Begabte Ärztin aus Leidenschaft

Ein Nachruf auf Dr. Christine Engelmann

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Foto : privat

Viele Menschen waren am 6. Oktober auf den Friedhof am Gottesacker zur Beerdigung von Christine Engelmann gekommen, die am 28. September nach langer Leidenszeit kurz vor ihrem 81. Geburtstag in ihrem Radebeuler Haus aus dem irdischen Leben abberufen wurde. Menschen, die ganz unterschiedliche Bindungen zu einer Frau aufgebaut hatten, die während des letzten halben Jahrhunderts ihre Spur in Radebeul deutlich sichtbar hinterlassen hat und deren Wirken nicht vergessen werden wird. Den meisten Radebeulern war Christine Engelmann als umsichtige, fachlich kompetente Kinderärztin bekannt, die seit 1966 bis 1998 in ihrer Praxis auf der Meißner Straße (früher Wilhelm-Pieck-Straße) arbeitete und noch zu DDR-Zeiten manch einem unter chronischem Asthma leidenden Kind zu einer Kur im milden Zypern oder einer Familie zu einer neuen Wohnung verholfen hatte, damit sich die Bedingungen für leidende Kinder besserten. Wer in den 1980er Jahren zu ihr in die Sprechstunde kam, konnte durch die ästhetisch wohltuende Gestaltung der Räume erkennen, dass dort eine Ärztin mit Kunstsinn ihren Dienst versah: Zahlreiche Bilder von Künstlern der Region schmückten die Wände und deuteten bereits an, wohin sich Christine Engelmanns Interesse nach Eintritt in den Ruhestand 1998 wenden würde. Erst vorsichtig tastend, dann immer selbstbewusster begann sie künstlerisch tätig zu werden und schloss sich daher der Malgemeinschaft der Radebeuler Stadtgalerie unter Gudrun Täubert an, wo sie sich weiterbilden und weiterentwickeln konnte. Aber nicht nur die Kunst, auch die Literatur hatte es ihr angetan, weshalb sie den Kontakt zu dem über viele Jahre von Lothar Trampau geleiteten Kreis der „Schreibenden Senioren“ aufnahm. Im Zuge dessen war sie ab November 2001 bis Oktober 2011 regelmäßig mit Lyrik in unserem Monatsheft vertreten, denn die „Vorschau“ konnte über lange Zeit auf die lesenswerten Beiträge der lebensklugen Senioren zählen. In einem Gedicht formulierte sie darüber treffend: Miteinander Wein trinken/lesen für Fremde und Freunde/uns und ihnen zur Freude/Gemeinschaft erfahren/Aktiv sein! Schreiben ist Leben. Anregungen für ihre künstlerisch-literarischen Arbeiten holte sich Christine Engelmann nicht nur durch die Unternehmungen mit der Wandergruppe des sächsischen Bergwandervereins, mit dem sie ihre Heimat (geboren wurde sie am 8.10.1934 in Dresden) durchstreifte, sondern auch auf ausgedehnten Reisen in Europa, Afrika und Nordamerika. Wie sehr es Christine Engelmann danach drängte, Erlebtes und Gedachtes in Worten festzuhalten, lässt sich daran ermessen, dass sie 2006 eine eigene Publikation im Radebeuler Notschriften-Verlag unter dem Titel „Miniaturen aus meinem Leben“ veröffentlichte. Nicht zuletzt, damit auch ihre Kinder und Enkel schwarz auf weiß haben, was der (Groß-) Mutter in Lyrik, Prosaskizzen und Briefen mitzuteilen wichtig war.
Wer weiß, welche Bilder ungemalt, welche Texte ungeschrieben und welche Wege unbeschritten bleiben mussten, weil der unheilvolle Junitag 2012 Christine Engelmann aus einem aktiven, in der Radebeuler Stadtgesellschaft vernetzten Leben riss und sie in Passivität und Abhängigkeit versetzte. Ein unglücklicher Sturz von einer Treppe markiert die schmerzliche Zäsur in einem Leben, das damals noch nicht vollendet, aber ganz gewiss schon erfüllt war. Christine Engelmann musste lernen loszulassen von dem, was sie liebte und brauchte: Kreative Eigenständigkeit in Gemeinschaft. Dass im „Loslassen“ auch Trost enthalten ist, hatte sie bereits Jahre zuvor schon in einem Gedicht formuliert: Nichts geht verloren im Lauf der Natur/ alles ist wichtig und hat seinen Sinn/ Sorge dich nicht, vertraue nur!/ Leb mit dem Wandel, gib dich ihm hin. Es hilft, sich diese Einsicht ab und an zu vergegenwärtigen.

Im Namen der Redaktion
Bertram Kazmirowski

„Elemente“ plus „Temperamente“ sind gleich „Lebensfreude“

Die langjährige Pädagogin Erika Bartusch zeigt im Radebeuler Kulturbahnhof eine umfangreiche Auswahl ihrer Bilder

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»Wie jetze?«, Acryl                                                                             Repro: W. Zimmermann

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»Evangelisten«, Lindenholz    Repro: W. Zimmermann

Die jugendlich zeitgemäße Frage „Wie jetze?“ in ein schlüssiges Bild umzusetzen ist gewiss keine leichte Aufgabe. Auch nicht für eine Frau, die das Gros ihrer Lebensjahre der Schule und damit der Ausbildung von Kindern und Jugendlichen, aber auch der Ausbildung eigener Berufskollegen gewidmet hat. Von dieser Position aus schärfte Erika Bartusch ja nicht nur ihren Blick für absurde Situationen; sie erlebte auch die Höhen und Tiefen der Sprache des Alltags. „Wie jetze?“ bspw. ist Alltagssprache; zwei, die sich irgendwie nicht riechen können, treffen aufeinander. Trotzig, stur und unnachgiebig. In kräftigen Acrylfarben hat Erika Bartusch dieses Bild mit dem provokanten Titel gemalt. Es ist eines von insgesamt 49 Arbeiten der aktuellen Ausstellung von Erika Bartusch, die im Kulturbahnhof von Radebeul-Ost zu sehen sind. Zu den Bildern gesellen sich außerdem einige Arbeiten aus Holz, Ton und Speck- oder Sandstein.
Der Bogen ihrer bildkünstlerischen Themen ist durchaus weit gefasst. Man findet darunter einen in Mischtechnik gemalten „Weiher“ in winterlich-frostiger Stimmung. Man ist versucht, die turbulente kopfüber „Zuneigung“ eines Paares (gemalt in Mischtechnik) zu ergründen. Wird in das Mysterium von „Erlkönigs Tochter“ (eine Acryl-Strukturarbeit) entführt. Oder begegnet der unbändigen Kraft der „Elemente“ (gemalt in Acryl-Struktur). Und nicht zuletzt auch einer kleinen Gruppe von „Evangelisten“, die Erika Bartusch aus Lindenholz gearbeitet hat.

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»Weiher«, Mischtechnik                         Repro: W. Zimmermann

Sie selbst hatte genügend Muse, das Wesen des Menschen zu ergründen. 21. Jahre lang arbeitete sie als Lehrerin und weitere 15 Jahre half sie als Lehrerbildnerin künftigen Kolleginnen und Kollegen in diesen so verantwortungsvollen Beruf.
Wolfgang Zimmermann

Die Bilder der im Jahre 1935 gebürtigen Dresdnerin erstrecken sich vom Kulturraum der Bibliothek in der ersten Etage bis hinunter in die Halle des Kulturbahnhofs selbst. Die Ausstellung ist bis zum 18. Dezember 2015 zu sehen. Der Eintritt ist frei.

Bacchusrede 2015

Liebe Freunde und Gäste von überall auf der Welt, welcome!
liebe Radebeulerinnen, liebe Radebeuler, Willkommen und Hurra!
Die Zeit für Lust auf Wein und Spiele ist wieder da!
Kötzschenbrodas Anger macht die Arme breit,
hat sich geschmückt für die Weinfestzeit,
öffnet Herzen, Höfe, Keller und Türen,
will euch zu einem Jubiläumsfest verführen.
25 Jahre Weinfest, davon 20 mit Theaterkultur ?
das ist einsame Spitze, das gibt’s in Kötzschenbroda nur.
Geehrt seid ihr Winzer; und euer Wein
wird wieder ein Labsal für Kehle und Seele sein.
Ihr seid jahrelang alkoholische Mitgestalter
und im wahrsten Sine des Wortes Traditionserhalter!
Durch euer treues Immer-wieder-Kommen
hat dieses Volksfest eine so tolle Entwicklung genommen.

Zum 20. Mal gibt‘ s das Wandertheaterfestival
mit hochkarätigen Künstlern, international.
Den ganzen Zauber theatralischer Spiele
brachten sie mit, mit nur einem Ziele:
uns froh und sinnreich zu unterhalten
mit ihren skurrilen Theatergestalten.
Sie kamen mit Klassik und Mythen, mit Zirkus, Tanz und Musik,
mit Himmel und Hölle, mit „Faust“, modern und antik,
maskiert und auf Stelzen, haben Brücken gebaut,
machten uns mehrmals mit Shakespeare vertraut;
Liebeskabale, Märchen und Feuerlegenden ?
die Vielfalt der Kunst wird niemals enden.
Ihr Suchen und Finden, ihr clowneskes Treiben
wird für immer in unseren Herzen bleiben.
Wir haben Hitze ertragen, den Regen verlacht,
haben die Themen der Jahre zu den unseren gemacht;
waren weinselig und heiter und bestens gelaunt,
haben die Künstler gefeiert und sie bestaunt.
Kurz: Es passte zusammen, Theater und Wein,
und so soll es auch in der Zukunft sein.
Gedankt sei heut jenen, die mitgestrickt,
dass das Fest jedes Jahr stets aufs Neue glückt.
Wie da sind die sächsischen Weinmajestäten, die repräsentierten unser Land,
mit würdiger Botschaft und immer charmant.
Auch an die „Macher“ wollen wir denken,
die uns mit ihren wunderbaren Ideen beschenken.
Stichwort Helmut Raeder – Helmut, Helmut,
den Mann mit dem Hut, den kennt doch jeder!

Erheben wir unser Glas auf Sachsens schöne Seiten,
auf freudvolles Leben auch kommender Zeiten,
auf die Hoffnung, dass vieles zum Guten sich fügt,
wenn Tatkraft und Hilfe Egoismus besiegt.
Trinken wir auf eine weitsichtigere Politik,
auf kluge Entscheidungen und Handlungsgeschick
und darauf, dass wir das Mögliche versuchen
und nicht hasserfüllt alles Fremde verfluchen.
Es hilft kein Gegröle, kein dummes Schrein,
so können Menschen nie Freunde sein.
Nehmen wir momentane Beschwernis in Kauf
und die Neuankömmlinge fair und freundlich bei uns auf!
Seien wir menschlich und denken daran,
dass das, was ihnen passiert, auch uns treffen kann.
Nur Menschen liebender Mut im täglichen Handeln
kann im Kleinen wie im Großen die Welt verwandeln.
Also: Trinken wir darauf, dass wir diesen Mut finden
dann schmeckt auch der Wein aus hundert anderen Gründen.

 

Diffuses Licht zwischen Herbststimmung und Winterwald

Die Ravensburger Malerin Birgit Schwartz-Glonegger stellt im Coswiger Rathaus aus

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»Spiegelung«, Aquarell                                                              Repro: W. Zimmermann

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»Hafeneinfahrt«, Aquarell            Repro: W. Zimmermann

Immerhin 25 Jahre ist es nun schon her, dass sich ostdeutsche Städte unter westdeutschen Kommunen Partner suchten. Vergleichbar miteinander sollten sie sein; die ostdeutschen wie auch die westdeutschen Städte. So fand bspw. Radebeul im saarländischen St. Ingbert einen guten Partner, während das benachbarte Coswig mit der süddeutschen Kommune Ravensburg eine Partnerschaft einging. Der 25. Jahrestag dieser Partnerschaften nun bietet eine zusätzliche Möglichkeit, sich noch besser kennen zu lernen.
Im Zusammenhang mit einer sehenswerten Ausstellung im Coswiger Museum Karrasburg stellt die Ravensburger Malerin Birgit Schwartz-Glonegger im Coswiger Rathaus einen sehenswerten Querschnitt ihres umfangreichen Œu­v­res aus. Die Aquarell- und die Acrylfarben bevorzugt die Malerin, fühlt sich aber auch in den Mischtechniken wohl. Und so sind eine Vielzahl an wunderbaren Stimmungsbildern entstanden. Wie etwa eine sehr romantische Sicht auf eine nebelverhangene „Hafeneinfahrt“. Oder das intensive Rot der Mohnblumen. Ein märchenhaft verschneiter Winterwald und sich im Wasser widerspiegelnde Bäume. Dem Winter wiederum wird die wärmende Stimmung des Sommers entgegengesetzt.
Die gebürtige Ravensburgerin des Jahrgangs 1951 entdeckte mit 27 Jahren ihre Liebe zur Malerei. In den ersten Jahren konzentrierte sie sich dabei ausschließlich auf das Aquarell; später kamen dann die Acrylfarben und auch eine Vielzahl an Zeichnungen dazu. Inzwischen kann die rührige

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»Mohn«, Aquarell                              Repro: W. Zimmermann

Ravensburgerin längst auf ein eigenes Atelier verweisen, dem sie den Namen „Kunst am Tor“ gab. Inzwischen ist sie aber auch Dozentin an der Ravensburger Volkshochschule, gibt eigene Kurse oder geht mit ihren Schülern auf Malreise in benachbarte europäische Länder.
In einem ihrer Aquarelle hat sie sich einer wunderbar verträumten Abendstimmung angenommen. Da leuchtet am Himmel ein sanftes Abendrot, während die Blüten der Sträucher am Fluss eine stimmungsvolle Farbigkeit verbreiten.

Wolfgang Zimmermann

Noch bis zum 15. November 2015 ist die Ausstellung von Birgit Schwartz-Glonnegger im Coswiger Rathaus zu besichtigen.

„Wein ist eingefangener Sonnenschein“

Ein cineastischer Rückblick auf die Winzerumzüge von 1965 und 1969

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Filmsequenzen von 1965/69              Foto: Stadtarchiv Radebeul

Hatte das Jahr 1965 keine sonderliche Bedeutung in der Historie des 40-jährigen Lebens der DDR, so geriet das Jahr 1969 gleich mehrfach in den Fokus der Geschichtsschreiber jener Zeit. Immerhin, im Oktober 1969 bestand die DDR als eigener Staat bereits 20 Jahre. Ausreichend Grund, diesen Tag mit einem pompösen Umzug und diversen anderen Festivitäten zu begehen. So stand dann auch der Winzerumzug 1969 ganz direkt im Zusammenhang mit dem Republikgeburtstag. Denn der manifestiert sich in den mit zahlreichen Losungen verzierten Festwagen, den vielen Transparenten und auch dem Aufmarsch der Kampfgruppen.
Beide Umzüge – der des Jahres 1965 und der von 1969 – sind zu sehen in zwei Filmen im schwarz/weiß Format, die im Radebeuler Stadtarchiv entdeckt wurden und aus denen der Radebeuler Musiker Manfred Kugler in einem langwierigen Prozess jene zwei Filme herausfilterte. Zum Einen war das der Winzerumzug im Jahre 1965, der nur am Rande politische Botschaften transportierte. Zum Anderen aber war das der Winzerumzug des Jahres 1969, der zeitgleich mit den Festlichkeiten zum 20-jährigen Bestehen der DDR stattfand. Der erste Film entstand im schwarz-weiß Format, der von 1969 bereits in Farbe. Jeder Film hat eine Länge von 16 Minuten. Und beide Filme sind natürlich in erster Linie dem hiesigen Wein gewidmet; denn der bestimmte die Umzüge in jeglicher Hinsicht. Nicht nur in dem einhelligen Lob „Wein ist eingefangener Sonnenschein!“

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Filmsequenzen von 1965/69 Foto: Stadtarchiv Radebeul

Darüber hinaus erzählen beide Filme viele kleine unterschiedliche Geschichten. „Nieder mit der faschistischen Diktatur in Griechenland!“ lautete bspw. der Text auf einem der im Umzug mitgetragenen Transparente. Die Älteren werden sich gewiss erinnern, die DDR nahm damals zahlreiche griechische Flüchtlinge auf, die sich über die nachfolgenden Jahrzehnte hier gut eingewöhnten und sich beruflich vor allem im gastronomischen Bereich engagierten. Auch in Radebeul landeten einige dieser Flüchtlinge, integrierten sich und und viele von ihnen leben auch heute noch unter uns.

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Filmsequenzen von 1965/69 Foto: Stadtarchiv Radebeul

Manfred Kugler hat den bewegten Bildern der beiden Umzüge Musik unterlegt. Und wer damals dabei war – egal ob als Mitwirkender oder als Zuschauer – könnte sich an irgendeiner Stelle dieser beiden Filme auf den Bildern durchaus wieder erkennen. Die Filme sind auf einer DVD gespeichert und wer sie käuflich erwerben möchte, der kann das über das Stadtarchiv Radebeul tun.

Wolfgang Zimmermann

Editorial 11-15

Editorial

Die letzten Trauben wurden von den Reben geschnitten. Ein überaus gesegnetes Weinjahr geht zu Ende. Die reiche Kelter schäumt und gibt einen hoffnungsvollen Ausblick auf die gefüllten Gläser im kommenden Jahr. Und so wie der Herbst verklingt, so verstummten auch die rauschenden Wein- und Winzerfeste.
Radebeul im Feierrausch.
Uns geht es doch gut. Und so geht es weiter. Nach den tristen Novembertagen beginnt die beschauliche Vorweihnachtszeit. Weihnachtsmarkt in altvertrauter Heimelichkeit mit Glühwein, Wollsocken und Musikgedudel. Alles auf einem hohen Niveau hier, keine Frage. Wir haben es uns ganz gut eingerichtet, jetzt nach 25 Jahren Einheit und Konsum. Jahre voller Feste dicht gedrängt im Jahreskreis.
Überhaupt was wir uns leisten, kulturell, unfassbar. Von der Kleinkunst bis zur großen Oper, hier im kleinen Radebeul. Neben Wien und Berlin ist es einzig Dresden, das drei Opernhäuser in unmittelbarer Nähe vereint, weltweit! Dazu noch Schauspiel und Ballett vor der Haustür!
Und verzichtete man auf all die Medien, all die täglichen Nachrichten aus aller und näher rückenden Welt, dann wäre unser Wohnumfeld wohl ein kaum zu ertragendes Wohlstandsidyll.
Vielleicht mal ein Moment zum Innehalten, um sich zu vergegenwärtigen, wie gut es uns (noch) geht.

Sascha Graedtke

Titelbild Oktober 2015

Ja, es gibt wieder linkselbische Weinberge und in der Talstraße 60 in Cossebaude steht auch ein Winzerhaus, vielleicht besser als Herrenhaus zu bezeichnen, das alt und stattlich genug ist, um mit den Winzerhäusern auf unserer Elbseite Schritt zu halten.

Es wird Hübel’sches Weingut genannt, wobei zwei Namen für die Geschichte dieses Hauses wichtig sind: Johann Gottfried Hübel, ein kurfürstlicher Beamter, der 1767 das Haus errichtete und den Weinberg (4 ha) mit Stützmauern anlegen ließ. Da sich das Tal des Lotzebaches windet, gibt es hier auch reine Südlagen. Die Hübels besaßen das Anwesen bis 1881, also bis kurz vor der Reblauskatastrophe. 1977 erwarb Familie Butze, der zweite wichtige Name, das Haus und einen Teil des ehemaligen Weinbergs. Es gab viel zu tun am Haus, dem man amtlicherseits noch maximal 10 Jahre Standzeit geben wollte. Seit 1979 kümmerten sich Butzes auch um den Weinberg, der neu aufgerebt wurde. Heute gehört das Anwesen Elke und Matthias Butze, die das Denkmal weiterhin fachgerecht pflegen werden, ohne es „auf Hochglanz“ polieren zu wollen.

Das zweigeschossige Haus mit Krüppelwalmdach hat ein massives EG mit Durchfahrt und ein Fachwerk-OG, das ursprünglich verputzt war. Zu den vielen interessanten Details gehört auch die Deckenbemalung von 1890 in der Durchfahrt. Mir gefallen besonders die fünf auf der Ostseite in zwei Ebenen angeordneten Fledermausgaupen. Der Kurzbesuch hier versetzte mich auf angenehme Weise in eine andere, vergangene Zeit.

Dietrich Lohse

Das Labyrinth Deutsche Einheit

Der Herbst beginnt mit einem Festmarathon: 25 Jahre Deutsche Einheit wollen gefeiert werden.
Nach dem vorläufigen Scheitern der Bemühungen, in Leipzig und Berlin dem Ereignis jeweils ein Denkmal zu errichten, konnte am 6. September im Lügenmuseum im Gasthof Serkowitz das „Labyrinth Deutsche Einheit“ eröffnet werden.

Blick ins Labyrinth Bild: A. Wirsig

Blick ins Labyrinth
Bild: A. Wirsig


Ideengeber und Kurator Richard von Gigantikow möchte mit dieser Ausstellung Toleranz vermitteln und helfen, Frustration und Ablehnung in Kreativität umzuwandeln. Er zeigt das Prozesshafte der Einheit, die ja längst noch nicht überall angekommen und an manchen Stellen auch schon wieder verlorengegangen ist. Erinnerungsrituale, Instrumentalisierung und Deutungshoheit der Geschichte werden in eine zeitgenössische Form übersetzt hin zu einem differenzierten Erinnern, so der Anspruch. Letztlich geht es um nicht weniger als um das Grundprinzip einer demokratischen Kunstauffassung.

Die Herkunft des Begriffes Labyrinth liegt im Dunkel der Geschichte. Wahrscheinlich bedeutet das Wort Haus der Doppelaxt. Die Doppelaxt war eines der Herrschaftssymbole des minoischen Königtums auf Kreta des 12. vorchristlichen Jahrhunderts. Das Labyrinth selbst gehört zu den ältesten Fruchtbarkeitssymbolen der Menschheit. Es hatte eine Mitte, die, wie die Sage vom Minotauros berichtet, auch sehr unerfreulich sein konnte; und ein Mann fand den Rückweg nur mit Hilfe einer Frau. Hier erscheint erstmalig das Einheitssymbol: es geht nur gemeinsam.

Richard v. Gigantikow verfolgt den Gedanken des Labyrinthes seit September 2001. Der damals aufscheinenden neuen Dimension der Bedrohung allen Lebens konnte er nur mit einem starken Lebens-Symbol begegnen. Er konzipiert seine Labyrinthe als soziale Plastiken, als Orte der Begegnung mit dem Unvorhersehbaren.

Das von der Berliner Künstlerin Pomona Zipser sowie dem vom Radebeuler Herbst- und Weinfest bekannten Skulpturenteam Roland Gorsleben, Möne und Olaf Spillner und Richard v. Gigantikow im einstigen Festsaal des Gasthofs geschaffene Labyrinth ist nur mit Taschenlampe zu begehen. Es ist verbunden mit Arbeiten der Künstler Anthony Beilby (AUS), David Campesino (E), Sophie Cau (F), Martin Hoffmann, Holger John, Klaus Liebscher, Manuel Lüttgenhorst, Rainer Müller, Klaus Staeck und Katrin Süss.

Thomas Gerlach

Die Ausstellung läuft bis 31. Dezember und ist in den Schulferien, an Feiertagen sowie jeweils Sonnabends und Sonntags von 13 – 18 Uhr geöffnet.

„Radebeul – Stadt der Zukunft“ hier und jetzt

54 Künstler und zahlreiche Schüler zeigen eine Ausstellung, die polarisiert

Das Thema der diesjährigen spätsommerlichen Gemeinschaftsausstellung „Radebeul – Stadt der Zukunft“ erinnert zugegebenermaßen an einen Schulaufsatz. Doch der Zündstoff verbirgt sich zwischen den Zeilen, denn es brodelt gewaltig unter der glatt polierten Oberfläche. Dem Lockruf „Die Zukunft gehört uns – steig ein!“ folgt der Schock: Eine alte Dame gleich im Eingangsbereich der Stadtgalerie demonstriert die Vergänglichkeit von Jugend und Besitz. Die morbide Noblesse wird provokant zur Schau gestellt. Radebeul – Stadt der Millionäre? Radebeul – Stadt der Pensionäre?

Klaus Beckmann, Die alte Dame, 2012, Objekt (versch. Materialien) Courtesy Galerie Peter Herzog Foto: PR Radebeuler Stadtgalerie

Klaus Beckmann, Die alte Dame, 2012, Objekt (versch. Materialien) Courtesy Galerie Peter Herzog
Foto: PR Radebeuler Stadtgalerie


Doch gerade die Schüler sind es, die die Frage stellten „Alles in Ordnung in Radebeul?“ Sie wünschen sich ein Kino, ein Erlebnisbad, eine Disko, fetzige Klamottenläden, Clubs zum Quatschen mit Freunden und vieles mehr. Aber auch die Erwachsenen haben Träume von einer autofreien Stadt und wollen sich die Zukunftsaussichten der Wein- und Gartenstadt nicht „verbauen“ lassen.
Gabriele Schindler, +++Paradiso+++, Installation, 2015 Foto: PR Radebeuler Stadtgalerie

Gabriele Schindler, +++Paradiso+++, Installation, 2015
Foto: PR Radebeuler Stadtgalerie


Für weitere Wünsche und Zukunftsträume stehen Briefkästen bereit. Aber was wird davon jemals in Erfüllung gehen? Wer stellt die Weichen in die Zukunft? Die Weinkönigin hat sich schon mal auf den Weg gemacht und reitet auf einer alten Bergziege voran. Die Künstlergruppe „Liebes Pferd“ ist aus tiefem Schlaf erwacht und zeigt zur Midissage das erhellende Filmmaterial „Kräne über Deutschland „ und „Reklame für ein besseres Leben“. Nach rechts, nach links oder ab durch die Mitte? Buntes Wunder Radebeul oder wunderbuntes Beutegreuel? Wird es die Vereinigung der schaffenden Intelligenz Deutschlands richten? Oder haben die Aktien- und Immobilienbesitzer einen zukunftsträchtigen Plan? Das Vakuum der Passiven füllen sie spielend aus.

Das Jahr 2015 ist ein Jahr der Jubiläen: 700 Jahre Serkowitz, 80 Jahre Radebeul, 70 Jahre Frieden auf deutschem Boden, 25 Jahre Deutsche Einheit. Und zwischen all den Feierlichkeiten hat sich ein Flüchtlingsstrom in Bewegung gesetzt, dessen Ziel das vermeintliche Paradies Deutschland ist. Das Elend dieser Welt sickert ein in unserer Wohlstandsidylle. Das Hier und Jetzt erfordert alle Aufmerksamkeit. Keine Zeit mehr für die Zukunft?

Dabei sieht doch unser Planet Erde wie immer aus. Auch Radebeul wirkt noch wie eine glückselige Oase. SORGENFREI. Es geht uns gut. Es kann nur schlechter werden. Wir wollen Spaß und machen Selfis. Warum auch den Kopf zermartern zwischen Vergangenheit und Zukunft, Leben und Tod? Kreisen, drehen sich bewegen. Das Ratlosphone signalisiert bei Braten, Wein und Kerzenschein Alarm, Alarm … und plötzlich ist der Akku leer.

Karin (Gerhardt) Baum

Die Ausstellung ist bis zum 25. Oktober DI, MI, DO, SO 14-18 Uhr geöffnet. Gruppen-Führungen mit der Galerieleitung sind auch außerhalb dieser Zeiten möglich. Um Voranmeldung unter 8311-600,-625, -626, 0160-2357039 wird gebeten. MIDISSAGE am 9.10., FINISSAGE am 26.10., jeweils um 19.30 Uhr

Teilnehmer: Dieter Beirich, Klaus Beckmann, Sophie Cau, Heinz Drache, Lieselotte Finke-Poser, Thomas Gerlach, Karen Graf, Peter Graf, Roland Gräfe, Christiane Herrmann, Gunter Herrmann, Mandy Herrmann, Horst Hille, Michael Hofmann, Cornelia Konheiser, Matthias Kratschmer, Ingo Kuczera, Dorothee Kuhbandner, Anna Kuntsche, Bärbel Kuntsche ,Wolf-Eike Kuntsche, Edgar Kupfer, Christiane Latendorf, Liebes Pferd, Klaus Liebscher, Roswitha Maul, Johanna Mittag, Peter PIT Müller, Tine Neubert, Gerd-Rüdiger Perschnick, Anne-Katrin Pinkert , Pseudo, Gabriele Reinemer, Markus Retzlaff , Gerald Risch, Luc Saalfeld, Burkhard Schade, Petra Schade , Gabriele Schindler, Annerose Schulze , Fritz Peter Schulze, Gerold Schwenke, Gabriele Seitz, Karola Smy, Wolfgang Smy, Ju Sobing, SODA, Katrin Süss, André Uhlig, Christian URI Weber, Claus Weidensdorfer, Irene Wieland, Renate Winkler, Reinhard Zabka, Schüler der Oberschulen Kötzschenbroda und Radebeul Mitte sowie der Kinderarche Sachsen

Ein Nachruf für Tilo Kempe

Die Nachricht, dass Tilo Kempe, Radebeuler Architekt und Kommunalpolitiker, nicht mehr lebt, hat viele Menschen – Freunde, Kollegen oder solche, die ihn nur kannten – überrascht und sehr betroffen gemacht. Am 6. April 1963 in Dresden geboren und am 24. August 2015 gestorben, war er nur 52 Jahre alt geworden. Das ist eigentlich keine Zeit zum Sterben und nur durch seine schwere Krankheit in den letzten Monaten zu erklären.

Er stammte aus einer Dresdner Familie mit bekannten Bauingenieuren und Statikern und hatte Architektur an der TU Dresden studiert. Etwa 1990 lernte ich ihn als jungen Architekten, der erste Recherchen über Zustand und Lösungen für Altkötzschenbroda anstellte, kennen. Im Ingenieurbüro Dr. Jäger fertigte er eine Mappe an, die Grundlage zur Rettung und teilweisen Umgestaltung dieses alten Dorfkerns werden sollte. Viele der Entwürfe zur Sanierung einzelner Gehöfte und auch Lückenschließungen stammen von ihm, man erkennt sie an der eher traditionellen Form, im Einzelfalle auch an den Materialien Lehm und Holz. Dass dieses alte Radebeuler Dorf nach 1989 langsam wieder auf die Beine kam und mit meist neuer Nutzung heute ein Anziehungspunkt für Radebeuler und ihre Gäste ist, verdanken wir auch der beharrlichen Arbeit von Tilo Kempe über viele Jahre.

Natürlich konnte das nicht einer allein schaffen, da wären viele Namen zu nennen – aber er hatte das Geschick in Zusammenarbeit (manchmal auch in Konkurrenz) mit Kollegen aus anderen Büros, mit Bauherrn wie Familie Dross und mit der Stadtverwaltung die Gesamtge-staltung von Altkötzschenbroda nie aus dem Auge zu lassen.

"Haus Lorenz", Weinbergstraße 28 Foto: D. Lohse

„Haus Lorenz“, Weinbergstraße 28
Foto: D. Lohse


Wichtig im Leben von Tilo Kempe war der frühe Erwerb von „Haus Lotter“, einem ehemaligen Winzerhaus und Kulturdenkmal in der Niederlößnitz, der behutsame Ausbau zu seiner Wohnung und einem eigenem Architekturbüro sowie die Bereitstellung des Festsaales als Begegnungsstätte des Vereins für Denkmalpflege und neues Bauen; Winzerstraße 83 war in Radebeul eine gute Adresse! Sein Entwurfsbüro beschäftigte sich entsprechend dem Vereinsnamen mit Rekonstruktion (meist Denkmalsanierungen) und Neubauten. Zur ersten Gruppe gehören u.a. Altkötzschenbroda 20 (nur eines von vielen Objekten am Anger), das Spitzhaus, der Grundhof, das Meinholdsche Turmhaus und Haus Lorenz (Abbildung), aus der zweiten Gruppe seien hier An der Wilhelmshöhe 3, Obere Bergstraße 18 und Weintraubenstraße 8 genannt. Doch er hatte auch Aufträge außerhalb Radebeuls als Entwurf bearbeitet und realisiert, wie die „Blaue Mühle“ in Mohorn oder das fantasievolle „Schneckenhaus“ in Moritzburg. Diese Auswahl ist keine Wertung und hat auch keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Im Laufe der Jahre waren wir Freunde geworden mit gemeinsamen Interessen zur Stadtgeschichte, Denkmalpflege und zu bemalten Holzbalkendecken, wie eine im „Haus Lotter“ vorhanden ist.

Als Stadtrat für die CDU hatte sich Tilo Kempe viele Jahre eingebracht und war auch eine Zeit lang im Kreistag Meißen tätig gewesen. Ich erinnere mich auch an eine beratende Tätigkeit Kempes für die Lutherkirche; die Realisierung einer anderen Planung für das Gemeindezentrum kann er leider nicht mehr erleben. In den Fluttagen 2002 war er einer von vielen unermüdlichen Helfern, besonders wertvoll war seine Idee, einen alten Dammplan zur Rettung des ehem. HAW und anderer Betriebe zu realisieren. Einige waren überrascht, als er im Jahr 2008 als Kandidat für den ersten Bürgermeister (Baubürgermeister) in Radebeul antrat. Er ist es dann nicht geworden, aber dazu braucht man Sachverstand und Mut – beides hatte er. Nicht zu vergessen ist sein Engagement als Organisator im Radebeuler Bauherrenpreis und schließlich war er auch unter den Preisträgern.

Ein Umzug nach Weinböhla konnte zT. realisiert werden, den Verkauf von „Haus Lotter“ hat er nicht mehr geschafft. Eine damit verbundene Abwendung von Radebeul war nur schwer zu verstehen, hatte aber nichts mit seiner Einstellung zu unserer Stadt zu tun. In zwei aufeinander folgenden Ehen konnte Tilo auf die gute Entwicklung von insgesamt drei Kindern schauen, denen der Vater sehr fehlen wird.

Wir müssen feststellen, dass Tilo Kempe die Lebensleistung eines Architekten wegen seiner schweren Krankheit in nur 25 Jahren beenden musste. Darin steckt eine große Dichte an Entwurfsarbeit, Organisation und Engagement auch für Radebeul. Dafür sollten wir ihm dankbar sein und ihn so ehrend in Erinnerung behalten.

In der Zwischenzeit fand am 4. September 2015 die Beerdigung von Tilo Kempe auf dem Friedhof Weinböhla statt. Außer der Familie waren viele, ihm nahestehende Menschen – Architektenkollegen, Radebeuls OB und Mitarbeiter aus der Verwaltung, Bauherren und Handwerker, Vertreter der CDU und anderer Parteien, Vereinsmitglieder und Freunde – gekommen um Abschied zu nehmen. Der christlichen Feierstunde, die von einem gemischten Chor begleitet wurde, wohnten etwa 300 Trauergäste bei, insgesamt eine würdige und sehr berührende Abschiedsfeier für Tilo Kempe.

Dietrich Lohse

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