Der letzte Transport mit Hilfsgütern erreichte Obuchiv im vergangenen September. Vor diesem Hintergrund wurde ein Gast mit ukrainischen Wurzeln zur Veranstaltung im Kultur-Bahnhof in Radebeul am 6. Februar mit besonderer Spannung erwartet. Mehr »

Empfehlung nach Art des Hauses

Zur Premiere von „Dinner für Spinner“ am 14.2.15 in den Landesbühnen

Curt Goetz, einer der meistgespielten, weil einer der handwerklich besten Komödienschreiber deutscher Sprache, machte sich nicht nur um die gute Durchblutung der Lachmuskeln seines Publikums verdient, sondern auch um die messerscharfe Analyse menschlicher Eigenarten. Eine seiner diesbezüglichen Sentenzen lautet: „Wer in einem gewissen Alter nicht merkt, dass er hauptsächlich von Idioten umgeben ist, merkt es aus einem gewissen Grunde nicht.“ In die Irre geht, wer Goetz überhebliche Boshaftigkeit oder gar Verachtung für bemitleidenswerte Minderbegabte unterstellt. Vielmehr meint er mit „Idioten“ die ungezählt große Schar an Menschen, die aufgrund einer ganz eigenartigen Schrulle oder eines sehr speziellen Spleens ihre Umwelt verstörend bereichern, weil sie eben aus der Norm zu fallen scheinen. Bei genauerem Hinsehen, so Goetz, stellt sich jedoch heraus, dass fast alle Menschen – also auch jene, die in einem Theatersaal sitzen – mehr oder weniger einen kleinen Vogel haben. Und aus der Warte eines Komödienschreibers ist das ja auch gut so, denn so ist an Belustigungsgegenständen kein Mangel. Mehr »

Besuche erwünscht?

Schulen stehen immer unter genauer Beobachtung der Öffentlichkeit. So auch in Sachsen. Beklagt werden gegenwärtig Unterrichtsausfall, mangelhafte Bausubstanz und die Modalitäten des Übergangs von der Grundschule an weiterführende Schulen.

Doch wie war das früher?

Liest man die Jahresberichte, wird eine andere Tendenz sichtbar. Mehr »

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